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Islam heisst nicht Salam: Streifzüge Manfred Schlapp 1/2

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Jul 22nd, 2018
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  1. Islam ist nicht Salam Streifzüge durch die muslimische Welt
  2. part 1/2
  3. Inhalt
  4.  
  5. VORWORT VON BAZON BROCK 9
  6.  
  7.  
  8. WANDERUNGEN DURCH DIE MUSLIMISCHE WELT 15
  9.  
  10.  
  11. ERSTES KAPITEL
  12. Den Arabern sei Dank!
  13. Wissenstransfer zu Wasser und zu Lande 19
  14.  
  15. ZWEITES KAPITEL
  16. In Mekka fing es an
  17. Historische Rückblicke 51
  18.  
  19. DRITTES KAPITEL
  20. Heilige Bücher
  21. Auch der Koran ist Menschenwerk 97
  22.  
  23. VIERTES KAPITEL
  24. Monos Theos
  25. Wider die Götzendiener 143
  26.  
  27. FÜNFTES KAPITEL
  28. Islam und Salam
  29. Ein Blick in die islamische BegrifFswelt 179
  30.  
  31. SECHSTES KAPITEL
  32.  
  33. io
  34.  
  35. Dogmatische Altlasten
  36. Begriffs- und Buchstabengläubigkeit 209
  37. SIEBTES KAPITEL
  38. Antiquierte Vorstellungen Islamische Welt- und Menschenbilder
  39.  
  40.  
  41. ACHTES KAPITEL
  42. Krieg den Ungläubigen! Die islamistische Renaissance
  43.  
  44.  
  45. NEUNTES KAPITEL
  46. Der politische Islam Wird Europa islamisiert?
  47.  
  48.  
  49. CETERUM CENSEO
  50.  
  51.  
  52. Für
  53.  
  54. meine kritische Muse Andrea
  55. SIR WINSTON CHURCHILL'S PROPHECY IN THE YEAR
  56. 1899:
  57.  
  58.  
  59.  
  60.  
  61. «Individual Muslims may show splendid qualities, but the influence
  62. of the religion paralyses the social development of those who follow
  63. it. No stronger retrograde force exists in the world. Far from being
  64. moribund, Mohammedanism is a militant and proselytizing faith. It
  65. has already spread throughout Central Africa, raising fearless
  66. warriors at every step And the civilization of modern Europe might
  67.  
  68. io
  69.  
  70. fall, as fell the civilization of ancient Rome,»
  71.  
  72.  
  73.  
  74.  
  75. io
  76.  
  77. VORWORT VON BAZON BROCK
  78. Nur wer die Kraft seiner Gegner anerkennt, wird ihnen größten Respekt sollen!
  79. Angela Merkel hat ihre durch Kenntnislosigkeit gestützten Macht- phantasien in ein politisches Konzept gefügt und verkündet, dass Deutschland das Potential habe und nutze, die verschiedenartigsten Erfahrungen und kulturellen, sprachlichen, religiösen Prägungen von Menschen aller Weltregionen im «tollen Integrationsland» zu befrieden* Beweis: Die Wiedervereinigung der Deutschen seit 1989 -- eine erhellende Parallele, die die Kanzlerin da zieht* Die DDRler waren also in Merkels Augen den BRDlern so fremd wie Ghanesen, Syrer oder Afghanen* Dieses Bekenntnis erklärt viele Irrsinnigkeiten in den Machen- schaften der Kanzlerin, weil sie eben aus der ganz anderen Welt kam und nun über die angeblich so überlegene Bundesrepublik triumphiert, die in den Augen der Fremden - also den Merkelaugen - ein paradiesischer Selbstbefriedigungsladen ist, in den man sich nur hineintrauen müsse« Denn den Fremden gehe es ja um nichts anderes als um den Zugang zum befriedeten Dasein« Die Religion, welch ein Schmarrn, wie die Kommunisten in der DDR wussten! Und die Montagsgebete? Ein Hit westlicher Agenten! Und selbst denen, die noch naiv an Gott glauben und striktem Ethos folgen, werde bald das weltanschaulich genährte Feuer des Eigenwillens ausgeblasen« Nun gilt als Maxime Merkelscher Politik: Lasst sie nur kommen, wir werden schon mit ihnen fertig, indem wir sie integrieren.
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  81. Merkel kennt sich aus in den entsprechenden Vorgehensweisen: Die Macht der Willkür siegt immer, wenn auch auf verschlungenen Wegen, über die Gesetzestreue. So-etwas kann man nur akzeptieren, wenn man etwa vom Koran und seiner Weltherrschaftsperspektive keine Ahnung hat. Man liest in jenen Kreisen nicht den Koran, man würdigt ihn keines Blickes oder gar der Nachdenklichkeit; man schwadroniert über die Offenbarung des Wortes Allahs wie über Maastricht-Verträge oder EZB-Beschlüsse. Aber die selbstzufriedene Behauptung, Kapitalismus und Por- nografie würden auch die rigidesten Fundamentalisten in die Knie zwingen, basiert auf Wunschblasenbildung bei Leuten, die alle anderen für so korrupt, so opportunistisch und so ignorant halten wie sie es selber sind. Mutti liebt alle! Und deswegen opfert sie dem Geist des Kapitalismus ihre Kinder - wie einst die Mütter ihre Liebsten dem Führer oder Vaterland darbrachten. Woher solcher Aberwitz? Es war stets Ausweis der strategischen Intelligenz von Macht- politikern oder religiös-kulturalistischen Fundamentalisten, gut- brüderlich zu meinen, jedermann werde doch lieber zu ihrem Bekenntnis konvertieren als wegen einer Frage der kulturell-reli- giösen Identität Lebensgefahr oder Luxusverzicht oder partielle Berufsverbote zu riskieren. Jetzt bestätigen Amerika und Europa die Überlegenheit solcher Strategien. Sie gewähren selbst Fundi- machos oder Kulturmafioten im Pathos ökonomischer Sachzwang- logik (genannt Globalisierung) den Genuss, über die selbstbe- schränkten Demokratien mit deren eigenen Mitteln zu siegen - endlich, nach Jahrhunderte dauernden Versuchen, die so überlegene Welt des Westens für den Islam zu gewinnen. Wir sollten den Triumph nachempfinden, der jeden Moslem
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  83. heute zu Erhabenheitsgefühlen stimuliert: Nicht Sozialismus/
  84.  
  85. 6
  86. Kommunismus, nicht Faschismus und Nazi-Doktrin haben die historische Leistung vollbracht, die jetzt dem Islam gelingt, nämlich die Welt einem einzigen Gebot, nunmehr dem Gebot des Koran zu unterwerfen. Was für ein Gefühl der Überlegenheit muss etwa IS- Kämpfer erfüllen, welcher Siegeswille entsteht durch das Gebot, die Feinde Gottes zu bekehren oder zu töten? Dagegen sind die Hollywoodversuche, mit 007 die Lizenz zum Töten als legale Kriminalität zu ermöglichen, ein Kinoschmarrn, Aber ist das noch eine große Leistung, verehrte Moslems, eine selbstvergessene Horde von Pommesfressern ohne jede historische Kenntnis, ohne religiöse Bindung, ohne Dankbarkeit für das konsumcristische Glück, das ihnen der Schutzschirm des Ost- West- Konflikts bescherte, so gut wie besiegt zu haben? Eure Verachtung für die moralisch Verkommenen, Demokratie heuchelnden Doppelzüngler, die ihr eigenes Treiben als bloßes «Westspiel» kennzeichnen, sollte doch den Triumph des endlichen Sieges mil- dern oder gar schal werden lassen, gerade wenn solche, eigentlich todeswürdigen Affen- und Schweineabkömmlinge konvertieren. Beschmutzen sie nicht mit einer opportunistischen Bekehrung den Islam oder beweisen sie die Allgüte Allahs? Und, so geben wir zu bedenken, was kommt nach dem totalen Sieg? Der Kampf der Schiiten gegen Sunniten, Alawiten, Sufi ,..? Geht dann alles für euch von vorne los? Der Koran hat es verkündet, Man muss ihn nur endlich ernst nehmen, wie es die gottes- fürchtigen Islamisten im Bewusstsein der Wahrheit des Korans so folgenreich tun. Jeder kann im Koran mit größtmöglicher Verbindlichkeit erfahren, was uns blüht, den Gläubigen wie den Ungläubigen. Die Koranspenden in den deutschen Innenstädten sollte jedermann endlich nutzen, Papier ist, gegen den Glauben der Westspieler, ganz und gar nicht geduldig - es kommt darauf an, was
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  88. auf dem Papier zur Erscheinung kommt, Die Westspieler glauben, dass man den Koran ebenso wenig zu würdigen habe wie das Grundgesetz, die Parteiprogramme, die Bekenntnisse zum christlichen Glauben oder zur reinen Wis- senschaft. Wie man dergleichen erledigt, haben sie glänzend be- wiesen! «Politisch Verfolgte genießen Asyl»? Alles im Leben ist schließlich politisch bestimmt, die Kriminalität, die Asozialität, der Sexismus, der Rassismus etc. Also kann jeder sich politisch verfolgt fühlen und in der BRD Aufnahme verlangen, um gerade damit die grundgesetzliche Bestimmung außer Kraft zu setzen. Solche Zerstörungen hat bisher keine islamische Invasion erzwungen, sondern die lustvoll zerstörerischen Westspieler, die vorsorglich sich auf die Seite der wahrscheinlichen Sieger schlagen wollen! Was riskieren die schon mit ihrer Sabotage des Grundgesetzes und der Verfassungstreue? Jedenfalls nichts im Vergleich zu jenen Strafen, denen sie im Falle des Sieges des Islam als Feinde Allahs ausgesetzt wären! Albert Camus hat solches Kalkül schon im Algerienkrieg als entscheidend für das Verhalten von opportunistisch vorauseilender Unterwerfung erkannt. Frau Merkel erhebt das jetzt zu ihrer Politik- Doktrin in unüberbietbarer Logik: In Deutschland herrscht der Islam, weil es schon lange nicht mehr christlich ist - weder rechtstaatlich verpflichtet noch demokratisch legitimiert. Also bleibt nichts anderes übrig als die Schlussfolgerung: Der Islam prägt Deutschland. Endlich hat die Politik wieder eine Form der Bestimmtheit, nämlich in Ubereinstimmung mit dem absehbaren Weltlauf zu sein - einem Weltlauf) den weder Ochs noch Esel aufhalten kann, was Frau Merkel in Jugendzeiten lernte. Welch' aktueller Treppenwitz der Weltgeschichte: Der Islam siegt nach 1300-jährigem Kampf über die Westspieler (früher Kreuzzügler genannt); er siegt, weil im Westen kaum jemand sich verpflichtet
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  90. fühlte, den Koran in seinen unmissverständlichen Aussagen ganz und gar ernst zu nehmen. Aber Hochmut kommt vor dem Fall. Doch bekanntlich nützen selbst die bewährtesten Weisheiten den Dummköpfen nichts. Tolle lege - nimm und lies! Mit dieser ältesten westlichen Maxime bietet uns Manfred Schlapp mit seinem Lesebuch zum Koran die Gelegenheit, diese Weltmission entsprechend ihrer Selbsteinschätzung aufs Ausserste zu würdigen.
  91. Berlin, 23. Oktober 2014
  92.  
  93. 9
  94. WANDERUNGEN DURCH DIE MUSLIMISCHE WELT
  95. Der dies schreibt, ist seit seiner Jugendzeit literarisch und publi- zistisch tätig. Wann immer er in seinen Texten auf sich zu sprechen kam, mied er die erste Person oder gar den Pluralis Majesta- tis, der sich scheinheilig als Pluralis Modestiae tarnt. Stets sprach er in der dritten Person zum Leser. Dieser Tradition bleibt er auch in diesem Buche treu. Aufgewachsen in der bleiernen Nachkriegszeit im an und für sich schönen Tirol, träumte er schon als Kind von der grossen weiten Welt. Mit sechzehn Jahren schwang er sich mit einem Schulfreund zu Beginn der Sommerferien auf ein zweisitziges Puch-Moped. Zu zweit kurvten sie quer durch Jugoslawien und Bulgarien nach Istanbul. In Istanbul hatte er ein erstes Schlüsselerlebnis. Staunend stand er unter der gewaltigen Kuppel der Ha- gia Sophia, wo die griechisch-orthodoxe Welt bis 1453 ihr geistiges und geistliches Zentrum hatte. Und er staunte nicht schlecht, als ihm bewusst wurde, dass die Hagia Sophia keine Moschee, sondern ein Museum ist. Vor allem aber faszinierten ihn die Kalligraphien klassischer Koran-Verse, die er damals nicht zu lesen vermochte. Das beschämte ihn und weckte in ihm den Wunsch, diese scheinbar fremde Schrift eines Tages lesen zu können. Diesen Wunsch hat er sich erfüllt. Zwei Jahre nach der erlebnisreichen Mopedfahrt trampte er durch die Türkei. Bei dieser Trampfahrt hatte er ein zweites Schlüsselerlebnis: Selbst in entlegenen Regionen traf er auf ehe- malige Gastarbeiter, die bereits Ende der 50er respektive am Beginn der 60er Jahre heimgekehrt waren. Ausnahmslos handelte es
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  98. sich um brave, fleissige Menschen, die unter grössten Entbehrungen und harten Arbeitsbedingungen ein paar Kreuzer gespart hatten, um damit eine Existenz aufzubauen: eine Teestube, eine Werkstatt, einen Laden oder sonst einen Kleinbetrieb, Seit Jahrzehnten führen heimkehrende Gastarbeiter fort, was Mustafa Kemal Pascha, der «Vater der Türken», eingeleitet hat: die schrittweise Heimkehr der antiken Asia minor, der späteren Türkei, nach Europa! Ab seinem 19, Lebensjahr reiste er durch die arabischen Länder, als Student mit hochgerecktem Daumen und später auf bequemere Weise* Seit frühester Jugend haben ihn Sprache und Kultur der arabischen Welt fasziniert, und in besonderem Masse hat ihn schon als Kind ein Buch begeistert, in dem nachzulesen war, welch bedeutende Errungenschaften auf dem Gebiet der Technik und der Wissenschaft die Europäer den Arabern verdanken. Bei seinen Reisen durch die arabischen Länder wurde ihm ein drittes Schlüsselerlebnis zuteil. Fast überall hat man ihn wie einen bedeutenden Gast umsorgt und gelabt mit dem Besten, was das Haus zu bieten hatte, und davon reichlich. In all den Jahrzehnten, die er in seiner Liechtensteiner Wahlheimat verbracht hat, erlebte er nicht annähernd so viel Gastfreundschaft und Herzlichkeit wie in arabischen Zelten und Hütten, Mit der Zeit hat er die gesamte muslimische Welt bereist, mit einer Ausnahme: Nie setzte er seinen Fuss in das Sultanat Brunei, Wozu auchr Er lebt ja selbst in einem Sultanat, allerdings in einem, in dem sich nicht der Fürst wie ein Sultan benimmt, sondern so mancher Eingeborene, Als es ihm die beruflichen Umstände erlaubten, perfektionierte er in den Jahren 2006 und 2007 in Paris sein Koran-Arabisch, Ihm zur Seite stand ein aus Beirut emigrierter Professor für Altarabisch, den ihm das Institut du Monde Arabe vermittelt hatte. Auch in der Grande Mosquee de Paris fand er freundliche
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  100. Aufnahme, ja, er durfte sogar in der Moschee Koran-Lesungen halten. Diese Koran-Studien vertiefte er im Jahr 2008 in Berlin. In Potsdam, dem Sitz des Corpus Coranicum, erfuhr er, dass mitten in Liechtenstein eine Foundation saudi-arabischer Wahhabi- ten angesiedelt ist, die quer durch Europa Korane und Hadithen vertreibt. Vielfach hat er in Vorträgen und Publikationen von den hellen und dunklen Seiten des Islam berichtet. Solche Berichte sind Ba- zon Brock, dem genialen Querdenker, zu Ohren gekommen. Ba- zon Brock lud ihn ein, an der Karlsruher Hochschule am Projekt «Profi- Bürger» in der Sektion «Diplom-Gläubige» als Dozent teilzunehmen, an einem subtilen Projekt, das Brock gemeinsam mit seinem kongenialen Freund Peter Sloterdijk realisiert hat. Ba- zon Brock sei Dank! Es war eine wunderbare Erfahrung! Uber fünf Semester hinweg hielt er vor gut 200 «Diplom-Gläu- bigen» die Vorlesungsreihe «Eine pcripatetische Ästhetik der muslimischen Welt». Dieser Titel klingt kompliziert, er lässt sich aber unschwer erklären. «Ästhetik» leitet sich vom Verbum «ais- thanesthai» (= wahrnehmen) ab. Im Klartext: Wie nehmen wir die muslimische Welt wahr, und wie werden wir von Muslimen wahrgenommen? Und «peripatetisch» ist vom Verbum «peripatein» (= herum- gehen) abgeleitet und weist in Richtung einer klassischen Philoso- phenschule. Mit Blick auf den Titel der Vorlesungsreihe besagt «peripatetisch», dass der Dozent mit seinen Hörern und Hörerinnen durch viele Wissensgebiete und über Berge von Literatur wanderte, im Bestreben, die muslimische Welt unter möglichst vielen Perspektiven zu betrachten. Bei dieser Wanderung begleitete ihn der Koran, aus dem er in jeder Vorlesung rezitierte. Der Koran begleitet auch dieses Buch. Wer sich mit dem Koran beschäftigt, der weiss, dass ein Ubersetzer manch harte Nuss zu
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  102. knacken hat. Umso grösser ist die Freude, wenn der Inhalt der Nuss offen zutage liegt. Dem Autor dieses Buches war es eine Freude und ein Anliegen, alle zitierten Koran-Verse selbst zu übersetzen. Als Original-Vorlage diente ihm ein Koran, den er vor Jahren aus Saudi- Arabien mitgebracht hat, eine Koranausgabe, die als die heiligste und einzig wahre gerühmt wird. Immerhin hat sie den Segen der höchsten Autoritäten der heiligen Stätten von Mekka und Medina. Das vorliegende Buch, das sich als ein Lesebuch versteht, füllen 170 gleich lange Essays, die jeweils mit einem Literaturhinweis versehen sind. Diese Essays fungieren als «farbige Steine», die in ihrer Gesamtheit ein buntes Mosaik ergeben, das die muslimische Welt auf vielfältige Weise abbildet. Jedes «Mosaiksteinehen» kann aber auch für sich allein als essayistische Miniatur genossen werden. Getreu dem Motto «Repetitio est mater studiorum» werden zentrale Motive mehrfach angesprochen und thematisiert, aber jeweils unter einer anderen Perspektive, Den thematischen Faden, auf dem die Steinchen aufgereiht sind, werden Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, im Laufe der Lektüre immer deutlicher wahrnehmen. Dieser rote Faden beginnt mit einem Dankeschön an die Araber und endet mit einer Verneigung vor «unserem» Alphabet, jenem phönizisch-grie- chisch-römischen Erbe, das von allen europäischen Kulturgütern das wohl schönste und wichtigste ist*
  103. Manfred Schlapp: Eine peripherische Ästhetik der muslimischen Welt. In: Der Profi-Bürger, herausgegeben von Bazon Brock und Peter Sloterdijk, Schriftenreihe der HFG Karlsruhe. Wilhelm Fink Verlag. München 2011
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  106. E RSTES K APITEL
  107.  
  108. Den Arabern sei Dank! Wissenstransfer zu Wasser und zu Lande Windrose
  109. Hart, gefährlich und entbehrungsreich ist das Leben in der Wüste. Gnadenlos brennt die Sonne, doch eiskalt sind die Nächte. Dürr ist die Vegetation und weit der Weg zum nächsten Wasserloch. Wer in einer solchen Umwelt überleben wollte, musste zäh wie Leder sein. Für den Broterwerb standen de facto nur zwei Geschäftsmodelle zur Auswahl: Raubzüge oder der Transport von Waren. Wem das Leben als Karawanenführer zu beschwerlich und langwierig war, hat sich auf Uberfälle und Raubzüge spezialisiert. Dieses Geschäftsmodell hat in unserer Zeit eine lukrative Variante gefunden: die Entführung von Fremdlingen, um Lösegeld zu erpressen. Noch viel lukrativer ist die Piraterie, wie sie an somalischen Küsten betrieben wird. Auch die Piraterie hat eine lange Tradition. Arabische Piraten trieben nicht nur im Mittclmeer, sondern auch in den Weiten des Indischen Ozeans ihr Wesen. Sogar die Küsten Chinas suchten sie heim. Bei solch ausgedehnten Seefahrten leitete sie die Windrose von Kompassen, die man chinesischen Kapitänen abgenommen hatte. Sowohl zu Wasser wie zu Lande erwiesen sich die Wüstenkrieger als furchtlose Kämpfer, deren Todesmut legendär war. Mit hart gesottenen Wüstenkriegern beginnt auch die Geschichte des
  110. Arabischen Weltreichs. Nach seiner triumphalen Rückkehr nach Mekka im Jahre 630 Hess Muhammad seine Krieger in alle Him- melsrichtungen ausschwärmen, um die Stämme der Arabischen Halbinsel zu einen. Doch dabei sollte es nicht bleiben. In nur einem Jahrhundert hat Allahs Schwert ein Reich erobert, das von der ibe- rischen und marokkanischen Atlantikküste bis zum Indus reichte.
  111.  
  112. 15
  113. In diesem Reich spielte sich der seinerzeitige Welthandel ab. Denn innerhalb der Grenzen der arabisch-islamischen Welt lagen die Kreuzungspunkte der grossen Handelswege, die das Mittelmeer mit dem Fernen Osten verbanden und den Süden von Ära- bia Felix mit den syrischen Karawansereien, Kamele und Maultiere trugen Seide, Heilkräuter und Gewürze aus China und Indien bis an das östliche Mittelmeer. Auch auf ihren Schiffen transportieren arabische Seefahrer Spezereien aus Ceylon, Malakka oder Sumatra westwärts* Bis zum heutigen Tag erinnern die Namen von Gewürzen oder Heilpflanzen, die über weite Strecken gehandelt wurden, an ihren arabischen Ursprung* Dazu eine kleine Auswahl: Aloe, Anilin, Berberitze, Estragon, Haschisch, Galgant, Kamala, Kampfer, Muskat, Safran, Sandelholz, Senna oder Tamarinde. Aus dem 9. Jahrhundert stammt ein medizinisches Werk, das die segensreiche Wirkung solcher Heilpflanzen beschreibt. Autor dieses Werkes ist der Arzt Ali ibn Sahl Rabban at-Tabari, ein persischer Christ, der zum Islam konvertierte. Er hinterliess zudem eine Schrift, in der er den Islam pries und das Christentum als Irrlehre geisselte. Als wirkmächtig sollte sich diese Schrift erweisen.
  114. Tom Holland: Im Schatten des Schwertes - Mohammed und die Entstehung des Arabischen Weltreichs, Klett-Cotta. Stuttgart 2012 Prinzip Hoffnung
  115. Wenn von Arabern die Rede oder Schreibe ist, denken viele reflexartig an die Untaten, die von islamistischen Terroristen verübt werden, ohne Zweifel ein trauriges Thema, über das noch ausführlich zu reden sein wird. Solche Reflexe blenden den Verstand und vernebeln den Blick sowohl auf historische Sachverhalte als auch auf aktuelle Entwicklungen, die zu Hoffnungen Anlass geben. Und ausgeblendet bleibt die Fülle der arabischen Kultur, von deren Segnungen Europa in 16
  116. nicht geringem Masse profitiert hat. Im Besonderen erinnert sei an ein Geschenk, das von unschätz- barem Wert ist. Die Araber beschenkten uns mit wesentlichen Teilen der antiken Literatur, auf der letztlich die abendländische Kultur gründet. Die Völkerwanderung hatte dem Römischen Reich den Garaus gemacht und einen kulturellen Super-Gau verursacht. Blickt man auf das Europa des beginnenden Frühmittelalters zurück, könnte einem angst und bange werden. Doch dann kamen die Araber! Geleitet von der grünen Fahne des Propheten hatten sie Nordafrika durchquert und besetzten von Gibraltar aus die Iberische Halbinsel. Den Eroberern folgten Literaten und Wissenschafter. Und diese brachten uns mit, was den arabischen Gelehrten lieb und teuer war. Besonders lieb war ihnen Aristoteles, der Vater der klassischen Wissenschaft. Bei der Aristoteles-Renaissance sollte Ibn Rushd, der in Cordoba lehrte und unter dem latinisierten Namen Averroes Berühmtheit erlangte, eine wichtige Rolle spielen. In Paris wurde noch im 14. Jahrhundert die Lehre des Aristoteles anhand der Averroes- Kommentare interpretiert. U^nd nicht zu unterschätzen ist der Einfluss, den Averroes auf die Philosophie von Meister Eckhart ausgeübt hat, auf jenen luziden Denker, den Germanisten des 19, Jahrhunderts zum «Mystiker» erklärten. Aber nicht nur philosophische Texte kehrten zurück, sondern zudem die antike Liebespoesie. Warum wohl ist die Provence die Wiege des Minnesangs? In Andalusien, im Süden Spaniens, errichteten die Araber ein geradezu märchenhaftes Reich, bestehend aus den drei Fürstentümern Cordoba, Sevilla und Granada. Arabische Agraringenieure verwandelten Al Andaluz mit Hilfe raffinierter Bewässerungstechniken in ein blühendes Land. Damaskus schickte Künstler und Baumeister. Sie schufen einzigartige Anlagen, wie zum Beispiel die Moschee von Cordoba oder Al Hamra, die heutige Al- hambra, ob Granada. Handel und Wirtschaft prosperierten. Und es herrschte Convivenzia: Muslime, Christen und Juden lebten relativ friedlich zusammen.
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  118. 1492 erreichte die Reconquista Granada, das letzte Kalifat in Spanien. Schlagartig fand die Convivenzia ihr blutiges Ende. Doch es darf geträumt werden! Vielleicht feiert die Convivenzia eines Tages Auferstehung. Nahrung gab solchen Träumen Papst Franciscus anlässlich seiner Reise ins Heilige Land im Mai 2014. EinTropfen auf den heissen Stein? Aber immerhin ein Tropfen!
  119. Kurt Flasch: Meister Eckhart - Die Geburt der «Deutschen Mystik» aus dem Geist der arabischen Philosophie. C.H. Beck Verlag. München 2006 Al-kuhl
  120. Zur Zeit der mittelalterlichen Scholastik war das Denken der Europäer - um mit Goethe zu sprechen - «in spanische Stiefel eingeschnürt». Zur nämlichen Zeit blühte in der arabischen Welt die Wissenschaft, Zentren dieser Blütezeit waren Cordoba im Westen und Damaskus und Bagdad im Osten, Im 12. und 13, Jahrhundert war Bagdad eine Weltstadt, die alle anderen Metropolen an Kultur und Zivilisation übertraf. Dieser Weltstadt bereitete Hülägti Khan, der Enkel von Dschingis Khan, im Jahre 1258 ein schlimmes Schicksal; Bagdad wurde bis auf die Grundmauern zerstört. Von dieser Katastrophe hat sich die arabisch-muslimische Welt nie wirklich erholt. Grossartiges leisteten arabische Wissenschafter in der Heilkunst, speziell im Bereich der Chirurgie und der Anästhesie, ferner auf dem Gebiet der Chemie, der Mathematik, der Nautik und der Astronomie. Sie konstruierten raffinierte Astrolabien und entwickelten neue Navigationstechniken, und zwar auf der Grundlage der Trigonometrie und mit Hilfe des Kompasses, den sie von den Chinesen übernommen hatten. Kolumbus soll einen solchen Kompass besessen haben. Anhand der Seekarten, die uns die Araber hinterliessen, kann man noch heute die Meere des Ostens durchkreuzen. Sindbad der Seefahrer lässt grüssen und mit ihm die arabischen Geometer, die lange vor Marco Polo
  121. 18
  122. den Globus bis China durchmessen und erstaunlich genaue Karten einer weitgehend unbekannten Welt angefertigt haben! Von der Kunst der Welt-Erfahrung und Welt-Vermessung sei ein kühner Sprung hin zu einem Spezialgebiet der Chemie erlaubt! Kühn ist der Sprung schon deshalb, weil es sich um den Alkohol handelt. Diesem Wort liegt der altarabische Begriff «al- kuhl» zugrunde, ein schwarzes Antimonpulver, das in der gesamten antiken Welt bei Frauen als Kosmetikum Verwendung fand, um damit die Augenpartien zu unterstreichen. Im maurischen Spanien wandelte sich «al-kuhl» zu «al-kuhul» und mit der Wortverwandlung verwandelte sich zusehends auch der Sinn. Ein ursprünglich chemischer Begriff fand Eingang in die Pharmazie und in die Medizin. Als Kronzeuge diene Theophrastus Paracelsus, in dessen Schriften sich der Ausdruck «alcohol vini» findet, der bereits an den «Weingeist» denken lässt. Aus mehrfachen Gründen verdienen arabische Chemiker ein ehrendes Gedenken. Unter anderem verfeinerten sie die Kunst der Destillation, eine Technik, die in der Antike vor allem bei der Herstellung von Parfümen Anwendung fand! Dschabir ibn Haijan, der in Europa unter dem latinisierten Namen Geber als Vater der Chemie gerühmt wird, darf zudem als Vater und Schutzpatron der Edelbrände verehrt werden. Dschabir alias Geber ersann den Destillierkolben und verwandelte Wein in köstliche Weinbrände: Der Cognac ward geboren! Dank sei Dschabir und al-hamdu li'llah!
  123. Manfred Schlapp: Notabene - Hinfach zum Nachdenken. Dritter Band. Bucher Verlag. Wien- Hohenems-Vaduz 2013 Heilkunst
  124. Der abendländischen Medizin um Jahrhunderte voraus war die arabische Heilkunst, Sowohl in Cordoba, der kulturellen Hochburg Andalusiens, als auch in Bagdad, dem kulturpolitischem Zentrum des 19
  125. Zweistromlandes, stand den Einwohnern eine grosse Zahl an vorbildlich geführten Krankenhäusern und Sanatorien zur Verfügung, Und da wie dort galt das strenge Gebot der Hygiene und der Sauberkeit, Auch bei der Wahl des Standortes liess man grösste Sorgfalt walten, mit dem Ziel, einen Ort ausfindig zu machen, der eine positive Ausstrahlung hatte und der für die Genesung der Patienten optimale Voraussetzungen bot. Ehe man ein Spital errichtet hat, wurden die gesundheitsförderlichen Qualitäten der auszuwählenden Lokalität eingehend geprüft. Arzte hängten an verschiedenen Stellen Fleischstücke von frisch geschlachteten Tieren auf. Wo diese Stücke am längsten frisch blieben und die geringsten Anzeichen des Vergammeins zeigten, setzte man den Spaten an, um die Gruben für die Fundamente eines neuen Krankenhauses auszuheben. In den Spitälern wurden Operationen im nämlichen Stil durchgeführt wie in der heutigen Zeit, Dem Chirurgen standen drei Assistenzärzte und ein Anästhesist zur Seite, Der Anästhesist hielt dem Patienten den Narkoseschwamm unter die Nase, einen Schwamm, der mit Bilsenkraut und Haschisch imprägniert war. Während der Chirurg die Operation durchführte, zog der eine Assistent die Haut zur Seite, der andere tupfte das Blut ab und der dritte prüfte permanent den Puls, Darüber berichtet in allen Einzelheiten Ali ibn al-Abbas al-Madschusi in seinem «kitab al-malikij» (= Königsbuch). Von ihm wissen wir auch, dass bei Krebs nur das Messer zur Heilung verhilft, weil Medikamente nur selten wirksam sind. «Du musst», so lehrte er, «das ganze Gewächs aus dem Organ entfernen, wobei du ein gutes Stück um das Krebsgeschwür herum schneiden musst, sodass keine Reste (des Krebses) zurückbleiben können!» Unter den vielen herausragenden Ärzten, die in die Annalen der arabischen Heilkunst eingegangen sind, sei einer in Erinnerung gerufen, der seine Kollegen an Bedeutung überragt: Der Andalusier Abu 1-Qasim Khalaf ibn al-Abbäs az-Zahräwi, der 936 in Zahra in der Nähe von Cordoba geboren wurde. Die europäische Medizin, die ihn unter dem
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  127. Namen Abulkasis kennt, rühmt ihn seit dem Hochmittelalter als einen Heilkünstler, der selbst sein hellenistisches Vorbild Galenos übertroffen habe. Bis zu Beginn der Neuzeit galt sein «Liber servitoris» als ein Standardwerk, das praktizierenden Ärzten und Chirurgen als Vademecum diente. Das theoretische Know-how dieses medizinischen Fachbuches ergänzten die Operationsbestecke, die Abulkasis entwickelt hatte. Der Vielfalt und Raffinesse dieser Bestecke erweisen selbst heutige Chirurgen grösste Hochachtung.
  128. Sigrid Hunkc: Allahs Sonne über dem Abendland - Unser arabisches Erbe. Deut sche Verlags- Anstalt. Stuttgart i960 Ibn Sina
  129. Die Stadt Buchara im zentralasiatischen Chorasan war im io./ii. Jahrhundert ein Leuchtturm der Wissenschaft. Zum Ruhme der Stadt beigetragen hat Abu Ali al-Husain ibn Abdullah ibn Sina, ein Gelehrter persischer Abstammung, der unter dem latinisierten Namen Avicenna in die abendländischen Lehrbücher eingegangen ist, Ibn Sina, der um 980 unfern von Buchara zur Welt kam, hat die Entwicklung der europäischen Medizin nachhaltig beeinflusst. Dieses Universalgenie leistete zudem Bedeutendes auf dem Gebiet der Physik, der Mathematik, der Astronomie, der Chemie, der Philosophie, der Theologie, der Jurisprudenz und der Literaturwissenschaft. Avicenna hat ein stolzes Werk von 45 Büchern hinterlassen. Andere Quellen sprechen sogar von 99 Büchern, eine Zahl, die an die 99 «asma husna» erinnert, an die 99 «schönen Namen», mit denen fromme Muslime ihren Gott preisen. Welche Zahl auch stimmen mag: Das wohl wichtigste Werk ist der «Qanun at-tibb», der «Kanon der Medizin», der persisches, chinesisches und hellenistisches Know-how vereint. Dieser Kanon wurde im zwölften Jahrhundert ins Lateinische übersetzt. Abschriften dieser Ubersetzung gelangten an Europas führende
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  131. Universitäten, wo der «Kanon» bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts die Rolle eines klassischen Lehrbuchs für Medizinstudenten gespielt hat. Den «Kanon» von Ibn Sina füllen fünf Bücher. Das erste Buch gibt eine Einführung in die Medicina universalis. Im zweiten Buch listet Avicenna über 700 Medikamente und deren Wirkungen auf, mit genauer Angabe der Dosierung. Er scheint einer der ersten gewesen zu sein, der die Forderung erhoben hat, ein neues Medikament einer Prüfung zu unterziehen, ehe es zur Anwendung kommt. Das dritte Buch ist ein Fachbuch für Internisten, in dem erkrankte Organe und deren Therapie beschrieben werden. Vor allem aber geht es um das Herz. Das vierte Buch thematisiert Krankheiten wie Krebs, die sich im ganzen Körper ausbreiten können, und lehrt deren chirurgische und medikamentöse Behandlung. Und das fünfte Buch befasst sich mit der Herstellung von Heilmitteln. Noch heute können sowohl Arzte als auch Laien einiges lernen, wenn sie sich mit dem «Qanun at-tibb» beschäftigen. Von zeitloser Gültigkeit ist, was Ibn Sina über die Einflüsse der Ernährung, der klimatischen Verhältnisse und des öko-sozialen Umfelds auf die Gesundheit gelehrt hat. Ausführlich kommt auch die Psychosomatik zur Sprache. Dass jede Kränkung krank macht, w7usste bereits Ibn Sina, und ebenso war ihm bewusst, wie leibliches und seelisches Wohlergehen und Unwohlergehen zusammenspielen. Auf wunderbare Weise soll er den Prinzen von Gorgan geheilt haben. Als Ursache für dessen Leiden diagnostizierte er eine psychische Krankheit namens Liebeskummer. Ibn Sina machte die Geliebte ausfindig und legte sie in das Bett des liebeskranken Prinzen. Die beiden vereinten ihre Glieder in Liebe, und der Prinz genas.
  132. Gotthard Strohmaier: Avicenna. C.H. Beck Verlag. München 2006
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  135. Die Lehre der Leere
  136. Arm wäre das Abendland, hätte man unseren Vorfahren die Schätze vorenthalten, die sie dem arabischen Kulturkreis verdankten. Zum einen retteten uns arabische Gelehrte erlesene Texte der antiken Literatur, eine Erbschaft, die Europas Geisteslandschaft bis zum heutigen Tag prägt. Von unermesslichem Wert sind zudem grundlegende Erkenntnisse im naturwissenschaftlichen Bereich und auf dem Gebiet der Mathematik. Arabische Mathematiker sind die Väter der Algebra, abgeleitet von «al-dschabru» (= das Zurechtrücken von Gliedern). Vor allem aber: Sie schenkten den Europäern ein fundamentales Recheninstrument, nämlich: die Null, jene magische Zahl, die selbst genialen griechischen Mathematiken! verborgen geblieben ist! Was wir unter einer Null verstehen, heisst im Arabischen «sifr», ein Nomen, das sich vom Verbum «safira» (= leer sein) herleitet und in dem unsere «Ziffer» ihren Ursprung hat. Zwar haben nicht arabische, sondern indische Mathematiker das Copyright auf die Null. Aber es waren Araber, die aus Indien die Null importiert und zu guter Letzt nach Europa exportiert haben. Um 820 übernahmen arabische Mathematiker das indische Zahlensystem, das sie an die Stelle des schwerfälligen antiken Buchstabensystems setzten. Mit dem indischen Zahlensystem kam «sunyá», das altindische Wort für «leer», zunächst in die arabische Welt und von dort über das maurische Spanien nach Westeuropa, wo man zu Ende des 10. Jahrhunderts von der Existenz der Null erfahren hat. Der eigentliche Siegeszug der Null setzte jedoch erst im späten 12. Jahrhundert ein, als Auszüge aus den Schriften des Mathematikers al-Chwariz- mi in die europäischen Gelehrtenstuben Einzug hielten. Wurde zum Beispiel die Zahl 408 geschrieben, blieb zwischen der 4 und der 8 eine Leerstelle frei. Diese «nulla figura» (= kein Zeichen) gab 23
  137. unserer «Null» den Namen. Um Missdeutungen zu vermeiden, setzten bereits die Araber ein Zeichen ein, das die Leerstelle signalisierte: einen Punkt oder einen kleinen Kreis. Noch heute schreiben die Araber die Null in Form eines Punktes, während die Europäer den Kreis übernahmen, der schon bei den Indern sowohl die Unendlichkeit als auch die Leere symbolisierte. Dieses Kreislein, unsere Null, benutzen die Araber zur Darstellung der 5. Die Erfindung der Null zählt wohl zu den genialsten Schöpfungen, die der Mensch vollbracht hat. Erst die Null ebnete den Weg zur effizienten Handhabung des Dezimalsystems und schuf zudem die Voraussetzung für das binäre System, für das duale o-i-Modell, dessen Zahlenpaar «Bit» (= binary digit) heisst. Mit Hilfe dieses Systems lassen sich alle Informationsprozesse numerisch darstellen und in die Sprache der elektronischen Rechner übersetzen. Hätte schon Pythagoras die Null gekannt, würde sein berühmter Grund-Satz vermutlich lauten: Im Grunde der Welt waltet das Bit!
  138. Andreas Unger: Von Algebra bis Zucker - Arabische Wörter im Deutschen. Verlag Philipp Reclam. Stuttgart 2007 Im Anfang war
  139. Respektvoll verneige man sich vor der Null und nicht minder respektvoll verbeuge man sich vor Altmeister Goethe. Erinnert sei daran, wie Dr. Faust, sein Alter Ego, in einer desperaten Stimmung im Neuen Testament Trost suchend über das berühmte Johannes-Wort nachsinnt, demzufolge «in principio» der «logos» war. Listig versucht Dr. Faust einen adäquaten Begriff für «logos» zu finden bzw. zu erfinden: «Geschrieben steht: Im Anfang war das Wort! / Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? / Ich kann das WORT so hoch unmöglich schätzen, / ich muss es anders übersetzen. / Wenn ich vom
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  141. Geiste recht erleuchtet bin: / Geschrieben steht: Im Anfang war der SINN! / Bedenke wohl die erste Zeile, / dass deine Feder sich nicht übereile! / Ist es der SINN, der alles wirkt und schafft? / Es sollte stehn: Im Anfang war die KRAFT! / Doch auch indem ich dieses niederschreibe, / schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe. / Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat / und schreibe getrost: Im Anfang war die TAT!» Käme Goethe auf die Erde zurück, würde er seinen berühmten Faust-Monolog vermutlich weiterspinnen. Auf seine Wiederkehr zu warten, macht jedoch wenig Sinn, und so sei der Versuch gewagt, das Johannes- Wort aus einer Perspektive ins Visier zu nehmen, hinter der die Araber stehen! Heraklits berühmtes Bild vom Krieg als dem Vater aller Dinge ist eine Metapher, die leider auch im buchstäblichen Sinn ihre Richtigkeit hat. Um auf den Zweiten Weltkrieg zurückzublicken: Gross war der wissenschaftliche und technologische Innovationsschub, den dieser Mega-Wahnsinn ausgelöst hat. Im Wettlauf um den Endsieg schlug die Geburtsstunde des Informationszeitalters. Das theoretische Know-how lieferten Shannon und Weaver, zwei Mathematiker, die im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg mit ihrer Informationstheorie an die Öffentlichkeit traten. Mit Hilfe ihrer Theorie können Informationsprozesse, wo immer sich diese abspielen, in Zahlenreihen übersetzt werden, die sich mit den zwei Zahlen Null und Eins begnügen. Bekanntlich operiert die elektronische Datenverarbeitung nicht mit Hilfe des Dezimalsystems, sondern mit dem Binärsystem. Dieses System basiert auf dem Bit, auf dem dualen Zahlenpaar Null und Eins. Die Vermählung der Null mit der Eins leitete in der Welt der Datenverarbeitung eine Entwicklung ein, die unsere Gesellschaft radikal verändert hat und noch verändern wird. Nach den Worten von Ludwig Wittgenstein ist die Welt alles, «was der Fall ist». Alle Fälle namens Welt sind Ereignisse, die letztlich als Informationsprozesse erscheinen - egal, ob sie sich im Mikrokosmos, in
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  143. der Lebenswelt oder im Makrokosmos abspielen. Zerbräche sich Goethes Faust aus heutiger Sicht seinen Kopf über Sinn und Bedeutung des Johannes-Wortes, so käme er wohl zum Schluss: «Im Anfang war die Information!»
