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May 22nd, 2017
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  1. IRAK
  2. Nicht Helden, sondern Monster
  3. Ein Fotograf begleitet Mitglieder einer Sondereinheit, um ihren Kampf gegen den IS zu dokumentieren. Und wird plötzlich Zeuge von Vergewaltigungen, Folter und gezielten Tötungen – ein Protokoll.
  4. Von Ali Arkady
  5.  
  6. Ge­fan­ge­ner Mahmoud im Haupt­quar­tier der ira­ki­schen ERD-Trup­pe
  7. Fol­ter­vor­wür­fe ge­gen ira­ki­sche Son­der­ein­hei­ten
  8. Der ira­ki­sche Fo­to­graf und Do­ku­men­tar­fil­mer Ali Ar­ka­dy be­glei­tet das Ge­sche­hen in sei­nem Hei­mat­land seit 2006. Er ist nicht nur ein ex­zel­len­ter Fo­to­graf, sei­ne viel­sei­ti­gen Kon­tak­te im Land so­wie zahl­rei­chen Do­ku­men­ta­tio­nen ver­schaff­ten ihm auch un­ge­wöhn­lich tie­fe Ein­bli­cke in die ver­schie­de­nen Kon­flikt­her­de des Irak.
  9. Seit 2011 ar­bei­tet der SPIEGEL mit Ar­ka­dy zu­sam­men. Die Fol­ter­sze­nen, Ver­ge­wal­ti­gun­gen und ge­ziel­ten Tö­tun­gen, die Ali Ar­ka­dy im ver­gan­ge­nen Jahr über Mo­na­te mi­nu­ti­ös fo­to­gra­fiert und ge­filmt hat, be­stä­ti­gen ähn­li­che Be­ob­ach­tun­gen von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie auch Zeu­gen­aus­sa­gen. Auch der SPIEGEL be­rich­te­te schon, dass ira­ki­sche Si­cher­heits­kräf­te will­kür­lich Men­schen fest­neh­men, fol­tern und tö­ten.
  10. So stie­ßen SPIEGEL-Re­por­ter im Mai des ver­gan­ge­nen Jah­res bei ei­ner Re­cher­che in der Stadt Tus Chur­ma­tu süd­lich von Kir­kuk auf die Spu­ren ei­ner Ver­trei­bungs- und Mord­kam­pa­gne schii­ti­scher Mi­li­zen. Übe­rein­stim­mend er­zähl­ten Zeu­gen ih­nen von ent­führ­ten An­ge­hö­ri­gen. Schon da­mals hieß es, bis zu tau­send Sun­ni­ten sei­en al­lein aus Tus Chur­ma­tu ver­schwun­den. Ge­flo­he­ne aus an­de­ren Pro­vin­zen des Irak be­stä­tig­ten die Ent­füh­run­gen. Doch stets fehl­ten Be­wei­se jen­seits der Zeu­gen und der ver­las­se­nen Orte.
  11. Ali Ar­ka­dy hat die­se nun ge­lie­fert. An der Au­then­ti­zi­tät sei­nes Ma­te­ri­als und der Iden­ti­tät der Tä­ter be­steht kein Zwei­fel. Sei­ne Schil­de­run­gen ste­hen im Ge­gen­satz zur gän­gi­gen Be­richt­er­stat­tung über den Feld­zug zur Be­frei­ung Mos­suls. Vie­le Re­por­ter hat­ten die ira­ki­schen Ar­mee­ein­hei­ten bis­her als Be­frei­er er­lebt und be­schrie­ben. Viel­leicht auch weil sie ein­fach nicht sa­hen, se­hen konn­ten, was au­ßer­halb der Stadt ge­schah? Die von Ar­ka­dy be­glei­te­te Ein­heit Emer­gen­cy Re­s­pon­se Di­vi­si­on, die dem In­nen­mi­nis­te­ri­um un­ter­steht, ver­schlepp­te ihre Op­fer nicht aus Mos­suls be­frei­ten Stadt­vier­teln – son­dern aus Dör­fern der Um­ge­bung, im­mer nachts, wenn kei­ne Jour­na­lis­ten zu­ge­gen wa­ren.
