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Rock'n'Recruitment

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Jan 31st, 2014
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  1. Rock'n'Recruitment
  2. (geschrieben von @br3t)
  3.  
  4. Mein erweitertes Wohnzimmer ist eine seit vielen Jahren in Kreuzberg 36 ansässige Punkrock-Kneipe namens Rock’n’Roll Herberge. Ich besuche die Kneipe, seit es sie gibt, nur mittlerweile seltener, weil ich nicht mehr dort um die Ecke wohne. Gestern habe ich mich dort mit meinen Freunden @erdgeist und @linuzifer auf ein paar Bier getroffen; relativ spontan. Keiner von uns hat das Treffen vorher in sozialen Netzwerken wie Twitter erwähnt oder angekündigt. Ich erzähle diese Geschichte, weil sie vor allem eines ist: durchgeknallt.
  5.  
  6. Es war laut in der Bar und etwa kurz vor Mitternacht, als sich eine Person an unseren Tisch bewegte und mich anschaute. Ich hatte den Typen noch nie gesehen, und vom Äußeren passte er weder in die Punkrock- noch in die Hacker-Szene, denen ich mich zugehörig fühle. Er unterbrach mich, während ich gerade mit meinen Freunden sprach, zeigte auf mich und meinte, er würde gerne mal mit mir reden. Ich sagte ihm, dass ich aber gerade in einem Gespräch bin. Meine Freunde sagten ihm, dass es blöd wäre, wenn wir unser Gespräch jetzt unterbrechen würden. Der Besucher sagte, er würde warten. Daraufhin stellte er sich in den Raum zu einem anderen Typen, der mit dem Rücken zu mir stand, und beobachtete ein Spiel am Kicker-Tisch.
  7.  
  8. Etwas später entstand an unserem Tisch eine Gesprächspause, zumindest haben wir aufgehört, wild zu gestikulieren und den Mund zu bewegen. Der Besucher schien das beobachtet zu haben und setzte sich gleich auf den freien Stuhl neben mir. Es war ein gebräunter Typ mit Schiebermütze und einer dicken, silbernen Uhr am Handgelenk. Kurz: Er sah aus, als wäre er zum ersten Mal in einem Laden wie diesem. Er reichte mir die Hand und stellte sich als "Kalle" vor. Er erzählte, sein Kumpel "Alex" hätte gemeint, er solle sich mal mit mir unterhalten, da ich ja ein Hacker sei und mich mit IT-Sicherheit auskenne. Er behauptete, Alex hätte mit mir Informatik studiert und würde mich daher kennen. Nun... ich erinnere mich an keinen Alex und scannte den Raum nach bekannten Gesichtern aus meiner Studienzeit. Ich fragte Kalle, wer denn dieser Alex sei, und er zeigte daraufhin auf den Typen, der immer noch etwa zwei Meter entfernt mit dem Rücken zu mir stand und nur kurz zu mir rüber blickte.
  9.  
  10. Kalle erklärte, dass er "heute" in einer großen Firma gekündigt wurde. Dann fiel er mit der Tür ins Haus und behauptete, dass diese besagte Firma ihm sogleich seinen Outlook-Account dicht gemacht habe und er nicht mehr an seine Daten käme. Das Sperren eines Mitarbeiter-Accounts ist eigentlich ein recht normales Verhalten einer Firma. Gekündigten Mitarbeitern wird schnell der Zugriff auf die IT-Systeme gesperrt, um zu verhindern, dass Daten ausgeleitet oder Schaden angerichtet werden kann. Je nach Arbeitsvertrag oder ergänzenden Betriebsvereinbarungen kann ein Arbeits-Notebook und der Firmen-Account auch für private Zwecke und Kommunikation genutzt werden. In diesem Fall müsste der ehemalige Arbeitgeber verpflichtet sein, dem Ex-Mitarbeiter eine Möglichkeit zu bieten, seine privaten Daten und Emails noch (ggf. unter Aufsicht) vom Arbeitsgerät oder Server zu holen.
