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Sep 26th, 2017
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  1. Mit der CDU in einem Boot
  2. Erst willkommen heißen, dann die Gesetze verschärfen: Die Christdemokraten und die vietnamesischen Boat-People 1979
  3. Von Frank Bösch
  4. 13. Juni 2017, 17:03 Uh
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  6. Die Fotos lösten eine Woge der Solidarität aus: Flüchtlinge, zusammengepfercht in überfüllten Booten, durchnässte Männer und Frauen, die sich an Land schleppen, erschöpfte Familien in eilig errichteten Auffanglagern. Boat-People hießen die Geflüchteten rasch, doch nicht über das Mittelmeer kamen sie, sondern aus dem kommunistischen Vietnam, zum Teil auch aus Kambodscha. Die Hilfsbereitschaft der Westdeutschen war überwältigend. Sie spendeten generös, engagierten sich als Seenotretter und nahmen die Vietnamesen ohne komplizierte Asylverfahren auf. Die Boat-People waren die erste größere Gruppe außereuropäischer Flüchtlinge, die in die Bundesrepublik kam. Und erstaunlicherweise traten seinerzeit, 1979 und 1980, allen voran Christdemokraten dafür ein, mehr Schutzbedürftige einzufliegen und dauerhaft zu integrieren. Angela Merkels beherztes Eingreifen 2015 hatte also auch in ihrer Partei Vorläufer.
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  8. Wie in den vergangenen Jahren dauerte es damals eine Weile, bis dieses Engagement einsetzte. Bereits 1975, nachdem das kommunistische Nordvietnam über den Süden gesiegt hatte, verließen viele das Land. Die USA nahmen die meisten Flüchtlinge auf und drängten die Bundesrepublik, einige Tausend zu akzeptieren. Doch die sozialliberale Regierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) zeigte sich reserviert. Lediglich 1.300 Vietnamesen gelangten in den folgenden drei Jahren in die Bonner Republik.
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  10. Ende 1978 stiegen die Flüchtlingszahlen rasant an. Rund 1,5 Millionen Menschen vegetierten schließlich in den Auffanglagern der Nachbarländer, viele starben auf hoher See. Angesichts der erschütternden Medienberichte verlangten Unionspolitiker mehr finanzielle Hilfe und bevorzugtes Asyl. Am 24. November 1978 machte der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) einen spektakulären Vorstoß: Er beschloss, sofort 1.000 Boat-People nach Niedersachsen einfliegen zu lassen. Albrechts konservativer Innenminister Wilfried Hasselmann begleitete den Flüchtlingstransport aus den Lagern. Bei der Ankunft in Niedersachsen begrüßten Spitzenpolitiker die Neuankömmlinge feierlich. Die damaligen Zeitungsbilder stehen den Handy-Selfies mit Angela Merkel in nichts nach. Ernst Albrecht begründete seinen Einsatz mit christlicher Nächstenliebe.
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  12. Sein Engagement zeigte, was möglich war. Auch andere CDU-Politiker forderten von der Regierung Schmidt nun eine rasche Aufnahme von Indochina-Flüchtlingen. Bundestagspräsident Richard Stücklen (CSU) plädierte 1979 sogar dafür, Flüchtlingen, die mit ausländischen Booten wie der französischen Île de Lumière gerettet wurden, Asyl zu gewähren. Im europäischen Parlament forderte die christdemokratische Europäische Volkspartei den Einsatz weiterer Schiffe vor den Küsten Südostasiens.
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  14. Es blieb nicht bei Worten. Tatsächlich nahmen CDU-regierte Länder anfangs mehr Flüchtlinge auf als SPD-regierte. Niedersachsen tat sich besonders hervor. Doch auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth verdoppelte 1979 die Quote, gab gesondert Gelder für ein Hilfsschiff des Deutschen Roten Kreuzes und richtete ein Koordinationsbüro für private und öffentliche Initiativen ein. Ebenso stellten die unionsregierten Länder Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Bayern Plätze oberhalb der Quoten bereit.
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  16. Die christdemokratischen Solidaritätsaktionen jener Monate erinnern eher an das Engagement linker Gruppen. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) startete 1979 den Aufruf "Helft den Vietnamesen", die Junge Union warb für Wohnraum, Arbeit und Patenfamilien. Sie verkaufte sogar Reis, um Geld einzutreiben, und forderte unter ihrem Vorsitzenden Matthias Wissmann, 50.000 Flüchtlinge aufzunehmen und eine "Luftbrücke" einzurichten. Gemeinsam mit dem CDU-Abgeordneten Elmar Pieroth gründete Wissmann das Vietnam-Büro e. V., das unter anderem Spenden sammelte und Jobangebote für die eingeflogenen Vietnamesen einholte.
