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Guest User

Wer den Tisch zersaegt...

a guest
Feb 15th, 2020
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  1. Dieses Werk ist unter einer Creative Commons Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/ oder wenden Sie sich brieflich an Creative Commons, Postfach 1866, Mountain View, California, 94042, USA.
  2. Statt Namensnennung genügt der Link auf diesen Beitrag.
  3.  
  4. Dieser Text stellt eine argumentative Auseinandersetzung mit einem Beitrag dem Verfassungsblog dar und ist deshalb aus Fairnessgründen ebenfalls unter einer CC-Lizenz veröffentlicht worden.
  5.  
  6. Der Text beginnt schon damit:
  7. "Darf ich ein persönliches Wort an Sie richten, Herr Merz? Wir kennen uns nicht, und ich gehe nicht davon aus, dass Sie sich unter den Abonnent_innen des Verfassungsblog-Editorials befinden, aber vielleicht erreicht es Sie ja trotzdem. Also: Ich hätte eine Bitte. Eigentlich mehr eine Aufforderung. Sie sollen ja nicht mir einen Gefallen tun, sondern Ihrer Partei, Ihrem Land, uns allen und nicht zuletzt sich selbst."
  8. (Steinbeis, Maximilian: 'Es geht nicht um den Platz am Tisch. Es geht um den Tisch.', VerfBlog,2020/2/14, https://verfassungsblog.de/es-geht-nicht-um-den-platz-am-tisch-es-geht-um-den-tisch/.)
  9.  
  10. Ich kann gar nicht beschreiben, wie vermessen ich es finde, wenn hier jemand für sich in Anspruch nimmt nicht nur zu wissen, was das Beste für das Land, die Partei und meinetwegen auch der Welt ist, sondern sogar für jede einzelne Person.
  11. Schon an der Stelle frage ich mich ganz ehrlich, ob der Autor diesen Ton auch gegenüber anderen Personen anschlagen würde, sagen wir mal Robert Habeck oder Kevin Kühnert. Ich will damit nicht mal in den Raum stellen, dass das notwendig oder angesichts des Verhaltens angemessen wäre, aber ich bezweifle, dass diese politische Richtung auch nur annähernd so behandelt werden würde wie man es sich gegenüber einen CDU-Mann herausnimmt.
  12.  
  13. "Das ist aber nicht so. Oder vielmehr: das mag schon sein, dass da allerhand angelaufen käme. Nur ob das dann tatsächlich Schäflein wären…"
  14. (ebenda)
  15.  
  16. Diese Metapher scheint mir sehr bewusst aus dem Bereich der pädagogischen Kinderliteratur entlehnt, um diesen Eindruck, dass man hier jemanden belehren müsse, noch zu verstärken.
  17. In Übrigen, ich kann mir vorstellen, dass in den Augen von einigen Leuten AfD-Wähler schon allein durch diesen "Tatbestand" als unrettbar betrachtet werden. Nun, diese Meinung kann man natürlich haben. Nur ist klar, dass damit ein konservativer Kandidat weitaus mehr Probleme haben wird als ein linker, da ein Linker naturgemäß weniger verlorenes Wählerpotenzial bei der AfD hat als ein Konservativer. Wobei ich mir vorstellen kann, dass da mehr ehemalige SPD-Wähler sind als es sich beide Partein wünschen würden.
  18.  
  19. Nun muss man der These des Autors, dass die AfD die politischen Spielregeln verletzt, mit der die parlamentarische Demokratie in Deutschland arbeitet, zum Teil sogar zustimmen. Man erinnere sich an die wiederholten, rein formalen Anträge auf Feststellung der Beschlussfähigkeit. Mit diesen wurden schon ungeschriebene Konventionen der bundesrepublikanischen Politik verletzt.
  20. Das Beispiel, das der Autor zitiert, scheint mir jedoch etwas problematisch zu sein:
  21. "Alexander Gauland hat angekündigt, dass die AfD in Thüringen Bodo Ramelow ihre Stimme geben werde im dritten Wahlgang. Das ist so ein Beispiel: dass man als Abgeordnete in einer Wahl mit seiner Stimme tatsächlich sagt, was man damit sagt, nämlich Ermächtigung des Gewählten – das ist eine ungeschriebene Konvention, deren Existenz sich bis vor kurzem kaum jemand jemals bewusst gemacht hat, so selbstverständlich war sie."
  22. (ebenda)
  23.  
  24. Ich sehe da ehrlich gesagt das Problem nicht so sehr.
  25. Hier liegt doch keine bewusste Störung der parlamentarischen Ablaufs vor. Ramelow hätte eine Mehrheit, wäre mit dieser selbstverständlich auch gewählt und damit der alte, neue Landesvater in Thüringen.
  26. Was in Thüringen Probleme macht, das ist doch nicht die AfD, diese ist nur ein zufälliges Symptom, sondern die Verfassung Thüringens selbst und die "politische Kultur", die sich um diese herum gebildet hat. Diese ist nämlich nicht auf die Situation eingestellt, dass die Regierung nicht über eine, wenn auch möglicherweise dünne, Mehrheit im Parlament verfügt. Das französische oder amerikanische System hätten mit dieser Konstellation wahrscheinlich weniger Probleme.
