Advertisement
MatthiasS23

Thomas Pötschke - Berlin

Mar 12th, 2015
371
0
Never
Not a member of Pastebin yet? Sign Up, it unlocks many cool features!
text 8.08 KB | None | 0 0
  1. DER LETZTE TAG im Leben des Thomas Pötschke, Opfer eines Randalierers
  2.  
  3. Erstochen am 20. März
  4. Von Jörg Bergmann
  5.  
  6. Blumen häufen sich an einem Holzkreuz, Fotos und Briefe kleben an Verkehrsbarken hier, auf einem kleinen Grünstreifen auf dem Parkplatz vor dem S-Bahnhof Marzahn, starb in der Nacht vom 19. auf den 20. März der Berliner Thomas Pötschke (20).
  7.  
  8. Ein Randalierer hatte ihm eine 19 Zentimeter lange Messerklinge zehn Mal in den Körper gerammt. Zurück bleiben verzweifelte Eltern und Freunde, die sich immer wieder eine Frage stellen: Warum ist das passiert? Die Rekonstruktion eines Tages, der in einer Wahnsinnstat mündete.
  9.  
  10. Die Augen von Mathias S. (23) starren ins Leere. Mit gesenktem Kopf und verschränkten Armen steht er da. Sein Blick geht durch die Blumen, die ein letzter Gruß sind, durch die Briefe an den Verkehrsbarken, die Trost spenden wollen, durch das Holzkreuz, das für Thomas Pötschke steht. Immer wieder kreisen seine Gedanken um den Tag, an dem sein bester Freund in seinen Armen starb. . .
  11.  
  12. Freitag, 19. März, 8Uhr. Thomas sitzt auf gepackten Koffern. Seine Hoffnung, hier in Rosenberg bei Schwäbisch-Hall eine gute Arbeit zu finden, hat sich nicht erfüllt. Er hatte erst am 24. Februar in Berlin seine Gesellenprüfung als Zweiradmonteur abgeschlossen, aber vor Ort keine Stelle gefunden. Er bewarb sich daher in Süddeutschland, bezahlte die Fahrkarte dorthin mit Hilfe seines Dispokredits. Doch sein neuer Chef setzte ihn nur zum Putzen ein.
  13.  
  14. 14Uhr. Thomas kommt nach Hause, nach Marzahn. Hier ist er mit seinem Bruder Marco (27) aufgewachsen, ist er in den Kindergarten und die Schule gegangen, hier wohnt er mit seiner Mutter in einer schönen Dreizimmerwohnung, hier hat er seine Freunde, seinen Jugendklub, seine Disco.
  15.  
  16. Seine Mutter Angelika (47) tischt sein Lieblingsessen auf: Kartoffelsuppe mit angebratenen Wienern. Und sie tröstet ihn: Du wirst schon eine Stelle finden. Thomas ist davon überzeugt. Er hat noch ein paar Eisen im Feuer und macht bei einer Zweiradfirma einen Termin aus. Montag will er vorsprechen. Er ist voller Tatendrang: "Mutti, wir renovieren dein Schlafzimmer weiter. "
  17.  
  18. 17Uhr. Thomas bester Freund Mathias, Azubi bei Ford, kommt, um ihm beim Renovieren zu helfen. Sie tapezieren die Decke. Thomas geht anschließend in die Wanne. Er will sich einen schönen Abend machen; alle seine besten Freunde sind heute in Berlin.
  19.  
  20. 21Uhr. Thomas und Mathias gehen zu Robert (19) er ist Mathias Bruder, Filialleiter bei KiK in Duisburg, er wohnt am Wochenende noch bei seinen Eltern, eine Querstraße weiter. Die freuen sich, Thomas mal wieder zu sehen. Seit seiner Kindheit kennen sie ihn, er ging hier ein und aus. Oft sind die Jungen zusammen scaten gefahren.
  21.  
  22. Thomas war am mutigsten, ist auch Treppen und Geländer heruntergefahren, hat sich dabei so manche Beule geholt. Sie essen Abendbrot; es gibt Toast mit Salami, Käse und Thunfisch.
  23.  
  24. 23Uhr. Die drei gehen in den nahe liegenden Jugendklub "Die Wurzel". Hier hat sich Freundin Steffi einen Raum gemietet, um ihren 19. Geburtstag zu feiern. Die angehende Pferdewirtin hat für Getränke und Knabbereien gesorgt. "Thomas war ein prima Kumpel", sagt Steffi. "Er konnte gut zuhören, hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Wenn es Probleme gab, dann hat er geschlichtet. "
  25.  
  26. Im Jugendklub treffen sie auch ihre Kumpel Dirk (32), Gastronom, und Denny (19), Bankkaufmann. Nach zwei Wochen in der Fremde gibt es viel zu erzählen. Es wird getanzt, getrunken: ein, zwei oder drei Cola mit Weinbrand. Nur Denny trinkt nicht, er soll die vier Freunde mit seinem Corsa ins LeProm zum Abhotten fahren. Hier wollen sie Anne (19) treffen. "Mit Thomas konnte man immer prima quatschen", sagt Anne. "Er war immer lustig. Ich hatte schon längere Zeit ein Auge auf ihn geworfen. Aber er wollte keinen ,Zickenstress haben. Zuerst wollte er einen Job und regelmäßiges Gehalt haben. "
  27.  
