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Jul 16th, 2018
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  1. WAS MACHT DER TEXT IN DER MUSIK?
  2.  
  3.  
  4. Wenn wir uns die Entwicklungen der Beziehungen zwischen Text und Musik in der Popkultur der letzten 30 Jahre anschauen, dann können wir durchaus von einigen Paradigmenwechseln sprechen.
  5.  
  6. Denn ähnlich wie Slavoj Zizek für das Kino einen Wechsel vom „landscape“ hin zum „soundscape“ konstantiert, können wir auch im Pop mannigfaltige Verschiebungen zwischen den Polen "Text" und "Musik" feststellen.
  7.  
  8. Und das betrifft sowohl die Bedeutungen und die Gewichtungen die einem Text im Verhältnis zur Musik entgegengebracht wurden, wie auch das Schreiben über Musik per se.
  9.  
  10. Denn worum geht es bei Pop-Musik primär? Es geht um Sounds, die scheinbar sinnlos in einem Stück mittransportiert werden, die keine ersichtliche Funktion außer dieser haben, als kleine, ungewöhnliche Geräusche unsere Aufmerksamkeit anzuziehen. Gerade „Pop-Wissen“ kommt um das „Sound-Wissen“ nicht herum.
  11.  
  12. Und es geht um ein völlig neues Körpergefühl. Davon spricht ja auch immer wieder Klaus Theweleit: Der Swing eines Glenn Miller und der Rock'n'Roll eines Bill Haley generierten im Nachkriegsdeutschland jugendliche Körper, die gänzlich anders waren als jene der Hitlerjugend und des Bundes Deutscher Mädchen. Radikalisiert wurde dieses Umorganisieren und Neukonstruieren von Körpern dann spätestens mit Jimi Hendrix, FreeJazz & Psychedelic.
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  14. Es ist sicher kein Zufall, dass wir es schon hieri mit Musiken zu tun haben, die ihre eigentliche Textualität, d.h., ihre Lesbarkeit, ihren Reiz, ihre Faszination immer auch schon jenseits der reinen Lyrics angesiedelt haben. Lyrics können ein Ablaufdatum haben, die Musik, die Sounds & Rhythmen können hingegen immer wieder kommen.
  15.  
  16. Denn wodurch wird Pop-Musik denn überhaupt lesbar? Wodurch kann ich in das jeweilige symbolische Universum eines Stils, eines Genres, eines Acts eintreten?
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  18. Das geht ja nur durch jene Informationen, die ich neben der Musik mit aufschnappe. Das müssen jetzt nicht gleich Paratexte sein. Aber Popmusik definiert sich eben vor allem auch "durch seine Neben-Produkte" (Diedrich Diederichsen).
  19. Dazu gehören Fan-Magazine und Fashion-Styles ebenso wie Plattencover und Liner-Notes.
  20.  
  21. Musik, speziell Pop-Musik, ist ja immer mehr als nur Musik. Das war ja u.a. auch eine Botschaft von Hardcore.
  22. Schon in den 1930er Jahren sagte Hans Eisler den wichtigen Satz: "Wer nur etwas von Musik versteht, versteht auch davon nichts."
  23.  
  24. D.h., ich muss mich auch ganz konkret mit Texten beschäftigen. Wenn Thomas Meinecke sagt, dass es mindestens ein paar 100 Maxis braucht, um sich etwa in Techno, House oder Dub-Step einzulesen (im Sinne eines Einhörens in Folge dessen ein neues Paar Ohren wie eine neues Körpergefühl produziert wird), dann gehört dazu auch das parallele Lesen von Texten, die mit dem eigentlichen Gegenstand auf den ersten Blick vielleicht gar nichts zu tun haben.
  25.  
  26. Die dann aber die Schlüssel dazu liefern, das nicht in Sprache gefasste zu entcodieren. Die sonischen Zeichen zu lesen, die Informationen „im Rhythmus zu finden“ (Kodwo Eshun).
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  28. Das ist so zusagen die Werkzeugkiste jener, die sich (in Form von Artikeln, Reviews, Theorieproduktionen, DJ-Sets oder konkreten Musikproduktionen) auf das diskursive Hin & Her mit Musik einlassen.
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  30. Es gibt natürlich auch die andere Seite, die jegliche Diskursivität und popmusikalische Theoriebildung als Spasskiller versteht. Als etwas, was das direkte Geniessen von Musik stört, dem Begehren die Sinnlichkeit nimmt und mit zu viel Sinn blöde in der Disco herumsteht.