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  18. Wie ist diese Hilfsbereitschaft zu erklären?
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  20. Entscheidend war, dass die CDU und die geflüchteten Vietnamesen denselben Feind hatten: den Kommunismus. Die Bilder verzweifelter Familien und Berichte von Vergewaltigungen erinnerten viele Christdemokraten zudem an die Vertreibung der Deutschen aus den früheren Ostgebieten. Viele, wie Helmut Kohl, damals Unionsvorsitzender, begründeten ihre Appelle mit der deutschen Fluchterfahrung. Aus demselben Grund prangerten Vertriebenensprecher wie Herbert Hupka und Herbert Czaja die Zustände in Vietnam an.
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  22. Keine geringe Rolle spielte, dass die Vietnamesen und Ostasiaten als fleißig und vergleichsweise gebildet galten. So trat die Union 1980 zwar auch vehement für die Unterstützung der von Kommunisten verfolgten Afghanen ein, aber nicht für deren Aufnahme in Deutschland.
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  24. Zeitgleich mit den Meldungen aus Vietnam lief im deutschen Fernsehen die amerikanische Serie Holocaust. Ihr Erfolg wirkte sich auch auf die Flüchtlingsdebatte aus: In etlichen Berichten war nun von den Boat-People als den "Juden des Ostens" die Rede. Die CDU-Abgeordneten des Vietnam-Büros argumentierten: "Untätig zu bleiben macht uns mitschuldig an einem neuen Holocaust, denn in der Zwischenzeit ertrinken nach Schätzungen etwa 2.000 Menschen pro Tag."
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  26. Seit 2013 wiederholt sich die Geschichte
  27. Der Linken hielten die Christdemokraten vor, in den Sechzigern gegen den Krieg der USA in Vietnam protestiert zu haben, nun aber zu schweigen. Tatsächlich äußerten sich etwa die neu gegründeten Grünen kaum zum Schicksal der Boat-People. Und bei denen, die einst gegen den Vietnamkrieg protestiert hatten, gab es vereinzelt sogar Unmut über die Flüchtlinge. Der Theologe Helmut Gollwitzer sprach relativierend von der Flucht "der Oberschicht und der chinesischen Händler". Und die linke Zeitschrift konkret wetterte im Duktus der SED: "Viele der Boat-People sind Schwarzhändler, Zuhälter und US-Kollaborateure, die sich gegen Geld Tickets für den Weg zu neuen Ufern kaufen." Der Schriftsteller Heinrich Böll hielt solchen Tönen eine überparteiliche Humanität entgegen: "Ich würde auch einen ertrinkenden Zuhälter retten. [...] Ich hätte sogar den Massenmörder Eichmann aus dem Wasser gezogen."
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  29. Gefördert wurde die Flüchtlingsaufnahme durch Journalisten aller Couleur. An vorderster Stelle stand Rupert Neudeck, ein katholisch geprägter Redakteur des Deutschlandfunks. Sein Verein "Ein Schiff für Vietnam" finanzierte mit Spenden das legendäre Rettungsschiff Cap Anamur. Bis 1982 rettete es 9.507 Boat-People; größtenteils kamen sie in die Bundesrepublik. Neudeck agierte überparteilich und unpolitisch. Unterstützung erhielt er von CDU-Politikern, aber auch von Johannes Rau (SPD) und Heinrich Böll. Die Bild-Zeitung berichtete mit Verve; sämtliche Springer-Blätter warben für Neudecks Verein. Binnen weniger Monate kamen sieben Millionen D-Mark zusammen.
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  31. Auch die ZEIT engagierte sich. Josef Joffe, damals Redakteur im Dossier, besuchte die Aufnahmelager in Südostasien. Im Anschluss daran sammelte das Blatt Spenden; zwei Redakteurinnen, Gabriele Venzky und Margrit Gerste, flogen nach Kuala Lumpur, um 274 Vietnamesen außerhalb des deutschen Aufnahmekontingents nach Hamburg zu holen. ZEIT-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff erinnerte an die deutsche Vertreibungserfahrung nach 1945. Fast 2,2 Millionen Mark sammelte die Redaktion in nur zwei Monaten und übernahm damit Flugkosten, finanzierte ärztliche Hilfe und kam für zusätzliche Sozialleistungen auf.
