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Allein gegen die Seelenfänger Lea Saskia Laasner Teil 2/2

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Jul 22nd, 2018
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  1. Hugo Stamm Lea Saskia Laasner Allein gegen die Seelenfaenger
  2.  
  3. part 2/2
  4.  
  5. Betty reihte Argument an Argument, eines begründeter als das andere. Benno ließ sich dennoch nicht bewegen. Betty war am Ende ihres Lateins und brach in Tränen aus. Wutentbrannt warf sie die Sandalen auf den Boden und rannte aus dem Zimmer. Das war ein Fehler. Damit hatte sie erst recht verloren. Kindisch sei ihre Reaktion, warf er ihr später an den Kopf. Kindisch unreif. Die Tatsache, dass sie kopflos aus dem Raum gestürmt sei, habe ihm bestätigt, dass seine Entscheidung richtig gewesen sei. Wer schon in weltlichen Belangen so unbeherrscht reagiere, habe ein großes spiri- tuelles Defizit. Dass die Sandalen komplett durchgelatscht waren» nahm er einfach nicht zur Kenntnis. Mit solchen Scheindiskussionen machte er uns fertig. Wenn es um Unterwäsche ging, war Benno durchaus zugänglich. Ich erlebte es einmal bei einem Einkaufsbummel mit Janet und Sibylle in Passau. Unser Medium brauchte neue Unterwäsche. Ich musste sie begleiten, um Erfahrungen als Frau zu sammeln, wie Benno sagte. Mir verschlug es die Sprache, denn Janet kaufte tatsächlich für etwa 350 Franken Unterwäsche. Ich war empört, schließlich mussten wir an allen Ecken und Enden sparen. Auch beim Essen. Wir sammelten sogar Klopapier auf öffentlichen Toiletten. Und Janet gab so viel Geld aus, um ihre weibliche Eitelkeit zu befriedigen. Sie spürte meinen Arger über ihren verschwenderischen Einkauf und knöpfte sich mich beim anschließenden Kaffee vor. »Du nervst mich«, sagte sie. »Immer, wenn ich dich auf etwas aufmerksam mache, muss ich in deine ängstlichen Rehaugen schauen. Du bist doch kein kleines Hascherl
  6. mehr! Benimm dich endlich wie eine selbstbewusste Frau.« Ich ließ ihren Frust über mich ergehen und hätte im Boden versinken mögen. Warum ich denn ihre Ratschläge nicht endlich befolge, wollte Janet wissen und schaute mich herausfordernd an. Ich hielt ihrem Blick nicht stand und schaute verlegen auf den Tisch. Damit reizte ich sie noch mehr. Sie habe es satt, mich dauernd zu fördern, um mir das Verhalten einer erwachsenen Frau beizubringen. Am Schluss stünde ich dank ihrer Bemühungen als junge strahlende Frau da. Nun war mir klar, was ihr auf dem Magen lag. Benno hatte wohl wieder einmal von ihr verlangt, mich zu fördern. Die meisten Mitglieder unserer Großfamilie erlebten Janet anders. Bei den Sitzungen trat sie als die verständnisvolle, sanfte Frau auf, die sich restlos verausgabte, um uns die höheren Botschaften zu übermitteln und unser spirituelles Wachstum zu fördern. Wir nannten sie selten bei ihrem Vornamen, sondern einfach unser Quellilein, weil sie unsere geistige Quelle, ja der »Ursprung des Seins« war, wie Benno sagte. Der Kosename von Janet klang zwar ganz süß, doch ich brachte ihn nie über die Lippen. Ich fand ihn einfach zu kitschig. Wenn Janet diesen »Ursprung« durch sich fließen ließ, brachen manche Gruppenmitglieder in Tränen aus. Janet verstand es mit ihrer theatralischen Art, die übersinnliche Welt in unser kleines Zimmer zu holen und die Atmosphäre zu verdichten. Die Luft vibrierte formlic h als würden die übersinnlichen Schwingungen im Raum herumflirren. Die Erwartungen waren riesig, alle schienen überzeugt, dass sich bald etwas Großartiges ereignen würde.
  7. Ich blieb oft distanziert. Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, bei einem Channeling in Tränen ausgebrochen zu sein. Auch wenn Janet in die Haut des Geistwesens schlüpfte, entdeckte ich überall Spuren und Fetzen der irdischen Janet. Stimme und Gebärden ver- änderten sich zwar beträchtlich, Gehabe, Wortwahl und Aussagen entsprachen aber ganz unserem grobstofflichen Quellilein. Ihre Auftritte waren oft so übertrieben, dass bei mir keine rechte spirituelle Stimmung aufkommen wollte. Damals wagte ich es natürlich nicht, solche ketzerischen Gedanken zuzulassen. Es regte sich nur einfach nichts bei mir. Vielmehr hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich so distanziert und unberührt blieb. Dass ich trotz einer gewissen Distanz ein verschrobenes Weltbild entwickelte, zeigte sich bei einem Unfall, der mich fast das Augenlicht gekostet hätte. Meine einzige Sorge nach dem Unglück galt der Frage, wie Benno wohl auf meine Unachtsamkeit reagieren würde. Es kam so: Ich entfernte mit einer Schleifmaschine, an die ich eine harte, runde Stahlbürste montiert hatte, den Lack von unseren Gartenwerkzeugen. Die Arbeit machte mir Spaß und war eine willkommene Abwechslung. Benno und Janet machten mich bei einer Pause darauf aufmerksam, dass ich doch Arbeitskleider anziehen sollte. Also zog ich eine zerfetzte Jeans und ein großes, weites Hemd an, das ich über dem Bauch zusammenknotete. Als ich mich ihnen im neuen Outfit präsentierte, lobten sie mich. »Wow, was für eine tolle Frau.« Ich fühlte mich geschmeichelt. »Jetzt fehlt nur noch ein Kopftuch«, sagte Benno. Ich ging ins Zimmer und band mir ein Tuch um. Stolz nahm ich eine Schaufel und setzte die Schleifmaschine an. Die Arbeit machte mir nun
  8. noch mehr Freude. Am ersten Tag ging alles gut, am nächsten Tag machte ich mich wieder eifrig ans Werk. Ich beugte mich über ein Werkzeug und setzte mit dem Zeigefinger die Schleifmaschine in Gang. Plötzlich schoss mir die rotierende Maschine ins Gesicht. Ich erschrak zu Tode und verstand gar nicht, was passiert war. Mein Kopf vibrierte, als hätte ein Straßenarbeiter einen Presslufthammer an meinen Schädel gesetzt. Es dröhnte höllisch. Verzweifelt und mit aller Kraft versuchte ich, die Schleifmaschine von meinem Gesicht wegzudrücken. Doch es war aussichtslos, das teuflische Gerät tanzte weiter auf meinem Gesicht herum und grub sich ins Fleisch. Nach ein paar Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, stellte sich die Maschine auf wundersame Weise ab. Ich sank erschöpft zu Boden. Daniel kam angerannt und schaute mich entsetzt an. Als er mein lädiertes Gesicht sah, war er für einen Moment wie gelähmt. Dann wurde mir schwarz vor Augen, ich stand wohl unter Schock. Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Zimmer. Janet und Daniel nahmen mir vorsichtig das Kopftuch ab. Es war voller Blut. Die beiden verarzteten mich, so gut es ging. Ich war immer noch verwirrt und begriff erst allmählich, was geschehen war. Die Schleifmaschine hatte sich im Kopftuch verwickelt und war mir ins Gesicht geschnellt. Daniel hatte die Szene glücklicherweise mitbekommen und reflexartig den Stecker gezogen. Ich erschrak, als ich in den Spiegel schaute. Eine tiefe Wunde klaffte auf meiner rechten Wange, das ganze Gesicht war dick geschwollen, ich sah ziemlich entstellt
  9. aus. Als ich wieder einen klaren Kopf hatte, bekam ich ein total schlechtes Gewissen. Ich fragte mich sofort nach dem höheren Sinn des Unglücks. Mir war klar, dass ich den Unfall selbst kreiert hatte, wie Benno Missgeschicke zu erklären pflegte. Schließlich gibt es keine Zufälle, alles hat eine Bedeutung. Ich glaubte, einen schwerwiegenden Fehler auf der übersinnlichen Ebene gemacht und nun die Quittung erhalten zu haben. Trotz der Schmerzen stellten sich rasch Schuldgefühle ein. Ich hatte Angst vor Bennos Reaktion und war froh, dass er gerade unterwegs war. Ich beichtete Janet meine Befürchtung, und sie schlug vor, dass ich Benno anrufen solle, um ihm die Geschichte zu erzählen. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, denn ich kam sowieso nicht darum herum, es ihm zu sagen. Noch halb unter Schock rief ich ihn mit klopfendem Herzen an. Ich brachte kaum einen geraden Satz heraus. Benno musste mich immer wieder unterbrechen und mich mit gezielten Fragen zwingen, die Ereignisse der Reihe nach zu erzählen. Als er endlich begriffen hatte, was passiert war, wartete ich auf das Donnerwetter. Doch Bennos Stimme blieb ruhiiz. Er fragte mich narh den Schmerzen und sagte, ich solle mich entspannen. Zuerst ein paar beruhigende Worte, dann die Standpauke, dachte ich. Doch er blieb verständnisvoll, ja richtig einfühlsam. Ich konnte es kaum glauben und fragte ihn, weshalb ich mir den Unfall erschaffen habe. Überraschenderweise ging er zuerst nicht darauf ein, als habe er die Frage überhört. Er spürte meine Verunsicherung und meinte, ich solle mir den Kopf darüber nicht zerbrechen, manchmal sei ein Unfall eben einfach ein Unfall. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
  10. Ich lag längere Zeit im Bett. Daniel kümmerte sich rührend um mich. Er war unser Energiemeister. Wenn ein Aspekt von uns krank war, trat er in Aktion. Diese Aufgabe brachte ihn des Öfteren an den Rand der Verzweiflung, denn unsere Krankheiten verliefen nicht immer nach unserem übersinnlichen Muster. Wir waren nämlich überzeugt, dass wir über unseren Geist oder den feinstofflichen Zweitkörper direkten Einfluss auf unsere Gesundheit und die Heilung nehmen könnten. Wenn also unsere menschliche Hülle defekt war, musste im seelischen oder geistigen Bereich eine Störung aufgetreten sein. Ramtha hatte Daniel in vielen Sitzungen bestätigt, dass er die Fähigkeit des geistigen Heilens besäße. Doch ihm war die Rolle des Geistheilers nie geheuer, bedeutete dies doch eine große Verantwortung. Bei meinem geschwollenen und in vielen Farben leuchtenden Gesicht konnte er allerdings nicht viel falsch machen. Er blühte richtig auf und versorgte mich mit Eis. Es wäre wohl besser gewesen, meine Wunde zu nähen. Aber wir wollten keine Berührung mit der Außenwelt, besonders nicht mit Ärzten, die eine wichtige Stütze des materiellen Systems darstellten und mit ihren Pillen nur die Symptome bekämpften. Als Benno nach seiner Rückkehr mein entstelltes Gesicht sah, erschrak er zutiefst. Er beruhigte sich aber, da ich entspannt war und gelassen reagierte. Für mich war entscheidend, dass mich keine Schuld- und Angstgefühle mehr plagten. Dass die Verletzung mein Gesicht entstellen könnte, kümmerte mich wenig. Benno zeigte sich erfreut, dass ich so tapfer war. Er begann bald, mich als seine asymmetrische Schönheit zu necken. Ich könne froh sein, ihn als Partner zu haben, denn meine Chancen, einen
  11. anderen Mann zu finden, seien drastisch gesunken. Er sagte es zwar im Scherz und um mich zu ärgern, doch k h fand es gar nicht witzig. Meine Wunde heilte glücklicherweise gut, beim Lachen jedoch machten nicht alle Muskeln mit und sorgten für ein windschiefes Gesicht. Außerdem blieb die rechte Wange lange Zeit gefühllos. Mir wurde bewusst, wie verletzlich ich trotz der Zugehörigkeit zur auserwählten Heilsgemeinschaft war. Zum Glück erholten sich mit der Zeit auch die Nerven, und nach einigen Wochen zeugte nur noch eine Narbe von meinem Unfall. Auch diese verschwand innerhalb von Monaten und zurück blieb ein Grübchen als Erinnerung an dieses Ereignis. In unserem Notlager in Bayern besuchten uns gelegentlich Felix und Christa, ein Wiener Paar, das den zweiten Kreis bildete. Die beiden taten alles, um die Aufmerksamkeit von Janet und Benno zu gewinnen. Als Geste seiner tiefen Verehrung küsste Felix stets die Füße von Janet. Auch Christa himmelte Janet an, doch noch mehr vergötterte sie Benno. Die beiden waren bereit, alles aufzugeben und mit uns nach Belize zu ziehen. Ramtha wäre grundsätzlich einverstanden gewesen, aber nur unter einer Bedingung: Felix musste die Anteile an seiner Firma verkaufen und den Erlös in unsere Familie einbringen. Kai durfte nach Wien reisen, um in der Firma von Felix ein Praktikum zu absolvieren. Er sollte einen Einblick in die Filmarbeit bekommen, um unsere Arbeit und unsere Hilfsprojekte dokumentieren zu können. Ich war richtig neidisch auf ihn. Nicht nur, weil er in die »andere Welt« hinaus durfte, sondern auch, weil er etwas lernen durfte. Ich
  12. war inzwischen sehr lernbegierig und hätte mich gern weiter gebildet. Als Benno meine Unruhe bemerkte, versuchte er, mich zu beschwichtigen. Falls wir den Aufstieg in fünf Jahren noch nicht geschafft hätten, müssten wir unser Experiment wohl abbrechen. »Du hast also nichts zu verlieren, denn dein ganzes Leben liegt dann immer noch vor dir«, tröstete er mich. Ich rechnete schnell aus, dass ich dann neunzehn wäre. Erst in fünf Jahren? Das war für mich eine Ewigkeit. Ich wusste nicht, wie ich diese lange Zeit überstehen sollte. Ach bitte, flehte ich, lass die fünf Jahre schnell vorübergehen. Ich wusste zwar nicht, von wem ich diese Hilfe erwartete. Dafür war mir umso klarer, dass ich fünf Jahre würde ausharren müssen. Denn ich konnte mir immer noch nicht vorsteilen, wie unser Experiment funktionieren sollte. Unser Paradies Endlich kam der Tag, an dem die erste Truppe unter der Leitung von Benno und Janet nach Belize flog. Da die ursprünglichen Besitzer die Maya-Ranch noch nicht geräumt hatten, mussten wir restlichen Familienmitglieder weiter in Deutschland ausharren. Ich konnte den Tag der Abreise kaum erwarten, denn ich hatte diesen engen bayrischen Hof satt. Benno versprach Kai und mir, dass wir zur zweiten Gruppe gehören würden. Beim ersten Anruf forderte uns Benno auf, uns körperlich zu ertüchtigen, denn auf uns komme viel harte Arbeit zu. Heiner, einst Sportlehrer und Leichtathlet, übernahm die Aufgabe, uns fit zu machen. Der Tag der Abreise nach Belize nahte, mein Reisefieber stieg. Ich verdrängte die Ängste und Unsicherheiten und
  13. freute mich auf das Abenteuer. Fort in ein fernes exotisches Land, ohne zu wissen, was uns erwartete. Ich malte mir das Leben dort paradiesisch aus. Im Geist sah ich eine üppige tropische Pflanzenwelt, wilde Tiere und viele Pferde auf der Ranch. Wir flogen über London nach Houston, wo wir einen Zwischenstopp einlegten und übernachteten. Der Flug nach Belize wurde aber zur Geduldsprobe, unsere Maschine hatte eine Panne. Ein Tank sei undicht, wurde uns erklärt. Der Abflug verzögerte sich. Ich wurde unruhig, weil ich Bennos Zorn fürchtete. Ramtha hatte uns oft genug eingetrichtert, dass wir die Schöpfer unseres Lebens seien. Wir würden solche Vorfalle selbst erschaffen, sie seien höhere Zeichen, die uns unsere Defizite und Schwächen aufzeig- ten, damit wir daran wachsen könnten. Was hat es zu bedeuten, dass wir ausgerechnet bei unserem Auszug ins gelobte Land gebremst wurden? Ich zermarterte mir den Kopf. Wir wurden in ein Hotel verfrachtet, wo wir bis zum Weiterflug warten sollten. Sofort versuchten wir, Benno in Belize anzurufen, doch wir erreichten ihn nicht. Ich wurde immer nervöser. Er wartet sicher schon am Flughafen auf uns, überlegte ich. Nach vielen Versuchen gelang es uns doch noch, Benno ans Telefon zu bekommen. Erstaunlicherweise machte er uns keine Vorwürfe. Er ärgerte sich lediglich, dass er vergeblich zum Flughafen gefahren war. Ich war erleichtert. Am nächsten Tag konnten wir endlich nach Belize fliegen. Als wir nach der Landung aus dem Flugzeug stiegen, schlug uns eine Wand aus heißer und feuchter Luft
