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Bitte verlassen Sie Ihre Wohnung!

May 13th, 2013
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  1. Sächsische Zeitung online
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  3. Freitag, 10.05.2013
  4. Bitte verlassen Sie Ihre Wohnung!
  5. Immer mehr Dresdner verlieren aufgrund von Mietschulden ihr Zuhause. Ein neues zu finden, wird danach schwer.
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  7. Von Jana Mundus
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  9. Die Transportbox mit dem Kater in der rechten Hand, eine kleine schwarze Reisetasche in der linken, den Rucksack auf dem Rücken. Mehr hat der junge Mann nicht dabei, als er seine Wohnung an diesem Morgen verlässt. Erst vor einer Dreiviertelstunde hatte ihn die Klingel geweckt. Als er die Tür seiner Plattenbauwohnung in Gorbitz öffnete, sah er überrascht aus. Draußen wartete Obergerichtsvollzieher Frank Nass. „Sie wissen, was heute für ein Termin ist, Sie haben meinen Brief gelesen“, fragte Nass mit fester Stimme, aber dennoch freundlich. „Nein… ja“, antwortete der 28-Jährige leise. Nachdem er mehrere Monate keine Miete zahlte, entschied das Gericht letztlich, dass er ausziehen muss. „Bitte ziehen Sie sich an und verlassen Sie die Wohnung“, forderte der Gerichtsvollzieher ihn auf. Solche Sätze muss er in letzter Zeit immer häufiger sagen, denn die Zahl der Zwangsräumungen in Dresden steigt.
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  11. Im vergangenen Jahr gab es laut Informationen des Amtsgerichts Dresden 875 Räumungen, im Jahr davor waren es noch 766 gewesen. Auch in der Statistik des Sozialamts der Stadt Dresden bestätigt sich dieser Trend. Von 2006 bis 2012 stieg die Zahl um circa 40 Prozent bei einer gleichzeitigen Erhöhung der Einwohnerzahl um sieben Prozent.
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  13. Für Gerichtsvollzieher Frank Nass bedeutet das viel Arbeit. Zwischen 25 und 30 Fälle hat er im Monat. Sind die Mieter raus, müssen die Wohnungen ausgeräumt werden. Darum kümmert sich entweder der Vermieter oder der Gerichtsvollzieher. Bei dem jungen Mann in Gorbitz wird nicht viel zu holen sein, mit dem die Gagfah, der das Haus gehört, eventuell noch einen Teil ihrer Kosten decken kann, vermutet Nass. Im Keller standen nur leere Kartons, in der Wohnung selbst stapelten sich Sachen und Müll. Ihn schockt so ein Anblick nicht mehr. Vor Kurzem musste er eine Einraumwohnung räumen, aus der 16 Tonnen Müll entsorgt wurden. „Die Leute geben irgendwann auf“, meint er. Mitleid hat er nicht. „Ich sage mir immer wieder, dass es so weit nicht kommen muss. Viele reagieren einfach nicht mehr, zahlen keine Miete, leben mit den Schulden und steuern zwangsläufig auf die Räumung zu.“
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  15. Der Mietschulden-Makel bleibt
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  17. Für Eva-Maria Jeremias ist es immer wieder hart, wenn eine Wohnung der Gagfah geräumt werden muss. Seit 1996 arbeitet sie bei dem Großvermieter als Sozialarbeiterin, kümmert sich um die, die keine Miete zahlen, sucht mit ihnen nach Möglichkeiten, wie die Außenstände beglichen werden können. Mit vielen findet sie eine Lösung, vereinbart Ratenzahlungen über mehrere Jahre. „Wir wollen nicht, dass Leute geräumt werden“, formuliert sie. Doch in den vergangenen Jahren wurde es immer schwieriger, an die Betroffenen heranzukommen. „Die Gleichgültigkeit ist schlimmer geworden. Viele setzen leichtfertig ihre Wohnung aufs Spiel.“ Wenn Mietschuldner nicht auf Briefe, Telefonate oder persönliche Besuche durch die Sozialarbeiterin reagieren, hilft am Ende nur noch die Zwangsräumung als letztes Mittel. Durch Gerichts- und Anwaltskosten steigen die Schulden der Betroffenen danach sogar noch. „Manche stehen bei uns mit bis zu 7000 Euro in der Kreide“, erklärt Bettina Berger, Leiterin des Gagfah-Kundencenters Dresden-Südwest.
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  19. Die Stadt Dresden hat bei der Gagfah für 10000 Wohnungen ein sogenanntes Belegungsrecht. Das sind Wohnungen, in die das Sozialamt Menschen vermitteln kann, die sich aus finanziellen Gründen keinen anderen Wohnraum leisten können. Darunter fallen auch Dresdner, die zwangsgeräumt wurden. „Es kann also gut sein, dass wir Mieter, die bei uns ausziehen mussten, wenig später wiedersehen“, fügt Bettina Berger hinzu. Eigentlich hätte die Gagfah das Recht, solche Fälle abzulehnen. „Aber wir wissen natürlich, dass das für viele die letzte Chance ist. Andere Wohnungen kriegen sie mit dieser Vorgeschichte doch gar nicht mehr.“
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  21. Übergangswohnheime sind voll
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  23. Gerichtsvollzieher Frank Nass nimmt zu Räumungsterminen auch immer eine Mitarbeiterin des Sozialamts mit. Denn wer geräumt wird, dem stünde das Recht zu, in ein Übergangswohnheim einzuziehen. „Manche haben ja niemanden, bei dem sie unterkommen könnten“, so Nass. Über insgesamt sieben solcher Heime mit 278 Plätzen verfügt die Landeshauptstadt. Darüber hinaus gibt es 13 weitere in sogenannten Gewährleistungswohnungen. Im vergangenen März waren all diese Plätze zu 95 Prozent ausgelastet. „Der Aufenthalt in den Heimen der Landeshauptstadt Dresden soll lediglich einen Übergang zum eigenständig angemieteten Wohnraum darstellen und wird daher monatlich befristet“, erklärt Susanne Cordts vom Dresdner Sozialamt. Inwieweit dieser Aufenthalt darüber hinaus verlängert wird, ist immer abhängig vom Einzelfall. Je nachdem, ob die Betroffenen selbst Geld verdienen, müssen sie für die Unterbringung im Heim selbst zahlen oder übernehmen Jobcenter beziehungsweise Sozialamt die Kosten. Im Heim selbst gibt es Hilfsangebote, die die Betroffenen bei ihren Problemen unterstützen und sie möglichst schnell wieder in die Lage versetzen sollen, selbst eine Wohnung zu mieten.
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  25. Für den 28-Jährigen aus Gorbitz kam so ein Heim nicht infrage, er wollte erst einmal zur Oma ziehen. „Meine Familie weiß gar nicht, dass ich finanziell solche Probleme habe“, sagte er, kurz bevor er sich auf den Weg zu ihr machte. Wie es für ihn weitergehen soll, wusste er in diesem Moment noch nicht. Das mit der Miete sei blöd gelaufen. Irgendwie hatte er vergessen, sich beim Amt zu melden, eine Sperre der Hartz-IV-Zahlungen folgte, die Miete an die Gagfah konnte nicht mehr vom Konto abgehen. All das merkte er aber zu spät. „Das wird mir hoffentlich nicht mehr passieren.“
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