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Zschäpe "Die Schweigerin"

Jul 19th, 2013
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  1. Sächische Zeitung online
  2. Freitag, 19.07.2013
  3. Die Schweigerin
  4. Seit zwei Monaten steht die mutmaßliche Terroristin Beate Zschäpe schon vor Gericht. Trotzdem weiß man immer noch nicht, wie sie wirklich tickt.
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  6. Von Ulrich Wolf, zurzeit München
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  8. Keine Extravaganzen, keine Tätowierung, nichts Schrilles, erst recht nichts Dumpfbackiges. Man sieht Beate Zschäpe nicht an, dass sie bereits anderthalb Jahre im Gefängnis sitzt. Die mutmaßliche Rechtsterroristin, über die hier im Schwurgerichtssaal des Münchener Strafjustizzentrums geurteilt wird, kommt als jemand rüber, dem man bereitwillig Auskunft gäbe, würde sie einen auf der Straße nach dem Weg fragen.
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  10. Eine durchaus attraktive Frau mit wallenden langen rotbraunen Haaren, stets schick gekleidet, die schlanke Figur betont. Am einen Tag trägt sie ein ärmelloses eng anliegendes graues Oberteil mit Rollkragen. Am nächsten ein T-Shirt in Pink. Am übernächsten weiße Bluse und dunklem Hosenanzug. Sie ist dezent geschmückt mit silber glänzenden Armreifen. Die schmalen Lippen sind nicht geschminkt. Lediglich die Wimpern hat sie nachgezogen, ein wenig Lidschatten auflegt.
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  12. Nichts, was nach außen auf den ihr von der Boulevardpresse vergebenen Titel „Nazi-Braut“ schließen lassen könnte. Dabei ist diese Frau, die im Gerichtssaal flankiert wird von Rechtsanwälten zur Linken und zur Rechten, angeklagt, als Mitglied des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) gemeinschaftlich zehn Morde begangen zu haben, zwei Bombenattentate, 15 Raubüberfälle, eine schwere Brandstiftung.
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  14. Als ihre „Familie“ hat Beate Zschäpe den NSU einmal bezeichnet. Es war eine Familie, die viele andere Familien ins Unheil stürzte. Die ihr aber offenbar das vermittelte, was jeder Mensch sucht: Zugehörigkeit, Geborgenheit, Heimat.
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  16. Gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatte sie sich zumindest in der Frühlingsstraße im bürgerlichen Zwickau-Weißenborn so etwas wie ein Zuhause geschaffen. Im ersten Stock eines 1930 erbauten und 2007 sanierten Siedlerheims lag ihre Wohnung. 120 Quadratmeter für 500 Euro. Zwei Katzen, holzvertäfelte Wände, Flachbildschirme über den Betten, Computer, Fitnessraum. Andererseits aber auch Überwachungskameras, verriegelte Türen, ein Wandtresor. So blieb die Frühlingsstraße nur ein Versuch von Heimat.
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  18. Das Trio hätte nach Südafrika flüchten können, hat der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft, der Mitangeklagte Holger G., ausgesagt. Doch sie hätten nicht gewollt. Es war wohl vor allem Zschäpe, die sich mühte, nach zehn Jahren auf der Flucht, endlich irgendwo anzukommen.
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  20. Das, was ihre Heimstatt hätten werden sollen, hat Zschäpe letztendlich selbst zerstört. Zumindest sieht das die Bundesanwaltschaft so. In dieser Verhandlungswoche hat der oberste Brandermittler der Zwickauer Kripo Hunderte Fotos von der Brandruine gezeigt. Sie machten das ganze Ausmaß der Zerstörung deutlich. Wie ein Immobilienmakler führte der Kripo-Mann die Öffentlichkeit im Gericht mit seinen Bildern durch die verwüstete Wohnung. „Das ist der Brandbereich E, das Wohnzimmer. ... Jetzt sind wir im Brandbereich H, im Schlafzimmer. ... „Und das ist der Brandbereich J, das Bad.“
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  22. Zschäpe hat ihre eigenen angesenkten Schuhe und die ihrer toten Kameraden gesehen, die zusammengeschmolzene Hantelbank, das verkohlte Laufband, den angebrannten Impfausweis einer ihrer Katzen, ein schwarzes AC/DC-Shirt, einen roten Schlafsack, heil gebliebene Teelichter und sogar einen Blumenstrauß.