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  12. Jedenfalls erklärte Kalle, dass er ja überhaupt keine Ahnung von Computern und dem Hacken ebensolcher habe, und dass er gerne möchte, dass ich ihm seinen Account oder Laptop aufmache, weil sein Account eben irgendwie gesperrt wurde. Ich fragte noch nach, ob der Rechner denn in einer Domain hängen würde und er sich deshalb gar nicht mehr einloggen kann - schließlich behauptete er ja, er könne nicht mehr auf sein Outlook zugreifen, was ja ein lokaler E-Mail-Client ist. Er bestätigte dies etwas halbherzig und ging gleich über zum geschäftlichen Teil, also dass natürlich Geld selbstverständlich okay wäre für so eine "Dienstleistung".
  13.  
  14. Genau diese Art von Jobs kann juristische Konsequenzen mit sich ziehen. Sprich: Es ist etwas faul. Aber die Erkenntnis, wie faul das wirklich ist, kam mir erst später.
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  16. Ich fragte ihn zunächst, ob er nicht mal mit den Admins oder seinem Chef sprechen will. Dann fragte ich, ob er nicht einfach ein anderes Betriebssystem via CD-ROM oder USB booten kann, um seine Daten von der Festplatte zu kopieren. Er winkte ab, er habe sowas von gar keine Ahnung von Computern und brauche jetzt halt einen Hacker, der ihm seine Daten "rettet". Meine Freunde erkannten meine Hilflosigkeit in dieser völlig absurden Situation und sprangen mir zur Seite. Sie redeten auf Kalle ein, dass das ja eigentlich ein einfacher Task sei und man sich das schnell selber beibringen könne, es gebe schließlich genügend Anleitungen im Internet. Ich erklärte Kalle noch, dass er sich auch einen USB-Festplattenadapter für 10 Euro kaufen, die Laptop-Festplatte ausbauen und per USB an seinen privaten PC anschließen könnte.
  17. Natürlich könnte er auch einen Sicherheitsdienstleister engagieren, schlugen wir ihm vor, aber so jemand koste auf dem legalen Markt auch viel Geld – durchaus auch mal 200 Euro pro Stunde.
  18. Kalle sagte, er hätte aber lieber mich.
  19.  
  20. Ich war total perplex. Da sitze ich in einem mit Punks überfüllten Laden und trinke Bier, und dann kommt ein Typ mit Schiebermütze und fetter Armbanduhr gezielt zur mir, quatscht mich von der Seite an und lotet meine Bereitschaft aus, einen Computer zu kompromittieren, um an Daten zu gelangen, auf die er keinen rechtmäßigen Zugriff hat.
  21.  
  22. Und das nach einer schwachen Geschichte von seinem Kumpel, der angeblich mit mir Informatik studiert haben soll. Denn wenn dieser Alex mit mir zusammen studiert hat und mich kennt, warum steht er die ganze Zeit abseits mit dem Rücken zu mir? Warum grüßt der mich nicht? Warum kam er nicht mit an den Tisch, als Kalle mit mir redete? Und wenn dieser Alex selbst Informatik studiert hat und ein Kumpel von Kalle ist, warum hat Alex nicht zu seinem Kalle gesagt: "Hör mal, ist doch einfach: Gib mal Deinen Laptop her, ich bau Dir die Festplatte kurz aus und schließe sie an den Computer hier an, damit Du Deine Daten kopieren kannst"? Zwar ist ein Informatikstudium kein Garant für Ideenreichtum, aber man muss gewiss kein Hacker sein, um Daten von einer Festplatte zu bekommen, die vor einem auf dem Tisch liegt.
  23.  
  24. Ich lehnte dankend ab.
  25.  
  26. Darauf hin bedankte sich der Mann, stand auf und verließ sofort mit seinem Kumpel Alex die Kneipe. Bis dahin hatten sie noch so getan, als seien sie zufällig in derselben Kneipe und mein angeblicher Ex-Kommilitone Alex hätte mich spontan erkannt und empfohlen; dafür war es jedenfalls ein ziemlich kurzer Kneipenbesuch. Wir schauten aus dem Fenster und beobachteten, wie die beiden in draußen in einen dunklen Audi stiegen. Der Sportwagen war direkt vor der Kneipe geparkt.
  27.  
  28. Ich habe keine Ahnung, ob mir da jemand eine Falle stellen, oder mich für fischige Geschäfte rekrutieren wollte. Macht aber nichts, denn die einzig sinnvolle Reaktion auf Anfragen solcher Leute ist sie abzuweisen.
  29.  
  30. -ths, 31. Januar 2014
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