  144. Johann Wolfgang von Goethe: Faust - Der Tragödie erster Teil. Universal-Biblio- thek Nr. i. Verlag Philipp Reclam. Stuttgart 19S6 Im Zenit
  145. Wer sich mit der mittelalterlichen Astronomie beschäftigt; stösst unweigerlich auf die Begriffe «Azimut», «Zenit» und «Nadir». Alle drei Begriffe sind arabischen Ursprungs, «Azimut» geht auf «as- sumüt» zurück, und «as-sumut» ist der Plural zu «as-samt» (= die Richtung). Sinngemäss könnte man «as-sumüt» als «Rich- tungsweiser» übersetzen, denn dieses Pluralwort bezeichnete in der Astronomie den Horizontalwinkel, der die Himmelsrichtungen anzeigt. Die Bestimmung der Himmelsrichtung war für Muslime auf Reisen auch deshalb wichtig, um für ihre fünf täglichen Pflichtgebete von jedem beliebigen Ort aus «al-qibal», die genaue Gebetsrichtung nach Mekka einhalten zu können. Wer es sich leisten konnte, bediente sich eines Astrolabiums, das er sowohl als Zeitmesser als auch zur Feststellung der Himmelsrichtung benutzen konnte. Als wahre Meister in der Herstellung kunstvoller Astrolabien erwiesen sich arabische Feinmechaniker. Was «Zenit» bedeutet, muss man nicht erklären, wohl aber die Herkunft dieses Wortes. «Zenit» geht auf «samt ar-räs» zurück, und das bedeutet: «Richtung des Kopfes», Dass «samt» zu «Zenit» wurde, könnte auf Abschreibfchlern lateinischer Übersetzungen von Werken arabischer Astronomen beruhen: Immer wieder hat man die zwei ähnlich geschriebenen Buchstaben M und N verwechselt. Dem Zenit zugeordnet ist der «Nadir», der Fusspunkt bzw. der
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  147. Gegenpunkt des Zenits. «Nadir» leitet sich vom arabischen Wort «nathir» ab, das so viel wie «Gegenteil» oder «Spiegelbild» bedeutet. Seit dem neunten Jahrhundert sind die Begriffe «samt ar-ras» und «nathir» vielfach dokumentierte Termini technici der arabischen Astronomie, Aus der Schar namhafter Astronomen und Astrologen der arabischen Welt sei ein Universalgelehrter herausgegriffen, der wie viele seiner gelehrten Kollegen aus Chorasan stammte, aus jener Region, wo sich die Einflüsse des persischen und des indischen Kulturkreises bündelten. Die Rede ist von Abu'r Raihan Muhammad ibn Ahmad al- Biruni, dessen Lebensdaten genau bekannt sind: Geboren wurde er am 4. September 973 und gestorben ist er am 9. Dezember 1048. Uberliefert ist auch der Umfang seines Lebenswerkes, Er soll 146 Bücher verfasst haben, von denen ein Fünftel erhalten geblieben ist. Gut die Hälfte seiner Bücher hat al-Biruni der Mathematik und der Astronomie gewidmet, wie zum Beispiel sein «Kitab at- tafhim li-awa'il sinaât at-tandschim», sein «Buch der Einführung in die Grundlagen der Sterndeutung». In diesem Werk findet sich die Beschreibung einer Mondfinsternis, deren verschiedene Phasen anschaulich illustriert sind. Von grosser Bedeutung ist zudem sein Buch zur Geschichte Indiens, in dem al-Biruni Einblicke in die indische Astronomie gab und seine Theorie der Erdrotation darlegte. Dies und noch vieles mehr verdankt ihm die europäische Naturwissenschaft,
  148. Heather Couper und Nigel Henbest: Die Geschichte der Astronomie, Frederking 6C Thaler. München 2008 Feuer frei!
  149. Stellt sich in einem Gespräch die Frage, wer das Patentrecht auf diese oder jene Erfindung hat, dann liegt man in der Regel nicht falsch, wenn man die Chinesen als die jeweiligen Erfinder rühmt.
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  151. Diese Vermutung stimmt fast immer. Eine erstaunliche, für Chi- nesen schmerzhafte Ausnahme betrifft ausgerechnet ein essentielles Kulturgut- Als die chinesische KP im Jahre 2000 die kulturell tätigen Genossen zum aufwendig inszenierten Millenniums-Kul- tur- Kongress nach Peking geladen hatte, bekam Chinas Chef-Ar- chäologe den offiziellen Auftrag, umgehend nachzuweisen, dass China auch bei der Erfindung der Schrift das Copyright bean- spruchen dürfe. Ein solcher Nachweis könne lange dauern, gab der kundige Chef-Archäologe zu bedenken, wohl wissend, dass in dieser Hinsicht die alten Ägypter die Nase vorne haben. Als alte Schulweisheit gilt, dass die Chinesen das Schiesspulver erfunden haben. Selbst in dieser Hinsicht steht der chinesische Patent-Anspruch auf wackeligen Beinen. Dass arabische Chemiker bereits früh bedeutende Entdeckungen machten, wurde schon erwähnt. Zu ergänzen ist, dass sie bereits im zwölften Jahrhundert über das Know-how verfügten, um Schiesspulver herzustellen, also lange bevor die Chinesen in der Schlacht von Pien-king im Jahr 1232 die Mongolen mit Pfeilen beschossen, die unter Einsatz eines salpeterhaltigen Brandsatzes abgefeuert wurden. 38 Jahre später haben die Mongolen ihrerseits unter Führung von Kublai-Khan mit Hilfe von Feuerwaffen den letzten Widerstand der Chinesen bei der Belagerung von Fan-tsching gebrochen. Damit war der Weg zur Beherrschung Chinas endgültig frei geschossen. Vom arabischen Historiker Raschid ad-Din stammt die Nachricht, dass Kublai-Khan darum gebeten habe, ihm einen berühmten Pyrotechniker aus Damaskus zu Hilfe zu schicken. Dessen Söhne Abu Bakr, Ibrahim und Muhammad seien dem Ruf gefolgt und hätten sieben «Stalin-Orgeln» gebaut, die das Schicksal der belagerten Stadt besiegelten. Auch im Kriegshandbuch von Hassan ar-Rammah ist nachzulesen, dass die Araber spätestens in der Mitte des 13, Jahrhunderts die Fähigkeit besassen, raketenartige Feuerwaffen herzustellen. Hassan ar-
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  153. Rammah beschreibt verschiedene Typen von Feuerwaffen und den Einsatz von Geschossen, die heutigen Raketen gleichen. Solche Kriegsgeräte erschienen den Zeitgenossen wie ohrenbetäubende, feuerspeiende Drachen. Mit derartigen Feuerwaffen haben arabische Raketentruppen im Jahr 1249 den Kreuz- züglern, die unter Führung des Franzosenkönigs Ludwig des Frommen zu einem fatalen Kreuzzug aufgebrochen waren, einen unfreundlichen Empfang bereitet. Ludwigs Kriegsberichterstatter hat der Nachwelt überliefert: «Immer, wenn wieder ein Geschoss einschlug, rief der König von Frankreich aus: <Herr Jesu Christ, beschütze mich und meine Leute!»)
  154. Richard Escales: Schwarzpulver und Sprengsalpeter. Neu aufgelegt von Survival Press. Obermarchtal 2003 Harun der Grosse
  155. Alexander der Grosse, Karl der Grosse, Peter der Grosse Adolf der Grösste alias Gröfa£, Ein solches Surplus an abendländischer Grösse verstellt den Blick auf morgenländische Grösse, Den Beinamen «der Grosse» verdient gewiss der Kalif Harun ar-Raschid, der mit Karl dem Grossen diplomatische Kontakte pflegte, ein Herrscher, der einem breiten Publikum aus den Erzählungen von «Tausend und einer Nacht» bekannt ist. Zunächst ein zeitgeraffter Blick auf die Frühzeit des Islam: 622 flieht Muhammad mit seinen Getreuen von Mekka nach Medina, Mit dieser «Hidschra» beginnt die muslimische Zeitrechnung, 632 stirbt der Prophet. Zum Kalifen, also zum Nachfolger ernannt wurde der Kampfgefährte Abu Bakr, dem allerdings kein langes Leben beschieden war, Omar, der zweite Kalif, setzte die Eroberungen von Abu Bakr fort. Er unterwarf einen Grossteil von Persien und drang bis zum Nil vor. Nun ging es Schlag auf Schlag. Die arabischen Eroberer drangen
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  157. weiter nach Osten vor und in Nordafrika westwärts bis Gibraltar. 711 okkupierten sie «Vandalusia», das spätere «Al-Andaluz», das 756 ein Emirat wurde. Zehn Jahre später kam Harun ar-Raschid zur Welt, der mit 20 Jahren zum fünften abbasidischen Kalifen ausgerufen wurde. Unter seiner Herrschaft hat sich Bagdad zu einer politisch und wirtschaftlich mächtigen Metropole entwickelt, in der die Künste, die Literatur und die Wissenschaften blühten. Die Untertanen von Harun dem Grossen wussten stets, wie viel Uhr es war, denn auf den öffentlichen Plätzen standen Chronometer, Die kulturelle und wirtschaftliche Blüte Bagdads erlaubte dem Kalifen eine Prunkentfaltung, die sprichwörtlich werden sollte. Sie trug auch dazu bei, dass er schon zu Lebzeiten das Idealbild eines Kalifen verkörperte, und dies nicht nur in der arabischen Welt. Sein Ruf erreichte sogar den Frankenkönig Karl. In die ka- rolingischen Annalen Eingang fanden die kostbaren Geschenke, die Harun der Grosse seinem verehrten Kollegen Karl dem Grossen überbringen Hess. Und: Arabische Wissenschaftler reisten nach Magdeburg und Paderborn, um sich vor Ort über «Saqaliba», über das Land der Sachsen und deren Kultur kundig zu machen Mit respektvoller Verneigung sei auch des Kalifen al-Mansur Abu Dschafar Abd Allah gedacht, des Vaters von Harun ar-Ra- schid. der Bagdad zur neuen Reichsrcsidenz der Abbasiden erhoben hat. Unter al- Mansur begann das Zeitalter der arabisch-is- lamischen Hochkultur. Dazu eine bemerkenswerte Fussnote: Nach einem siegreichen Feldzug gegen die Byzantiner verlangte er von den Besiegten weder Gold noch Ländereien, sondern 40000 Bände aus der Staatsbibliothek von Byzanz. Diesen literarischen Schatz liess er übersetzen und auswerten. Jahrhunderte später kamen Teile dieses Schatzes zurück nach Europa.
  158. Edward W. Said: Orientalismus. S. Fischer Verlag. Frankfurt a.M. 2012 (3. Auflage)
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  161. Papier aus Samarkand
  162. «Papier» ist das eingedeutschte Lehnwort des griechischen Wortes «papyros», das eine Wasserpflanze bezeichnet, aus dem die alten Ägypter bereits vor 4000 Jahren Blätter zur Beschriftung herstellten, Diese Blätter, die ab dem achten vorchristlichen Jahrhundert aus Naukratis im Nildelta nach Milet exportiert wurden, lieferten - mehrfach zusammengeklebt - die klassischen Schriftrollen der Antike, Auf einer der ältesten Rollen, die den Zahn der Zeit überlebt haben, ist der Schlussteil der «Ilias» verewigt. Die Griechen nannten diese Schriftrollen «biblos», das spätere Wort für «Buch», Das aus dem Griechischen stammende Lehnwort «Papier» lässt vergessen, dass die Blätter, die seit Jahrhunderten als Papier bezeichnet werden, eine chinesische Erfindung sind, die über arabische Städte ihren Weg nach Europa gefunden hat. Im zweiten vorchristlichen Jahrhundert liess der Ackerbauminister Tsailün auf Geheiss des Kaisers Werkstätten errichten, in denen Fachkräfte aus Baumwolle, aus alten Textilien und aus Bastfasern Papier machten. Papier, das man auf diese Weise produzierte, wurde in wenigen Jahrhunderten im gesamten Fernen Osten, einschliesslich der japanischen Inselwelt, hergestellt. Am Ende des sechsten Jahrhunderts brachten Tataren bei ihren Eroberungszügen Papier «made in China» mit in ihre Heimat Samarkand, Nachdem die Araber Samarkand erobert hatten, wurden in dieser Stadt Mitte des achten Jahrhunderts chinesische Kriegsgefangene angesiedelt, unter denen sich einige befanden, die sich auf die Kunst der Papierherstellung verstanden. So kam es, dass in Samarkand die erste Papiermanufaktur der islamischen Welt entstand, Papier aus Samarkand, das bis zum heutigen Tag für seine seidene Haptik geschätzt wird, bekam einen legendären RiT Dieses Papier, das man mit der Pfirsichhaut einer Jungfrau verglich, eignete sich vortrefflich für 31
  163. den «qaiam», für das Schreibrohr, mit dem kundige Hände ihre kalligraphischen Kunstwerke auf' diese «Pfirsichhaut» zauberten. Von Samarkand aus verbreitere sich die Technik der Papier- herstellung über die gesamte arabische Welt, zunächst nach Bagdad und Damaskus, von wo aus die berühmten «chartae damas- cenae» exportiert wurden. Der Kalif al-Mansur, der von 754 bis 775 in Bagdad herrschte, hatte sofort erkannt, welch eminente Bedeutung das Papier für die Schulen und Amtsstuben hatte, in kurzer Zeit breitete sich das Papier über alle Länder aus, die den Arabern in die Hände gefallen waren, wie Sizilien und die Iberische Halbinsel Von dort aus wanderte das Papier zunächst nach Frankreich und Italien und in der Folge nordwärts über die Alpen, Die erste urkundlich bezeugte Papiermühle Deutschlands war die Geismühle bei Nürnberg; die der Gewürzhändler UJman Stromer im Jahr 1389 gegründet hat. Spätestens jetzt geriet das teure Pergament zum Ladenhüter!
  164. Josef Ritter von Karabacek: Das arabische Papier - Eine hisror is ch- an tiqu an sehe Untersuchung, Verlag der Kaiserlich-Königlichen Hof- und St^rsdru-kcreit Wien ]S«7 Cordoba
  165. Cordoba war bereits im neunten Jahrhundert eine modern anmutende Hauptstadt mit Strassenbeleuchtung und mit einem per- fekten Abwassersystem, eine hoch entwickelte Stadt mit 50 Spitälern, 300 Bädern und 60c Gotteshäusern* Die Moschee, die Abd ar-Rahtnan I +, der erste Umajjaden-Kalif im Jahre 785 erbauen liess, übertraf an Schönheit sämtliche Moscheen des muslimischen Weltreiches, In dieser multikultureilen Metropole herrschte reges Geistesleben, und nicht gering war die Zahl an genialen Denkern und Erfindern, die hier ihre Heimstatt gefunden haben. Aus dieser Zahl seien zwei Gestalten des zehnten Jahrhunderts herausgegriffen; Der Moslem Abbäs ibn Firnas, der den Umajjaden als Hofdichter diente, und der Christ Razemund, der
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  167. im Rang eines Bischofs stand und der dem Kalifen als Sekretär zu Diensten war.\ Abbäs ibn Firnas war ein Multitalent - sowohl in wissenschaftlicher als auch in technischer Hinsicht, Als Gelehrter machte er sich auf dem Gebiet der Physik und der Mathematik einen Namen. Sein diesbezüglicher Hauptverdienst bestand im Import des indischen Dezimalsystems, das er im Rahmen einer Reise im fernen Bagdad entdeckt hatte. Von Cordoba aus wanderte dieses revolutionäre System in die abendländischen Gelehr ten- sruben. Und als Erfinder hat er unter anderem ein Verfahren zur Produktion färb losen Glases entwickelt, aus dem man die sogenannten Lesesteine, die Vorformen heutiger Brillen, herstellte. Seine eigentliche Erfinderlist entfaltete Firnas bei der Konstruktion eines Fluggerätes. Jahrhunderte bevor Leonardo da Vinci einen fast identischen Flieger skizzierte, hatte Abbäs ibn Pirnas einen Segler gebaut, mit dem er mehrere hundert Meter durch die Luft glitt. Dieser Flug, der erste dokumentierte Gleit f lug eines Menschen, endete zwar mit einer Bruchlandung und mit Beinbrüchen, Solchen Brüchen zum Trotz ist sein Flugversuch eine grossartige Pionierleistung, die von der Nachwelt mehrfach gewürdigt wurde: Einer der Mondkrater und einer der vier Flughäfen von Bagdad trügt seinen Namen, Und im Januar 2011 wurde eine Brücke über den Guadalquivir eingeweiht, die ebenfalls nach hirnas benannt ist. Der Nachwelt ein bedeutendes Vermächtnis hinterlassen hat auch der christliche Würdenträger Razemund- Nicht auf Perga ment, sondern aui* Papier, das man nach der nämlichen Methode produzierte wie zweihundert Jahre zuvor in Samarkand, liess er in Buchform einen Kalender anfertigen, der eine kulturhistorische ^Sensation ist, Seite für Seite sind technische Errungenschaften seiner Zeit dargestellt, wie zum Beispiel Wasserräder, Pumpaiv lagen und Kanäle, mir deren Hille arabische Agraringenieure Felder bewässerten und öde Landstriche in einen Garten Eden verwandelten. Von immensem Wert ist dieser
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  169. illustrierte Almanach, der vom Zahn der Zeit verschont geblieben ist. Spanischen Mönchen sei Dank!
  170. Wilhelm Hoerierbach; Islamische Geschichte Spaniens. Bibliothek des Morgen- 1.indes. Sf:utccrart igyo Reisen ans Ende der Welt
  171. Weltbekannt sind die geheimnisumwitterten Reisen, die der Venezianer Marco Polo im 13, Jahrhundert in den Fernen Osten unternommen hat- Viel Widersprüchliches haftet" jedoch sowohl an der Person dieses Reisenden als auch an seinen Reiseberichten, abgesehen davon, dass lange vor Marco Polo arabische Geografen die fernöstliche Welt erkundet und vermessen haben. Deren Berichte fanden in Europa kaum Beachtung, Weitgehend ignoriert wurden auch die völkerkundlich einmaligen Reiseberichte von al- ßiruni, Ibn Dschobar oder Abu Said, Faszinierende Einblicke in ferne Länder und Kulturen boten zudem jüdische Kauf leute., die in arabischen Diensten standen, wie zum Beispiel der Kaufmann Suleyman, der ausführlich über Indien und das «Reich der Mitte» berichtet hat. Und nur einer kleinen Lesergemeinde bekannt sind immer noch die abenteuerlichen Weltreisen von Abu Muhammad ibn Battuta, der im 14. Jahrhundert die gesamte islamische Welt und den Fernen Osten bereist hat. In 28 Jahren legte Battuta über 100000 Kilometer zurück. Seine Aufzeichnungen und Reiseberichte sind eine schier unerschöpf liche Fundgrube, die sowohl Fachleuten als auch Laien reichlich Stoff für geografische und kulturhistorische Studien liefert, Zur Welt kam Ibn Battuta am 24* Februar 1304 in der marokkanischen Hafenstadt 'Langer. Als Jüngling von 21 Jahren begab er sich auf die Pilgerfahrt nach Mekka, von der er erst als 49-jähriger Mann zurückkehren sollte. Er reiste zu Wasser und zu Lande. Um in groben Zügen seine Reise zu skizzieren: Von Anatolien zur Krim und zum
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  173. Kaukasus, dann über Buchara und Kabul nach Delhi und weiter bis zur Südspitze Indiens, von dort zu den Malediven und über Ceylon nordwärts zum Gangcsdeita, dann südwärts nach Malaysia und Java und von neuem nordwärts in das chinesische Kaiserreich bis nach Peking. Natürlich hat er auch alle arabischen Länder einschliesslich der westlichen Sahara bis zum Niger bereits, Und auf dem Seeweg erkundete er die Ostküs te Afrikas bis südlich von Mombasa. Atemberaubend sind seine minutiös beschriebenen Reiseerlebnisse. Selbst Unsägliches liest sich wie ein nüchternes Polizei- Protokoll: «Die gefangenen Barbaren wurden am Morgen in vier Gruppen aufgeteilt und bei den vier Toren an den Pfählen aufge- spiesst, die man ihnen tags zuvor auf den Rücken gebunden hatte. Ihre Weiber wurden mit den Haaren an den Pfählen aufgeknüpft und erwürgt, und die Kinder am Busen ihrer Mütter erschlagen.» Ende Dezember 1353 traf Abu Muhammad ibn Battuta wieder in seiner Heimatstadt Tanger ein, reich beladen mit dem Wissen von einer Welt, von der die seinerzeitigen Europäer nur vage Vorstellungen hatten, von einer Welt zudem, die mittlerweile vielfach untergegangen ist,
  174. Ibn Iiatcuta: Reisen ans Ende der Welt 1325-1353. Das grösste Abenteuer des Mittelalters. Neu herausgegeben von Hans D. Leicht. Horst Erdmann Verlag. Tübingen-Basel 1974 Späte Heimkehr
  175. Die zwei Meerengen, die das Mittlcrmeer im Westen und im Osten begrenzen, schreiben seit Menschengedenken Geschichte, im Westen die Strasse von Gibraltar, auf der schon phönizischc und ionische Seefahrer ihren Weg zu den Atlantikküsten suchten, und im Osten der Bosporus, der das «Marc nostrum» mit dem Schwarzen Meer verbindet. Die wichtigsten Kapitel der Annalen, in denen die Strasse von Gibraltar und der Bosporus ihren Niederschlag gefunden haben, künden von den Migrationen, die seit Jahrtausenden über diese zwei Meerengen
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  177. stattfinden. Dank zu sagen haben Europäer all jenen Migranten, die in ihrem Marschgepäck Bücher mit sich trugen. Dass es ausgerechnet der äusserste Südwesten war, also die Strasse von Gibraltar, über die ab dem achten Jahrhundert «unsere» Literatur heimzukehren begann, wurde bereits thematisiert. Diesem ersten Reflux antiker Texte sollte im 15. Jahrhundert aus dem äussersten Südosten, also vom Bosporus her, ein zweiter bedeutender Reflux folgen, aber diesmal nicht auf dem Rücken der Immigranten, sondern auf den Schiffen von Emigranten. Mit dem Vormarsch der Osmancn begann der definitive Untergang des Oströmischen Reiches. Byzanz, das ehemalige Konstantinopel, verlor zusehends an Macht, bis es zu schlechter Letze ein von muslimischen Truppen umzingelter Stadtstaat war. Die Osmancn liessen zunächst Byzanz links liegen und sticssen im 14. Jahrhundert weit in den Balkan vor. Als das Byzantinische Reich zu einer umzingelten Stadt geschrumpft war, die später Istanbul heissen sollte, schickte Rom im Jahre 1435 Nikolaus von Kues als diplomatischen Unterhändler an den Bosporus, mit dem Ziel, den griechisch-orthodoxen Patriarchen dazu zu bewegen, sich endlich dem Papst von Rom zu unterwerfen, um im Gegenzug militärische Unterstützung zu erhalten. Zwar scheiterte die Mission von Nikolaus von Kues. Der literarische Hort aber, den er in Byzanz entdeckt hatte, übertraf seine kühnsten Träume. Die Bibliotheken bargen antike Texte, von denen man in Westeuropa keine Ahnung hatte. Diese Schätze blieben von den seinerzeitigen Plünderungen der Kreuzritter weitgehend verschont, denn die grobschlächtigen Haudegen erwiesen sich als Raubritter, die an Gold und Weibern, aber nicht an Büchern interessiert waren. Nun wurde es ein zweites Mal ernst. 1453 stürmten die Osmancn Byzanz, allen voran die Janitscharen, die «Jeni Tschad» (= neue Soldaten), eine Killer- Truppe, bestehend aus gekidnappten Christenknaben, die man zu blindwütigen Kämpfern 36
  178. ausgebildet hat. Drei Tage lang wurde gemordet und geplündert. Wie schon so oft in der Geschichte hatten auch diesmal die Reichen rechtzeitig reagiert. Schiff für Schiff hatte Byzanz verlassen, viele in Richtung Venedig. Mit diesen Schiffen kehrte «unsere» Literatur heim nach Europa, die den Grundstein für die neuzeitliche Wissenschaft legen sollte.
  179. Stefan Zweig: Die Eroberung von Byzanz. In: Sternstunden der Menschheit. Insel Verlag. Leipzig 1927 Heliozentrik
  180. 20 Jahre nach dem Fall von Byzanz kam in Thorn an der Weichsel ein gewisser Niklas Koppernigk zur Welt, der als Nikolaus Ko- pernikus weltberühmt wurde. Mit seiner Wiederentdeckung der Heliozentrik erschütterte er das mittelalterliche Weltbild, dem zufolge Gott höchstpersönlich die Erde in die Mitte des Kosmos gestellt habe. Der Abschied vom geozentrischen Weltbild ging als «kopernikanische Wende» in die europäische Geistes- und Kulturgeschichte ein. Bevor er im ostprcussischen Frauenburg seine Lebensstelle als Domherr antrat, hatte er nach Abschluss des theologischen Grundstudiums zu Krakau 16 Jahre lang an italienischen Universitäten studiert, und zwar sowohl Medizin und das kanonische Recht als auch Astronomie, eine Wissenschaft, der er bis zu seinem Tod die Treue hielt. Wehmutsvoll gedachte er im nass-kalten Frauenburg der sonnigen Tige in Italien, an dessen Stränden sich die Gestirne reiner und klarer bestaunen Iiesscn als an den Gestaden der Ostsee, Den Blick zum Himmel ersetzte fortan die «lucu- bratio», die nächtliche Arbeit bei Kerzenlicht, in dessen Schein die sieben Büchcr «De revolutionibus orbium caelestium» entstanden, ein Werk von epochaler Bedeutung. Die Ideen für die Umlaufbahnen der Planeten, einschliesslich der Erde, hatte er in Italien bei der Lektüre antiker Schriften gewonnen, die einerseits von Byzanz aus und andererseits schon früher aus dem
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  182. arabischen Palermo in italienischen Universitäten angekommen sind. Die entscheidende Idee fand er beim griechischen Astronomen Aristarchos, dem Vater der Heliozentrik, den ein Cicero als Urheber von Ammenmärchen verspottet hat, Kopernikus war sich der gewaltigen Sprengkraft bewusst, die in seinen Büchern steckte. Er ahnte, welche Reaktionen von Seiten der Glaubensbehörde zu erwarten waren. Um sicher zu gehen, verfasste er eine «Praefatio», in der er sich an Papst Paul III. als potentiellen Schutzpatron wandte. Diesem Papst widmete er sein Werk mit den Worten, dass nur Seine Heiligkeit, ein hoch gebildeter und mathematisch geschulter Mann, in der Lage sei, seinen Gedankengängen zu folgen und deren Richtigkeit zu verstehen. Allein, Kopernikus traute seinem Kunstgrift nicht. Vorsichtshalber liess er das Manuskript in der Schublade liegen, bis eines Tages ein junger Mann namens Joachim Iserin auftauchte. Der Vorarlberger Joachim Iserin, ein Sohn des Feldkircher Stadt- physicus, begab sich nach seiner Promotion zum Doctor quer durch Europa auf Wanderschaft. In Frauenburg, im fernen Ost- preussen, lernte er Kopernikus und dessen Werk kennen. Sein Leben lang verbreitete er dieses Werk, das Kopernikus kurz vor seinem Tod zum Druck frei gegeben hat. Der Name Joachim Iserin ist so gut wie unbekannt. Vom Hörensagen bekannt ist allenfalls sein Beiname «Raeticus», der Mann aus Rätien (= Vorarlberg).
  183. Jürgen H.inicl: Nikolaus Copernieus - Leben, Werk und Wirkung. Spektrum Akademischer Verlag. Heidelberg-Berlin 1991
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  186. ZWEITES KAPITEL
  187. In Mekka fing es an Historische Rückblicke Thamud
  188. (. )fiizicll beginnt die Geschichte des Islam in Mekka im Jahre 610, als einem Mann namens Muhammad auf dem Berg Hira der Erz- engel Gabriel erschienen sei und ihm eine erste Offenbarung in I 'orm von fünf Versen zugeflüstert haben soll. Aus historischer respektive ideengeschichtlicher Sicht hat der Islam einen zeitlichen Vorlauf von vielen Jahrhunderten. Aus dieser Sicht spielt unter anderem der Volksstamm der Thamud eine interessante Rolle, ein Volk, auf das der Koran in zi Suren zu sprechen kommt, wobei man sich auf drei Suren beschränken kann: auf die 27., auf die 89. und auf die 91. Sure. Der neunte Vers der 89. Sure berichtet, dass die Thamud «jene sind, die am Talrand (wörtlich: beim Tal) die Felsen aushöhlten». Angesprochen sind die Felsengräber der antiken Stadt Hegra, einer einst wohlhabenden Handelskolonie, die heute Mada'in Salih heisst. Hegra lag unfern von Medina an der Weihrauch- strassc und repräsentierte den südlichen Stützpunkt der Nabatä- er, die sich mit der Felsenstadt Petra ein reiches Handelszentrum geschaffen hatten, das kaum einzunehmen war. Nach dem Vorbild ihrer aus dem Sandstein gehauenen Tempel und Häuser entstanden bei Hegra, wo die Thamud siedelten, die besagten Felsengräber. Doch zurück zur 89. Sure: «Sie (= die Thamud) haben in (ihrem) Land Freveltaten verübt und in ihm Unheil angerichtet. Deshalb liess Dein Herr die Geisscl der Strafe auf sie niedersausen!»
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  190. Was ist passiert? Die 91. Sure thematisiert die Freveltaten der Thamud: «Die Thamud bezichtigten (den Propheten) in ihrem Trotz der Lüge, als sich ihr Rädelsführer erhob. Da sprach zu ihnen der Gesandte Allahs: <(Hier ist) Allahs Kamelstute, gebt ihr zu trinken!) Sie aber bezichtigten ihn (erneut) der Lüge und schnitten ihr die Sehnen durch. Da gab sie ihr Herr aufgrund ihrer Freveltat der Vernichtung preis und machte allen den Garaus.» Hinter diesen Versen verbirgt sich eine uralte Geschichte, der zufolge Nabatäcr ein Kamel durch die enge Schlucht getrieben haben, die zur Felsenstadt Petra führt. Und diese Schlucht soll mit Sicheln gespickt gewesen sein! Warum sind die Thanuid aus der Geschichte verschwunden? Wurden sie Opfer einer Seuche oder einer Naturkatastrophe! 1 In der 27. Sure ist nachzulesen, dass Allah sie gewaltsam ausgerottet hat. Was immer zu ihrem Untergang führte: Von grosser Bedeutung ist ihre Erbschaft. Zum einen ihre Inschriften, deren Zeichen dem aramäischen Alphabet ähneln. Aus den thamudischen Buchstaben hat sich die arabische Schrift entwickelt. Zum anderen überraschen ihre Götterdarstellungen: Ihre Götter sind keine Figuren, sondern gesichtslose Würfel und Quader, wie zum Beispiel ihre Dreifaltigkeit: zwei Würfel und in der Mitte ein hoch ragender Quader, Hier wird bereits ein Urgebot des Islam sichtbar: Mach Dir kein Bild von Gott! Und: Ist die Kaaba, das zentrale Heiligtum des Islam, den heiligen Würfeln der Thamud nachempfunden?!
  191. Ehud Netzer: Nabatäische Architektur - Insbesondere Gräber und Tempel. Philipp von Zander Verlag. Mainz 200} Hidschra
  192. Die Jahre 70 und 135 christlicher Zeitrechnung markieren Wen- depunkte in der jüdischen Geschichte. Gnadenlos schlugen Roms
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  194. Legionäre die zwei Aufstände der Juden gegen die römische Vor- herrschaft nieder. Jerusalem ging in Flammen auf. Der Tempel lag in Trümmern, und die Bevölkerung wurde in alle Himmelsrichtungen verjagt. Die Diaspora, die bereits unter Kaiser Titus einsetzte, sollte erst 1948 ihr Ende finden. Ein Teil der Juden floh nach Arabien, zumal nach Mekka und in die Stadt Yathrib nördlich von Mekka, die heute «Medina» (= Stadt) heisst. Uber Jahrhunderte lebten dort Juden und Araber friedlich miteinander -- unter Berufung auf Abraham, den sie als ihren gemeinsamen Stammvater verehrten und immer noch verehren. Eines Tages trafen in Yathrib Muhammad und seine Gefolgsleute ein, und der Frieden fand ein jähes Ende! Die islamische Zeitrechnung beginnt mit dem Jahr 622, jenem Jahr, in dem Muhammad mit seinen Anhängern aus Mekka verjagt wurde und nach Yathrib floh. Diese Flucht ging in die Geschichte des Islam als «Hidschra» ein, ein Begriff) der sich nur umschreibend übersetzen lässt, etwa mit den Worten: «gewaltsame Trennung einer gewachsenen Bindung» - vergleichbar dem Gordischen Knoten, den Alexander der Grosse mit einem Schwerthieb durchtrennte, Die Hidschra hat für Muslime die nämliche Bedeutung wie die Geburt Jesu für die Christen. In Yathrib lebten damals drei grosse jüdische Clans, die eine stattliche Gemeinde von mehreren Tausend Menschen reprä- sentierten. Schon bald nach der Ankunft von Muhammad kon- vertierten fast alle arabischen Einwohner zur neuen Lehre und nannten sich fortan Muslime. Nur die Juden weigerten sich, ihren Kult aufzugeben und Anhänger der islamischen Doktrin zu werden. Die Treue zu ihrer Religion sollte ihnen wieder einmal zum Verhängnis werden. Aus Mekka rückten Streitkräfte an, mit dem Ziel, Muhammad und seine Gefolgschaft zu vernichten. Zwar scheiterten die Angriffe.
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  196. Gleichwohl machte das Gerücht die Runde, dass «jüdische Kreise» hinter den Attacken stünden. Der klassische Sündcnbock war gefunden, eine leidvolle Opferrolle, zu der sich die Juden im Laufe ihrer Geschichte immer wieder verurteilt sahen. Zwei der Clans hatten das Menetekel rechtzeitig erkannt und waren aus Medina geflohen. Der dritte Stamm aber blieb in der Stadt, und das heisst: Er sass in der Falle! Man blies zur Hexenjagd. Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Grausam wütete die fanatisierte Meute. Die 800 männlichen Mitglieder des Stammes wurden auf dem Marktplatz «im Namen des Gesetzes» abgeschlachtet. Die Frauen und Kinder jagte man zum Teufel! Die Hidschra läutete die Geschichte des Islam ein. Diese Ge- schichte beginnt mit einem Blutbad, und lang ist die Blurspur, die sich seit diesem Ereignis bis ins Heute ziehen lässt! Hartmuc Mohammed. C.H. Beek Bobzin: 2000 Verlag. München Khaibar
  197. Als Muhammad in Yathrib, in jener Stadt, die später Mcdina hicss, Zuflucht gefunden hatte, hegte er zunächst Sympathien für die dort lebenden Juden. Am Glauben der Juden beeindruckte ihn ihr strenger Monotheismus, den auch er auf seine Fahnen schrieb, und zudem fand er Gefallen an den jüdischen Geboten und Verboten. Inspiriert von den Gebräuchen der Juden führte er in seinen Kult das Fasten, die fixen Gebete, die Reinigungsrituale und das Verbot des Genusses von Schweinefleisch ein. Was ein frommer Jude zu tun und zu lassen hat, sollte für fromme Muslime ebenfalls verbindlich sein. Den Katalog von Tun und Lassen nannte er «Scharia». Auch dieser Katalog orientierte sich am jüdischen Vorbild: Die «Scharia» ist das muslimische Gesetzeswerk, das an der «Halacha» Mass genommen
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  199. hat. Die «Halacha» umfasst all die Regeln, die ein gläubiger Jude zu befolgen hat, um auf dem rechten Weg zu sein. Auch den Christen, die ihn Yathrib-Medina lebten, war Mu- hammad zunächst freundlich gesonnen. Denn er hoffte, mit Hilfe der Juden und Christen seine Feinde in Mekka wirtschaftlich aushungern und folglich umso leichter besiegen zu können. Doch die Juden und Christen spielten nicht mit. Die anfängliche Zu- neigung schlug in blanken Hass um. Muhammads Killertruppe tötete die Christen und Juden, die nicht rechtzeitig aus Yithrib- Medina geflohen waren. Und das Morden beschränkte sich nicht auf die Stadt. Noch che Muhammad als Sieger in Mekka einzog, führte er im weiten Umkreis von Yathrib-Medina einen Ra- chefcldzug durch. Diesem Morden fiel im Jahre 628 der Grossteil der Juden in Khaibar zum Opfer, in jener blühenden Oase, die 2oo Kilometer nördlich von Yathrib-Medina liegt. In diese Oase war drei Jahre zuvor ein jüdischer Stamm vor den Häschern Muhammads geflohen. Die Juden von Khaibar repräsentierten im damaligen Arabien die grösstc jüdische Gemeinde. Es war eine wohlhabende Gemeinde, reich geworden durch Handel und Ackerbau und durch die Produktion von Seide und scharfen Klingen. Reichtum weckt Begehrlichkeiten. Angetrieben von Hass und Beutegier eroberte Muhammad mit seiner Soldateska dieses Juwel. Zu seiner Beute zählte eine schöne Frau namens Saffitja, die Frau des Rabbi Kina- na, den er köpfen liess, nachdem man aus dem Rabbi unter Folter hcrausgepresst hatte, wo der Schatz der jüdischen Gemeinde ver- steckt war. Seit damals gehört der Siegesruf «Khaibar! Khaibar!» zum fixen Bestand des Feldgeschreis, das fanatische Gotteskrieger anstimmen: «Khaibar, Khaibar, ja Jahüd, dschaisch Muhammad saufajaud!» Das heisst: «Khaibar, Khaibar, O Juden, die Armee von Muhammad wird
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  201. zurückkehren!» Und die Mordgesellen der Hisbollah singen: «Khaibar, Khaibar, ja Sahjün, Hizbullah qadi- mun!» Auf Deutsch: «Khaibar, Khaibar, O Zion, die Hisbollah kommt bald!» Und welchen Namen tragen die in Syrien produzierten Raketen, die von der Hisbollah auf Israel abgefeuert werden? Khaibar! Watr W. Montgomery: Muhammad ae Mcdina. Oxford Universiry Press. Oxford 1956 Am Ziel
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  203. Man muss nicht unbedingt die Hadithen bemühen, um zur Einsicht zu gelangen, dass Muhammad ein Mann mit einer grossen Ausstrahlung war. Anders ist seine Überzeugungskraft nicht zu erklären. Bereits in Mekka und nach der Flucht aus Mekka in Medina hingen Leute an seinen Lippen, wenn er predigte oder Verse rezitierte, die er als Allahs Medium aus einer anderen Welt empfangen habe. Bei seinen Rezitationen soll er in einen Singsang verfallen sein, der bei seinen Zuhörern tiefe Emotionen weckte und Faszinationen auslöste, die weniger mit dem Inhalt der vorge- tragenen Verse, sondern vorwiegend mit seiner Vortragsweise zu tun hatten. Bis zum heutigen Tag üben sich Vorbeter in der Kunst einer solch betörenden Vortragsweise, in der Kunst der «qiraat». Das Nomen «qiraat» ist vom Vcrbum «qarä» (= lesen) abgeleitet und bezeichnet diesen einzigartigen, faszinierenden Singsang, der nicht den Geist, sondern die Seele anspricht. Die Menschen sollen vom Zauber der «qiraat» betört werden und sich nicht auf den Inhalt von Versen konzentrieren, die oft genug leeres Wortgcklin- gel sind, Im Jahre 5 nach der Hidschra, nach der Flucht aus Mekka, soll Muhammad geträumt haben, dass mittlerweile alle Einwohner von Mekka Allah verehren würden. Von diesem Traum beflügelt, ermutigte er seine Anhänger dazu, mit ihm nach Mekka zu pilgern,
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  205. um nach dem Rechten zu sehen. Die Stadttore blieben jedoch verschlossen. Immerhin trat der Ältestenrat vor die Tore und versprach Muhammad und seinen Gefolgsleuten für das kommende Jahr freien Zugang zur Stadt. Ein Jahr später kamen sie wieder und wurden - wie versprochen - in die Stadt ihrer Sehnsüchte eingelassen. Zwei Jahre später, im Jahre 8 der Hidschra, hatte Muhammad sein Ziel erreicht. Kampflos übergaben ihm die Stammesführer die Stadt. Umjubelt von seinen Anhängern zog er wie ein Trium- phator in Mekka ein und marschierte schnurstracks zur Kaaba. Seine erste Aktion bestand darin, die rund 360 Götterbilder zu zerstören, die in der Kaaba verwahrt waren. Diesem Bildersturm fiel auch die weibliche Trias zum Opfer, die in den sogenannten satanischen Versen der 53. Sure verewigt sind: die Göttinnen «al-Lat», «al-Uzza» und «al-Manat», auch «al-Manawat» genant. Nachdem das Vernichtungswerk vollbracht war, erklärte Muhammad die Kaaba zum zentralen Heiligtum des Islam, zu dem künftig jeder Moslem pilgern müsse. Im Jahre 10 der Hidschra, also im Jahre 632, in dem Muhammad starb, soll er ein letztes Mal nach Mekka gepilgert sein und eine Predigt gehalten haben. Sein Gesundheitszustand war bereits angeschlagen. Nach Mcdina zurückgekehrt wurde er von Fieberkrämpfen geschüttelt. Mit letzter Kraft habe er sich von seinen Freunden verabschiedet, ehe er in sein Haus zu seiner Frau Aischa zurückkehrte und in ihren Armen seine Seele aushauchte.