  12. Ich kom­me aus Cha­na­kin, ei­ner klei­nen Stadt im Nord­os­ten des Irak – dort, wo der kur­di­sche und der ara­bi­sche Teil auf­ein­an­der­tref­fen. Bei uns war es im­mer nor­mal, dass Sun­ni­ten, Schii­ten, Kur­den, Ara­ber ne­ben- und mit­ein­an­der le­ben. Viel­leicht habe ich des­we­gen mehr als an­de­re dar­an ge­glaubt, dass Ira­ker ver­schie­de­ner Her­kunft auch in Zu­kunft mit­ein­an­der le­ben könn­ten.
  13. Im Ok­to­ber des ver­gan­ge­nen Jah­res be­gann ich mit mei­nem Pro­jekt, ich woll­te zwei Sol­da­ten der Emer­gen­cy Re­s­pon­se Di­vi­si­on (ERD), ei­nes Mi­li­tär­ver­bands des ira­ki­schen In­nen­mi­nis­te­ri­ums, be­glei­ten, woll­te ih­ren Kampf ge­gen den „Is­la­mi­schen Staat“ (IS) do­ku­men­tie­ren. Das zu­min­dest war der Plan.
  14. Ich hat­te bei der Be­frei­ung der Stadt Fal­lud­scha im Som­mer zu­vor zwei Mit­glie­der die­ser Ein­heit ken­nen­ge­lernt. Schon da­mals spra­chen sie da­von, dass sie Men­schen um­brin­gen wür­den. Aber da dach­te ich noch, sie ma­chen Scher­ze.
  15. Ich traf die bei­den im Herbst wie­der, als die Be­frei­ung Mos­suls be­gann: Haupt­mann Omar Na­zar, ei­nen Sun­ni­ten, und Hai­der Ali, ei­nen schii­ti­schen Un­ter­of­fi­zier. Nach al­len gän­gi­gen Kli­schees wä­ren sie Geg­ner. Aber die bei­den wa­ren „bud­dies“, engs­te Freun­de, die ein­an­der auf dem Schlacht­feld be­schütz­ten. Ich be­glei­te­te, film­te sie ta­ge­lang. So ent­stand die Idee, die bei­den zu Prot­ago­nis­ten ei­nes Do­ku­men­tar­films zu ma­chen: Der Film soll­te zei­gen, dass Sun­ni­ten und Schii­ten des Irak im Kampf ge­gen den „Is­la­mi­schen Staat“ zu­sam­men­hal­ten kön­nen.
  16. „WO BIST DU DA NUR HIN­EIN­GE­RA­TEN?“
  17.  
  18. FO­TO­STRE­CKE Der Fo­to­graf und Fil­me­ma­cher Ali Ar­ka­dy kom­men­tiert sei­ne ver­stö­ren­de Re­cher­che mit den Sol­da­ten der Emer­gen­cy Re­s­pon­se Di­vi­si­on (ERD).
  19. Ich habe da­mals eine Face­book-Sei­te ein­ge­rich­tet, sie hieß Hap­py Bagh­dad, ich stell­te ein Zwei-Mi­nu­ten-Vi­deo der bei­den un­ter dem Ti­tel „Be­frei­er, nicht Zer­stö­rer“ ein. Das Echo war über­wäl­ti­gend, 345 815 Views, die Sei­te wur­de 1360-mal ge­teilt und kom­men­tiert. Ich bin auf dem rich­ti­gen Weg, dach­te ich.
  20. Ich war dabei, als sie mehrere Männer festnahmen, unter ihnen der Putzmann der Moschee.
  21. Ich nahm mir vor, den bei­den bis zum Ende die­ses Krie­ges zu fol­gen, der Be­frei­ung von Mos­sul. Bei­de wa­ren ein­ver­stan­den, die „Hel­den“ mei­ner Ge­schich­te zu wer­den. Es ging dar­um zu zei­gen, dass nicht nur die Eli­te­kämp­fer der „Gol­de­nen Di­vi­si­on“, son­dern auch an­de­re Ein­hei­ten be­mer­kens­wer­te, mu­ti­ge Din­ge tun.
