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Die Traditionspfleger

Dec 12th, 2012
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  1. Mittwoch, 12. Dezember 2012
  2. (Sächsische Zeitung)
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  4. Die Traditionspfleger
  5. Studentenverbindungen haben einen zweifelhaften Ruf: zu elitär, zu konservativ. Ein Dresdner spricht über die Vorurteile.
  6. Von John Hennig
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  8. Im Keller der Villa in der Münchner Straße steht plötzlich ein Mann aus dem 19. Jahrhundert – in Uniform und mit Bergmannutensilien. Eine Grubenlampe in der linken Hand, ein Häckel in der rechten. Gerade noch stand hier Vinzenz Gottlieb, ein 27-jähriger Student in blauem Pullover und Jeans. Dieser Mann nun könnte sein Urgroßvater sein. Aber es ist Gottlieb, ausgerechnet der Bart verrät ihn.
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  10. Vinzenz Gottlieb studiert Geschichte, Latein und Altgriechisch auf Lehramt. Und er ist Senior der Katholischen Studentenverbindung Abraxas-Rheinpreußen. Ein Bekannter aus der Katholischen Studentengemeinde hatte ihn vor drei Jahren in Verbindungskreise eingeführt, erzählt der gebürtige Dresdner: „Das hatte mich schon vorher interessiert, aber ich hatte nur lose Kontakte.“ Verbindungen sind keine geschlossene, aber doch weitgehend fremde Welt, selbst an den Universitäten. In Dresden gibt es zurzeit etwa 200 aktive Mitglieder in zehn Verbindungen – bei fast 40000 Studenten.
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  12. Symbol aus Kronkorken
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  14. Gottlieb lernte in der Kneipe Marko Förster kennen, Bursche bei der Katholischen Studentenverbindung Abraxas-Rheinpreußen. Förster studiert Geschichte, Politik, Soziologie und Theologie und sitzt nun im karierten Hemd unter dem bordeauxroten Pullover neben Gottlieb im Keller, in dem die Abraxen etwas schmucklos residieren. Hier treffen sich die derzeit 14 Mitglieder einmal pro Woche zu ihren Stammtischen. Am Tresen in der Bar nebenan zeugt ein aus gut tausend Kronkorken angelegtes Symbol vom Bierkonsum der Verbindung. Auch eine Wohnung in der ersten Etage der Villa gehört ihnen. Hier wohnen vier Leute, allerdings weder Gottlieb noch Förster. Die Füchse, die Neulinge, müssen die Geschichte der Verbindung genauso lernen wie den Knigge und studentisches Liedgut, gefochten wird hier nicht. Am Ende ihrer Probezeit, bei ihrer Burschenprüfung, halten die Füchse einen wissenschaftlichen Vortrag zu einem beliebigen Thema: „Vor Kurzem hatten wir einen sehr guten über die Thüringer Bratwurst“, erzählt Marko Förster, der am Kopfende der etwas provisorisch zusammengestellten Tische sitzt. Über ihm hängen die Wappen aus verschiedenen Jahren, „Treue zum Vaterland“ steht auf einem der älteren.
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  16. Auch wegen solcher Leitsätze wird Studentenverbindungen hierzulande vorgeworfen, eine Ideologie aus dem 19. Jahrhundert zu vertreten: archaisch, elitär, frauenfeindlich, homophob, patriotisch – mitunter zu patriotisch. Die Landeszentrale für politische Bildung sowie das Kulturbüro Dresden verweisen bei der Einschätzung von Studentenverbindungen auf eine Broschüre, die der Studentenrat im Februar 2011 herausgegeben hat. In der nicht unumstrittenen Schrift wird die katholische Verbindung als „recht unauffällig“ bezeichnet. Trotzdem werden auch ihre Mitglieder oft mit den gängigen Vorurteilen konfrontiert. „Das Problem ist, wir Verbindungen treten nach außen alle ähnlich auf“, gibt Förster zu. Bei internen Veranstaltungen, den Kommersen oder Stiftungsfesten, bei denen vor allem die Tradition gepflegt werde, wird auch die Uniform, der Wichs, getragen, so wie von Vinzenz Gottlieb.