  206. Martin Lingji Muhammad - Sein Leben nach den frühesten Quellen. Spohr Verlag. Kandern 2000 Der Schwarze Tod
  207. In Eurasien und in Nordafrika gibt es kaum einen Landstrich, der
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  209. nicht vom Schwarzen Tod heimgesucht worden wäre. Naturgemäß wütete die Pest umso schlimmer, je dichter ein Landstrich besiedelt war. Am schlimmsten ging es in Urbanen Ballungszentren zu, wie in Konstantinopel oder in Alexandria. Eine solche Heimsuchung erlitt das Imperium Romanum im sechsten Jahrhundert, zu einem Zeitpunkt, in dem dieses «Tausendjährige Reich» ohnehin schon schwer angeschlagen war und ums nackte Überleben kämpfte. Im Juli des Jahre 541 erreichten schreckliche Nachrichten die Hafenstadt Alexandria: Im östlichen Nildelta wüte eine Seuche! Die Stadt Pelusium sei bereits so gut wie tot! Uberall Berge von Leichen! Der Schwarze Tod machte an den Stadtmauern von Pelusium keinen Halt. Mit rasender Geschwindigkeit breitete sich die tödliche Krankheit in beide Himmelsrichtungen entlang der Küste aus. Und Schiffe trugen sie über das Mittelmeer nach Konstantinopel und in andere Hafenstädte des östlichen Mittelmee- res, Kaiser Justinian war machtlos. Hilflos musste er zusehen, wie ganze Landstriche entvölkert wurden, mit fatalen wirtschaftlichen Folgen. Die Steuereinnahmen brachen ein. Den Soldaten an den östlichen Grenzen des Römischen Reiches konnte kein Sold mehr bezahlt werden, und auch der Nachschub blieb aus. Kaum war das Schlimmste vorbei, brach die Seuche um 600 in Galiläa mit neuer Gewalt aus, sowohl nordwärts in das Gebiet des heutigen Libanon und Syriens als auch südwärts in Richtung Judäa. In die Arabische Halbinsel drang sie aber so gut wie nicht, da dieses riesige Wüstengebiet nur dünn besiedelt war und ist. Weitgehend verschont geblieben sind ohnehin allerorts nomadi- sierende Stämme, so auch die Beduinen von Arabia Felix, wie man Arabien damals nannte. An diese glückliche Fügung erinnert der Koran, und zwar im 67. Vers der 29. Sure: «Und ist ihnen entgangen, dass wir (= Allah) einen geheiligten Ort (= Mekka) sicher gemacht
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  211. haben, während (anderswo) die Menschen aus ihren Wohnstätten hinweggerafft wurden!?» Die Perser nutzten die Gunst der Stunde. Im Jahr 614 fielen sie in das geschwächte Oströmische Reich ein und drangen bis nach Jerusalem vor. Nach kurzer Belagerung eroberten die Perser die Stadt und richteten ein Blutbad an. Chronisten berichten, dass in den Strassen von Jerusalem 50000 Leichen lagen. Aber der persische Triumph sollte nicht lange währen. 26 Jahre später begann der Niedergang des Perserreiches. Wie so oft in der Geschichte wurde es ein Opfer innerer Zwiste und blutiger Machtkämpfe. Der Untergang des Imperium Romanum, die Schwächung des Oströmischen Reiches, an dem der Schwarze Tod keine geringe Mitschuld trug, und der Niedergang des Perserreiches öffneten den arabischen Wüstenkriegern die Tore für ihren Triumphzug. Fast ungehindert konnten sie von Sieg zu Sieg reiten! Peter Brown: Welten im Aufbruch - Die Zeit der Spirantikc, Lübbe Verl.ig. Bergisch Gladbach 19S0 Aufbruch
  212. Acht Jahre, nachdem Muhammad mit seinen Getreuen von Mekka nach Jathrib, dem heutigen Medina, geflohen war, kehrte er in seine Heimatstadt Mekka zurück und nahm sie kampflos ein, In seinen zwei letzten Lebensjahren, die ihm nach diesem Triumph noch gegönnt waren, gelang es ihm, die Stämme der Arabischen Halbinsel im Namen Allahs zu unterwerfen und zu einer ersten «Umma», zu einem Verband kampferprobter Wüstenkrieger, zu vereinen. Diese Vereinigung signalisiert den Beginn atemberaubender Eroberungen. Es beginnt die Entstehung des Arabischen Weltreichs, das von der nordafrikanischen und iberischen Atlan- tikküstc bis nach Afghanistan reichen sollte.
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  214. Zum Aufbruch geblasen hat im Jahr 632, im Todesjahr von Muhammad, Abu Bakr, der zum ersten Kalifen, zum ersten Nachfolger des Propheten, gewählt wurde. Dem Wortsinn nach müsste «kalifa» mit «Stellvertreter» übersetzt werden, mit dem nämlichen Beinamen, den der Papst trägt. Ein Kalif ist jedoch kein Stellvertreter Gottes, sondern der Stellvertreter eines Menschen, den ein Gott namens Allah zu seinem Propheten auserkoren hat. Zwar starb Abu Bakr bereits zwei Jahre nach seiner Wahl zum «Stellvertreter», in diesen zwei Jahren dehnte er aber die muslimische Herrschaft weit nach Norden aus. Kurz vor seinem Tod entriss er den Byzantinern Teile von Palästina. Omar, der zweite Kalif, unterwarf in den zehn Jahren seiner Herrschaft ganz Palästina, Syrien, Mesopotamien, den westlichen Iran und Ägypten. Den Zenit dieser siegreichen Feldzüge markiert das Jahr 638, das glorreiche Jahr, in dem Jerusalem, die heiligste aller Städte, in die Hände der Muslime fiel. Seinen Eroberungskrieg bezeichnete Omar als «Dschihad», als einen «Kampf», dessen Bedeutung sich im Laufe der Zeit zum «Heiligen Krieg» wandelte. Und bei der Aufteilung der Kriegsbeute erstellten er und seine Generäle den «Diwan», ein Brevier für Raubzügler, dessen Name später zum Inbegriff der islamisch-ara- bischen Verwaltung werden sollte. Den vorläufigen Schluss- und Höhepunkt der frühislamischcn Expansion setzte Uthman, der dritte Kalif, der im Jahr 644 an die Macht kam. Wie seine zwei Vorgänger setze er mit einem ver- gleichsweise kleinen Heer die siegreichen Eroberungen fort. Zum einen stiess er in Nordafrika weiter nach Westen vor und anderer- seits eroberte er ganz Pcrsicn und zwang den Persern, einem uralten Kulturvolk, den Islam und die arabische Schrift auf. Im Rückblick erstaunt das Gottvertrauen, mit dem Uthman sein
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  216. Kriegshandwerk ausübte. Stellt man die real existierenden Kräfteverhältnisse in Rechnung, dann gleicht sein Sturm in das Herz von Pcrsien dem Angriff eines kleinen Wolfsrudels auf ein Mammut. Und Uthmans Vormarsch in Nordafrika ebnete den Muslimen der nächsten Generation den Weg zur Meerenge von Gibraltar, zu den Toren Europas!
  217. Fred M. Donner: Muhammad and che Belivers - At the Origins of Islam. The Ucl- knap Press of Harvard University Press. Cambridge-London 2010 Der Fluch von Kerbela
  218. Als der Prophet Muhammad das Zeitliche segnete, wurde nicht sein Vetter und Schwiegersohn Ali zum Kalifen ernannt, sondern Abu Bakr, ein Kampfgenosse der ersten Stunde. Dem wackeren Abu Bakr folgten die Kalifen Omar und Uthman. Von kurzer 1 )auer war die Herrschaft dieser drei Kalifen: Keiner starb eines natürlichen Todes. 656 war es dann soweit! Endlich übernahm Ali das Kalifat, jener Ali, in dem viele von Anfang an Muhammads rechtmässigen Nachfolger gesehen haben. Kaum hatte Ali sein Amt angetreten, kam es zum ersten islamischen Bruderkrieg. Denn der Umajjade Muawija, der Amir von Damaskus, verweigerte Ali die Gefolgschaft. Dieser blutige Bruderkrieg endete mit Alis Ermordung. Der siegreiche Muawija, der sich zum fünften Kalifen ausrufen licss, erkor Damaskus zur neuen Hauptstadt des erstarkenden Islam. Noch heute zeugt die prachtvolle Umajjaden- Moschee von einstiger Macht und Grösse. 680 rebellierte Alis Sohn Hussein gegen das Umajjadcn-Kali- fat. In der Schlacht von Kerbela verlor er sein Leben. Der Tod von Hussein markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der isla- mischen Geschichte. Denn mit der Ermordung von Ali einerseits und vor allem mit dem «Opfertod» von Alis Sohn Hussein beginnt die Geschichte der «Schia» (= Abspaltung), die bis zum heutigen Tag
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  220. einen hohen Blutzoll gefordert hat. Seit der Schlacht von Kerbela stehen sich Schiiten und Sunniten unversöhnlich gegenüber. Unversöhnlich ist vor allem der Hass zwischen den Persern, den Bannerträgern der Schia, und den sunnitischen Arabern. Zwar begleitet die Schia die Geschichte Persiens schon seit dem Jahr 680. Aber erst 1501 wurde der schiitische Islam zur offiziellen Staatsrcligion Persiens proklamiert. Dank dieser Proklamation konnten die stolzen Nachfahren von Kyros und Dareios ihrem Hass auf die arabischen Eroberer einen religiösen Anstrich geben. Bis heute verwünschen die Schiiten in ihren Gebeten die ersten drei Kalifen Abu Bakr, Omar und Uthman. Mit der Verfluchung von Uthman verwünschen die Schiiten ausgerechnet jenen Kalifen, der Persien endgültig erobert und den Persern den Islam und die arabische Schrift aufgezwungen hat! Könnte es sein, dass die Perser, ein uraltes Kulturvolk mit eigener Schrift und eigener Religion, insgeheim die arabische Sieger-Kultur hassen, die ihnen gegen ihren Willen übergestülpt worden ist? Wie dem auch sei: Die Todfeindschaft zwischen Schiiten und Sunniten droht in unserer Zeit zu einem «Dreissigjdhrigen Krieg» auszuarten. Tief sitzt der Hass! Wie sich einst mitten in Europa Katholiken und Protestanten abgeschlachtet haben, schlachten sich heute im Nahen Osten Sunniten und Schiiten ab. An diesem Gemetzel nehmen vornehmlich IS-Dschihadisten teil, die aus Syrien in den Irak eingedrungen sind, mit dem Ziel, ein Kalifat im alten Stil zu errichten.
  221. Monika Gronkc: Gcschichtc Irans - Von der Islamisierung bis heute. C.H. Beck Verlag. München 2009
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  224. Die Umajjaden
  225. In einem Zeitraum von knapp 24 Jahren haben die ersten drei Kalifen mit ihren Wüstenkriegern ein Reich erobert, das von der Grossen Syrte im Westen bis an die Ostgrenze Persicns reichte. 656 wurde Uthman, der Eroberer von Persien, ermordet. Nun erst konnte Ali, der Vetter und Schwiegersohn des Propheten, als vierter Kalif eine späte Nachfolge antreten. Doch Muawija, der syrische Befehlshaber, ein Spross der Umajjaden-Sippe, negierte Alis Kalifat. Die Umajjaden gehen auf die Quraisch zurück, auf einen Karawanen-Clan, dem die 106. Sure, «as-suratu al-Quraisch», gewidmet ist. Die Quraisch hatten einen gewinnbringenden Handel mit den Römern betrieben und ihre Gewinne in der Provinz Syrien investiert. Dort etablierte sich die Umajjaden-Sippe, die mit Gütern reich gesegnet war. Muawijas Weigerung, Ali als Kalifen anzuerkennen, führte zu einem Krieg, dem noch viele folgen sollten und dem noch viele folgen werden. Nachdem Ali aus dem Weg geräumt war, konnte Muawija als fünfter Kalif die «Stellvertretung», also Muhammads Nachfolge, antreten. Bis zum heutigen Tag beweinen die Schiiten, die Anhänger von Alis Partei, dessen Ermordung und den gewalt- samen Tod seines Sohnes Hussein, der in der Schlacht von Ker- bela ums Leben gekommen ist. Mit seiner Machtübernahme im Jahre 661 begründete Muawija die Umajjaden-Dynastie, die sich 370 Jahre lang an der Macht hielt. Unter seiner Herrschaft wurde Damaskus das neue Reichs- zentrum. Nun waren Prunk und Pomp angesagt. Die Umajjaden- Moschee im Zentrum von Bagdad bezeugt eine Prachtentfaltung, die von Strenggläubigen als unislamisch verurteilt wurde und wird. Von Damaskus aus organisierce man die weitere islamische Expansion
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  227. nach Westen und Osten und in die Flanken des Byzantinischen Reiches, Gegen Ende des siebten Jahrhunderts wurde in Jerusalem der Fclscndom errichtet, und an die Stelle byzantinischer Münzen traten Münzen mit arabisch-islamischer Prägung. Wenig später, im Jahre 711, drangen muslimische Truppen in Spanien ein und vernichteten das Heer der Westgoten, Aus Vandalusia wurde An- dalusia. Die neuen Herren residierten in Cordoba und planten von dort aus die Eroberung der gesamten Iberischen Halbinsel. In der Mitte des achten Jahrhunderts beendete ein Massaker die Herrschaft der Damaszener Umajjaden-Dynastic, die aufgrund interner Machtkämpfe bereits geschwächt war. Abd ar-Rahman I,, ein Überlebender des Massakers, konnte nach Cordoba fliehen und begründete dort die spanische Umajjaden-Dynastie. Ihm ver- dankt Cordoba die wohl schönste Moschee der Welt. Seine ei- gentliche Blüte erlebte das spanische Umajjadcn-Rcich unter Abd ar- Rahman III. Zu Ende ging die Umajjaden-Dynastie im Jahr 1031. Das maurische Spanien zerfiel in Kleinstaaten, eine ideale Voraussetzung für die christliche Rückeroberung.
  228. Abiva Huseyin und Noura Durkce: A History of Muslim Civilization fron» Larc Anciquity to the Fall of che Umayyads. IGRA' International Eduoational Foundation. Chicago 2003 Kilikien
  229. Bis zum Auftauchen der Muslime war Kililcien, das im Südosten der heutigen Türkei liegt, die Brücke zwischen Orient und Okzident. Dieser historisch und kulturgeschichtlich bedeutende Landstrich, der vermutlich die Heimat von Homer war, erlebte viele Migrationen von Ost nach West et vice versa. Kilikiens westliche Grenze waren der Fluss Lamos und das Taurusgebirge, über das Pässe nach Kappadokicn führten. Der berühmteste Pass war die Kilikischc
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  231. Pforte, durch die viele Heere gezogen sind, wie zum Beispiel die siegreiche Streitmacht von Alexander dem Grossen, der von Kappadokicn kommend in Kilikien eingedrungen ist und mit dieser Invasion den Weg in den Orient freigekämpft hatte. In die umgekehrte Richtung zogen gut iooo Jahre später die Muslime, mit dem Ziel, Konstantinopel zu erobern, die Hauptstadt des Oströmischen Reiches und das kulturelle Zentrum der «Rum», wie die Araber die Byzantiner bezeichneten. Dass die Araber vor den «Rum» grossen Respekt hatten, bezeugt der Koran mit der 30. Sure, die den Titel «Rum» trägt. Diese Sure beginnt mit den Worten, dass «die Rum im nahe gelegenen Land besiegt wurden». Diese Worte beziehen sich auf die Invasion der Perser, die den «Rum» im Jahre 613 Damaskus entrissen haben und im Jahr darauf Jerusalem. Knapp 50 Jahre später residierten in Damaskus die Umajjaden. Im Jahre 715 bestieg Suleiman den Kalifenthron, ein Mann, der sich schon als Jüngling geschworen hatte, Konstantinopel, al-Qunstantinijja, für Allah zu erobern. Noch im Jahr seiner Thronbesteigung licss er in Kilikien die Militärbastionen der «Rum» dem Erdboden gleichmachen. Dann befahl er dem erfahrenen Fcldherrn Maslama den Marsch auf Konscantinopel, Im Jahr 716 zog Maslama mit einer gewaltigen Streitmacht von Kilikien aus über die Pässe, über die einst Alexander der Grosse marschiert war, in Richtung Ägäis. Wie ver- schrcckte Hasen reagierten die byzantinischen Generäle. Erst am Goldenen Horn von Konstantinopel vermochten sie Maslamas Siegeszug zu stoppen. Seine Flotte, mit der er in den Hafen von Konstantinopel einzudringen gedachte, attackierten byzantinische Schiffe, die mit Flammenwerfern ausgerüstet waren. Uber die Araber ergoss sich das legendäre «griechische Feuer», eine Feuerwaffe aus Harz, Kalk und Schwefel, die wie Napalm wirkt. In diesem Feuer, das selbst Wasser
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  233. nicht zu löschen vermochte, verglühte die arabische Flotte. Nach dieser Niederlage musste Maslama auf Befehl des Kalifen abziehen, Suleiman war kurz zuvor verstorben, und der neue Kalif wollte kein weiteres Desaster riskieren. Konstantinopel, al- Qunstantinijja, konnte aufatmen. Der Hauptstadt der «Rum» war eine Atempause von exakt 736 Jahren vergönnt. Dann standen die Osmancn vor der Stadt am Bosporus und machten mit Konstantinopel und deren Einwohnern kurzen Prozess.
  234. Avcril Camcron und Lawrence I. Conrad (Hrsg.): The Byzanrmc and Early Islamic Ncar East. The Darwin Press, Princecon 1991 Ein Normannenspross
  235. Seit Menschengedenken zieht es die Nordlichter mit Kind und Kegel in den Süden, in unseren Tagen während der Ferien zu temporärer Weile, in früheren Zeiten aber auf Dauer. Die Römer staunten nicht schlecht, als zu Beginn des ersten vorchristlichen Jahrhunderts Völkerschaften mit Sack und Pack quasi aus dem Nichts auftauchten. Hätten die Kimbern und Teutonen, die Vorboten späterer Immigranten, die Alpen gleichzeitig überquert, wäre Rom vielleicht schon damals in die Hände von Nordlichtern gefallen. So aber war den Römern eine grosszügig bemessene Galgenfrist von rund 600 Jahren gegönnt. Klassische Nordlichter waren die Normannen, die Nordmänner also, jene Nachfahren der Wikinger, die im neunten Jahrhundert den Nordwesten Frankreichs, die heutige Normandic, besiedelten. Im elften Jahrhundert verliess ein Teil von ihnen die Normandie und zog - von der Sonne angelockt - nach Italien, wo sie sich im Kirchenstaat als Söldner verdingten. Unter Führung von Robert Guiscard entrissen sie den Byzantinern im Auftrag des Papstes Apulien und Kalabrien. Wer an der Südspitze Kala- briens steht, erblickt eine
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  237. Insel, die im Laufe der Geschichte viele Völker begehrt haben. Auf diese reiche Insel schielten auch die Normannen. Im Jahr 1072 eroberte Roberts Bruder Roger Palermo und beendete damit die arabische Herrschaft über Sizilien, Noch heute bezeugt die normannische Burg im Zentrum von Palermo von der Macht der neuen Herren, 1130 vereinigte Roger II. die zwei sizilianischen Fürstentümer zum Königreich Sizilien. Unter seiner Herrschaft erlebte Sizilien einen ähnlichen Aufschwung wie zu der Zeit, als die Araber das Land zum Blühen brachten. Palermo wurde zu einem ökonomischen und kulturellen Zentrum. Von weit her holte Roger II. Künstler und Gelehrte, um die Stadt zu einer Weltstadt zu machen.
  238. Unter diesem König herrschte in Palermo eine multikulturelle Koexistenz. In Eintracht lebten Araber und Juden, Griechen und Italiener. Ungestört beteten die Muslime in ihren Moscheen, die Juden in ihren Synagogen, die Griechisch-Orthodoxen in ihren Gotteshäuser und die Katholiken in ihren Kirchen. Alle Untertanen genossen die gleichen Rechte, und niemand wurde aufgrund seiner Religion oder seiner Rasse in die Ecke gestellt. Als Eroberer war Roger II. nicht gerade zimperlich. Er hinter- liess seinem Sohn ein Reich, das sich von Unteritalien bis Tunis und Tripolis erstreckte. Das Kronjuwel war Sizilien. Dieses Kronjuwel übernahmen 1190 die Staufer. Zur letzten Ruhe gebettet wurde Roger II. im Dom von Palermo, in dem auch der Staufer Friedrich II. bestattet ist. Bis zum heutigen Tag liegen diese zwei kongenialen Könige unter dem gleichen Dach in prächtigen Sarkophagen! Beide verstanden sich als Visionäre, die es sich zum Ziel gesetzt haben, eine Brücke zwischen Okzident und Orient zu schlagen.
  239. Hubert Houben: Roger II. von Sizilien - Herrscher zwischen Orient und Okzident. Wissenschaftliche Buchgesellschafr. Darmstadt 2011 Friedrichs Vision
  240. Reich an herausragenden Gestalten ist das 13. Jahrhundert, eines der interessantesten Jahrhunderte überhaupt. Sie alle überragt der Stauferkaiser Friedrich II., seines Zeichens auch König von Sizilien und Jerusalem, der in der arabischen Welt als «Stupor Mundi» (= Weltwunder) verehrt wurde, Als er in Castel del Monte, dem Wahrzeichen Apuliens, starb,
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  242. trug seine Leibgarde, bestehend aus arabischen Wachsoldaten, seinen Leichnam hinunter in die Basilicata, von wo ihn ein Schiff nach Palermo brachte. In der Kathedrale von Palermo fand Friedrich II. seine letzte Ruhe, in einem Marmorsarkophag in der rechten Seitenkapelle. Noch heute legen ihm seine Bewunderer tagtäglich Blumen auf das Grabmal.
  243. Unglaubliches vollbrachte dieser Herrscher, und von kühner Dimension war sein Lebensziel, das ihn bis zuletzt geleitet und sein Tun und Denken beseelt hat: Seine Vision von der Wiedererrichtung des Römischen Reiches, in dessen Grenzen Christen, Muslime und Juden eine gemeinsame Heimat finden und in Frieden zusammen leben sollten. Der Tod seiner Mitstreiter und sein vorzeitiger Tod beendeten diesen Traum.
  244. Als Friedrich König von Jerusalem wurde, schien sein Traum in Erfüllung zu gehen, zumal er sowohl in al-Mutassim, dem letzten Kalifen von Bagdad, als auch in Fakhreddin, dem Emir von Kairo, Freunde und Bewunderer seiner Ideen gefunden hatte. Fakhreddin war persönlich nach Palermo gereist, um sich vor Ort kundig zu machen. Er kam aus dem Staunen nicht heraus: Friedrich schricb und sprach fliessend Arabisch, beschäftigte sich intensiv mit den arabischen Wissenschaften, stellte Araber als Beamte und Wachsoldaten ein und förderte die muslimische Kultur. Emir Fakhreddin war fasziniert. Er und Friedrich träumten nun ge- meinsam von einem neuen Weltreich, in dem im Osten wie im Westen die religiösen Fanatiker zum Schweigen gebracht werden sollten.
  245. Allein, mit des Schicksals Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten: 1250 erlag Friedrich II. der Malaria. Fast gleichzeitig wurde Fakhreddin von Assassinen ermordet. Und acht Jahre später machte Hülägü, der Enkel von Dschingis-Khan, Bagdad dem Erdboden gleich und liess al-Mutassim auf elendigliche Weise hinrichten. Damit fanden kühne Ideen ihr blutiges Ende, und eine zivilisierte Welt, die von den Kalifen al-Mansur Abu Dschafar Abd Allah und Harun ar-Raschid begründet worden ist, war dem Untergang geweiht. In Stein gebannt ist Friedrichs Traum in Castel del Monte, in jenem achteckigen Turmbau, der 1240 nach seinen Plänen erbaut wurde. In der geheimnisvollen Architektur dieses Schlosses, das in der Nähe des schicksalsträchtigen Schlachtfeldes von Cannae steht, fand sein ausscrgewöhnlicher Gestaltungswille einen zeitlosen Ausdruck. In Castel del Monte ist das Träumen erlaubt! Vielleicht wird Friedrichs Vision eines fernen Tages doch noch Wirklichkeit?
  246. David Abulafia: Herrscher zwischen den Kulturen - Friedrich II. von Hohenstaufen. Siedler Verlag. Berlin 1991
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  248. Drei Kalifate
  249. Sizilien, das der Normanne Roger II. und der Staufer Friedrich II. ihr Eigen nannten, hatten Araber im Jahre 878 den Byzantinern entrissen, zu einer Zeit, als im Osten das Kalifat der Abbasiden mit Bagdad als Reichszentrum und im Westen das Kalifat der Umajjadcn mit Cordoba als Hauptstadt bereits gut 100 Jahre lang in Blüte waren. Die Umajjadcn herrschten über den Grossteil der Iberischen Halbinsel und über weite Gebiete Nordafrikas. Und die Abbasiden beherrschten ein riesiges Reich, das sich von Libyen über den Mittleren Osten bis zum Aralsee erstreckte und fast an die Ufer des Indus grenzte.
  250. Zwischen diesen zwei Gross-Kalifaten etablierten schiitische Ismailiten zu Beginn des zehnten Jahrhunderts im heutigen Tunesien ein drittes Kalifat: das Kalifat der Fatimiden. Um ihren Anspruch zu untermauern, den «wahren» Islam zu repräsentieren, beriefen sie sich auf Fatima, die Tochter von Muhammad. Am Ende des zehnten Jahrhunderts reichte ihr Kalifat von Marokko bis Damaskus und bis zu den westlichen Gebieten der Arabischen Halbinsel, und zwar dort, wo die Weihrauchstrasse verlief.
  251. Als die Abbasiden die sunnitische Form des Islam zur offiziellen Staatsreligion erhoben hatten, sind die schiitischen Fatimiden zum Heiligen Krieg aufgebrochen. Unter Führung von Dschau- har as-Saqili eroberten schiitische Krieger im Jahr 969 Ägypten. Vier Kilometer nördlich von Fustat errichteten sie nach dem Vorbild römischer Kastelle ein rechteckiges Militärlager. Vier Jahre später erhob der fatimidische Kalif Abu Tamin al-Muizz dieses Lager zu seiner Residenz. Sie bekam den Namen «al-Qahira al-
  252. Muizzija», zu Deutsch: «die siegreiche/unbezwingbare (Stadt) des Muizz».
  253. Schon bald hiess diese Stadt, die zur Metropole des Fatimi- den-Kalifats aufstieg, nur mehr «al-Qahira», das heutige Kairo, die Hauptstadt Ägyptens. Als in dieser Stadt die Moschee und Hochschule al-Azhar gegründet wurde, hat sich «al-Qahira» zu einem geistigen und geistlichen Zentrum entwickelt, das bis heute eine führende Rolle in der muslimischen Welt spielt. Düster hingegen sollte die Zukunft für Cordoba und Bagdad sein, für die zwei Hauptstädte des Umajjaden- und des Abbasiden-Kalifats. Sie fielen Invasoren zum Opfer, Bagdad im 13. und Cordoba im 15. Jahrhundert. Besonders schlimm erging es Bagdad! Im Jahre 1206 hat sich Dschingis Khan zum Oberhaupt aller Mongolen-Stämme ausrufen lassen. Unter seinem Kommando brach der berüchtigte Mongolensturm los, der Ost und West in Angst und Schrecken versetzte. An Grausamkeit noch iibertrofFen hat den Grossen Khan sein Enkel Hiilägü. Seine Aufgabe war es, das Abbasiden- Kalifat zu vernichten. Im Februar 1258 stand Hülägü vor den To ren
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  255. Bagdads. Mit seinem Erscheinen endete die 500-jährige Ära der Abbassiden.
  256. Gustav Edmund von Gruncbaum: Classical Islam - A History 600 AD to 1258 AD. Aldinc Publishing Company, Chicago 1970 Rückkehr in das Heilige Land
  257. Was sich zwischen 1096 und 12,91 im Zeichen der Kreuzzüge abgespielt hat, ist eine historische Hypothek, die immer noch das Verhältnis zwischen der christlichen und der muslimischen Welt belastet. Mit Blick auf diese Hypothek lassen Muslime, aber sogar Christen gerne ausser Acht, dass die Kreuzzügler durchaus legitime Ziele verfolgt haben, nämlich: die Rückgewinnung des Heiligen Landes, das bis in das siebte Jahrhundert, bis zur arabischen Expansion, ein zentraler Bestandteil der christlichen Welt war.
  258. Den Anstoss zu den Kreuzzügen gab ein Hilferuf aus Byzanz, den Papst Urban II. gerne aufgriff. Ein erster Volkssturm im Jahre 1096 unter Führung von Peter von Amiens verfehlte bei weitem das Ziel. Stattdessen verübte man nach alter Vätersitte Judenpogrome. Das Blatt wendete sich jedoch, als französische Ritter, unterstützt von süditalienischen Normannen, den Kreuzzug fortsetzten. Nachdem sie die strategisch wichtigen Städte an der syrischen Küste erobert hatten, nahmen die Kreuzritter am 15. Juli 1099 unter Führung von Gottfried IV. von Nieder-Lothringen Jerusalem ein.
  259. Als Muslime das syrische Edessa wieder unter ihre Gewalt brachten, rief Bernhard von Clairvaux zum zweiten Kreuzzug auf, der bereits auf dem Marsch durch Kleinasien scheiterte. Wenige Jahre später schlug die Stunde von Salah ad-Din Yusuf ibn Ajjub ad- Dawini, der unter dem Namen Saladin schon zu Lebzeiten zum Mythos wurde. 1175 wurde er zum Sultan von Syrien und Ägypten ernannt. Begeistert griff er einen Kampfruf auf, den der Statthalter von Mossul und Aleppo eine Generation zuvor erhoben hatte: den Aufruf zum Heiligen Krieg! Lauter und machtvoller schallte jetzt dieser Appell durch die arabisch- muslimische Welt. In kurzer Folge besiegte Saladin zwei Heere der Kreuzritter und marschierte 1187 als Triumphator in die Heilige Stadt ein, ohne den Einwohnern ein Haar zu krümmen!
  260. Der Fall von Jerusalem löste ein Jahr darauf den nächsten Kreuzzug aus, der jedoch nur zur Einnahme von Akko durch Richard L führte, der den legendären Beinamen «Löwenherz» trug. Und der Kreuzzug, den Bonifatius II. von Montferrat und der venezianische Doge
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  263. Enrico Dandolo im Jahre 1202 anstifteten, endete mit der Plünderung von Konstantinopel. Ubertroifen wurde diese Tragödie zehn Jahre später durch den verbrecherischen Kinderkreuzzug, dem Tausendc Kinder zwischen 10 und 15 Jahren zum Opfer fielen. Im Jahre 1228 machte sich der Stauferkaiscr Friedrich II. auf den Weg. Der Sultan al-Malik al-Kamil übergab ihm Bethlehem, Nazareth und Jerusalem, wo sich Friedrich zum König krönen Hess. Die Heilige Stadt ging aber schon nach 15 Jahren wieder verloren. Zum letzten Mal blies der Franzosenkönig Ludwig der Fromme in den Jahren 1248 und 1270 zum Kreuzzug. Beide Züge endeten in einer Katastrophe. Und 1291 fiel Akko, die letzte Festung, die noch in den Händen der Kreuzritter verblieben war.
  264. StuttgartAsbridge: Thomas 2011 Die Kreuzzüge. Klett-Cotta. Hiilägü
  265. Wer die Geschichte nicht durch den Panzerschlitz eines eurozen- tristischen Geschichtslehrers betrachtet, sondern aus einer Position, die das Abendland und das Morgenland als eine schicksalhaft vernetzte Einheit sieht, dem sticht das 13, Jahrhundert als eine epochale Zeit ins Auge - sowohl in wissenschaftlicher Hinsicht als auch aus weltpolitischer Sicht. Und nimmt man Orte ins Visier, dann ragt eine Stadt heraus, die damals alle anderen Städte an Kultur und Zivilisation überragte: die Weltstadt Bagdad.
  266. Von epochaler Bedeutung ist vor allem die Brücke, die der Emir von Kairo zwischen Bagdad und Palermo geschlagen hat: Die Allianz zwischen dem Abbasiden-Kalifen zu Bagdad und dem Staufer-Kaiser Friedrich II., seines Zeichens auch König von Sizilien, der in Palermo residierte - mit Blick in die muslimische Welt. Kaum war diese Brücke geschlagen, schlug das Schicksal zu: Friedrich II. erlag am 13. Dezember 1250 der Malaria, und der letzte Abbasidcn-Kalif wurde am 20. Februar 1258 auf Geheiss des Mongolen-Khans Hülägü, eines Enkels von Dschingis-Khan, in einen Teppich gerollt und zu Tode getrampelt. Mit seinem Tod ging nicht nur eine Weltstadt unter, sondern zudem eine grosse, bis heute unerfüllte Hoffnung!
  267. Der Sturm auf Bagdad begann am 3. Februar. Siebzehn Tage später war das Vernichtungswerk vollbracht! Der Historiker Raschid ad-Din hat der Nachwelt überliefert, dass Hülägü vor dem Angriff dem Kalifen folgende Botschaft überbringen licss: «Schleif Deine Mauern und füll Deine Gräben! (Falls nicht), führe ich meine Truppen voll Zorn nach Bagdad. Dann kannst Du Dich selbst im Himmel nicht vor mir verstecken! Ich werde keinen Menschen in Deinem Kalifat am Leben lassen und Deine Stadt der Fackel übergeben!»
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  270. Hülägii machte seine Drohung wahr: Hunderttausende Men- sehen - die Zahlen schwanken zwischen 200000 und 800000 - wurden niedergemetzelt. Und Bagdad wurde mit all seinen kulturellen Schätzen und architektonischen Meisterwerken niedergebrannt und dem Erdboden gleichgemacht. Unersetzliche Kulturgüter gingen für immer verloren, zumal die gesamte Literatur, die in den Bibliotheken verwahrt war. Ein Raub der Flammen wurden auch die unersetzlichen historischen Dokumente der Archive, die Zeugnis gaben von der muslimischen Kultur eines Zeitalters, das als «Goldenes Zeitalters» gerühmt wird. Selbst wenn es nur «silbern» war, war es doch dem damaligen Europa in jeder Hinsicht überlegen! Der Holocaust, den der Mongolen-Khan Hülägii verübte, hat der muslimischen Welt eine schwere Wunde geschlagen. Die Vernichtung von Bagdads hoch entwickelter Zivilisation war der Beginn einer fatalen Entwicklung. Sukzessive verwandelte sich die muslimische Welt in eine rückständige Gesellschaft. Und die Brücke, die man zwischen Orient und Okzident zu bauen begonnen hatte, lag in Trümmern! Bis zum heutigen Tag ist diese Brücke unvollendet geblieben.
  271. David Morgan: Publishing. Mongols. Blackwell The 2007 Oxford Osman
  272. Im Jahre 1301 machte ein Mann Schlagseilen, der das Gesicht der arabisch-muslimischen Welt von Grund auf verändern sollte. Der Name dieses Mannes liegt dem Namen eines Reiches zugrunde, das fast die gesamte arabische Welt und den halben Balkan inhaliert hat. Die Rede ist von Osman, dem Spross eines turkmenischen Stammes, der sich mit dem schönen Beinamen «al-Ghasi» (= der Eroberer) zierte. Zur Welt kam er in Bithynien, einer ehemaligen römischen Provinz an der anatolischen Schwarzmeerküste, wo byzantinische Statthalter seinen Grossvater mitsamt dessen Halbnomaden angesiedelt haben. Dessen Enkel Osman ernannte sich zum Sultan über das ererbte Territorium und ging als Osman I. in die Annalen ein. Fortan nannte man seine Untertanen Osmanen, und mit ihm beginnt die Geschichte der osmani- schen Dynastie.
  273. «Osman» ist die türkische Variante des arabischen Namens «Uthman», den der dritte Kalif, der Eroberer von Persicn, getragen hat. Vom arabischen Weltreisendcn Ihn Battuta weiss man, dass sich Osman aus Respekt vor dem Kalifen Uthman, der sein grosses Vorbild war, nicht «Osman», sondern «Osmancuk» nannte. Dieses türkische Diminutiv bedeutet so viel wie «kleiner Osman». Mit 43 Jahren, im Jahre 1301 christlicher Zeitrechnung, hat «Osmancuk» in Bithynien ein byzantinisches Heer vernichtend geschlagen. Mit seinen Nomadenhorden entriss er den Byzantinern das westliche Kleinasien und warf sie auf die Stadt Byzanz zurück, auf jene Metropole am Bosporus, die Kaiser Konstantin im vierten
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  275. Jahrhundert zur Hauptstadt des Oströmischen Reiches erhoben hat. Dieser Sieg über die Byzantiner läutete einen
  276. Triumphzug ein, der die Türken in den folgenden Jahrhunderten zwei Mal bis vor die Tore von Wien geführt hat.
  277. 1317 übertrug Osman den Oberbefehl über seine Nomadenhorden an seinen Sohn Orchan. Orchan baute das anatolische Sultanat, das sein Vater geschaffen hatte, zu einem Staatswesen aus und schuf eine straff organisierte Armee. Mit dieser Armee beginnt die eigentliche osmanische Expansion. Diese Expansion wurde 1402 vorübergehend gestoppt, als der mongolische Eroberer Timur osmanische Truppen in der Schlacht von Ankara besiegte. Diese Niederlage verschaffte Byzanz alias Konstantinopel eine letzte Galgenfrist. 51 Jahre später war es soweit: Die Osma- nen, allen voran die Janitscharen, stürmten Konstantinopel und beendeten mit diesem Sturm die Geschichte des Oströmischen Reichs. Aus der Hagia Sophia wurde eine Moschee, und Konstantino- pcl wandelte sich zu Istanbul. Die «Perle am Bosporus» avancierte zum politischen Mittelpunkt der islamischen Welt, die nun weitgehend unter osmanischer Kontrolle stand. Und die Araber, die der Willkür türkischer Paschas ausgesetzt waren, versanken für Jahrhunderte in Lethargie.
  278. Bernard Lewis (Hrsg.): Islam - From the Prophet Muhammad to the Capture of Constantinoplc. Oxford University Press, Oxford 1987 Türken vor Wien
  279. Den Höhepunkt seiner imperialen Machtentfaltung und den grössten Glanz an Prunk und Pracht erlebte das Osmanische Reich unter Sultan Stileyman II. mit dem Beinamen «der Prächtige», der von 1520 bis 1566 herrschte. Sein Ehrgeiz war es, als allseits gefürchteter Eroberer in die Geschichte einzugehen. Sü- leyman II. träumte davon, ganz Nordafrika und Andalusien zu erobern und Europa dem Islam zu unterwerfen! Nichts und nie mand schien seine Truppen aufhalten zu können. 1521 stürmte er Belgrad und fünf Jahre später besiegte er die Ungarn in der Schlacht von Mohacs. Der Weg nach Mitteleuropa war frei gekämpft. 1529 standen die Türken vor Wien!
  280. Schon Wochen bevor die Belagerung Wiens begann, hatten Janitscharen die Gegend um Wien grossräumig heimgesucht und Angst und Schrecken verbreitet. Solchen Terroraktionen zum Trotz musste Süleyman II. vor den Toren Wiens seine wohl grösste Schmach erleben.
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  282. Nicht zuletzt aufgrund widriger Wetterverhältnisse sahen sich seine Truppen gezwungen, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Die Wiener konnten aufatmen.
  283. Die Verschnaufpause dauerte 154 Jahre lang. 1683 standen osmanische Truppen erneut vor den Toren Wiens. Die zweite Türkcnbelagerung wäre um ein Haar zugunsten der Angreifer ausgegangen. Denn spät trafen die Entsatztruppen aus Venedig, Deutschland und Polen ein. Und so hätten es türkische Mineure beinahe geschafft, Wiens Befestigungsanlagen sturmreif zu sprengen. Dank sei Schwazer Bergknappen, die sich in Wien aufhielten und mit ihrem Know-how erfolgreich mithalfen, die Strategie der Türken zu vereiteln!
  284. Am Ii. September schlug für die Wiener die rettende Stunde. Am Kahlenberg erschienen die christlichen Truppen aus Venedig, Bayern, Franken, Schwaben, Baden, Hessen, Sachsen und Polen. Im Morgenrauen des 12. September begann der Angriff auf die türkischen Belagerer. Die Schlacht entschieden hat der polnische König Jan Sobieski, der mit seinen Flügelreitern vom Wienerwald her die Türken attackierte. Wien war zum zweiten Mal gerettet und zudem das Burgenland und Niederösterreich, die Länder um Wien, die von Janitscharen verwüstet worden sind. Osmanische Sturmtruppen haben sogar die Steiermark, Kärnten und Osttirol heimgesucht. Unter Führung von Prinz Eugen von Savoyen, der sich bereits mit 20 Jahren in der Schlacht am Kahlenberg ausgezeichnet hatte, führten die Habsburger den Krieg gegen die Türken fort. Drei Jahre nach der Errettung Wiens befreite Prinz Eugen Budapest vom Türkcnjoch. Und am 16. August 1717 besiegte er bei Belgrad eine türkische Armee und nahm die Stadt ein. Noch heute singt man zu seinen Ehren: «Prinz Eugcnius, der edle Ritter, hei, das klang wie Ungewitter weit ins Türkenlager hin! Er liess schlagen eine Brüggen, dass man kunnt hinüber rucken in die Stadt und Feste Beograd!»
  285. -Peter Mitschke: Das Kreuz und der Halbmond - Klaus
  286. Die Geschichte der Tür- kenkriege. Artemis & Winkler. Düsseldorf 2004 Ende einer Epoche
  287. Ausgerechnet an einem Sabbat, am 15. April Anno Domini 1492 erliessen Ferdinand und Isabella, die berühmt-berüchtigten Könige von Kastilien und Aragon, jenes schändliche Edikt, das die Vernichtung und Vertreibung des spanischen Judentums zum Ziel hatte. In diesem Erlass wurde angeordnet, dass «alle Juden und Jüdinnen, gleich welchen Alters, unsere Königreiche und Fürstentümer verlassen müssen bis zum Ende des Monats Juli!». Der
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  289. Erlass endete mit der Drohung: «Wenn sie unserem Edikt zuwiderhandeln, sollen sie zum Tode verurteilt werden!»
  290. Bei zeitgenössischen Chronisten ist nachzulesen, unter welch entsetzlichen Umständen die spanischen Juden, die sogenannten Scphardim, von denen viele schon seit der Römerzeit in Spanien lebten, zu Flunderttausenden aus dem Land flüchteten. Selbst Juden, die sich aus Verzweiflung taufen Hessen, die Conversos, waren ihres Lebens nicht sicher und endeten sogar in der dritten Generation auf dem Scheiterhaufen.
  291. Was war geschehen? Zu Beginn des achten Jahrhunderts hatten Araber die Iberische Halbinsel bis und mit Toledo erobert. Sowie ihr Besitzstand gesichert war, errichteten sie in Andalusien, im Süden Spaniens, drei prosperierende Fürstentümer: Cordoba, Sevilla und Granada. Angelockt von dieser neuen Welt zogen jüdische und muslimische Handwerker, Händler und Gelehrte nach Andaluz, zum Teil von weit her: von Damaskus und Bagdad und sogar aus Buchara. Agraringenieure verwandelten ödes Land in blühende Landschaften. Und es herrschte die Epoche der Convivencia, eine Art Goldenes Zeitalter, in dem Christen und Juden in Gemeinschaft mit den Muslimen ein gutes Leben hatten, sofern sie ihre Kopfsteuer entrichteten: Christen berappten die dreifache und Juden die fünffache Steuerquote.