  14. entgegen. Endlich waren wir da. Benno und Janet bereiteten uns einen herzlichen Empfang. Ein Glücksgefühl durchströmte mich, alles war so aufregend. Schon der Gedanke war berauschend: Ich bin in der Karibik! Wir fuhren eine gute Stunde ins Landesinnere und beeilten uns, um die Ranch noch bei Tageslicht zu erreichen. Ich schaute neugierig aus dem Auto und sog die fremde Welt in mich auf. Benno und Janet schilderten uns ihre ersten Eindrücke. Janet sprühte vor Begeisterung. Ich hatte Mühe mit ihr, wenn sie überschwänglich war. Ihre Euphorie wirkte aufgesetzt. Ich wusste inzwischen, dass ihre Stimmung von einem Moment zum nächsten kippen konnte. Auch der Gedanke, dass Benno und Janet in meiner Abwesenheit das Bett geteilt hatten, setzte mir zu. Ich wagte es aber nicht, Benno darauf anzusprechen. Es hätte ja auch nichts genützt. Eifersucht bewertete er als niedrige Frequenz. Er beteuerte hingegen, wie sehr er mich vermisst habe: »Ich bin glücklich, dass du endlich wieder bei mir bist.« Die vielen neuen Eindrücke überwältigten mich. Die Ranch war so groß, dass ich nicht wusste, wie ich mich orientieren sollte. Am meisten fiel mir das tropische Grün auf. Es war saftig und wuchs wild. Die warme, feuchte Luft prickelte auf der Haut. Ich war so erschlagen, dass ich es nicht wagte, das Gelände sofort zu erkunden. Außerdem wurde es rasch dunkel. Kaum war die Sonne untergegangen, dämmerte bereits die Nacht. Als ich mein Gepäck ins Schlafzimmer brachte, das Janet, Kai. Si bylle, Jochen, Benno und ich teilten, war ich enttäuscht. Am Boden lagen lieblos Matratzen. Der Raum
  15. wirkte kalt und hatte keine Atmosphäre. Mein Platz war neben Benno an der Wand. Direkt neben uns schliefen Janet und Kai. Sibylle und Jochen hatten ihre Doppelmatratze zu unseren Füßen platziert. Der ganze Boden war belegt. Tags- über räumten wir einen Teil der Matratzen weg. Die Kinder erhielten zwei Zimmer im alten Wohnhaus, das uns sonst als Büro diente. Auch hier wurden nachts Matratzen ausgelegt. Wir lebten wirklich spartanisch in unserem neuen Zuhause, aber dies gehörte zum Abenteuer unseres Experiments und zum Leben als Pioniere. Die restlichen Kids und ihre Begleiter waren inzwischen auch angekommen, und es gab ein freudiges Wiedersehen. Die Kinder waren mir mittlerweile ans Herz gewachsen. Wir machten uns auf, die neue Umgebung zu erkunden. Dafür brauchten wir Tage. Es war ein kleines Paradies. Die exotische Atmosphäre und die Landschaft faszinierten mich. Unsere Ranch umfasste endlose Weiden für 600 Rinder, Teiche fiir die Tiere, Obstgärten, große Orangenplantagen, eingebettet zwischen bewaldeten Hügeln. Mich beschlich aber auch ein eigenartiges Gefühl, die großen Ländereien flößten mir Respekt ein. Alles war neu und fremd. Ich konnte mir anfänglich nur schwer vorstellen, dass dies nun unser neues Zuhause sein sollte. Die Ranch war in desolatem Zustand, es gab sehr viel Arbeit flir uns. So fanden wir eine Wasserquelle auf unserem Land und bauten ein Pumphäuschen, damit das Wasser direkt zu unserem Hauptplatz und in unsere Häuser gepumpt werden konnte. Alle Familienmitglieder mussten mit anpacken, auch wir Teenager und die Kinder. Von der Knochenarbeit ausgenommen waren Janet, Sibylle und
  16. Benno. Unser geistiger Lehrer half nur, wenn er eine Maschine bedienen konnte. Maschinen waren wie Spielzeuge für ihn. So grub er begeistert mit dem kleinen Bagger die Quelle aus. Wir übernahmen Catalinhos, den Vorarbeiter von Mister Peterson. unserem Vorbesitzer. Der guatemaltekische Angestellte war hauptsächlich für die sechshundertköpfige Rinderherde zuständig. Ohne ihn wären wir aufgeschmissen gewesen, denn wir hatten ja keine Ahnung von der Landwirtschaft. Dieser »Aspekt« fehlte uns in unserer Gruppe. Auch die Pflege der Orangenplantage hätte uns Greenhorns, wie die Einheimischen uns nannten, überfordert. Wir waren froh, dass wir den guatemaltekischen Vorarbeiter mit seiner Familie behalten konnten. Sie wohnten in einem kleinen Holzhäuschen auf der Farm und lebten in sehr einfachen Verhältnissen. Sie waren erstaunt, dass gleich so viele Ausländer angereist kamen und sich in die wenigen Zimmer zwängten. Ihre Neugierde war riesig. Doch wir verwehrten ihnen den Einblick in unsere Gruppe. Catalinhos Sohn, der zwölfjährige Valdemar, war sehr kontaktfreudig und half uns beim Auspacken der Kisten und Einräumen unseres Haushaltes. Er freute sich über die vielen Kinder und suchte ständig unsere Nähe. Für unsere Kids war es spannend, einen jungen Belizer kennen zu lernen und mit ihm zu spielen. Meine Freude über die Ankunft in unserer neuen Heimat erhielt rasch einen Dämpfer. Benno wollte nach der längeren Trennung natürlich in der ersten Nacht mit mir schlafen. Ich brachte immer noch nicht den Mut auf, Benno zu beichten, dass ich nichts empfand. Also spielte ich
  17. weiterhin die Liebesdienerin. Je länger ich mitspielte, umso schwieriger wurde es. Benno gab sich zwar Mühe, ein guter Liebhaber zu sein. Ja, er war stolz darauf, mich im Bett glücklich machen zu können, wie er immer wieder betonte. Seine männliche Eitelkeit machte es für mich erst recht schwierig, ihm reinen Wein einzuschenken. Ich war jedes Mal froh, wenn er fertig war. Den Zeitpunkt konnte ich selbst bestimmen, indem ich ihm einen Orgasmus vorspielte. Es musste sich echt anhören, denn Benno achtete sehr genau darauf, wie ich mich verhielt. Zu früh durfte ich aber nicht kommen, weil er sonst enttäuscht gewesen wäre und eine Zusatzrunde eingelegt hätte. Gelernt hatte ich die wollüstigen Geräusche von unserem Medium Janet, schließlich lag ich direkt neben ihr und erlebte hautnah, wie sich ein Höhepunkt anzuhören hatte. Das Paradies erhielt rasch dunkle Flecken. Das hing nicht an Belize oder der Ranch, sondern an Janet und Benno. Meine Rolle an der Seite von Benno war nicht geklärt. Janet nutzte jede Gelegenheit, dazwischenzufunken und mir eins auszuwischen. Von Benno fühlte ich mich im Stich gelassen. Er betonte zwar immer wieder, ich solle mich ajv seine Frau fühlen und selbstbewusster werden, doch er verhielt sich widersprüchlich. Außerdem hatte ich immer deutlicher den Wunsch, eine Ausbildung zu machen. Ich wollte einen richtigen Beruf lernen. Ich beneidete Huba, unseren Schreiner, Norbert, den Koch, Sabine, die Physiotherapeutin, und meinen Vater Andres, der sich als Architekt hier in Belize beim Aufbau unseres Projekts besonders nützlich machen konnte. Ich war gerade fünfzehn Jahre alt geworden und fühlte mich
  18. geistig unterfordert. Doch es gab in unserer abgeschiedenen Welt keine Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen. Ich sprach Benno darauf an und hoffte auf sein Verständnis. Doch er hörte gar nicht hin. Er meinte bloß, ich solle einfach lernen, die Frau an seiner Seite zu sein, dies sei eine große Aufgabe und die habe ich bei weitem noch nicht erfüllt. Benno spürte, dass ich mich immer mehr in mein Schneckenhaus zurückzog und anfing, mir Fragen zu stellen. Daraus ergaben sich fiir mich schwierige Gespräche. Ich wusste nicht recht, wie ich ihm mein Unbehagen erklären sollte. Ich hatte Angst, missverstanden zu werden. Auch fehlte mir der Mut, meine Gedanken anzusprechen. Uber Gefühle zu reden war ganz unmöglich. Benno ließ aber nicht locker und trieb mich mit seinen Fragen immer weiter in die Enge. In meiner Anspannung löste sich plötzlich der Bann: »Ich möchte die Familie verlassen«, sagte ich leise. Ich war selbst überrascht, dass ich meinen geheimen Wunsch ausgesprochen hatte. Und ich fügte gleich an, dass ich nicht mehr an die spirituellen Botschaften glaubte, die Janet uns übermittelte. Dann gebrauchte ich ein Bild, an das ich mich noch genau erinnere. Ich sagte Benno, ich würde mich wie eine Knospe fühlen, die seit langem den Wunsch habe, sich zu entfalten. »Weder du noch unsere Familie geben mir genügend Raum, damit sich die Blüte öffnen kann.« Benno war wie vor den Kopf gestoßen und schaute mich entgeistert an. Damit hatte er nicht gerechnet. Er war sich seiner Sache sicher gewesen. Er glaubte, alles im Griff zu haben. Mich am meisten. Ich war schließlich die zurückhaltende, verständnisvolle Jugendliche, die sich
  19. kaum je wagte, eigene Bedürfnisse anzumelden. Doch Benno wäre nicht Benno, hätte er sich nicht sofort wieder gefasst. Er wischte die Überraschung weg, die ihm ins Gesicht geschrieben stand, und setzte die Miene des Besorgten auf. Statt mir Vorwürfe zu machen und mich von meiner Idee abzubringen, wie ich es erwartet hatte, schlug er mir vor, ein Meeting der ganzen Familie einzuberufen. Dann könnte ich der Gruppe meinen Wunsch mitteilen. Leider durchschaute ich den Trick nicht und willigte ein. Ich glaubte, den wichtigsten Schritt in Richtung Freiheit bereits getan zu haben. Ich nahm mir fest vor, beim Meeting standhaft zu bleiben und mich nicht unterkriegen zu lassen. Doch es kam anders. Ich stand im Zentrum der Versammlung, alle schauten mich mit großen Augen an, nachdem ich meinen Wunsch vorgebracht hatte. Es herrschte sofort eine bedrückende Stimmung. Das blanke Unverständnis schlug mir entgegen. Einige Gruppenmit- glieder schienen sogar schockiert zu sein. Niemand verstand mich. Ausgerechnet Lea will uns verlassen! Eine Frechheit, ja ein Verrat. Ausgerechnet Lea, die doch immer so gut drauf ist und alle Privilegien an Bennos Seite genießt! Wie kann sie das wegwerfen? Ihre verbündeten Freunde im Stich lassen, wo doch »draußen« das spirituelle Chaos herrscht und der geistige Absturz droht? Wie kann sie ein Leben ohne Sinn und Inhalt unserem Experiment vorziehen? Ein Leben in der dumpfen Masse? Solche und ähnliche Vorhaltungen bekam ich zu hören. Ich nahm alle Kraft zusammen und sagte mir immer wieder: Du musst diesen Druck aushalten. Lisa, meine Mutter, reagierte erstaunlicherweise recht gefasst, fast
  20. gelassen. Benno fragte sie, was sie von meinen Ausstiegsplänen halte. Na ja, antwortete sie, wenn das meine Entscheidung sei, müsste sie es wohl akzeptieren. Sie würde meine Patin in der Schweiz anrufen, die sicher eine Bleibe für mich organisieren könnte. Als die Frage der Heimkehr konkret wurde, beschlich mich plötzlich ein beklemmendes Gefühl. Bisher war ich nur vom Wunsch beseelt, aus der Enge unserer Gruppe auszubrechen und nichts mehr mit Benno zu tun zu haben. Doch nun wurde mir bewusst, was es heißen würde, allein in die Schweiz zurückzukehren. Ohne Geld, Beruf und Arbeit. Ich hatte Angst vor dem, was auf mich zukommen würde. Benno schien meine Verunsicherung zu spüren. Er verstärkte den emotionalen Druck und fragte die dreizehnjährige Karin, die auch schon Ausstiegswünsche geäußert hatte, was sie von mir denke. Kann stammelte ein paar Worte und brach dann in Tränen aus. Nun forderte Benno jedes Familienmitglied einzeln auf, mir seine Mei- nung zu sagen. Die meisten drückten ihre tiefe Betroffenheit aus, als hätte
  21. ich sie persönlich beleidigt. Manche waren erschüttert. Und alle beteuerten mir ihr Mitgefühl, drückten überschwänglich ihre Liebe zu mir aus. Sie fänden es mehr als traurig, wenn ich sie verlassen würde. Die Mauer, die ich um mich aufgebaut hatte, fing an zu bröckeln. Mit jeder der ergreifenden Bezeugungen ein bisschen mehr. Ich war berührt von den Worten und Gefühlen, die mir »meine Familie« entgegenbrachte. Das Meeting dauerte Stunden und ich spürte, wie meine Kräfte
  22. schwanden. Irgendwann fühlte ich mich nur noch matt und leer. Ich konnte keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen. Die meisten empfanden mich als hart und kalt. Das bekam ich immer wieder zu hören. Doch das täuschte. Innerlich wankte ich bedenklich. Ich war am Schluss so fertig, dass ich mir nur noch wünschte, das bedrückende Meeting möge rasch ein Ende haben. Ich sehnte mich nach Ruhe, nach der Erlösung. Nach etwa drei Stunden hielt ich die Spannung nicht mehr aus und brach in Tränen aus. »Ich bleibe«, stammelte ich. Ich hatte zwar das Gefühl, mein Gesicht zu verlieren, doch ich spürte auch sofort eine große Erleichterung. Jedes einzelne Familienmitglied kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Alle gaben mir zu verstehen, dass sie stolz auf mich seien. Mit meiner Entscheidung hätte ich Mut bewiesen. Alles andere wäre eine Flucht gewesen. Eine Flucht vor etwas, das man nicht abschütteln könnte, ein Wegrennen vor mir selbst. Alle schienen glücklich, dass wieder Harmonie in die Familie eingekehrt war. Die Nachricht, dass eine große Gruppe in der Ranch eingezogen war, verbreitete sich bei den Einheimischen wie ein Lauffeuer. Jeden Tag kamen Neugierige, viele von ihnen suchten Arbeit. Wenn man sie nach ihren beruflichen Fertigkeiten fragte, antworteten sie: »Ich kann alles.« Diese Belizer schienen Multitalente zu sein. Wir harten viel Spaß mit ihnen. Benno blieb wie immer diskret im Hintergrund. Er zog die Fäden lieber versteckt und exponierte sich nicht gern. Die Rolle des Managers übertrug er Matthias, der mit den Einheimischen verhandeln musste. Allen Besuchern sagten wir, die Farm gehöre Petra und Matthias, die sie der
  23. Stiftung für Entwicklungshilfsprojekte zur Verfügung gestellt hätten. Ende des Jahres, rund zwei Monate nach unserer Ankunft, hatten wir bereits die erste Orangenernte zu meistern. Fast alle Männer unserer Gruppe mussten mit anpacken. Es war eine mühsame Arbeit. Nicht nur das Pflücken und Verstauen der Orangen war anstrengend, das Beladen des Anhängers mit den schweren Säcken überforderte die meisten. Benno beschloss, zwei junge Belizer einzustellen. Ein großes Ereignis, denn nun hatten wir richtige Angestellte. Sie hießen Jermaine und Jason, waren ungefähr achtzehn Jahre alt und lebten in Georgeville, einem Nachbardorf. Die jungen Burschen platzten fast vor Neugierde und beobachteten uns Gringos auf Schritt und Tritt. Gringos wurden weiße Amerikaner genannt, doch die Einheimischen nahmen es nicht so genau. Sie wussten auch nicht, aus welcher Ecke dieser Welt wir stammten. Mit der Zeit waren wir jedoch als die Deutschen bekannt. Wenn Jermaine und Jason mit offensichtlichem Interesse mich, das weiße Mädchen, musterten, wurde ich verlegen. Wir waren aber nicht von allen gern gesehen. Jedenfalls kam Val- demar, der Sohn unseres Cowboys, eines Morgens mit angsterfülltem Gesicht zu uns und berichtete, jemand habe über Nacht den vier Pferden die Schweifhaare radikal geschnitten. Wir waren ratlos. Die Pferde sahen entstellt aus. Am Abend versammelten wir uns und diskutierten lange über die Bedeutung der symbolträchtigen Handlung. Will uns jemand einschüchtern? Wollen Einheimische uns vertreiben? Wir konnten es uns nicht vorstellen. Die naheliegendste Vermutung schien zu sein, dass die
  24. Angelegenheit mit dem Vorbesitzer der Maya-Ranch zu tun hat. Er lebte immer noch in Belize und verhielt sich uns gegenüber eigenartig. Wir hatten irgendwann den Eindruck, dass er die Farm nicht wirklich hatte ver- kaufen wollen. Vielmehr hoffte er, dass wir die Abzahlungsraten nicht würden leisten können und die Ranch ihm wieder zufallen würde. Es stellte sich denn auch heraus, dass Mister Peterson uns falsche Angaben über die Einkünfte gemacht hatte. Wir waren aufgrund seiner Zahlen davon ausgegangen, dass wir von der Rinderzucht und der Orangenplantage unsere eigenen Kosten decken könnten, doch das erwies sich als Illusion. Vielleicht ging die Sabotage auch von Mitarbeitern Petersons aus, die ihren Job verloren hatten. Jedenfalls entdeckte unsere Nachtwache, dass ein ehemaliger Cowboy der Ranch nachts auf unserem Gelände herumschlich. Solche Vorkommnisse zwangen uns zur Wachsamkeit. Ein anderer Belizer zeigte ebenfalls keinen Respekt vor uns Grin- gos. Er hieß Toni Bedford und war als Haudegen bekannt. Eines Tages wurden er und ein paar seiner Freunde beim Wildern auf unserem Grundstück erwischt. Toni war ein Schlitzohr und er hatte ein Mundwerk fiir zwei. Benno gefiel Tonis lockere Art. Und er wusste, dass es sich lohnen könnte, diesen Rädelsführer auf unsere Seite zu ziehen. Also stellte er ihn nach einem langen Gespräch als weiteren Vorarbeiter ein. Typisch Benno. Er wollte wieder einmal beweisen, dass wir nicht nach den üblichen Mustern und Normen funktionierten. Toni erzählte uns, dass die Angestellten, die wir von Peterson übernommen hatten, auch von ihrem alten Arbeitgeber Geld kassierten, um uns zu sabotieren.
