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Dec 12th, 2019
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  1. Experimente von Verhaltensforschern: Katzen sind schlauer als gedacht
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  4. Ohne seine tägliche Trainingseinheit mit Clicker und Leckerli kriegt Bo schlechte Laune. Das sagt jedenfalls seine Besitzerin Kristyn Vitale, die den pechschwarzen Kater einst von der Straße auflas.
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  6. Bo kommt, wenn Vitale ihn ruft, er macht auf Kommando Männchen, bleibt auf seinem Platz oder springt über Hindernisse. Gegenwärtig übt er, mit der Pfote auf Knöpfe zu drücken. Jede Taste steht für ein Wort, das aus einem Lautsprecher ertönt, "Futter" etwa oder "Spielzeug".
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  8. Die Knöpfe trifft Bo schon ganz gut - ob er auch ihre Bedeutung kapiert, muss sich noch zeigen.
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  10. Vitale ist Verhaltensforscherin im Human-Animal Interaction Lab an der Oregon State University in den USA. Seit sie denken kann, ist sie von Katzen umgeben. Früher waren es die Haustiere ihrer Familie und Streuner aus der Nachbarschaft, heute sind es ihre vier eigenen, Carl, Kevin, Macy und Bo, der Klügste der Truppe. Dazu kommen, immer häufiger, jene Vierbeiner, die von ihren Besitzern im Rahmen von Studien ins Labor an der Uni gebracht werden.
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  12. Und diese Tiere, sagt Vitale, seien allesamt ganz anders als ihr Ruf. Die Hauskatze gilt als launisch und unnahbar, als stolze Diva, die ihre Menschen allenfalls als ranggleiche Mitbewohner, eher aber als Dienstleister in ihrer Nähe duldet. Erziehung? Fehlanzeige. Kuscheln? Nur wenn es dem Tier beliebt.
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  14. Gerade diese Unabhängigkeit, Kontrapunkt zum treudoofen Dackelblick, schätzen viele Halter des beliebten Haustiers. Dafür nehmen sie gern in Kauf, dass die Auffassungsgabe ihrer Lieblinge halt nicht heranreicht an die Gelehrigkeit von Hunden, von Anhänglichkeit gar nicht zu reden.
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  16. Aber stimmt das überhaupt? Vitale ist zu ganz anderen Erkenntnissen gelangt. "Meine Katzen haben alle eine starke Bindung zu mir, sie sind untereinander sozial, und sie lernen gern", sagt die Forscherin. "Vielleicht scheinen Hunde und Katzen auch nur deswegen so unterschiedlich zu sein, weil unsere Erwartungen an sie ganz andere sind."
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  18. So bringe jeder Hundehalter seinem Haustier bei, beim Ruf seines Namens herbeizueilen, viele schleppen ihr Tier in Welpenkurs und Hundeschule, lassen es Stöckchen holen und Agility-Parcours absolvieren - alles eher unüblich für Felis silvestris catus.
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  20. Doch inzwischen mehren sich Studien, die dem Katzenhirn ebenfalls verblüffende Leistungen attestieren. Die neuen Beobachtungen lassen nicht nur die Katze in neuem Licht erscheinen. Sie rütteln auch an der in der Kognitionsforschung angenommenen Sonderstellung des Hundes.
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  22. In den vergangenen Jahrzehnten war der Kläffer zum Lieblingstier im Feld der sozialen Kognition aufgestiegen. Durch das enge Zusammenleben mit dem Menschen und die gezielte Domestizierung, vermuteten Wissenschaftler, habe der Hund gelernt, seine Frauchen und Herrchen auf eine Weise zu verstehen, wie das kein anderes Tier vermag.
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  24. Vielerorts bitten Kognitionsforscher Hundebesitzer mit ihren Vierbeinern ins Labor, wo sie den Tieren knifflige Aufgaben stellen. Am Hund, so die Hoffnung, lässt sich nachvollziehen, wie sich kognitive Fähigkeiten entwickeln.
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  26. Nun aber zeigt sich: Auch Katzen schaffen vieles von dem, was Hunde können - wenn man sie nur lässt.
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  28. Schon 2005 demonstrierte der ungarische Biologe Ádám Miklósi, wie gut Katzen menschliche Gesten zu deuten vermögen. So waren sie in der Lage, dasjenige Gefäß zu finden, unter dem Futter versteckt war, wenn der Experimentator darauf deutete. Schimpansen dagegen können mit solchen Fingerzeigen wenig anfangen. Weil manche seiner Versuchskatzen aber schnell das Interesse verloren, blieb Miklósi am Ende doch lieber beim Hund.
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  30. So war seine Studie jahrelang die einzige Arbeit über soziale Kognition bei Katzen. Doch inzwischen wenden sich viele Verhaltensforscher den unterschätzten Haustieren zu. "Ich bekomme immer mehr Katzenstudien zum Gegenlesen", sagt Vitale, "das Forschungsfeld nimmt Fahrt auf."