  292. Im Rahmen der Reconquista, der Rückeroberung Spaniens und Portugals, kehrte der Katholizismus mit aller Härte auf die Iberische Halbinsel zurück. 1492 erreichte die Reconquista Granada, die letzte Bastion der maurischen Fürsten. Damit fand die Convivencia ihr blutiges Ende. Besiegelt wurde dieses Ende mit dem obgenannten Edikt der katholischen Herrscher, die zunächst die Eliminierung der Juden im Visier hatten. Zehn Jahre später wurden die verbliebenen Muslime, die weder geflohen noch der Reconquista zum Opfer gefallen waren, ebenfalls vor die Alternative gestellt: Taufe oder Exil! Wie zuvor die Juden blieben auch die meisten Muslime ihrer Religion treu und zogen das Exil der Taufe vor. 500000 Muslime suchten Schutz bei den Osmanen oder flohen nach Marokko. In Marokko leben bis zum heutigen Tag deren Nachfahren, und so manche Familie hü tet immer noch Dokumente aus der guten alten Zeit der Convi- venzia. Die Wunden eitern noch immer!
  293. Dcrck William Lomax: Die Reconquista - Die Wicdcrcroberung Spaniens durch das Christentum. Heyne Verlag. München 1980
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  296. Muhammad Ahmad alias Mahdi
  297. Auch die Wunden, die ein blutiger Krieg in den 8oer Jahren des 19. Jahrhunderts im Sudan geschlagen hat, schmerzen noch immer. Begonnen hat es mit einem Aufstand gegen die britischägyptische Kolonialpolitik, Den Aufstand führte ein Dörfler namens Muhammad Ahmad an, der sich schon bald als Imam Mahdi, als der lang ersehnte Messias der Muslime, umjubeln licss. Zwei Mal rieben er und seine «Mahdistcn» die Kompanien auf, die man in Marsch gesetzt hatte, um seiner habhaft zu werden. Das war der Demütigungen zu viele. Nun ging es richtig los!
  298. Anfangs Juni 1882 marschierte eine kampfstarke Division zum Berg Gcdir, wo sich Muhammad Ahmad und seine Gotteskrieger verschanzt hatten. Ohne den Tagesanbruch abzuwarten, stürmten die «Mahdisten» in der Nacht vor dem Angriff in das Lager der angerückten Truppen und rieben sie vollständig auf. Der Mahdi - so hiess es - sei dank Allah unbesiegbar, und gross war der Zulauf, dessen sich seine Streitmacht erfreute. Sechs Monate später eroberten die «Mahdisten» die Provinzhauptstadt El Obeid und erbeuteten eine grosse Menge an Waffen.
  299. Nachdem der britische Armeechef Evelyn Woods die Armee reorganisiert hatte, schickte er im September 1883 ein Heer von fast 15000 Mann unter dem Kommando von Oberst Hicks den Nil aufwärts, mit dem Befehl, die Provinzhauptstadt wieder unter die Gewalt der Regierung zu bringen. Bereits auf dem entbehrungsreichen Marsch dorthin verlor Oberst Hicks einen guten Teil seiner Leute. Am 4. November stand der glücklose Oberst vor El Obeid. Tags darauf wurde seine Streitmacht vernichtet, und die gesamte Ausrüstung fiel in die Hände der «Mahdisten». Den Tod fanden auch Hicks und der Gcneralgouverneur des Sudan. Und bald darauf kapitulierte der Gouverneur von Darfur, ein K.-u.- k.-Osterreicher namens Rudolf Slatin, den die Abenteuerlust in den Sudan gelockt hatte. Das Schlachten nahm kein Ende. Im Januar 1885 eroberten die Mahdisten Khartum. In ihrem Siegesrausch richteten sie ein ge- waltiges Blutbad an. Ein halbes Jahr später starb Muhammad Ahmad, der angebliche Imam Mahdi. Allah schien seine schützende Hand zurückgezogen zu haben. Zwar gelang den «Mahdisten» noch
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  301. manch spektakulärer Sieg, aber gegen die britische Militärmacht hatten sie auf Dauer keine Chance. Anfangs September 1889 schlug diese Militärmacht erbarmungslos zu. Unter dem Oberbefehl von General Kitchener standen bei Omdurman 8200 Briten, unterstützt von ägyptischen und sudanesischen Hilfstruppen, der zahlenmässig überlegenen Armee der «Mahdisten» gegenüber. Nur: Die Briten verfügten nicht nur über Kanonenboote und schwere Geschütze, sondern zudem über eine neue Wunderwaffe: über das Maschinengewehr! Das war das Ende der «Mahdisten». Michael Barthrop: Blood-rcd Dcsert Sand - The Invasion of Egypt and Sudan Cassell Military Trade Books. London 1882-98. 2002 Der deutsche Dschihad
  302. Am 18. Oktober 1898 besuchte Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser, auf seiner Reise nach Jerusalem den «kranken Mann am Bosporus», wie man den türkischen Sultan verächtlich nannte. Das Osmanische Reich lag bereits in Agonie, und auch die Macht des Sultans war zusehends im Schwinden. Als Gastgeschenk brachte Wilhelm ein Mauser-Gewehr mit, ein Spitzenprodukt deutscher Wertarbeit. Mit diesem Gewehr könne ein Soldat 15 Schuss pro Minute abfeuern, schwärmte der deutsche Kaiser. Sultan Abdülha- mid II. war begeistert. Die Achse Berlin-Istanbul war geschmiedet!
  303. Zwei Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs betätigte sich Max von Oppenheim, ein getaufter Spross einer jüdischen Banker-Dynastie, in Syrien als Ausgräber. Seine Ausgrabungen besuchte ein junger Archäologe namens Thomas Edward Lawrence, der als «Lawrence of Arabia» sein Todfeind werden sollte. Max von Oppenheim war nicht nur ein begeisterter Orientalist, sondern zudem ein deutscher Nationalist, als welcher er von einem Dschihad «made in Germany» träumte, mit dem Ziel, Engländer und Franzosen aus den arabischen Kolonien zu vertreiben und vor Ort die Reichsflagge zu hissen.
  304. Im August 1914 war es soweit! Singend zogen die Deutschen in den Krieg, unter Missachtung des zentralen Lehrsatzes von Clau- sewitz, dem zufolge bei einem Krieg nur der erste Schuss kalkulierbar ist. Max von Oppenheim fand Wilhelms Vertrauen. Dem deutschen Dschihadisten wurde in Berlin ein Stab von 60 Mann unterstellt, der als «Nachrichtenstelle für den Orient» firmierte. Und der Sultan rief - vom deutschen Kaiser ermutigt - zum
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  306. Dschihad auf. Unter Oppenheims Führung wurde der Suezkanal blockiert und eine Attentat-Serie auf anglofranzösische Stützpunkte durchgeführt. Bald verstummten die Siegesfanfaren. Die arabischen Kombattanten begannen, Oppenheim in den Rücken zu fallen - verführt von Feisal as-Saud, der davon träumte, die Türken zum Teufel zu jagen und die Herrschaft über die gesamte Arabische Halbinsel zu gewinnen. Diesen Traum zu erfüllen half Thomas Edward Lawrence, Unter seiner Regie wendete sich zwei Jahre nach Kriegsbeginn das Blatt zugunsten der Engländer. Mit britischer Hilfe attackierten arabische Freischärler die von den Deutschen erbaute Hedscha- und Bagdad- Bahn, die Lebensader der os- manischen Truppen. 1917 zogen die Engländer und Feisaig Reiter in Jerusalem ein. Das Osmanische Reich begann zu kollabieren. Ein doppeltes Spiel trieb der Geheimagent «Lawrence of Ara- bia». In seinen internen Berichten stellte Thomas Edward Lawrence die Araber wiederholt als nützliche Idioten dar. Und hinter dem Rücken der Araber teilten Engländer und Franzosen die arabische Beute unter sich auf. Auf dem Reissbrett zogen sie mit dem Lineal Grenzen, die gewachsene Kulturräume zerschnitten und ein Konfliktpotenzial schufen, das heute mehr denn je die Quelle für Unruhen ist.
  307. Guido Steinberg: AI Qaidas deutsche Kämpfer. Edition Körbcr-Stiftung. Hamburg 201+ Linien im Sand
  308. Bereits im Mai 1916, zu einer Zeit, in der noch an allen Fronten verbissen gekämpft wurde und der Ausgang des «Grossen Krieges» ungewiss war, haben der Brite Sir Mark Sykes und der Franzose François Georges-Picot ein geheimes Abkommen getroffen, in dem
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  310. sie den Nahen Osten, der immerhin noch zu einem gössen Teil unter der Herrschaft der Osmanen stand, wie Räuber unter sich aufteilten. Diese Aufteilung nahm weder auf ethnische noch auf kulturelle und historische Gegebenheiten die geringste Rücksicht. James Barr, der Autor des Buches «A Line in the Sand», klassifiziert dieses unsittliche Abkommen als «einen schamlos eigennützigen Pakt» - «schamlos eigennützig» selbst unter der Perspektive damaliger Spielregeln! Dass man auf Araber keine Rücksicht nehmen müsse und dass man mit ihnen nach Lust und Laune verfahren könne, hat der britische Geheimagent Thomas Edward Lawrence, der sich unter dem Ehrennamen «Lawrence of Arabia» als Befreier Arabiens feiern liess, in seinen internen Lageberichten wiederholt nach London gemeldet. Von Historikern gerne zitiert wird sein zynisches Statement: «Richtig behandelt, werden sie (= Araber) über das Stadium eines politischen Mosaiks nicht hinauswachsen, ein Gewebe kleiner, eifersüchtiger Fürstentümer, unfähig zum Zusammenhalt!» Mit stolz geschwellter Brust informierte Sir Mark Sykes das britische Kabinett über das Abkommen, das er mit seinem fran- zösischen Partner vereinbart hatte. In diesem Abkommen hatten sich der Brite und der Franzose darauf geeinigt, dass die nördlichen Gebiete an Frankreich und die südlichen Gebiete an Grossbritannien fallen sollen. Nun gelte es, eine Grenzlinie zwischen diesen Gebieten zu ziehen. Mit Blick auf eine Landkarte machte Sir Mark Sykes den Vorschlag: «Ich würde eine Linie ziehen, die vom <c> in Acre (= Akko) bis zum letzten <k> in Kirkuk reicht.» Der Vorschlag fand Zuspruch. Der letzte osmanische Sultan konnte nur mehr zusehen, wie sein Reich zerfiel. Nach dem Zusammenbruch des einst mächtigen Reiches wurde im Jahr 1920 die Beute offiziell aufgeteilt. Frankreich
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  312. erhielt die Herrschaft über ein Gebiet, das die Franzosen in Syrien und in den Libanon aufteilten. Und den Briten, die bereits über Mesopotamien, den heutigen Irak, bis zu den 01- feldern rund um Kirkuk geboten, wurde das Mandat über Transjordanien, das heutige Königreich Jordanien, und über Palästina übertragen, jenes Palästina, das gemäss der UNO-Rcsolution vom 29. November 1947 die Heimstätte für einen jüdischen und einen palästinensischen Staat sein sollte. Die Linien, die Briten und Franzosen auf dem Reissbrett gezogen hatten, lieferten in der arabischen Welt die Nahrung für Vcr- schwörungsthcorien. Viel schlimmer aber ist: Diese Linien sind explosive Bruchlinien. Explosionen mit langem Nachhall bescherte das Jahr 2014!
  313. James Barr: A Line in che Sand - Bricain, France and che Struggle that Shaped the Middle East. Simon 6c Schuster. New York 1012 Bewegte Zeiten
  314. Unter dem Schock, den der «Dreissigjährige Krieg» des zwanzigsten Jahrhunderts weltweit ausgelöst hatte, schworen die Vereinten Nationen hoch und heilig: «Nie wieder Krieg!» Kaum war der Schwur gesprochen, ging das Stechen und Hauen von neuem los. Ausgerechnet der Beschluss der Vereinten Nationen, das britische Mandatsgebiet Palästina zu teilen, um die Gründung des Staates Israel zu ermöglichen, führte zum ersten arabisch-israelischen Krieg, dem noch weitere folgen sollten und vermutlich noch folgen werden, 1954 begann der Algerien-Krieg, den die «Algerische Befreiungs-
  315. front» so lange führte, bis die französische Regierung nach acht Jahren des Mordens müde war und Algerien für unabhängig erklärte.
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  317. Bereits zwei Jahre nach Beginn des Algerienkrieges hatte Frankreich Marokko und Tunesien in die Unabhängigkeit entlassen. Im gleichen Jahr verstaatlichte Ägypten, dessen Armee 1952 König Faruk zum Teufel gejagt hatte, den Suezkanal, was zum Aufmarsch britischer und französischer Truppen führte. Israel nutzte die Gunst der Stunde und nahm am Suez-Krieg teil. 1964 wurde die «Palcstine Liberation Organization», die PLO,
  318. gegründet, mit dem Ziel, das «zionistische Gebilde» zu eliminieren, wie der Staat Israel in deren Sprache heisst. Dieses Ziel vermochte auch Jassir Arafat nicht zu erreichen, der fünf Jahre nach der Gründung zum Vorsitzenden der PLO gewählt wurde. All seine vollmundigen Ankündigungen endeten kläglich, nicht zuletzt deshalb, weil Israel 1967 im «Sechs-Tage-Krieg» den Gaza-Streifen, das Westjordanland, die Golanhöhen und die Sinai-Halb- insel erobert und besetzt hatte. Ein ähnliches Ziel wie die PLO verfolgte - bislang ebenfalls vergeblich - die 1969 gegründete «Organisation der Islamischen Konferenz», deren Statuten die Befreiung Jerusalems und die «Heimholung» der Aqsa-Moschce fordern. Während die Welt gebannt auf den Nahen Osten blickte, hatte in Europa die Einwanderung der Muslime auf breiter Front eingesetzt. Doch das Interesse galt anderen Problemen: 1979 wurde der Schah von Persien verjagt und die Islamische Republik Iran ausgerufen. Im gleichen Jahr marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein und entfachten einen Brandherd, der noch immer nicht gelöscht ist. Und von 1981 bis 1988 führten Iran und Irak einen Krieg, in dem Zigtausende von Jugendlichen in den Minenfeldern den Tod fanden. Und in den 90er Jahren kam es auf dem Balkan, im Südosten Europas, zu Gräueltaten, die man für nicht mehr möglich gehalten hatte. Nach dem Motto «Jeder gegen jeden!» wurde sieben Jahre lang gesengt und gemordet. Wie Vieh schlachteten serbische Killer
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  320. bosnische Muslime ab. Und kaum war das dritte Jahrtausend angebrochen, fielen in New York, in der Kapitale des Kapitalismus, die zwei Mega-Phalli des World Trade Centers, Amerikas ganzer Stolz, lichterloh brennend in sich zusammen. Allahu akbar! Rainer Traub (Hrsg.): Der Islam - Jahre Glaube, Krieg und Kultur. Spiegel- Verlag. 1400
  321. Hamburg 2010 Revolutionen
  322. Leidvoll ist nicht nur die Geschichte der Juden, leidvoll ist auch die Geschichte der Araber, deren Blütezeit im 13. Jahrhundert zu welken begann. Erinnert sei an das Katastrophenjahr 1258, in dem Hiilägü, der Enkel von Dschingis Khan, die Weltstadt Bagdad erobert und dem Erdboden gleichgemacht hat. Bagdad ging mit all seinen kulturellen Schätzen in Flammen auf. Hunderttausende Menschen wurden niedergemetzelt, und auf bestialische Weise kam der letzte Abassiden-Kalif zu Tode. Den Mongolen folgten machthungrige Turkvölker, und das heisst: Das Osmanische Reich nahm seinen Anfing, In knapp 60 Jahren unterjochten die Osmanen den Grossteil der arabischen Welt. Selbst der kleinste Dorfschulze, «Wali» genannt, hatte unumschränkte Macht über seine Untertanen. Zum Symbol dieser Willkürherrschaft wurde die Bastonadc. Für Jahrhunderte büssten die Araber ihre Identität ein. Zu schlechter Letzt brach der Erste Weltkrieg aus, der grosse Reiche zum Einsturz brachte und sowohl in Europa als auch im Nahen Osten die Grenzen radikal verschob. Als das Osmanische Reich zusammenbrach, übernahmen Briten und Franzosen die arabische Erbmasse. Nach Art von Herren- menschen errichteten sie staatliche Konstrukte, die keine gewachse- nen Fundamente haben. Schon Jahre zuvor hatte der Geheimagent
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  324. Thomas Edward Lawrence die Devise für eine derartige Politik ausgegeben: Divide et impera! Leicht seien die Araber zu beherr- schen. Man müsse sie nur in viele, sich gegenseitig belauernde Staaten aufteilen! Wer den Atem der Geschichte kennt, ahnte seit langem, dass die Staaten, die von Briten und Franzosen auf dem Reissbrett konstruiert wurden, eines Tages gewaltsam erwachen werden. Ein solches Erwachen erfolgte mit den arabischen Revolutionen, die von der «Jasmin-Revolution» in Tunesien ausgelöst wurden. Die blutigen Ereignisse in Tunesien, Ägypten und Syrien erinnerten manchen Geschichtswissenschafter an das Revolutionsjahr von 1789, in dem es aus deren Sicht ähnlich zu- und herging. Nach welchen Spielregeln funktionieren die arabischen Staaten, die von Revolutionen erschüttert worden sind? Eine Antwort weiss der Historiker Herfried Münkler, der Autor des «Grossen Krieges»: «Der Vorwurf der Korruption, der allenthalben im Rahmen der Aufstandsbewegungen gegen die Herrscher der Länder erhoben wurde, trifft den Kern der arabischen Ökonomie: ein System, in dem politische Macht notorisch zur Ansammlung wirtschaftlichen Reichtums genutzt wurde und wird, wobei die dem Volk vorenthaltenen oder abgepressten Gelder in das Privatvermögen der Herrschenden fliessen.» So war es auch anno 1789, und wie damals folgten der Revolution blutige Zeiten! Und lauter denn je erschallt das Feldgeschrei der Dschihadisten, die mit dem Koran in der Hand in den Heiligen Krieg ziehen. Peter Scholl-Latour: Arabiens Stunde der Wahrheit - Aufruhr an der Schwelle Europas. Propyläen Verlag. Berlin 2011
  325.  
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  327. Drittes Kapitel
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  329. Heilige Bücher Aach der Koran ist Menschenwerk Heilige Bücher
  330. Von Menschenhand und nicht mit der Hand eines Gottes ge- schrieben sind die Heiligen Bücher aller Religionen. Die Inhalte dieser Texte ausser Acht lassend, sei ein zeitgeraffter Blick auf die Entstehungsgeschichte der Heiligen Bücher der monotheistischen Religionen geworfen! Wie verlief die Genese des Talmud, der Bibel und des Koran? Der Talmud reifte in einem Zeitraum von rund 2000 Jahren! Die Ursprünge wurzeln in mosaischer Zeit, und zwar im Pentateuch, wie ihn die Thora kennt. Nach einer langen mündlichen Tradition begründeten jüdische Gelehrte um Rabbi Jehuda Hanassi Ende des zweiten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung die schriftliche Zertifikation. Ein weiterer wichtiger Meilenstein war der babylonische Talmud, der 300 Jahre später entstand. Und es sollten noch einmal Jahrhunderte vergehen, bis die endgültige Fassung der Sammlungen vorlag, die in ihrer Summe den Talmud, die Lehre und Belehrung der Juden, repräsentieren. Ebenfalls von langem Atem ist die Geschichte der Bibel, selbst dann, wenn man sich auf die Texte des Neuen Testaments be- schränkt. Jahrzehnte nach Jesus' Tod betrat der erste Evangelist die Bühne der Geschichte. In der Folgezeit tauchten immer neue Evangelien auf, die aus dem offiziellen Kanon verbannten Apo- kryphen, in denen etwa köstliche Anekdoten über die Kindheit von Jesus nachzulesen sind. Leider verschwanden diese Texte im Orkus.
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  332. Im vierten Jahrhundert hatte Kaiser Konstantin den Auftrag erteilt, aus 27 Versionen eine kanonische Fassung zu erstellen. Den Auftrag erfüllte Eusebius von Caesarea. Und dann vergingen noch einmal 1200 Jahre bis hin zum Konzil von Trient. Erst in Trient bekam das Neue Testament seinen letzten Schliff Datiert man die Anfänge der gesamten Bibel in das zwölfte vor- christliche Jahrhundert, so beläuft sich die Entstehungsgeschichte derselben auf 27 Jahrhunderte! Der Koran hingegen erblickte in relativ kurzer Zeit das Licht der Welt, sofern man den ideengeschichtlichen Vorlauf übergeht, der einerseits auf biblische Texte zurückgeht und der andererseits in der klassischen Antike, im Zoroastrismus und in den Traditionen der Stämme wurzelt, die entlang der Weihrauchstrasse siedelten, Angeblich sind dem Propheten Muhammad 114 Suren offenbart worden, aufgeschrieben hat er jedoch keine einzige, Das besorgten seine Zeitgenossen und vor allem seine Nachfahren, Auch hier gilt: Nur ein toter Prophet ist ein guter Prophet! Was würde etwa Jesus sagen, wenn er erführe, was man ihm nach seinem Tod so alles in den Mund gelegt hat?! Nun: Nach dem Ableben von Muhammad kamen mindestens acht Versionen des Koran in Umlauf. Nach bester Tyrannen-Manier landeten die «falschen» Versionen auf dem Scheiterhaufen, als der Kalif Uth- man im Jahre 653 jene Fassung redigieren liess, die circa 50 Jahre später als Vorlage für eine vorläufige Endfassung diente. Der Koran: Übersetzung von Rudolf Paret. Verlag W. Kohlhanimer. Stuttgart 1979 Gabriels Botschaften
  333. In der Stadt Wittenberg, in der Luther dem Katholizismus den Kampf angesagt hat, der noch immer nicht zu Ende gefochten ist,
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  335. fand anfangs 2012 ein denkwürdiges Treffen statt. Getroffen haben sich Schriftgelehrte von diesseits und jenseits des Mittelmee- res, mit dem Ziel, die Ontogenese von Bibel und Koran kritisch zu durchleuchten und gewisse Inhalte zu hinterfragen. Aus Kairo angereist kam Muhammad Schamas, ein angesehener Gelehrter an der berühmten Azhar-Universität. Und aus Beirut kam Professor Stefan Leder, der Direktor des dortigen Orient-Instituts. Dass die Bibel nicht vom Himmel gefallen, sondern in einem langen Zeitraum entstanden ist, gehört seit Jahrhunderten zum Basis-Wissen aufgeklärter Christen. Wie bereits erwähnt, bekam das Neue Testament erst am Konzil zu Trient seinen letzten Schliff. Und datiert man die Anfänge des Alten Testaments - analog zur jüdischen Tradition - in das zwölfte vorchristliche Jahrhundert, dann addiert sich eine Entstehungsgeschichte von über zweieinhalb Jahrtausenden! Gut Ding braucht Weile! Dass auch der Koran nicht vom Himmel fiel, ist jedoch eine Einsicht, die selbst bei gebildeten Muslimen häufig auf Ablehnung stösst. Denn unter Missachtung wissenschaftlicher Erkenntnisse berufen sich Imame in ihrer Lehrtätigkeit auf die geheiligte Über- lieferung, und überliefert ist: Als Muhammad im Jahre 610, im Alter von 40 Jahren, auf dem Berg Hira ob Mekka betete und meditierte, sei ihm der Erzengel Gabriel erschienen. Gabriel habe ihm, der zunächst seinen Sinnen nicht trauen wollte, eine erste Offenbarung vermittelt, und zwar die ersten fünf Verse der 96. Sure, der Sure «des sich Anklammernden». Diese Verse lauten: «Lies im Namen Deines Herrn, der erschaffen hat! Er erschuf den Menschen aus einem <sich Anklammernden) (= Wurzel oder Samentropfen), Lies und gütig ist Dein Herr, der mit dem Schrcib- rohr gelehrt hat! Er lehrte den Menschen, was er nicht wusste.» In den folgenden Jahren seien dem Propheten immer wieder Verse
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  337. und Suren offenbart worden, die er auf Tierhäuten und Palmblättern niederschreiben liess. Er selbst war ja Analphabet. Als der «Gesandte Allahs» starb, habe er ein stattliches Konvolut an Aufzeichnungen hinterlassen, die der Länge nach angeordnet wurden. Diese Anordnung habe die 114 Suren des Koran ergeben, deren Wortlaut Silbe für Silbe dem Propheten zu verdanken sei. Soweit die herrschende Uberzeugung frommer Muslime. Dass diese Darstellung in das Reich der Mythen gehört, weiss die Forschung seit langem. Immerhin: Laut Stefan Leder seien Muslime, die in Europa aufgewachsen sind, zunehmend bereit, dem Wissen der Forschung wenn nicht Glauben, so doch Gehör zu schenken. Leders Wittenberg-Fazit: «Der Streit geht quer durch das islamische Lager!» Das ist eine verheissungsvolle Nachricht!
  338. Hazrat Mirza Masroor Ahmad (Hrsg.): Koran - Der Heilige Qur'än. Arabisch und Deutsch. Verlag Der Islam. Frankfurt a.M. 2006 Qurän
  339. Im 185. Vers der zweiten Sure heisst es: «(Es ist) der Monat Ramadan, in dem der Koran als Wegweiser für die Menschen und als deutliches Zeichen für diese Wegweisung und als Orientierungshilfe herabgesandt worden ist.» Diese Frohbotschaft wiederholt sich mehrfach. Die 97. Sure spricht von «al-lailat al-qadri», von «der Nacht des Schicksals», in der die koranische Offenbarung begonnen habe. Eröffnet wurde sie mit den ersten fünf Versen der 96, Sure. Der frommen Überlieferung zufolge habe der Erzengel Gabriel in einer Nacht des Monats Ramadan des Jahres 610 diese Verse dem Propheten Muhammad in einer Höhle oberhalb von Mekka offenbart. Die Schlüsselwortc der fünf Verse sind «qara» (= lesen) und
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  341. «qalam» (= Schreibrohr). Das Verbum «qarä» liegt dem Nomen «qurän» zugrunde, das «Lesung» bedeutet. Und der vierte Vers der 96. Sure betont, dass Allah höchst persönlich «al-qalam», das
  342. Schreibrohr, geführt habe. Ergo ist nicht nur jedes Wort, sondern jeder Buchstabe sakrosankt. Am Wahrheitsgehalt solcher Bot- schaften zu zweifeln ist Muslimen nicht erlaubt. Das befiehlt bereits der zweite Vers der zweiten Sure. Den Koran vorzutragen bzw. vorzusingen war seit jeher Aufgabe der Imame, die hohes Ansehen gemessen. Heutige Imame können ausserhalb des arabischen Sprachraums den Koran häufig nur in Form auswendig gelernter Textpassagen rezitieren, ohne deren Be- deutung wirklich zu verstehen. Sind sie jedoch der arabischen Spra- che mächtig und in der Lage, den Koran im Original zu lesen, so mangelt es mitunter am Textverständnis. Lesehilfen bieten deutsche Philologen, deren Akkuratesse seit Jahrhunderten geschätzt wird. Zu Recht geschätzt wird Hartmut Bobzin und dessen Koran- übersetzung. Zum einen baute er eine Brücke zwischen zwei Extremvarianten deutscher Koranübersetzungen, und zwar zwischen der Übersetzung von Friedrich Rückert und der von Rudolf Parct. Zum anderen war er bemüht, sinngetreu zu übersetzen und diese Übersetzung in eine Sprache zu kleiden, die dem Ori- ginal-Ton gerecht wird. Das ist kein leichtes Unterfangen. Und aufschlussreich sind seine Kommentare, die dem Leser das Verständnis der Texte erleichtern. Gegliedert ist der Koran in 114 Suren. Die Gliederung unterliegt nicht einem chronologischen oder einem thematischen Prinzip, sondern einem formalen Grundsatz. Das eigentliche Corpus Coranicum beginnt nach der Eröffnungssurc mit «as-suratu al- baqarati» (= die Sure der Kuh). Diese Sure, die keine Kuh, sondern das «Goldene Kalb» anspricht, ist mit ihren 286 Versen am längsten.
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  344. Der «Kuh» folgen die restlichen Suren, die sich zunehmend verjüngen. Die letzten 13 Suren bestehen im Schnitt nur mehr aus fünf Versen. Diese Einteilung erfolgte nach Muhammads Tod, und niemand vermag zu sagen, was die Schriftgelehrten, die den Koran komponierten und redigierten, dazu bewogen hat, keiner thematischen oder chronologischen Linie zu folgen.
  345. München Bobzin: Harcmuc ioio Der Koran. Verlag C.H. Beck. Einstieg in den Koran
  346. Wer den Koran zur Hand nimmt, stösst gleich in der ersten Sure auf zentrale Glaubensbotschaften. Die sieben Verse der Eröffnungssure lauten: «Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Erbarmers. Lobpreis sei Allah, dem Herrn der Welten, dem Barm- herzigen, dem Erbarmer, dem Herrscher über den Tag des Jüngsten Gerichts (= <al-jaum ad- dini>)! Dir allein dienen wir und bei Dir allein suchen wir Zuflucht. Weise uns den Weg, den rechtleitenden, den Weg derer, denen Du gewogen bist, und nicht derer, denen Du zürnst und die auf dem Irrweg sind!»
  347. Das wichtigste Leitmotiv der Eröffnungssure verbirgt sich hinter dem Begriff «din». Dieser Begriff wird gerne mit «Religion» übersetzt, eine Ubersetzung, die nur teilweise zutreffend ist. Denn «din» hat nichts mit dem lateinischen «religere» (= immer wieder lesen) zu tun, mit dem Verb, von dem sich das Nomen «religio» ableitet. Vielmehr bezeichnet «din» die Kernfragen der Religion, zumal das Jüngste Gericht. Wie ein roter Faden durchzieht die Beschwörung von «din» in der Bedeutung des Jüngsten Gerichts den Koran und ebenso «al- jaum ad-dini» (= der Tag des Jüngsten Gerichts).
  348. Die Botschaft der ersten Sure leitet über zur zweiten Sure, die mit einer klaren Ansage beginnt: «Dies hier ist das Buch, in dem es keinen Zweifel gibt!». Diese Sure trägt den Titel «Die Kuh», ein Titel, der viele verwirrt. Es handelt sich jedoch um keine Kuh, sondern um das Goldene Kalb der Bibel. Von besonderem Interesse sind die Verse 177 und 185, in denen gleich fünf Zentralbe- griffe versammelt sind: «birra» und «qibal», ferner «huda», «baijina» und «furquan». Der Vers 177 beginnt mit den Worten: <«Al-birra> (= die Haltung, in der sich der Glaube ausdrückt) besteht nicht darin, dass ihr Eurem Gesicht die <qibal> (= Blickrichtung) nach Osten oder Westen (= die
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  350. ursprüngliche Blickrichtung) gebt, sondern darin, dass man an Allah glaubt und an den jüngsten Tag und an die Engel und an das Buch (= Koran) und an die Propheten ... und dass man die Gebete verrichtet und Steuern zahlt.» Diese Con- fessio schliesst mit dem Gebot: «O Ihr, die Ihr glaubt! Vorgeschrieben ist Euch die Blutrache bei Mord: ein Freigelassener für einen Freigelassenen, ein Knecht für einen Knecht, eine Magd für eine Magd!» Und im Vers 185 heisst es, dass der Koran zu den Menschen kam «als <huda> (= Wegweiser) und als <baijina> (= deutliches Zeichen) für die Wegweisung und als <furqän>». «Furqan» ist eine Art normativer Ethik, welche die Hauptgebote umfasst, die ein Moslem befolgen sollte. Gefordert sind das Glaubensbekenntnis und die fünf täglichen Gebete als Ausdruck der Gottesfurcht, ferner soziale Tugenden und «al-hadsch», die Pilgerfahrt nach Mekka, bzw. «al- umra», der rituelle Marsch zur Kaaba. Annemarie Schimmel: Der Koran - Einleitung und Anmerkungen. Verlag Philipp Rcclam, Stuttgart 1991 Göttliche Verse
  351. Von Allah höchstpersönlich in Umlauf gebracht sind nach der herrschenden Meinung gläubiger Muslime alle Verse des Koran, selbst jene, in denen es alles andere als göttlich zu- und hergeht. Von diesen Hass- und Fluchversen wird noch zu sprechen sein. Ihnen stehen Verse zur Seite, die das Prädikat «göttlich» verdienen. Solche Verse bietet bereits die zweite Sure. Als Beispiel zitiert sei der 255. Vers: «Allah, es gibt keinen Gott ausser ihm! Er, der Lebendige, der Beständige! Ihn übermannt weder Schlummer noch Schlaf. Sein ist, was in den Himmeln und was auf der Erde ist. Er weiss all das, was
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  353. vor und hinter ihnen (= die Erdlinge) ist, und nichts erfassen sie von seinem Wissen ausser das, was er will. Und seine Allmacht (wörtlich: sein Thron) erfüllt die Himmel und die Erde, und es ist für ihn keine Mühe, beides zu behüten. Und er ist der Hohe, der Gewaltige!» Reich an poetischen Bildern ist der Lichtvers der 24. Sure, «as- suratu an-nüri» (= die Sure des Lichts): «Allah ist das Licht der Himmel und der Erde! Ein Gleichnis für sein Licht ist eine Nische, in der eine Lampe ist. Die Lampe ist in einer Flasche. Und die Flasche gleicht einem hell leuchtenden Gestirn, das von einem segensreichen Baum, einem Ölbaum, entflammt worden ist, weder vom Osten noch vom Westen her; sein Öl leuchtet, selbst wenn es kein Feuer berührt hat! Licht über Licht! Zu seinem Licht führt Allah, wen er will. Und Allah prägt Gleichnisse für die Menschen. Und Allah weiss über alles Bescheid!» Von grosser Bedeutung sind für Muslime auch die Schlussverse der 36. Sure, «as-suratu Ya Sin» (= die Buchstaben J und S): «(Der Ungläubige) spricht: <Wer belebt denn die Gebeine, und zwar die, die schon zerfallen sind?!) Sprich: «Wiederbeleben tut sie der, der sie von Anfang an erschaffen hat!?» Sollte er, der die Himmel und die Erde erschaffen hat, nicht in der Lage sein, dass er ihresgleichen (= Menschen) erschafft?! Er ist ja der erhabene Schöpfer. Falls er etwas begehrt, muss er es nur anordnen, indem er zu ihm (= das Begehrte) sagt: <Werde!> Dann wird es! Deshalb sei gepriesen, in dessen Hand die Herrschaft über die gesamte Welt (wörtlich: jegliches Ding) liegt und zu dem ihr zurückkehrt!» Zu guter Letzt sei die 109. Sure gewürdigt, die den Titel «as- suratu al-käfirün» (= die Sure der Ungläubigen) trägt. Sie ist die einzige Sure, in der expressis verbis zur Toleranz aufgerufen und den Ungläubigen, den Christen und Juden, nichts Böses angedroht wird: «Sprich: O Ihr Ungläubigen! Ich verehre nicht, was Ihr verehrt. Und
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  355. Ihr verehrt nicht, was ich verehre. Und ich bin kein Verehrer dessen, was Ihr verehrt. Und Ihr werdet nicht verehren, was ich verehre. Euch sei Euer Glaube und mir mein Glaube!» Diese Verse seien in Allahs Ohr gelegt und denen ans Herz, die vom Wahn umgetrieben sind, Allah einen Dienst zu erweisen, wenn sie «Ungläubige» ins Jenseits schicken! Zirker: Der Koran - Zugänge und Lesarten. H AU S Wissenschaftliche Buchgcscll- schaft. Darmstadt 2007 Sammelsurium
  356. Nach offizieller Glaubenslehre habe Allah bei der Abfassung des Koran höchst persönlich den «qalam», das Schreibrohr, geführt oder seinem Propheten Muhammad über das Medium Gabriel wissen lassen, was dessen Skribenten niederzuschreiben haben. Das Heilige Buch der Muslime versteht sich bis heute als eine von Allah offenbarte Schrift. Mit dem, was sich in Wirklichkeit ab' spielte, hat eine solche Lehre wenig zu tun. Schon zur Zeit, als Muhammad zu predigen und Schreibern zu diktieren begann, wurden Stimmen laut, dass das Sammelsurium, das er zum Besten gab, nicht von Gott stammen könne, sondern aus jüdischen, persischen, christlichen oder altarabischen Traditionen entlehnt ist. Solch kritische Stimmen werden im Koran mehrfach zitiert, wie zum Beispiel im 103. Vers der 16. Sure: «Und uns ist gewiss bekannt, dass sie sagen, dass Menschen (und nicht Allah) ihm (= Muhammad) all das lehren. Die Sprache dessen, auf den sie sich beziehen, ist eine fremde, aber diese Sprache (im Koran) ist die reine arabische.» Apropos «arabisch»: Die zwölfte Sure beginnt mit den Worten: «Dies sind Verse des sternenklaren Buches. Siehe: Wir haben es herabgesandt als einen arabischen Koran, damit Ihr (die Verse des Buches) versteht!» Und ausserdem sei es nicht wahr, dass
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  358. Muhammad «äsatiru al- äwalina» (= Ammenmärchen aus alter Zeit) verbreite. Wer könnten die Menschen sein, die Muhammad lehrten, was er in seinen Predigten und in seinen Weissagungen verkündet hat? Koranwissenschafter sind sich einig, dass Muhammad vieles von dem aus Persien stammenden Rabbiner Abdallah ibn Salam gelernt habe. Überliefert sind zudem Berichte, in denen man sich auf Zeitzeugen aus Mekka beruft. Die einen berichten von einem christlichen Schmied, der Muhammad die erbaulichen Geschichten gelehrt habe, die sich um Jesus ranken. Und andererseits beruft man sich auf einen gelehrten Sklaven, der fähig gewesen sei, die überlieferten Schriften zu lesen, und der den Propheten in diese Texte eingeweiht habe. Dass Muhammad jüdische und christliche Schriften aus eigenem Vermögen eingesehen hat, darf man ausschliessen, da er der Uberlieferung zufolge des Lesens und Schreibens nicht mächtig war. Manch Interessantes dü rfte er auf seinen Geschäftsreisen gehört haben, die er, ein erfolgreicher Händler, vor seinem 40. Lebensjahr unternommen hatte. In Syrien könnte er einiges über die Lehre des persischen Propheten Zoroaster erfahren haben. Vieles von dieser Lehre findet sich im Koran wieder. Das wesentliche Gedankengut stammt wohl von jüdischen und christlichen Gruppen, mit denen Muhammad in Mekka und Medina Kontakt hatte. Und vieles schöpfte er auch aus der mündlichen Tradition seiner Väter. Wer immer die Rolle des Erzengels Gabriel gespielt hat: Es waren Menschen und keine überirdischen Wesen!
  359. Mahmoud Abu-Shuair: Mohammed als historische Gestalt - Das Bild des Islam- Propheten bei Rudi Paret. Disserta Verlag. Hamburg 2013
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  361. Viele Väter
  362. Brotlos, aber schön und lehrreich ist die Philologie. Seit Genera- tionen gehören in dieser Zunft Briten und Deutsche zur Weltspitze. Seit Generationen auch nehmen britische und deutsche Philologen den Koran unter die Lupe. Dass der Koran nicht nur in «reinem Arabisch» geschrieben ist, wie dies von ideologisch verblendeten Schriftgelehrten der muslimischen Welt unter Berufung auf Allah bis zum heutigen Tag wider besseres Wissen behauptet wird, ist seit langem bekannt. Seit langem schon weiss die Zunft der Philologen, dass der Koran aufgrund der vielfältigen Einflüsse, die zu seiner Entstehung geführt haben, viele sprachliche Väter hat. Der britische Philologe Arthur JcfFery hat aus dem Koran die wohl grösste Anzahl an Wörtern herausgelesen, die nicht arabischen Ursprungs sind. Die meisten Lehnwörter stammen aus dem Syrischen, einer Sprache, die von Christen in Syrien und Mesopo- tamien gesprochen wurde, und mit der auch arabische Händler, zu denen Muhammad zählte, vertraut waren. An zweiter Stelle stehen Lehnwortc aus dem Aramäischen, aus dem Hebräischen und aus dem Persischen. Ferner bevölkern den Koran Worte aus dem Griechischen, aus dem Lateinischen, aus dem Koptischen, aus dem Nabatäischen und aus südarabischen Dialekten. All diese Sprachen haben im Koran ihre Spuren hinterlassen und sogar koranische ZentralbegrifFe beigesteuert. Aus dem Griechischen stammt eines der wichtigsten Worte des Koran: «qalam», der griechische «kalamos», mit dessen Hilfe Allah die Menschen gelehrt habe, was sie nicht wussten, wie es zu Beginn der 96. Sure heisst. Immerhin sind diese Verse die erste
  363. Offenbarung. Und die 68. Sure ist gar dem «qalam» gewidmet und beginnt mit den beschwörenden Worten: «Beim Schreibrohr und bei dem, was sie (= die Verfasser des Koran)
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  365. aufzeichnen!» Und dem Syrischen ist das Verb «aslama» (= niederwerfen, sich unterwerfen) entlehnt, ein Verb, das dem Verbalsubstantiv «Islam» zugrunde liegt. Welches Wort könnte diesen Begriff übertreffen? Ferner lernte Muhammad in Syrien den Begriff «hanif» kennen, dem er in der arabischen Sprache eine neue Bedeutung gab: ein Monotheist, ein Mensch, der nur an EINEN Gott glaubt! Aus dem Syrischen bzw. aus dem Aramäischen stammt ferner das wichtige Wort «aja» (= Zeichen), das im Koran die Bedeutung von «Vers» angenommen hat! Die längste Sure, die zweite Sure, besteht aus 286 «ajat» und die kürzeste, die 103. Sure, aus drei «ajat». Aramäischen respektive hebräischen Ursprungs sind zwei weitere Zentralbegriffe: «rabb» (= Herr) und «zakat» (= Almosen). Im Koran wird Allah durchgehend als «rabb» angesprochen. Und «zakat» ist die Steuer, die zu entrichten für einen Gläubigen zu den religiösen Grundpflichten zählt. Man darf die Frage stellen, was vom Koran übrigbliebe, würden aus ihm alle Lehnwörter eliminiert!