  27. Das politische System in Deutschland hat sich in der Situation entwickelt, dass es einen mehr oder weniger klaren politischen Kampf zwischen einen eher linken und einen eher konservativen Lager gab. Angeführt durch die beiden Volksparteien SPD und Union. Es stimmt fraglos, dass die Konservativen ebenso wie die Linken ihr Gesicht im Laufe der Geschichte der BRD mehrfach geändert haben. Die SPD wohl am Deutlichsten in der Schröder-Ära und mit dem Godesberger Programm, aber auch die CDU unter Kohl war doch ganz anders als die unter Adenauer.
  28. Mit der Großen Koalition und den Aufstieg von dritten Parteien wie den Piraten oder später eben der AfD haben wir es aber mit einer neuen Situation zu tun. Nun kann es sein, dass die Mehrheit, also die stärkste Partei, keine "Kanzlermehrheit" mehr organisieren kann. Unter dem Druck dieser Verhältnisse wird damit die Regierungsbildung, die normale parlamentarische Tätigkeit und die Gesetzgebung immer schwerer.
  29.  
  30. Es ist nun mal typisch für den parlamentarischen Typ der Demokatie, dass die Exekutive durch das Parlament gewählt wird. Im Gegensatz zu präsidentiellen Systemen wie den USA, wo die Regierung unabhängig von der Legislative gewählt wird und deshalb auch einer anderen Partei angehören kann.
  31. Hat die Regierung in einer parlamentarischen Demokratie keine stabile Mehrheit im Parlament, erscheint dies als Krise.
  32. Für einen Verfassungsblog wäre es doch interessant, grade diesen Punkt verstärkt zu analysieren.
  33.  
  34. In Übrigen gibt es doch auch bei den linken Parteien versuche, den parlamentarischen Prozess für ihre Zwecke zu missbrauchen. Wenn etwa ein Gesetzenwurf eingebracht wird, der von vornherein keine realistischen Chance auf eine Mehrheit hat, der aber die Position der Partei, die ihn einbringt, stärker zur Geltung bringt oder wenn einzelne Abgeordnete das Parlament verlassen, wenn ausländische Staatoberhäupter als Gast vor Ort sind.
  35. Für diese Form des "virtue signalling" ist ein Parlament durchaus auch nicht gedacht. Es mag seltsam klingen, aber es ist eine ungeschriebene Spielregel der parlamentarischen Demokratie, dass Gesetzentwürfe in erster Linie von der Regierung aus eingebracht, ja häufig die Gesetze erst in den Ministerien formuliert werden.
  36.  
  37. "Dass sich die Öffentlichkeit so schnell, klar und massenhaft gegen den Coup von Thüringen mobilisieren ließ, hat aber offengelegt, dass im demokratischen Staat nicht diese 'etatistische Hülle', sondern das Menschen- und Gleichheitsrecht das Kriterium dafür ist, wer in ihm Macht ausüben soll." (ebenda)
  38.  
  39. Natürlich, wenn sich die Bürger für eine linke Regierung erheben, dann ist es die (womöglich kritische) Öffentlichkeit. Stehen dagegen die Bauern auf und protestieren oder gibt es Bürger, die gegen Windkrafträder vor ihrer Haustür protestieren, dann sind es einzelne Unzufriedene.
  40. Übrigens ist das in der anderen Richtung genauso.
  41.  
  42. "Der AfD-Prozessvertreter Ulrich Vosgerau – das ist der, dessen bislang größte Lebensleistung darin besteht, in der Flucht- und Migrationskrise 2015 das Wort von der "Herrschaft des Unrechts" geprägt zu haben" (ebenda)
  43.  
  44. Nun mögen die Ansichten und Aussagen von manchen AfD-Politiker nicht besonders appetitlich sein. Den Hinweis auf die Lebensleistung zur Disqualifizierung der Aussage würde man sich aber bei einem Kevin Kühnert nie erlauben.
  45. Diese Parteilichkeit wird von den wirklich kritischen Mitgliedern der Öffentlichkeit durchaus wahrgenommen. Das ist leider auch der Grund, warum sich die politische Landschaft immer mehr zuspitzt. Auf der einen Seite haben wir dann Enteignung, Wirtschaftslenkung und das Ideal eines multikulturellen Kosmopolitismus, den die meisten Zugewanderten selbst gar nicht leben wollen, und auf der anderen Seite dann nostalgische Verklärung, bewusster Abbau des Sozialstaates und Nationalismus.
  46.  
  47. Das ist, ich will es in den Raum stellen, ebenfalls eine Form der politische Debatte, mit der eine parlamentarischen Demokratie vielleicht schlechter umgehen kann als ein "the winner takes it all"-Prinzip. Denn möglicherweise ist erstes tatsächlich auf eine politische Mitte angewiesen, um die herum der Wahlkampf geführt wird...
  48.  
  49. Egal, ich will es vorläufig bei diesen Punkt belassen.
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