  22. Omars und Hai­ders Trup­pe, die Emer­gen­cy Re­s­pon­se Di­vi­si­on, hat­te klein be­gon­nen. Aber seit Som­mer 2014, als der gan­ze Irak auf ein­mal im Krieg mit dem IS stand, wuchs die Trup­pe ra­sant. Sie glie­der­te sich in drei Ver­bän­de: Auf­klä­rung, Scharf­schüt­zen und die Kampf­grup­pe. Haupt­mann Omar Na­zar kom­man­diert die Kampf­grup­pe, in der auch Hai­der Ali ein­ge­setzt ist, der Un­ter­of­fi­zier.
  23. Die Män­ner führ­ten Raz­zi­en und nächt­li­che Kom­man­doope­ra­tio­nen durch. Trai­niert wur­den sie vor al­lem von Ame­ri­ka­nern. Vom ERD-Kom­man­deur, Oberst Tha­mer Mo­ham­med Is­mail, er­hielt ich die Er­laub­nis, die Trup­pe bei ih­ren Ein­sät­zen zu be­glei­ten.
  24. Mit je­der ge­won­ne­nen Schlacht wuchs das Selbst­ver­trau­en mei­ner Prot­ago­nis­ten. Ende Ok­to­ber 2016 fo­to­gra­fier­te ich für den SPIEGELim Irak und hielt mich mit Omar und Hai­der im Haupt­quar­tier der Trup­pe in Ka­ja­ra, süd­lich von Mos­sul, auf, nicht weit von ei­ner US-Ba­sis.
  25. Am 22. Ok­to­ber ka­men Omars Män­ner mit zwei jun­gen Ge­fan­ge­nen zur Ba­sis, mut­maß­li­chen IS-Un­ter­stüt­zern. Ich fo­to­gra­fier­te sie, wuss­te aber nicht, was wei­ter mit ih­nen ge­sche­hen wür­de. Spä­ter er­zähl­ten mir die Sol­da­ten, dass die bei­den nach drei Ta­gen Fol­ter ge­stan­den hät­ten, IS-Mit­glie­der zu sein. Eine Wo­che spä­ter sei­en sie um­ge­bracht wor­den.
  26.  
  27. Ge­fan­ge­ner Mahmoud Den Va­ter häng­ten sie an der De­cke auf, be­schwer­ten sei­nen Rü­cken mit Was­ser­fla­schen, dann be­gan­nen sie, ihn zu schla­gen
  28. Von die­sem Zeit­punkt an be­gann sich mein Pro­jekt zu ver­än­dern. Mei­ne „Hel­den“ ta­ten Din­ge, die ich nie für mög­lich ge­hal­ten hät­te. Zu­nächst durf­te ich ih­nen da­bei nur zu­schau­en, spä­ter hat­ten sie auch nichts mehr da­ge­gen, wenn mei­ne Ka­me­ra lief.
  29. Ich fuhr wie­der nach Hau­se, auch Omar und Hai­der hat­ten zwei Wo­chen frei. Wir hat­ten ver­ab­re­det, uns im neu­en Haupt­quar­tier der Trup­pe in Ha­mam al-Alil, et­was nä­her an Mos­sul, wie­der zu tref­fen. Ich kam vor ih­nen am 11. No­vem­ber an. So lern­te ich die an­de­ren Of­fi­zie­re ken­nen und be­kam fort­an noch mehr mit. Mehr, als mir lieb war und ich ver­mocht hat­te mir vor­zu­stel­len: Fol­ter, Ver­ge­wal­ti­gun­gen, aber auch Mor­de an Men­schen, ge­gen die nur vage Ver­dachts­mo­men­te vor­la­gen. Oder nicht ein­mal das.
  30. Die Sol­da­ten hat­ten da­mals ge­ra­de das Dorf Kabr al-Abd vom IS zu­rück­er­obert. Haupt­mann Tha­mer al-Duri, der für die Ge­heim­dienst­ab­tei­lung zu­stän­dig war, lei­te­te die Raz­zi­en. Ich war da­bei, als sie nachts meh­re­re Män­ner fest­nah­men, un­ter ih­nen auch Raad Hin­diya, der Wäch­ter und Putz­mann der Dorf­mo­schee ge­we­sen war. Er war von ei­nem In­for­man­ten be­schul­digt wor­den, ein IS-Mann zu sein.