  366. Christoph Luxenberg: Die syro-aramäischc Lesart des Koran - Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache. Schiller Verlag. Bonn 2007 Uralte Quellen
  367. Dass der Koran - wie alle Heiligen Bücher - Menschenwerk und nicht vom Himmel gefallen ist, wird von keinem historisch gebildeten Menschen bezweifelt. Der Koran ist ein vielschichtiges Werk, in dem Ägypter und Griechen, Juden und Christen, Syrer und Perser ihre Spuren hinterlassen haben, ganz zu schweigen von all den Stämmen, die auf der Weihrauchstrasse zwischen Sana und Petra ihr Wesen trieben. Würde man den 114 Suren des Koran all die Töne entlocken, die aus alten Zeiten nachklingen, könnte man mit diesem Erbe unschwer ein Buch füllen. Für das vorliegende Buch genügt es, einen exemplarischen Blick auf einige Quellen zu werfen! «Also sprach Zarathustra», heisst es bei Nietzsche. Zara- thustra alias Zoroaster war ein persischer Religionsgründer aus der Frühzeit des ersten vorchristlichen Jahrtausends, der den Inbegriff eines Propheten darstellte. Schon Zoroaster forderte von seinen
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  369. Anhängern, dass sie sich fünf Mal pro Tag zum Gebete niederwerfen, mit Blickrichtung zu jenem Berg, wo das Feuer des Obergottes Mihr loderte. «Gott ist gross!», jubelten die Gläubigen, «und Zoroaster ist sein Prophet!» Als Farbe der Erlösung galt ihm das Grün. Im Zeichen dieser Farbe werde eines Tages der Prophet aller Propheten kommen, dem unbedingter Gehorsam zu leisten sei. All das und noch einiges mehr gebietet «fur- qan», ein Katalog von Geboten, die bereits in der zweiten Sure thematisiert und aufgelistet werden. Aus persischen Traditionen entlehnt ist auch das Paradies. Im altpersischen «paradaida» habe Gott den ersten Menschen aus Erde erschaffen. «Adam» bedeutet «Erde». Diese Etymologie und diesen Schöpfungsmythos lehrt auch der Koran. Um von Persicn zum iMittclmccr zu blicken: In die griechisch-ägyptische Götterwelt taucht ein, wer das koranische Paradiesgärtlein betritt. Was erwartet gläubige Männer im Paradies? Schöne Jünglinge, die sie bedienen und deren Becher reihum füllen (Sure 52, Vers 24), und grossäugige Jungfrauen vom Aussehen erlesener Perlen (Sure 56, Vers 22 und 23), deren Anzahl auf 72 steigen kann, wie es die Ha- dithen, eine Sammlung von Legenden und Geschichten rund um Muhammad, verheissen! Die grossäugigen Frauen erinnern an die kuhäugige Göttin des alten Ägyptens, deren glanzvolle Augen Eingang in den griechischen Götterhimmel finden sollten: «Kuhäugig» nannte etwa Homer die Göttermutter Hera. Die schönen Jünglinge wiederum erinnern an den Lustknaben Ganymed, der dem Göttervater Zeus als Mundschenk und auch sonst zu Diensten war. Und die Begehrlichkeiten vom Aussehen erlesener Perlen sind vermutlich nicht die sagenhaften 72 Jungfrauen, sondern weisse Trauben, bestückt mit je 72 üppigen Beeren, so gross wie «erlesene Perlen»! Von einer derartigen Labsal konnten Wüstensöhne nur träumen. Einfach himmlisch!
  370. Carsten Polanz: Der Koran - Quellen und Auslegung. Verlag für Theologie und Religionswissenschaft. Nürnberg 2011 Leute des Grabens
  371. Die 85. Sure, «as-suratu al-burüdschi» (= die Sure der Sternbilder), bietet einen mikroskopischen Einblick in eine weit zurückliegende
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  373. Quelle. Die Sure beginnt mit der Beschwörung «des Himmels, der Sternbilder und des festgesetzten Tages» (= das Jüngste Gericht), Und dann, im vierten Vers, heisst es: «Wehe den Leuten des Grabens!», und zwar eines Grabens, in dem ein Feuer lichterloh lodert. Am Rande des Grabens sitzen diese «Leute» und warten darauf, in das Feuer gestossen zu werden als Strafe dafür, dass sie gläubigen Muslimen Böses angetan haben, aus dem nichtigen Grund, weil diese Allah verehrten, dem Himmel und Erde Untertan sind. «Deshalb - so belehren die folgenden Verse - wartet auf sie die Strafe der Hölle und die Strafe, verbrannt zu werden. Jene aber, die (an Allah) glaubten und Gutes verübten, erwartet der Garten (Eden), den allerorts Bäche durchfliessen.» Fantasievoll ausgemalt und variantenreich darstellt sind die Beschreibungen der jenseitigen Welt, der himmlischen ebenso wie der unterirdischen Welt der Höllenglut. In ihrem Kern aber haben diese Bilder eine lange Geschichte - wie alle Welt- und Men- schenbilder, die der Koran vermittelt. Doch zurück zum vierten Vers der 85. Sure, der von «den Leuten des Grabens» berichtet. Dieses seltsame Bild findet sich bereits in den berühmten Text- rollen von Qumran, die 1947 von einem beduinischen Hirtenjungen per Zufall entdeckt worden sind. Verfasst wurden diese Schriften von den asketisch lebenden Essenern, die sich in die unwirtliche Gegend am Toten Meer zurückgezogen haben, um ungestört ihre Studien betreiben und ihr Sektendasein führen zu können. Dass diese streng gläubigen Asketen von Frauen nicht viel und Steinigung bei sexuellen Vergehen für angemessen hielten, passt in das Gefüge ihres Weltbildes. Ein nicht unbedeutender Vermittler von Ideen für die koranischen Welt- und Menschenbilder dürfte auch ein Mann aus dem dritten Jahrhundert gewesen sein, der als ein Prophet auftrat, der jüdische
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  375. und christliche Traditionen und die Lehre von Zoroaster zu einer neuen Religion vereinigte. Die Rede ist von Manichaios, auch Mani genannt, dem Begründer des nach ihm benannten Ma- nichäismus. Seine Jünger, die bis China ausschwärmten, mussten ihre Gebete in Richtung Jerusalem verrichten, so wie es auch in der Frühzeit des Islam auf Geheiss von Muhammad üblich war. Mani, der mit 60 Jahren im Gefängnis eines gewaltsamen Todes starb, hinterliess sieben Hauptwerke, darunter «Das lebendige Evangelium» und eine Sammlung von Psalmen und Gebeten. Abgefasst sind diese Werke in seiner aramäischen Muttersprache. Der Cocktail an Ideen, den Manichaios gemixt hatte, inspirierte - allen Vernichtungsstrategien seiner Feinde zum Trotz - die Nachwelt, vermutlich auch die Autoren des Koran!
  376. Mohammed Mustafa al-Azami: The History of the Qur'anic Text, trom Rcvelation to Compilation - A Comparative Study with the Old and New Testaments. UK Islamic Academy. Leicester 2003
  377.  
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  379. Gott ist mit uns
  380. Spannend und aufschlussreich ist die Ideengeschichte des Koran, und gewiss ist, dass findigen Forschern noch manch überraschende Entdeckung gelingen wird. Das Nämliche gilt für die Entste- hungsgeschichte dieses Heiligen Buches, die ioo Jahre nach dem Tod von Muhammad noch lange nicht abgeschlossen war. Im frühen achten Jahrhundert soll ein Mönch aus Mesopotamien, dem die Existenz des Koran bekannt war, kundgetan haben, dass Muhammad noch andere Texte hinterlassen habe, darunter ein «kitab al-baqara», ein «Buch der Kuh». Es ist gut möglich, dass die zweite Sure, die längste aller Suren, die mit «Kuh» betitelt ist, ursprünglich ein eigenes Büchlein war, das man erst später in das Corpus Coranicum integriert hat. Das würde zumindest die ausser- gewöhnliche Länge der zweiten Sure erklären. Eine bemerkenswerte Entdeckung war dem Arabisten Gerd- Rüdiger Puin vergönnt. Zu Beginn der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts fanden Arbeiter in der Decke der ältesten Moschee von Sana, der jemenitischen Hauptstadt, siebzehn Leinensäcke mit alten Handschriften. Die gefundenen Texte und Fragmente entpuppten sich als die ältesten, weltweit bekannten Versionen des Koran. Welch eine Sensation! Die Fachwelt jubelte. Doch die jemenitischen Behörden erlaubten nur dem deutschen Forscher Gerd-Rüdiger Puin, einen flüchtigen Blick auf diesen Schatz zu werfen. Puin erkannte sofort, dass die Texte die These verifizieren, dass der Koran eine lange Entstehungsgeschichte hat und dass dessen Verfasser aus vielen Quellen geschöpft haben. Entsetzt reagierten die Behörden. Puin musste seine Arbeit einstellen, und die Handschriften kamen unter Verschluss. Es bleibt die Vorfreude auf den Tag, an dem die
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  382. Regierung des Jemens endlich die Erlaubnis erteilt, die Korantexte zu veröffentlichen und der Forschung zugänglich zu machen. Könnte man - ausgerüstet mit dem Wissen unserer Zeit - eine Zeitrcisc in das Todesjahr von Muhammad unternehmen und träfe man ihn noch lebend in Medina an, wäre einem das Vergnügen vergönnt, dem Propheten weit reichende Ausblicke in die Vergangenheit und in die Zukunft zu gewähren. Dass sich die Religion, die er gegründet hat, auf dem Weg zur Weltherrschaft befindet, dürfte ihn kaum überraschen. Das hatte er ja prophezeit! Vermutlich wäre er aber verblüfft, wenn er erführe, wie gross die Zahl seiner Vorläufer ist, die vieles von dem vorweggenommen haben, was er predigte. Nicht nur er, sondern auch Dschi- hadisten unserer Tage würden staunen, wenn sie etwa das «Buch Josua» zur Hand nähmen, um Schwarz auf Weiss nachzulesen, dass bereits der Heerführer Josua, der Nachfolger von Moses, zum Heiligen Krieg aufgerufen hat. Und schon der Prophet Daniel gab die Losung aus, die Muhammad und seine Nachfolger auf ihre Fahnen schrieben und schreiben: «Gort ist mit uns!» Karl-Heinz Ohlig und Gerd-Rüdiger Puin (Hrsg.): Die dunklen Anfänge - Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam. Verlag Hans Schiller. Berlin 2005
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  385. Kamel oder Kabel?
  386. Der dies schreibt, ist an den Suren und Versen des Koran vor allem aus philologischer und ideengeschichtlicher Sicht interessiert. Täglich liest er im Koran und täglich entdeckt er irgendeine sprachliche Köstlichkeit. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht erweist sich der Koran als ein unerschöpfliches Bergwerk, in dem zu schürfen immer wieder ein Vergnügen ist. Zu den kostbaren Nuggets, die ein Philologenherz höher schlagen lassen, zählt eine Metapher, die sich angeblich um Kamele rankt. Man nehme zunächst das Neue Testament zur Hand und blättere in den Evangelien bis zu der Stelle, wo der oft bemühte Satz steht, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr kommt als ein Reicher in den Himmel. Generationen von Schülern ist von unbedarften Katecheten weisgemacht worden, wie dieses schräge Bild zu interpretieren und zu verstehen sei. Eine der häufigsten Erklärungen lautet, dass ein kleines Tor in der Stadtmauer von Jerusalem «Nadelöhr» genannt worden sei, ein Türlein, durch das man nur in gebückter Haltung ein- und ausgehen konnte. In Wirklichkeit handelt es sich um einen Lapsus audiendi aut scribendi, um einen Hör- oder Schreibfehler, dessen sinnentstellte Version auch in den Koran Eingang gefunden hat. Nun nehme man den Koran in die Hand und blättere bis zur siebten Sure. Dort mahnt der 40. Vers: «Siehe: Jenen, die unsere Botschaft verleugnen und sich von ihr (verächtlich) abwenden, werden die Tore zum Himmel nicht geöffnet und sie werden erst dann ins Paradies eingehen, wenn das Kamel im Nadelöhr her- umzappelt!» Also nie! Typisch für das Aufgreifen tradierter Motive ist deren Weiterentwicklung, will heissen: Die Fantasie schlägt Purzelbäume. Während beim Evangelisten das «Kamel» durch das
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  388. Nadelöhr geht, lässt der Verfasser der siebten Sure das «Kamel» im Nadelöhr hin und her springen. Wie steht es um das angebliche Kamel? Eigentlich müssten Menschen deutscher Zunge mit einem Blick die Fehlschreibung erfassen; sie müssten nur die Worte KAMEL und KABEL betrachten. Haben Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, bereits eine Ahnung? Beide Worte hat das Deutsche aus dem Arabischen entlehnt: «gamal/dschamal» und «kabl/chabl» (= Seil). Der ähnliche Lautklang machte aus dem «kabl/chabl» ein «gamal/dschamal». Jetzt macht die Metapher Sinn; jetzt ist das Gleichnis stimmig: Eher rutscht ein Seil durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel. Noch viel köstlicher ist die Koran-Version. Jeder, der in letzter Minute einen Knopf anzunähen versucht, kennt das Phänomen: Man hat die grösste Mühe, den Faden in das Nadelöhr zu schieben, und man ärgert sich, wenn sich der Faden nicht bändigen lässt und aufgrund der Nervosität, die unter dem Zeitdruck entsteht, vor dem Ohr herumzappelt. Es funktioniert nur, «in schä'llah» (= wenn Gott will)! Sigfred Petersen: Kamelos. In: Exegetisches Wörterbuch zum NT, herausgegeben von Horst Balz und Gerhard Schneider. Band II. Verlag W. Kohlhammer. Stuttgart 1992 Nachtreise
  389. Intcrpretatorische Kunst und philologisches Geschick sind angesagt, wenn man sich mit koranischen Texten beschäftigt, in denen so manches Rätsel steckt. Ein solcher Text ist die 17. Sure, «as-suratu al- isra'ai», eine Sure, bei der bereits der Titel Rätsel aufgibt. Nach offizieller Lesart spricht der Titel eine «Nachtrcise» an. Das macht mit Blick auf den ersten Vers Sinn, eine «isra'ä» hat aber mit einer «Nachtreise» kaum etwas zu tun.
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  391. Zunächst ein Blick auf den ersten Vers: «Gepriesen sei der, der mit seinem Diener nachts unterwegs war von der hochheiligen Moschee (= die Kaaba zu Mekka) zur <masdschid al-aqsa> (= die fernste Moschee).» Schriftgelehrte, die eine Chronologie der Suren erstellt haben, verorten die 17. Sure in die Zeit der Hidschra, der Flucht des Propheten von Mekka nach Medina. Zu jener Zeit kann die «fernste Moschee» nicht die Al-Aqsa-Moschee zu Jerusalem gewesen sein, die neben dem berühmten Fclsendom liegt. Die «fernste Moschee» war wohl - von Mekka aus gesehen - ein Tempel oder eine Synagoge in Medina. Der erste Vers spricht demnach die Hidschra an und nicht die «miäradsch», Muhammads fiktive Reise von Mekka nach Jerusalem und von dort in den Himmel, eine Reise, die in den Hadithen nachzulesen ist. Noch heute streiten sich muslimische Theologen, ob diese Himmelfahrt nur mit der Seele oder auch mit dem Leib stattgefunden hat. Im zweiten und vierten Vers kommt man dem Rätsel des Titels möglicherweise auf die Spur. Diese zwei Verse sprechen die «bani isra'äil» (= Kinder Israels) an: «Und wir (= Allah) gaben Moses die Schrift und machten sie zur Leitung für die Kinder Israels.» Und: «Wir bestimmten für die Kinder Israels in (diesem) Buch: Gewiss werdet Ihr auf der Erde zwei Mal Unheil stiften und Ihr werdet Euch als mega-arrogant (wörtlich: anmassend gross) erweisen!» Ausführlich beschreiben die folgenden Verse, wie Allah die «bani isra'ail» für ihren angeblichen Hochmut bestraft hat. Angesprochen wird in diesen Versen vermutlich die Zerstörung von Jerusalem durch die Babylonier und die Verwüstung der Stadt und des Tempels durch die Römer. Über eine Nachtreise aber verliert die 17. Sure - abgesehen vom ersten Vers - kein weiteres Wort.
  392. Um auf den Titel zurückzukommen: Zu einer fantastischen «Nachtrcise» avancierte die Sure aufgrund der Auslegung anhand
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  394. der Hadithen. Aus dieser Sicht handelt es sich bei «isra'ä» um einen thematischen Transfer auf den Titel, den man nicht wirklich zu deuten wusste, der sich aber im ersten Vers im Verb «asra» widerspiegelt und eine solche Auslegung untermauert. Oder handelt es sich beim Titel «isra'a» um eine Verballhornung von «isra'ail»? So oder so: Die 17. Sure ist ein antijüdisches Dokument, auf das man immer wieder zurückgriff, wenn man den Juden an die Gurgel ging, und auf das man gerne verweist, wenn im Namen Allahs die Vernichtung Israels gefordert wird. Angelika Neuwirth: Der Koran als Text der Spätantikc - Ein europäischer Zugang. Verlag der Weltreligionen im Suhrkamp Verlag. Frankfurt a.M. 2011 Christi Geburt im Koran
  395. Unsere Evangelien sind ein Kanon von vier Texten, die von Euse- bios, dem «Vater der Kirchengeschichte», aus 27 Evangelientexten ausgewählt worden sind. Diese Kanonisierung brachte auf Dauer zum Verstummen, was als apokryphes Schrifttum denunziert worden und in der Versenkung verschwunden ist. Die Verfasser des Koran schöpften aus diesem Schrifttum und retteten manches Kleinod in den Koran, so auch die Geburt von Jesus. Die 19. Sure, «as-suratu Marijam», die der Mutter von Jesus gewidmet ist, berichtet in poetischen Bildern von ihrer Niederkunft:
  396. «O Johannes, berichte im Buch (= Koran) über Maria, als sie sich von ihren Angehörigen an einen östlichen Ort zurückgezogen und sich von ihnen abgesondert hat! Da sandten Wir Unseren Geist (= Erzengel Gabriel) zu ihr, und er erschien ihr als leibhaftiger Mann. Sic sprach: <Ich suche beim Barmherzigen Zuflucht vor Dir! (Berühre mich nicht), wenn Du gottesfiirchtig bist!> Er sprach: <Ich bin ein Gesandter Deines Herrn, um Dir einen edlen Sohn zu bescheren!) Sie sprach: <Wie soll ich einen Sohn bekommen, da mich kein Mann je berührt hat und ich unbefleckt bin?!» Er sprach: <So ist es! Dein Herr sagt: Das ist für mich kein Problem! (Ich tue das), um ihn für die Menschen zu einem Vorbild zu machen und zu einem Gleichnis für meine Barmherzigkeit! Das ist beschlossene Sache!» Und sie empfing ihn (= Jesus) und zog sich an einen entlegenen Ort zurück.
  397. Die Geburtswehen trieben sie an den Stamm einer Palme. Sie sprach: <Oh, wäre ich doch zuvor gestorben und wäre ich ganz und gar in Luft aufgelöst!» Da rief von unten eine
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  399. schüttlc Stimme: <Sei unbesorgt! Dein Herr lässt unter Dir ein Bächlein fliessen. Und nur den Stamm der Palme, dann wird sie frische, reife Datteln auf Dich regnen lassen! Iss also und trink und kühle (dein) Auge! Und wenn Du jemanden siehst, dann sprich: <Ich habe meinem Erbarmer Fasten gelobt, deshalb spreche ich heute mit niemand.) Sie trug ihn (= Jesus) mit sich und brachte ihn zu ihren Leuten. Sie sprachen: <0 Maria, Du hast etwas Befremdliches getan! O Schwester Aarons, weder war Dein Vater ein Taugenichts noch Deine Mutter eine Hure!> Da deutete Maria auf ihn, sie aber sprachen: <Wie sollen wir mit ihm reden, der doch ein Kindlein in der Wiege ist?!) Da sprach er (= Jesus): «Seht, ich bin ein Diener Gottes! Er hat mir das Buch gegeben und mich zu einem Propheten gemacht! Und er machte mich zu einem Gesegneten, wo immer ich auch sein mag, und er trug mir Gebet und Almosen auf, solange ich lebe, und gebot mir Liebe zu meiner Mutter. Und er hat mich weder gewalttätig noch niederträchtig gemacht. Und Friede war über mir am Tag meiner Geburt und Friede wird sein an meinem Todestag und am Tag, an dem ich wieder zum Leben erweckt werde.) So ist Jesus, der Sohn von Maria!» David Friedrich Megerlin: Die türkische Bibel oder des Korans allererste tcutsche Ubersetzung aus der Arabischen Urschrift. Johann Gottlieb Garbe. Franckfurt am Mayn 1772 Jesus im Koran
  400. Es ist kein Zufall, dass der Koran wiederholt und zum Teil aus- führlich über Isa ibn Marijam berichtet, über Jesus den Sohn Marias. Geburt, Leben und Tod von Jesus durchziehen den Koran von der zweiten bis zur 61. Sure. Denn Jesus gilt im Islam als ein bedeutender Prophet. Zwölf Mal wird Jesus im Koran in die Tradition der klassischen Propheten gestellt. Diese Tradition reicht von Moses und Abraham über Jesus bis hin zu Muhammad. Zitiert sei der 46. Vers der
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  402. fünften Sure: «Und in ihren Spuren (= die alten Propheten) Hessen Wir (= Allah) Jesus folgen, den Sohn von Maria, zur Bestätigung dessen, was schon vor ihm in der Thora war. Und Wir gaben ihm das Evangelium, worin Rechtleitung und Licht war, zur Bestätigung dessen, was schon vor ihm in der Thora stand, und als Rechtleitung und Ermahnung für die Gottesfürchtigen!» Freilich wird Jesus nicht als unsterblicher Sohn Gottes vorgestellt, sondern als «Allahs sterblicher Knecht», als ein Mensch, der wie Adam aus Staub geschaffen worden ist. Hingewiesen sei auf den 59. Vers der dritten Sure, in dem es heisst: «Siehe, Jesus ist vor Allah gleich dem Adam! Auch ihn erschuf er aus Staub!» Immerhin überragt Jesus seine sterblichen Mitmenschen, da er Wunder wirkt: Er heilt Blinde und Aussätzige und erweckt Tote zum Leben - «mit Allahs Erlaubnis!» Schon als Knabe lässt der Wunder wirkende Jesus seine Mit- menschen staunen. In die fünfte Sure Eingang gefunden hat eine rührende Geschichte, die einem apokryphen Evangelium entnom- men ist, die Geschichte vom Knaben Jesus, der aus Ton Spatzen formt, die davon fliegen, und das an einem Sabbat, an dem die
  403. Hände ruhen sollten! Als sein Vater von dieser Entweihung des Sabbats erfuhr, hätte er beinahe den kleinen Jesus verprügelt. Im iio. Vers der fünften Sure ist diese köstliche Geschichte auf einen Satz verdichtet: «O Jesus, Sohn der Maria, gedenke meiner Gnade, als Du mit meiner Erlaubnis aus Ton die Gestalt eines Vogels geformt und in sie hineingehaucht hast und sie mit meiner Erlaubnis zu einem (echten) Vogel wurde!»
  404. Vögel symbolisieren das Schicksal. Das Schicksal von Jesus hiess Kreuzigung. Im zweiten Jahrhundert war in Ägypten eine Schrift im Umlauf, die grosses Aufsehen erregte und unter den damaligen Christen für tumultartige Diskussionen sorgte. Diese Schrift kolportierte die Kunde, dass Jesus nur zum Schein gekreuzigt worden sei. Auch dies ist im Koran nachzulesen, und zwar im 157. Vers der vierten Sure: «Und sie sprachen: <Siehe, wir haben den Messias Jesus, Marias Sohn, den Gesandten Allahs, getötet!) Doch sie haben ihn weder getötet noch gekreuzigt, sondern es ist ihnen nur so erschienen!» Eine interessante Fussnote sei noch erwähnt: Unter Orientalisten wird die These
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  406. diskutiert, dass sich hinter Muhammad - der Name bedeutet der «Lobpreisende» - Isa ibn Marijam verberge! Die Befürworter dieser These berufen sich auf syro-ara- mäische Texte und auf eine Inschrift in einer Moschee!
  407. Peter Schäfer: Siebeck. Jesus im Talmud. Verlag Mohr- Tübingen 2007 Visionen
  408. Bereits die Eröffnungssure, «as-suratu al-fätihati», die jedem braven Moslem in Fleisch und Blut übergeht, spricht ein Hauptrhema des Koran an, nämlich: den Schicksalstag des Weltuntergangs und damit den Tag des Jüngsten Gerichts. Heftig werden die Darstellungen dieses Schicksalstagcs ab der 80. Sure. In immer neuen Bildern beschworen die Autoren des Koran die Visionen des Weltuntergangs. Das Grundmuster ist uralt: Die Sonne verfinstert sich, die Sterne stieben aus einander, der Himmel öffnet sich, die Erde bebt, die Berge stürzen ein, die Ozeane brodeln und aus ihren Gräbern steigen die Toten. Es lohnt, die 81. Sure, «as-suratu at-takwiri» (= die Sure der Verfinsterung), genauer ins Visier zu nehmen. Es beginnt in klassischer Manier: «Wenn die Sonne sich einhüllt; und wenn die Sterne verblassen; und wenn die Berge weggeblasen werden; und wenn die trächtige Kamelstute verlassen wird; und wenn sich wildes Getier zusammenschart; und wenn die Ozeane in einander schäumen; und wenn die Seelen zusammenfinden; und wenn das lebendig eingemauerte Mädchen gefragt wird, aufgrund welcher Schuld es zu Tode kam; und wenn die Blätter (Schriftrollen) verteilt werden, und wenn der Himmel weggezogen (aufgedeckt) wird; und wenn die Hölle angefeuert wird», dann weiss die Menschheit, welche Stunde geschlagen hat! Kurios ist, wie «moderne» Korangeichrtc diese Verse lesen. Da aus ihrer Sicht im Koran alles nachzulesen sei, was war, was ist und was
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  410. sein wird, interpretieren sie die 81. Sure als Vorwegnahme unserer Epoche. Und das geht so: Wegen der Luftverschmutzung verfinstert sich die Sonne, und aufgrund des nächtlichen
  411. Kunstlichts sieht man keine Sterne mehr. Ganze Gebirgszüge werden für den Strassenbau oder Erzabbau weggesprengt. Die Kamele fallen der Motorisierung zum Opfer. Wildtiere werden in Tiergärten kaserniert. Kanäle verbinden die Ozeane. Der globale Tourismus blüht. Die Scharia ist gültiges Recht geworden. Die Printmedien überschwemmen mit ihren Produkten die gesamte Welt. Die Geheimnisse des Himmels werden von den Astronomen aufgedeckt. Fazit: Weil dem so ist, öffnen sich die Tore der Hölle und des Himmels, will heissen: Der Jüngste Tag steht vor der Tür! Zurück zum Originaltext! Sowie die Visionen vom Weltuntergang ihren Höhepunkt erreicht haben, wird im 19. Vers der Prophet als Kronzeuge für diese Weissagungen angerufen. Der Anrufung folgen beschwörende Verse, die rührend zu lesen sind: Nein, der Prophet ist nicht meschugge und er leidet an keinen Halluzinationen! Er ist auch nicht vom Teufel besessen! Siehe: Am helllichten Tag hat er am Horizont den Erzengel Gabriel gesehen, der ihm all das geweissagt hat. Sollte jemand an derlei Prophetien zweifeln, kann er die Auserwählten, «die Allah nahe stehen», als Zeugen anrufen! Nur: Wie kommt man mit solchen Zeugen in Kontakt?!
  412. Muhammad Asad: Die Botschaft des Koran - Übersetzung und Kommentar. Aus dem Englischen von Ahmad von Denffer und Yusuf Kuhn. Patmos Verlag. Düsseldorf 2009 Die Poesie des Koran
  413. Wer sich primär mit der Sprache des Koran beschäftigt und seine Aufmerksamkeit weniger auf den Inhalt richtet, hat bei der Lektüre immer wieder seine helle Freude. Reich an Wortspielen, poetischen Wendungen und kunstvollen Formulierungen sind viele der 114 Suren. Diese faszinierenden Sprachkonstrukte können zwar dem Sinn nach übersetzt werden, die literarische Substanz geht jedoch in den Ubersetzungen weitgehend verloren. Es mangelt zwar nicht an löblichen Versuchen, wirklich überzeugend sind sie aber nicht. Haben arabische Schriftgelehrte Recht, die behaupten, dass der
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  415. Koran letztlich nicht übersetzbar sei? Freilich schwingt bei solchen Behauptungen ein ideologischer Vorbehalt mit: Allah habe das Arabische vor allen anderen Sprachen ausgezeichnet und für seine Mission erwählt, folglich sei es vermessen und ein törichtes Unterfangen, wolle man den Koran übersetzen. Als löbliches Unterfangen gerühmt wurde die Übersetzung von Achmad Milad Karimi, einem in Kabul geborenen Schriftsteller, der in Freiburg studiert hat. Und herausgegeben hat diese Übersetzung der Religionswissenschaftler Bernhard Uhde, der in Freiburg lehrt. In seiner Einführung rühmt Bernhard Uhde die hohe Qualität der Übersetzung. Achmad Milad Karimi sei es gelungen, in seiner deutschen Version den poetischen Zauber des Originals einzufangen und hörbar zu machen. Wirklich? Entsteht Poesie, wenn man «masdschid» (= Moschee) mit dem Wortmonstrum «Niederwerfungsstätte» übersetzt? Dieses unschöne Wort trifft wohl den Wortsinn, von einem poetischen Zauber ist aber nicht viel zu spüren. Entsteht Poesie, wenn man auch im Deutschen die Adjektivattribute dem Beziehungswort nachstellt, wie dies im Arabischen üblich ist? Wenn etwa «al-masd- schid al- aqsa» (= die fernste Moschee) als «die Niederwerfungsstätte, die fernste» übersetzt wird? Entsteht Poesie, wenn man den Koran absichtlich verfälscht, sprich: schön schreibt? Wenn man zum Beispiel «qatalahum allahu» mit «Gott bekämpfe sie (= Juden und Christen)!» übersetzt, wohl wissend, dass «qatala» nicht «bekämpfen», sondern «töten» heisst?! Oder handelt es sich auch hier um eine der vielen Fehlüber- setzungen, die der Poesie des Originals ebenfalls nicht gerecht wird? Eine haarsträubende Fehlübersetzung ist die Sinnentstellung des Titels der 85. Sure, «as-suratu al-burüdschi». Ahmad Milad Karimi übersetzt diesen Titel mit «Die Burgen». Nun: «Burdsch» kann
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  417. sowohl «Turm» als auch «Sternbild» bedeuten. Dieses zweideutige Wort bildet jedoch zwei völlig unterschiedliche Plurale: einerseits «abradsch» (= Türme) und zum anderen «burüdsch» (= Sternbilder). Die 85. Sure als Sure der «Türme (Burgen)» anstatt als Sure der «Sternbilder» zu übersetzen, ist eine peinliche Fehlleistung! Peinlich auch deshalb, weil die Sure mit einer Beschwörung des Sternenhimmels beginnt! Der Koran: Übersetzt von Ahmad Milad Karimi und herausgegeben von Bernhard Uhde. Verlag Herder. Freiburg 2009 Poetische Schwüre
  418. Wer einen Schwur tut, beruft sich dabei gerne auf eine höhere Macht, um seinem Schwur Nachdruck und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Schwurformeln beginnen in der Regel mit den Worten: «Ich schwöre bei...!» Zum Beispiel: «... beim Barte des Propheten!» Im Koran ist die Formel «Ich schwöre ...» mit dem alten Genitivus criminis verbunden, mit einem Genitiv, der im Arabischen mit der Zeit verschwunden, in der deutschen Sprache aber erhalten geblieben ist. Noch immer heisst es etwa im antiquierten Deutsch der Gerichtssprache: Er wurde des Mordes überführt oder sie wird eines Diebstahls bezichtigt.
  419. Wenn eine Sure mit einem Schwur beginnt, tritt an die Stelle des «Ich schwöre» häufig gleich der Genitivus criminis. Bei einigen dieser Suren sind die Schwüre in ein lyrisches Kleid gehüllt, und gerne beruft sich Allah bei seinen Schwüren auf die Schönheit dessen, das er erschaffen hat. Schön ist etwa eine Feige: «At- tin» (= die Feige) lautet der Titel der 95. Sure, die mit den Worten beginnt: «Bei der Feige und bei der Olive, und beim Berg Sinai, und bei dieser friedvollen Landschaft: Wir haben den Menschen gewiss in schöner Gestalt erschaffen. Dann verwandeln wir ihn in ein elendes Wesen, ausser jenen, die glauben und das Rechte tun. Denn für sie gibt es unbegrenzten Lohn!»
  420. Ein schönes Beispiel ist auch die 91. Sure, «as-suratu asch- schamsi» (= die Sure der Sonne): «Bei der Sonne und bei ihrem Strahlenglanz, und beim Mond, wenn er ihr folgt, und beim Tageslicht, wenn es (die Erde) enthüllt, und bei der Nacht, wenn sie sie verhüllt, und beim Himmel und bei dem, der ihn erbaute, und bei der Erde und bei dem, der sie ausgebreitet hat, und bei der Seele und bei dem, der sie vollendet und ihr ihre Schlechtigkeit und
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  422. ihre Gottesfurcht eingegeben hat: Gerettet ist, wer sie (die Seele) läutert, und verloren ist, wer sie verdirbt!» Mit ähnlichen Worten beginnt die folgende Sure, «as-suratu al-laili» (= die Sure der Nacht): «Bei der Nacht, wenn sie (die Erde) verhüllt, und beim Tageslicht, wenn es sie enthüllt, und bei dem, der Männlein und Weiblein erschaffen hat: Eure Bemühungen/Aufgaben sind gewiss grundverschieden!» Einen mehrdeutigen Titel trägt die 103. Sure, die aus vier kurzen Versen besteht. Der Titel lautet «al-äsr». Dieses Wort hat drei Hauptbedeutungen: «Zeitalter», «Zeitabschnitt» oder «Zeitpunkt» und «(früher) Nachmittag». Vermutlich ist die dritte Bedeutung gemeint, und zwar in einer speziellen Bedeutung, die noch niemandem aufgefallen zu sein scheint. Der frühe Nachmittag gilt nach alttestamentlicher Auffassung als «Stunde cier Dämonen», eine Auffassung, die dem Autor dieser Zeilen als Kind in einem Tiroler Bergdorf vermittelt worden ist. In diesem Sinne dürfte die 103. Sure zu lesen sein: «Bei der Stunde der Dämonen! Siehe: Der Mensch (befindet sich) gewiss im Zustand des Verderbens, ausser jenen, die glauben und das Rechte tun und sich gegenseitig zur Wahrheit anhalten und sich gegenseitig zur Ausdauer anhalten!» Hartmut Bobzin (Hrsg,): Der Koran in der Übersetzung von Friedrich Rückert, mit erklärenden Anmerkungen von Woltdietrich Fischer. Ergon Verlag. Würzburg 2000 Immer wieder lesen!
  423. Allgemein bekannt ist, dass der Begriff «Religion» lateinischen Ursprungs ist. Weniger bekannt ist, welcher Wortfamilie das lateinische Nomen «religio» angehört und was es in seinem ur- sprünglichen Wortsinn bedeutet. «Religio» ist nicht von «religare» abgeleitet, wie Schülern im Religionsunterricht gerne weisgemacht
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  425. wird. «Religio» setzt sich vielmehr aus dem Präfix «re» und dem Verbum «legere» (= lesen) zusammen. Zu einem Wort verbunden ergibt «re» und «legere» das Verbum «religere» und bedeutet «immer wieder lesen». Lies, lies, lies, so oft und so lange, bis das Wort Fleisch geworden ist, bis es in deinem Hirn inkar- niert ist! Um es auf den Punkt zu bringen: Auf Neudeutsch kann «religio» mit «brain-washing» übersetzt werden. Wie sagte Sigmund Freud so treffend? «Hinter jedem krummen Gedanken steckt ein krummes Neuron!» Krumm wird ein Neuron dann, wenn ihm ohne Unterlass die gleichen Worte eingeimpft werden, so lange, bis das Hirn gründlich gewaschen ist. Das Prinzip der Gehirnwäsche liegt allen Religionen zugrunde und nicht zuletzt dem Islam. «La illah illa'llah!» hören und murmeln brave Muslime von Kindesbeinen an. Die permanente Wiederholung erstickt jeglichen Zweifel und bricht den Willen zur Abwehr. Der Bedeutungshintergrund von «religio» ist der nämliche wie der von «qurán». Analog zum Nomen «religio», dem das Verbum «legere» zugrunde liegt, ist auch «qurán» ein Verbalsubstantiv, das vom Verbum «qarä» (= lesen) abgeleitet ist: Bedeutet «religio» so viel wie «Dauerlesung», so bezeichnet «qurán» eine Lesung. Es ist wohl kein Zufall, dass der allererste Vers, den Gabriel dem Propheten Muhammad im Jahre 610 eingeflüstert haben soll, ein Imperativ ist, mit dem die 96. Sure beginnt: «Lies im Namen deines Herrn!» Wie bereits dargelegt, wird der koranische ZentralbegrifF «din», der von der ersten Sure bis zur 109. Sure vielfach wiederkehrt, in der Regel mit «Religion» übersetzt, wiewohl diese zwei Worte grundverschiedene Bedeutungen transportieren, ja, der kurze Einsilbler «din» ist nicht einmal arabischen, sondern altpersischen oder gar altbaktrischen Ursprungs. Gesichert ist, dass «din» im Zendavesta mehrfach aufscheint, in einer Sammlung heiliger Schriften, die in der sogenannten Zendsprache abgefasst sind. Diese Sammlung enthält die Überreste der uralten Religionsbücher der Parsen, in denen die von Zoroastcr gegründete Religion ihren authentischen Ausdruck gefunden hat. Als eine der ältesten Religionsurkundcn der Menschheit gibt Zendavesta nicht nur Einblicke in das Vermächtnis von Zoroastcr, sondern auch in eine weit zurück liegende Zeit, in der ein «din», ein «Gericht», drakonische Strafen verhängt hat. Drakonische Strafen wird dereinst auch Allah, «al-maliku jaumi ad-dini» (= der Herrscher über den Tag des Jüngsten
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  427. Gerichts), verhängen!
  428. Jaya Gopal: Gabriels Einflüsterungen - Eine historisch-kritische Bestandsaufnahme des Islam. Übersetzt und herausgegeben von Fritz Erik Hoevcls. Band 5 der Reihe: Unerwünschte Bücher zur Kirchen- und Religionsgeschichte. Ahrim.m Verlag. Freiburg 2008 Lies!
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  430. Unter dem Titel «Der edle Qur'an - Die ungefähre Bedeutung in der deutschen Sprache» ist 1986 eine zweisprachige Ausgabe des Koran erschienen. Autor dieser fragwürdigen Ubersetzung ist Abu'r-Rida Muhammad ibn Ahmad ibn Rassoul, ein deutscher Staatsbürger ägyptischer Abstammung. Mittlerweile sind überarbeitete Ausgaben erschienen, deren «ungefähre Bedeutung» nach wie vor revisionsbedürftig ist. Im Rahmen der Aktion «LIES!» machte eine Neuauflage dieser koranischen Kampfschrift von sich reden, einer Schrift, deren Ubersetzung den Revisionen zum Trotz immer noch reich an Entschärfungen und an arabischem Gemurmel ist, das dem Leser einen Hauch von Mystik und somit eine Bedeutungsschwere vermitteln soll, die real nicht existiert.
  431. Dieses Wunderwerk wurde - den Salafisten sei Dank! - kostenlos verteilt, mit dem Ziel, Allahs Wort populär zu machen und möglichst viele Menschen für den Islam zu begeistern. Doch der Schuss der Aktion «Koran für alle!» ging nach hinten los. Hatte ein erzürnter Allah, der alles Sehende und alles Hörende, seine Hand im Spiel? Was zum Teufel ist geschehen?
  432. Auf öffentlichen Plätzen vieler Städte waren Stände aufgebaut, die sich unter der Last aufgetürmter Koran-Bücher bogen. Und auf mehreren Tafeln prangte in grossen Lettern das Motto der Aktion: «LIES!» Vorbeigehende Passanten wurden mit einem Koran und mit gut gemeinten Worten beglückt. Nicht alle Koran- Verteiler sprachen perfektes Deutsch. Unter ihnen waren auch arabische Salafisten, die sich mit Englisch behalfen. In dem Moment bekam «LIES!» eine neue, ungewollte Bedeutung. Man las «LIES!» nicht mehr als Imperativ zum Verbum «lesen», sondern als Plural zum englischen Nomen »lie»: «LÜGEN!» Der Koran eine Sammlung von Lügen! Mit dieser ungewollten Komik hatten die Veranstalter dieser unseligen Aktion nicht gerechnet.
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  435. Es hat lange gedauert, bis den dumpen Toren diese Komik bewusst geworden ist. Viel schneller war ihnen bewusst geworden, dass etliche der Zwangsbeglückten den Koran in der nächsten Mülltonne entsorgten. Welch ein Sakrileg! In der Schweiz hatte die Kamera eines TV-Reporters einen Eidgenossen ins Bild genommen, der den Koran mit den Worten entsorgte: «An söttigen Kaabes bruueh i nüüt!» Herzfrischend ist es, wenn gestandene Eidgenossen ihre Meinung oder ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Da könnte selbst ein Bayer noch manches lernen! Die kostenlose Verteilung der koranischen Kampfschrift erinnerte an die Verteilung von Hitlers «Mein Kampf». Da wie dort war der nämliche Fanatismus am Werk! Eigentlich Schade, dass die Aktion «Koran für alle!» vorzeitig eingestellt worden ist! Denn: Je mehr Menschen in den Koran Einblick nehmen - zumal dann, wenn er fragwürdig übersetzt ist -, desto mehr Menschen sollte ein Licht aufgehen!
  436. Muhammad Ahmad Rassoul: Die ungefähre Bedeucung des AI-Qur'an Al-Karin). Verlag Islamische Bibliothek. 3. Auflage. Düsseldorf 2013
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  439. Zauber der Fantasie
  440.  
  441. Das arabische Wort «hadith» bezeichnet eine märchenhafte Erzählung. Dieses Wort durchzieht den gesamten Koran: Kennst Du die Geschichte von diesem und jenem? Eine wichtige Ergänzung zum Koran sind die Hadithen, eine Sammlung von Erzählungen rund um Muhammad, der als Allahs Sprachrohr verehrt wird. Die Hadithen, die um das Jahr iooo fertig gestellt waren, sind Legenden, die - mutatis mutandis - den Evangelien gleichen. Von frommen Muslimen wird ihr Wahrheitsgehalt ebenso wenig angezweifelt wie das Evangelium von frommen Christen.
  442. Als bedeutungsvoll gelten jene Geschichten, die in Mekka angesiedelt sind, etwa die Offenbarungen, die der Erzengel Gabriel dem Propheten in der Höhle am Berg Hira ob Mekka zugeflüstert haben soll. Erstaunlich ist jedoch, dass im Koran der Name Mekka nur ein einziges Mal auftaucht, und zwar im 24. Vers der 48. Sure. Aber selbst an dieser Stelle wird Mekka nicht als eine Stadt angesprochen, angesprochen wird nur «das Tal von Mekka»!
  443. Karg und hart war das Leben der Wüstensöhne. Ein solches Leben war auf Dauer nur zu ertragen, wenn man sich einerseits an ausgedehnten Raubzügen und an blutigen Stammesfehden ergötzte und wenn man andererseits in der Fantasie Zuflucht suchte und Luftschlösser baute. Gerne vertrieben und vertreiben sich Araber ihre Zeit mit dem Erzählen schaurig-schöner Geschichten. Bis zum heutigen Tag gemessen Märchenerzähler in der orientalischen Welt grosses Ansehen, und andächtig lauschen die Zuhörer auf Basaren und in Teestuben deren Geschichten.
