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Was ist im Kampf gegen Rechtsextremismus alles erlaubt?

Jun 19th, 2013
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  1. Sächsische Zeitung online
  2. Mittwoch, 19.06.2013
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  4. Pfarrer Lothar König stellte sich bei einer Demo in Dresden Neonazis in den Weg. Was ist im Kampf gegen Rechtsextremismus alles erlaubt? Der Beitrag unseres Autors soll Auftakt einer Debatte sein.
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  6. Von Meinungsbeitrag von Carsten Biesok
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  8. Zum Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König vor dem Amtsgericht Dresden hat sich jüngst der Verein „Kulturbüro Sachsen“ mit einem offenen Brief zu Wort gemeldet. Die 60 Unterzeichner, darunter auffallend viele Theologen, bringen darin ihr „Befremden“ zum Ausdruck.
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  10. Befremden worüber? Befremden über einen Pfarrer, gegen den ein hinreichender Tatverdacht besteht, er habe einen Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall begangen? Über einen Pfarrer, der bar jeder Pietät in Fanbekleidung eines Hamburger Fußballklubs am 13. Februar 2012 den Dresdner Heidefriedhof als Bühne für seine Selbstdarstellung nutzt? Einem, der noch im Gerichtssaal eine Tasche mit der Aufschrift „Heute schon aufgewiegelt?“ trägt? Mitnichten. Befremden äußert man darüber, dass die Staatsanwaltschaft König für sein „bürgerschaftliches Vorgehen“ angeklagt.
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  12. Dieser „offene Brief“ reiht sich in eine Kette von Versuchen ein, allein die Einleitung von Strafverfahren gegen Sitzblockierer und mutmaßliche Landfriedensbrecher zu skandalisieren und damit zu diskreditieren, wenn sich diese Taten gegen Rechtsextremisten richten. Geistiger Urvater dieser Position ist Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), der die Absicherung einer nicht verbotenen Demonstration von Rechtsextremisten gegen gewaltbereite Gegendemonstranten sarkastisch als „Sächsische Demokratie“ verunglimpfte.
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  14. Ich halte diese Position für extrem gefährlich: Sie fordert im Kern ein politisches Strafrecht und eine politische Polizei. In einer ersten Stufe wird geprüft, ob sich die möglicherweise strafbare Handlung gegen eine rechte Gesinnung gerichtet hat. Wenn ja, darf nicht weiter ermittelt werden. Der Protest gegen rechts rechtfertigt danach den möglichen Rechtsbruch. Wenn die gleiche Handlung politisch neutral ist oder sich gegen links richtet, darf weiter ermittelt und angeklagt werden.
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  16. Oder übertragen auf Wolfgang Thierse: Erst einmal schauen, wer gehindert wird, sein Versammlungsgrundrecht auszuüben, oder wer durch Übergriffe in seiner körperlichen Unversehrtheit gefährdet wird. Sind es Menschen mit rechter Gesinnung, darf der Staat sein Gewaltmonopol nicht ausüben, um sie zu schützen. Extremisten werden so die Grundrechte abgesprochen. Die Grundrechte gelten aber für jeden Menschen.
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  18. Nur wenn sich der Rechtsstaat auch gegenüber Rechtsextremisten und dem Protest gegen rechts an seine Regeln hält, ist er glaubwürdig. Dazu gehört auch, dass jeder Angeklagte ein Recht auf ein faires Verfahren und auf Verteidigung hat.
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  20. Die Kanzlei eines in Cottbus lebenden Verteidigers im NSU-Prozess wurde mit den Worten „NSU-Anwalt – Rassismus tötet!“ beschmiert und Fensterscheiben mit Steinen eingeworfen. Dürften auch diese Täter nicht wegen Sachbeschädigung vor Gericht gestellt werden, weil sie sich gegen rechts engagiert haben? So weit darf es nicht kommen! Der Rechtsstaat gewinnt seine Legitimation durch seine politische Neutralität. Wenn wir diesen Grundkonsens in unserer Demokratie aufgeben, rütteln wir an ihren Grundfesten.
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  22. Die Staatsanwaltschaft darf nicht nur, sie muss anklagen, wenn ein hinreichender Tatverdacht für eine Straftat besteht. Ob das Verhalten des Beschuldigten aus Sicht eines in der Mitte der Gesellschaft stehenden Bürgers legitim im Protest gegen Rechtsextremismus erscheint, ist dabei unerheblich.
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  24. Ich weiß nicht, ob sich Pfarrer König strafbar gemacht hat. Für mich ist er unschuldig, bis er rechtskräftig verurteilt wurde. Aber ich finde es richtig, dass die Staatsanwaltschaft auch einen Geistlichen, der sich gegen rechts engagiert, anklagt, wenn sie überzeugt ist, genügend Beweise für seine Schuld zu haben.
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  26. Er muss freigesprochen werden, wenn ihm die Tat nicht bewiesen werden kann oder seine Unschuld feststeht. Ob man – wie ich es tue – das Auftreten von Pfarrer König befremdlich findet und sein Verständnis von kirchlicher Jugendarbeit nicht teilt, darf dabei keine Rolle spielen.
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