  31. Zu­erst nah­men sie ihn nur für ein paar Stun­den mit, um ihn zu schla­gen und zu ver­hö­ren. Aber schon da sag­te Haupt­mann Duri mir, dass er den Mann in ei­ni­gen Ta­gen noch mal fest­neh­men und dann tö­ten wer­de. Am 22. No­vem­ber gin­gen zehn Mann, alle aus­ge­rüs­tet mit Nacht­sicht­ge­rä­ten los, die US-Trup­pen in der Nähe wa­ren un­ter­rich­tet und ver­folg­ten die nächt­li­che Raz­zia mit ei­ner Droh­ne.
  32. Raad Hin­diya schlief mit sei­ner Fa­mi­lie in ei­nem Raum, als sie ihn fest­nah­men. Die Sol­da­ten brach­ten ihn zu Haupt­mann Omar Na­zar, mei­nem Prot­ago­nis­ten, wo sie ihn stun­den­lang fol­ter­ten, be­vor sie ihn am Mor­gen zum Haupt­quar­tier der Ge­heim­dienst­ler wei­ter­trans­por­tier­ten. Dort wur­de er eine Wo­che lang ge­fol­tert. An­schlie­ßend sei er zu­sam­men mit an­de­ren IS-Ver­däch­ti­gen um­ge­bracht wor­den. So er­zähl­te es mir spä­ter Haupt­mann Duri.
  33. Ich war überrascht, dass sie mich alles filmen ließen. Sie schickten mir sogar ein Video der Leichen.
  34. In der­sel­ben Nacht ver­haf­te­ten sie ei­nen jun­gen Mann na­mens Ra­schid, der un­schul­dig war, das sag­ten selbst die Auf­klä­rer der ira­ki­schen Ar­mee. Aber sein gro­ßer Bru­der war zum IS ge­gan­gen, eben­so des­sen Frau. Das war Ra­schi­ds Ver­häng­nis. Er starb nach drei Ta­gen un­ter Fol­ter, ich habe sei­ne Lei­che im Quar­tier der Ge­heim­dienst­ler ge­se­hen.
  35. Nun be­gann der Alb­traum. Die Klein­stadt Ha­mam al-Alil war voll­stän­dig vom IS be­freit wor­den. Vie­le, die vor den Kämp­fen ge­flo­hen wa­ren, ka­men zu­rück. Die ERD-Teams zo­gen los, um rei­hen­wei­se jun­ge Män­ner zu ver­haf­ten, of­fi­zi­ell, um zu klä­ren, ob IS-Män­ner un­ter ih­nen sei­en. Un­ter den Fest­ge­nom­me­nen be­fan­den sich ein Va­ter und sein 16-jäh­ri­ger Sohn, die Sol­da­ten brach­ten bei­de ins Haupt­quar­tier.
  36. Mah­di Mahmoud, den Va­ter, häng­ten sie mit den Ar­men hin­ter dem Kopf an der De­cke auf, be­schwer­ten sei­nen Rü­cken mit ei­ner Pa­let­te vol­ler Was­ser­fla­schen und be­gan­nen, ihn zu schla­gen. Der Sohn saß ne­ben­an und konn­te die Schreie sei­nes Va­ters hö­ren. Und ich war da­bei und film­te. Nie­mand stopp­te mich. Dann schlu­gen sie den Sohn vor den Au­gen sei­nes Va­ters. Spä­ter brach­ten sie den Sohn um.
  37. Al­les ge­riet im­mer mehr au­ßer Kon­trol­le. Ich dach­te, wo bist du da nur hin­ein­ge­ra­ten? War­um las­sen sie dich fil­men, wie sie Men­schen fol­tern? Wie soll das Teil ei­ner Do­ku­men­ta­ti­on über die Be­frei­ung vom „Is­la­mi­schen Staat“ wer­den? Aber sie den­ken nicht wie Jour­na­lis­ten. Für sie war es ein­fach nor­mal ge­wor­den.
  38. Gleich­zei­tig sag­te ich mir: Du musst das hier auf­neh­men! Du musst do­ku­men­tie­ren, be­wei­sen, was sie tun, zei­gen, dass sie Kriegs­ver­bre­chen be­ge­hen. Aus­län­di­sche Re­por­ter wa­ren zwar in der Ge­gend, aber sie ka­men nur tags­über, fuh­ren nach­mit­tags stets zu­rück ins si­che­re Ar­bil im kur­di­schen Ge­biet. Nachts war ich al­lein mit den Trup­pen des In­nen­mi­nis­te­ri­ums.