  25. Peterson wollte uns schädigen und die Kontrolle über die Farm behalten. Toni erzählte uns Geschichten, die uns die Haare zu Berge stehen ließen. So habe Peterson die Maya- Ranch schon einmal verkauft und ein »Downpayment«, also eine erste große Anzahlung erhalten. Da die Einnahmen hinter den Erwartungen geblieben seien, habe der Käufer den Vertrag nicht einhalten können, weshalb der schlaue Fuchs sich die Ranch wieder unter den Nagel ge- rissen habe. Es gab auch Gerüchte, Peterson habe tüchtig nachgeholfen und beispielsweise Rinder geklaut. Sofort kam der Verdacht auf, dass er das üble Spiel erneut betrieb. Schließlich hatten auch wir einen Abzahlungsvertrag. Plötzlich machten die unerklärlichen Vorkommnisse Sinn. Und wir »deutschen« Greenhorns, die weder die lokalen Verhältnisse kannten noch Ahnung von der Landwirtschaft hatten. 2H versprachen dankbare Opfer zu werden. Wir waren gewarnt und wappneten uns. Als erste Maßnahme ordnete Benno an, dem Vorarbeiter Cataiinho, seinem Sohn Valdemar und drei weiteren Arbeitern zu kündigen. Toni wurde Chef und musste neue Angestellte auswählen, die nicht vom ehemaligen Besitzer gekauft waren. Er konnte richtig zupacken und seine Leute motivieren. Und er überzeugte Matthias respektive Benno, dass wir mindestens ein halbes Dutzend weitere Arbeiter brauchten. Ich beobachtete die Einheimischen interessiert bei ihrer Arbeit. Sie stellten für mich eine Verbindung zur Außenwelt dar. Ich verfolgte alles aufmerksam und war gern in ihrer Gesellschaft. Wenn ich sah, unter welchen ärmlichen Bedingungen die
  26. Einheimischen hausten und wie sie ums Uberleben kämpften, kam es mir vor, als würden wir unter einer Käseglocke leben. Auch Janets »Frequenzabstürze« beispielsweise erschienen mir vollkommen irreal. Dabei erlebte ich in solchen Situationen oft die Hölle. Benno ließ dann alles liegen und stehen, um sich intensiv um unser Medium zu kümmern. Es sei wichtig, dass sie stets im Einklang mit sich selbst sei und als Lichtträgerin die innere Mitte finde. Benno bat mich dann, das Zimmer zu verlassen. Janet nutzte die Gelegenheit, um sich hem- mungslos auszutoben. Sie schimpfte auf mich in einer Lautstärke, dass ich es draußen hören konnte. Auch Benno bekam sein Fett weg. Sie war dann sogar fähig, ihm entgegenzuschleudern, dass sie ihn hasse. Erstaunlicherweise ließ Benno diese Ausbrüche stoisch über sich ergehen und behandelte sie wie ein kleines Kind. Ich hätte Benno ohrfeigen können. Es war entwürdigend, wie er ihr hinterherkroch. Um sie wieder auf die »richtige Frequenz« zu bringen, begann er sie zu necken und zu kitzeln. Irgendwann fing sie an zu kichern. Dann schmolz das Eis rasch und Janet revanchierte sich mit Sex. Ich ärgerte mich, dass Benno sich auf dieses durchsichtige Spiel einließ. Als er einmal bemerkte, dass mich ihr »Versöhnungsritual« bedrückte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und teilte ihm umständlich meine Gefühle mit. Benno hörte mir aufmerksam zu. Dann ging er zurück zu Janet und offenbarte ihr meine Seelenlage. Mit einem Schlag war ihre Laune wie- der im Eimer. Sie spuckte erneut Gift und Galle und beschuldigte mich, ich sei feige und renne wegen jeder
  27. Kleinigkeit zu Benno. Benno forderte mich daraufhin zu einer Aussprache mit Janet auf. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Unserem Medium war ich rhetorisch überhaupt nicht gewachsen. Dann begann das Spiel von vorn. Benno bat mich wieder, das Zimmer zu verlassen. Er wusste, dass er in meiner Gegenwart Janet nicht beruhigen konnte. Einerseits war ich erleichtert, der Situation entfliehen zu können. Auf der anderen Seite ärgerte es mich, dass Janet sich wieder durchsetzte. Die beiden unternahmen bald darauf einen Ausflug mit der »Lichtmaschine«. Das war kein gutes Zeichen. Insgeheim hoffte ich, dass Janet weiterhin stur bliebe und sich von Benno nicht beruhigen ließe. Dann wäre unser Experiment in Gefahr, dachte ich frevlerisch. Benno brauchte lang, um Janets Seele zu massieren. Die beide blieben mehrere Stunden fort. Als sie zurückkamen, duschte ich gerade einen Wallach. Ich traute mich nicht, aufzublicken. Benno stoppte sein geliebtes Geländefahrzeug. Ich wurde nervös, ließ mir aber nichts anmerken und pflegte weiterhin das Pferd. Janet stieg aus und kam auf mich zu. Sie schaute mir eine Weile zu und sagte dann, dass das Tier es sehr genieße, von mir geduscht zu werden. Ihre Stimme klang weich und sanft. Liebevoll streichelte sie den Wallach am Hals und schaute mich an. Plötzlich fragte sie mich, ob ich mir vorstellen könnte, zukünftig für die Pferde verantwortlich zu sein. Ich traute dem Frieden nicht recht. Dennoch freute mich die Idee, die sechs Pferde pflegen zu dürfen. Später unterbreitete Janet Benno den Vorschlag. Sie spüre eine starke Verbundenheit und Harmonie zwischen den
  28. Tieren und mir. Ich war gerührt, als sie Benno vorschwärmte, sie habe mich und das Pferd als eine starke Einheit erlebt. Benno wollte wissen, ob ich denn gern alles über Pferde und ihre Haltung lernen möchte. Ich war begeistert. Dann hätte ich endlich eine eigene Aufgabe, die nichts mit Kindern und Küche zu tun hatte. Und für die ich verantwortlich sein wollte. Neue Hoffnung Betty und Irene, die unsere Familie bei unserem Aufenthalt in Bayern im Streit verlassen hatten, suchten nach einiger Zeit wieder den Kon- takt zu uns. Sie fühlten sich in der »Welt draußen« verloren und wollten zurück in den Schoß der Großfamilie. Benno führte ausgiebige Gespräche mit ihnen. Es dauerte jedoch nicht lange und beide tauchten samt Bettys Töchterchen auf der Maya-Ranch auf. Wir umarmten die drei herzlich. Ihre Rückkehr war ein Triumph für Benno und Janet. Sie bestätigte uns, dass wir auf dem richtigen Pfad waren. Das auf materielle Ziele ausgerichtete Leben sei trostlos und öde gewesen, erzählten uns die beiden Frauen. Ihnen habe der Lebenssinn gefehlt. Das war eine heilsame Lektion für alle, die sich gelegentlich ebenfalls mit dem Gedanken befassten, die Familie zu verlassen. Besuch bekamen wir auch von unseren österreichischen Freunden Felix und Carmen. Sie waren nach wie vor von dem Wunsch beseelt, unserer Familie beizutreten. Felix lag denn auch Benno dauernd in den Ohren. Benno zierte sich, willigte dann doch ein. Carmen durfte sofort bleiben, Felix kam später, nachdem es ihm geglückt war, seine Firma zu verkaufen. Nun waren wir wieder exakt die vierzig
  29. »Aspekte«, wie es Ramtha ursprünglich verlangt hatte. Die Prophezeiungen erfüllten sich, und unsere Motivation erhielt neuen Schub. Toni führte mich in die Betreuung und Pflege der Pferde ein. Endlich konnte ich etwas lernen. Das größte Problem war die Verständigung, ich sprach weder Englisch noch Spanisch. Und ehe ich richtig wusste, wie mir geschah, stand ich schon mit einem Halfter in der Hand in der Koppel und sollte ein Pferd einfangen. Die Tiere waren misstrauisch und hielten Abstand. Ich kam mir sehr unbeholfen vor und wollte verhindern, dass sich Toni über mich lustig machte. Er zeigte mir, wie ich mich den temperamentvollen Tieren nähern musste. Mein Ehrgeiz war angestachelt, eines dieser wunderschönen Pferde an den Halfter zu bekommen. Ich unterdrückte meine Nervo- sität, und siehe da, ein roter, kräftiger Wallach blieb stehen, schaute mich neugierig an und ließ mich so nahe heran, dass ich seinen Hals streicheln konnte. Er blähte die Nüstern auf und zeigte mir, dass er ähnlich nervös war. Und es gelang mir tatsächlich, den Wallach einzu- fangen. Nun schwang Toni elegant das Lasso durch die Luit und schwups, das Seil legte sich wie von einer unsichtbaren Hand geführt um den Hals des Pferdes. Toni schien mindestens so stolz zu sein wie ich. Er genoss es, von einem weißen Teenager bewundert zu werden. Und er war ein guter Lehrmeister. Bevor ich reiten lernen durfte, musste ich die Pferdepflege beherrschen. Da ich Toni schlecht verstand, war ich oft unsicher. Mir war auch klar, dass die Pferde und Rinder eigentlich die Welt der Cowboys waren, also die Domäne harter Männer. Das ließ mich an-
  30. fangs zweifeln, und dann musste Benno mir Zuspruch geben. Ich hielt durch und lernte rasch reiten. Hoch zu Ross fühlte ich mich fast erhaben. Das Westernreiten lag mir. So ritten wir schon bald zu zweit über die Weiden, um die Rinder zu kontrollieren. Was für ein Glücksgefühl, galoppierend durch die schöne Landschaft zu preschen. Toni fragte mich, wie alt ich sei. Sechzehn, antwortete ich keck. Janet hatte Kai und mir nämlich empfohlen, dass wir uns ein Jahr älter machen sollten. Da uns in Belize niemand kenne, sei dies eine gute Gelegenheit. Wir sollten so schnell als möglich erwachsen werden. Außerdem konnte ich es ohnehin kaum erwarten, volljährig zu werden. Beim abendlichen Meeting verkündete Benno, dass Kai und ich offiziell ein Jahr älter seien. Verplappert euch nicht, mahnte er uns. Da Toni und ich nicht allein die Tiere pflegen und die großen Weiden kontrollieren konnten, stellten wir Julian ein. Er hatte die O- Beine eines richtigen Cowboys. Um die Gefahr des Viehdiebstahls zu verringern, musste Kai ihn begleiten. Bei sechshundert Tieren mussten wir mindestens dreimal die Woche einen Kontrollritt machen. Kai und ich gingen bei Toni und Julian durch eine harte Schule. Vor allem Kai schonten sie nicht. Als Frau hatte ich bei den Belizern gewisse Privilegien. Mit der Zeit lernten wir, uns nicht nur bei Toni und Julian durchzusetzen, sondern auch bei den oft störrischen Kühen. Benno ließ sich in Belize noch mehr gehen. Er war ungepflegt und widerte mich mit der Zeit richtig an. Die Zähne putzte er kaum noch, seine Haare waren fettig und strähnig, den Bart rasierte er oft tagelang nicht. Seine Hose
  31. rutschte dauernd hinunter, weil er sie nicht mehr über seinen dicken Bauch brachte. Ich konnte es kaum ertragen, zumal er uns immer predigte, dass das Äußere ein Spiegel unseres Inneren sei. Benno kontrollierte uns nicht nur in der Gruppe, sondern auch bei der Arbeit. Er brauchte bei allem und jedem den Überblick. Beim Pferdestall schaute er jedoch kaum vorbei. Ausgerechnet der Bereich, für den ich verantwortlich war, schien ihn nicht zu interessieren. Als er mich dann doch einmal besuchte, blieb er auf Distanz. Ich betrachtete ihn von der Seite und empfand richtigen Ekel. Ich erschrak selbst darüber. Zum Glück wissen die einheimischen Arbeiter nicht, dass wir ein Paar sind, schoss es mir durch den Kopf. Mich ärgerte auch seine Haltung den Tieren gegenüber. Obwohl er mit seinem Ubergewicht nicht recht reiten konnte und sich wenig um die Pferde kümmerte, wollte er sich auch als Cowboy beweisen. Also brauchte er ein Pferd. Doch die einheimischen Tiere waren zu klein für ihn. Deshalb wurde in ganz Belize ein geeignetes Pferd gesucht. Toni fand im Süden des Landes Cash, eine große Appaloosa-Stute, die aus den USA importiert worden war. Das wunderschöne teure Tier sollte Bennos persönliches Reitpferd werden. Doch Cash reagierte beim ersten Ausritt störrisch. So wurde nichts daraus, auf der Stute wie ein stolzer Großgrundbesitzer über die Ländereien zu reiten. Als er einen zweiten Versuch unternahm, glaubte er festzustellen, dass Cash in den Hüften steif sei. Das Pferd sei nicht zu reiten, entschied Benno. Damit war das Kapitel für ihn abgeschlossen. Meine Abneigung gegen Sex wuchs in dieser Zeit weiter.