  28. Sonnabend, 20. März, 0. 30 Uhr. Die fünf jungen Männer setzen sich in Dennys Corsa. Dirk ist Beifahrer, die anderen sitzen hinten. Die Stimmung ist ausgelassen. Sie fahren los, finden einen der begehrten kostenlosen Parkplätze am S-Bahnhof Marzahn direkt gegenüber dem LeProm.
  29.  
  30. 0. 40Uhr. Beim Aussteigen hören die jungen Männer einen Knall, als ob eine Glasscheibe zersplittert. Darauf noch einen und noch einen. . . Mathias sieht einen Mann, der mit einer Steinschleuder die Heckscheiben von Autos zertrümmert. Robert ruft: "Hör auf damit! Spinnst du?" In einem der Autos sitzt noch eine Frau mit ihrer Tochter, die durch Glassplitter leicht verletzt werden. Robert ruft: "Den schnappen wir uns!" Während Denny das Auto verschließt, laufen die anderen dem Randalierer hinterher.
  31.  
  32. 0. 42Uhr. Thomas, der Sportlichste von allen, erreicht den Flüchtenden nach etwa 50 Metern zuerst und gibt ihm von hinten einen Stoß. Dann sieht Robert, wie Thomas plötzlich taumelt und auf den Rasen sinkt. Was Robert nicht sah: Der Mann hatte Thomas ein Messer mit 19 Zentimeter langer und vier Zentimeter breiter Klinge in den Bauch gerammt. Der Täter wirft sich neben Thomas, der auf dem Bauch liegt, und sticht immer wieder auf ihn ein, trifft Rücken, Niere, Leber, Hals und lacht und lacht und lacht. . .
  33.  
  34. Wie die Gerichtsmediziner später feststellten, trafen Thomas zehn Stiche; einer drang ins Herz, er war tödlich. Mathias und Robert stürzen heran. Seit dem ersten Stich sind nur Sekunden vergangen. Die Brüder sind plötzlich wie gelähmt, schreien: Hör auf, hör auf! Dirk kommt hinzu. Der Mann springt auf und sticht auch auf ihn ein. Mathias läuft weg, hechtet über einen Zaun. Auch Robert kann sich in Sicherheit bringen. Der Täter flüchtet mit einem Sack in Richtung Bahnhof.
  35.  
  36. 0. 45Uhr. Ein Polizeiauto kommt zufällig vorbei. Mathias trommelt wie wild auf den Wagen, schreit nach Hilfe. Die Beamten und Robert nehmen die Verfolgung auf. Mathias kniet neben Thomas, dessen Körper zittert, hält ihm die Hand, streicht über seine Haare und fleht ihn an: " Nicht einschlafen, nicht einschlafen!"
  37.  
  38. 0. 47Uhr. Die Polizisten stellen den Täter, drücken ihn an ein Absperrgitter, legen ihm Handschellen an. Er versucht, Robert zu treten, brüllt "Osama Bin Laden ist ein Held. Ich tat das für Bin Laden" und stammelt dann etwas in einer fremden Sprache. Die Beamten finden in seinem Sack Messer und eine Machete.
  39.  
  40. 1. 05Uhr. Während Rettungshelfer Dirk versorgen, stirbt Thomas in den Armen seines besten Freundes. Mathias bricht zusammen. Eine Stunde lang versuchen die Helfer, Thomas zu reanimieren. Vergebens. Der Täter ein Tunesier namens Mehdi N. (24) kommt in U-Haft.
  41.  
  42. Die Staatsanwaltschaft will ihn wegen vollendeten und versuchten Mordes anklagen. Udo Pötschke (46), Thomas Vater, hält einen Tag danach vor 60 Leuten im Jugendklub eine kleine Rede und mahnt zur Besonnenheit: "Die Tat darf nicht zu Hass-Tiraden oder Vergeltungsschlägen gegen Ausländer führen. Der Tod meines Sohnes war das Werk eines Einzelnen. " Angelika Pötschke kann nicht begreifen, was passiert ist; sie schläft schlecht. In diesen Tagen bekommt sie viel Besuch von Thomas Freunden. Man versucht, sich gegenseitig Halt zu geben. Das Schlafzimmer haben sie zu Ende tapeziert. Mathias Augen starren immer noch ins Leere, durch die Blumen, die Briefe an den Verkehrsbarken und das Holzkreuz, als liege oder stünde irgendwo die Antwort auf die Frage: Warum?
  43.  
  44. Trost findet auch Mathias unter seinen Freunden. Reden hilft. Die Stunden, in denen niemand da ist, sind unerträglich. Er schluckt Beruhigungstabletten, damit er schlafen kann, damit er nicht mehr sieht, wie Mehdi N. auf Thomas einsticht, und nicht mehr hört, wie er dabei lacht und lacht und lacht. . .
  45.  
  46. "Es gibt Menschen, die machen die Welt zu etwas Besonderem, einer von ihnen warst du, mein Sohn!" So heißt es in der Traueranzeige für Thomas Pötschke, geboren am 16. April 1983, erstochen am 20. März 2004. Sein Tod hat eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Viele Berliner spendeten Geld für ein Begräbnis. Ein Bestattungs-Unternehmen erklärte sich bereit, die Kosten für die Beerdigung zu übernehmen; BFC-Dynamo-Fans zum Beispiel gaben 370 Euro dazu. Seine Eltern Udo und Angelika sowie sein Bruder Marco sagen danke.
Advertisement
Add Comment
Please, Sign In to add comment
Advertisement