  444. Für Geschichten, die im Reich der Märchen spielen, kennt die arabische Sprache fünf Umschreibungen. Die zwei wichtigsten
  445. Bezeichnungen sind «hikaja» und «churafia». Dem Nomen «hika- ja» liegt das Vcrbum «haka» zugrunde, das «erzählen» bedeutet, und zwar im Sinne von «mündlich überliefern». Eine «hikaja» bezeichnet also mündliche Uberlieferungen, auf die das deutsche Wort «Mär» zutrifft. Mit diesem Wort beginnt etwa das Nibelungenlied: «Uns ist in alten Mären ...» Und das Nomen «churafia» ist vom altarabischen Verbum «charafa» (= ernten) abgeleitet. Das nämliche Verbum liegt dem Nomen «charif» (= Herbst) zugrunde. «Charif» bedeutet im wörtlichen Sinn «Erntezeit». Ein schönes Bild: Eine «churafia» gleicht einer reichen Ernte, in der die vielfältigen Früchte versammelt sind, die eine alte. Erzählkultur hervorgebracht hat. Zum Inbegriff orientalischer Erzählkunst wurde die schöne und kluge Königstochter Scheherazade, die sich freiwillig dem grausamen König Schahrayar auslieferte, der aus blinder Rache Nacht für Nacht eine Jungfrau töten liess. Scheherazade betörte den König mit
  446. 103
  447. Geschichten, die ihn so sehr faszinierten, sodass er jede Nacht eine weitere Erzählung hören wollte. Sic erzählte, und gebannt lauschte König Schahrayär!
  448. Claudia Ott: Tausendundeine Nacht, übersetzt anhand des ältesten bekannten Textes des Erzählers Muhsin Mahdi. Verlag C.H. Beck, München 2009
  449.  
  450. 104
  451. Khan von Persien
  452.  
  453. Märchenhaft sind nicht nur die Legenden der Hadithen oder die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, märchenhaft können auch die Geschichten sein, die das Leben schreibt. Eine solche Geschichte rankt sich um den aus Innsbruck stammenden Tiroler Albert Joseph Freiherr von Gasteiger zu Rabenstein und Köbach, den der persische Schah als ersten Europäer mit dem Titel «Khan von Persien» ausgezeichnet hat. Gemessen an den Verdiensten, die er in mehreren Jahrzehnten im Dienste von Schah Nasreddin erworben hat, ist diese Ehrung mehr als gerechtfertigt. Unter anderem baute Albert Gasteiger die Strasse, die vom Kaspischen Meer zum Städtchen Scheristanek führt, das vor den Toren von Teheran liegt. Diese Strasse, die nach der Landschaft benannt ist, durch die sie verläuft, ist die berühmte Mazenderan-Strasse. Sie überwindet in zahlreichen Serpentinen das über 3000 Meter hohe Schlangengebirge und durchbricht mit einem Tunnel eine schroffe Felspassage. Der Durchbruch des Tunnels, der dem Erbauer zu Ehren Gasteiger-Tunnel heisst, erfolgte am 15. Oktober 1865.
  454. Von kulturgeschichtlicher Bedeutung sind Gasteigers köstliche Reisebriefe aus Persien, die vom Leben der Menschen erzählen und die er zwischen 1861 und 1888 an die «Tiroler Schützenzeitung» schickte. Von Juni 1870 bis Jänner 1871 begleitete er den Schah auf dessen Wallfahrt über Bagdad nach Kerbela. Als sie in Bagdad eintrafen, war der Ramadan angebrochen:
  455. «Der Fastenmonat begann, und mit ihm die vorgeschriebene Nüchternheit des sündigen Volkes. Von Sonnenaufgang bis Untergang verbiethet das Gesetz den Genuss jeder Speise, jeden Trankes und das Rauchen, das Bad, den coitus. Nach dem
  456. Grundsatz: <qui dormit, non peccat>, schläft alles bis zum Einbruch der Nacht, dann wird geschwelgt, gezecht, gesungen, gespielt und in vollen Zügen das Versäumte nachgeholt bis zum nahen Morgen, wo noch für die folgenden 12 Stunden der Magen gestopft wird. Daher kommt es, dass gerade im Bussmonate mehr Frass, Völlerei und Unzucht getrieben wird als im ganzen Jahr, weshalb auch Diebstahl, Verarmung und Krankheiten die Folgen davon sind.» Ein solch lustiges Treiben schätzt der Koran nicht. Aber nach den Regeln des Koran verlaufen Eheschliessungen und Scheidungen: «Dem Vater der Braut wird die prompte Darangabe von so und so viel Geld und Gut versprochen, und nach getroffener Vereinbarung (wird) wie eine Katze im Sack, wie eine Waare das Mädchen dem Meistbietenden abgelassen. Die Scheidung ist nur Sache der Convention und eine pure Geldangelegenheit, die, einmal
  457. 105
  458. im Vorhinein geregelt, ohne Schwierigkeiten definitiv bewerkstelligt wird. Irgendein Mollah setzt den Akt auf, und mit Unterzeichnung der Zeugen ist alles endgültig abgemacht. Der Besitz von 4 Weibern ist die im Gesetz bewilligte Gränzc, unter dem Titel <Sighe> (Maitressen) kann man sich jedoch temporär beliebig viele Ehefrauen rechtskräftig antrauen lassen.» Also berichtete der Tiroler «Khan von Persien».
  459. Hieronymus Praxmarcr: Albert Gasteiger Khan (1823- 1890) - Reisebriefe aus Per- sien nach Tirol. Schlern- Schriften 359. Universitätsverlag Wagner. Innsbruck 2013 Bebilderte Koranverse
  460.  
  461. Dass Tiroler gerne singen und keine Kinder von Traurigkeit sind, war schon Friedrich Schiller bekannt. Unbekannt war ihm jedoch, dass Tiroler seit Jahrhunderten auf der Flucht vor der Armut durch ganz Europa zogen und ihre selbst hergestellten Waren - Filzhüte oder Lederhandschuhe - unter Gesang feilboten, wohl wissend, dass lustige Lieder Leute anlocken. In der heutigen Zeit entfliehen Tiroler nicht mehr der Armut, sondern der Enge ihrer Heimat. Gerne suchen sie Länder auf, die ihnen aufgrund hoher Gebirge vertraut sind, wie die Andenstaaten oder Tibet. Und magisch angezogen werden sie von Ländereien, in denen es immer noch so zu- und hergeht wie seinerzeit in Tirol: zehn Kinder und fünf Ziegen. Kurzum: Seit eh und je werden Tiroler - aller Heimatliebe zum Trotz - von Fernweh umher getrieben.
  462. Ein solcher Tiroler war auch Fritz Kortner. Eine seiner abenteuerlichen Reisen, die ihn nach Saudi-Arabien und in den Jemen führte, fand ihren Niederschlag in einem faszinierenden Bildband, dem ein berührendes Wort vorangestellt ist, das angeblich von Muhammad stammt: «Ein Araber ist einem Fremden nicht überlegen, noch ein Weisser einem Schwarzen. Nur ihre Güte erhebt die Menschen über andere Menschen.» Und eines der letzten Bilder zeigt eine arme, aber lachendc Beduinenfamilie, die ebenso gut in einem abgelegenen Tiroler Bergbauerndorf beheimatet sein könnte. Ein Koranvers kommentiert das Bild: «Allah wird sie vor dem Übel dieses Tages bewahren und Heiterkeit und Freude auf ihren Gesichtern glänzen lassen!»
  463. Durchgehend interpretieren Koranverse die eindrucksvollen Abbildungen. Einige dieser Impressionen seien erwähnt: Ein betagter Mann mit dem Koran auf dem Schoss: «Vorher wusstest du nichts von der Schrift und vom Glauben, welche Wir als ein Licht entzündet haben!» Ein alter Lehrer mit seinen Koranschülern: «Kommt heran, ich will euch vorlesen, was euch geboten und verboten ist!» Eine Beduinenfrau mit zerfurchtem Gesicht, deren
  464. 106
  465. Haupt von altem Silberschmuck umrahmt ist, und an ihrer Seite ein sitzender Greis: «Ich komme aus dem Saba-Land mit sicherer Kunde. Ich fand dort eine Frau, welche regiert und welche alles besitzt!» Ein Krieger mit Krummdolch, den Koran lesend: «Und Allah leitet mit seinem Licht, wen er will.» Eine Moschec, über der sich Wolken türmen: «Siehst du nicht, wie Allah die Wolken sachte fortbewegt, sie dann zusammenzieht und zu einem Haufen türmt?!» Kamele im Abendlicht: «Sie sind Euch eine Zierde, wenn Ihr sie des Abends heim treibt und des Morgens auf die Weide führt.» Ein Bild in der Mitte des Bildbands zeigt schön geschnitzte Türen, wie man sie auch in Tirol findet, und dazu einen Koranvers, der fast wortgleich auf so manchem Tiroler Bauernhaus prangt: «Wenn Ihr in ein Haus eintretet, dann grüsst einander im Namen Gottes mit einem gesegneten und liebreichen Gruss!»
  466. Fritz Kormer: Alt-arabische Träume - Pilgerreise in eine andere Welt und eine andere Zeit. Perlinger Verlag. Wörgl 1982 V IERTES K APITEL
  467. Monos Theos Wider die Götzendiener Gold und Gott
  468.  
  469. Der Seele des Menschen ist ein Zwillingsbcdürfnis eingeboren: das Streben nach Sicherheit und der Anspruch auf Gewissheit. Erschwerend kommt hinzu, dass hinter diesen Bedürfnissen existentielle Ängste schlummern, die seit je her manipuliert werden. Kaum eine andere Seelennot wird seit Menschengedenken ähnlich häufig missbraucht und ausgebeutet. Ein kurzer Blick in die Welt der Werbung genügt, um zu erkennen, wie skrupellos existentielle Ängste instrumentalisiert werden! Politiker, Anlageberater, Versicherungsagenten, sie alle beherrschen angeblich die Zukunft und versprechen ihrer Klientel eine gesicherte Existenz. Und über allen steht die Zunft der Propheten und Religionsstifter, die unter Berufung auf höhere Mächte absolute Gewissheiten vorgaukeln!
  470. Wer die Menschheitsgeschichte Revue passieren lässt, dem fällt auf, dass die zwei essentiellen Bedürfnisse, das Streben nach Sicherheit und die Sehnsucht nach Gewissheit, in allen Kulturen auf analoge Weise Ausdruck gefunden haben. Diese zwei Bedürfnisse haben sich einem dualen Prinzip verschrieben, das «Hoffnung» heisst. Von zeitloser Gültigkeit ist dieses duale Prinzip, das Gold und Gott repräsentiert! Gold verspricht die materielle
  471. 107
  472. Sicherheit, es sichert das irdische Fundament. Gold bleibt immer Gold, es behält seinen Wert allen Zeitläufen zum Trotz. Und Gott repräsentiert die ideelle Sicherheit, ja, er verheisst uns sogar ewiges Heil! Immer, wenn es kriselt oder wenn Menschen glauben, sie befänden sich in einer Krise, haben Gold und Gott Hochkonjunktur.
  473. Gott und Gold sind die zwei Fundamente, auf die das Menschengeschlecht seit Jahrtausenden vertraut. Sie verkörpern zudem
  474. sowohl ein philosophisches als auch ein theologisches Anliegen: die Konstruktion einer Letztbegründung! Weltmeister im Erfinden von Letztbegründungen sind Theologen, zumal muslimische Theologen, deren Botschaft so simpel ist, sodass sie jedermann begreift. Ihre Botschaft lautet: «La illah illa'llah!» Es gibt keinen Gott ausser Gott! Diese Letztbegründung vermag ein jeder nachzuplappern, und je öfter sie wiederholt wird, desto tiefer prägt sie sich ins Hirn ein. Und das Wort ist Flcisch geworden! Das Wort wird so lange internalisiert, bis es im Organismus der Gehirnzellen eingefleischt ist! Die koranische Letztbcgründung basiert auf einem Befehl, der den zehn Geboten voran gestellt ist: «Höre Israel, es gibt ausser mir keinen Gott»! Auch in dieser Hinsicht liegt das Copyright bei den Autoren des Alten Testaments respektive bei jenem unbekannten Gott, der die Urgcbote der Menschheit in die berühmte Steintafel eingcmeisselt haben soll, die Moses vom Berg Sinai hinunter in die Ebene zu seinem Volke gebracht hat.
  475. Manfred Schlapp: Ccrticudo et Securitas. In: TUMULT. Band 37. Schriften sur Verkehrswissenschaft, herausgegeben von Frank Böckelmann und Walter Seitter. Büchse der Pandora Verlag. Wetzlar 2010 Lob der Vielfalt
  476.  
  477. Wenn wir Menschen die Wunderwelt der Gestirne betrachten und in die Tiefen des Universums blicken, ahnen wir Dimensionen, die uns sprachlos machen. Kehren wir der Sprachlosigkeit den Rücken und stellen uns die Frage, was das Wort «Uni-Ver- sum» in des Wortes primärer Bedeutung besagt! Dieser Begriff bezeichnet Systeme, die auf EINEN zentralen Punkt hin ausgerichtet sind. Sooft vom Universum die Rede ist, stellt man sich - bewusst oder unbewusst - ein All vor, das auf EINEM Prinzip gründet. Dieses UNUM stellen sich die einen als ein kosmisches Zentrum vor, andere sehen in ihm EIN göttliches Wesen, EINE Ur-Sache oder EINEN Ur-Grund.
  478. Uni-versale Vorstellungen offenbaren ein archaisches Bedürfnis der Seele, das Bedürfnis, die Welt in ihrer Vielfalt auf simple Strukturen zu reduzieren und sich mit einäugigen Sicht- und Betrachtungsweisen zu begnügen. Die Begeisterung für einfältige
  479. 108
  480. Weltbilder ist in den tiefsten Tiefen unserer Psyche verwurzelt, und es wäre ein müssiges Unterfangen, den Menschen diese Passion austreiben zu wollen. Zu tief sitzt der Argwohn vor der Vielfalt.
  481. Einförmige Erscheinungen lösen allenfalls dort Abwehrreaktionen aus, wo sich Menschen der negativen Folgen der Einfalt aus unmittelbarer Anschauung bewusst sind und den Mangel an Vielfalt als bedrohlich wahrnehmen, etwa im Umfeld von Mono- kulturen: Uns alle erfreut der farbenfrohe Reichtum von Naturwiesen, und wen befällt beim Anblick endloser Plantagen kein Unbehagen? Wen vermag die Trostlosigkeit eines Barackenlagers zu ergötzen, wo uni-formierte Wesen ihr Unwesen treiben? Wer
  482. sich einen Rest an Sensibilität bewahrt hat, empfindet monokulturelles Einerlei als eine essentielle Bedrohung.
  483. Aber selbst sensible Naturen sind sich nicht immer der monokulturellen Bedrohung bewusst, die überall dort dräut, wo Monotheisten das Sagen haben und im Namen eines Monos Theos auftreten. Wer einem solchen Gott huldigt, hat für die Vielfalt numinoser Erscheinungen kein Sensorium mehr, Viel schlimmer jedoch ist: Monotheisten neigen dazu, die Menschheit anhand des unseligen Schwarz-Weiss-Schemas in gute und in böse Men- schen, in Freunde und in Feinde, in Gläubige und in Ungläubige einzuteilen. Und was die «Guten» mit ihren Mitmenschen, die sie als Ungläubige klassifizieren, so alles anstellen dürfen, ja, anstellen müssen, ist in den Fluch- und Hassversen vieler Koran- Suren nachzulesen. Die Einzig(artig)keit Allahs wird in der 112, Sure besungen, «fi as-surati al-ichlasi» (= in der Sure tiefsten Glaubens): «Sprich: Er ist der Eine Gott! Allah, der Ewige (Unwandelbare). Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt. Und niemals wird jemand ihm gleichen; er ist in jeder Hinsicht einzigartig)!» Wer denkt bei diesen Worten nicht an «Schma Jisrael!»?
  484. Oswald Loretz: Des Gottes Einzigkeit - Ein altorientalisches Argumentationsmo- dell zum «Schma jisrael». Wissenschaftliche Buchgescllschaft. Darmstadt 1999 La illah illa'llah
  485.  
  486. Befragt, wer das Copyright auf den Monotheismus habe, gibt fast ein jeder die spontane Antwort: Das auserwählte Volk! Die Kinder Israels! Das klingt zwar überzeugend, doch die Antwort ist falsch. Widerwillig haben die Kinder Israels anfänglich das Konstrukt eines Monos Theos angenommen, wie sowohl im Pen- tateuch als auch in der zweiten Sure des Koran nachzulesen ist. Als sich Moses auf den Berg Sinai zurückgezogen hatte, tanzten sie
  487. 109
  488. um das Götzenbild einer Kuh, um eine ägyptische Tiergottheit, die in die christliche Tradition als «Goldenes Kalb» einging.
  489. Zur Mitte des 14. vorchristlichen Jahrhunderts erblickte an den Ufern des Nils ein Spross einer alten Dynastie das Licht der Welt, der als Amenophis IV. den Pharaonenthron besteigen sollte. Amenophis IV. schwor dem Glauben an die ägyptischen Tiergötter ab und erhob den Sonnengott Aton zum einzigen Gott. An die Stelle der Vielfalt des Polytheismus setzte er die Einfalt des Monotheismus. Zum Zeichen seines festen Willens, nur mehr Aton als einzigen Gott anzuerkennen, änderte er sogar seinen Namen. Er nannte sich fortan Echnaton, ein Name, der für ihn Programm war: «Er oder es gefällt Aton!»
  490. Als Moses die Israeliten aus Ägypten ins Gelobte Land führte, trug er in seinem Herzen den Glauben an Einen Gott. Nach wie vor preisen Juden ihren Monos Theos als den Gott, der sie zum auserwählten Volk erkoren und ihnen das Land verheissen hat, wo angeblich Milch und Honig Hiessen. Diesem Einen Gott war im Laufe der Zeit ein Siegeszug beschieden, der noch weit in die Zukunft hinein die Geschichte der Menschheit prägen wird.
  491. Die Christen, die ursprünglich jüdische Apostaten waren, übernahmen das monotheistische Glaubenskonzept ihrer Väter. Doch die reine Einfalt wich schon bald einer Dreifalt. Aus der Religio Romana übernahmen sie das Modell der Trinität. Die angeblich so patriarchalischen Römer verehrten in ihrer Trias neben dem Obergott Jupiter zwei Frauen: Juno, Jupiters Frau, und die Tochter Minerva, Mit den zwei Frauen machte das Christentum Schluss, An die Stelle der Tochter war ohnehin Jesus, der Sohn Gottes, getreten. Und die Gottesmutter Maria wurde 380 auf dem Konzil von Konstantinopel entthront. An ihre Stelle trat der Heilige Geist, der im Volksglauben nie richtig heimisch wurde. Weiterhin stand im Zentrum der Verehrung die Gottesmutter. Die reine Form des jüdischen Monotheismus wurde vom Islam übernommen und mittlerweile globalisiert. «La illah illa'llah!» tönt es weltweit, sooft Muslime den Kern der «Schahada» (= Glaubensbekenntnis) zu Gehör bringen. Allah, der islamische Monos Theos, kennt kein Erbarmen mit denen, die ihn nicht anerkennen. Gebetsmühlenhaft durchzieht den Koran Allahs Gebot, diese Frevler mit Feuer und Schwert eines Besseren zu belehren. Davon wird noch ausführlich die Rede sein.
  492. Azla Rem: No God but God - The Origins, Evolution and Future of Islam. Random Housc. New York 2006 Ibrahim
  493.  
  494. Abraham, hebräisch: Avraham, arabisch: Ibrahim, wird sowohl von Juden als auch von
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  496. Arabern als gemeinsamer Stammvater verehrt. Der Name «Abraham» bedeutet nach Meinung der Etymologen entweder «Vater der vielen» oder der «jenseitige», der von jenseits des Euphrat kam. Laut biblischer Uberlieferung repräsentiert Abraham mit seinem Sohn Isaak und seinem Enkel Jakob, der den Beinamen «Israel» (= Kämpfer Gottes) trug, jene Erz- väter, aus denen die Zwölf Stämme des Volkes Israel hervorgingen. Dass sich von «Abraham» der Name «Hebräer» ableitet, unterstreicht - sehr zum Missfallen der Muslime - den jüdischen Anspruch auf Abraham als ihren Stammvater. Nach der koranischen Tradition darf sich Muhammad, Allahs Prophet, immerhin rühmen, von Ismael, dem anderen Sohn von Ibrahim, abzustammen.
  497. Vor allem aber: Ibrahim gilt im Islam als Ahnherr des Monotheismus. Die dritte Sure, «as- suratu Äli'Imran», die dem «Haus Amram» (= Vater von Aaron) gewidmet ist, befiehlt im 95. Vers den Muslimen: «Sprich: Allah sprach die Wahrheit! Tretet daher ein in die <millat Ibrahim hanifa> (= die monotheistische Gemeinde von Abraham)!» Bereits 28 Verse zuvor steht geschrieben: «Ibrahim war weder Jude noch Christ, er war vielmehr ein <hanif> (= Monotheist) und Muselman und er war schon gar nicht einer von den <muschrik> (= Götzendiener)!» Ein «muschrik» begeht die Todsünde «schirk», das heisst: Er verehrt mehrere Götter! Für einen «muschrik» gibt es keine Gnade, weder im Diesseits noch im Jenseits. Ein «muschrik» war auch Äzar, der Vater von Ibrahim. Ausführlich berichtet die 21. Sure, wie sich Ibrahim gegen seinen
  498. Vater und dessen Götzenbilder stellte, bei deren Anblick ihm übel wurde und die er im heiligen Zorn zertrümmerte!
  499. Zurück zu Isrnael: Im 127. Vers der zweiten Sure steht geschrieben, dass Ibrahim und sein Sohn Ismael «die Grundmauer des Hauses legten». Mit «Haus» ist die Kaaba gemeint, jener schwarze Würfel in Mekka, zu der weltweit Abermillionen von Muslimen tagtäglich ihre «qibal» (= Gebctsrichtung) ausrichten. Und sowohl in der zweiten als auch in der dritten Sure wird das «Haus» als «maqam Ibrahim», als «Abrahams Standplatz», bezeichnet. Erbaut wurde der schwarze Würfel rund um einen Meteoriten, der seit urdenklichen Zeiten als ein göttliches Himmelszeichcn gefürchtet und verehrt worden ist. Als Muhammad im Jahre 630 von Medina nach Mekka zurückkehrte, zerschlug er all die Götterbilder, die in der Kaaba rund um diesen Meteoriten aufgestellt waren. Mit diesem Bildersturm beginnt die eigentliche Geschichte des islamischen Monotheismus. Denn mit der Zerstörung der alten Götter und Göttinnen wurde die Kaaba nicht nur zu einem monotheistischen Mahnmal, sondern vor allem zum hochheiligen Zentrum des Islam, einer Religion, die sich ohne Wenn und Aber zum Monos Theos namens Allah bekennt.
  500. Christfried Botciich, Beate Ego und Friedniann Eissler: Abraham in Judentum, Christentum und Islam.
  501. 111
  502. Vandenhoeck. & Ruprecht. Göttingen 2009 Al-Lat
  503.  
  504. Als der Prophet Muhammad - inspiriert vom jüdischen Jahwe - in Mekka einen rigiden Monotheismus zu predigen begann, herrschte rund um den schwarzen Würfel namens Kaaba ein fröhlicher Polytheismus. In dieser bunten Götterwelt spiegelten sich nicht nur die lokalen Stammeskulturen wider, sondern auch antike Hochkulturen bis zurück in die Kulte der Sumerer. Die Kaaba, die zum sakralen Zentrum einer bilderfeindlichen Ideologie werden sollte, war noch zur Zeit, als Muhammad in der Höhle ob Mekka meditierte, ein Kultort, an dem an jedem Tag eine andere Götterstatue aufgestellt und verehrt worden ist. Polytheismus pur!
  505. Der Uberlieferung zufolge wurden an diesem heiligen Ort gut 360 Götterbilder aufbewahrt, die man Tag für Tag ausgewechselt hat. Diese Bilder und Statuen verkörperten mehrheitlich weibliche Gottheiten, und über all diesen Göttinnen thronte eine weibliche Trias, repräsentiert durch «al-Lat», «al-Uzza» und «al-Manat», die im Koran «al-Manawat» heisst. Ja, verehrte Leserin, verehrter Leser, Sie haben richtig gelesen! Die 53. Sure, die mit «an-nad- schni» (= der Stern) betitelt ist, hat diese einzigartige weibliche Trias verewigt, und zwar in den zwei Kurzversen 19 und 20: «Kennt Ihr al-Lat und al-Uzza und al-Manawat, die dritte, die andere?»
  506. Seit über 1000 Jahren wird überliefert, dass «Schaitan», der Satan also, versucht habe, an dieser Koranstelle Verse einzufügen, in denen die drei Hauptgöttinnen des arabischen Polytheismus als Fürsprecherinnen bei Allah fungieren sollten. Zwar scheiterte «Schaitan» mit seinem Ansinnen. Geblieben ist jedoch die Erinnerung an die sogenannten «satanischen Verse», die der Schriftsteller Salman Rushdie in seinem Bestseller gleichen Namens weltberühmt gemacht hat. Als seinerzeit in den islamischen Ländern ein Mob von Millionen Schreihälsen den Tod des Best- sellerautors forderte, wurde einem schlagartig klar, dass Aber- miliionen angeblicher Muslime keinerlei Ahnung vom Koran und von den Wurzeln des Islam haben. Und welcher Moslem weiss, dass der Halbmond, das Symbol des Islam, ursprünglich das Kennzeichen der Göttin «al-Lat» war? Ein besonderes Augenmerk verdient ihr Name: «al-Lat» oder «Allat»: Bei
  507. 112
  508. diesem Namen handelt es sich um die weibliche Form eines Götternamens, der an den Namen «Allah» erinnert. Erinnert sei auch an den Jubelruf «Alleluja», der bei sumerischen Erntedankfesten erschallte! «Allat» wurde als «rabba» (= Herrin) tituliert, zumal in der Region um Taifi wo ihr höchstes Heiligtum stand. «Rabba» ist die weibliche Form zu «rabb» (= Herr). Als Herr wird Allah im Koran durchgehend angesprochen, auch am Beginn der 96. Sure, der ältesten Sure, die mit den mahnenden Worten beginnt: «Iqraä bismi rabbika ...» (= Lies im Namen Deines Herrn ...!) Uri Rubin: Hanifyya and Ka'ba - An Inquiry into the Arabian pre-islamic back- ground of'din Ibrahim. In: Jerusalem Studies in Arabic and Islam. Jerusalem 1990 Eli! Eli!
  509. Alleluja! Gepriesen sei die Göttin Allat, die im Himmel herrschte, lange bevor Allah in den Himmel eindrang und sie vom Thron stiess! Auf prosaische Weise deuten Grammatiker die Etymologie von «Allah». Der Name «Allah» erkläre sich aus der Verschmelzung des Artikels «al» mit «ilah» (= Gott). «Ilah», das arabische Wort für «Gott», erscheint mehrfach im Koran, wie zum Beispiel am Beginn des 255, Verses der zweiten Sure: «allahu: la ilaha illa huwa!» Und das heisst: «Allah: es gibt keinen Gott ausser ihm!» Noch prosaischer ist die Reduktion auf den blossen Artikel «al» respektive «el», der - wie alle Artikel - ursprünglich eine demonstrative Bedeutung hatte: «Der da!» In der Form eines pos- sessiven Vokativs kennt die Christenheit in Ost und West dieses Demonstrativum aus der Karfreitagspassion: «Eli! Eli!», «Mein Gott! Mein Gott!», soll der sterbende Jesus am Kreuz geseufzt haben, «Warum hast Du mich verlassen!?» Mag Allah auch noch so
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  511. prosaisch sein: Viele Muslime nehmen Allah nicht als ein freundliches Wesen wahr, sondern als ein bedrohliches Numen, vor dem sie zittern. Und als konkrete Bedrohung erleben sie Allahs irdische Repräsentanten. Ihre diesbezüglichen Traumata hat Wafa Sultan, eine in Syrien geborene und aufgewachsene Frau, in ihrem Buch «A God Who Hates» zu Papier gebracht. Aufgewachsen ist Wifa Sultan in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Moschee. Anschaulich be- schreibt sie, wie sie als Kind Tag für Tag gelitten hat, wenn um fünf Uhr früh das Gebrüll des Muezzins ihr Schlafzimmer erfüllte. In ihrem Herzen wuchsen Wut und Zorn, aber auch Angst und Furcht. Wütend war sie auf die Zumutungen dieser «akustischen Umweltverschmutzung». Am liebsten hätte sie zurück gebrüllt und lauthals protestiert. Dafür fehlte ihr der Mut. Sie fürchtete, dass es ihr übel erginge, wenn sie aufbegehrt. Apropos Angst und Furcht! Bemerkenswert sind Wafa Sultans Anmerkungen zum islamischen Gott: <;Of all human emotions, fear of the unknown is one of the most destructive to one's intellectual and mental capacities. Those who experience this destructive emotion feel an urgent need for security, because they are so afraid to face the unknown they fear. In the Arabian Desert people did not feel secure for so much as a single day. Raiding was the only way to stay alive and force was the law that governed this means of survival. It was in this environment charged with fear that Islam was born. It emerged as a natural response to the psychological need of the people of the Arabian Desert - the need which was sought a greater power than that of the fear whose hostage they had become. And so they created an ogre inspired by their fear-ridden imagination, an ogre bigger than their fear.» Dieser mächtige Schutzpatron, den Wafa Sultan als «ogre» bezeichnet, sollte den Namen Allah
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  513. bekommen. Ein starkes Statement!
  514. Wafa Sultan: A God Who Hates - The Courageous Woman Who Inflamed the Muslim World Speaks Out Against the Evils of Islam. St. Martin's Press. New York ¿009 Kismet
  515. Die Anhänger monotheistischer Religionen sind vom Glauben beseelt, dass ein allwissender, allmächtiger Gott die Welt und die Menschen in seinen lenkenden Händen hält. Dazu ein schönes Dichterwort: «Wir alle fallen, diese Hand da fällt. Und doch ist einer, der das ganzen Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält!» Besonders ausgeprägt ist der Glaube an einen das Universum und die Menschheit beherrschenden und bewachenden Gott im Islam. Angeblich fällt ohne Gottes Wille und Wissen kein Haar vom Haupt. Alles sei göttliche Fügung, und dem lenkenden Gott unterliege der gesamte Lauf der Welt. Angesichts eines solchen Determinismus erstaunt es nicht, dass sich monotheistische Theologen seit jeher den Kopf über die Frage zerbrochen haben, wie es um die menschliche Willensfreiheit bestellt ist. An einen lenkenden Gott, der die Menschen durch das Leben führt, gemahnen die Worte «Schicksal» und «Geschick». In beiden Worten steckt das Verbum «schicken». Wer schickt uns all das Gute und Ungute? Wer bestimmt unser Schicksal? Etwa gar ein «deus malignus et callidus», wie der Philosoph Descartes spekuliert hat? Im Arabischen heisst Schicksal «qismat», und von «qismat» abgeleitet ist das türkische «Kismet», ein Wort, das in den allgemeinen Sprachgebrauch Eingang fand. In der muslimischen Welt avancierte «Kismet» zu einer magischen Formel, die so
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  517. manchen Moslem zum Fatalismus verführt hat. Wozu seine Hände rühren, wenn Allah ohnehin alles vorherbestimmt hat?! Kommt morgen der lang ersehnte Regen? Kann schon sein, aber nur «in schä'llah» (= wenn es Allah will)! Die 87. Sure, «as-suratu al-a'lä» (= die Sure des Höchsten), beginnt mit den mahnenden Worten: »Preise die Namen Deines Herrn, der (die Menschen) erschafft und zur Vollendung bringt, der (sie) lenkt und leitet!» Das Vcrbum «hada» (= lenken, leiten) zählt zu den koranischen Leitmotiven. Alle und alles lenkt und leitet Allah in seiner göttlichen Weisheit. Auf den existentiellen Punkt gebracht: Allah, der mächtige Führer und Lenker, ist der Herr über Leben und Tod, «er ist derjenige, der (die Menschen) ins Leben ruft und sterben lässt», wie es im 68. Vers der 40. Sure heisst. Und was befiehlt Allah, der alles Sehende, der alles Hörende, im 51. Vers der neunten Sure den gläubigen Muslimen? «Sprich: Uns trifft ausschliesslich das, was uns Allah vorherbestimmt (wörtlich: vorgeschrieben) hat!» Jeder kennt das Sprichwort: «Der Mensch denkt, Gott lenkt!» Dieses Sprichwort bringt ein Motiv zum Ausdruck, das im Koran mehrfach und in verschiedenen Variationen zur Sprachc kommt. Helle Freude würde unter nachdenklichen Menschen herrschen, wenn einer der Autoren, die am Koran mitgewirkt und mitge- schrieben haben, der Nachwelt einen Vers folgenden Inhalts hin- terlassen hätte: «Der Mensch denkt, dass Gott lenkt!» Klaus P. Fischer: Schicksal in Theologie und Philosophie, Wissenschaftliche Buchgescllschaft, Darmstadt 2008 Der Allwissende
  518. Es liegt in der Natur eines monotheistischen Gottes, dass er all- mächtig ist und alles weiss, was war, was ist und was sein wird.
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  520. Unübertroffen ist Allahs Allmacht und Allwissenheit, die sowohl im Koran als auch in den Hadithcn mit anschaulichen Beispielen ausgemalt wird. Einblick in die Gegenwart und in die Vergangenheit haben auch die Menschen, der Blick in die Zukunft aber bleibt irdischen Wesen so gut wie verschlossen. In dieser Hinsicht ist Allah den Erdiingen himmelhoch überlegen. Er verfügt nicht nur über «qadha», über Vorauswissen, In seiner Hand liegt zudem «al-qadr», das Schicksal respektive die Vorherbestimmung. Allah kann nach Lust und Laune Schicksal spielen, denn er verfügt über die Macht der Vorherbestimmung. Nach seinem Gutdünken bestimmt er des Menschen Lebenslauf, und der Mensch entrinnt dem Schicksal nicht, das ihm Allah vorherbestimmt hat. Dank Allahs Macht ist der Willkür Tür und Tor geöffnet, und der Mensch ist ihr hilflos ausgeliefert. Gleichwohl ist gläubigen Muslimen kein Zweifel an «al-qadr» gestattet. Das betont unter anderem «al-kitab al-qadr» (= das Buch der Vorherbestimmung), dessen Verfasser Muslim ibn al-Hadschdschadsch ist, der neben Muhammad al-Buchari als wichtigster Hadith-Autor gilt. Wie reagiert Allah auf Leute, die an der Lehre von «al-qadr» zweifeln? Auf diese Frage antwortet Muslim ibn al-Hadschdschadsch mit den Worten von Omar, einem Gefährten von Muhammad: «Wenn ich solchen Leuten begegne, sage ich, dass ich nichts mit ihnen zu tun habe und sie nichts mit mir. Bei dem, bei dem Abd- Allah ibn Omar geschworen hat: Käme einer dieser Leute mit einer Masse Gold, die so gross wie der Berg Uhud ist,
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  522. und wollte es spenden, Allah würde es von
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  524. ihm erst dann annehmen, wenn er an <al- qadr> glaubt!» Wie man sich «al-qadr» in Hinblick auf die menschliche Existenz vorzustellen hat, illustriert ein anschauliches Beispiel aus der Feder des Hadith-Autors: «Ein jeder von euch wird im Bauch seiner Mutter zunächst vierzig Tage lang zu einem Blutklumpen geformt, der dann zu einem Stück Fleisch wird. Nun schickt Allah einen Engel, dem er befiehlt, drei Bestimmungen einzuschreiben: seinen Lebenslauf, seine Lebensfrist und ob er im Jenseits zu den Glückseligen oder zu den Verdammten zählt. Dann erst wird ihm der Lebensatem eingehaucht. Ich schwöre bei Allah, dass manch einer von euch, selbst wenn er die Untaten der Höllenbewohner verübt hat, in den Genuss seiner Vorherbestimmung kommen und ins Paradies eingehen wird! Genauso mag einer von euch die Werke der Paradiesbewohner vollbringen, und dennoch ereilt ihn die eingeschriebene Vorherbestimmung und er wird zur Hölle fahren!» Unbeantwortet bleibt die Frage, wozu der Mensch einen Finger rühren soll, wenn a priori entschieden ist, wie sein Leben abläuft und wo er zu guter oder schlechter Letzt landen wird!? Amir M.A. Zaidan: Al-Aqida - Einführung in die Iniam-Inhake. 118
  525. ADIB-Verlag. Offenbach 1999 Herr der Welten
  526. Bereits in der ersten Sure wird Allah nach der rituellen Einleitung «Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Erbarmers», mit der alle Suren ausser der neunten Sure beginnen, als «rabb al-älami- na», als «Herr der Welten» gepriesen. Wie ein Mantra durchzieht diese Anrede den Koran. Allah ist sowohl ein kosmischer Alleinherrscher, dem alle Welten Untertan sind, als auch ein Herrscher über die Welt, auf der die Menschen leben. Allah beherrscht nicht nur das gesamte Universum, er herrscht auch über den Mikrokosmos, den sich der Mensch geschaffen hat, sprich: über dessen Staatswesen. So will es zumindest der Islam. Staat für Staat soll sich in einen Gottesstaat verwandeln, der nach göttlichen Gesetzen regiert wird, und zwar so lange, bis die ganze Welt ein einziger Gottesstaat geworden ist, eine globale Umma, die Allah Untertan ist. Von einem Gottesstaat träumen Monotheisten seit alttesta- mentlichen Zeiten. Neue Nahrung bekamen solche Träume mit dem Erwachen des Islam. Und mit aggressiver Energie aufgeladen wurden die Forderungen nach einem Gottesstaat mit der Renaissance des Islamismus. Derartige Forderungen stehen seit Anbeginn auf der Agenda der Muslimbrüder, die sich als Fahnenträger des neuzeitlichen Islamismus verstehen. Einen nachhaltigen Beitrag lieferte Sajjid Qutb, der Nachfolger von Hassan al-Banna, mit seinem Buch «al-mustaqbal li-hatha ad-din», zu Deutsch: «Die Zukunft für diese Religion (= Islam)». Im Zentrum dieses Buches steht die Vision von einer «Hakimijjatullah», von einer Herrschaft auf dieser Erde, die in Allahs Händen liegt. Sajjid Qutb wurde zwar - wie sein Vorgänger Hassan al-Ban- na - hingerichtet, doch sein geistiges Erbe hat bis heute überlebt, nicht
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  528. zuletzt dank Ajatollah Khomeini, der von dessen Buch begeistert war. Inspiriert von den Gedanken, die Sajjid Qutb entwickelt hat, verfasste der fanatische Geistliche im Jahre 1970 im irakischen Exil sein Manifest «Hokumat-e Islam», auf Deutsch: «Der islamische Staat». Im Gottesstaat, wie ihn Ajatollah Khomeini beschrieben und gefordert hat, gilt natürlich nur das Gesetz der «Scharia», das Allah höchst persönlich den Menschen verordnet habe und das folglich von zeitloser Gültigkeit sei: «Daher ist die Anwendung der Gesetze nach dem hochwürdigen Propheten eine ewige Pflicht. Waren die Gesetze, deren Verbreitung und Durchsetzung den Propheten 23 Jahre Schwerarbcit kostete, nur für eine begrenzte Zeit gedacht? Hat etwa Allah die Zeit seiner Gesetze auf 200 Jahre beschränkt?» Rhetorische Fragen erwarten keine Antwort. Und wie es schon Sajjid Qutb im Namen Allahs gefordert hat, so gab auch Ajatollah Khomeini im Namen dieses Monos Theos die Losung aus, dass es die Pflicht eines jeden Moslem sei, am Kampf um die Errichtung eines Gottesstaates aktiv teilzunehmen. Und was soll man mit Menschen machen, die keinen Gottesstaat wollen oder einem solchen im Wege stehen? Aus dem Weg räumen!
  529. Ajatollah Khomeini: Der islamische Staat. Aus dem Persischen übersetzt und herausgegeben von Nader Hassan und Ilse Itscherenska. Islamkundlichc Materialien Band 9. Berlin 19S3 Mensch schafft Gott
  530. Überall dort, wo Aufklärung im Sinne der Philosophie stattgefunden hat, begann diese mit der Kritik an der herrschenden Ideologie. Dies gilt auch für die europäische Aufklärung, deren Ursprünge im sechsten vorchristlichen Jahrhundert zu suchen sind. Man stellte
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  532. bohrende Fragen nach der Rechtmässigkeit der real existierenden Machtverhältnisse und stellte diese immer lauter in Frage. Diese In- Frage-Stcllung fand ihren nachhaltigsten Ausdruck in der Kritik an den theologischen Konstrukten. Denn zu allen Zeiten erwies sich die jeweilige Theologie als Spiegelbild einer Gesellschaft und ihrer Machtstrukturen. Am lautesten hallte die Stimme von Xenophanes durch die Jahrhunderte. Xenophanes enttarnte als einer der ersten den anthropomorphen, also den menschengestalteten Charakter der Götterbilder: Nicht Gott erschafft die Menschen nach seinem Ebenbild, sondern der Mensch erschafft die Götter nach seinem Ebenbild! Deshalb - meinte Xenophanes - sei es nicht verwunderlich, dass die thrakischen Götter rothaarige und die äthiopischen kraushaarige Haare haben. Und: Verstünden sich Esel und Löwen auf die Kunst des Malens, so würden die Esel ihre Götter mit langen Ohren darstellen und die Löwen ihre Götter mit einer prächtigen Mähne. Selbst abstrakte Gottesvorstellungen, wie sie der Islam postuliert, entpuppen sich bei näherer Betrachtung als anthropomorph. Allah ist ein maskuliner Gott, der im Koran als «huwa» (= er) und nicht als «hija» (= sie) agiert. In seiner Rolle eines Pantokra- tors spiegelt er die patriarchalische Struktur islamischer Gesellschaften wider. Wenn er im Koran zu den Menschen spricht, dann spricht er im Pluralis Majestatis eines Sultans, als welcher er zum Beispiel in den satanischen Versen der 53. Sure erscheint. Und wie ein Sultan schwingt er die Peitsche, etwa im 13. Vers der 89. Sure. Als ein besonders grausamer und rachsüchtiger Tyrann erweist er sich überall dort, wo im Koran die Höllenqualen ausgemalt werden. Derlei sadistische Fantasien, die nicht nur den Islam, sondern auch das Christentum vergiftet haben, inspirierten einen Hieronymus
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  534. Bosch bei seinen Höllendarstellungen. Dass Götter Spiegel- und Ebenbilder der Menschen und ihrer Kultur sind, wusste auch Protagoras, einer der herausragenden Vertreter der griechischen Aufklärung. Als Agnostiker, der er war, bekannte er, dass er nicht wisse, ob Götter existieren oder nicht. Für dieses Bekenntnis musste er aus Athen fliehen. Kritias, ein geistiger Mitstreiter, ging noch einen Schritt weiter. Er geissel- te die Jenseitsangst und die Furcht vor einem Gott, der alles sieht und nichts vergisst, als Produkte einer Erziehung, die darauf abzielt, aus jungen Menschen unmündige Untertanen zu machen. Ein Jammer, dass sich im Koran vom Geist der griechischen Aufklärung nicht die geringste Spur findet! Jaap M.msfcld und Oliver Primavesi: Die Vorsokratikcr. Griechisch und Deutsch. Rcclam Verlag. Stuttgart 1983 Der Unsichtbare
  535. Seit dem Tag, an dem Muhammad nach seinem triumphalen Einzug in Mekka sämtliche Götterbilder zerschlagen hat, die in der Kaaba aufbewahrt waren, ist in der muslimischen Welt der Ikono- klasmus salonfähig geworden. Der Begriff Ikonoklasmus setzt sich aus den griechischen Worten «eikön» (= Bild) und «klasmos» (= Zerbrechen) zusammen und bezeichnet die Zerstörungswut der Bilderstürmer, wie sie der Monotheismus hervorbracht hat. Diese Wut war und ist im Islam am ausgeprägtesten. Allah ist zwar allgegenwärtig, aber dennoch vermag ihn niemand zu sehen, nicht einmal im Paradies. Er ist der grosse Unsichtbare, der sich jeglicher Darstellung entzieht. Es wäre ein todeswürdiger Frevel ruchloser Götzendiener, würde man Allah, dem Gesichtslosen, ein menschliches Antlitz verleihen!
