Advertisement
kaputt_machen

Alle meine Kleider

Sep 10th, 2013
275
0
Never
Not a member of Pastebin yet? Sign Up, it unlocks many cool features!
text 10.23 KB | None | 0 0
  1. Sächsische Zeitung online
  2.  
  3. Dienstag, 10.09.2013
  4. Alle meine Kleider
  5. Wenn wir alte Hosen, Shirts oder Jacken in Container werfen, landen die nicht etwa direkt bei den Armen dieser Welt. Sie werden meist weiterverkauft. Eine Firma aus dem Vogtland macht damit gute Geschäfte.
  6. Von Christine Bödicker (Text) und Thomas Kretschel (Fotos)
  7.  
  8. In der Halle riecht es wie auf einem Dachboden. Ein bisschen miefig zwar, aber gar nicht so schlecht. Alte Kleider haben ihren ganz eigenen Geruch. Es sieht so aus, als versuchte ein Mann gerade, eben diesen Geruch aus ihnen herauszupressen. Er ist in einen großen Metallkäfig voller Hosen und Pullover geklettert und bei dem Versuch, Platz für mehr Kleider zu machen, bis zu den Knien eingesunken. Ein beigefarbener Ärmel schlingt sich um sein Bein.
  9.  
  10. Der Mann ist einer von 87 Mitarbeitern von Thomas Meisner, dem Geschäftsführer der Firma „Meisner & Forbrig“ in Mylau im Vogtland. Das Unternehmen kauft Altkleider, lässt sie von den Mitarbeitern sortieren und verkauft sie dann weiter nach Afrika oder Osteuropa. Thomas Meisner ist leger gekleidet, trägt Kaki-Hose und Outdoor-Hemd. Der 48-Jährige mit der sportlichen Figur und Glatze war früher mal Fernfahrer. Energisch schreitet er durch die Gänge seines Sortierbetriebs. Die Halle misst 2.500 Quadratmeter. Ein Großteil der Kleider, die in sächsische Container geworfen werden, landen hier. Zu Meisners Kunden gehören das Deutsche Rote Kreuz, der Arbeiter-Samariter-Bund, aber auch kommerzielle Sammler. Jeder darf Altkleider sammeln, solange die Kommune das genehmigt. Immer wieder gibt es auch „wilde“ Altkleider-Container ohne Genehmigung und ohne Hinweis auf den Aufsteller. Das Geschäft ist verlockend: Aus einer Spende wird Ware. Sortierbetriebe wie der von Meisner zahlen um die 450 Euro pro Tonne Altkleider.
  11.  
  12. Auf dem Weg hebt Meisner schnell eine weiße Socke auf. Die Gänge sind gesäumt von Sortierinseln. Das sind Eigenkonstruktionen mit drei Ebenen, die das Arbeiten erleichtern sollen. Ganz oben steht ein grüner Metallkäfig, zu dem eine kleine Leiter führt. An deren Fuß stehen die Mitarbeiter, ziehen Kleidungsstück für Kleidungsstück aus dem Metallkäfig und verteilen sie in dem Quadrat aus Boxen und farbigen Mülltonnen. Im ersten Gang werden die Kleider grob gruppiert, im zweiten feiner unterteilt. Jeden Tag werden so 40 Tonnen Kleider sortiert. Alte Pullover, Hosen, T-Shirts, Jacken, auch mal ein Pelzmantel. Riesige Kleiderberge, die so viel wiegen wie zehn Elefanten. Gabelstapler düsen durch die Gänge, alte Kleider fliegen durch die Luft, das Radio dudelt vor sich hin.
  13.  
  14. Elke Cmira summt mit. Seit 2001 arbeitet sie bei „Meisner & Forbrig“. Bei den kurzen Hosen fing alles an. Dort wurde sie angelernt, die verschiedenen Stoffe, Schnitte und Qualitäten zu unterscheiden. Baumwolle, Jeans, Dreiviertel- oder Siebenachtelbein, Schlag, Röhrenschnitt. Allein die Hosen müssen in zwanzig Kategorien sortiert werden, insgesamt gibt es 200 Kategorien. Jetzt steht Elke Cmira an einem Tisch, rechts kippt der Gabelstapler einen Haufen Lederjacken aus. Links von ihr stehen Tonnen und Boxen: die rote geht nach Holland, hinter der Mülltonne steht die Box für Pakistan. Am weitesten muss sie die Jacken werfen, die im „Creme“-Wagen landen sollen. „Da kommen nur ganz moderne Sachen rein“, sagt die zierliche Frau.