  39.  
  40. Trup­pe des In­nen­mi­nis­te­ri­ums in der Nähe von Mos­sul
  41. Mit­te De­zem­ber zo­gen wir um auf die an­de­re Sei­te des Ti­gris, in eine neue Ba­sis in Bas­wa­ja am öst­li­chen Rand von Mos­sul. Es gab dort zwei jun­ge Brü­der, Laith und Ah­med, die schon ein­mal von der „Gol­de­nen Di­vi­si­on“ fest­ge­nom­men, aber wie­der frei­ge­las­sen wor­den wa­ren, aus Man­gel an Be­wei­sen. Jetzt hat­te man sie wie­der ge­fan­gen ge­nom­men und hier­her­ge­bracht. Aber in der Nacht wa­ren kei­ne Of­fi­zie­re da, nur die Sol­da­ten, die fürs Fol­tern zu­stän­dig wa­ren.
  42. Sie be­gan­nen, die bei­den zu trak­tie­ren, erst mit Schlä­gen, dann, in­dem sie Ah­med im­mer wie­der mit ei­nem Mes­ser hin­ter das Ohr sta­chen. Es sei eine Tech­nik, die er von ame­ri­ka­ni­schen Ex­per­ten ge­lernt habe, brüs­te­te sich Ali, ei­ner der Sol­da­ten.
  43. Ich war über­rascht, ver­ängs­tigt, dass sie mich al­les fil­men lie­ßen. Ich blieb für eine Stun­de. Am nächs­ten Mor­gen er­zähl­te mir ein Sol­dat, dass bei­de im Lau­fe der Nacht zu Tode ge­fol­tert wor­den sei­en, und zeig­te mir ein Vi­deo ih­rer Lei­chen, schick­te es mir so­gar über Whats­App.
  44. Am 16. De­zem­ber tra­fen die bei­den Män­ner in Bas­wa­ja ein, über die ich mei­ne Do­ku­men­ta­ti­on hat­te dre­hen wol­len: Haupt­mann Omar Na­zar und Un­ter­of­fi­zier Hai­der Ali, der Sun­nit und der Schiit, die ge­mein­sam ge­gen den IS kämp­fen woll­ten. Schon in der­sel­ben Nacht ging es wei­ter mit Fest­nah­men. Die Sol­da­ten hat­ten ver­schie­de­ne Na­men von ei­nem In­for­man­ten be­kom­men, Na­men von Män­nern, die an­geb­lich frü­her für den IS ge­kämpft hat­ten. Die Sol­da­ten zo­gen ein­fach los, ohne wei­te­re Klä­rung oder ei­nen Be­fehl der hö­he­ren Of­fi­zie­re. Ich durf­te wie­der mit­kom­men.
  45. Der Zwei­te, den sie in die­ser Nacht aus dem Haus hol­ten, war ein Mann na­mens Fa­thi Ah­med Sal­eh. Sie zerr­ten ihn aus dem Raum, in dem er mit sei­ner Frau und den drei Kin­dern ge­schla­fen hat­te. Un­ter­of­fi­zier Hai­der Ali ging in das Zim­mer, kün­dig­te an, er wer­de jetzt die Frau ver­ge­wal­ti­gen. Ich folg­te den an­de­ren, um zu se­hen, was sie mit dem Ehe­mann mach­ten. Fünf Mi­nu­ten spä­ter traf ich Hai­der Ali vor der ge­öff­ne­ten Tür wie­der. Die Frau wein­te. Haupt­mann Omar Na­zar frag­te ihn, was er ge­macht habe.
  46.  
  47. Über­fal­le­ne Fa­mi­lie von Fa­thi Ah­med Sal­eh Sie zerr­ten den Mann aus dem Raum, dann kün­dig­te Un­ter­of­fi­zier Hai­der an, er wer­de jetzt die Frau ver­ge­wal­ti­gen
  48. „Nichts“, ant­wor­tet Hai­der Ali, „sie hat­te ihre Tage.“
  49. Ich film­te in den Raum hin­ein, in dem die Frau mit ih­rem jüngs­ten Kind im Arm saß. Sie schau­te mich an. Ich film­te, ohne nach­zu­den­ken.