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  537. Das strikte Verbot, Allah in irgendeiner Form darzustellen, hat mit der Zeit dazu geführt, dass generell bildliche Darstellungen für fromme Muslime zu einem Tabu geworden sind. Der darstellenden Kunst hat der Glaube eherne Fesseln angelegt. Doch die künstlerische Kreativität und die schöpferische Kraft lassen sich nicht fesseln. Auf der Suche nach neuen Gestaltungsmöglichkeiten hat sich eine non-figurale Kunst entfaltet. Diese Kunst und mit ihr das Kunsthandwerk kamen zur Blüte und haben Wunderbares hervorgebracht. Kunstvoll gestalteten Kalligraphen Verse und Bücher. Kunsthandwerker verzierten mit Geschick und Hingabe Gegenstände, die aus Metall oder Holz gefertigt waren. Und am Erscheinungsbild von Gebäuden, zumal von Moscheen und Palästen, prangte die ornamentale Kunst in voller Pracht. Ein typisches Kennzeichen einer solchen Kunst sind die Ara- besken. Diese vielfach verschlungenen Rankenornamente kamen nicht nur in der Architektur und im Kunstgewerbe zur Anwendung, sie dienten auch zur Ausschmückung von Koran-Bänden. Dieses dekorative Pflanzenmuster, das die Griechen entwickelt hatten und das für die römisch-hellenistische Dekorationskunst kennzeichnend war, lernten die Araber bei ihren Eroberungen des siebten Jahrhunderts kennen und schätzen. Bereits im achten Jahrhundert schmückten die Umajjaden ihre sakralen und fürstlichen Prachtbauten mit Arabesken. Die Araber nannten ihre Arabesken «tauriq», ein Kunstwort, das von «waraq» (= Blatt) abgeleitet ist und so viel bedeutet wie «Blätterranken». Wie kam es zur Bezeichnung «Arabeske», einem Begriffj in dem offensichtlich das Wort «Arab» steckt, wiewohl dieses Ran- kenornament antiken Ursprungs ist und als antikes Erbe von der Renaissance wiederentdeckt wurde? Bei den Italienern, den Vätern der Renaissance, tauchte das Wort «arabcsco» in der Sprache der
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  539. Kunst im 16. Jahrhundert auf. Das dürfte bedeuten: Die Arabeske war ein arabischer Import, wie so vieles, das die Antike hinterlassen und das dank den Arabern den Weg zurück nach Europa gefunden hat.
  540. Lorenz Korn: Gcschichte der islamischen Kunst. C.H.Beck Wissen 2570, C.H. Beck Verlag. München 2008 Bilderstürmer
  541. Reich an Kulturschätzen ist die Seidenstrasse, die das östliche Mittelmeer mit China verband, genauer: mit Xi'an, der alten chi- nesischen Kaiserstadt. Entlang dieser Strasse hinterliessen im Laufe der Zeit viele Kulturen und Völker ihre Spuren, leider auch Spuren der Verwüstung. Wer von Xi'an aus die Seidenstrasse bereist, stösst auf die traurige Hinterlassenschaft islamischer Bilderstürmer, sobald er Richtung Dunhuang unterwegs ist. Nachdem sich der Islam von Mekka aus sowohl nach Westen, als auch Richtung Osten bis nach China ausgebreitet hatte, haben fanatische Muslime damit begonnen, buddhistische Heiligtümer zu zerstören. Kaum eine Buddha-Statue ist unversehrt geblieben. In der Regel wurde das Antlitz zerschlagen oder der Kopf abgeschlagen. Den zeitgeschichtlichen Schluss- und Höhepunkt solcher Zerstörungswut setzten die Taliban in Afghanistan. Im Jahr 2001 sprengten sie in Bamiyan ein Weltkulturerbe in die Luft: die gigantischen, aus dem Fels gehauenen Buddha-Statuen. Dieses einzigartige Kunstwerk konnte der Autor dieser Zeilen noch mit eigenen Augen bewundern, als er zur Zeit seines Studiums nach Afghanistan getrampt ist. Der Wahn der Bilderstürmer wurzelt im Alten Testament. Am Beginn des mosaischen Dekalogs stehen ein Gebot und ein Verbot,
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  543. die von der Strenge des alttestamentlichcn Gottes Zeugnis geben: «Ich dulde keine Götter neben mir!» Und: «Mach dir kein Bild von mir!» Dieses jüdische Erbe wurde vom Islam eins zu eins übernommen. Im Koran erinnert die zweite Sure an das Entsetzen von Moses, als er vom Berg Sinai herabstieg und sein Volk um das «Goldene Kalb» tanzen sah, Und durchgehend geisselt der Koran zwei todeswürdige Schurken: den «kâfir», den Ungläubigen, und den «muschrik», den Götzendiener. Auch das frühe Christentum, in dem noch der Geist alttcsta- mentlicher Bilderfeindlichkeit vorherrschte, hatte seine Bilderstür- mer. Im vierten und fünften Jahrhundert suchten christliche Taliban vor allem den Nahen Osten und Ägypten heim und zerstörten unschätzbare Kunstwerke. Besonders schlimm wüteten diese Fanatiker in Alexandria, der damaligen Metropole von Kultur und Wissenschaft. Und im achten und neunten Jahrhundert erlebte der Ikonoklasmus in Konstantinopel eine traurige Renaissance. Christliche Bilderstürmer zerstörten in Kirchen und Klöstern wertvolle Ikonen und hackten den Heiligen, die auf Fresken dargestellt waren, die Augen aus oder zerkratzten das ganze Gesicht, genauso, wie es islamische Ikonoklasten entlang der Seiden- strassejahrhunderte lang taten. Im Islam - wie auch bei orthodoxen Juden - gilt das strenge Verbot figürlicher Darstellungen bis zum heutigen Tag. Doch die gefesselte Schaffenskraft der Künstler hat eigene Wege und Ziele gefunden: Erblüht ist die Kalligraphie und eine ornamentale Kunst, die ihresgleichen sucht! Alain Bcsonçon: The Forbidden Image - An Intellectual History of Iconoclasm. University of Chicago Press. Chicago loco
  544.  
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  546. Ein Reisebericht
  547. Von den vielen Reisen, die der Autor dieses Buches im Laufe seines Lebens machte, seien zwei Reisen erwähnt, bei denen er den bilderstürmenden Wahnsinn erlebt hat. 1988 ging er im Rahmen eines Sabbaticals auf Weltreise. Er startete in der tibetischen Hauptstadt Lhasa, mit dem Ziel, den Heiligen Berg Kailash zu umrunden. Im Nordwesten Tibets stiess er auf militante Muslime, die im Namen Allahs losmarschierten, um in den wenigen, noch intakten Klöstern dieser Region das Vernichtungswerk der Roten Brigaden zu vollenden! Auf dem Weg zum Kailash schloss sich ihm eine Wildwasser- fahrerin mit philosophischer Ausbildung an, die wie er aus Inns- bruck stammt. Nach der Kailash-Umrundung erreichten er und seine Begleiterin auf abenteuerlichen Pfaden quer über den Himalaja die nepalesische Hauptstadt Kathmandu. Beide waren stark abgemagert. Gemeinsam flogen sie nach Bali, um sich an sonnigen Stränden wieder aufzupäppeln. In Sichtwcise von Bali liegt die Insel Lombok, ein islamisches Bollwerk. Der Unterschied zwischen diesen beiden Inseln ist beklemmend: Hier die meditative Stille einer hinduistisch geprägten Kultur und dort das aggressive Gebrüll der Muezzins, die rund um die Uhr die Einwohner aus dröhnenden Lautsprechern terrorisieren. Gerne kehrten sie dieser Insel für immer den Rücken. Von Bali flog sie zurück nach Europa und er in Richtung Pazifik, um seine Weltreise fortzusetzen. Als das Sabbatical-Jahr zu Ende ging, kam er via Paris zurück in seine Wahlheimat Liechtenstein. Bei einem Besuch in Innsbruck traf er seine mutige Tibet-Gefährtin. Sogleich wurden neue Reisepläne geschmiedet. An seinem 50. Geburtstag heirateten sie. Die Hochzeitsreise machten sie vor der Trauung - quasi als letzten
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  549. Test. Wieder war eine abenteuerliche Reise angesagt, die ihren Ausgang in Xi'an nahm, in der alten chinesischen Kaiserstadt. Von dort folgten sie der berühmten Seidenstrasse quer durch die Wüste Gobi und entlang der Takla Makan nach Kashgar. Von Kashgar ging es hinauf zum westlichen Karakorum und von dort hinunter ins Hunzatal und dann den Indus entlang nach Peschawar, schon damals eine islamistische Hochburg. Von Xi'an kommend stösst man spätestens in und ab Dunhu- ang allerorts auf die Schändungen buddhistischer Fresken: Muslimische Fanatiker haben die Gesichter der dargestellten Heiligen herausgemcisselt oder mit spitzen Steinen zerkratzt. Die chi- nesischen Restauratoren haben alle Hände voll zu tun, um die schlimmsten Verwüstungen zu heilen. Tausende buddhistischer Kunstwerke sind für immer zerstört. Zwischen Kashgar und dem Hunzatal geht es gottlob friedlich zu und her, aber je näher man Peschawar kommt, desto lauter und feindseliger gebärden sich fa- natisierte Muslime. Die Steine, die seinem blond gelockten Weibe galten, hat er mit seinem Körper abgefangen. Eine Narbe ist ihm bis zum heutigen Tag geblieben. Ulrich Hübner (Hrsg.): Die Seidenstrasse - Handel und Kulturaustausch in einem eurasiatischen Wegenetz. EB-Vcrlag. Hamburg 2005 Magische Zeichen
  550. Auf der arabischen Schrift lastet eine schwere Hypothek, auf einer Schrift, die nach der Lehre dogmatischer Glaubenshüter ein Geschenk Allahs sei. Ja, Allah habe höchst persönlich den «qalam», das Schreibrohr, geführt und mit Hilfe der von ihm geschaffenen Zeichen den Koran niedergeschrieben. In den Augen der Frommen mache sich daher der Gotteslästerung schuldig und sei des Todes
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  552. würdig, wer ein Schriftzeichen ändert. Wer solchen Unfug verbreitet, verkennt, dass sich die Schriftzeichen, wie sie zur Zeit des Propheten benutzt wurden, von den heutigen Buchstaben deutlich unterscheiden. Allen Reformbemühungen zum Trotz fehlen bis zum heutigen Tag Zeichen für E, O und P. Zudem sehen sich viele Buchstaben immer noch zum Verwechseln ähnlich. Erschwerend kommt hinzu, dass sich das Aussehen eines Buchstaben ändert, je nachdem, ob er am Beginn, in der Mitte oder am Ende eines Wortes aufscheint oder ob er allein steht. Ein solches Zeichensystem sorgt für erhebliche Schreib- und Leseschwicrigkeitcn. Zu Recht seufzte der ägyptische Schriftsteller Taha Hussein: «Die anderen lesen, um zu studieren, während wir studieren müssen, um lesen zu können!» Das Bestreben, die arabische Schrift zu reformieren, hat zwar eine lange Tradition. Doch es ist bei reformatorischen Ansätzen geblieben, und dies, obwohl bereits vor Jahrhunderten Abu Ali Muhammad ibn Hassan ibn Muqla eine revolutionäre Reform er- sonnen hat. Dieser Reformer, der als Ibn Muqla Berühmtheit er- langte, gilt als Vater der arabischen Kalligraphie. Auf die Welt kam er im Jahre 885 in einem Bagdader Elendsviertel. Dank seiner geometrischen Begabung entwickelte er eine kunstvoll komponierte Kalligraphie, die noch in unserer Zeit gelehrt und imitiert wird. Von erlesener Schönheit ist seine kalligraphische Hinterlassenschaft. Schon als junger Mann kam er zur Einsicht, dass die arabische Schrift Menschcnwerk und nicht göttlichen Ursprungs ist. Es sei höchste Zeit, diese Schrift, die Missdeutungen Tür und Tor öffnet, zu reformieren, mit dem Ziel, Zeichen zu schaffen, die leicht zu lernen und gut lesbar sind, sodass Texte entstehen können, die zu keinen Missverständnissen mehr Anlass geben. Seine Bestrebungen erregten schon bald den Unmut der Fundamentalisten. Diese Fanatiker
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  554. füllten so lange das Ohr des Kalifen mit Verleumdungen, bis dieser den Folterknechten erlaubte, seinem ehemaligen Lehrer die rechte Hand abzuhacken und die Zunge abzuschneiden. Ibn Muqla wurde verjagt, und sein Haus ging in Flammen auf. Auf seinem Haus, das der islamische Mob geplündert und in Schutt und Asche gelegt hat, prangte die Inschrift: «Was ich schaffe, überdauert die Zeit.» Mit Blick auf die Kalligraphie sollte Ibn Muqla recht behalten. Mit Blick auf die Reform der arabischen Schrift harrt seine Botschaft noch immer ihrer Erfüllung.
  555. Rafik Schanü: Was ich schaffe, überdauert die Zeit - Eine Geschichte von der Schönheit der Schrift. Carl Hanscr Verlag. München 200S Sic et non
  556. Zu den herausragenden Gestalten des 12. Jahrhunderts zählt der Franzose Pierre Abailard. In die klassische Literatur eingegangen ist er als Autor der Liebesbriefe, die er seiner Heloise aus der Ver- bannung geschickt hat. Nicht minder grosses Interesse verdient seine philosophische Schrift «Sic et non» (= So und nicht so), ein Meisterstück dialektischer Theologie. Schade nur, dass sich Meis- terdenker Abailard nicht mit dem Koran beschäftigt hat. Denn die Suren des Koran sind ein durchgängiges «sie et non»! «Bismi'llah ar-rachman ar-rachim!» Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! Mit diesen Worten beginnen alle 114 Suren, mit Ausnahme der neunten Sure. Doch Allah wird auch als «Totmacher», bezeichnet. Und vom «Totmachen» ist im Koran durchgehend die Schreibe. Bereits in der zweiten Sure gebietet der 191 Vers: «Erschlagt sie (= die Ungläubigen), wo immer ihr sie antrefft!» Gerne zitieren Islamisten den 60. Vers der «Beutc»-Surc: «Rüstet
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  558. euch zum Kampf gegen sie, mit Mann und Schlachtross, so gut wie möglich, um damit Allahs Feinde in Angst und Schrecken zu versetzen!» Auch die neunte Sure ruft im fünften Vers zu Mord und Totschlag auf, sobald «die heiligen Monate», «al-asch- huru al- hurumu», vergangen sind: «Schlagt auf die Götzendiener allerorts ein, ergreift sie und lauert ihnen auf und errichtet gegen sie jeglichen Hinterhalt!» Und neun Verse weiter heisst es: «Tötet sie! Allah wird sie mit euren Händen bestrafen und demütigen!» Und so weiter und so fort! So barmherzig Allah auch sein mag, den «käfirün», den Un- gläubigen, gewährt er keine Gnade! Gleich in der vierten Sure lehrt der 56. Vers: «Wer nämlich unsere Botschaften verleugnet, dem werden wir die Haut abfackeln und eine neue Haut nachwachsen lassen, und so können sie die Pein voll auskosten! Denn allmächtig und weise ist Allah!» Welche Qualen diesen Verdammten am Jüngsten Tag bevorstehen, beschreiben die Verse 45 bis 49 der 44. Sure auf eindrückliche Weise: Höllenfeucr plus kochendes Erz in den Bäuchen und siedendes Wasser über den Kopf! In vielen Suren praktiziert «ar-rachman» (= der Erbarmer) solche Wohltaten der Barmherzigkeit! Allah ist ein alttestamentlicher Gott, der mit seinen Gegnern nicht zimperlich umgeht und anders Denkenden gegenüber keine Milde walten lässt. Bis zum heutigen Tag ist er jener Gott geblieben, der bereits im Alten Testament im Buch Josua zum «Heiligen Krieg» aufgerufen hat. An diesem Gottesbild eines gnadenlosen Monos Theos hat der Islam Mass genommen. Mass genommen hat er auch an der Vorstellung eines Schöpfcrgottes, der seiner Schöpfung abhold ist. Auch Allah hat die Welt mit all dem erschaffen, «was kreucht und fleucht». Und der nämliche Gott vernichtet eines Tages die Welt, die er erschaffen hat. Wozu der ganze Aufwand?
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  560. Ursula Niggli (Hrsg.): Peter Abaelard. Leben - Werk - Wirkung. Herder Verlag. Freiburg 2003 Sufija
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  562. «Das Haus meines Vaters hat viele Wohnungen.» Dieses schöne Bibel-Zitat gilt in einem gewissen Sinn auch für den Islam. Eine besonders liebenswürdige Wohnung beherbergt die Sufija. Die Sufija blickt auf eine lange Tradition zurück, die weit in die vorislamische Zeit zurückreicht. In ihrer ursprünglichen Ausrichtung repräsentierte die Sufija eine asketische Randgruppe spiritueller Orientierung, die mit der christlichen Mystik wesensverwandt ist. Dem Begriff «Sufija» liegen zwei mögliche Worte zugrunde: Ent- weder das Nomen «süf» (= Schurwolle), das auf die härenen Ge- wänder hinweist, mit denen sich diese Asketen bekleideten, oder das Verbum «safäa», das «rein sein» bedeutet, und zwar in dem Sinn, dass die Vertreter der Sufija frei waren von Aberglauben, Fanatismus und Dogmatismus. Chapeau! Im zwölften Jahrhundert organisierten sie sich wie Mönche in einem Orden und wurden fortan als Sufi bezeichnet. Prägend für den Sufismus wurden Dichter und Denker wie Farid ad-Din Attar oder Ihn al-Arabi. Von Zeloten verfolgt, praktizierten die Sufis ihre Frömmigkeit in abgeschiedener Stille, fern von den muslimischen Fanatikern, die ihre Weisheit nicht verstanden. Die Weisheit und Frömmigkeit der Sufi kommt in ihren Anekdoten zum Ausdruck, die von den Idealen eines «reinen», eines humanisierten Islam künden. Eine dieser Anekdoten erzählt die Geschichte eines Jünglings, der auf Reisen war und in einer Herberge einen alten Mann ermordet haben soll. Kalif Omar, Muhammads zweiter Nachfolger, verurteilte ihn zum Tode. Gleichwohl erfüllte er die Bitte des Verurteilten, die Hinrichtung um drei Tage zu verschieben, damit er für ein Waisenkind die Erbschaft regeln könne. Der Kalif bestand jedoch
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  564. darauf, dass der junge Mann einen Bürgen stelle. Als Fremdling, der er war, kannte er aber niemanden, den er als Bürgen hätte benennen können. Sein Schicksal schien bereits besiegelt. Doch in letzter Sekunde verbürgte sich Abu Darr, ein Freund des verstorbenen Propheten, für den unbekannten Jüngling. Die drei Tage verstrichen, aber der junge Mann tauchte nicht wieder auf. Abu Darr hatte bereits seinen Kopf auf den Richtblock gelegt, als der zum Tode Verurteilte schweissgebadet herangaloppiert kam. Der Kalif war erstaunt: «Warum bist du zurückgekommen?» «Weil ich ein Moslem bin», antwortete der Jüngling. «Soll die Welt etwa glauben, dass Muslime ihr Wort brechen!?» Und an Abu Darr gewandt fragte die Menge: «Warum hast Du dich für diesen unbekannten Fremden verbürgt?» Seine Antwort: «Weil ich ein Moslem bin. Die Welt soll nicht behaupten können, dass Muslime kein Mitgefühl haben!» Von so viel Edelmut bewegt fielen die Verwandten des Ermordeten auf die Knie und flehten den Kalifen an: «Richte den Jüngling nicht hin! Schenk ihm das Leben! Die Welt soll nicht unsertwegen behaupten dürfen, dass es im Islam keine Vergebung gibt!»
  565. Andre Ahmed Al Habib: Suhsmus - Das mystische Herz des Islam. Eine Einführung. Verlag Hans-Jürgen Maurer. Frankfurt a. M. 1005 Kultur der Liebe
  566. Als Sokrates zum Tode verurteilt wurde, hat er sich von den Richtern mit dem Hinweis verabschiedet, dass er bislang seine Jünger wie Hunde an der Kette im Zaum gehalten habe, dass aber mit seinem Tod die Kette breche und seine Schüler wie Kampfhunde über die Bürger von Athen herfallen werden. Diese Prophezeiung sollte sich
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  568. erfüllen, allerdings unter anderer Besetzung: Die Jünger blieben stumm - bis auf einen Aussenseiter. Dieser eine begann laut zu trommeln und sich wie ein Hund zu gebärden, ein wenig geachtetes Tier, das er demonstrativ zu seinem Vorbild erhob. Eine Provokation! Die Rede ist von Antisthenes, der die Tradition der Kyniker, der <;Hundsphilosophen», begründete, eine Denktradition, deren Nachwirkung viel zu wenig gewürdigt wird. Als wandernde Bet- telphilosophen, die sie waren, fanden sie nur in Fussnoten Eingang in die offizielle Philosophiegcschichte. Diese anarchischen Existentialisten sahen in Hunden geistige Verwandte, die es ver- dienen, nachgeahmt zu werden: bescheiden leben wie ein Hund, dämlichen Spicsscrn in die Wadin beissen und Denkmäler an- pinkeln. Wie ihr Ahnherr Sokrates stellten sie die Bürger auf den Marktplätzen zur Rede und verpassten ihnen mit ihren Vorträgen «Diatriben», das heisst: «Abreibungen». Kerninhalte ihrer Reden waren die Menschenrechte und der Aufruf zur Genügsamkeit, zur Barmherzigkeit und zum Pazifismus. Aus Athen und anderen griechischen Städten verjagt, fanden sie in Gadara, in einer der zehn Städte der Dekapolis, im heutigen Nordwesten von Jordanien, eine neue Heimat. Von Gadara aus erreicht man schnell das Tote Meer, jenen unwirtlichen Landstrich, wo sich die Essener angesiedelt haben, eine asketische Bruderschaft, mit der Jesus Kontakt hatte. In der literarischen Hinterlassenschaft der Essener finden sich «kategorische Impera- tive», die ursprünglich in den Diatriben der Kyniker zu hören und zu lesen waren: «Richte nicht, damit Du nicht gerichtet wirst!» «Erhöhe Dich nicht, damit Du nicht erniedrigt wirst!» «Verkaufe Dein Hab und Gut und verschenke es aus Mildtätigkeit!» «Wer Dir auf die Wange schlägt, dem halte auch die andere Wange hin!» «Liebe Deine Feinde!» Und: «Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!»
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  570. Dieses kynische Erbe ist das Fundament einer Philosophie, die eine Religion durchdrungen hat, die mit der Bergpredigt begann und die eine Kultur der Liebe begründete, deren Strahlkraft ungebrochen ist. Ein Jammer, dass der Islam vom Gedankengut der Kyniker so gut wie nicht inspiriert ist! Diese fröhlichen Anarchisten haben aber in der arabischen Volkstradition in der Gestalt des Spassvogels Dschuhaä überlebt. Wie seine kynischen Vorläufer spielt Dschuhaä die Rolle eines weisen Schelms, der seinen Mitbürgern mit einem Lächeln die Leviten liest und der sich über sakraldepressive Frömmler lustig macht. Auch unter Arabern wird herzlich gelacht! Klammheimlich auch über Muhammad! Die Karikaturisten dürfen aufamten. Dschuhaä diene ihnen als Vorbild! Klaus 2006Die Kyniker. C. C, Buchner Verlag. Döring: Bamberg
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  573. F ÜNFTES K APITEL
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  575. Islam und Salam Hin Blick in die islamische Begriffs weit
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  578. S-L-M
  579. In den semitischen Sprachen bauen sich die Wortstämme in der Regel aus drei Konsonanten auf. Die Vokale, die sich um diese Konsonanten gruppieren, stiften den Sinn des jeweiligen Wortes: Sie bringen sowohl dessen lexikalische Bedeutung als auch dessen grammatikalische Funktion zum Ausdruck. Im Zentrum des Ara- bischen, das den semitischen Sprachraum dominiert, stehen die Konsonanten «S-L-M». Diese drei Konsonanten repräsentieren zwei Wortstämme, deren Wortfamilien von enormer gesellschafts- und kulturpolitischer Relevanz sind. Denn rund um die S-L-M- Begriffe hat sich sowohl eine übermächtige Religion als auch eine mächtige, die zwischenmenschlichen Beziehungen bestimmende Alltagskultur angesiedelt. Der religiöse Begriff ist das Verbalsubstantiv zum Verbum «aslama» (= sich unterwerfen, sich niederwerfen) und lautet «Is- lam». Die Bedeutung dieses Begriffes liegt auf der Hand: Unter- werfung (unter Allah und seinen Geboten)! Die Unterwerfung, wie sie der Islam von den Gläubigen fordert, gründet auf den klassischen «fünf Säulen»: auf der Schahada (= Glaubensbekenntnis), auf den fünf täglichen Gebeten, auf der Pilgerfahrt nach Mekka, auf dem Fasten zur Zeit des Monats Ramadan und dem Spenden von Almosen. Wer sich zum Islam bekennt, ist ein «Moslem» bzw. ein «Muslim» respektive eine «Muslima». Diese Bezeichnung ist ein aktives Partizip zum Verbum «aslama» und bedeutet: Einc/r, der/die sich Allahs Religion unterwirft.
  580. Die Anhänger des Islam werden im Deutschen nicht nur als Muslime, sondern auch als Mohammedaner bezeichnet, eine Bezeichnung, die sich vom Namen des Propheten herleitet.
  581.  
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  583. Mohammed ist die deutsche Version des arabischen Namens Muhammad. Und «muhammad» ist ein aktives Partizip, das vom Verbum «hamada» (= lobpreisen) abgeleitet ist und daher bedeutet: «Hiner, der (Allah) preist.» Muhammads Wortstamm erscheint auch in der Anrufung «al-hamdu li-llah!» (= Lobpreis für Allah), ein Dankesgebet, das Muslime zu allen möglichen Anlässen zum Himmel schicken, aber vor allem dann, wenn ihnen Gutes widerfahren ist. Der andere Begriff in dem sich eine, den sozialen Frieden för- dernde Alltagskultur widerspiegelt, verbirgt sich im Verbum «sa- lima» (= wohlbehalten sein) und lautet «salam» (= ursprünglich «Heil», später auch «Friede»), Bereits in vorislamischer Zeit be- grüssten sich Araber mit der Grussformel «salam alaik/alaikum» (= Heil dir/euch!). Dem arabischen «salam alaikum» entspricht der hebräische Gruss «schalom alekham», der bereits in der Tho- ra aufscheint. Bis zum heutigen Tag begriissen sich Araber und Juden mit dem nämlichen Friedensgruss: «Salam!» und «Schalom!» Bei so viel geistiger Nähe sei die Frage erlaubt: Warum nur herrscht immer noch kein Frieden zwischen Arabern und Juden, jenen zwei semitischen Völkern, die sich noch dazu auf den gemeinsamen Urvater Ibrahim/Abraham berufen!?
  584. Manfred Schlapp: Notabene - Einfach zum Nachdenken. Zweiter Band. Meta. Vaduz 2012 H-R-M
  585. Wer sich in den Koran vertieft, dem begegnet immer wieder die Wortwurzel «H-R-M», sei es, dass diese drei Konsonanten dem Vcrbum «harama» (= heiligen/verbieten) oder dem Adjektiv «ha- ram» (= hcilig/unverletzlich/verboten) zugrunde liegen. «Haram» bezeichnet
  586. ein Tabu, an dem zu rühren verboten ist, oder Personen und Gegenstände, die man nicht beschädigen darf. Als Beispiel für das Verbum «harama» sei der 29. Vers der neunten Sure zitiert: «Bekämpft (auf Leben und Tod) all jene, die nicht respektieren, was Allah verboten (geheiligt) hat!» Und «haram» in der Bedeutung von «heilig» erscheint in der gleichen Sure im fünften Vers: «Wenn die heiligen Monate verflossen sind, dann tötet die Götzendiener allerorts!»
  587. Als «haram» galt ursprünglich die Kaaba in Mekka, wenig später auch der Tempelberg in Jerusalem und in der Folge jede Moschee. Im Sinne eines geheiligten Ortes ist «haram» in der Form des hebräischen «herem» bereits lange vor dem Islam in der Thora belegt. «Haram» kann auch eine verheiratete Frau sein, die man nicht berühren darf, oder eine Blume, die man nicht brechen sollte. In diesem Sinn sei Kindern ein erbaulicher Merksatz finden Muttertag ans Herz gelegt: «Ich schenke Dir, liebes Mütterlein, das Dankeschön der Blumen, die ich nicht gebrochen habe!»
  588. «Haram» ist auch das Gemach, in dem sich die Frauen aufzuhalten hatten. Das arabische «haram» kam über das osmanische Reich als «Harem» nach Europa. Populär geworden ist der Harem durch die Übersetzungen von «1001 Nacht». Der Harem eines Sultans regte nicht nur die Fantasie der Dichter und Maler an, sondern prägte vor allem das Orientbild der nicht lange, und das Wort «Harem» nahm die Spiesser. Es dauerte Bedeutung der Vielweiberei an. Dass Ehefrauen in einem abgesonderten Teil des Hauses wohnen, war zur Zeit des Propheten Muhammad schon seit Men- schengedenken Sitte. Eine köstliche Stelle ist der 53. Vers der 33. Sure: Wenn Freunde den Propheten besuchen, dann soll der Besuch nicht in seiner Abwesenheit stattfinden und schon gar nicht in der verwegenen Absicht, mit den Frauen zu schäkern. Kommen die Besucher trotzdem in seiner Abwesenheit, dann gilt eine minimale Anstandsregel: «Wenn Ihr sie nach etwas Persönlichem^) fragt, dann fragt sie von hinter dem <hidschab>!», wie es wörtlich heisst. «Hidschab» bedeutet sowohl Vorhang als auch Kopftuch. Hier handelt es sich um den Vorhang, der den Raum der Frauen vom Reich der Männer abtrennt. Dieser Vers ist der einzige Koranvers, in dem von einem «hidschab» die Rede ist. Im Koran findet sich auch sonst kein Wort, das Frauen vorschreibt, den Kopf zu bedecken oder
  589. 139
  590. gar das Antlitz zu verhüllen. Wer solches behauptet - egal ob Imam oder einfacher Moslem -, bezeugt, dass er den Koran nur vom Hörensagen kennt. Der Kopf der Frau ist «haram», will heissen: Der Kopf gehört ihr!
  591. William Robertson Smith; Lectures on the Religion of the Semites - The fundamental Institutions. A. & C. Black Ltd. London 1927 Al-asma'ul-husna
  592. Im achten Vers der 2.0. Sure steht geschrieben: «Allahu: la ilaha illa huwa! lahu al-asma'ul-husna!» Und das heisst: «Gott: Es gibt keinen Gott ausser ihm! Ihm (gebühren) die schönen Namen!» Alle schönen Namen zusammengezählt ergeben die magische Zahl 99. «Wahrlich, Allah hat 99 Namen, einen weniger als hundert! Wer sie (auswendig) aufzählt, geht ins Paradies ein!» Solches verheisst der transoxanischc Schriftgelehrte Muhammad al- Buchari, der Autor einer kanonisierten Sammlung von Hadithen. Mit den 99 «schönen Namen» umschreiben fromme Muslime ihren Gott, der jenseits der menschlichen Vorstellungskraft angesiedelt ist. Alle 99 Namen aufzuzählen, macht wenig Sinn. Die häufigsten Namen seien aber genannt. Jede Sure, mit Ausnahme der neunten Sure, beginnt mit der Anrufung Allahs: «bismi'llah ar- rachman ar- rachim!» Auf Deutsch: «Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen!» Allah, der Barmherzige, der sich der Menschen erbarmt! Diese Umschreibung Allahs ist wohl die schönste, die man im Koran findet, auch wenn sich Allah nicht selten anders verhält, in der Regel dann, wenn er die Verdammten mit ewiger Höllcnpein quält oder wenn er anordnet, die Ungläubigen und Götzendiener zu beseitigen. Es erstaunt daher nicht, dass Allah auch als «Totmacher»
  593. gepriesen wird. Diese unschöne Umschreibung macht die dunkle Seite des Islam sichtbar, eine Seite, die gerne ausgeblendet und geleugnet wird. Zurück zu den schönen Namen! Die 112.. Sure, «as-suratu al- ichläsi» (= die Sure tiefen Glaubens), bringt in vier kurzen Versen die Einzigartigkeit Allahs auf den Punkt: «qul: huwa allahu ahadu, allahu as-samadu! lam jalid wa lam jülad. wa lam jakun lahu, kufuwan ahadu!» Diese vier Verse sind ein Glaubensbekenntnis: «Sprich! Er, Allah, ist der Eine/Einzige! Allah, der Ewige (wörtlich: der allem standhält)! Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt. Und ihm wird (niemand) je gleich sein, er ist in jeder Hinsicht einzig/einzigartig!» Diese kurze Sure enthält die zwei schönen Namen «ahad» (= einzig, einzigartig) und «samad» (= ewig, fortwährend, standhaltend). Und nun einige klassische «asma husna»: «al-karim» (= der Hochherzige), «al-gäfir» oder «al-gäfur» (= der Verzeihende), «al- äli» (= der Hohe), «al-a'lä» (= der Höchste), «al-ha'ä» (= der Lebendige), «al-qajüm» (= der Beständige), «al-athim» (= der Ge- waltige), «al-aziz» (= der Mächtige), «al-hakim» (= der Weise), «al- chabir» (= der Wissende/Erfahrene), «al-akram» (= der Gütige), «al- hasan» (der Schöne), «al-basir» (der Sehende), «al-malik» (= der König/Herrscher), «al-mutakabbir» (= der Majestätische) et cetera. Und als Schluss- und Höhepunkt sei die klassische Anrufung «allahu akbar» zu Papier gebracht, ein Jubelruf, der Dschihadis- ten zu ihren Untaten anfeuert und beflügelt.
  594. Muhammad Mushin Khan: The Noble Quran. Dar-us- Salam Publications. Houston. Kindle Edition 2012
  595.  
  596. 141
  597. Din
  598. Zu den koranischen Zentralbegriffen zählt der Terminus «din», der in der ersten Sure zum ersten Mal und in der 109. Sure, die mit «al- käfirün» (= die Ungläubigen) überschrieben ist, ein letztes Mal zu finden ist. Zwischen diesen zwei Suren kehrt der Begriff «din» immer wieder, mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen. In den meisten Fällen kann «din» mit «Glaube» oder mit «Religion» übersetzt werden, wiewohl die Grundbedeutung von «Religion» nichts mit der von «din» zu tun hat. Häufig wird «din» mit «jaum» (= Tag) verbunden. Diese Wortkombination erscheint bereits im vierten Vers der ersten Sure, in dem Allah als «malik jaumi ad-dini» gepriesen wird, als «Herrscher über den Tag des jüngsten Gerichts». Wer sich fragt, was «din» ursprünglich bedeutet hat, muss nur zurückblättern oder logisch kombinieren. Hilfreich für Kombinierer ist eine von zwei weiteren Koran- stcllen: Im 19. Vers der dritten Sure findet sich eine Kurz-Defini- tion von «Islam»: «inna ad-dina inda allahi al-islamu!» Das heisst: «Siehe, der Glaube an Allah ist der Islam!» Und die 82. Sure, eine der vielen Suren, die den Weltuntergang beschwören, liefert in den Schlussversen eine Definition von «jaumu ad-dini». Zunächst heisst es, dass ab dem Jüngsten Tag die Bösewichter in der Hölle schmoren werden. Und dann folgt eine rhetorische Frage und deren Beantwortung: «Was, glaubst Du, bedeutet cjaumu ad-dini>? Nochmals: Was, glaubst Du, bedeutet <jaumu ad-dini>? Es ist der Tag, an dem die Seelen (= die zum Leben erweckten Toten) keinerlei Gewalt mehr über andere Seelen haben, und an diesem Tag liegt die richterliche Gewalt (einzig) in Allahs Händen!» Ungeachtet der unterschiedlichen Bedeutungen von «din» hat dieser Begriff immer wieder die Fantasie muslimischer Dichter und
  599. Denker inspiriert. Leider hat er auch Leute, die die dunkle Seite des Islam repräsentieren, zu ihren Machenschaften angeregt. Zwei Sätze mögen dies illustrieren. Der eine Satz stammt vom Sufi-Dichter Ibn al-Arabi, einem herausragenden Vertreter des klassischen Sufismus, und lautet: «al-islam ad-din al-hub!» Unschwer ist dieser Satz zu übersetzen: «Der Islam ist die Religion der Liebe!» Der andere Satz spricht die unschöne Kehrseite «der Liebe» an: «al-islam ad-din al-harb!» Auf Deutsch: «Der Islam ist die Religion des Krieges!» Das Copyright auf diesen Satz beansprucht unter anderen der somalische Scheikh Mukhtar Robow alias Abu Mansur. Zum ideologischen Hardliner ausgebildet wurde Abu Mansur in den Moscheen von Mogadischu. Bevor er nach Afghanistan ging, um auf der Seite der Taliban zu kämpfen, arbeitete er in Mogadischu für die «Saudi Al-Haramain Foundation», eine Institution, die muslimische Terroristen finanziert. Finanziert hat Abu Mansur zudem ein Preisausschreiben für Kinder. Als erster Preis winkte eine Kalaschnikow. Denn: «Kinder müssen in einer Hand den Koran und in der anderen Hand eine Kalaschnikow halten, um den Islam zu verbreiten!» Also sprach Abu Mansur! Farlur Chicago 2002 Islam. University o(' Chicago Press. Raman; Furqän
  600. Das Substantiv «farq», Plural: «furuq», bezeichnet einen augen- fälligen Unterschied. Auch das Nomen «furqän», das mit «farq/ furuq» eine Wortfamilie bildet, weist in seiner Grundbedeutung auf eine Unterscheidung hin, die einem sofort ins Auge sticht. Je nach dem jeweiligen Sin nzusammenhang kann «furqän» mit «Un- terscheidung», mit «Unterscheidungsmerkmal» oder mit «Tren- nung» übersetzt werden. Der Koran versteht unter «furqän» ein
  601. 143
  602. ethisches Kriterium, das den Unterschied von Gut und Böse sichtbar macht. Unter dieser Perspektive darf man die 25. Sure lesen, die «furqän» im Titel trägt: «as-suratu al-furqäni». Bereits der erste Vers der 25. Sure macht deutlich, worum es geht: «Des Segens voll ist Er, der auf seinen Diener <al-furqän> (= die Unterscheidung des Richtigen vom Falschen) herabgesandt hat, auf dass sie aller Welt (für immer) eine Warnung sei!» Der «Diener» ist kein Geringerer als der Prophet, dessen Aufgabe es war, der Menschheit die Gebote und Verbote zu vermitteln, die unter dem Begriff «furqän» versammelt sind. Um die ethischen Inhalte zu verstehen, die «al-furqän» zum Ausdruck bringt, kann man auf die Analyse der 25. Sure verzichten und bereits bei der zweiten Sure Nachschau halten. Der 185. Vers dieser Sure berichtet: «(Es ist) der Monat Ramadan, in dem der Koran herabgesandt wurde als Wegleitung für die Menschen und als klarer Beweis für diese Wegleitung und als <furqän> (= normativer Katalog für angemessenes Verhalten)». Ausführlich beschreiben die Verse 177 und 178, wie sich ein gläubiger Moslem zu verhalten hat. Gekrönt wird dieser Verhaltenskatalog mit dem Gebot, Blutrache zu üben: «Einen Freigelassenen für einen Freigelassenen, einen Knecht für einen Knccht, eine Magd für eine Magd!» Und Vers 196 schreibt den Muslimen «al- hadsch» und «al- umra» vor, die grosse und die kleine Pilgerfahrt nach und in Mekka. «Al-umra», die kleine Pilgerfahrt, ist der Marsch zur «maqam Ibrahim», zur «Stätte Abrahams» (= Kaa- ba). Gemäss dem 127. Vers haben Abraham und sein Sohn Ismael die Grundmauern für die Kaaba gelegt. Einem frommen Moslem gebietet «al-furqän» folgende Vor- schriften: «Asch-schahada», das Glaubensbekenntnis zu verin- nerlichen, demzufolge es nur einen Gott gibt, dessen Prophet
  603. Muhammad ist; «as-salat», das Gebet fünf mal pro Tag als ein strenges Gebetsritual zu verrichten, und zwar unter Einhaltung der «qibal», der Blickrichtung gegen Mekka, ursprünglich in Richtung Jerusalem; «az-zakat», die Steuer freudigen Herzens zu entrichten; «as-saum», das Fasten im Monat Ramadan von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang einzuhalten und - wie eben erwähnt - «al- hadsch», die Wallfahrt nach Mekka. Und last, but not least befiehlt «al-furqän», Mildtätigkeit zu üben und Arme, Witwen und Waisen, zumal weibliche Waisenkinder, zu speisen! Al Mahdce Al Salfec: Al-Furq4n al-Haqq - Hie Truc Fuiqän. Translated by Anis Shorrosh. Winc Press Publishing. Enumclaw 1999 Kaifa?