  31.  
  32. Ich sehe das bekanntlich radikal anders.
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  34. Und spreche dabei natürlich von der Perspektive eines, bei seiner eigenen Textproduktion auch versucht immer mal wieder weniger über Pop zu schreiben, als eine Art Pop-Schreibe (wenn auch nur als Theorie oder spleeniger Ideen-Clash) zu produzieren.
  35. Das gelingt zwar nicht immer, ist aber im Sinne einer „fröhlichen Wissenschaft“ eine immer wieder mit Genuss betriebene Tätigkeit.
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  37. Immer wieder orientierungsloses Herumstehen und unverständliches Gestottere gehört dabei natürlich auch dazu. Nicht zuletzt definiert sich Pop ja auch über Nicht-Orte, über utopische Plätze sowohl „Over The Rainbow“ wie „South of Heaven“.
  38.  
  39. Aber welche Texte generiert ein Schreiben über Pop überhaupt?
  40. Oder anders gefragt: Sind Pop-Lyrics & Pop-Texte (Texte über Pop) eigentlich nicht per se Literatur auf der zweiten Stufe?
  41. Also eh immer schon voll von Intertextualitäten, Zitaten, Anspielungen, Transformationen? Also Texte, die sich immer auch illegal und illegitim dort aufhalten, wo sie eigentlich keinen Zutritt hätten?
  42.  
  43. Haben wir es hierbei in den besten Fällen nicht immer auch mit sich verselbstständigenden Texten zu tun?
  44. Mit Texten, die sich mit sich durchgehen, sich plötzlich versteigen, sozusagen in geistige, argumentative Bergnot geraten, vom Weg abkommen, sich versteigen?
  45.  
  46. Es gibt viele gute Texte über Pop, die ihren eigentlichen Anlass in Windeseile verlassen gerade weil sie sich zu sehr damit befassen. Weil ihnen nichts an Nacherzählungen oder biografischem Zeilenschinden liegt, sondern weil es ihnen um ein Denken über und mit Pop geht.
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  48. Um ein „Denken als Experimentieren“ (im Sinne von Deleuze und Guattari) bzw. um das Nachzeichnen von Gedanken-Wegen, von Reisen im Hirn unter dem Motto „Denken macht Spaß“ und die sich dabei aus unzähligen Quellen speisen.
  49.  
  50. Da muss dabei nicht immer Pop-Theorie raus kommen. Das können auch ganz schön vergeigte Elaborate sein. So wie ein vermurkstes Konzert eben. Aber Pop-Theorie ist ja auch nicht eine Theorie über Pop – sonst könnten wir auch Soziologie oder Musikwissenschaften studieren. Pop-Theorie ist viel eher etwas, was sich selber aus Pop speist. Ein mitunter recht komplizierter aber ebenso genussvoller permanenter Versuch von Transformationen der Techniken des einen (also der Pop-Musik) in die Techniken des anderen (also Text-Produktionen, Theorie-Entwicklungen).
  51.  
  52. Jetzt bin ich aber auch immer mit Musik konfrontiert, die so neu klingt, dass ich zuerst nur Bahnhof verstehe.
  53. Und hier wird es spannend.
  54. Denn immer, wenn eine „Neue Musik“ kommt, bei der sich auch das Verhältnis zwischen Text und Musik verändert (mitunter sogar radikal umdreht), die „Neue Texte“ (neue Arten der Textproduktion) generiert, stößt auch das bisher erprobte Schreiben über Musik an seine Grenzen.
  55.  
  56. Punk & New Wave waren so ein Fall, HipHop ebenso.
  57. Auch weil beide zu einem Zeitpunkt auftauchten, als die ersten poststrukturalistischen Theoriegerüste in den Pop-Diskurs kamen.
  58.  
  59. Unter dem Roxy Music-Motto „Remake/Remodel“ wurden Zitate und Referenzen wichtig. Das Signifying, das Prinzip "Differenz & Wiederholung" und das "Spiel der Zeichen" wurde nicht nur bei Derrida, Deleuze/Guattari sondern auch bei Zitat-Pop und HipHop entdeckt.
  60. Und HipHop zeigte hier sehr genau worum es ging: Einerseits "Wordplay", andererseits "Kampf der Zeichen, der Symbole".
  61.  
  62. Noch dazu Zeichen & Symbole, die für primär durch Rock sozialisierte Pop-Fans zuerst nur schwer zu erkennen, zu codieren und zu entziffern waren.