  50. Als ich mir spä­ter das Vi­deo an­ge­schaut habe, als ich sah, wie sie in mei­ne Rich­tung blick­te, ihre Kin­der küss­te, habe ich ge­dacht: Sie muss ak­zep­tiert ha­ben, dass ich fil­me in die­ser furcht­ba­ren Si­tua­ti­on. Da­mit Men­schen er­fah­ren kön­nen, was ge­sche­hen ist! In der Zwi­schen­zeit räum­ten die an­de­ren Sol­da­ten das Haus aus, stah­len, was sie mit­neh­men woll­ten.
  51. Der letz­te Ge­fan­ge­ne die­ser Nacht war ein jun­ger An­ge­hö­ri­ger der Volks­mo­bi­li­sie­rungs­ein­hei­ten, auf Ara­bisch kurz: Haschd, die auch ge­gen den IS kämp­fen. Er war Sun­nit, aber die schii­ti­schen Haschd mö­gen kei­ne Sun­ni­ten. Sie brach­ten ihn ins Ge­bäu­de von Omar Na­zar, wo er von ei­nem der Sol­da­ten ver­ge­wal­tigt wur­de. Die Män­ner, die ich be­glei­te­te, hat­ten har­te, schwe­re Kämp­fe er­lebt. Aber mitt­ler­wei­le dach­ten sie wohl, ih­nen wäre al­les er­laubt. Mor­de, Ver­ge­wal­ti­gun­gen, al­les ist ha­l­al, le­gi­tim. Wenn sie zu­rück­ka­men von ih­ren Nach­traz­zi­en und das Haupt­quar­tier über Funk frag­te, was sie ge­macht hät­ten, ant­wor­te­te Haupt­mann Omar: „Oh, al­les! Wir ha­ben uns Män­ner, Frau­en ge­nom­men, die Häu­ser ge­plün­dert.“
  52. Die Ant­wort: „Okay, macht, was zu tun ist!“ Die Vor­ge­setz­ten wuss­ten al­les. Auch die Ame­ri­ka­ner müs­sen ei­gent­lich mit­be­kom­men ha­ben, was ge­schah.
  53.  
  54. Es gab so­gar eine Art Wett­kampf zwi­schen der Na­tio­nal­po­li­zei und der Trup­pe des In­nen­mi­nis­te­ri­ums: Wenn die Po­li­zis­ten er­zähl­ten, wie sie in ei­nem Haus eine gut aus­se­hen­de Frau fan­den und ver­ge­wal­tig­ten, woll­ten die ERD-Män­ner auch noch mal hin. Um den Kampf ge­gen den „Is­la­mi­schen Staat“ ging es im­mer we­ni­ger.
  55. Wenn die Män­ner der Son­der­ein­heit über­haupt eine Stra­te­gie ha­ben, dann die, alle Sun­ni­ten der Ge­gend in To­des­angst und Schre­cken zu ver­set­zen, sie in die Flucht zu trei­ben, um die De­mo­gra­fie des Nord­irak zu ver­än­dern.
  56. Es wa­ren mei­ne letz­ten Tage bei der ERD. Ich er­trug es nicht mehr, film­te, was ge­schah, und dach­te spä­ter: Das könn­te mei­ne Frau, mei­ne Toch­ter sein. Als Haupt­mann Omar und ei­ner der Sol­da­ten wei­te­re Ge­fan­ge­ne schlu­gen, for­der­ten sie mich auf mit­zu­ma­chen. Es war eine ab­sur­de Si­tua­ti­on: Alle be­han­del­ten mich wie ei­nen Teil ih­res Teams.
  57. Ich be­kam es mit der Angst zu tun, ich war Kur­de, ar­bei­te­te für eine ame­ri­ka­ni­sche Fo­to­agen­tur. Sie wa­ren zu viert, be­waff­net, ich war al­lein. Sie sag­ten im­mer wie­der: „Jetzt komm, schlag auch zu, los!“ Dann habe ich ei­nem der Ge­fan­ge­nen eine Ohr­fei­ge ge­ge­ben. Nicht zu hart, nicht zu weich. Es war schreck­lich und das Letz­te, was ich dort tat.