  604. Die Ursprünge des Kiffens liegen - wie das bei Rauschmitteln häufig der Fall ist - im kultischen Bereich. Die linguistische Geschichte des Verbums «kiffen» beginnt mit einem theologischen Problem, in dessen Zentrum die Frage «kaifa?» (= wie?) stand. Wie - so fragten sich muslimische Theologen - darf man sich Allah vorstellen? Darf man sich Allah mit den Augen eines Menschen vorstellen oder muss man allen anthropomorphen Vorstellungen eine Absage erteilen? Diese kompromisslose Absage sollte sich durchsetzen. Immerhin darf man Allah mit Hilfe der 99 schönen Namen anrufen und preisen. Islamische Philosophen und Theologen beschäftigte eine weitere Frage, eine zeitlose Frage, die Dichter und Denker seit Men- schengedenken umtreibt: «Kaifa?», wie gelangen wir zur Glück- seligkeit? Zwar verheisst Allah bei entsprechendem Lebenswandel paradiesische Freuden auf Dauer, aber das real existierende Leben ereignet sich hic et nunc: Hier und jetzt tut der Zahn weh, hier auf Erden knurrt der Magen, mitten unter uns verenden Mensch und
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  606. Tier auf elendigliche Weise - und Allah, der Barmherzige, der Erbarmer, schaut zu, ohne einen Finger zu rühren! Ein Tröstlein bot (und bietet) eine Pflanze namens Cannabis sati- va, deren Konsum auch für Minderbemittelte erschwinglich war (und ist). Als die Osmanen den Grossteil der arabischen Welt unter ihre Herrschaft brachten, machte das Fragepronomen «kaifa» eine er- staunliche Karriere. In den türkischen Sprachschatz ging es als «keyf» ein, ein Wort, das den Zustand des Wohlbefindens um- schreibt, das ein Türke geniesst, wenn er sich - Kaffee schlürfend und Wasserpfeife rauchend - dem süssen Nichtstun und sündigen Träumereien hingibt. Doch nach wie vor lockte die von Poeten besungene, Wohlbe- hagen spendende Pflanze, deren Blätter an die form einer Hand erinnern. «Hand» heisst zwar in den semitischen Sprachen «jad». Der Handteller aber, der oft als pars pro toto für die ganze Hand fungiert, heisst «kaf». «Kaf» lieferte zudem die Symbolik und das Zeichen für den Buchstaben K. Wenn man diesen Buchstaben in seine ursprüngliche Position bringt, indem man ihn um 45 Grad nach links dreht, dann erkennt man noch heute die stilisierte Form einer Hand - jedoch um einen Finger beraubt. Der Weg von «kaf» zu «kiff» führt über Algerien nach Marokko. To make a long story short: Dass sich aus «kiff» das Verbum «kiffen» ableitet, leuchtet ein. Dieses Verbum in Umlauf gebracht zu haben, hat der Autor dieser Zeilen - nolens, volens - mitgeholfen, damals zu Beginn der 60er Jahre, als er begonnen hatte, durch die arabischen Länder zu trampen und arabische Sprachbrocken aufzugreifen. Zum Modewort wurde «kiffen» bei den sogenannten 68ern, jenen wohl situierten Bürgerkindern, mit denen sich der Autor, ein Wanderer zwischen den Welten, nie anfreunden konnte. Ulrich Haarmann (Hrsg.): Geschichtc der arabischen Welt. Verlag C.H. Beck. München 19S7
  607. Masdschid
  608. Der Bau von Moscheen und vor allem die Errichtung von Minaretten erregen immer wieder die Gemüter vieler Menschen. Minarette seien störende Elemente in der herrschenden Kulturlandschaft, und schlimmer noch: Der gellende Ruf des Muezzin sei ein akustischer Störfaktor, der das christliche Abendland ins Mark trifft! Wie dem auch sei, fest steht: Unaufhaltsam breitet sich der Islam in Europas aus, und mit dessen Ausbreitung nimmt die Zahl islamischer Kultgebäude zu. Ergo macht es Sinn, sich die Frage zu stellen, wie die Worte «Moschee», «Minarett» und «Muezzin» zu deuten sind. «Moschee» ist die deutsche Version des arabischen Wortes «masdschid», ein Verbalsubstantiv, das vom Verbum «sadschada» (= sich niederwerfen) abgeleitet ist. Wörtlich übersetzt bezeichnet «masdschid» den Zustand des «Niedergeworfen-Seins». Im übertragenen Wortsinn ist eine Moschee der Ort, an dem sich Gleichgesinnte einfinden, um sich vor Gott im Gebet niederzu- werfen. Bereits in vorislamischer Zeit bezeichnete «masdschid» eine Kultstätte, ein Wort, das auch in anderen semitischen Sprachen aufscheint. Zur Zeit, als der Koran niedergeschrieben wurde, hatte «masdschid» bereits die Bedeutung einer Moschee im heutigen Sinn: Ein geheiligter Ort, wo man sowohl zum Gebet als auch zu Beratungen zusammenkommt. Zu einer Moschee gehört das Minarett wie der Kirchturm zur Kirche. «Minarett» ist die frankophone Form des arabischen Wortes «menärat», das ursprünglich einen erhöhten Platz für Leuchtfeuer bedeutete. Solche Fciierplätze dienten zur Übertragung von Signalen und Nachrichten. Der Wortstamm «menara» entspricht dem hebräischen «menorah» (= der siebenarmige Leuchter). Das ursprüngliche Vorbild für Minarette dürfte der berühmte
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  610. Leuchtturm zu Alexandria gewesen sein. Im Gegensatz zu einem Kirchturm erschallen von einem Minarett keine Glocken, sondern die Rufe des Muezzin. Das Wort «Muezzin» leitet sich vom arabischen «muaddin» (= der Gcbcts- rufer) her. Fünfmal pro Tag ruft der Muezzin die Gläubigen zum Gebet auf, eine Tradition, die auf das Bestreben zurückzugehen scheint, die vermeintliche Überlegenheit des Islam gegenüber dem Christentum hörbar zu dokumentieren. Zur täglichen Kernbotschaft des Muezzin zählt die Schahada, sprich: das Glaubensbekenntnis. Eingeleitet wird die Schahada durch die vierfache Anrufung Gottes «Allahu akbar!» Dieser Anrufung folgt das zweifache Be- kenntnis: «Aschhadu: la illah illa'Ilah - aschhadu anna mu- hammadan rasülu'llah!» (= Ich bekenne: es gibt keinen Gott ausser Gott - Ich bekenne, dass Muhammad Allahs Gesandter ist!) Dann folgt der Aufruf zum Gebet und zum Heils weg. Diesen Aufruf beschliessen ein zweifaches «Allahu akbar!» und noch einmal das lauthals hinaus posaunte Bekenntnis: «la illah illa'Ilah!»
  611. Bärbel Beinhauer-Köhler und Claus Lcggewic: Moscheen in Deutschland - Religiöse Iieimat und gesellschaftliche Herausforderung. C.H. Beck Verlag. München 2009 Umma
  612. Bei Sprach- und Kulturvergleichcn stösst das Auge der Philologen und Historiker auf verblüffende Parallelen. Als Beispiel diene ein Ausdruck, der in vielen Ländern der christlichen Welt nicht nur von kultureller, sondern auch von politischer Relevanz ist, und zwar das griechischstämmige Wortpaar «kat-hol», das den deutschen Lehnwörtern «Katholik» und «Katholizismus» zugrunde liegt. Das
  613. Wortpaar «kat-hol» bildete ursprünglich den Kern von vier Worten, die einen missionarischen Befehl zum Ausdruck brachten: «kata ton holon kosmon!» Und das bedeutet: «(Breitet Euch) über die gesamte Welt aus!» Ein klarer Auftrag! Ein klarer Anspruch! Den gleichen Anspruch findet der Leser auch im Koran, Die griechische Silbe «hol» (= ganz) entspricht dem hebräischen und arabischen Wortstamm «kul» mit der nämlichen Bedeutung, In der achten Sure, «as-suratu al-anfäli» (= die Sure der Beute), steht im 39. Vers geschrieben: «Wa qatilühum hatta Ia taküna fitnatün wajaküna ad-dinu KULuhu li-llahi!» Das heisst: «Und vernichtet sie (= die Ungläubigen) so lange, bis es keine Verfolgung/Bekehrung mehr gibt und bis es nur mehr den gänzlich auf ihn gerichteten (= weltumfassenden) Glauben an Allah gibt!» Sowohl Katholiken als auch Muslime verstehen sich als eine globale Schicksalsgemcinschaft, die an keine nationalen Grenzen gebunden ist. Die muslimische Gemeinschaft nennt sich «umma». Im Koran kommt dieser Begriff 19 Mal vor, mehrheitlich in der Grundbedeutung von «Volk» oder «Nation», aber auch als «umma Muhammad» oder «umma muslima». Auf der Leitidee einer «umma muslima», die weltweit Allah preist, gründet der Wille zur Globalisierung des Islam. Bereits in der zweiten Sure ist im 128. Vers von einer «umma muslima» die Rede, um deren göttlichen Schutz Abraham und Ismael bitten. Wiederholt wird im Koran Abraham als Stammvater der Muslime gewürdigt, wie zum Beispiel im 67. Vers der dritten Sure: «Ma kana Ibrahimu jahüdijan wa la nasranijan wa lakin käna hanifan muslimin wa ma käna min al-muschrikina!» Also: «Abraham war weder Jude noch Christ, sondern er war ein EinGott-Gläubiger, ein Muselman (= einer, der sich Allah unterwirft) und schon gar nicht einer der Götzendiener!» Mit Stammvater Abraham beginnt die
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  615. Geschichte der «umma muslima», sprich: des «islamischen Katholizismus». Zu guter Letzt sei noch auf den Bedeutungshintergrund von «umma» hingewiesen. In diesem Begriff steckt das Wort «um» (= die Mutter). Im übertragenen Sinn kann «um» vieles bedeuten, wie zum Beispiel «Heimat», «Lagerplatz» oder «Quelle». Die Hauptbedeutung aber ist «Mutter», eine Bedeutung, die dem UMMA-Begriff den sympathischen Hintersinn von «Mutterland» verleiht!
  616. Fredcrick Machcwson Denny: The Mcaning of Unimah in the Qu Van. In: History of Religions, 15/1. Universicy of Chicago Press. Chicago 1975
  617. Scharia
  618. Selbst wer des Arabischen nicht mächtig ist, hat sein Vergnügen daran, in den Basaren des Orients den Märchenerzählern zu lauschen. Deren Erzählungen vermitteln dem okzidentalen Zuhörer die Ahnung, wie blumig und bilderreich die arabische Sprache ist. Der Bilderreichtum dieser Sprache ist nicht nur ein Markenzeichen orientalischer Märchen, er beseelt auch die Alltagssprache und den religiösen Sprachschatz.
  619. Zu den fragwürdigen Kernbegriffen dieses Schatzes zählt der Begriff «Scharia», der ursprünglich die metaphorische Bedeutung «Weg zur Tränke» hatte: eine schöne, poetische Umschreibung für Handabhacken oder Steinigung. Wie es um diesen Weg zu den Richtstätten einer gnadenlosen Rechtsprechung bestellt ist, hat der Islam-Experte Bassam Tibi, ein kritischer Moslem, in seinem Buch «Im Schatten Allahs» dargelegt: «Menschenrechte definieren den Menschen kraft seiner Natur, unabhängig von religiöser oder gcschlechtsspezifischer Herkunft, als Individuum und statten ihn mit Rechten aus, die als Berechtigungen gegenüber Staat und Gesellschaft gelten. Eine solche Tradition existiert im Islam schlichtweg nicht, im Gegenteil: Die Scharia steht im krassen Widerspruch zu diesem Menschenrechtsverständnis!»
  620. Im Abschlussbericht eines Kongresses, bei dem Islamisten aus aller Welt in Kairo zusammengekommen sind, ist die Marschrichtung für Muslime und deren Verhältnis zur Scharia festgelegt: «Der islamische Weltkongress hat auf seiner Arbeitstagung in Kairo eine neue Strategie für die Dawa (= Aufruf zum Islam) gefordert: Hierzu gehört der Aufbau islamischer Zentren in Europa. Gefordert wird zudem die Anwendung der Scharia als
  621. Richtschnur im Leben der Muslime!» Ein Schäuflein nachgelegt hatte Scheich al-Ghazali vor dem höchsten ägyptischen Gericht: «Jeder, der offen gegen die Anwendung der Scharia eintritt, fällt vom Glauben ab und muss getötet werden. Wer einen solchen Apostaten tötet, soll straffrei ausgehen!»
  622. In seinen Ausführungen über den Islamismus hat Bassam Tibi immer wieder vor einem falsch verstandenen Toleranz-Begriff gewarnt: «Fundamentalisten aus der Migrantenkultur beschränken Toleranz darauf, dass ihre eigenen Normen und Sitten von anderen anzuerkennen sind; sie aber bringen keinerlei Verständnis für die Gegenseite auf. Wenn diese Ungleichheit weiter zugelassen wird, könnte die Scharia unter dem Deckmantel der multikulturellen Toleranz tatsächlich in Europa eingeführt werden!» Die Befürchtungen von Bassam Tibi sind Realität geworden. Vor Jahren schon ist die Scharia in Europa angekommen - zumindest ihr zivilrechtlicher Inhalt. Auch die Toleranz wird weiter ausgenutzt, und geächtet wird, wer kundtut, dass wahre Toleranz zur Intoleranz gegenüber den Intoleranten verpflichtet!
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  624. Bassam Tibi: Im Schatten Allahs - Der Islam und die Menschenrechte. Ullstein Verlag. Berlin 2003 Zina
  625. «Zina» bezeichnet den Schambereich und bedeutet im speziellen «Ehebruch». Auch Prostitution und geschlechtliche Beziehungen unter Homosexuellen werden als «zina» gebrandmarkt. Ehebruch oder Geschlechtsverkehr zwischen zwei Menschen, die nicht verheiratet sind, gelten im Islam seit jeher als schweres Vergehen, für das drakonische Strafen vorgesehen sind. Bis zum heutigen Tage werden Strafen praktiziert, die der Koran festgelegt hat: auspeitschen oder hinrichten. Wer der «zina» überführt ist, wird heute noch in Pakistan, im Sudan, im Jemen, in Saudi-Arabien und im Iran hingerichtet. In Saudi-Arabien und im Iran wird die Hinrichtung in Form der Steinigung (= «ar-radschm») vollzogen und seit dem Frühjahr 2014 auch im Sultanat Brunei und im «IS-Kalifat».
  626. Siebzehn Suren thematisieren «az-zina». Dieses Thema begeistert seit eh und je islamische Moralapostel, deren Scheinhei- ligkeit offenkundig ist. Nehmen solche Pharisäer billigend in Kauf, dass die Belehrten - sei es aus Glaubensbereitschaft, sei es aus Angst oder Dummheit - die Belehrungen in Hinblick auf die Sexualmoral akzeptieren und die praktizierte Doppelmoral nicht wahrhaben wollen oder können? Warum nur lassen sich erwachsene Menschen vorschreiben, wie und wen sie zu lieben haben?!
  627.  
  628. 152
  629. Die Doppelmoral, die im Zeichen von «zina» stattfindet, wird ausgerechnet in der 24. Sure, in der berühmten Lichtsure, augen- fällig. Im zweiten Vers dieser Sure heisst es: «Die Unzüchtige und den Unzüchtigen, peitscht jeden der beiden mit hundert Hieben aus, und kein Mitleid soll Euch erfassen angesichts dieser Straf- massnahme Allahs!» Hundert Peitschenhiebe führten häufig genug zum Tod oder zur Verkrüppelung, Davon zeugen verkrüppelte Prostituierte.
  630. 31 Verse weiter wird dem Leser klar, dass mit zweierlei Mass gemessen wird und dass Allah die Prostitution als einträgliches Geschäft durchaus duldet: «Zwingt Eure Mägde nicht zur Prosti- tution, wenn sie frei von <zina> leben wollen, nur um irdisches Hab und Gut zu mehren! Wenn sie aber einer (dazu) zwingt, wird Allah, nachdem sie dazu gezwungen worden sind, (zum Zwinger) verzeihend und barmherzig sein.» Solch skrupellose Zuhälter dürfen sich nicht nur darüber freuen, dass Allah ihnen verzeiht, sie dürfen sich sogar mit Allahs Wohlwollen am unsauberen Gewinn erfreuen! «Zina» wird mitunter auch als «fahischa» bezeichnet, als etwas Unzüchtiges und moralisch Verwerfliches, das auch den Ehebruch mit einschliessen kann. Es erstaunt nicht, dass sich mit der Thematik der Unzucht die vierte Sure ausgiebig beschäftigt, «as- suratu an-nisäi» (= die Sure der Frauen). Unschönes lehrt etwa der 15. Vers: «Was diejenigen von euren Frauen betrifft, die Unzucht verüben: Nehmt Euch vier Zeugen gegen sie! Und wenn diese (die Unzucht) bezeugen, dann schliesst sie (= die Frauen) solange in den Häusern ein, bis der Tod sie hinwegrafft!» Allah ist verzeihend und barmherzig!
  631. John Burton: The Sources of Islamic Law - Islamic Theories of Abrogation. Edinburgh University Press. Edinburgh 1990 153 Fitna
  632. «Fitna» ist ein schillernder Begriff mit vielen Bcdcutungsnuancen. In seiner Hauptbedeutung erinnert «fitna» an das griechische Wort «Katastrophe». Beide Wörter bezeichnen eine Wende mit unerfreulichen Folgen. Im Koran wird «fitna» in 23 Suren ange-
  633. sprochen. In den ersten zehn Suren taucht dieser Begriff sogar in jeder Sure auf, mit Ausnahme der kurzen Eröffnungssure. Ent- sprechend dem jeweiligen Sinnzusammenhang kann «fitna» fol- gende Bedeutungen haben: Umkehr, Abkehr, Konversion, Abwei- chen, Hinwendung, Versuchung, Flucht, Verfolgung, Abspaltung, Zwietracht, Aufruhr oder Unheil.
  634. Im Koran dominieren drei Bedeutungen: Einerseits die Kon- version, die Abkehr vom Glauben an Allah, zweitens die Zwietracht und drittens die Hinwendung zum Bösen, die Versuchung, etwas zu tun, was Allah verboten hat und den Geboten des Islam widerspricht. Im 191. Vers der zweiten Sure findet sich der Begriff «fitna» zum ersten Mal: «Tötet sie (= die Ungläubigen), wo immer Ihr sie antrefft, und vertreibt sie, woraus sie Euch vertrieben haben! Und eine Abkehr (vom Glauben an Allah) ist schlimmer als Mord!»
  635. Der übernächste Vers bekräftigt diese Aussage: «Und bekämpft sie so lange auf Leben und Tod, bis es keine Konversion mehr gibt, sondern nur mehr den Glauben an Allah!» Ähnliches verkündet der 217. Vers derselben Sure: «Sprich: In ihm (= im heiligen Monat) auf Leben und Tod zu kämpfen ist schlimm. Aber vom Weg Allahs abzuweichen und nicht an ihn zu glauben und seine Anhänger aus der heiligen Moschee zu vertreiben, ist in den Augen Allahs viel schlimmer. Die Abkehr (von Allah) ist schlimmer als Mord!»
  636. In der dritten Sure erscheint «fitna» in der Bedeutung von «Zwietracht», und zwar im siebten Vers: «Er (= Allah) ist derjenige, der auf Dich das Buch herabgesandt hat. In ihm sind klare eindeutige Verse - sie sind die Mutter des Buchs - und andere mehrdeutige. Diejenigen, in deren Herzen die Hinterlist (wohnt), suchen vornehmlich das Mehrdeutige, um Zwietracht zu stiften.» Und in der vierten Sure bezeichnet «fitna» im 91. Vers die Ver- suchung, zum Glauben an den Polytheismus zurückzukehren: «Wenn sie der Versuchung (zum Götzendienst) erliegen, stürzen sie in diesen hinein. Wenn sie (dann) nicht von Euch fern bleiben noch Euch Frieden anbieten noch ihre Hände im Zaum halten, 154 dann ergreift und tötet sie, wo immer Ihr sie antrefft. Wir (= Allah) haben Euch über diese eine absolute Herrschaft bereitet!» Und ein letztes Beispiel sei der achten Sure entlehnt. Im 25. Vers dieser Sure wird wiederum nachdrücklich vor der Versuchung gewarnt, etwas zu tun, was Allah nicht gefallt: «Und hütet Euch vor der Versuchung (zur Abkehr von Allah)! Sie sucht gewiss nicht nur diese unter Euch heim, die Unrechtes tun. Und wisset, dass Allah im Strafen unerbittlich ist!» Dass Allah keinen Spass versteht,
  637. wenn es um den Glauben geht, lehren nicht nur die Verse, in denen «al-fitna» zur Sprache kommt!
  638. Helmut Koran und Gärje: Artemis Koranexegese. Verlag. Zürich 1971 Kafir
  639. «Kufr» ist im Islam ein schreckliches Wort. Es bedeutet «Unglau- be» und bezeichnet die Negierung und Ablehnung dessen, was Muhammad verkündet hat, und die Leugnung des Koran als die Offenbarung Allahs oder - noch schlimmer! - die Verweigerung des Glaubens an Allah. Und ein nicht minder schreckliches Wort ist «käfir», der «Ungläubige». Im Plural erscheint «käfir» als «kä- firün» oder umgangssprachlich als «kuffar». Von «kufFar» abgelei- tet ist das verächtliche «kuf», ein Schimpfwort, das im heutigen Jargon gebräuchlich geworden ist. Als «kuf» werden Juden und Christen beschumpfen, wiewohl diese wie die Muslime einer mo- notheistischen Religion angehören.
  640. Im 19. und 20. Vers der dritten Sure steht geschrieben: «Siehe: Der Glaube an Allah ist der Islam (wörtlich: Unterwerfung/Nie- derwerfung). Wenn sie dich aber hänseln, dann sprich: Ich habe mein Gesicht zu Allah niedergeworfen und (ebenso) der, der mir folgt.» Wer solcher Niederwerfung keine Gefolgschaft leistet, ist ein «käfir», für den es kein Pardon geben darf. Dutzendfach fordert der Koran die gnadenlose Verfolgung der «käfirün» im Diesseits und im Jenseits verheisst er ihnen ewige Höllenpein.
  641. Der ägyptische Prediger Abu Ischaq al-Huwaijni, ein Mentor nicht nur ägyptischer, sondern auch deutscher Salafisten, lehrt seinen Jüngern, dass ein «käfir» abscheulicher als ein Tier sei. Und was macht man mit einem derartigen Tier? Seine Antwort: «Man reitet auf ihm, man führt es zu Markte und verschachert es und man schlachtet und verzehrt es!» Solches lehrt der fromme Abu 155 unter Berufung auf den Koran. Mit dieser Lehre befindet er Ischaq sich in der muslimischen Welt in guter Gesellschaft.
  642. Vom «Unglauben» ist in sechs Suren die Rede, vom «Ungläu- bigen» aber in bedeutend mehr Suren. «Al-käfir» ist ein durch- gängiges Thema, das die Fantasie bedeutend heftiger aktiviert als «kufr». Mit einem «käfir» kann man tolle Dinge machen. Man kann ihm auflauern, Geld abpressen oder das Leben nehmen. Wer im realen Leben einen «käfir» in Ruhe lässt, kann im Koran schmökern und seiner Fantasie genüsslich freien Lauf lassen, wenn er liest, was solchen Unholden in der Hölle blüht: Ihre Haut ver- sengt in der Feuersglut, und glühend heisses Wasser wird über ihre Köpfe gegossen. Ihnen wird regelmässig eine Nahrung verabreicht, die ihre Eingeweide zerfrisst, und als Grundnahrung dienen ihnen Disteln und Jauche. Und das ist noch nicht alles! Unschön ist das teuflische Freund-Feind-Schema, das der Koran entworfen hat: Hier «al-mümin», der gute Gläubige, der Allahs Schutz geniesst und ins Paradies eingehen wird, und dort «al-käfir», der böse Ungläubige, der zum Abschuss freigegeben ist und in der Hölle schmoren wird! Viel Unheil hat dieser unselige Dualismus in den vergangenen Jahrhunderten bereits gestiftet, und es ist nicht zu erwarten, dass sich diesbezüglich in Zukunft viel ändern wird. Und schon gar nicht im Heute, in dem der alte Wahn neu erwacht ist.
  643. Walter Björkman: Käfir, In: Encyclopedia of Islam. Band 4. Brill (Verlag). Leiden 1998 Taqija
  644. In seinem ursprünglichen Sinn bedeutete der Begriff «taqija» so viel wie «Furcht» oder «kundige Besorgnis». In diesem Sinn erlaubt der Koran im 28. Vers der dritten Sure, dass sich Gläubige mit den verpönten Ungläubigen anfreunden dürfen, falls eine solche Freundschaft ihrem Schutze oder dem Sieg des Islam dienlich ist. Im schiitischen Islam implizierte «at-taqija» sogar die Erlaubnis, seinen Glauben zu verleugnen, wenn es um Leben oder Tod ging. Mit der Zeit entwickelte sich «at-taqija» zu einem strategischen Prinzip, und zwar zum Prinzip der Täuschung, der Verschleierung und der Irreführung, mit dem Ziel, die Feinde in Sicherheit zu wiegen und hinter ihren Rücken die Messer zu wetzen. Mit anderen Woften: Ungläubige zu täuschen und hinters 156 Licht zu führen, ist kein Delikt, sondern eine lobenswerte Tat, derer sich
  645. gläubige Muslime befleissigen sollen. Nur so könne man auf Allahs Weg siegreich in die Zukunft schreiten.
  646. Aus aktueller Sicht sind die Iraner Meister der Täuschung und Irreführung in ihrem zielstrebigen Bemühen, die schiitische Bom- be zu bauen. Mit ihren Verschleierungstaktiken stehen sie in bester Tradition, im festen Glauben, dass nichts und niemand sie davon abhalten kann, die A-Bombe zu bauen. Und von langem Atem zeugt ihr Bemühen. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich das iranische Nuklearprogramm in seiner finalen Phase befindet. Gleichwohl werden die iranischen Politiker nicht müde, mit frommer Miene zu beteuern, dass die Forschungen ausschliesslich zivile Ziele verfolgen.
  647. Bereits im Jahre 2009 gab die in Wien domizilierte IAEA bekannt, dass seit der Inbetriebnahme der unterirdischen
  648. Anreicherungsanlage von Natanz 480 Kilogramm schwach ange- reichertes Uran produziert worden sind. Das bedeutet, dass der Iran bereits seit etlichen Jahren über ausreichend schwach ange- reichertes Uran verfügt, um circa 30 Kilogramm hoch angerei- chertes Uran herzustellen, das vonnöten ist, um einen nuklearen Sprengkopf zu bauen. Mittlerweile sind neue, unterirdische Anla- gen gebaut worden, in denen munter weiter produziert wurde und wird. Dass die Bombe kommt, ist nur eine Frage der Zeit und des taktisch günstigen Augenblicks. Es darf nicht verschwiegen werden, dass viele mitgeholfen ha- ben, den Mullahs das nötige Know-how zu liefern, unter anderem eine Firma im Schweizer Rheintal, unfern von Liechtenstein. Dort hatten Ermittler Datenträger und Dokumente sichergestellt, die über mehr als ein Gigabyte an verschlüsselten Informationen über nukleare Waffen enthielten. Die Prüfung des Materials hat erge- ben, dass es sich um das vollständige Design für einen hochwirk- samen nuklearen Sprengstoff handelte. In eine Bombe verpackt, passt diese perfekt auf die Shahab-3-Rakete, die nicht nur für Israel eine Bedrohung darstellt. Zittern müssen auch die Saudis! «At- taqija» macht es möglich!
  649. Rudolf Strothmann und Moktar Djebli: Takiyya. In: Encyclopcdia of Islam. E12, Brill (Verlag). Leiden 2004
  650. 157
  651. Fatwa
  652. Der Begriff «fatwa» bezeichnet zweierlei: Einerseits versteht man unter «fatwa» eine Rechtsauskunft, die ein «fiqh», ein Spezialist der islamischen Jurisprudenz, oder ein Mufti erteilt, wenn er dar- um gebeten wird, ein rechtliches oder religiöses Problem zu lösen. Zum anderen bedeutet «fatwa» eine Art Gottesurteil, das von einer religiösen Institution gegen Menschen erlassen wird, die man als Frevler brandmarkt. Weltberühmt geworden ist das Fatwa- Edikt, das den Schriftsteller Salman Rushdie zum Tode verurteilt hat. Jeder Moslem wurde dazu aufgerufen, den Autor des Romans «Die Satanischen Verse» zu töten, sollte er seiner habhaft werden.
  653. Als satanisch erschien in den Augen der Fanatiker nicht nur der Titel des verfemten Buches, sondern sogar der Name des Autors: Rushdie! Dieser Name ist eine Reverenz gegenüber Ibn Ruschd alias Averrocs, jenem spanisch-arabischen Philosophen zu Cordoba, den fanatische Frömmler an den Pranger gestellt und dann ins Exil gejagt hatten, nachdem dessen Bücher öffentlich verbrannt worden sind. Der Vater von Salman Rushdie hiess Khwaja Muhammad Din Khaliqi Dehlavi. Seinem Sohn Salman wollte er einen solch komplizierten Namen ersparen. Deshalb be- schenkte er seinen Sohn mit dem Namen Rushdie, in der richtigen Annahme, dass dieser Name Salman wie ein Leuchtfeuer den Weg durch das Leben weisen werde.
  654. Entlarvend war nicht nur das aberwitzige, von Ajatollah Kho- meini erlassene Fatwa-Edikt, für dessen Erfüllung sich Gad el- Haq Ali Gad el-Haq, der Obermufti der Kairoer Azhar-Universi- tät, besonders lautstark einsetzte. Noch viel entlarvender waren die feigen Reaktionen, die aus der Welt der Politik und der Mei- nungsmonopole kamen. Ein Beispiel der ersten Stunde: In Brad- ford kam es zu tumultartigen Protesten randalierender Muslime, die den Tod von Salman Rushdie forderten und stellvertretend für den «Frevler» dessen Buch öffentlich verbrannten. Vergebens hat man daraufgewartet, dass von Seiten der Politiker solch kriminelle Aktionen verurteilt worden wären.
  655. Auch Kulturschaffende haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. In Berlin weigerte sich die Akademie der Künste, auf ihrem Ho- heitsgebiet eine Pro-Rushdie-Demo zuzulassen. Und die Schwe- 158 dische Akademie in Stockholm, die den Nobelpreis für Literatur
  656. vergibt, hat offiziell beschlossen, keinen Protest gegen die Fatwa einzulegen. Dass selbst der Olymp der Literatur in die Knie ge- gangen ist, hat an entlarvender Feigheit alles übertroffen! Feiges Schweigen umhüllte auch die Todes-Fatwa, die der Grossmufti von Saudi-Arabien im Sommer 2014 über den kuwai- tischen Künstler Naif al-Mutawa verhängt hat. Naif al-Mutawa hat sich «erdreistet», seine Comic-Serie, in denen Dschihadisten gegen Supcrmen kämpfen, mit «99» zu betiteln. «99»! Mit 99 «schönen Namen» wird Allah gepriesen! Welch ein Sakrileg! Ein solcher Frevler hat sein Recht auf Leben verspielt! Freiheit der Kunst auf islamisch!
  657. Salman Rushdie: Joseph Anton - Die. Autobiografie. C. Bertelsmann Verlag, München 2012
  658.  
  659. 159
  660. SECHSTES K APITEL
  661. Dogmatische Altlasten Begriffs- und Buchstabengläubigkeit Wortmagie
  662. «Göttlich, mit Zauberkraft begabt, Vehikel der Offenbarung, der Segnung und der Hexerei, im Glauben verwurzelt, dem Aber- glauben herzlich zugetan - das alles ist das Wort. Abrakadabra, Bricklebrit, Fortschritt, Hokuspokus, Simsalabim, Nächstenliebe, so heissen die magischen Formeln. Die Wörter sprechen selig, manchmal heilig, selten wahr.» Mit diesen Sätzen führt Rolf Schneider den Leser in sein Buch «Magie und Macht der Sprache» ein. Die Schreibe ist von einer Sprache, die dunkelt und funkelt, von einer Sprache, in der in der Regel heilige Schriften abgefasst sind.
  663. Die Wortmagie stellt «Wirklichkeiten» her, die zwar im Kopf, aber nicht ausserhalb der Gehirne anzutreffen sind. Es handelt sich um Welten, die keine reale, sondern einzig eine psychische Existenz haben. Solche Welten existieren im Fantasicrcich der sogenannten Noologicn. Dazu ein Wort des Philosophen Edgar Morin: «Noologische Wesenheiten wie Ideen, Symbole, Geister und Götter haben nicht nur eine subjektive Realität, sondern be- sitzen auch eine gewisse objektive Autonomie.» Denn: «Von den Gehirnen hervorgebracht, werden sie zu neuartigen Lebewesen, denen gegenüber die Gehirne sich gewissermassen wie Zauber- lehrlinge verhalten.»
  664. Nicht nur die Wortmagier auf den Kanzeln beschwören noo- logische Konstrukte. Dem Hang zum Wortfetischismus erliegen selbst Grübler in ihren Gelehrtenstuben. Wer im dicken Folianten blättert, in dem die Geschichte des Denkens aufgezeichnet ist, gewinnt den Eindruck, dass die Gcistesgeschichte über weite Strecken eine Geistergeschichtc ist. In diesem Sinn monierte der
  665. Englische Empirist Francis Bacon: «So wie es Dinge gibt, die aus Unachtsamkeit keinen Namen bekommen haben, so gibt es Wör-
  666. ter, denen der Gegenstand fehlt und mit denen wir getäuscht wer- den.» Bacon bezeichnete «die Namen von Dingen, die es nicht gibt» als «Götzenbilder». Auch Bacons Landsmann John Locke warnte in seinem Essay «Von den Wörtern» vor der «Verwendung von Zeichen ohne jegliche Bedeutung». Dass derlei «Begriffsgöt- zen» ihr Wesen treiben, begründete Locke damit, weil «Pfarrer, Lehrer und dieser oder jener hochwürdige Doktor sie verwendet haben.» Ein schönes Beispiel ist der «Ontologischc Gottesbeweis» von Anselm von Canterbury, ein «Beweis», mit dem Schüler wie eh und je zum Narren gehalten werden. Uber diesen «Beweis» hat sich bereits der Mönch Gaunilo, ein Zeitgenosse von Anselm, lustig gemacht: Wenn einer schwadroniert, es gebe in den Weiten des Ozeans eine Insel, die dem Paradiese gleicht, so existiert diese Insel zwar in seiner Vorstellung, «in intellectu», aber nicht in der Wirklichkeit, «in re». Sollte der Schwadroneur an seinem Hirn- gespenst festhalten, dann handelt es sich um einen Narren, der den Vogel im eigenen Hirn für den Heiligen Geist hält. Und an Narren herrscht kein Mangel!
  667. Edgar Morin: Das Rätsel des Humanen - Grundfragen einer neuen Anthropologie. Piper Verlag. München 1974 Geheiligte Worte
  668. Zur Zeit der mittelalterlichen Scholastik war das Denken «in spanische Stiefel eingeschnürt», wie der Geheime Rat von Goethe treffend formulierte. Ergo lautete das Credo der klerikal domi- nierten Denk- und Bildungsanstalten: «Philosophia est theologiae ancilla!» Sinngemäss übersetzt besagt das Diktum von der Philo- sophie als der Magd der Theologie, dass die Wissenschafter den Hütern der Glaubenswahrheiten Untertan sind! Gottlob gehört in unseren Breiten eine derartige Bevormundung des Denkens schon seit geraumer Zeit der Vergangenheit an - den Aufklärern sei Dank!
  669. In der islamischen Welt hingegen ist das Credo von der Domi- nanz der Theologie über die Philosophie noch immer in Kraft. Und weithin gilt der Glaubenssatz: Im Koran ist alles nachzulesen, was der Mensch wissen muss und wissen darf! «Aufgeklärten161 Geistern» ist es allenfalls erlaubt, gesichertes Allgemeinwissen in Verse zu
  670. projizieren, deren Bedeutung aus sprachlichen Gründen nicht ganz eindeutig ist, Ein schönes Beispiel für solche Projektionen ist der Beginn der 96. Sure, der Sure des «sich Anklammernden», Da steht geschrieben:
  671. «Lies im Namen Deines Herrn, der erschaffen hat. Er hat den Menschen erschaffen aus dem <sich Anklammernden) (= älaq).» Eine metaphorische Bedeutung von «älaq» ist «Wurzel», und das macht im verwissenschaftlichen Denken durchaus Sinn: Aus einer Wurzel wuchsen die Menschen. Aus Sicht des biologischen Einmaleins dürfen heutige Schriftgelehrte unter «älaq» das männliche Spermium verstehen, das sich am weiblichen Ovulum anklammert. Ohne den wahren Sinn erfasst zu haben, war
  672. Muhammad von göttlicher Weit- und Klarsicht erleuchtet, als ihm diese Verse zugeraunt wurden!
  673. Im Gegensatz zur europäischen Aufklärungs- und Wissen- schaftstradition haben in der islamischen Welt so gut wie keine textkritischen Forschungen oder gar ideologiekritische Studien stattgefunden. Noch immer gilt der Koran als ein sakrosanktes Buch, das die absolute Wahrheit verkörpert. Demzufolge ist jeder Koranvers eine geheiligte Botschaft, an der kein gläubiger Moslem zweifeln und die er nicht hinterfragen darf. So gebietet es bereits der zweite Vers der zweiten Sure! Eine solche Buchstabengläubigkeit ist Äonen entfernt von Pierre Abailards kühnem Satz, mit dem in Europa die nachantike Aufklärung begonnen hat, einem Spreng-Satz aus den Anfängen des zwölften Jahrhunderts, der da lautet: «Universalia tantum sunt nominal» Das heisst; Universalbegriffe sind nur Worte! Und das bedeutet: AllgemeinbegrifFe sind Schall und Rauch, sind blosse Worthülsen, denen in der real existierenden Welt nichts entspricht! Der Leser wähle unter diesem Aspekt einen theolo- gischen Universalbegriff und staune, welcher Sinn sich ihm er- schliesst!
  674. Murad Wilfried Hofmann: Der Koran - Das heilige Buch des Islam. Diederichs Gelbe Reihe. Heinrich Hugendubel Verlag. Kreuzlingen-Münchcn 2003 Von rechts nach links
  675. Die Anhänger der Scharia preisen dieses Gesetzessystem als In- begriff der Gerechtigkeit, da es sich aus Sicht ihres Glaubens um
  676. ein göttliches System handelt, an dem nicht gerüttelt werden darf. Die Göttlichkeit der Scharia gelte nicht nur für den zivilrechtlichen Bereich, sondern vor allem für das Strafrecht, das selbst für geringe Vergehen drakonische Strafen vorsieht - vergleichbar den «peinlichen» Strafmassnehmen, wie sie vor nicht allzu langer Zeit auch in unseren Breiten noch praktiziert worden sind.
  677. Zu den drakonischen Strafen zählen Steinigungen und das Abhacken von Füssen und Händen. An diesen archaischen Prak- tiken halten etliche islamische Staaten bis zum heutigen Tage fest. Man befolge nur Allahs Wille, lautet die offizielle Begründung! Expressis verbis befiehlt etwa Allah, dem Dieb und der Diebin die Hand abzuhacken als gerechten und schmerzlichen Lohn für ihre Untat. Selbst Imame, die als modern und aufgeklärt gelten, stim- men solch archaischen Rechtsvorstellungen zu. Und warum? Wenn es so im Koran steht, dann habe Allahs Gebot Gültigkeit, und dieses Gebot müsse man akzeptieren und befolgen - egal, ob es einem gefällt oder nicht!
  678. Hinter derlei Geisteshaltungen steht eine Gesinnung, die Buchstabengläubigkeit heisst. Diese Gläubigkeit ist ein Ausdruck erstarrter Traditionen, an denen sich orthodoxe Juden seit jeher mit sprichwörtlicher Inbrunst ebenso festklammern wie ihre Nachahmer, die orthodoxen Muslime. Nun sei ein scheinbarer Gedankensprung erlaubt: Es ist wohl kein Zufall, dass sowohl Juden als auch Araber immer noch von rechts nach links schreiben - wie zur Zeit der Erfindung der Schrift. In dieser
  679. Linksläufigkeit spiegelt sich ein Grundzug der Buchstabengläubig- keit wider.
  680. Das Alphabet ist ein Produkt semitischer Genialität, das sich in Bälde über den gesamten Mittelmeerraum ausgebreitet hat. Als die Buchstaben laufen lernten, war das Hauptmedium der Stein, in den Gesetze und wichtige Botschaften eingemeisselt wurden. Da die Mehrheit der Menschen Rechtshänder sind, ergab es sich von selbst, dass man von rechts nach links mcisselte. Mit der Zeit machten Pergament und Papyrus dem Stein Konkurrenz. Endlich konnten Schriftkundige ihre Gedanken zu Papier bringen. Brav schrieben die semitischen Völker weiterhin von rechts nach links, nicht nur, weil es der Gewohnheit entsprach, sondern auch deshalb, weil es ein schöner Brauch war und dies, obwohl sich die Hand beim Schreiben schwer tat oder - noch schlimmer - 163 obwohl die Hand das eben Geschriebene häufig verwischte! Als die Griechen das Alphabet übernahmen, änderte sich schlagartig die
  681. Schriftrichtung. Die Griechen fühlten sich an keine dümmlichen Traditionen gebunden und begannen, von links nach rechts zu schreiben, was das Schreiben wesentlich vereinfacht hat. Quid fabula docet?!
  682. Helmut Glück (Hrsg.): Schriftrichtung. In: Merzicr Lexikon Sprache. Vierter Band. Aktualisierte und überarbeitete Auflage. Metzler Verlag. Stuttgart- Weimar 2010 Bewegliche Lettern
  683. 1453 fiel Byzanz, die Weltstadt am Bosporus, die der römische Kaiser Konstantin gegründet hatte, in die Hände der Osmanen. Allen Beteuerungen zum Trotz liess das römisch-katholische Eu- ropa das griechisch-orthodoxe Europa in Stich. Ohne einen Finger zu rühren, schaute Rom zu, wie die Metropole des Ostchris- tentums von den Janitscharen, von der osmanischen «Waffen-SS», die sich zum grössten Teil aus gekidnappten Gricchenknaben rekrutierte, gestürmt und geplündert wurde. Das ehemalige Kon- stantinopel, die Perle am Bosporus, wurde zum neuen Macht- zentrum der Osmanen. Und aus «Byzanz» wurde «Istanbul», ein Name, in dem der Schlachtruf der Griechisch sprechenden Janit- scharen widerhallt: «eis tan polin!», sprich: is-tan-pol(in), und das heisst: «In die Stadt hinein!» fortsetzung in part 2/2
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