  32. Schon der Gedanke daran drehte mir fast den Magen um. Ich hielt Bennos Nähe kaum mehr aus. Mein Ekel war so groß, dass ich den Mut fasste, mit Janet darüber zu reden. Sie war die Einzige, mit der ich über solche Dinge sprechen konnte. Und sie war dafür zuständig, mich in die Ge- heimnisse des Frauseins einzuführen. Also fragte ich sie, ob es ihr auch schon passiert sei, dass sie absolut keine Lust auf Sex hatte. Ich wagte aber nicht, ihr zu beichten, dass mir der sexuelle Kontakt mit Benno schon immer widerstrebt hatte. Ich befürchtete, dass sie es ausplaudern könnte und ich erst recht in Teufels Küche käme. Janet zeigte Verständnis und erklärte mir, dass die meisten Menschen -- nicht nur Frauen, auch Männer - immer mal wieder sexuelle Blockaden erlebten. Früher sei sie eine totale Emanze Unwesen 4 hätte keinen Mann an sich herangelassen. Doch sie gab mir auch verstehen, dass Frauen, die ganz bei sich seien und zu ihrer Weiblich keit stehen könnten, keine Probleme mit der Sexualität hätten. Weih lichkeit sei Sanftheit, wir Frauen müssten demütig und weich sein Dies treffe auf alle Frauen in unserer Familie zu, legte mir Janet freundschaftlich ans Herz. Damit traf Janet meine schwache Stelle. Ich wollte doch unbedingt eine richtige Frau sein, weiblich und weich. Du musst weiter an dir arbeiten, um die Lust an der Sexualität zu entwickeln, redete ich mir ein. Du musst dich wandeln und darfst dich Benno nicht verweigern, war ich nach dem Gespräch mit Janet überzeugt. Um unser Experiment zu tarnen und die Stiftung aufzubauen, eröffneten wir in Deutschland und in der Schweiz jeweils ein Büro. Unsere Familienmitglieder in
  33. Europa suchten Kontakt zu Behörden und baggerten Sponsoren an. Es durften auch Sachspenden sein. Viel Verhandlungsgeschick bewies Huba. Er hatte ein souveränes Auftreten und wirkte sehr sympathisch. So erhielten wir Baumaterial, Werkzeuge und sogar Maschinen für den Aufbau der Ranch und des Hilfsprojekts. Für die Armen, wie wir vorgaben. Das Schweizer Büro der Stiftung sollte vor allem die finanziellen Transaktionen abwickeln. Wir wollten den Eindruck einer professionellen Hilfsorganisation erwecken und das Vertrauen der Spender und Behörden gewinnen. Dabei scheuten wir uns auch nicht, vollmundig zu behaupten, dass wir in Belize große Anerkennung genießen und von den einheimischen Behörden unterstützt würden. Die Geldspenden blieben aber spärlich, weshalb wir dauernd unter finanziellen Engpässen litten. Da kam uns ein Rechtsstreit mit dem ehemaligen Besitzer gerade recht. Er hielt sich nicht in allen Punkten an die vertraglichen Abmachungen und Benno beschloss kurzerhand, die Abzahlungsraten vorderhand nicht mehr zu leisten. Das Geld benutzten wir für den Aufbau der Farm und die Lebenskosten. Die Einheimischen wunderten sich über uns. Ihnen fiel auf, dass wir uns absonderten und Gästen gegenüber sehr reserviert verhielten. Bald kursierten die wildesten Gerüchte über uns. Hinter vorgehalte- ner Hand erzählten sich unsere Nachbarn, wir betrieben Nudisten- kult. Andere wollten wissen, wir handelten mit Waffen und Drogen. Die Fantasie einiger Einheimischer schoss förmlich ins Kraut. So bei jenen, die vermuteten, wir würden unterirdische Atomversuche machen. Wir lachten
  34. über solche Spekulationen und malten uns aus, dass sich viele Belizer nachts in den Büschen versteckten, um uns zu beobachten. Mein Wunsch, aus der Gruppe zu flüchten, wurde wieder stärker. Ich wollte ausbrechen, einen Beruf erlernen, mein Leben in die eigenen Hände nehmen. Und mich einmal richtig verlieben. In dieser Zeit trat unser spirituelles Experiment in eine neue Phase. So jedenfalls verkündeten es Janet und Benno wortreich. Wir hätten mit dem Aufbau der Ranch bewiesen, dass wir unsere Entwicklung auf der materiellen Ebene erfolgreich bestanden hätten und bodenständiger geworden seien. Nun sei es an der Zeit, die Materie zu durchdringen und weiter in die höheren Sphären vorzustoßen. Es ginge darum, unsere Körper in Licht zu verwandeln. Ramtha oder eben Maghan spielte plötzlich nicht mehr die dominante Rolle als Geistwesen. Janet sprach mehr und mehr direkt zu uns, als schöpfe sie die spirituellen Weisheiten aus sich. Sie erfüllte dann die Funktion der geistigen Quelle. Wir trieben das Projekt der Stiftung zügig voran, um unsere Glaubwürdigkeit nach außen zu stärken. Zu den PR- Maßnahmen trug auch Felix bei, der ein Film- und Tonstudio eingerichtet hatte und professionelle Werbefilme über unser Hilfsprojekt drehte. Die Anfrage eines einheimischen Polizisten kam uns da gerade recht, der uns um Unterstützung flir sein Straßenkinder-Projekt bat. Den hungernden Kindern sollten warme Mahlzeiten ausgegeben werden, damit sie die Schule besuchen konnten und die Zeit nicht mehr für Diebstähle nutzen mussten. Eine Suppenküche für arme
  35. Straßenkin- der! Damit sollten sich Spender erweichen lassen. Und sie sollte uns die Türen bei den politischen Gremien und der besseren Gesellschaft in Belize öffnen. Außerdem konnten wir unseren Verwandten beweisen, dass wir seriöse Projekte aufbauten und den armen Bevölkerungsschichten in Belize halfen. Die Suppenküche war das beste Argument gegen den nur schwer auszurottenden Vorwurf, wir seien eine Sekte. Der Polizist, der die Aktion leitete und die Straßenkinder betreute besuchte uns häufig. Er hieß Edward und war ein fröhlicher Mann, mit dem wir viel lachten. Bald entstand ein freundschaftliches Verhältnis, Es konnte ja nicht schaden, gute Beziehungen zur Polizei zu pflegen. Eines Tages organisierten wir ein Barbecue für ehemalige Gangmitglieder und Straßenkinder aus Belize City, die kaum je aus den Slums der Stadt herausgekommen waren. Es war ein riesiges Fest, das uns viele Sympathien einbrachte. Wir durften uns ein wenig unter die Gäste mischen. Da sich Benno bei solchen Anlässen nicht wohl fühlte, musste Janet mich behüten. Mir behagte das Fest nicht sonderlich, wohl weil ich solche Gesellschaften nicht gewohnt war. Ich spürte aber deutlich, dass die Augen mehrerer junger Männer auf mir ruhten. Irgendwann stand ich neben Lennox, einem Bruder von Edward. Wir unterhielten uns eine Weile, als er plötzlich meine Hand nahm und mich fragte, ob er mich zu einem Ausflug nach Belize City einladen dürfe. Mein Puls kletterte sofort in die Höhe. Ich hätte ihm gern zugesagt, wusste aber nur zu gut, dass ich die Einladung ablehnen musste. Die Ranch mit einem Einheimischen verlassen?
  36. Undenkbar. Benno wäre ausgerastet. So suchte ich krampfhaft eine Ausrede. Lennox spürte meine Unsicherheit. Ohne zu zögern ging er zu Sibylle und unterbreitete ihr den Vorschlag. Sibylle winkte energisch ab. Damit war das Thema vom Tisch. Mich beschäftigte es allerdings noch längere Zeit. Wenn ich an Lennox dachte, wurde ich ganz aufgeregt. Als ich ein paar Tage später von meinem Verehrer einen Blumenstrauß erhielt, war Benno alarmiert. Beim abendlichen Meeting schnitt er das Thema Außenkontakte an und warnte uns eindringlich. Glücklicherweise stand nicht ich im Zentrum der Diskussion, sondern Sibylle. Edward hatte ein Auge auf sie geworfen. Außerdem war es offensichtlich, dass sie gegenüber attraktiven einheimischen Männern nicht mit ihren Reizen geizte. Im Hinblick auf unser Hilfsprojekt war das im Umgang mit Politikern und Beamten ja ganz nütz- lich. Doch eine Liaison mit einem Einheimischen wäre bedrohlich gewesen. Benno und Janet forderten uns auf, uns abzugrenzen. Eines Tages kündeten Edward und Lennox ihren Besuch an. Bei Benno läuteten sofort die Alarmglocken. Ihm war klar, dass die beiden Männer wegen Sibylle und mir zu Besuch kamen. Ais ich davon erfuhr, schlug mein Herz höher. Ich war total aufgeregt, Lennox wieder zu sehen. Benno schien es zu spüren und lud mich zu einer Ausfahrt mit seiner »Lichtmaschine« ein. Ich wusste, was dies bedeutete: Er musste mit mir reden. Ich war sofort blockiert und konnte nicht mehr frei atmen. Wir fuhren über eine Dschungelpiste. Er redete stundenlang auf mich ein. Ich
  37. hörte stumm zu und brachte kaum ein Wort hervor. Er machte mir klar, dass ich es mir abschminken könnte, mit Lennox auszugehen. Benno hatte mich derart eingeschüchtert, dass ich beim Besuch von Lennox völlig verstört war. Mir war die Situation so unangenehm, dass ich erleichtert war, als Lennox endlich wieder ging. Sibylle war weniger folgsam. Sie hielt sich nicht sehr zurück und es funkte bald zwischen ihr und Edward. Der Polizist wurde natürlich neugierig und hätte gern einen Blick in unsere Gemeinschaft erhascht. Er spürte, dass Sibylle nicht ehrlich war und ihm etwas vorspielte. Deshalb wurde er misstrauisch und wollte mehr über uns in Erfahrung bringen. Die Sache wurde gefährlich. Benno verlangte von Sibylle, sofort die Notbremse zu ziehen und auf Distanz zu Edward zu gehen. Der Polizist verstand die Botschaft und ließ sich nicht mehr blicken. Damit war allerdings auch das gerade erst angelaufene Projekt mit der Suppenküche für die Straßenkinder gestorben. Ich verstand nie, warum wir die Stiftung lediglich zur Tarnung benutzten. Die hehren Ziele, die wir im Konzept der Stiftung festhielten, erschienen mir durchaus erstrebenswert. Auch mit dem Aufbau unserer Ranch konnte ich mich identifizieren. Die Arbeit mit den Tieren gefiel mir, die Umgebung war wunderbar. Es hätte alles so toll sein können, wenn wir uns nicht so seltsam verhalten hätten. Wir lebten so isoliert auf der Ranch, dass ich oft monatelang keinen Fuß auf »fremdes Territorium« setzte. Die Pferde entschädigten mich zumindest ein bisschen.
  38. Wenn ich mit Kai und Julian ausritt, um eine große Kuhherde zu treiben, konnte ich mich austoben. Wir gebarde- ten uns dann wild und ungestüm. Schöne Momente erlebte ich auch mir Kai allein. Wir ritten über die Weiden, suchten die neukeliorefieri Kälbchen und gaben ihnen Namen. Dann war ich dem Leben, W|(. ich es fühlte, ganz nah. Kai und ich waren nie besonders gesprächig, wir gehörten eher zu den ruhigen Charakteren. Wir redeten auch nie über unsere Gefühle und die Erlebnisse in der Großfamilie. Dabei hatten wir viele gemeinsame Erfahrungen, schliefen Matratze an Matratze und bekamen gegenseitig mit, was sich über und unter der Bettdecke abspielte. Wahrscheinlich hatten wir die Gesetze schon verinnerlicht und führten deshalb kein persönliches Gespräch. Heute weiß ich, dass Kai die sexuellen Eskapaden mit Janet ebenfalls zusetzten. Unser Medium war alles andere als seine Traumfrau, und er musste sich all die Jahre hindurch überwinden. Ich sprach auch nie mit meiner Mutter über persönliche Belange. Artig versuchte ich mich von ihr zu lösen, wie es die Gruppendoktrin verlangte. Es gelang mir recht gut. Dennoch machte mir ein einschneidendes Erlebnis in jener Zeit deutlich, dass ich gefühlsmäßig stärker von ihr abhängig war, als ich geglaubt hatte. Es begann damit, dass Benno Lisa neckte. Zusammen mit anderen Männern legte er sie auf den Tisch und kitzelte sie. Außerdem leckte er ihr mit der Zunge das Gesicht ab. Benno gebärdete sich wild und Lisa fühlte sich bedrängt. Sie wehrte sich, was die Männer erst recht herausforderte. Meine Mutter wurde wütend und brach in Tränen aus.
  39. Eigentlich wurde von uns in solchen Situationen erwartet, dass wir losließen und uns in das Schicksal fügten. Benno wollte sie auf ihr Fehlverhalten aufmerksam machen, doch meine Mutter ließ sich nicht beruhigen. Es passierte nicht häufig, dass sich ein Familienmitglied wehrte. Ich konnte mich gut in Lisa einfühlen und litt mit ihr. Dabei spürte ich seit langem zum ersten Mal, dass uns mehr verband, als ich gedacht hatte. Lisa stürmte wutentbrannt aus dem Zimmer. Sie kam auch am Abend nicht zurück. Ich hatte Angst um sie, da sie zu radikalen Reaktionen neigte, wenn sie sich verletzt fühlte. Es wurde Nacht und sie kam nicht. Nach langer Diskussion starteten wir eine Suchaktion, aber Lisa war nicht auffindbar. Ich hatte eine schlaflose Nacht. Lisa tauchte auch am anderen Morgen nicht auf. Zu- mindest hatte ich die Gewissheit, dass sie das Land nicht verlassen hatte, da die Pässe eingeschlossen waren. Ich erinnerte mich sofort an das dramatische Erlebnis zu Hause, als meine Mutter mit Bauchschmerzen in den Wald geflüchtet war. Ich vermutete, dass sie sich irgendwo im Dschungel versteckt hatte. Hoffentlich lebt sie noch, betete ich. Am Mittag folgte endlich die Erlösung: Lisa kam zurück. Meine Mutter war immer noch aufgebracht. Sie ging schnurstracks zu Benno und teilte ihm mit, dass sie ihre Sachen packen und in die Schweiz zurückkehren würde. Zu meiner Überraschung machte sie Benno keine Vorwürfe, sondern suchte die Schuld bei sich. Sie habe über sich nachgedacht und sei zum Schluss gekommen, dass sie die Voraussetzungen nicht erfülle, das anspruchsvolle Experiment zu bestehen. Mich zerriss es schier. Sie begann
  40. ihren Arbeitsplatz säuberlich aufzuräumen und ihre Abreise vorzubereiten. Das war der große Moment für Benno. Er sprach wie ein gütiger Vater zu ihr und zeigte viel Verständnis für ihren Kummer. Seine Worte berührten sie zutiefst, sie brach erneut in Tränen aus. Bis Benno sie umstimmte und sie wieder lachen konnte. Die Befreiung war ihr förmlich anzusehen. Sie blühte auf. Wenn das kein Beweis für den Erfolg unseres Experiments war! Sobald wir vom spirituellen Licht erfüllt waren und in unserer inneren Mitte ruhten, waren wir wie verwandelt. Seht ihr das Wunder, sagte Benno in solchen Situationen. Tatsächlich, musste ich mir eingestehen. Wir würden schnell altern, wenn wir »draußen« ein normales Leben führen würden, warnte er uns. Ein Flugzeug Eines Tages verriet mir Benno, er wolle ein Sportflugzeug kaufen. Ich schaute ihn ungläubig an. Das können wir uns doch nicht leisten, meldete ich leise Bedenken an. Ein weiterer Spleen. Benno hatte den he- ben langen Tag Zeit, verrückte Ideen auszuhecken, die er VY »< , O C ' » J ·_> .1 > y J i f- I': nannte. Er hatte eine alte Cessna 182 im Auge. Sibylle und Janet un terstützten sein Vorhaben. Und wer sollte die Maschine fliegen? Niemand in unserer Grunne hatte einen Flugschein. Der Fall war klar. Benno wollte fliegen lernen Mit einem Flugzeug könnten wir unser Grundstück aus der Luft kontrollieren, versuchte Benno den Nutzen der teuren Anschaffung zu er- 7 o
  41. klären. Vor allem in der Trockenzeit könnte er Buschfeuer rasch ausfindig machen. Nach kurzer Zeit hatte er alle überzeugt, dass die Cessna eine absolute Notwendigkeit sei. Und so wurden wir ein Jahr nach unserer Ankunft stolze Besitzer eines Sportflugzeugs. Finanziert von dem Geld, das uns Verwandte zur Abzahlung der Ranch überwiesen hatten ... Wir hatten bald den Ruf, eine reiche Organisation zu sein. Die Anfragen nach Unterstützung und Spenden häuften sich. Auch Gemeinden und Behörden klopften bei uns an. So bat eines Tages sogar ein hochrangiger Politiker, der als korrupt galt, aber auch sehr einflussreich war, Sibylle um Hilfe beim Aufbau der Feuerwehr in seiner Gemeinde. Benno war sofort dafür, schließlich war sein Vater viele Jahre bei der Berufsfeuerwehr tätig gewesen. Sibylle nahm Kontakt zu der Betriebsfeuerwehr einer deutschen Firma auf, die gern bereit war, ein ausrangiertes Gefährt zu spenden. Die Feuerwehrleute freuten sich, direkte Entwicklungshilfe leisten zu können. Sie waren so begeistert von unseren Videos, dass sich ein paar Männer kurzerhand entschlossen, uns im Urlaub zu besuchen und tatkräftig beim Aufbau des Projekts mitzuhelfen. Benno zögerte. Fremde Leute auf der Ranch? Das war eine heikle Angelegenheit. Doch wir konnten die Hilfe deutscher Fachleute gut gebrauchen. Um den Feuerwehrleuten eine Unterkunft bieten zu können, mussten wir dringend zusätzliche Bungalows bauen. So stellten wir sechs kleine A-förmige Häuschen mit je einem Schlafzimmer für zwei Personen auf. Die Feuerwehrmänner aus Deutschland erledigten für uns zwar wichtige handwerkliche Aufgaben, aber es war
