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kaputt_machen

Asylbewerber*innenheim Radebeul

Oct 20th, 2013
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  1. Sächsische Zeitung online
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  3. Samstag, 19.10.2013
  4. Würde im Abseits
  5. Im Radebeuler Asylbewerberheim ist kürzlich Gewalt eskaliert. Wer die elenden Zustände sieht, wundert sich nicht.
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  7. Von Anna Hoben
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  9. Der Eingangsbereich riecht nach chlorhaltigem Putzmittel, die Wände sind stellenweise frisch gestrichen. Das ursprüngliche Rosa ist hastig mit Weiß übermalt worden. Am Montag ist die Polizei im Haus gewesen. Tags zuvor hatte es eine Messerstecherei gegeben, ein 31-jähriger Tunesier wurde schwer verletzt und musste notoperiert werden. Bei ihrem Einsatz sollen die Beamten entsetzt gewesen sein über den Zustand des Asylbewerberheimes im Radebeuler Ortsteil Naundorf. Wie sieht es denn hier aus? So oder so ähnlich sollen sie sich geäußert haben.
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  11. Seitdem würden die Wände gestrichen, hört man im Haus. Das trifft sich, denn es hat sich Besuch angekündigt: Mitarbeiter des sächsischen Ausländerbeauftragten Martin Gillo (CDU) machten gestern einen Rundgang durch das Heim und sprachen mit den Betreibern. Auch wenn das Haus angesichts der Ereignisse vom Sonntag besonders im Fokus steht – die Besichtigung war schon lange geplant, im Rahmen des sogenannten Heim-Tüvs, mit dem jährlich die Zustände in sächsischen Asylbewerberheimen überprüft werden. Vor zwei Jahren war das Radebeuler Heim in der Rangliste ganz unten gelandet.
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  13. In einer Rede im Landtag hat der Ausländerbeauftragte Gillo in dieser Woche deutliche Worte zur Situation der Asylbewerber in Deutschland gefunden: „Wir setzen seit 20 Jahren auf Vergrämung, und hoffen, dass das die Flüchtlinge davon abschreckt, zu uns zu kommen.“
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  15. In dem Heim in Radebeul-Naundorf leben 107 Männer, zwei Frauen und fünf Kinder. Erster Stock. Der Boden ist klebrig. Im Bad stinkt es nach Urin. Vor ein paar Tagen hat die letzte funktionierende Neonröhre aufgegeben. Es gibt hier jetzt kein Licht mehr. Dafür gibt es, angeblich auf Wunsch mancher Bewohner, eine Stehtoilette, wie man sie aus Urlauben in Ost- oder Südeuropa kennt. Der Unterschied: Dort haben solche Klos eine Spülung. In Radebeul steht eine grüne Gießkanne mit Wasser daneben. An der Wand neben der Tür ist eine große Stelle mit Schimmel. An den Sitztoiletten sind die Klobrillen abgeschraubt, Deckel gibt es ohnehin nicht. In einer Tür ist das Schloss herausgebrochen; sie lässt sich nicht mehr abschließen.
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  17. Zwei Mitarbeiterinnen des Ausländerbeauftragten protokollieren die Zustände. Ob sie so etwas schon in anderen Heimen gesehen haben? Ja, sagt die eine. Nein, sagt die andere und schüttelt den Kopf.
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  19. Zu dritt auf sieben Quadratmetern
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  21. Der Heimleiter beeilt sich zu sagen, dass man die Flure erst vor einiger Zeit neu gefliest habe. Als Nächstes seien die Sanitäranlagen dran. Der Geschäftsführer der Firma ITB, die neben dem Radebeuler mehrere Asylbewerberheime in Sachsen betreibt, sagt: „Es kann sein, dass man morgens etwas repariert, und abends ist es wieder kaputt.“ Die Leiterin des Kreis-Ordnungsamtes zeigt auf ein Zimmer, in dem es einigermaßen ordentlich aussieht, und sagt: „Sehen Sie, manche bemühen sich auch.“ 6,50 Euro bekommt die Betreiberfirma pro Tag und Bewohner vom Landkreis Meißen. Im Radebeuler Heim sind das rund 22.000 Euro im Monat. Davon werden die Miete, das Gehalt des Heimleiters und des Hausmeisters, Betriebskosten und Sanierungsarbeiten bezahlt. Genauer will der Geschäftsführer die Kosten nicht auflisten. Das könne er aber gern zu einem späteren Zeitpunkt tun, mit den dazu gehörenden Erläuterungen.
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  23. Beim Heim-Tüv orientieren sich die Mitarbeiter des Ausländerbeauftragten an zehn Kriterien. Zum Beispiel: Familien sollten grundsätzlich dezentral untergebracht werden, in Wohnungen. Andere Kriterien sind soziale Betreuung, Bildungsangebote, Sicherheit im Heim und die Integration von Kindern. Unter der Überschrift „Faktor 9: Zustand und Umfeld“ heißt es: „Maßgeblich für eine angemessene und menschenwürdige Unterbringung sind auch der Zustand des Gebäudes, eine sichere und funktionale Ausstattung der Räumlichkeiten und die Einhaltung und Kontrolle hygienischer Grundstandards. Gemeinschaftsunterkünfte müssen frei von Schimmel- und Schädlingsbefall sein.“
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  25. In Radebeul wohnen in manchen Zimmern drei junge Männer zusammen auf ungefähr sieben Quadratmetern. Eine Frau aus Vietnam lebt mit ihren zwei kleinen Kindern, anderthalb und zweieinhalb Jahre alt, in einem 20-Quadratmeter-Zimmer. Nach drei Jahren bekommt sie jetzt eine Wohnung in Coswig. Sie strahlt.
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  27. Auch Ismail, ein Algerier, ist besser dran: Er hat ein Einzelzimmer. Weil der Fußboden in einem schlechten Zustand war, hat er sich im Obi selbst einen Bodenbelag gekauft und ausgerollt. Weil die meisten Herde im Haus völlig verdreckt sind oder nicht funktionieren, hat er für 20 Euro eine Mikrowelle erstanden.
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  29. Sein Fenster hat seit zwei Jahren zwei große Sprünge, die seitdem provisorisch mit Klebeband überklebt sind. Ismail lebt seit vier Jahren in Deutschland. Wegen seiner Residenzpflicht darf er den Landkreis Meißen nicht verlassen. 2009 ist er von ein paar Deutschen angegriffen und auf ein Gleisbett geschubst worden, weil er keine Zigarette für sie hatte. Es gab einen Zeitungsartikel darüber, den er immer bei sich trägt. Tausendmal auseinander- und wieder zusammengefaltet, so sieht das Stück Papier aus.
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  31. An der Wand in Ismails Zimmer hängt eine Deutschlandflagge. An der Tür stehen Flip-Flops, auf denen steht: Germany. Wer in sein Zimmer kommt, könnte Ismail für einen deutschen Patrioten halten.
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