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- <p>Frau:</p><p>Immer noch keinen Keks? Jetzt erzähle ich Ihnen meine Odenwald-Geschichte. Sie beginnt bei meinen Kindern. Wissen Sie, wie schwierig es manchmal ist, Kinder bei Laune zu halten? Ich habe zwei Jungs und als ich mitkriegte, dass im Odenwald ein Event stattfinden würde, das sie interessiert, war ich natürlich sofort interessiert. Vor ein paar Jahren hatte ich irgendwo gelesen, dass es einige Tage später ein Schauspiel geben würde, ein Re-enactment oder wie man das nennt. Es sollte sich um die Legende von Siegfrieds Ermordung drehen. Es heißt ja, dass der Odenwald ein wichtiger Schauplatz der Nibelungensage ist. Kennen Sie, die Nibelungen, oder? Siegfried der große Held, seine schöne Kriemhild, Ritterturniere, Drachen und all das? In der Sage wird Siegfried feige ermordet: als er sich nach der anstrengenden Jagd im Wald an eine Quelle herunterbeugt, stößt ihm sein Feind Hagen von Tronje von hinten einen Speer in den Rücken. Ich hatte es so verstanden, dass diese Szene an der Siegfriedsquelle im Odenwald nachgestellt werden sollte. Als ich das meinen beiden Jungs erzählte, waren sie Feuer und Flamme.</p><p>Also fuhren wir mit der Bahn bis Bensheim und stiegen dort am Bahnhof aus. Ich hatte mir als Ort die „Siegfriedsquelle“ gemerkt – oder war es „Siegfriedsbrunnen“? Das war dann der Moment, als ich realisierte, dass es gar nicht die eine Siegfriedsquelle im Odenwald gibt. Mehrere Orte behaupten, der Schauplatz von Siegfrieds Ermordung zu sein. Also beschloss ich, mit den beiden erst zum Felsenmeer zu gehen. Wir liefen also zu dritt los. Unterwegs fragten mich die Kinder, warum der Ort eigentlich Felsenmeer heißt. Ich bemühte mich, es zu erklären. „Stellt euch einen Abhang mitten im Wald vor. Voller riesiger grauer Steine. Alle liegen kreuz und quer aufeinander. Zusammen sind sie eine unüberschaubare Masse von Steinen, wie ein Meer.“ „Aber kein Mensch weiß genau, wie sie dahin gekommen sind. Mitten in den Wald. Es gibt da natürlich eine Sage…“. „Das Felsenmeer liegt im Lautertal, zwischen zwei Bergen. Man erzählt sich, dass vor langer, langer Zeit, als es noch Riesen gab, zwei von ihnen hier im Wald lebten. Einer auf dem Felsberg, der andere auf dem Steinbeißer und zwischen ihnen lag das Lautertal. Beide hatten einen Palast aus Steinen auf der Spitze ihres Berges gebaut und als sie in Streit gerieten, fingen sie an, mit Felsbrocken nach der Behausung des anderen zu werfen. Sie warfen Brocken um Brocken und nach und nach brachten sie die Säulen der Steinpaläste zum Einsturz. Eine riesige Lawine von Steinen setzte sich in Bewegung und begrub die beiden unter sich. Hier liegen sie bis zum heutigen Tag. Und weil Riesen tausende Jahre alt werden, sind sie noch nicht tot, sondern schlafen nur und warten, bis jemand sie befreien kommt“. </p><p>Beide Jungs hatten mit atemloser Spannung gelauscht und waren dabei ganz still geworden. Wir gingen schweigend weiter. Je kühler und dunkler es wurde, desto mehr Nebel begann aufzuziehen und wir schalteten die Taschenlampen ein, die wir zum Glück mitgenommen hatten. Uns war schon länger keinen anderen Spaziergänger mehr begegnet und ich war wirklich froh, als vor uns ein Hinweisschild auftauchte. Darauf stand, dass das Felsenmeer nur noch 100 Meter entfernt war. Wir liefen ein Stück weiter und plötzlich hörte ich neben mir einen Schrei. Mein jüngerer Sohn stand wie angewurzelt da und zeigte mit seinem Finger nach vorne. Dort stand eine massige Figur, die durch den Nebel nicht gut zu erkennen war, nur zwei glühende Augen starrten uns an. Ein paar Sekunden später verstand ich, dass es sich um eine große Holzfigur handelte, der jemand fluoreszierende Augen gemalt hatte. Im Schein unserer Lampen leuchteten sie auf. Ich lachte und erklärte den Jungs, dass unsere Fantasie mit uns durchgegangen war, als plötzlich hinter uns ein Schrei erklang. Er schien aus dem Felsenmeer zu kommen, aus dem dichte Nebelschwaden aufstiegen. „Mama, was war das?“ fragte mein Kleiner. Ich hörte seiner Stimme an, dass er gleich in Tränen ausbrechen würde. Mein älterer Sohn versuchte, tapfer zu sein und sagte, dass wir vielleicht mal nachschauen sollten, ob jemand unsere Hilfe brauchte. Bevor ich etwas erwidern konnte, hörten wir einen weiteren, leiseren Schrei und nahmen eine Bewegung war. Ich könnte schwören, dass ich zwei schemenhafte Gestalten sah, von der eine mit einem dumpfen Geräusch zu Boden fiel, während die andere sich schnell entfernte. Aber spätestens jetzt waren wir uns alle einig, dass wir so schnell wie möglich weg wollten. Ich hielt beide Kinder den gesamten Weg an den Händen und ließ sie nicht los, bis wir wieder am Bahnhof waren. </p><p>Wieder zuhause angekommen erzählten die Jungs ihrem Vater ganz aufgeregt, was passiert war. Meine beiden Jungs haben damals ihrem kleinen Cousin total aufgeregt von ihrem Abenteuer im Odenwald erzählt. Das war kurz bevor der Kleine dann leider verunglückt ist. Ich muss sagen, das war das Gruseligste, was ich in meinem ganz Leben erlebt habe …So, möchten Sie vielleicht jetzt einen Keks? Nein? Naja, auch gut, ich brauch jetzt jedenfalls einen.</p>
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