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Mar 23rd, 2022
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  1. HASS
  2. Von Philipp Köster
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  4. Immer, wenn ich an den 1. FC Kaiserslautern denke, kommt mir Kurt Beck in den Sinn. Wie er vollbärtig an seinem Ministerpräsidentenschreibtisch aus Tropenholz sitzt, gierig in einen glänzenden Saumagen beißt und einen hochdotierten Auszahlungsbeleg der pfälzischen Lottozentrale unterzeichnet, um den Klub wieder einmal vor der Insolvenz zu bewahren. Die Region darf nicht sterben.
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  6. Traurig, aber wahr: Das ist das triste Bild, das mir vom ruhmreichen 1. FC Kaiserslautern geblieben ist, seit sich die Pfälzer vor Jahren durch diverse Abstiege aus den bundesweiten Fernsehprogrammen verabschiedet haben. Ein Klub, der sich wahlweise bizarren Investoren an den Hals wirft oder in Windeseile Insolvenz anmeldet, um die Gläubiger um den Großteil ihrer Ansprüche zu prellen. Ein Klub, der stets mit dem dicken Hintern einreißt, was er sich mit den Händen aufgebaut hat, ganz so, als spreche er bei einem Casting für die Rolle von Rot-Weiss Essen vor. Ein Klub, den ich höchstpersönlich dafür verantwortlich mache, dass Klubs wie Augsburg oder Hoffenheim oder Leipzig in der Bundesliga spielen. Hätte der FCK nicht einfach in der Liga bleiben, die Tür zumachen und ein „Besetzt“-Schild hinhängen können? Dann hätte der Rechtsausleger aus Fuschl einfach weiter irgendwelche Idioten ins All geschossen, anstatt in Leipzig seinen unseligen Getränkestützpunkt aufzumachen. Kurzum: Der FCK war in den letzten Jahren wie eine dieser vielversprechenden Mails, in denen uns die Erben eines afrikanischen Sonnenkönigs eine Millionenüberweisung für die nächsten Tage ankündigen. Man denkt, man ist bald stinkreich, dabei lacht sich gerade einer in Lagos scheckig, weil man ihm 500 Euro für angebliche Überweisungsgebühren ausgelegt hat.
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  8. Dabei habe ich mich früher immer gefreut, wenn der FCK in der Sportschau übertragen wurde. Das war selten genug der Fall, weil die ARD-Reporter völlig zu Recht den beschwerlichen Weg über unbefestigte Gebirgspfade ins pfälzische Stammesgebiet fürchteten, wo sie von den grunzenden Einheimischen so neugierig erwartet wurden wie Dr. Livingstone auf Sansibar. Wenn dann aber die Kamera über die Ränge des damals noch nicht mit ungedeckten Schecks überdachten Betzenbergs schwenkte, wähnte man sich in einem Historienschinken über frühe Völkerwanderungen in Germanien. Wuchernde Frisuren, zottelige Schnauzbärte, dazu ein Dialekt, der erfahrene Sprachforscher mehr verzweifeln ließ als die Alliierten an der Enigma. Diesen Look und Habitus sollte Harry Koch später für kurze Zeit revitalisieren. Koch war zugleich einer der wenigen integren FCK-Charaktere in den Neunzigern und Nullern. Ansonsten drängelte sich in der Pfalz derart viel unsympathisches Personal, dass man sich fast an den FC Bayern jener Zeit erinnert fühlte. Das fing mit den Funktionären an, mit dem Schweizer Berufsangeber René Jäggi und dem notorischen Atze Friedrich, dessen Boutique auch noch nach der Jahrtausendwende vorwiegend Herrenkleidung offerierte, mit der sämtliche Protagonisten von „Rivalen der Rennbahn“ eingekleidet werden konnten. Die Riege der irrlichternden Gestalten setzte sich fort mit Coach Friedel Rausch, der sich während der Abschlussfahrt in einem Filmbeitrag so ausgiebig an den Klöten kratzte, dass die Redakteure am Schnittplatz mehrfach zum Riechsalz greifen mussten. Und dann schließlich die Spieler, sei es der französische Weltmeister Youri Djorkaeff, den ausschließlich das üppige und vor allem steueroptimierte Salär zum Umzug ins pfälzische Reservat bewogen hatte, oder sei es Mario Basler, der nur deshalb in der Pfalz nicht durch Schlägereien auffiel, weil die einzige örtliche Pizzeria jeden Abend sicherheitshalber um 18.30 Uhr die Tür verbarrikadierte.
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  10. Das gruselige Personaltableau allein hätte jedoch nicht den tiefen Absturz des Klubs gerechtfertigt. Hinzu gesellte sich leider eine oftmals schwer auszuhaltende Nostalgiewelle, die alle paar Monate über den Klub hereinbricht. Dann erinnern sich wieder alle an die Gebrüder Walter, irgendwelche in der Kreidezeit errungenen Siege gegen Real Madrid und den wimmernden Andi Brehme nach dem Abstieg in Leverkusen 1996. Kein Verein lebt so sehr in der Vergangenheit wie der FC Kaiserslautern, sieht man von Kickers Offenbach, Preußen Münster, Alemannia Aachen, dem MSV Duisburg, Wattenscheid 09, der SpVgg Bayreuth, dem KFC Uerdingen und vielen anderen wehleidigen Traditionsklubs ab. Sonst aber wirklich keiner. Und selbst wenn der FCK im Sommer aus dieser Kirmesliga, deren sportliche Qualität gut dadurch beschrieben ist, dass sogar Waldhof Mannheim mitkicken darf, aufsteigt, wird das ein kurzes Gastspiel. Denn natürlich wird wieder irgendein Boutiquenbesitzer auf die Idee kommen, mit waghalsigen Transfers den 1. FC Kaiserslautern in die Champions League zu pushen. Bis Kurt Becks Nachfolgerin Malu Dreyer wieder ein paar Lottomillionen reinschießen kann. Wir erinnern uns: Die Region darf nicht sterben.
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