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18-Mann-Chor

Zorn-Apology/Apologie 16.01.2018

Jan 16th, 2018
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  1. Link https://www.facebook.com/daniel.zorn/posts/10212850210584912
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  3. Daniel-Pascal Zorn
  4. 3 hrs ·
  5. +++ AUS AKTUELLEM ANLASS +++
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  7. Zum Verhältnis von Argumentationslogik, Reflexionslogik und Dialektik
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  9. Seit mittlerweile vier Jahren widme ich mich der Frage, wie man philosophische Kompetenzen wieder gesellschaftsfähig und das heißt hier: praktisch anwendbar, im Sinne wohlüberlegter diskursiver Interventionen, machen kann. Als ungefähres Schema habe ich mir Sokrates dreistufige Elenktik zum Vorbild genommen, ergänzt um Platons Beitrag: (1) Konfrontation der eigenen Überzeugung mit Kritik (dem Elenchos) - (2) Einsehen der Aporie (des Nichtwissens etc.) - (3) gemeinsame Auflösung der Aporie. Alles, was ich seit 2014 bis zum Sommer 2017 gemacht habe, diente der Erforschung von Schritt (1).
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  11. Genauer: Seit 2014 nutze ich für diese Fragestellung und verschiedene, wechselnde und teils im 'trial and error'-Verfahren, teils als Stufungen und Schachtelungen erprobte Hypothesen Facebook als meinen Experimentierraum. Der Grund hierfür ist einfach: hier stellen sehr viele Menschen kostenlos und völlig freiwillig ihre Sichtweise zur Diskussion, hier spielt ein stilles, aber eifrig mitlesendes Publikum eine wesentliche Rolle, hier gibt es eine ausreichende Infrastruktur, um übersichtlich zu diskutieren, und hier kann man durch die Konzentration auf Text eben jene Aufmerksamkeit einüben, um die es mir geht.
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  13. Wie die meisten - Freunde und Gegner gleichermaßen - mitbekommen haben, habe ich mich dabei seit 2016 (dem Hauptjahr meiner Logik-Kolumne bei der 'Hohen Luft') auf typische argumentationslogische Fehlschlussanalyse spezialisiert, der ich erst in der Kolumne und dann in meinem Buch 'Logik für Demokraten' eine meiner Philosophie entsprechende reflexionslogische Drehung verpasst habe.
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  15. Diese Drehung hatte zunächst vor allem den Zweck einer didaktischen Stoffreduktion. Reflexions- und Reflexivitätslogik sind bei Schällibaum und mir ja in erster Linie Phänomenologien logischer Möglichkeitsräume. Eine allzu einseitige Reduktion dieser Räume z. B. auf argumentationslogische Beurteilung macht blind für alternative Zusammenhänge. Zwischen reflexiven Resten und reflexiver Konsistenz liegen mithin sehr kleine Schritte, die oft nur im modus tollens beurteilbar sind. Aber am Beispiel der Argumentationslogik kann man - sozusagen en passant und mit Mehrwert - die Grundlagen einüben, von denen aus man sich die eben genannten Phänomenologien erschließen kann.
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  17. In einem Bild gesagt: Die von mir vertretene Argumentationslogik ist nur ein sehr kleiner Ast an einem sehr großen Baum. Wenn ich in den letzten Jahren den Eindruck gemacht habe, dass ich oder meine philosophische Position mit der von mir - mit viel Hingabe gespielten - Rolle des 'promovierten Argumentationslogikers' identisch sei, dann diente das vor allem meiner Experimentalanordnung. Dass gerade bei Philosophen bei so etwas auch immer ein Gutteil Selbstklärung mitschwingt, brauche ich nicht zu verschweigen.
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  19. Diese Experimentalanordnung - ausgehend von der Frage 'Wieviel Dialektik verträgt die Gesellschaft?' - startete bewusst mit der wohl rigidesten und strengsten, aber auch engstirnigsten Form dialektischer Auseinandersetzung. Wie weit, so fragte ich mich, würde man damit kommen?
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  21. Wie sich herausstellte, erstaunlich weit: die von mir vorgeschlagene Argumentationslogik wurde - wohl auch wegen ihres formalen Charakters, der an Regelfolgen erinnert - bereitwillig angenommen. Der Moment der bewussten Reduktion ist benennbar: für die Kolumne bei der 'Hohen Luft' war mein Ansatz zu komplex. Also entschieden wir auf Take-away-Argumentationslogik. Das war bekanntlich so erfolgreich, dass noch die 'Logik für Demokraten' auf ihr aufbaut, auch wenn ich ein paar reflexionslogische Grundfiguren hineingemogelt habe.
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  23. Für mich war die 'Logik' der Abschluss von Stufe (1). Entsprechend wandte ich mich ab dem Frühjahr 2017 - mit tatkräftiger gedanklicher Unterstützung durch Per Leo - Stufe (2) meines sokratisch-platonischen Schemas zu: der Erforschung der Einsicht in Aporien.
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  25. Dafür war der eher konfrontative Ansatz der rigiden Argumentationslogik nicht mehr nötig und sinnvoll. Da Reflexionslogik, als logische Phänomenologie, alle möglichen Formen von Rückbezüglichkeit beschreibt, auch literarische oder rhetorische, interessierte mich die Frage, wie Dialektik im Modus der Rezeption - statt der Konfrontation - funktionieren und erfolgreich angewendet werden kann. Entsprechend wandten wir uns einem Projekt zu, das mit einer Kombination aus Dialektik und Rhetorik - sonst Antipoden - experimentiert, im Sinne einer nicht-inkonsistenten Rhetorik. Das Buch 'mit Rechten reden' ist, aus meiner Sicht, das erste Ergebnis dieser neuen Experimentalanordnung.