  15.  
  16. Von zehn vor sechs bis halb drei steht sie an ihrem Platz. Nimmt die Jacken, leert die Taschen, dreht sie auf links. Damit das Leder in der Presse nicht beschädigt wird. Dann versenkt Elke Cmira die Jacken im passenden Behälter. So schnell, dass sie das, was sie aus den Taschen fischt, gar nicht anschauen kann. Zettel, Kassenbons und ein Kamm landen im Mülleimer. Sie findet auch jede Menge Kleingeld, sammelt es in einer kleinen Schüssel und muss es später abgeben.
  17.  
  18. Eine schwarze Jacke mit einem Plüschkragen im Leopardenmuster landet in der roten Tonne. Dann schaut Elke Cmira auf und zuckt mit den Schultern. „Nach den ganzen Jahren sieht man einfach, wo was hinkommt“, sagt sie. Sie ist so schnell, dass sie am Tag 2.120 Kilogramm Lederjacken sortiert. Das weiß sie genau. Für jede Ladung, die der Gabelstapler auf ihrem Tisch auskippt, bekommt sie vom Fahrer einen Zettel. Den heftet sie in ihr Buch, notiert sorgfältig die Nummer.
  19.  
  20. Als Geschäftsführer Meisner die große Halle verlässt, ruft er den Mitarbeitern an der Presse ein kerniges „Hey, Männer“ zu. Die vorsortierte Kleidung wird hier zu Ballen gepresst. An der Wand hängt ein Poster mit einer Frau in Strapsen, daneben die Deutschlandflagge. 45 bis 100 Kilogramm wiegen die Ballen, die nach Afrika verkauft werden. Für Osteuropa und Russland – wo die meisten Menschen moderne Kleidung wollen – werden die Kleider in Tüten von 20 bis 25 Kilogramm gepackt. Für Osteuropa müssten die Kleider auch desinfiziert werden, für Afrika aber nicht. So sei die Gesetzeslage in den Ländern. Waschen wäre eh zu teuer, sagt Meisner. Er schaut auf die Presse, die behäbig Kleidermassen nach unten drückt. „Ich konnte mir das alles früher nie vorstellen“, sagt er. „Am Anfang sind wir noch mit dem W50-Lkw von Haus zu Haus gefahren.“ Das war kurz nach der Wende, plötzlich gab es eine große Auswahl, die Menschen wollten ihre alten Kleider loswerden. Sammeln und weiterverkaufen, das lief gut. Bis die Kommunen das private Sammeln verbieten wollten. Thomas Meisner klagte gegen den Freistaat Sachsen und gewann. Glaubt man ihm, hat er so den Weg für das private Sammeln von Altkleidern in den neuen Bundesländern geebnet.
  21.  
  22. Seit der Änderung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes im vergangenen Jahr planen viele Kommunen, selbst Altkleider zu sammeln. Meisner hält davon nichts, es wäre nicht gut für sein Geschäft. Genauso wie die illegal aufgestellten Container mit Logos erfundener Hilfsorganisationen, die es immer häufiger gibt. Oder die neuen Sortierbetriebe in Osteuropa und Pakistan, die die Preise drücken.
  23.  
  24. In der Lagerhalle sind Ballen und Tüten akkurat zu riesigen Türmen gestapelt. Im Gegensatz zu der geschäftigen Sortierhalle ist es hier still. Alles ist fertig. Und wartet darauf, transportiert zu werden. An den Stapeln kleben Zettel: Ruanda, Uganda, Kenia, Sierra Leone oder Mauretanien steht darauf. „Oburoni Wawu“ nannten die Ghanesen Secondhand-Kleider früher. „Kleider des toten weißen Mannes“ – unvorstellbar, dass ein Lebender so etwas abgibt.
  25.  
  26. „Früher ging in Afrika alles“, sagt Thomas Meisner. „Aber durch Internet und Fernsehen sind die Ansprüche gestiegen, die Afrikaner wollen immer modernere Sachen.“ Er kennt Afrika, ein halbes Jahr lang hat er den Kontinent zusammen mit seiner Prokuristin und Lebenspartnerin Martina Forbrig mit dem Motorrad bereist. Auf unzählbaren Märkten seien sie gewesen, hätten sich mit Schulenglisch, Händen und Füßen bis zu den Importeuren durchgefragt, erzählt Martina Forbrig. Er komme gut mit der direkten Art der Afrikaner klar, sagt Thomas Meisner.