  42. aufreibend, fremde Leute zu beherbergen und ihnen etwas vorzuspielen. Niemand durfte einen Einblick in unser Gruppenleben erhalten. Abends beim Biet leisteten ihnen ein paar Gruppenmitglieder Gesellschaft. Benno hielt sich wie immer im Hintergrund. Er bestimmte, wer sich mit den Männern unterhalten musste. Ausgewählt wurden selbstsichere und schlagfertige Familienmitglieder. Trotzdem kam es immer wieder zu heiklen Situationen. Benno rastete jedes Mal aus, wenn im Umgang mit Außenstehenden etwas schief ging. Mit Hilfe der deutschen Gäste wuchs auch schnell der Hangar für die Cessna, den wir am Rande eines Rollfeldes bauten. Einmal mehr zeigte sich: Wenn sich Benno etwas in den Kopf gesetzt hatte, musste es möglichst sofort umgesetzt werden. Auch unsere Lobbyarbeit in Belize war erfolgreich. Dank den Imageaktionen von Sibylle gewannen wir Freunde in der einheimischen Oberschicht. Viele von ihnen besuchten uns und waren begeistert von unseren Projekten, aber auch von unserer Gruppe. Es gelang uns glänzend, alle Besucher bis hinauf zu Regierungsvertretern zu blenden. Unsere Beziehungen retteten uns mindestens einmal vor einer existenzbedrohenden Situation. Mister Peterson, der ehemalige Besitzer der Maya-Ranch, war wütend, weil wir den Vertrag vor Gericht anfochten und die Raten nicht zahlten. Um uns die Hölle heiß zu machen und uns von der Ranch zu vertreiben, bestach er einen hohen Beamten. Dieser sollte eine Razzia auf unserem Gelände organisieren. Ein Bekannter von uns, Polizist bei einer Spezialeinheit, warnte uns rechtzeitig. Denn es stand zu befürchten, dass die korrupte Polizei Drogen auf unserem Gelände
  43. verstecken und bei der Razzia »zufällig« zutage fördern würde. Es herrschte Alarmstimmung. In vielen Sitzungen gingen wir alle möglichen Szenarien durch und diskutierten Abwehrstrategien. Uns blieb jedoch nichts anderes übrig, wir mussten die Ranch durchsuchen. Stundenlang krochen wir auf den Knien umher, schauten unter jedes Möbel, räumten jede Schublade aus, hoben jeden Gegenstand auf. Vergeblich. Wir öffneten Behälter, durchsuchten Fahrzeuge und Maschinen und durchstöberten die Lager. Irgendwann mussten wir erkennen, dass wir unmöglich in jede Ecke leuchten und das riesige Gelände auf den Kopf stellen konnten. Die Lage war bedrohlich. Wir arbeiteten ein Notszenario aus, um zu verhindern, dass die ganze Familie verhaftet werden konnte. Die Bedrohung von außen schweißte uns noch stärker zusammen, die alltäglichen Probleme waren wie weggewischt. Selbst jene Gruppenmitglieder, die sonst eher verträumt wirkten, waren auf Draht. Eines Abends schreckten uns Autolichter am Eingangstor auf. Die Polizei! Panikartig setzten wir den Fluchtplan um, den wir bis in alle Einzelheiten besprochen hatten. Wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen stoben wir aus dem Haus und in kleinen Grüppchen in alle Richtungen. Die Angst jagte mir den Puls in die Höhe. Ich rannte, als würde ich von einem hungrigen Löwen verfolgt. Die Dunkelheit kur- belte meine Angstfantasien noch an. Bilder von Knüppeln, Pistolen und Handschellen jagten durch meinen Kopf. Ich hörte Stimmen im Befehlston über das Gelände hallen und sah mich bereits in einer kleinen schmutzigen Zelle
  44. eingekerkert. Ich konnte kaum etwas erkennen und rannte blindlings hinter Kai her. Plötzlich fand mein rechter Fuß keinen Halt. Ich trat in ein Loch und schlug der Länge nach hin. Hastig rappelte ich mich auf und humpelte weiter. Der Knöchel schmerzte fürchterlich. Ich fluchte leise vor mich hin, biss aber die Zähne zusammen. Kai hatte nichts bemerkt. Unser Plan bestand darin, uns eine Stunde lang zu verstecken und uns anschließend bei einem Bächlein im Wald zu treffen. Nur Sibylle und drei Männer blieben in den Häusern, um die Razzia zu beobachten und mit den Beamten zu verhandeln. Plötzlich schreckte mich ein Motorengeräusch auf. Dann hallte eine laute Stimme durch die Dunkelheit. »Zurückkommen!« Ich fuhr zusammen. Was bedeutete das? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. »Fehlalarm!« Benno raste mit seinem Landcruiser über die Weiden und versuchte, uns zusammenzutrommeln. Ich atmete erleichtert auf und humpelte zu den Häusern zurück. Bei dem mysteriösen Besuch handelte es sich tatsächlich um Polizisten, doch sie suchten keine Drogen, sondern guatemaltekische Gangster, die sich in der Gegend versteckt hielten. Die Beamten wollten von uns wissen, ob wir Fremde auf unserem Gelände beobachtet hätten. Alle waren aufgeregt und sprachen wild durcheinander. Jeder musste seinen Schrecken loswerden. Ich beruhigte mich erst wieder, als ich im Bett lag. Am nächsten Tag ging Sibylle zum Premierminister und bekam tatsächlich eine Audienz. Sie schilderte ihm unsere Sorgen und bat ihn dringend um Hilfe. Dabei erklärte sie ihm, dass
  45. die Foundation gefährdet sei und schlimmstenfalls die Hilfsprojekte zum Wohl seines Landes einstellen müsste. Wir hatten inzwischen mehrere Projekte organisiert oder unterstützt. Sibylle zog alle Register, um den Premier- minister für sich zu gewinnen. Er zeigte viel Verständnis und ließ Sibylle wissen, dass er der Stiftung wohlgesinnt sei. Später besuchte Sibylle auch einen hohen und einflussreichen Vertreter des Commonwealth und konnte auch ihn von unserem Projekt und unserer Arbeit überzeugen. Die erfreulichen Signale von höchsten Regierungsstellen gaben uns neuen Mut. Benno interpretierte sie auch im Sinn unseres Experiments. Es sei ein Beweis, dass wir mit unseren geistigen Kräften ein positives Energiefeld schaffen und das Böse abwehren könnten. Rituale Unser Projekt und die Ranch wuchsen, und auch ich hatte das Gefühl, allmählich erwachsen zu werden. Ich begann mich zaghaft zu wehren. Ich gab Benno zu verstehen, dass er mich mit seinen Sticheleien auf die Palme trieb. Ich spürte, dass es mir gut tat, wenn ich ihm etwas entge- gensetzen konnte. Es gelang mir vorerst aber nur, wenn ich aufgebracht war. Und beim Thema Sex wagte ich es immer noch nicht, ihm die Wahrheit zu sagen. Immer wieder stellte ich mir vor, wie es wäre, irgendwo »draußen« zu leben. Ich konnte stundenlang davon träumen. Um wenigstens eine Ahnung davon zu bekommen, hing ich den anderen Gruppenmitglie- dern an den Lippen, wenn sie von Erlebnissen aus ihrem früheren Leben berichteten. Ich konnte ihnen stundelang zuhören und löcherte sie mit Fragen. Ich bekam glänzende Augen,
  46. wenn mir jemand von früheren Zeiten erzählte.
  47. Mein Wissensdurst war grob, wachsenen erfahren konnte. Geistig lebte ich aus zweit« bekam kaum mit, was sich in der Welt draußen abspielte am besten informiert, da er einen beträchtlichen Teil se dem Fernseher verbrachte. Wichtige politische Ereignisse wurden m den Meetings erwähnt. So erfuhr ich beispielsweise, dass der US-Präsi- dent Bill Clinton die Wahlen gewonnen hatte und Gerhard Schröder in Deutschland Helmut Kohl abgelöst hatte. Meine Defizite in der Allgemeinbildung versuchte ich mit Hilfe von Zeitschriften auszugleichen. Familienmitglieder oder Besucher brachten sie aus Deutschland mit. Ich war richtig scharf auf die Illustrierten und stürzte mich darauf, wenn Benno und Janet sie gelesen hatten. Die Artikel halfen mir, in die fremde Welt einzutauchen. Selbst in den Klatschblättern las ich jeden Buchstaben. Gescheite Bücher gab es kaum, gelesen wurden vor allem Science-Fiction- Schinken, die mir aber wenig sagten. Ab 1997 hielt dann die moderne Kommunikationstechnik bei uns Einzug. Wir gingen online. Das war eine Sensation. Es ging aber vor allem um den Mailverkehr. Außerdem brauchten wir für unsere Stiftung eine Homepage. Leider konnte ich die Möglichkeiten des Internets damals nicht nutzen. Surfen im Web gab es bei uns nicht. Eine weitere Möglichkeit, wenigstens emotional aus dem Grup- penmief zu flüchten, bot sich mir beim Tanzen. Janet zeigte mir Samba-Schritte, und so tanzten wir gelegentlich in unserem kleinen Schlafzimmer. Ich versetzte mich in Gedanken in einen Tanzsaal und genoss es, die rhythmische Musik in mich aufzunehmen und in harmonische
  48. Bewegungen umzusetzen. Es bedeutete für mich Freiheit, obwohl wir kaum genügend Platz hatten, uns zu drehen. Es war die Freiheit, ein paar Gefühle auszudrücken, ohne mich kontrollieren zu müssen. Hier wurde meine Fantasie beflügelt, und ich konnte in eine fremde Welt flüchten. Mich durchströmte dann ein Glücksgefuhl. Dabei störte mich nicht einmal der Umstand, dass ich mit der Frau tanzte, die mir das Leben ansonsten eher schwer machte. Es folgten jedoch Meetings, die mich wieder auf den Boden holten. Benno fragte die beiden sechzehnjährigen Mädchen Karin und Linda: »Wie steht es eigentlich bei euch in Sachen Sex? Wollt ihr alte icn sotf aiic WA
  49. Jungfern werden?« Die beiden Mädchen waren überrumpelt, fingen sich aber rasch. Beide signalisierten ihm, dass sie dies auf keinen hall wollten. Das war die Antwort, die Benno von ihnen erwartet hatte Er hakte nach, wer unter den Männern denn ihr Favorit sei. Alle Augen ruhten auf den beiden Mädchen. Sie überlegten und rangen sich zu einer Antwort durch. Karin nannte Huba, der mit seinen 36 Jahren zur jüngeren Garde gehörte. Und Linda nannte Norbert, unseren Koch. Benno wäre selbst auch nicht abgeneigt gewesen, diese »höhere Aufgabe« zu übernehmen. Er hatte stets einen Kult um die Entjungferung gemacht. Und er flirtete oft mit Karin. Mir gab er aber zu verstehen, dass ich keinen Grund zur Eifersucht hätte. Ich sei seine Traumfrau, er verehre meinen Körper, beteuerte er mir. Einzig meine glatten dunkelblonden Haare entsprächen nicht ganz seinem
  50. Wunschbild. Dunkle gelockte Haare, wie Karin sie habe, gefielen ihm ein bisschen besser ... Karin hätte wohl auch nichts dagegen gehabt, von Benno in die Welt der Sexualität eingeführt zu werden. Sie verehrte ihn über alle Maßen und war eifersüchtig auf mich. Du hast ja keine Ahnung, was es bedeutet, Bennos Geliebte zu sein, dachte ich. Ich wusste nur zu gut, dass Benno auf junge Frauen oder Mädchen stand. Die Entjungferung war für ihn ein Mythos der höheren Art, der seine Fantasie enorm beflügelte. Bei jeder Gelegenheit schnitt er das Thema an. Er beteuerte mir zwar immer wieder, dass ich seine letzte Beziehung sei, nach mir gäbe es für ihn keine andere Frau mehr. Doch ich spürte, dass er ganz schön in Fahrt kam, wenn er mit Karin schäkerte. Dabei ertappte ich mich, dass ich trotz der bedrückenden Erlebnisse im Bett eifersüchtig wurde. Eine absurde Situation. Ich ekelte mich vor ihm und fühlte mich dennoch verletzt, wenn er mit Janet seine Sexspiele vollführte oder mit Karin flirtete. Ich befürchtete, dass Benno sich auf Karin einlassen könnte, weil sie offenbar bereit war, auf Sexspiele der harten Art einzugehen. Sie machte kein Geheimnis daraus, wenn über sexuelle Vorlieben gesprochen wurde. Huba erhielt den Zuschlag. Er sollte Karin die Unschuld nehmen. Doch Huba schien der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. So jedenfalls schilderte sie es hinterher. Mir einer erstaunlichen Selbstsicherheit stürmte sie in unser Zimmer und beklagte sich bei Benno. Huba stand arg unter Druck. Benno meinte vielsagend, am Schluss müsse er die Aufgabe selbst übernehmen. Es sei
  51. wichtig, dass Karin einen richtigen Mann bekomme, um beglückende Liebeserfahrungen zu machen. Ich wusste nicht, wie ich mit der demütigenden Situation umgehen sollte, und versuchte, die Geschichte mit mir selbst auszu- machen. Es kam dann doch nicht so weit. Nach mehreren Versuchen schaffte es Huba, Karin zu entjungfern, wie sie Benno erzählte. Sie machte aber kein Geheimnis daraus, dass sie es lieber mit Benno erlebt hätte. Mit dem Kauf der alten Cessna begann eine endlose Geschichte, die typisch war für Benno. Er entschied eines Tages, dass das Flugzeug eine gründliche Überholung nötig habe. So machten sich er, unser Mechaniker Stefan und viele Helfer an die anspruchsvolle Aufgabe. Sie entdeckten immer neue Schwachstellen und zerlegten die Maschine Stück für Stück. Stefan benötigte über zwei Jahre, bis die Cessna wieder in Schwung gebracht war. Es war eine seltsame Phase. Wir scherzten und lachten zwar häufig, doch es war eine aufgesetzte Heiterkeit. Benno war oft schlecht gelaunt, er nörgelte an uns herum und behauptete, wir würden keine Fortschritte in unserer geistigen Entwicklung machen. Wir fühlten uns bald als Versager. Da manche von uns bis tief in die Nacht hinein an der Cessna arbeiten mussten, hatte ich gelegentlich ein paar Momente für mich allein. Ich hörte dann Kuschelrock und flüchtete in meine Welt, zu meinen Träumen und Sehnsüchten. Benno plusterte sich in dieser Zeit auf wie ein Gockel. Seine Fantasien lebte er offen aus und schien auch noch Anklang damit zu finden. Mit einem Hartgummi-Stab
  52. verfolgte er die Frauen, die mit am Flugzeug arbeiteten, und versohlte ihnen den Hintern. Zunächst kreischten sie vor Vergnügen und genossen die besondere Aufmerksamkeit unseres geistigen Führers. Benno fühlte sich ermuntert und schlug härter zu. Ein Ritual zur Uberwindung körperlicher Gebundenheit, wie es hieß. Einige der Frauen hielten ihren Po extra hin und wünschten sich freiwillig eine Tracht Prügel. Das gefiel Benno. Die Frau soll innerlich frei werden, damit sie Lust am Schmerz und der Demütigung empfinde, predigte er. Und wer provozierte Benno am meisten und konnte nicht genug Hiebe bekommen.' Karin! Das Ritual ging so weit, dass ein paar Frauen voll Stolz vor versammelter Runde ihren nackten, mit blauen Flecken übersäten Hintern zeigten. Wie können erwachsene Frauen sich so etwas antun, fragte ich mich. Und warum präsentierten sie auch noch die Spuren der Entwürdigung? Ich konnte es nicht verstehen. Allerdings schien ich die Ein- zige zu sein, die damit Mühe hatte, alle anderen kicherten vergnügt. Benno wusste, dass mich so etwas abstieß. Ich hatte ja schon Probleme, wenn es ums Fesseln ging. Es war mir lange Zeit geglückt, seinen Wunsch nach seltsamen Sexspielen abzublocken. Doch er ließ nicht locker. Stundenlang schaute er Sexvideos, in denen Frauen gefes- selt und geknebelt wurden. Obwohl mich die Szenen anwiderten, kam ich nicht darum herum, diesen »Anschauungsunterricht« über mich ergehen zu lassen. Welche Stellung würdest du am liebsten ausprobieren, fragte er mich, oder: Welche Szene würdest du gern nachspielen? Keine, hätte ich am liebsten geantwortet.
