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Mar 28th, 2022
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  1. „Putin, du Schwanzgesicht!“
  2. Ukrainische Ultras aller Vereine, linke wie rechte, leisten aktiven Widerstand gegen Putins Panzer. Für einige begannen die Kämpfe bereits vor der Krim-Annexion und dem Donbass-Konflikt – mitten in Kiew.
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  4. Streng genommen tobt dieser Krieg schon seit über acht Jahren. Im Februar 2014 befahl Putin die völkerrechtswidrige Annexion der Krim. Bald darauf zündeten die von Russland ferngesteuerten „Separatisten“ im Donbass die nächste Eskalationsstufe. Als offizieller Kriegsbeginn gilt deshalb für viele der 12. April 2014. An jenem Tag wurden in den Städten Slowjansk, Kramatorsk und Druschkiwka mehrere Kasernen der ukrainischen Polizei und des ukrainischen Geheimdienstes SBU besetzt – ein aus Moskau dirigierter, von russischen Söldnern ausgeführter Frontalangriff auf die Souveränität des Nachbarlandes.
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  6. Für die Ultras von Dynamo Kiew begann der Krieg noch etwas früher: am 19. Januar 2014, im Schatten des alt-ehrwürdigen Walerij-Lobanowski-Stadions in Kiew. Hier, in der Hruschewskoho-Straße, krachte eine Hundertschaft des „White Boys Club“ (so benannt nach den blütenweißen Trikots von Dynamo Kiew) mit der ukrainischen Spezialpolizei „Berkut“ zusammen. Diese Einheit unterstand direkt der damaligen, von Moskau gesteuerten Marionettenregierung und sollte die pro-europäische Maidan-Revolution niederknüppeln – notfalls auch niederschießen. Daran ließen die Spezialpolizisten an jenem Januartag 2014 keinerlei Zweifel.
  7. Das Vorgehen der Berkut war so menschenverachtend brutal, dass alle Fehden zwischen den verschiedenen Fanlagern mit einem Schlag vergessen waren. Die Ultra-Gruppierungen der Ukraine kämpften fortan gemeinsam gegen den von Russland korrumpierten Regierungschef Wiktor Janukowitsch und natürlich: gegen Wladimir Putin. Die Ultras von Metalist Charkiw dichteten in jenen Tagen ihr legendäres Schmählied nach der Melodie des 60er-Jahre Hits „Speedy Gonzales“ von Pat Boone. Der Titel lautet „Putin khuylo!“, was in etwa so viel bedeutet wie: Putin, du Schwanzgesicht!
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  9. Der perfekte Nährboden für Wut, Hass und Gewalt
  10. Dass ukrainische Ultras heute gegen Putins Panzer kämpfen, ist nichts weiter als traurige Normalität. Schließlich sind seit der Generalmobilmachung sämtliche Männer im Alter zwischen 18 und 60 Teil der Landesverteidigung geworden – ob sie es wollen oder nicht. Viele aus den Fanszenen wollten sich gar nicht lange bitten lassen. Schon seit 2014 leben sie in einem Land, in dem Krieg herrscht und wo russische Truppen die Krim besetzt halten – jene wunderschöne Schwarzmeer-Halbinsel, auf der früher ukrainischer Wein, Obst und Urlaubsträume gediehen. Die russische Okkupation war der perfekte Nährboden für Wut, Hass und Gewaltbereitschaft.
  11. Während mitteleuropäische Ultras sich unter der Woche vielleicht beim Box- oder Kickboxtraining trafen, übten Ultras in Kiew, Charkiw oder Lwiw auch mit dem Kampfmesser oder an der Kalaschnikow. Paradoxerweise avancierten die Ultras – von der Normalbevölkerung aufgrund ihres martialischen Auftretens lange Zeit geächtet – ab 2014 zu einer Art gesellschaftlichem Vorbild. Wohl jeder im Land ahnte: Früher oder später könnte es Krieg geben – richtigen Krieg. Da brauchen wir richtige Kämpfer.
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  13. Schon im Frühjahr 2014 zogen die überwiegend rechten Ultras von Dynamo Kiew gemeinsam mit den vorwiegend linken Ultras des Lokalrivalen Arsenal Kiew in den Donbass. Ihre Gegner: die von Putin eingeschleusten „grünen Männchen“, russische Soldaten, die keine offiziellen Uniformen trugen. Andere Fanszenen, etwa aus Mariupol, aus Poltawa und anderen Städten der Ukraine zogen rasch nach. Rechte, linke, politisch gemäßigte, aber auch gänzlich unpolitische Gruppen kehrten ihre fußballerischen und ideologischen Gegensätze unter den Teppich, um sich gemeinsam gegen einen übermächtigen Feind zu stemmen.