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  24. Ohne Regung nimmt sie das alles hin. Die 38-Jährige verschränkt die Arme als ginge sie das alles nichts an. Zwischendurch greift sie in ihren blauen Stoffbeutel, zieht einen 1,5-Liter-Tetra-Pack Mineralwasser heraus und trinkt aus einem weißen Plastikbecher. Sie wirkt gelangweilt, genervt. Sie tut so, als hätte das alles nichts mit ihr zu tun. Zschäpe sieht auch die Reste des Hochbetts im Wohnzimmer, die des Doppelbettes im Schlafzimmer. Ein Bundeskriminalbeamter erzählt über die Vernehmung von Holger G. Dessen Aussage zufolge habe das Trio „harmonisch miteinander gelebt“. Zschäpe habe in einer „Ehe mit zwei Männern“ gelebt, in der man sich natürlich auch mal gestritten habe.
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  26. Wieder nichts. Kein Lächeln, Keine Regung.Tränen schon gar nicht. Beate Zschäpe schlägt höchstens mal die Beine übereinander oder wirft mit ihren Armen ihre Haare zurück. In dieser Bewegung liegt keine Verunsicherung. Im Gegenteil. Diese lässige „Schaut-her-Geste“ demonstriert Selbstbewusstsein. Diese Geste ist eine Fortsetzung dessen, was nach den bisher 25 Verhandlungstagen schon zu einem Ritual geworden ist. Vor dem Beginn der Sitzung dreht die Angeklagte den Fernsehleuten und Fotografen im Saal – und damit auch den Bundesanwälten in ihren roten Roben – demonstrativ den Rücken zu. Keck ist das, herablassend, arrogant, provozierend, unhöflich. Keinesfalls eingeschüchtert.
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  28. Durchaus möglich, dass sie diejenige war, die das Trio zusammenhielt: organisatorisch, finanziell, psychologisch. Wer mal beobachtet hat, wie sie im Gericht ihre Brille putzt (erst das linke Glas, dann das rechte, und zum Schluss poliert sie sogar den Nasenbügel), der wird klar, wie penibel diese Frau sein muss.
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  30. Der Zwickauer Brandermittler zeigt auch den gelben Abfüllstutzen eines Benzinkanisters, der im Brandschutt in der Ecke unter dem Hochbett am Drehstuhl lag. Er zeigt einen mit Packband umwickelten Pappkarton, aus dem zwei Drähte führen, die an einer Batterie angeschlossen sind: eine Bombenattrappe, gefunden im Schlafzimmer. Er zeigt einen geöffneten Wandtresor. Er sagt, wo er die Waffen gefunden hat, elf an der Zahl.
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  32. Zu gern möchte man wissen, was all diese Fotos in Beate Zschäpe auslösen. Diese Wiederbegegnung mit den Resten ihres alten Lebens. Wie anstrengend muss das Schweigen für sie sein in diesen Momenten. Und es wird ja noch viele solche Momente geben. Der Prozess wird mindestens zwei Jahre dauern, nahezu wöchentlich wird dienstags, mittwochs und donnerstags von 9.30 Uhr bis 17 Uhr verhandelt. Mit einem Richter, der nur wenige Unterbrechungen zulässt und die Mittagspause auf eine Stunde beschränkt. Mit technokratisch auftretenden Gutachtern, mit nervenaufreibenden Befragungen. Und mit einer etwa bis zum Schluss schweigenden Hauptangeklagten?