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  27. Ebenso wie Stufe (1) von Logik-, Dialektik- und Sophistik-Studien und, durch die diskurspraktische Problemstellung, auch zunehmend von politik- und rechtsphilosophischer Lektüre geprägt war, lese ich jetzt Texte der Renaissancephilosophie, die mit Satire und Ironie experimentiert und arbeite schon länger an einem Buchprojekt zum Thema 'Logos und Mythos'.
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  29. Das bedeutet aber auch, das meine - oft ostentativ zur Schau gestellte - Rigidität einer offeneren Herangehensweise weicht. Schließlich ist Argumentationslogik nicht der grundlegende Gesprächsmodus und schließlich gibt es nicht und gab es nie einen Zwang zum argumentierenden Gespräch. Argumentationslogik, in meinem Verständnis, ist operational aufmerksame dialektisch-kritische Analyse im Hinblick auf Geltungsansprüche. Dialektisch ist sie, weil sie den Analytiker auf seine eigene Kritik verpflichtet.
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  31. Leider ist mir auf diesem Weg passiert, was Philosophen oft passiert: was ich 'Dialektik' nenne, wurde nicht nur von Gegnern (erwartbarerweise) auf argumentationslogische Rigidität festgelegt und mit Pappkameraden verfeinert; auch einige solche, die von mir in affirmativer Absicht Dialektik lernten, verloren das 'big picture' aus dem Blick. Sie verwechselten Reflexionslogik und Argumentationslogik, identifizierten den reduzierten konfrontativen Ansatz mit Dialektik und entwickelten so eine halberistische Kampfdialektik. Aus diesem Missverständnis heraus erschien ihnen die viel weiter reichende Reflexionslogik - auf die sie sich dennoch stolz beriefen - als Zeichen von argumentativer Schwäche und Dekadenz. Wie in solchen Zusammenhängen hatte die Strenge, die Verantwortung erforderte, sich dieser entledigt und aus der Argumentationslogik ein Instrument zum Rechthaben, Überlegensein und Klugscheißen geschaffen. (Und das aus meiner Feder, was?)
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  33. Ich bedaure sehr, dass meine Zuspitzung dialektischen Urteilens auf Argumentationslogik zu solchen Missverständnissen führen kann. Aber Argumentationslogik ist nur eine (!) von mehreren Strategien für den ersten, niedrigsten Schritt des dialektischen Elenchos. Weil sie die - gemessen am gegenwärtigen Wissensbestand - am leichtesten zu erlernende Strategie ist, habe ich sie für eine dialektische Didaktik ausgewählt, der auch philosophische Laien folgen können. Sie für das Fundament zu halten, ist absurd - und doch war es wohl mein Stoizismus der Methode, der letztlich dafür verantwortlich ist.
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  35. 'Dialektik', wie ich sie verstehe, ist aber viel mehr als das. Als operationale Aufmerksamkeit kann sie Geltungsansprüche begründen, ja - aber diese Aufmerksamkeit im Dienst der logischen Phänomenologie, die meine philosophische Position ist, umfasst viel, viel mehr.
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  37. Das sokratisch-platonische Schema, selbst Grundlage meiner viele Jahre dauernden und bis jetzt unabgeschlossenen Experimentalanordnung, umfasst nur wenige diskurspraktische und diskursdidaktische Hinsichten. Das weite Feld der Texthermeneutik habe ich in meiner Diss behandelt; die Phänomenologie institutionalisierter Rechtfertigungsstrategien behandle ich in der Habil; die Übertragbarkeit meiner explikativen Heuristik in die Kulturanalyse ist bis jetzt nur grob angerissen; dasselbe gilt für Mathematik und theoretische Physik.
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  39. Ich halte diesen Einblick für nötig, um Konzepte wie 'Rollenprosa' verständlich werden zu lassen. Und auch, um den allzu eifrigen Epigonen eine Ahnung zu geben, wo ihr gerade erst begonnener Weg hinführen würde, wenn sie den Mut aufbringen, ihn zu gehen. Dialektik, Philosophie überhaupt ist, in einer letzten *) Konsequenz, das Erlernen der hinsichtlichen Selbstaufhebung. Selbst wenn man, wie ich, den Weg schon einmal gegangen ist, ist jedes Wiedergehen anders. Wer die Philosophie durchdacht und beendet hat, den macht sie zum Werkzeug ihrer unendlich mannigfaltigen Entfaltung.
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  41. Ich möchte bei allen, die ich auf diesem Weg verletzt und instrumentalisiert habe, um Verzeihung bitten. Wenn ich eines gelernt habe, dann dass Ethik nicht nur darin besteht, die Freiheit, sondern vor allem darin, die Unfreiheit des Anderen zu achten. Zudem weiß ich nun, warum Philosophen kleine und esoterisch anmutende Schulen gründen. Dennoch hoffe ich, dass mehr akademische Philosophen diesen Weg gehen. Ihre Vielfalt im offenen Diskurs erscheint mir der sicherste Weg meiner Selbstaufhebung.
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  43. *) "letzt[e]" im Sinne einer dialektischen Umwendung
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