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  18. Als im Oktober die Gesellschaft zur Förderung studentischer Kultur im Ballhaus Watzke eine Tanzveranstaltung organisierte, gab es heftige Proteste. Vor allem die linke Szene und einige Studenten warfen dem Ballhaus Watzke Nähe zu rechtsradikalen Gruppen vor. Marko Förster beschwerte sich beim Rektor der Universität, noch heute regt ihn der Vorwurf auf: „Die Stimmung entbehrte jeglicher Grundlage, das waren Verallgemeinerungen. Es scheint, als ob die, die Toleranz predigen, selbst dagegen immun sind.“
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  20. Förster und Gottlieb stehen dazu, wertkonservativ zu sein: „auch wenn das gesellschaftlich nicht so angesagt ist“, wie Förster einschränkt. Gottlieb sagt: „Ich bekenne mich zu Deutschland, stehe auch zur Hymne auf und singe mit.“ Von rechtsradikalen Gedanken distanzieren sie sich jedoch. Man habe sich vor ein paar Jahren auch einmal von einem Fuchs getrennt, der sich bedenklich geäußert habe. Und auch Studentenverbindungen, denen Kontakte in die rechte Szene nachgesagt werden, sehen sie kritisch.
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  22. Förster, der meist vor Gottlieb das Wort ergreift, betont, dass seine Verbindung eine offene Organisation ist: „Hier kann jeder hinkommen, wir sind ein kleiner Spiegel der Gesellschaft.“ Auch politisch sei man bunt gemischt, so sind zwei Mitglieder in der Piratenpartei aktiv. Lediglich auf die drei Grundprinzipien müsse man sich verständigen können: „Religio, Scientia, Amicitia“, sagt Vinzenz Gottlieb auf Latein – Religion, Wissenschaft, Freundschaft. Vor allem den Freundschafts-Begriff betonen die beiden Burschen im Gespräch häufig. „Ich würde Vinzenz mein Leben jetzt blind anvertrauen“, sagt Förster pathetisch.
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  24. Verbindung als Wohnraum
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  26. Dabei hatte er einen sehr pragmatischen Einstieg: „Ich habe erst spät eine Zusage für ein Studium in Freiburg erhalten“, erzählt Förster, „als ich dann zwei Tage vor Studienbeginn im Internet nach einem Zimmer gesucht habe, bin ich auf eine günstige Bude gestoßen.“ Als er die Nummer anrief, wurde ihm schnell unterbreitet, dass es sich um ein Zimmer in einem Verbindungshaus handelte. In der Verbindung sei er sofort aufgegangen, „sonst wäre ich in Freiburg ja erst einmal allein gewesen, so hatte ich gleich einen Freundeskreis“. Als er für sein Studium nach Dresden ging, wechselte er sogleich in die hiesige Verbindung des Dachverbands.
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  28. Nicht nur Freunde, auch seine Frau hat Förster über den eigentlichen Männerbund gefunden. Für eine Tanzveranstaltung suchte er eine Partnerin. Eine Freundin vermittelte ihm ein Mädchen, das gerne tanze. „Ein Glückstreffer“, schwärmt Förster, seine Janna kommt auch zu den Stammtischen mit, für Verbindungen ungewöhnlich: „Sie bringt sogar auch mal Freundinnen mit“, erzählt der 26-Jährige, „es gibt dann auch nicht nur Bier.“
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  30. Mit einem weiteren Vorurteil will er auch gleich aufräumen, nämlich dem, dass Burschenschaftler Frauen gering schätzen. „Wir führen unsere Ehe nach einem christlichen Weltbild, und ich bekoche sie auch.“
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