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Nov 22nd, 2014
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  3. Gesellschaft, 22.11.2014
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  5. Report
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  7. Rolle vorwärts
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  10. Von Cornelius Pollmer
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  12. Wer einen Text über Feminismus mit der Beschreibung von Dessous, Blusen und zarten Frauenbeinen beginnt, gehört eigentlich bestraft mit einem Emma-Abo von wenigstens drei Jahren Laufzeit. Die Strafe wird nicht zur Bewährung ausgesetzt.
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  14. Andererseits hat die Feministin Stevie Meriel Schmiedel in dieser Woche ein paar Postkarten in die Öffentlichkeit einiger Großstädte gebracht, auf denen genau dies zu sehen ist: Eine junge Frau im Dessous, eine andere mit großzügigem Blusen-V und eine dritte, deren Rock auf seinem Weg zu den Knien deutlich vor der Hälfte aufgibt. Aus der Saum.
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  16. Drittens ist es nun so, dass diese Postkarten die Klischees sexistischer Werbung nur zitieren, um sogleich zur Gegenrede anzusetzen. Die Dame im Dessous arbeitet am Macbook, während ihr Partner dahinter schon mal dösend das Doppelbett wärmt. Auf den Beinen der Dritten sprießen Härchen. "Die neue Beinfreiheit" steht da groß geschrieben, und klein darunter: "Liebe Werbeindustrie: Nach buschigen Augenbrauen fordern wir jetzt nachhaltiges Wachstum. Lieben Gruß, Pinkstinks."
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  18. Pinkstinks ist laut Eigenauskunft "eine Kampagne gegen Produkte, Werbeinhalte und Marketingstrategien, die Mädchen eine limitierende Geschlechterrolle zuweisen". Diese Kampagne, sie ist einerseits überschaubar: Den Kern bilden kaum eine Hand voll Leute um Stevie Schmiedel, bis 2016 finanziert vor allem mit 70 000 Fördereuro von der Bewegungsstiftung. Hinzu kommen Einzelspenden und ideelle Förderer. Studenten, Journalisten, ein Professor. Das ist ein recht geringer Mitteleinsatz, gemessen an der hohen medialen Präsenz. Bekanntschaft mit Pinkstinks haben auch die Produzenten von "Germany's Next Topmodel" gemacht, deren Format die Kampagne genauso mit bunten, lauten Demonstrationen begleitete wie die Eröffnung des Barbie Dreamhouse in Berlin. Die Postkarten-Aktion nun ist ein Versuch, jene Menschen zu erreichen, "die die kleinen Unterschiede wahrnehmen und die jetzt nicht auch noch erwarten, dass das Bein plus-size und alt ist", sagt Stevie Schmiedel. Ein trojanischer Ansatz ist das, und es gibt sogar ein trojanisches Pferd, es ist rosa und heißt Fred.
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  20. Ein Freitagabend im November, Hamburg, ein Hinterhof am Eppendorfer Weg. Im Büro von Pinkstinks steht die Generalprobe von "David und sein rosa Pony" an. Das Theaterstück ist ein Angebot an Schulen, es handelt von einem Jungen, der zum Tag des Lieblingspielzeugs seinen Plüsch-Fred mit in die Schule nimmt. "Na, David, willst du lieber im Märchenwald mit den Mädels spielen?", fragt sein Kumpel und kickt das Pony in die Ecke. David ist traurig, er sagt sich von Fred los und kauft sich einen Roboter, der grell flackert und lärmt. Dann merkt er: Blinkstinks, weg mit dem Roboter, wieder her mit Fred. Versöhnung. Die Zielgruppe ist im Publikum mit drei Mädchen vertreten, allesamt: begeistert.
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  22. Es geht Pinkstinks nicht darum, Mädchen die Farbe rosa auszureden; eher darum, sie für Mädchen und Jungs gleichermaßen als eine Möglichkeit zu etablieren. Es geht Pinkstinks auch nicht darum, Frauen die Dessous oder Blusen auszureden, auch nicht denen in der Werbung; eher darum, sie nicht darauf zu reduzieren. Es kann wirklich überhaupt nicht schaden, über ein solches Anliegen wenigstens nachzudenken. Zur Schwierigkeit der Arbeit von Pinkstinks gehört allerdings, dass sich die Organisation mit der Wahl ihrer Mittel ziemlich genau in der Mitte eines Schlachtfeldes postiert hat, von dessen Rändern gerne scharf geschossen wird.