  63.  
  64. Wir mussten also auch gänzlich neue Sprachen lernen.
  65.  
  66. Später kamen Techno, House, Post-Rock dazu – primär instrumentale Musiken, die maßgeblich zu den „veränderten Hörgewohnheiten“ der 1990er beitrugen.
  67.  
  68. Dazwischen war aber schon klar geworden, dass der Begriff "Text" im Zuge poststrukturalistischer Bargespräche nun direkt auf die Musik (und nicht nur auf die Lyrics) angewendet werden musste.
  69.  
  70. Die Herausforderung wie das Problem bestand nun ja vor allem darin: Wie über instrumentale Musik schreiben und dabei dennoch Pop-Texte zu produzieren? Also eben nicht beim Klassik- oder Jazz-Artikeln abzuschreiben.
  71.  
  72. Natürlich hat zu diesem Zeitpunkt der Körper schon Sympathien für diese oder jene Musik signalisiert und auch im Hirn wabert das Schmalz, aber es wollen sich einfach keine Texte einstellen, die für einen selber okay sind. Oder zumindest als erste, kleine Annäherungen okay sind.
  73. Und da kann kann es dann schon mal ein paar Monate dauern, bis über die aktuelle Lieblingsmusik überhaupt etwas druckreifes abgeliefert werden kann.
  74.  
  75. Es geht aber mitunter auch einfacher. Etwa wenn zu einem Interview nicht die primär Text - also im Sinne von Lyrics - Verantwortlichen auftauchen. Weil dann gehts gezwungenermaßen meist nur um die Musik. Und zwar um die Musik als Text.
  76.  
  77. D.h., es geht neben "veränderten Hörgewohnheiten" auch um veränderte „Schreibgewohnheiten“. Um Points of no Return, die einen radikalen Bruch markieren.
  78.  
  79. Neue, veränderte Hörgewohnheiten ändern jedoch auch die Perspektiven auf das scheinbar schon Bekannte, Gehörte.
  80.  
  81. Die "veränderten Hörgewohnheiten", die hauptsächlich an Sampling & Electronica (also der Arbeit mit Klangmaterial, mit Sounds) festgemacht wurden, veränderten ja auch das Hören von Rock.
  82.  
  83. Post-Rock, Abstract-Metal, instrumentaler Hardcore, Flirts mit FreeJazz (schon in den 1980er ja via SST praktiziert), verstanden sich ja auch u.a. auch als Reaktionen auf HipHop (hier vor allem gespeist durch die Erfüllung alter Avant-Konzepte qua DJ-Culture & Sampling) wie auf das Problem Lyrics per se. D.h., auf das Fixieren, wenn nicht sogar Einzäunen eines Songs qua Text.
  84.  
  85. Vielleicht aber auch auf dieses komische bis ungute Literatur-Werden-Wollen von Pop-Texten.
  86.  
  87. Denn eines ist auch klar: Mit Lyrics zugetextete Musiken vereinfachen das Schreiben enorm, weil eben im Prinzip nur ein Text über andere Texte zu machen ist. Dieses Problem haben Dylan-Reviews ebenso wie HipHop-Rezensionen.
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  89. Ein klassisches Beispiel dafür waren z.B. immer Blumfeld – seitenlange Text-Exegesen, aber wenig bis nix über die Musik.
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  91. Ähnliche Probleme hatten bekanntlich auch F.S.K., die dann mit Alben reagierten, wo es fast keine Texte, dafür lange Instrumentals gab.
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  93. Oder nehmen wir die Goldenen Zitronen: zwar gibt es hier immer noch das „Primat des Textes“, aber genauso wie sich die verkomplizierten, hat sich die Musik verkompliziert. Und zwar auch in dem Sinn, dass Musik ja immer auch mehr (und auch ganz anderes) aussagen kann, als der Text.
  94. Hier gibt es also einen Spalt, den die besten Acts sehr wohl transportieren können. Wobei die Stimme an sich ja schon das Gesprochene / Gesungene vom Subjekt der Aussage trennt.
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  96. Diesen Spalt nicht zu füllen aber zu thematisieren wäre die eigentliche Aufgabe eines Diskurses entlang der Pole Text und Musik.
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  98. Weil sonst könnten wir gleich mit Christl Stürmer sagen: „Der Text kommt aus meinem Mund, und spiegelt meistens auch meine Ansichten.“
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