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  33. Die sozialliberale Bundesregierung blieb zurückhaltend. Trotz des öffentlichen Drängens sah sie zunächst nur Quoten für einige Tausend Boat-People vor. Schmidt und sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) betonten immer wieder, dass die Bundesrepublik durch die vielen Vertriebenen, Aussiedler und Ausländer schon zu belastet sei. Stattdessen erhöhten sie die finanzielle Hilfe für die Lager in Asien deutlich. Allein 1979 verdreifachten sie diese auf 64 Millionen Mark. Erst eine UN-Konferenz brachte die Bundesregierung dazu, einem Aufnahmekontingent von 10.000 Indochina-Flüchtlingen zuzustimmen. Unter dem öffentlichen Druck erhöhte sie die Quote dann schrittweise. Das Auswärtige Amt kritisierte zwar die Aktionen der Cap Anamur, akzeptierte jedoch die Aufnahme der unter deutscher Flagge Geretteten. In den Lagern unterstützten Botschaftsangehörige die Überführung. Bald befanden sich rund 30.000 vietnamesische Flüchtlinge in der Bundesrepublik. Weitere folgten vor allem über den Familiennachzug.
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  35. Kannte man Migranten bis dahin fast ausschließlich als "Gastarbeiter", finanzierte der Staat nun Integrationsprogramme für ihren dauerhaften Verbleib. Als Kontingentflüchtlinge erhielten die Vietnamesen eine befristete Arbeitserlaubnis für fünf Jahre, die verlängerbar war und nach acht Jahren entfristet werden sollte. Sie bekamen Bafög, Hilfen zur Eingliederung ins Berufsleben sowie soziale Förderung. Die Kosten waren erheblich. Allein die verpflichtenden Sprachkurse schlugen mit 15 000 Mark pro Flüchtling zu Buche. Im Vergleich zu anderen Einwanderern gelang die Integration dafür denkbar gut: 2013 besuchten zwei Drittel der Jugendlichen mit vietnamesischem Migrationshintergrund das Gymnasium.
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  37. Wie heute folgte der Flüchtlingshilfe eine Welle der Fremdenfeindlichkeit. Während die einen Menschen aus überfüllten Booten retteten, entdeckten andere den Slogan "Das Boot ist voll". Steigende Asylbewerberzahlen und wachsende Arbeitslosigkeit verstärkten die ausländerfeindliche Stimmung. Besonders die CSU klagte nun über "Wirtschaftsasylanten". Auch sozialliberale Stimmen monierten ängstlich die wachsende Ausländerzahl trotz des Aufnahmestopps von 1973. Bundeskanzler Helmut Schmidt wies nachdrücklich darauf hin, dass die "Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland ist" und auch keines werden wolle.
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  39. Christdemokraten, die zuvor noch höhere Kontingente gefordert hatten, verlangten jetzt härtere Asylgesetze. 1981 weigerten sich fast alle Bundesländer, weitere Cap Anamur-Flüchtlinge aufzunehmen; ihre Durchgangslager seien ausgelastet. Im März 1982 schließlich erschwerte eine Bund-Länder-Regelung die Aufnahme der Boat-People. Lediglich Ernst Albrecht beharrte auf einer Sonderregel für Niedersachsen und nahm weiterhin Vietnamesen auf.
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  41. Im Vergleich zu den "Gastarbeitern" waren die Vietnamesen eine kleine Gruppe. Die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteilwurde, war umso größer. Entsprechend heftig traf sie der Hass der "Neuen Rechten". Bereits 1980 wurden zwei Vietnamesen, die mit der Cap Anamur und der Hilfe der ZEIT nach Hamburg gekommen waren, von einem rechtsradikalen Terror-Trio durch einen Brandanschlag getötet.
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  43. Seit 2013 wiederholt sich diese Geschichte in vieler Hinsicht – nur in größerer Dimension. Die syrischen Flüchtlinge wurden zunächst ebenfalls als Kontingentflüchtlinge eingeflogen und vom damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Flughafen begrüßt. Die Aufnahmebereitschaft war groß, die Syrer galten gemeinhin als gebildeter als Flüchtlinge aus vielen anderen Ländern, Kommentatoren zogen erneut Parallelen zu den Vertreibungen nach 1945. Abermals folgten wenig später Ressentiments, Fremdenhass und Einschränkungen des Asylrechts. Wieder zeigte sich, wie wankelmütig die Deutschen bei der Aufnahme von Flüchtlingen sind. In einem einfachen Links-rechts-Schema ging dies schon vor knapp 40 Jahren nicht auf.
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