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  24. Am einen Rand stehen Konzerne, Werber, Konsumenten, die gegen ein bisschen Sexismus in der Werbung absolut nichts einzuwenden haben. Soll man mal nicht so eng sehen, und es darf gerne auch ein bisschen mehr sein. Mit Stereotypen ist schon für Milch und Leitern geworben worden, für Plastiktannenbäume und Särge. Jemand schrieb einmal, dass eigentlich für alles außer Tierfutter schon mit sexistischer Attitüde geworben worden sei. Bei Pinkstinks kramten sie darauf eine stereotype Anzeige hervor, eine für, ja, doch: Tierfutter.
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  26. Am anderen Rande des Schlachtfeldes stehen jene ultrafeministischen Zeitenwächter, für die jede Abweichung von der reinen Lehre, jeder noch so kleine Kompromiss in Haltung und Auftritt einer Kapitulation gleicht. Für sie ist eine Organisation wie Pinkstinks Teil des Problems, und sie werden nicht müde, in deren Blog herumzutrollen, die gerümpfte Nase nur kurz unter dem erhobenen Zeigefinger.
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  28. Mitten in diesem Kreuzfeuer sitzt nun, auf eigenen Wunsch und zur eigenen, gelegentlichen Verzweiflung: Stevie Schmiedel.
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  30. Schmiedel, 1971 geboren, ist die Gründerin von Pinkstinks und auch das Postergirl. Als Deutsch-Britin war ihr eine gewisse Vermittlerrolle schon biografisch zugedacht, das Betätigungsfeld dafür fand sie mit 19 Jahren, als sie für die Beschäftigung mit Gender Studies nach Großbritannien ging. Dort bekam Schmiedel sogleich einen Spitz- wie Kampfnamen, mit dem sie auch im Wrestling hätte reüssieren können: the German feminist. "Feminismus war generell etwas, das aus Deutschland kam, wegen Alice Schwarzer", sagt Schmiedel. Verwundert aber habe sie der ihr angeklebte Titel dennoch, eigentlich war sie "als gefühlte Antifeministin" nach England gegangen.
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  32. Die Vermittlerrolle hat Schmiedel mehr und mehr angenommen, bei Pinkstinks erfüllt sie selbige mit Haut und Haar. Die Floskel möge schon deswegen erlaubt sein, weil Stevie Schmiedel sich seit zwei Jahren die Haare abschneiden möchte, es aber nicht tut. Die Annahme dahinter: Für die mediale Durchschlagskraft der Kampagnen ihres kleinen Teams ist es besser, wenn eine rollenbildschöne Sympathin aus dem Impressum lächelt und eben nicht eine Rauhhaarige vom Typ German feminist. "Ich glaube, ich wirke so wie die nette Mutti von nebenan", sagt die Mutter von zwei Töchtern.
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  34. Wann hätte Pinkstinks sein Ziel erreicht? Schmiedel holt Luft. "Wenn es mehr Vielfalt in der Werbung gibt, wenn die Gehaltsschere geschlossen ist, wenn die meisten Hartz-IV-Empfängerinnen nicht mehr alleinerziehende Mütter sind, wenn wir nicht mehr so viel sexualisierte Gewalt haben, wenn sich Mädchen wohler fühlen in ihren Körpern und diese Epidemie an Essstörungen aufhört." Das ist der Kern, um den es geht. Die prägnante Pressearbeit von Pinkstinks, der Demo-Trubel, das sehr offensive Eigenmarketing? Im Grunde ein gewaltiger, bunter Pelz, einer, der zwangsläufig etwas größer wirkt als die oft kleineren faktischen Erfolge. Aber wenn, zum Beispiel, ein Kleiderkaufhaus nach Protest ein paar Bikiniplakate abhängt, ist das denn nichts?