  27.  
  28. Lange Zeit gab es den Vorwurf, das Geschäft mit den Altkleidern habe die Textilindustrie in Afrika ruiniert. Das Thema lief durch die Medien, es gab eine Anfrage im Bundestag. Meisner wurde angefeindet. Er redet sich in Rage, sagt, es habe nie eine funktionierende Textilindustrie in Afrika gegeben. Dafür aber eine blühende im Vogtland. „Als sie die kaputtgehen lassen haben, hat keiner geschrien.“ Und er sagt: „Wer sein Auto zum Schrotthändler gibt, beschwert sich ja auch nicht, dass der die Teile weiterverkauft. Warum dann bei Altkleidern?“
  29.  
  30. Der Altkleider-Unternehmer fühlt sich ungerecht behandelt. Auch die Bundesregierung und viele neue Studien kommen inzwischen zu dem Ergebnis, dass das Scheitern der afrikanischen Textilindustrie andere Gründe hat. Zum Beispiel den Wegfall staatlicher Subventionen, Infrastrukturprobleme, chinesische Billigimporte. Doch das Thema bleibt umstritten.
  31.  
  32. Die meisten afrikanischen Kunden von „Meisner & Forbrig“ sind Großimporteure. Sie bestellen 25 Tonnen oder mehr. Auch in Afrika leben mittlerweile einige von dem Geschäft mit den Altkleidern. „Mitumba“ nennen sie das jetzt, Kleiderballen. Die besten Stücke aus diesen Ballen gehen an den, der am meisten zahlt, nicht an die Bedürftigsten. So ist das Business. Nicht verwerflich, aber auch nicht gerade wohltätig.
  33.  
  34. Draußen hinter der Halle in Mylau wirft ein Mann Wollpullover, Jeans und T-Shirts von einem Lastwagen in einen der Metallkäfige. Ein kommerzieller Sammler. Auch er lebt von den alten Kleidern. Er wird nach Gewicht bezahlt. Der Metallkäfig rattert über den Hof. Zum Wiegen wird der Kleiderberg an den roten Containern des Deutschen Roten Kreuzes vorbeigeschoben.
  35.  
  36. Auch das DRK kann die Sachen nicht in Afrika verschenken. Dafür sind die Transportkosten zu hoch. Mit dem Erlös aus dem Weiterkauf der Altkleiderspenden können die Verbände aber soziale Projekte finanzieren. „Die besten Teile sortiert das DRK vorher für die Kleiderkammern selbst aus“, erklärt Thomas Meisner. Das bedeutet für ihn: Im Vergleich zu gewerblichen Sammlern haben die Kleider einen niedrigeren Einkaufspreis, aber auch eine schlechtere Qualität. Insgesamt sei die Hälfte der gespendeten Kleider, die er einkauft, noch tragbar.
  37.  
  38. Neben den roten DRK-Containern steht ein bunter Turm aus Ballen. Es sind Stofffetzen, die mit gemusterten Decken umwickelt sind. Was aussieht wie ein Kunstprojekt, ist Abfall. Zu dreckig oder zu kaputt, um noch getragen zu werden. Zehn Prozent der gespendeten Kleider enden als billiger Brennstoff in der Zementindustrie. 40 Prozent werden zu Putzlappen oder Dämmstoffen weiterverarbeit.
  39.  
  40. Noch ein weiterer riesiger Kleiderberg. Ein blau-weiß-gestreifter Kinderpullover mit einem Bärenaufdruck lugt hervor, ein grüner Pullover, ein paar Jeans. Alles verschwimmt zu einer grau-bunten Masse. Thomas Meisner sagt: „Das ist das Rohstoffwarenlager.“ Hier liegen die alten Kleider auf Vorrat, weil zum Saisonwechsel im Frühjahr und Herbst besonders viel gespendet wird. Immer antizyklisch: im Frühjahr Wintersachen, im Herbst Sommerkleidung. Sonst gibt es keine Schwankungen. Die Diskussionen über Afrikas Textilindustrie haben der Spendenlust nicht zugesetzt. 750.000 Tonnen Altkleider werden in Deutschland jedes Jahr gespendet. Thomas Meisner sagt: „Die Leute wollen das Zeug so oder so loswerden.“ Sie brauchen Platz für Neues.
Advertisement
Add Comment
Please, Sign In to add comment
Advertisement