  53. Doch ich konnte ihm nicht entkommen. Ich druckste verlegen herum und suchte mir die harmloseste Version aus. Aber auch dies war so ekelhaft, dass ich mich jedes Mal mies und verletzt fühlte. Benno verlieh den Masospielen und Schmerzen eine höhere Weihe. Meine innere Blockade verrate eine Schwäche und deute auf verdrängte Probleme hin, erklärte er mir. Diese müssten wir unbedingt ergründen, sonst bleibe das geistige Wachstum blockiert. Er gab sich sehr fürsorglich und betonte immer wieder, dass er mir helfen wolle, mich innerlich zu befreien. »Du musst dich von den körperlichen Bindungen lösen, einfach nur loslassen«, waren seine Worte in solchen Situationen. Die harmloseste Variante bestand darin, dass Benno mich an Fuß- und Handgelenken ans Bett fesselte. Allein schon der Anblick erregte ihn. Er konnte sich nicht satt sehen. Ich fühlte mich ohnmächtig und ausgeliefert. Beim normalen Geschlechtsverkehr hatte ich die Situation einigermaßen im Griff und konnte Bennos Begierden vorsichtig lenken. Doch gefesselt konnte ich nur beten, dass sein Trieb nicht mit ihm durchging. Für Benno war es wichtig, Macht über Frauen zu haben. Wir muss ten uns ihm alle ausliefern. Wenn nicht körperlich, dann seelisch. Er genoss es, wenn er uns demütigen konnte. Auch wenn es nur seine Sticheleien waren. Er schlug mich einfach so aus Spaß. Am liebsten auf den Oberschenkel. Eine »zärtliche« Geste, die schmerzte. Ich durfte es mir aber nicht anmerken lassen. Das wäre ein Makel gewesen. Unsere Gefühle hatten wir unter Kontrolle zu haben. Wer vor Schmerzen schrie, zeigte Schwäche. Wer empört reagierte, ließ weltliche Empfindungen zu. Aber wir
  54. waren göttlich. Vor allem wir Frauen mussten Bennos Machtdemonstrationen ertragen und in allen Situationen Haltung bewahren. Sonst wurden wir mitleidig belächelt und gehänselt. Es war einfacher, den Schmerz hin- zunehmen, als sich in langen Diskussionen zu rechtfertigen. Fast alles war mir lieber, als mit Benno auf der spirituellen Ebene arbeiten zu müssen. Seine Macht musste Benno auch den Männern gegenüber beweisen. Männliches Balzgehabe gehörte zu den Gruppenritualen. Wer Frauen bezirzte und sexuell besonders aktiv war, zeigte seine männliche Kraft. Diese war wiederum Ausdruck der spirituellen Entwicklung. Als junge Frau und Partnerin von Benno wurde ich von den meisten Männern begehrt. Sie durften sogar um mich buhlen. Aber keiner hätte es gewagt, mir ernsthaft den Hof zu machen oder mich zu verfuhren. Benno liebte dieses Spiel. Gern fragte er in die Runde: »Wo sind meine Herausforderer?« Er strahlte dann wie ein Sieger im Ring und genoss seine unangefochtene Machtposition. Dass wir Frauen dabei beliebig verfügbar zu sein hatten, störte niemanden. Auch ich glaubte, das wäre Teil der weiblichen Rolle. Als die Cessna überholt war und Benno seinen Flugschein gemacht hatte, konnten wir uns wieder der Infrastruktur zuwenden. Wir bauten aus zwei Schiffscontainern eine Bäckerei, die Werkstätten nahmen Gestalt an, wir erweiterten die Pferdestallungen. Der Fuhrpark wurde um weitere Nutzfahrzeuge aufgestockt, die wir von deutschen Kommunen und Großfirmen erhielten. Wir bekamen sogar zwei geländegängige Motorräder als Spende, damit wir
  55. auch in der Regenzeit Kontrollfahrten in unserem Regenwald-Schutzgebiet unternehmen konnten. Die Liste der Spender und Sponsoren mit klingenden Namen wurde länger und länger. Stolz nannten wir die Namen im Abspann unserer Videos. Um den Anschein von Seriosität zu unterstreichen, führten wir an, dass uns das Finanzamt München und das Eidgenössische Departement des Innern in Bern die Gemeinnützigkeit zuerkannt hatten. Gut machte sich auch der Hinweis, dass der Premiermi- nister von Belize uns persönlich unterstütze. Ich fühlte mich immer unwohler in dem kleinen und dunklen Zimmer, in dem wir zu sechst wohnten. Oft war es voll mit Leuten, die etwas mit Benno besprechen wollten oder den Rat von Janet suchten. Dann kam ich nicht einmal an meinen Kleiderschrank. Es war so eng, dass ich mich aus dem Zimmer quetschen musste, um ins Freie zu gelangen. Wenn Benno mich fragte, warum ich beim Sex so zurückhaltend und nicht experimentierfreudig sei, gab ich das dunkle und schmuddelige Zimmer als Grund an. Ich glaubte, besser loslassen zu können, wenn wir allein wären und in einer angenehmen Atmosphäre schlafen könnten. Da auch Janet ihm deswegen in den Ohren lag, unternahm er schließlich etwas. Andres plante und zeichnete, und es entstand bald ein Haus mit zwei Schlafzimmern. Endlich hatten Benno und ich ein eigenes Zimmer. Das zweite bezogen Janet und Kai. Ich freute mich auf den Umzug und fühlte mich im neuen Haus und vor allem in dem eigenen Zimmer wie eine Prinzessin. Benno hatte meine Bedingung erfüllt, nun musste ich Wort halten und seinem Wunsch nachkommen. Mir wurde bang. Es hatte sich nur die Kulisse geändert.
  56. Bennos Körper behagte mir in der gemütlicheren Umgebung nicht besser. Er holte die Stricke hervor und schaute mich erwartungsvoll an. Mir gefror das Blut in den Adern. Einzig die Spitzenunterwäsche, die mir Benno für die erste Nacht in unserem eigenen Zimmer geschenkt hatte, gefiel mir einigermaßen. Trotzdem hätte ich am liebsten schnell mein weißes T-Shirt übergestreift und mich in meine Decke gekuschelt. Aber Benno gab nicht auf. Normaler Sex sei doch langweilig, redete er mir immer wieder zu. Entspanne dich, genieße das prickelnde Gefühlsbad, forderte er mich auf. Du wirst einen wunderbaren Rausch erleben. Nur verkrampfte Menschen haben keine Freude an solchen Spielen. Er bearbeitete mich so lange, bis ich an mir zu zweifeln begann Stimmte vielleicht mit meinen sexuellen Empfindungen etwas nicht> Ich war verunsichert und ließ mich von Zeit zu Zeit auf seine Sexspiele mit Stricken und Knebeln ein. Benno wartete bald mit einer weiteren Überraschung auf. Sein vielsagender Blick ließ nichts Gutes erahnen. Schwungvoll öffnete er den Schrank und holte große Metall träger hervor. Ich wusste sofort, was es damit auf sich hatte. Das Requisit kannte ich aus einem Sexfilm. Da ich keinen anderen Ausweg wusste, hatte ich ihm gesagt, dass ich mir diese Szene am ehesten vorstellen könnte. Prompt ließ er ein solches Teil in der Werkstatt anfertigen und führte es mir nun stolz vor. Benno steckte die Träger umständlich zusammen. Es war ein Kreuz aus Edelmetall. Daran wollte er mich fesseln.
  57. Den Schreck in meinen Augen sah er nicht. Im Gegenteil, er verband sie mir. Und er steckte mir einen Knebel in den Mund. Es war ein riesiges Kreuz. Aufrecht band er mich daran fest. Das Seil schnitt sich tief ins Handgelenk, ich hielt die Schmerzen kaum aus. Der Schmerz wurde jedoch mein Verbündeter. Er lenkte mich davon ab, was Benno mit meinem Körper anstellte. Mit Brustklemmen und anderen Werkzeugen traktierte er mich. Und mit weiteren Stricken, die er um Körper und Brust band. Es war die Hölle. Benno war überzeugt, dass er es mir so richtig gut besorgt hatte. So jedenfalls stellte er es mir hinterher dar. Ich hätte heulen können, musste mich aber beherrschen, weil ich sonst weitere Lektionen über mich hätte ergehen lassen müssen. Benno spürte, dass mich seine Sexspiele auch in der veränderten Umgebung nicht beglückten. Er warf plötzlich erneut ein Auge auf Karin. Damit begannen die nächsten Demütigungen. Sie hatte inzwischen Erfahrungen mit verschiedenen Männern in unserer Familie gesammelt und verhielt sich sehr herausfordernd. Im Gegensatz zu mir galt sie als temperamentvoll. Benno rieb es mir gern unter die Nase, dass Karin viel Leidenschaft ausstrahlte. Dann fragte er mich: »Lea, wo ist deine Leidenschaft?« Es machte mich wütend, vor allem, weil ich ihm gegenüber so hilflos war. Immerhin gelang es mir inzwischen, gelegentlich einen Höhepunkt zu erleben. Doch das hatte weniger mit Benno zu tun als viel- mehr mit meinen Fantasien. Ich stellte mir romantische Szenen vor und flüchtete gedanklich in die Arme eines attraktiven Mannes, bei dem ich mich geborgen fühlte. Der
  58. Wunsch, loslassen zu können und mich nicht immer kontrollieren zu müssen, war übermächtig. Überhaupt konnte ich dank meiner Vorstellungskraft viel kompensieren. Wahrscheinlich hielt ich es durch sie einigermaßen aus. Als Benno eines Abends ins Zimmer kam, spürte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Er berichtete mir, dass sich Karin spontan auf seinen Schoß gesetzt und ihn geküsst habe. Es klang so, als sei es fast gegen seinen Willen geschehen. Ich war empört und zeigte ihm das. Ich sei richtig süß, wenn ich mich ärgere, war seine Reaktion. Und er beteuerte mir, dass ich die einzige Frau an seiner Seite sei und immer die Nummer eins bleiben würde. Doch es sei auch seine Aufgabe, alle Familienmitglieder beim geistigen Aufstieg zu fördern. Für Karin sei es ein immens wichtiger Schritt gewesen, sich mutig zu holen, was sie begehrte. Ich hätte ihn ohrfeigen können. Er schob wieder einmal alles auf eine höhere Ebene. Und jemand anderem in die Schuhe. Benno war wie immer fein raus. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass vielleicht auch er verantwortlich für sein Handeln sein könnte. Benno hatte auch positive Seiten, sonst wäre es ihm wohl kaum geglückt, unsere Familie aufzubauen und zusammenzuhalten. Wenn er gut gelaunt war, konnte er sehr witzig sein. Diese Seite schätzte ich an ihm. Wir hatten lustige Momente und alberten oft. Er sagte mir immer wieder, dass er sich ein Leben ohne mich nicht mehr vorstellen könnte. Ich würde mit meiner fröhlichen und verspielten Art viel zur heiteren Atmosphäre der Familie beitragen. Wenn er ins Zimmer kam, zog er sich sofort aus und legte
  59. sich nackt aufs Bett. Dann wollte er sich von mir verwöhnen lassen. Ich sorgte dafür, dass sich seine Stimmung aufhellte und massierte ihm die Füße. Eines Nachmittags kam Karin in unser Zimmer und wollte Benno etwas erzählen. Das war nicht außergewöhnlich, denn dauernd kamen Familienmitglieder, um mit Benno über ihre Erlebnisse oder Sorgen zu reden. Häufig ging es um Konflikte in der Gruppe, es wurde getratscht und gelästert. Benno blieb nichts verborgen, er konnte in jedem von uns wie in einem offenen Buch lesen. Da es für mich an der Zeit war, die Pferde zu füttern, schmiss ich mich in die Stallkleidung und verließ den Raum. Ich hatte zwar ein ungutes Gefühl, die beiden allein zu lassen, doch fand ich auch Karins Gegenwart kaum erträglich. Als ich zurückkam, war Benno allein. Hier stimmt etwas nicht, schoss es mir durch den Kopf. Ich schaute ihn fragend an. Er ließ sich Zeit mit der Antwort. Janet war inzwischen ins Zimmer gekommen. Erst dann beichtete Benno, Karin hätte sich an ihn geschmissen. Ich hätte Benno am liebsten angeschrieen. Doch ich kam noch nicht mal dazu, tief Luft zu holen, da hatte Benno dem Vorfall schon eine höhere Bedeutung zugemessen. Er könnte es sich selbst nicht recht erklären, meinte er, es müssten besondere Energien im Spiel gewesen sein. Er bat Janet, ihm zu helfen, die Sache spirituell zu deuten. Ich war sofort eingeschnürt in meinem Korsett. Keinen Ton brachte ich hervor. Alles tat weh, ich fühlte ein heftiges Ziehen in der Brust. Benno schlug eine Fahrt in den Dschungel vor. Ich saß verunsichert auf der Rückbank und hörte zu, wie Janet die
  60. Sache mit Karin interpretierte. Sie war in ihrem Element. Mit ihren spirituellen Ausfuhrungen entlastete sie Benno. Wie stets vollführte sie ihren theatralischen Zauber. Ich wurde gar nicht wahrgenommen und musste meine Wut hinunterschlucken. Hätte ich mich gewehrt und Benno Vorwürfe gemacht, wäre ich zum Problemfall geworden, was zu endlosen Diskussionen geführt hätte. Dennoch war ich irgendwann an der Reihe. Janet sagte, dass mein Schmerz Ausdruck mangelnder geistiger Reife sei. Es würde immer noch eine große Kluft zwischen Kopf und Herz bei mir klaffen. Ich müsste lernen, aus der engen, bürgerlichen Gefühlswelt auszubrechen. Diesen geistigen Anstoß habe mir Benno mit seinem Seitensprung geben wollen. Ich hatte eine schlaflose Nacht. Auch am nächsten Tag fühlte ich diesen starken inneren Schmerz. Mir war, als sei ein Bulldozer über mich hinweggerollt. Ich konnte es nicht begreifen. Ich war ihm treu, obwohl er mich oft anwiderte, und er beschmutzte unsere Beziehung Ausgerechnet er, der von sich behauptete, einen starken Willen zu haben und geistig weit entwickelt zu sein, konnte offensichtlich eine günstige Gelegenheit nicht ungenutzt lassen. Benno hatte auch dafür eine Erklärung: Eifersucht sei eine wichtige Erfahrung für mich. Ich müsste lernen, damit umzugehen. Ich hasste ihn für diese Worte. Essstörungen Ich war inzwischen neunzehn Jahre alt geworden und der übersinnliche Zauber faszinierte mich immer weniger. Ich schaffte es einfach nicht, den Verstand in die Pampa zu schicken. Doch ich zahlte einen hohen Preis dafür, denn die innere Zerrissenheit trieb mich fast in den Wahnsinn.
