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Sep 20th, 2019
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  1. Kannst du die ersten Regentropfen hören? Wie sie sich auf den, durch die Sonne noch gewärmten, Stein legen?
  2. Kannst du es riechen, die nasse Erde, das nasse Holz?
  3. Kannst du es sehen, wie der Sommer dir den Rücken kehrt und sich in stiller Demut der Kälte gegenüber verneigt?
  4. Kannst du es begreifen, was der Regen mit sich bringt?
  5. Kannst du das Ende schmecken?
  6. Der Regen läutet es ein -
  7. den dumpfen Laut der Qual.
  8.  
  9. Der Regen verdeutlichte der Welt, dass es nicht nur das Licht gab, was über einen wachte. Er tauchte das Bild in ein unangenehmes, deprimierendes Grau und ließ weit und breit keinen Spielraum für Harmonie. Er deckte die dunkelsten Löcher auf, schwemmte den gröbsten Dreck ins Zentrum. Er sorgte dafür, dass aus einer Welt, die in bunten Farben funkelte, eine triste Einöde wurde. Er hatte das Talent nach den Emotionen zu greifen, die Stimmung an ihre Grenzen zu ziehen. Er konnte einen müder werden lassen. Er war in der Lage in unseren Köpfen so viel zu bewegen, wie manch Minnesänger es nach Jahren nicht schaffte. Er wusch die Glückseligkeit fort und trieb das heraus, was wir einst hinter unseren Fassaden verborgen hielten. Das Wetter war alles Andere als nichtig, es beeinflusste täglich zum Teil unsere Stimmung.
  10.  
  11. Der Regen ist doch deprimierend, nicht wahr?
  12.  
  13. Und irgendwo, in Mitten dieses Trauerspiels, konnte man dann auch die einzelnen Menschen entdecken, die wie Spielfiguren auf dem Feld hin und her zogen. Denn was der Regen nicht schaffte, war den Alltag in Gänze einzustellen. Und so hatte jeder, trotz der drückenden Gefühle, weiterhin seine Aufgaben. Der Marktschreier, der dieser Tage besonders gefordert war, schrie weiterhin seine Phrasen in die Welt, spuckte ab und an aus, um die Flüssigkeit in seinem Mund loszuwerden. Die Wachen zogen weiterhin ihre Runden durch die Straßen und ließen den Regen klangvoll auf ihre metallener Rüstung spielen. Die Händler versuchten ihre Waren zu veräußern, wenn es auch immer schwieriger wurde, denn kaum einer ging noch auf den Markt, wenn er es nicht wirklich musste und wer hegte schon das Bedürfnis nach einem Wasser durchtränkten Stück Brot? Und zwischen diesen üblichen Gestalten, diesen alltäglichen Gestalten, stand so unscheinbar die Person, die einem anderen, düsteren Tagesverlauf frönte.
  14.  
  15. Bei dem Wetter will man doch gar nicht aufstehen.
  16.  
  17. Immer mal wieder bewegten sich die Lippen der Gestalt, die sich bereits hat durchtränken lassen, von dem kalten Nass. Es wirkte so als würde sie gegen den Regen ansprechen. Als hätte sie damit begonnen, ein Gedicht in den düsteren Tag zu schreien ohne das ihre Stimmbänder ihr dabei entgegen kamen und einen Laut erzeugten. So wurden eben all diese Menschen betrachtet, all die Gesichter, all das Drumherum, all der Handel. Die Gestalt war auch einst ein Händler gewesen, einer der einen höheren Preis zahlte. Ein Händler, der auch noch jetzt jeden Tag 'Münzen' abdrücken musste.
  18. Und irgendwann, im Prasseln des Regens, endeten die Bewegungen der Lippen. Die Diskussion mit sich selbst läutete sich in den Schlaf und zurück blieb eine Emotion: ein Bruch in der nichtssagenden Fassade. Zurück blieb der Preis, zurück blieb das Leid. Denn mancher Handel schnitt einen so tief ins Fleisch, dass der Regen wirklich das geringste Problem war, am Ende des Tages.
  19.  
  20. Der Regen hatte begonnen.
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