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  36. Stevie Schmiedel betrachtet Feminismus auch als die Kunst des Möglichen - lieber kleine Schritte gehen als alles wollen und nichts erreichen. "Wir haben gegen 5000 Jahre Kulturgeschichte anzukämpfen", sagt sie. "Frauen können heute Topjobs kriegen, aber sie müssen dabei gut aussehen und im Zweifel auch die Cupcakes noch gut hinbekommen." Es gebe in Deutschland eine Bundeskanzlerin, sagt Schmiedel, aber es gebe eben auch so viele Essstörungen wie noch nie. Die Frage sei, wie man das gewichtet.
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  38. Welchen nächsten größeren Schritt Schmiedel und Pinkstinks gehen wollen, das verrät ein kleiner Störer auf den frisch gedruckten Postkarten. "Schluss mit Sexismus in der Werbung", steht darauf und daneben: ein Hashtag. #7aUWG. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb soll um eine Norm erweitert werden. Pinkstinks hat eine Petition an Bundesjustizminister Heiko Maas gestartet, Schmiedel führt Lobbygespräche mit Abgeordneten des Deutschen Bundestags. Hinter dem Entwurf für die Norm steht die Doktorarbeit von Berit Völzmann. Sollte sie irgendwann einmal Eingang in das Gesetz finden, könnte dieses sich dann so anhören: "Werbung ist geschlechtsdiskriminierend, wenn sie ein geschlechtsbezogenes Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen den Personen in der Werbung oder im Verhältnis zu den von der Werbung adressierten Personen ergibt. Werbung ist insbesondere geschlechtsdiskriminierend, wenn sie Menschen aufgrund ihres Geschlechts Eigenschaften, Fähigkeiten und soziale Rollen in Familie und Beruf zuordnet oder. . ."
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  40. Und wenn man Völzmann trotzdem fragt, ob es so eine Norm denn wirklich brauche, dann klappt sie im Eppendorfer Hinterhof ihr Laptop auf und zeigt ein paar Folien. Zu sehen ist der Screenshot einer Prospektwerbung. "Für die kleine Hausfrau", steht auf einem Bild, es zeigt ein Mädchen an einem Spielzeugbügelbrett. "Für den kleinen Handwerker", verspricht ein anderes, ein Junge zieht darauf die Radmutter eines Spielzeugtreckers fest. Aber hilft es in Anbetracht der kleinen Hausfrau und des kleinen Handwerkers wirklich, mehr vorzuschreiben? Völzmann sagt: "Wir wollen nicht noch mehr vorschreiben. Wir wollen ja im Gegenteil nichts vorschreiben." Handwerker, Hausfrau: Die ungeschriebenen Normen und Gesetze gibt es ja längst, zumal in der Werbung.
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  42. Da kann man schon mal durcheinanderkommen, das hat Stevie Schmiedel in der eigenen Familie erfahren. Eine ihrer Töchter fragte vor einer Weile, "Mama, ist Rosa jetzt eigentlich okay?" Das habe ihr wahnsinnig leid getan, sagt Schmiedel, und ja, natürlich sei Rosa okay. Dies ist übrigens auch die Lehre aus dem Theaterstück mit dem rosa Pony. Bevor David darin seinen Frieden mit der Farbe Rosa macht, tut es ja schon sein Kumpel Ben. David sitzt weinend in der Schulbank, er glaubt, dass er zum Außenseiter werden muss, nur weil ein rosa Pferd mit ihm durchgegangen ist. Ach komm, sagt Ben da, doch nicht deswegen. Rosa, "das ist doch bloß eine Farbe".
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  45. Cornelius Pollmer
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  47. Cornelius Pollmer wurde 1984 in Dresden geboren, er hat dort Volkswirtschaft studiert und erstmals journalistisch gearbeitet: als Reporter für die Seite 3 und den Kulturteil der Sächsischen Zeitung sowie als Textchef für das Jugendmagazin SPIESSER. 2008 wechselte er nach München und besuchte die Deutsche Journalistenschule. Nach Praktika im Ressort Außenpolitik und im Berliner Büro der Süddeutschen Zeitung folgte eine längere Mitarbeit im Dresdner Büro derZeit. Sein Volontariat bei der SZ mit Stationen in Los Angeles und Brüssel begann im Oktober 2010. Seit März 2013 berichtet er für die SZ aus Dresden, von dort hat er die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im Blick.
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