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  32. Die meisten Katzen, so zeigt sich dabei, können menschliche Emotionen gut deuten. Sie werden zum Beispiel wagemutiger, wenn der Mensch in ihrer Nähe Gelassenheit ausstrahlt. Das berichteten italienische Forscher im Fachblatt "Animal Cognition". Erlebten die Katzen ihre Besitzer in positiver Stimmung, näherten sie sich mutig einem unbekanntem Objekt (einem Ventilator, an dem flatternde Bänder befestigt waren); schien der Halter selbst ängstlich, waren es die Tiere auch.
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  34. Und wenn sie die Wahl haben, bevorzugen Katzen meist die Interaktion mit Menschen. Sie ziehen die Zweibeiner Futter, Spielzeug und interessanten Gerüchen vor, wie Vitale nachgewiesen hat. Die Vorliebe für Menschen fand sich sowohl bei Exemplaren, die in Familien lebten, als auch bei Tierheimkatzen.
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  36. Ungarische Forscher haben zudem gezeigt, dass Katzen Schlüsse daraus ziehen können, wohin ein Mensch schaut. Auch die Fähigkeit, den Blicken anderer Lebewesen zu folgen, ist vor allem von Hunden bekannt.
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  38. Aus einer Wortabfolge von anderen Katzennamen und allgemeinen Begriffen scheinen die meisten Samtpfoten sogar ihren Namen heraushören zu können - und zwar selbst dann, wenn eine unbekannte Person spricht, wie japanische Forscher im April in "Scientific Reports" berichteten. Die Reaktion auf den Namen fiel aber stärker aus, wenn der Besitzer ihn aussprach.
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  40. Vor wenigen Wochen veröffentlichte Vitale eine Studie, die mit dem Vorurteil aufräumt, dass sich nur Hunde eng an Menschen binden. Die Forscherin wollte wissen, wie gestresst die Tiere sind, wenn ihr Besitzer sie allein in einem unbekannten Untersuchungszimmer lässt. Falls sie sich nach der Rückkehr der Bezugsperson beruhigen, so ein Grundsatz der Bindungsforschung, ist das ein Hinweis auf ein enges Verhältnis.
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  42. Das überraschende Ergebnis: Mehr als 60 Prozent der Jungkatzen hatten eine sichere Bindung zu ihren Menschen - ein Ergebnis, wie es auch vergleichbare Tests mit Hunden und Menschenkindern hervorbringen.
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  44. Was würde passieren, böte man Katzen die gleichen Anregungen wie Hunden? Vitale kennt die Antwort. Sie bietet inzwischen Kurse für Katzen ab drei Monaten an, analog zur Welpenschule für Hunde. "Die Kätzchen lernen verschiedene Tricks, sie üben, an der Leine zu laufen, und lernen, mit anderen Katzen und Menschen umzugehen", sagt Vitale. Den meisten gefällt's: "Wir haben noch nie Kämpfe oder aggressives Verhalten beobachtet", so die Forscherin.
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  46. Auch in anderer Hinsicht folgen manche Katzenhalter inzwischen Trends aus der Hundewelt, allerdings eher zum Nachteil der Tiere. Zwar gibt es noch immer weit weniger Katzen- als Hunderassen, und Stubentiger kommen in ungleich weniger Größen daher als Hunde. Doch auch bei Katzen hat der Wunsch des Menschen nach dem möglichst exklusiven Haustier Moderassen hervorgebracht, die sich weit von der gesunden Natur der Tiere entfernt haben.
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  48. So wurde der Perserkatze nach und nach die Nase platt gezüchtet, weil Knautschgesichter niedlich sind; zum freien Atmen taugen sie weniger. Bei Munchkins erschweren extrem kurze Beine eine artgerechte Fortbewegung, Schottische Faltohrkatzen neigen zu Entzündungen der Knickohren, und Manx-Katzen kommen ohne Schwanz zur Welt. Rassen ohne Fell wie der Sphynx fehlen oft die für ihr natürliches Verhalten wichtigen Schnurrhaare. Im Oktober warnte die Bundestierärztekammer mit einem Merkblatt vor Qualzucht bei Katzen.
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  50. Auch der Hang zu etwas Wildnis im Wohnzimmer, ähnlich wie zu möglichst wolfsartigen Hunden, hat die Stubentiger erreicht. Für Savannah- oder Bengal-Katzen, bei denen Wildtiere eingekreuzt werden, zahlen Liebhaber bis zu 15.000 Euro.
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  52. Tierschützer warnen vor solchen Zuchttrends. Zu unkalkulierbar ist das Verhalten der schönen Exoten. Oft sind sie scheu und nachtaktiv, nicht alle werden stubenrein. Zur Gefahr für Menschen können manche der Wildtiermixe allein durch ihre Größe werden: Savannah-Kater können bis zu 14 Kilogramm wiegen - fast dreimal so viel wie eine durchschnittliche Hauskatze.
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