  58. Ich gab vor, mei­ne Toch­ter sei krank, ich müs­se zu­rück nach Hau­se fah­ren. Ich fuhr in mei­ne Hei­mat­stadt Cha­na­kin, aber nur für we­ni­ge Tage. An­schlie­ßend habe ich mei­ne Fa­mi­lie in Si­cher­heit ge­bracht und den Irak ver­las­sen. Mein Land. Aber es war klar, dass mein, un­ser Le­ben in Ge­fahr ist, so­bald ich die Be­wei­se die­ser Kriegs­ver­bre­chen ver­öf­fent­li­che.
  59.  
  60. Ge­fan­ge­ner Ah­med Mit­te De­zem­ber öst­lich von Mos­sul: Sie sta­chen ihm mit ei­nem Mes­ser hin­ter das Ohr
  61. Jetzt ver­ste­he ich, war­um der IS es so leicht hat­te, Mos­sul und an­de­re sun­ni­ti­sche Ge­gen­den ein­zu­neh­men. Die Men­schen dort hat­ten Angst, nicht zu über­le­ben ohne mi­li­tä­ri­schen Schutz. Nur dass der IS letzt­lich ihre Lage noch ver­schlim­mert hat.
  62. Jetzt le­ben wir im Aus­land. Wo ge­nau, möch­te ich aus Si­cher­heits­grün­den nicht schrei­ben. Ich fra­ge mich manch­mal, wie Omar und Hai­der wohl nun über mich den­ken. Ich habe ja nicht ein­mal eine Ver­ab­re­dung ge­bro­chen, habe nichts heim­lich ge­filmt.
  63. Alle ha­ben zu­ge­schaut, wie ich stun­den­lang ihre Miss­hand­lun­gen do­ku­men­tier­te. Ja, sie schick­ten mir so­gar nach­träg­lich Vi­de­os ih­rer Mor­de, wenn ich sie dar­um bat. Und im Fall der ge­tö­te­ten Brü­der sag­ten sie so­gar ex­pli­zit, ich kön­ne die­se Vi­de­os für mei­ne Do­ku­men­ta­ti­on be­nut­zen. Sie hat­ten alle Maß­stä­be ver­lo­ren da­für, was rich­tig ist und was falsch.
  64. Ur­sprüng­lich woll­te ich mit den bei­den in das nach har­tem Kampf be­frei­te Mos­sul ein­rol­len, als letz­ten Teil un­se­rer ge­mein­sa­men Ge­schich­te. Das wird nun nicht mehr ge­sche­hen.
  65. Ich woll­te sie als Hel­den dar­stel­len. Auch das wird nicht ge­sche­hen.
  66. Es ist nicht leicht, wo­an­ders ein neu­es Le­ben zu be­gin­nen. Cha­na­kin ist mei­ne Hei­mat, ich habe gern dort ge­lebt. Aber dies ist der Preis für mei­ne Ar­beit, da­für, zu ver­öf­fent­li­chen, was ich ge­se­hen habe. Es ist mein Preis, ich zah­le ihn.
  67. Seit Omar, Hai­der und die an­de­ren Of­fi­zie­re ver­stan­den ha­ben, was die Ver­öf­fent­li­chung ih­rer Ta­ten für sie be­deu­ten kann, er­hal­te ich Dro­hun­gen. Erst ka­men Fra­gen: „Wir müs­sen Ali spre­chen, wo ist er?“
  68. Dann wur­de es kon­kre­ter. Sehr kon­kret.
  69. Als ich am 4. Ja­nu­ar 2017 nach Ka­tar reis­te, war al­les noch ru­hig. Nach mei­ner An­kunft kon­tak­tier­te ich Hai­der Ali über Face­book, frag­te ihn, ob er mir noch das eine Vi­deo schi­cken kön­ne, das er mir ge­zeigt hat­te: wie er und Haupt­mann Omar Na­zar ei­nen ih­rer Ge­fan­ge­nen von hin­ten er­schie­ßen. Der Mann läuft durch die Step­pe und fleht um sein Le­ben, sie schie­ßen ein­fach auf ihn, als er läuft, selbst noch als er schon auf dem Bo­den liegt.
  70. „Klar“, schrieb Hai­der zu­rück – und schick­te mir das Vi­deo. Ich habe es noch im­mer auf mei­nem Te­le­fon. ■
  71. Den Va­ter häng­ten sie an der De­cke auf, be­schwer­ten sei­nen Rü­cken mit Was­ser­fla­schen, dann be­gan­nen sie, ihn zu schla­gen
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