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  15. „Wir töten alle Besatzer, die in unser Land kommen“
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  17. Viele schlossen sich sogenannten Freiwilligenverbänden wie dem (ultrarechten) Asow- oder dem (ebenfalls rechten) Ajdar-Bataillon an. Das sind zusammengewürfelte Haufen, in denen Ukrainer aus allen Ecken des Landes kämpfen. Darunter befinden sich auch viele Ultras von Schachtar Donezk und Sorja Luhansk. Diese hatten Anfang 2014 noch die pro-ukrainischen Demonstrationen in ihrer Heimat Donbass gesichert, nur mit ihren kampfsporterprobten Körpern. Dann überfielen die pro-russischen Separatisten – unterstützt von russischen Spezialeinheiten – ukrainische Polizei- und Militärmagazine und bewaffneten sich bis an die Zähne.
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  19. Kurz darauf flohen die meisten Ultras aus dem Donbass – ebenso wie ihre Vereine Schachtar und Sorja sowie der Großteil der ukrainisch-stämmigen Bevölkerung. Jene Ultras, die blieben, landeten großteils im Gefängnis. Ohne Anklage. In den russisch beherrschten Regionen der Ost-Ukraine zählte nur noch Recht des Stärkeren. Schachtars Donbass Arena im Südwesten von Donezk wurde im August 2014 bei Kämpfen zwischen Separatisten und dem ukrainischen Militär durch mehrere Granatgeschosse beschädigt – ein bitterer Vorgeschmack auf das, was dem Rest der Ukraine noch bevorstehen würde.
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  21. Schon seit Jahren haben sich die Ultraszenen des Landes auf diesen Krieg vorbereitet. Haben trainiert, auf Schießsportanlagen und in Wäldern. Haben rund um die Stadien Geld gesammelt: für schusssichere Westen, Helme, Nachtsichtgeräte und Ferngläser, wie es hieß. Natürlich wurden auch Waffen gekauft, meist im benachbarten Polen. Von dort aus schmuggelte man das Zeug über die grüne Grenze. Es war ein offenes Geheimnis. Auch die Hooligan-Firmen halfen mit, vor allem die „Trudowi Rezerwy“ (deutsch: Reservekräfte) aus dem Umfeld von Dynamo Kiew. Viele von ihnen sammeln schon seit 2014 Kampferfahrung im Donbass. Nicht wenige von ihnen sind gefallen.
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  23. „Stoppt den Krieg unter Brüdern“
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  25. Längst herrscht landesweit Krieg, selbst in Lwiw, im äußersten Westen der Ukraine. Die Ultras führen nicht nur ihre Kampferfahrung aus dem Donbass ins Feld, sondern auch ihre Social-Media-Power: „Wir sind bereit zu kämpfen“, postulierte der Kiewer „White Boys Club“ am 24. Februar dieses Jahres, dem Tag des großen russischen Überfalls: „Wir töten alle Besatzer, die in unser Land kommen. Es ist ein Aufruf an alle Menschen mit Ehre: Gehen Sie zur russischen Botschaft und protestieren Sie. Gehen Sie zu Ihrer Regierung und tragen Sie ihr auf, gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen. Die Ukraine ist ein Schutzschild für Europa. Gemeinsam sind wir eine Macht.“
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  27. Auch aufseiten der pro-russischen Separatisten im Donbass kämpften und kämpfen zahlreiche Protagonisten aus der Ultra- und Hooliganszene. Sie stammen großteils aus Russland, aber auch aus Serbien, wo die Fanszenen von Roter Stern und Partizan Belgrad schon während des Jugoslawien-Krieges als Nachwuchspool für Milizen galten. Berühmt-berüchtigt war „Arkan der Tiger“, ein Berufsverbrecher, Roter-Stern-Hooligan und serbischer Nationalist, der in Kroatien und Bosnien etliche Massaker zu verantworten hatte. Roter Stern unterhält seit langem eine Fanfreundschaft mit Spartak Moskau, Partizan paktiert mit ZSKA.
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  29. Doch längst nicht alle russischen Ultras sind Kriegsunterstützer. Die Kurve von Dynamo Moskau feierte ihren ehemaligen Co-Trainer, den Ukrainer Andrej Voronin, mit Sprechchören, nachdem dieser bei Kriegsausbruch abgereist war. Der deutsche Politologe und Fußballforscher Alexander Mennicke berichtete gegenüber dem Deutschlandfunk von einem Graffiti in St. Petersburg, das aus den Spraydosen von Zenit-Fans stammte: „Stoppt den Krieg unter Brüdern“, stand dort zu lesen. Es wäre an der Zeit.
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