Not a member of Pastebin yet?
Sign Up,
it unlocks many cool features!
- Fahrradfahren könnte so schön sein, wenn nicht Deutsche auf dem Sattel säßen. Nach dieser Woche, in der ich Zeuge einer verstörenden Szene wurde, muss ich leider zu diesem Schluss kommen. Alles ging so schön los: 18 Uhr, die Großstadt segelt in den Feierabend, ein paar Sonnenstrahlen kämpfen sich nochmal durch den Wolkenvorhang. Ein gut aussehender Mann fährt freihändig und glücklich auf seinem Fixxie durch die Straßen – wahrscheinlich hatte er einfach einen guten Tag. In einem Ohr steckt der weiße Kabelkopfhörer vom iPhone. Er muss „Balenciego“ von Flash hören, so wie er strahlt. Endlich kann er zum Feierabendbier mit seinen Kumpels. Ach, wie beschwingt er aussieht. Ich gönne es ihm.
- Plötzlich rauscht von hinten ein irres Raumschiff heran. Zum Glück ist der Pilot so nett, mit seiner neongelben Warnweste auf sich aufmerksam zu machen. Wie ein Panzerrochen kommt er näher, setzt zum Überholen an. Was nicht einfach werden dürfte, weil die zwei Fahrradtaschen rechts und links aus einem eigentlich filigranen Fahrrad ein Monstrum gemacht haben – zwei Meter breit, zwei Meter Ich. Der Fahrradtaschenfahrer weiß, dass seine Überholmanöver heikel sind. Deshalb trägt er auch Helm und gepolsterte Jacke. Ein Unfall wäre nur für die andere Partei riskant.
- Fahrradtaschen sind Potenzersatz für Autolose. Zu wenig wurde über sie geredet, zu viel über SUVs gelästert. Dabei sind Fahrradtaschen und SUVs fast das Gleiche. Beide transportieren Allmachtsfantasien und passive Aggression. Der SUV-Fahrer pflügt über die Straße, der Fahrradtaschenfahrer über den Radweg. Wenn sie von ihrer Bruderschaft wüssten, würden sie sich an der Kreuzung wie Busfahrer grüßen. Doch sie leugnen es – und schauen lieber auf den anderen herab.
- Was ist in diesen wasserdichten Fahrradtaschen überhaupt alles drin? Regenjacke, Ersatzakkus, drei Tupperdosen und Werkzeug, falls das Fahrrad muckt? Das muss natürlich alles mit zur Arbeit. Ich hätte den Fahrradtaschen-Drängler gerne gefragt, leider war er mit seinem Elektromotor schneller. Deshalb muss ich raten. Aber eins weiß ich sicher: geheimnisvolle, nach Leben aussehende Dinge wie zerknüllte Konzerttickets, Parfüms, Tagebücher sind sicher nicht in der Regenplane in Rechteckform. Und das ist das Verrückte an Fahrradtaschen: Vom Wichtigen im Leben haben sie dann doch keine Ahnung.
- Weil sie das Fahrradfahren zu einer viel zu ernsten Angelegenheit machen. Denn die Romantik eines Autos kann das Fahrrad ohnehin nicht ersetzen – seine Unverwüstlichkeit und seine Kraft schon gar nicht. Da können noch so viele Elektroakkus anmontiert werden. Das Fahrrad muss deshalb eine andere, leichtfüßige Rolle einnehmen, für die es gute Argumente gibt. Ein Fahrrad steht nicht im Stau, findet immer einen Parkplatz, darf auch mal über den Bürgersteig abkürzen, und wenn die Haltung auf dem Sattel stimmt – der Rücken gerade ist und trotzdem locker – sieht es sogar ganz schön aus.
- Amsterdam hat es vorgemacht, wie es gehen könnte. Junge und ältere Menschen auf Fahrrädern, die sich neben Grachten durch die Straßen schlängeln. Der hohe Lenker des Hollandrads macht es unmöglich, schnell zu fahren. Mal ganz geschmeidig bleiben, wozu die Eile? Ganz anders in Deutschlands Großstädten. Dass hier nun schwer ausgerüstete Fahrradfahrer das Straßenbild dominieren, liegt wohl in der Verantwortung des Nürnbergers Hartmut Ortlieb, der die wasserdichte Fahrradtasche erfand. Dabei war er eigentlich nur die durchnässten Fahrradtouren leid, wie in Südengland anno 1981, als sein Schlafsack nach einem Platzregen nicht mehr zu gebrauchen war. Vorbeirauschende Laster brachten ihn auf die Idee, aus dicken LKW-Planen wasserdichte Satteltaschen herzustellen.
- An gefühlt jedem zweiten Fahrrad hängen sie nun, auch wenn es nicht regnet. Mit der Welle der Urban Cyclists sind sie in die Stadt geschwappt. Gibt es wirklich keine Alternative? Es müsste mit der Erkenntnis losgehen, dass auch emissionsfreie Mobilität ein Versprechen auf Anziehung geben darf, und nicht gleich jedes Szenario mitdenkt. Unbekümmerter könnte es gehen, formloser, leichter, kurz: schöner. Dann würde vermutlich auch die unterdrückte Aggression aus dem Körper der Fahrradtaschenfahrer weichen, die jetzt noch mit wütendem Schnaufen beim Überholen Ausdruck findet. Jaja, wir haben gepeilt, dass ihr die Größten und Schwersten seid. Der hübsche Junge auf dem Fixxie hat sich zum Glück nicht beeindrucken lassen. Nur kurz nahm er die Hände an den Lenker. Dann ging es heiter weiter.
Advertisement
Add Comment
Please, Sign In to add comment