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  34. Dabei haben ihre einstigen Zwickauer Nachbarn sie doch als redselig geschildert, als freundlich, kontaktfreudig. Sie habe am Bierausschank beim Nachbarschaftsfest geholfen, Kinder betreut, nett gegrüßt, Pizza spendiert. Hier im Gericht, jenseits dieses scheinbar bürgerlichen Lebens, ist sie ganz anders. Bevor zehn Richter, vier Bundesanwälte, 50 Nebenkläger-Vertreter und elf Verteidiger einen Zeugen entlassen, vergeht viel Zeit. Dann schaut Zschäpe mürrisch, mit ihren hinuntergezogenen Mundwinkeln ähnelt sie so noch am ehesten den Fotos, die man von der Fahndung kennt.
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  36. Der psychologische Gutachter, der die Verhandlungen verfolgt, um Beate Zschäpe für das Gericht einzuschätzen, hat sie in seinem ersten vorläufigen Bericht mit als „offenbar kontaktfreudig, selbstbewusst, unbefangen und tatfreudig“ beschrieben. Er hat das nur aus seinen Beobachtung heraus geschlossen, Zschäpe selbst redet auch mit ihm nicht, verweigert jeden Kontakt. Nur ganz selten öffnet sich ein Spalt in der Mauer um ihr Innenleben. Dreimal suchte Beate Zschäpe in dieser Verhandlungswoche im Gerichtssaal Blickkontakt zum ebenfalls angeklagten André E. aus dem erzgebirgischen Erlabrunn. Ein kräftiger Typ, 33 Jahre alt, der sich hinter einer Sonnenbrille versteckt. Er gehört vermutlich zu den wenigen, denen sie noch vertraut. Auch ihre drei Anwälte dürften dazu zählen. Zumindest wirkt das so. Man tauscht Lutschdrops aus. Man flüstert miteinander, sucht gemeinsam Belegstellen in den digitalisierten Gerichtsakten auf dem Laptop. Zschäpes Verteidiger dürften die Einzigen im Verhandlungssaal sein, die wissen, wie ihre Stimme klingt.
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  38. Sie lacht auch nicht. Lächelt höchstens mal. Sehr selten. Etwa wenn ein BKA-Beamter und ein Verteidiger sich gegenseitig bescheinigen, sehr froh darüber zu sein, nicht den Beruf des jeweils anderen ergriffen zu haben. Sie schmunzelt, wenn der Ermittler auf die Frage, ob Kronzeuge Holger G. Raucher oder Nichtraucher sei, nur zu antworten vermag: „Keine Ahnung, nageln Sie mich da nicht so fest.“ Das erschüttert die Glaubwürdigkeit des Kripomanns, das ist gut für sie. Und als der Beamte Eine Person namens „Mappe“ erwähnt, „eine dicke große Frau, vor der sogar die Männer Angst gehabt haben“ – da scheint sie tatsächlich nur mit Mühe ein Lachen zu unterdrücken.
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  40. Im April fingen Ermittler einen mehr als 20 Seiten langen Brief ab, den sie an einen rechtsorientierten Häftling in Bielefeld schrieb. Teilweise witzig formuliert ist der, wortgewandt und orthografisch relativ sicher. Sie beklagt sich über das schlechte Essen im Münchner Gefängnis: Für eine Bratwurst aus Thüringen und eine gegrillte Haxe sei sie bereit, sich zu überschlagen und im Hof der JVA unbekleidet auf Händen zu laufen. Sie verzierte den Brief mit Comicfiguren, darunter einer Ente, die auf dem Bauch liegt und mit einem Federkiel schreibt. Ihre Familie kommt nicht vor. Nur einen Satz schreibt sie über ihr Leben. Es ist eine Zeile aus einem Lied der umstrittenen Rockband „Böhse Onkelz“: „Eine Reise durch den Wahnsinn, durch Licht und Dunkelheit.“ Vielleicht ist genau dies das wahre Gesicht der Beate Zschäpe.
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