  61. Ich war gespalten und reagierte mit psychosomatischen Störungen. Es begann damit, dass ich tagtäglich miterlebte, wie Janet gegen ihr Ubergewicht kämpfte. Sie kontrollierte immer, wie viele Kalorien sie bei ihren Mahlzeiten zu sich nahm. Außerdem musste ich im Auftrag von Benno Shania beim Abnehmen helfen. Verschiedene Familienmitglieder hatten vergeblich versucht, ihre Esslust zu zügeln. Ich nahm die Aufgabe sehr ernst und war oft fix und fertig, wenn ich Shania ertappte, wie sie heimlich Hundefutter in sich hineinstopfte oder trockenes Pferdebrot stahl. Anfangs kostete mich die Betreuung von Shania viel Uberwindung, da ich sie immer noch nicht leiden konnte. Doch mit der Zeit entwickelte sich eine Freundschaft zwischen uns. Mir gelang es, sie dazu zu bringen, kontrolliert zu essen. So schaffte sie es, in knapp einem Jahr etwa 18 Kilo abzunehmen. Auch Benno zeigte ein auffalliges Essverhalten. Wie immer hatte er eine höhere Erklärung parat für seine Schwäche. Die Ursache seiner Fresslust liege in der geistigen und übersinnlichen Schwerarbeit, erklärte er uns. Er müsse also für Ausgleich sorgen. Und Janet machte uns weis, würde er die Nahrungszufuhr reduzieren, wäre er in Lichtge- schwindigkeit in die höheren Sphären aufgestiegen. Das Körpergewicht war in unserer Großfamilie deshalb oft ein Thema. Eines Abends, ich hatte noch die Reste von Janets feinem Menü verdrückt, platzte ich fast und musste würgen. Ich rannte zur Toilette und half etwas nach. Mit einem Schlag fühlte ich mich erleichtert. Die Prozedur war nicht einmal anstrengend. So entdeckte ich zufällig eine Methode, mir rasch
  62. Erleichterung zu verschaffen. Hatte ich zu viel gegessen, gab ich es wieder her. Das animierte mich, stets ein bisschen mehr zu essen als früher. Ich entleerte den Magen heimlich, denn mir war klar, dass meine Methode auf wenig Verständnis gestoßen wäre. Ich wusste ja selbst nicht, warum es mir nichts ausmachte, mich stets nach dem Essen zu erbrechen. Zudem hatte ich den Verdacht, Janet wolle mich mästen. Jedenfalls tat sie alles, um weniger Gewicht auf die Waage zu bringen als ich. Ich aber hatte nun ein wirksames Mittel gefunden, ihr einen Strich durch die Rechnung zu machen. Dass ich allmählich eine Bulimie entwickelte, wurde mir erst mit der Zeit bewusst. Dass es diese Krankheit gab und wie sie hieß, hatte ich in einer Zeitschrift gelesen. Bald wog ich trotz meiner 168 Zentimeter nur noch 49 Kilogramm. Ich fühlte mich zerbrechlich -- körperlich und seelisch. Nach kurzer Zeit konnte ich überhaupt kein Essen mehr bei mir behalten. Wenn ich etwas im Magen hatte, fühlte ich mich unwohl und belastet. Ich hatte den unwiderstehlichen Drang, diese Last loszuwerden. Doch niemand ahnte etwas davon. Ich wurde zwar oft auf meinen Gewichtsverlust angesprochen, mit einer beschwichtigenden Antwort war die Sache aber abgetan. Das Erbrechen nahm rasch dramatische Ausmaße an. Obwohl ich fast nur noch Haut und Knochen war, verlor ich weiter an Gewicht und Kraft. Ich musste mich sehr konzentrieren, um meine Arbeiten noch einigermaßen erledigen zu können. Abends war ich total erschöpft. Trotzdem ging ich nach jedem Essen wie von einer magischen Kraft getrieben aufs Klo. Mich plagte dennoch ein schlechtes Gewissen. Ich ahnte, dass mein Verhalten
  63. krankhaft war. Diese Krankheit begrüßte ich zugleich. Jetzt wusste ich endlich, woran ich litt. Die Ranch und das Projekt der Stiftung waren so weit aufgebaut, dass der Betrieb fast reibungslos funktionierte. Probleme hatten wir allerdings immer noch mit dem ehemaligen Besitzer. Im Dorf machte das Gerücht die Runde, Mister Peterson versuche uns mit Hilfe von Voodoo-Flüchen von der Ranch zu vertreiben. Ein Mitarbeiter riet uns, eine Voodoo-Priester in um Hilfe zu bitten. Er kenne eine Frau mir großem magischen Potenzial. Nach langen Sitzungen entschlossen wir uns, die Voodoo- Frau zu engagieren. Benno und ich machten uns auf in die Nachbarstadt. Ich war schrecklich aufgeregt. Benno beauftragte mich, die Frau bei ihren Ritualen zu begleiten. Da saß ich dann in einem kleinen, einfachen Holzhaus neben Flo, der schwarzen Frau, und schaute zu, wie sie ihren Zauber entfaltete. Sie zündete eine rote und eine schwarze Kerze an, rauchte eine spezielle Zigarre und brabbelte einen unverständlichen Singsang. Plötzlich hielt sie inne und stach mit einer theatralischen Geste eine Nadel in ihren Glimmstängel. Sie wirkte wie in Trance, verzerrte das Gesicht und leierte unverständliche Verse vor sich hin. Mir kam das Ritual merkwürdig vor, und ich wollte schnell diesen düsteren Raum wieder verlassen. Aber wir wollten Herrn Peterson endlich loswerden und hofften, der alte Mann würde bald sterben. Wir glaubten, er stünde mit den bösen, dunkeln Kräften in Verbindung, die gegen das Licht ankämpften. Eine Woche nach dem Voodoo-Zauber verunfallte der Sohn des alten Peterson mit dem Auto. Er gehörte in unseren Augen zu den Drahtziehern, weil er befürchtete, sein Erbe
  64. zu verlieren. Als uns die Nachricht erreichte, waren wir dann doch ein wenig geschockt. Hatten Flos Voodoo- Künste tatsächlich den Unfall ausgelöst? Wir gelangten zu der Uberzeugung, dass Flo magische Kräfte besaß. Ich besuchte sie fortan regelmäßig und brachte ihr Lebensmittel, ab und zu auch einen Umschlag mit Geld. Ich zweifelte allerdings immer mehr daran, dass die Magierin mit ihren übersinnlichen Kräften Menschen beeinflussen oder gar verfluchen konnte. Als in den nächsten Wochen die Prophezeiungen von Flo nicht eintrafen, wonach Herr Peterson bald das Zeitliche segnen sollte, sinnierte Benno im Rahmen unseres Führungsteams über kosmische Zusammenhänge und übersinnliche Kräfte. Er kam zu dem Schluss, dass wir uns nicht auf die Energien einer unbedeutenden Voodoo-Frau verlassen, sondern uns auf unsere eigenen Fähigkeiten besinnen sollten. »Wir haben doch auch manifestierende Kräfte und können selbst <j, negativen Energien abwehren«, sagte er. In solchen Situationen api* lierte Benno an die Verantwortung von Janet. Denn wenn wir nicht einmal genug übersinnliche Energien besitzen würden, um die Dinyt auf der Erde zu beeinflussen, wie sollten wir dann auf die höheren Sphären einwirken können? Janet fühlte sich in die Ecke gedrängt. Sie drehte und wendete sich wie ein Wurm, der nicht wusste, in welche Richtung er sich davonmachen sollte. Ich spürte deutlich, dass unser Medium selbst manchmal an ihren übersinnlichen Fähigkeiten zweifelte. Trotz unserer Abgeschiedenheit war die Foundation in Belize und den deutschsprachigen Ländern bekannt. Viele
  65. Politiker und Manager verfolgten unsere Arbeit. Ein Highlight war für uns der Besuch des berühmten Regisseurs Francis Ford Coppola, der in Belize ein Feriendorf besaß. In der Regenzeit musste er gelegentlich unsere Landebahn benutzen, weil seine Piste unter Wasser stand. Prominente Gäste wurden von Sibylle durch unsere schöne Kulisse geführt. Eventuelles Misstrauen verschwand spätestens dann, wenn sie mit eigenen Augen sahen, was wir alles erschaffen hatten. Und das war zweifellos beeindruckend. Wir hatten denn auch das Gefühl, nach außen immer »irdischer« und angepasster zu wirken. Die hohen Besuche gaben uns die Bestätigung, sogar im weltlichen Sinn bedeutend und wirkungsvoll zu sein. Damals hatte ich keine Skrupel, dass wir sie schamlos täuschten und hinters Licht führten. Ich glaubte Bennos Argumenten, dass die im Materiellen verhafteten Menschen unsere hehren spirituellen Absichten nicht verstehen könnten. Deshalb müssten wir uns ihrem geistigen Niveau anpassen und die gesellschaftlichen Gepflogenheiten, soweit sie filr uns nützlich waren, übernehmen. Wir wurden immer mutiger und organisierten einen großen Empfang für die High Society von Belize auf unserer Ranch. Schließlich engagierten wir uns unter anderem für den Regenwald und die Ausbildung junger Belizer. Der Empfang war ein großer Erfolg, In der Gruppe herrschte Aufbruchstimmung. Nur mir ging es schlecht. Ich spürte, dass meine Essstörung gefahrlich war, doch ich wusste nicht, wie ich diesen Teufelskreis durchbrechen konnte. Je schwächer ich wurde, desto weniger brachte ich
  66. die Kraft auf, das Essen bei mir zu behalten. Ich funktionierte zwar nach außen einigermaßen und erledigte meine Arbeit mit den Pferden, doch ich fühlte mich leer und schleppte mich durch den Alltag. Irgendwann war meine Verzweiflung so groß, dass ich allen Mut zusammennahm und mich Benno offenbarte. Ich achtete darauf, dass auch Kai im Zimmer war. Von ihm erhoffte ich moralische Unterstützung. Trotzdem wurde es ein schlimmes Erlebnis. Benno schob mein Problem mit ironischen Sprüchen beiseite. Es konnte nicht sein, dass ich als geistig hoch entwickeltes Wesen und seine Partnerin unter etwas litt. Er machte sich lustig über meine Brechorgien. Benno setzte noch einen drauf. Es ist doch so, sagte er, dass Frauen mit Essstörungen keine Chance auf Besserung haben, wenn man ihre Krankheit nicht ernst nimmt, oder? Das war der Gipfel an Zynismus. Und er wusste, wie ich reagieren würde. Denn ich wollte ja stark sein. Ich verstand einmal mehr, dass ich nicht auf Unterstützung von ihm hoffen konnte. Ich musste mich selbst aus dem Sumpf ziehen. Es wurde ein langer und harter Kampf. Mein Magen rebellierte, er wollte nichts behalten. Ich musste mich zwingen, etwas hinunterzuschlucken. Kaum war das geschafft, rebellierte er. Er wollte alles wieder hergeben. In dieser Zeit blieb auch die Menstruation aus. Ein weiteres Signal meines Körpers. Ich vertrug nur leichte Kost. Wochenlang aß ich nur Früchte, Reis und Salat. Bei anderen Nahrungsmitteln drehte es mir den Magen um. Benno und Janet hänselten mich oft deshalb, doch ihre Sprüche perlten inzwischen an
  67. mir ab. Mein Körper bedankte sich bald dafür, dass er wieder Vitamine und Spurenelemente bekam. Langsam kehrte ein Teil der verlorenen Energie zurück. Das machte mir Mut. Ich hatte gelernt, dass ich mir selbst helfen musste. Das stärkte mein Selbstwertgefuhl mehr als alle Komplimente, nach denen ich früher so gelechzt hatte. Keine Grenzen Unsere finanzielle Situation war trotz der Spenden oft so angespannt dass wir immer wieder Krisensitzungen abhalten mussten. Gemeinsam überlegten wir dann, von welchen Eltern oder Verwandten wir weiteres Geld erbetteln könnten. Das war natürlich nur möglich, wenn wir die potenziellen Spender überzeugten, dass wir ihr Geld in ein sinnvolles Projekt der Stiftung investierten. Mit unseren herzerweichenden Videos gelang es uns immer wieder, Spenden zu erwerben. Dass wir das Geld vor allem für unseren Lebensunterhalt brauchten, ahnte niemand. Manche Familienangehörige oder Verwandte besuchten uns, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Da die meisten skeptisch waren, bewirteten wir sie königlich und spielten ihnen eine heile Welt vor. Besuche aus der Schweiz bedeuteten für mich immer eine Belastung. Es freute mich zwar, meiner Großmutter, meinem Cousin oder Onkel die Ranch und die wunderschöne Gegend zu zeigen. Ich war stolz, ihnen meine Arbeit mit den Pferden vorzuführen. Doch der Rest war ein Horror, weil ich nicht offen sein konnte, sondern ihnen etwas vorspielen musste. Ich führte sie in »mein« schönes Zimmer, das wir vorher entsprechend hergerichtet hatten. Lisa und Andres mimten die stolzen Eltern, wir gaben das Bild einer glücklichen Familie ab, ob-
  68. wohl wir nur noch wenig miteinander zu tun hatten. Wir blendeten die Leute mit fröhlichen Gesichtern, erzählten ihnen von unseren Plänen, ein Leben im Einklang mit der Natur zu fuhren. Meine Beziehung zu Benno war streng geheim. Er mahnte uns auch eindringlich, kein Wort über unsere spirituellen Ziele zu verlieren. So erzählten wir unseren Verwandten erfundene Geschichten über unser Hilfswerk. Ich war völlig blockiert und hielt mich zurück, weil ich Angst hatte, mich mit einer spontanen Antwort zu verplappern und die Gruppe zu verraten. Es war die reine Tortur. Obwohl ich mich immer auf den Besuch meiner Verwandten freute, hoffte ich schon kurz nach ihrer Ankunft, sie würden bald wieder abreisen. In Wirklichkeit waren wir auch selten die harmonische Gruppe, als die wir uns unseren Besuchern präsentierten. Das zeigte sich beispielsweise bei einem Ritual zur Disziplinierung von Ute. Der Grund war eigentlich banal. Ute entsprach nicht dem Idealbild der weichen, sanften Frau. Sie verhielt sich den Männern gegenüber zickig und zeigte ihre störrische Seite. Benno warf ihr vor, es würde ihr an Demut mangeln. Das war ein Fall fiir unser Medium. Janet dachte sich ein Ritual aus, das Ute läutern sollte. Ute musste an den Pranger. Unsere »geistige Quelle« leitete heimlich alle Schritte in die Wege. In solchen Situationen war sie in ihrem Element. Ute hatte keine Ahnung, was sie erwartete. Daniel und Huba mussten sich ganz in Schwarz kleiden und maskieren. So schlichen sie nachts ins Schlafzimmer von Ute, zerrten sie
  69. aus dem Bett und schleppten sie ins Freie. Die beiden Männer fesselten Ute an ein Kreuz, das Janet hatte aufstel- len lassen. Ute wehrte sich anfänglich heftig, fügte sich aber dann in ihr Schicksal. Zwei Stunden lang hing Ute am Folterinstrument. Sie wurde mit Nichtbeachtung bestraft. Anschließend forderte Janet uns auf, Ute zu »besuchen«. Wir mussten der gekreuzigten »Zicke« ungeschminkt unsere Meinung ins Gesicht schleudern und sie beschimpfen. Eine unglaubliche Szene. Am meisten entsetzte mich, dass die Familienmit- glieder sich hemmungslos ins Zeug legten und Ute mit Lust demütigten. Alle waren froh, dass »die andere« am Pranger stand und sie selbst verschont blieben. Angewidert schlich ich mich in mein Zimmer. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, Ute zu beschimpfen. Als ich später nochmals hinaus ging, traute ich meinen Augen nicht. War das möglich? Janet hetzte uns auf, Ute nicht nur mit Worten zu demütigen, sondern ihr faules Gemüse und Dreck an den Kopf zu werfen. Tim, unser Amerikaner, der ohnehin dazu tendierte, Frauen zu quälen, ging aus sich he- raus und war wie von Sinnen. Er riss ihr die Kleider vom Leib, entblößte ihre Brüste und verspottete sie. Ute sagte immer nur: »Oh Gott!« Mehr brachte sie nicht hervor. Der Anblick der gepeinigten Ute war schrecklich. Ihr Gesicht war verschmiert, sie schaute gequält vom Kreuz. Janet musste Tim bremsen. Er hätte Ute halb zu Tode gequält. Die spinnen, dachte ich. Die sind wahnsinnig Und es scheint ihnen sogar Spass zu machen niemand protestierte. In diesem Moment hasste ich Jenct zuf ielst. Da Benno nicht anwsend war, schwang sie das Zepter. Sie hatte das
  70. ritual angeordnet war nur eji&L dass es uns Familienmitgliedern eigentlich verboten war sich ein Urteil zu bilden oder jemanden zu verurteilen. Als zwei Männer Ute endlich losbanden, war sie kaum noth wi derzuerkennen. Sie sah schlimm aus. Janet begann, Ute die Gründe f die Läuterung am Pranger darzulegen. Ute hörte ihr regungslos zu. Sie wusste, was Janet und die ganze 1 miiie von ihr erwartete. Sie musste sich demütig geben und ihre W hinunterschlucken. Alles andere wäre ihr als Schwäche, Uneinsichti keit und spirituelles Unvermögen angelastet worden. Ute m immer nur. Die Gesichter der Familienmitglieder hellten sich allmählich auf. Die Atmosphäre entspannte sich. Ute hatte begriffen! Dann fing sie an zu weinen. Sie, die burschikos wirkte und harte Züge aufwies, ließ die »weichen Energien« wieder fließen, wie dies von uns Frauen verlangt wurde. Sanft und hingebungsvoll sollten wir sein, so verlangte es Ramtha. Und so gefiel es Benno. Plötzlich ergriff Ute die Flucht nach vorn und begann zu lachen. Damit zeigte sie, dass sie die Erniedrigung akzeptiert und die Lektion begriffen hatte. Ich war froh, dass der Alptraum vorbei war. Gleichzeitig gab Ute ein Bild ab, das mich erschütterte: Verschmutzt und geschunden stand sie da und lachte! Als Ute ihre Stimme wieder gefunden hatte, begann sie sich bei Janet zu bedanken. Damit gab sie dem Wahnsinn genau die höhere Bedeutung, die Janet bei solchen Ritualen erwartete. Utes wundersame Verwandlung von der hässlichen Rebellin zur sanften Frau war für uns der Beweis, dass die Aktion am Pranger sie geläutert hatte. Und dass sie geistig gewachsen war.
  71. Das Erlebnis mit Ute führte mir wieder vor Augen, dass ich nicht aufging in der Gruppe. Mir fehlte die Geborgenheit. Von Zeit zu Zeit erlebte ich aber auch kleine Momente des Glücks, die mich mit dem Schicksal vorübergehend versöhnten. Benno war manchmal wie eine Wundertüte für mich. So auch, als ich in einem deutschen Pferdemagazin ein Inserat entdeckte, in dem ein Tier mit riesigem Stockmaß angeboten wurde. Das muss ein besonderes Pferd sein, malte ich mir aus. Ich rannte zu Benno, um ihm das Inserat zu zeigen. Eigentlich hätte ich erwartet, dass er diesem Inserat keine große Aufmerksamkeit schenken würde. Doch er war sofort beeindruckt und beauftragte Sibylle, nach Deutschland zu telefonieren. Sie erfuhr, dass Amadeus, der Shire-Horse-Hengst, noch nicht verkauft war. Ein paar Wochen später reisten Benno und Janet nach Deutschland, um sich Amadeus anzuschauen. Eine verrückte Aktion, denn wir konnten uns das 10.000 DM teure Pferd gar nicht leisten. Zumal die Flugtickets und der Transport hinzukamen. Ich hätte die beiden gern begleitet, um den stattlichen Hengst zu begutachten, schließlich hat- ten Benno und Janet kaum Pferdekenntnisse. Doch ein weiteres Flugticket hätte das Budget gesprengt. Als Benno abgereist war, packte mich tiefe Melancholie. Ich stellte mir vor, wie schön es wäre, wenn er nicht mehr zurückkäme. Wenn ich mit meinen Eltern und meinem Bruder zusammen wieder eine glückliche Familie bilden könnte. Ein solches Leben hätte ich mir durchaus auch auf der Ranch vorstellen können. Ich wagte es nicht, diesen »frevlerischen« Gedanken auszusprechen, denn ich wusste nur zu gut, dass mich
  72. niemand verstanden hätte. Ja, ich rügte mich selbst, dass ich solchen Gedanken nachhing. Die Vorfreude auf Amadeus lenkte mich ab. Ich stellte mir vor, wie toll es wäre, auf diesem wunderbaren Hengst zu reiten. Ich machte Luftsprünge, als Benno anrief und verkündete, sie hätten Amadeus gekauft. Was für eine Verrücktheit! Doch das passte zu Benno. Je unvernünftiger, desto cooler. Wir waren eben nicht so kleinkariert wie die Spießer da draußen. Nur fragte keiner, woher das Geld kam, das uns solche Eskapaden erlaubte. Ich damals auch nicht. Es war eine irre Übung, Amadeus per Flugzeug nach Belize zu transportieren. Ich war total aus dem Häuschen, als wir zum Flughafen fuhren, um das Pferd abzuholen. Der Hengst war tatsächlich eine Pracht. Die Fahrt von Belize City zur Ranch war wie ein Triumphzug. Die Leute schauten dem Hengst, der im offenen Pferdetransporter stand, ungläubig und bewundernd nach. Ein solch stattliches Tier wurde in Belize noch nie gesehen. Wir zeigten allen, was ein gutes deutsches Pferd ist. Vor allem der Peterson-Clan, unsere Erzfeinde, erblasste. Ich erfuhr erst jetzt das Imponiergehabe eine wichtige Motivation von Janet und Benm war, einen solchen Aufwand zu betreiben. Nur die höchsten Ziel<- waren für sie gut genug. Amadeus war ein sichtbares Symbol dafür. Doch unser Triumph sollte nicht lange währen. Amadeus erkrankte schon bald an Salmonellen. Wir mussten ihn vier Wochen lang auf einer separaten Weide in Quarantäne halten. Ich verbrachte Stunden bei ihm und bangte um seine Gesundheit. Ich wäre so gern auf seinem Rücken über die Weiden galoppiert, doch Benno beanspruchte den ersten
  73. Ausritt für sich. Aber so weit sollte es nicht kommen. Die Krankheit schwächte Amadeus. Wir integrierten ihn auf Drängen von Benno in die Herde, was Amadeus in eine zusätzliche Stresssituation brachte. Ich war untröstlich. Das schöne Pferd starb nach zwei Monaten. Wir waren zutiefst erschüttert. Ich war todtraurig und dachte, das sei das Ende des Experiments. Amadeus war für uns mehr als nur ein Pferd, Benno stilisierte den Hengst zum Symbol fiir unser umfassendes Potenzial. Ja, er sagte sogar, wir müssten unser Experiment als gescheitert betrachten, falls Amadeus sterben würde. Durch den Schmerz keimte ein Funken Hoffnung. Wenn Benno seine Ankündigung wahr machen sollte, könnte ich demnächst ein neues Leben beginnen. Was das konkret bedeuten würde, fragte ich mich nicht. Ich hoffte nur, dass es mit mehr Freiheit verbunden wäre. Doch einmal mehr hatte ich mich getäuscht. Benno interpretierte den Tod von Amadeus kurzerhand um. Sein Ableben sei ein wichtiges Signal. Es müsse uns endlich aufrütteln, unsere Visionen vom geistigen Aufstieg umzusetzen. Beschwörend forderte er uns auf, aufzuwachen und voll da zu sein. Es sei unsere letzte Chance, das Experiment zu retten. Ein beklemmendes Schweigen herrschte, wir fühlten uns wieder mal schuldig. Alle saßen mit gesenktem Blick da. Dann deutete Janet den Tod von Amadeus aus ihrer übergeordneten Sicht. Die Gesichter in der Runde hellten sich langsam auf. Zum Schluss bekamen wir die Botschaft aus den kosmischen Sphären, dass es noch nicht zu spät sei für den Aufbruch.
  74. Janet blickte erwartungsvoll in die Runde. Ihre Augen funkelten, als sie rief: »Wollt ihr den Erfolg des Experimentes?* Es gab nur eine Antwort, und alle gaben sie erleichtert: »Ja«, schrien wir wie aus einem Mund. Es waren Momente des kollektiven Taumels. Doch Janet war noch nicht zufrieden. Sie wollte ein lauteres »Jaaaa«. Nun brüllten alle aus Leibeskräften. Dann war der Bann gebrochen. Wir Lachten übermütig und fielen uns in die Arme. Nur ich wusste nicht so recht, was ich von dieser neuerlichen Wende halten sollte. Benno bog seine Ideen und Versprechen nach Belieben zurecht. Und immer so, dass sie seinen Bedürfnissen entsprachen. Mit dem übersinnlichen Vokabular ließ sich alles begründen. Auch das Gegenteil. Gerade so, wie es die Situation erforderte. Nach solchen Meetings flüchtete ich am liebsten zu meinen Tieren. Ihnen konnte ich einen Teil meiner Gefiihle mitteilen. Zu meinen Lieblingen in jener Zeit gehörte auch ein winziges Tigerkätzchen. Es war eine junge Margay, die kleinste belizische Wildkatze, ein Arbeiter hatte sie uns gebracht. Hätten wir dieses Geschöpf nicht aufgenommen, wäre es gestorben. Ich war sofort Feuer und Flamme. Eine zahme Wildkatze auf unserer Ranch versprach für mich Abwechslung und eine neue, spannende Aufgabe. Mit großen, runden Augen schaute es mich ängstlich an. Am Anfang fauchte das Kätzchen laut und furchterregend. Ich musste Handschuhe anziehen, um es aufnehmen zu können. Mit seinem flaumigen, schwarz gepunkteten Tigerfell wirkte es wie ein Wollknäuel. Benno freute sich, dass ich das temperamentvolle
  75. Wildkätzchen aufzog, denn er wollte es auch in seiner Nähe haben. Überglücklich begann ich, das Tigerchen, das wir Leela tauften, aufzupäppeln. Was mitunter schwierig war, denn das Kätzchen war verängstigt und fauchte mich an, wenn ich mich ihm näherte. Doch ich besaß viel Ausdauer und Geduld. Mir war klar, dass es bald sterben würde, wenn es mir nicht gelänge, es zum Fressen zu animieren. Ich nahm Leela auf den Arm und versuchte, ihr kleingeschnittenes Hühnerfleisch in den Mund zu stopfen. Ich redete ihr zu und streichelte sie ausdauernd. Allmählich wurde Leela zutraulich. Das war ein gutes Zeichen. Und plötzlich fing sie mit ihren kleinen spitzen nen an, an einem Fleischstückchen herum zu beißen. Ich jubelte. Wir hatten Leela ein Plätzchen in einem großen Karton neben im serem Bett eingerichtet, aber ich konnte keine Nacht ruhig schlafen Mindestens dreimal vollführte das nachtaktive Tier einen solchen Lärm, dass ich aufstehen musste. Es war ein verspieltes Temperamentsbündel, das seine überbordende Energie an mir ausließ und mir die Arme zerkratzte. Ich gino mit Leela spazieren und genoss die Stille und Einsamkeit. In diesen Momenten empfand ich einen inneren Frieden wie selten zuvor. Ich hätte am liebsten die Nacht umarmt. Auf unseren gemeinsamen Spa- ziergängen hat Leela mir die Dunkelheit nahe gebracht, ich begann sie zu lieben. Leela verhalf mir auch sonst zu mehr Freiraum. Das Kätzchen beschäftigte uns abends so sehr, dass Benno nicht mehr oft an Sex dachte. Das kleine »Baby« brauchte unsere ganze Aufmerksamkeit, was mir natürlich mehr als recht
  76. war. Benno wurde immer ungeduldiger, weil sich auf der spirituellen Ebene die Erfolge nicht einstellen wollten. Vom höheren Bewusstsein, dem geistigen Wachstum und dem Aufstieg war wenig zu spüren. Es gab auch keine Anzeichen der Transformation und des neuen Zeitalters. Benno war deprimiert. Mir war inzwischen aber bewusst, dass er das Experiment nicht sterben lassen konnte, weil seine ganze Existenz an unserem Projekt hing. Seine Spielwiese war die Ranch. Er betrachtete sie als riesigen Sandkasten, in dem er sich wie ein kleines Kind austoben konnte. Dieses Bild bemühte er selbst gern. Janet passte es nicht, dass wir so viel Energie in weltliche Belange investierten. Sie beklagte sich immer wieder, dass die Lichtarbeit viel zu kurz komme. So wünschte sie sich einen intimen Ort, um sich zurückziehen und meditieren zu können. Unser Medium wollte in die Höhe. Ein Baumhaus musste es sein. Dort oben würde es ihr leichter fallen, Kontakt zu den übergeordneten Instanzen und aufgestiegenen Meistern aufzunehmen. So bauten wir ein idyllisches Baumhaus in einen hohen Wipfel. Leela war meine ständige Begleiterin geworden. Das Kätzchen hellte meinen Alltag ungemein auf. Das ging monatelang gut. Doch dann er- krankte das Tigerchen an einer bakteriellen Magen-Darm-Infektion Es verlor rasch an Gewicht und wurde schwach. Hinzu kamen weitere Krankheitssymptome. Ich wagte kaum mehr aus dem Haus zu gehen. Während ich unser Rehkitz Lisa mit dem Fläschchen futterte, überfiel mich plötzlich ein Gefühl tiefer Trauer.
  77. Mir war, als würde Leela mich rufen. Ich ließ alles liegen und stehen und rannte zum Zimmer zurück. Das Kätzchen lag ermattet in meinem Kleiderschrank. Ich setzte mich zu ihm und streichelte es innig. Ich spürte, dass es meine Zuneigung brauchte. Nach einer Weile begann ich zu weinen. In diesem Moment machte es seine letzten Atemzüge. Ich war tief berührt, ja überwältigt. Es war fiir mich ein einmaliges Geschenk, dass ich eine so innige Beziehung zu diesem Tier hatte aufbauen dürfen, das als nicht domestizierbar galt. Benno machte ein riesiges Theater um Leelas Tod. Zuerst rührte mich seine Anteilnahme, mit der Zeit ging mir seine Gefühlsduselei auf den Wecker. Er hörte nicht auf, von Leelas Tod zu sprechen. Mir kam es vor, als sei ein Familienmitglied gestorben. Er wollte den Katzenkörper verbrennen und veranstaltete ein Ritual zu Leelas Ehren. Mit Hingabe baute er einen Scheiterhaufen und drapierte ihn mit Kristallen und Spielsachen des Kätzchens. In einer spirituellen Zeremonie verabschiedeten wir Leelas Seele und begleiteten sie geistig auf eine andere Ebene. Benno schwärmte noch lange von der tollen Feier. Das denkwürdige Ritual habe uns geistig weiter verschmelzen lassen. Benno markierte in unserer Gruppe zwar den selbstsicheren Führer, die Öffentlichkeit aber scheute er nach wie vor. Wenn sich Besuch ankündigte, verkroch er sich und schickte Sibylle vor. Sie war quasi unsere Außenministerin. So war es auch bei der Hochzeit von Gary. Er war der Polizist, der uns vor der geplanten Razzia gewarnt hatte. Benno konnte solche Anlässe nicht ausstehen und sah es auch nicht gern, wenn wir daran teilnahmen. Doch wir
  78. konnten die Einladung nicht ausschlagen, das wäre für die Einheimischen ein Affront gewesen. In der Regel musste ich Benno bei solchen Gelegenheiten zu Hause Gesellschaft leisten. Er hatte dann meist eine Stinklaune und war unruhig. Er befürchtete, es könnte etwas schieflaufen. Um ihn abzulenken, massierte ich ihm die Füße. Da Janet unsere Delegation begleitete, durfte ich auch am Fest teilnehmen. Ich fühlte mich aber nicht wohl, weil ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte. Uns allen saß die Angst im Nacken. Es gab nichts Schlimmeres, als im Kontakt mit der Außenwelt einen Fehler zu begehen. Die Aufregung war überflüssig, wir überstanden das Fest ohne heikle Situation. Nicht aber unsere Mägen. Am nächsten Morgen lagen wir mit einer Lebensmittelvergiftung im Bett. Auch mir ging es mies. Ich hatte fürchterlichen Durchfall und fühlte mich elend. Da ich trotz der überwundenen Bulimie immer noch untergewichtig war, zehrte mich die Krankheit erst recht aus. Als es mir wieder etwas besser ging, wollten Benno und Janet mich mästen. Ich bekam leckere Spezialmenüs und musste doppelte Portionen verschlingen. Mir schwante, dass Janet mich zum Pummelchen aufpäppeln wollte, weil sie mich um meine Figur beneidete. Einmal mehr unterzog ich mich dem idiotischen Spiel, wehrte mich jedoch auf meine Art. Ich suchte mein Heil im Sport und trainierte die überzähligen Kalorien konsequent ab. Bei jeder Gelegenheit stieg ich auf den Hometrainer oder joggte. Als Benno das Essritual entnervt abbrach, war dies mein Sieg. Ich hatte mich endlich einmal durchgesetzt, wenn
  79. auch auf Umwegen. Benno wollte wissen, weshalb ich mich so sehr sträubte, ein paar Pfunde zuzulegen. Ich zögerte mit der Antwort. Findest du meinen dicken Bauch abstoßend, fragte er mich. Niemals hätte ich mich getraut, dies zuzugeben. Psychisch blieb ich instabil. Ich konnte mir nicht erklären, was mich derart umtrieb. Plötzlich bedrängten mich dunkle Gedanken und Ängste. Bisher hatte ich es immer geschafft, solche Vorstellungen wegzudrängen. Diesmal war ich ihnen ausgeliefert. Ich entwickelte regelrecht Todessehnsüchte. Ich erhängte mich im Geist unzählige Male mit einem Strick. Diese Zwangsbilder wurden zur Hölle. Ich begriff überhaupt nicht, was mit mir los war. Es ging mir doch gut. Ich hatte die Tiere, die ich so sehr liebte, die schöne Ranch, an der ich hing, die herrliche Umgebung. heute weiss ich, dass die Todessehnsuechte ein Aufschrei meiner ge schundenen Seele waren Da ich keine Möglichkeit sali, in diev m Leben frei zu werden, sc Inen mir der Jod der einzige Weg in die rrei heit zu sein. Doch damals konnte ich diese Zusammenhänge nicht erkennen. Ich hatte gelernt, seelisc he Schmerzen als Prüfung zu interpretieren und die Fehler bei mir zu suchen, also ric hrete ich auch alle Aggressionen gegen mich. Ich redete mir ein, dass Benno mich liebte und nur das Beste für mich wollte. Natürlich wusste ich, dass Benno nicht der ideale Liebhaber für mich war. Aber er sorgte für mich und beschützte mich. Dank ihm genoss ich Privilegien und Ansehen in unserer Familie. Ein Jungtier holte mich aus meiner Verzweiflung. Ich hatte zwar nicht geglaubt, dass ich nach dem Tod von Leela so
  80. schnell wieder eine innige Beziehung zu einem Tier würde aufbauen können, doch es sollte anders kommen. Ich saß in unserem Essenszelt, das wir als Restaurant für Gäste gebaut hatten, als mir Kai einen flauschigen Wollknäuel in den Schoss legte. In meinen Händen krabbelte ein winziger Waschbär, ein putziger kleiner Wicht. Mein Gesicht hellte sich sofort auf. Der kleine Racoon, wie Waschbären in Belize heißen, eroberte auf Anhieb mein Herz. Er war etwa drei Wochen alt, einer unserer Angestellten hatte ihn gefunden. Es war keine Frage, wer die Mutter des Bärchens würde. Da Waschbären mit ihren dunklen Zeichnungen um die Augen den Anschein erwecken, als würden sie eine Maske tragen, nannten wir den Pelzknäuel Zorro. Das verspielte Tier brauchte viel Aufmerksamkeit und brachte wieder etwas Freude in mein Leben. Mein zwanzigster Geburtstag, der in jene Zeit fiel, ließ meine Laune wieder in den Keller sausen. Ich hatte mich so auf das magische Datum gefreut, denn nun war ich endlich erwachsen. Benno hatte jedoch eine Stinklaune. Er hatte eine Phase, in der er alles scheiße fand. Wir konnten ihm nichts recht machen. Die einzige Geburtstagsgeste kam von Huba und Karin. Sie brachten mir am Morgen einen Blu- menstrauß. Benno zeigte kaum eine Regung, Janet auch nicht. Und selbst meine Eltern nicht. Es war trostlos. Verliebt Der Alltag erhielt einen neuen Färbtupfer mit Alyson Benno harn ihn als Pferdetrainer engagiert. Alyson war ein attraktiver jun#< r Mann, schlank und sportlich. Ich schätzte ihn auf etwa 30 Jahre. Seine feinfühlige und liebenswürdige Art faszinierte mich. Ich war begeis tert,
  81. dass er mit Pferden umgehen konnte und die Gabe hatte, die Vierbeiner in seinen Hann zu ziehen. Er spürte meine Bewunderung und fühlte sich geschmeichelt . Und da die einheimischen Männer ihn Gefühle nicht versteckten, begann Alyson mit mir zu flirten. Ich harte mich daran gewöhnt, dass mir die jungen Angestellten den I lof mach- ten. Doch Alyson warf mich mit seinen Blicken und Spaßen völlig aus dem Konzept. Es gelang mir zwar, seine Annäherungsversuche eine Weile abzublocken, doch er ignorierte meine Abwehr konsequent. Er schaffte es mit der Zeit sogar, Sehnsüchte in mir zu wecken. Bald wusste ich nicht mehr, wie ich mich verhalten sollte. Alyson schien meine Verlegenheit zu spüren und verstärkte seine Charmeattacken. Ich konnte mich ihm kaum mehr entziehen und spürte, dass mein Bauch voller Schmetterlinge war. Er weckte Gefühle in mir, die ich bisher nicht gekannt hatte. Eines Tages musste ich mir eingestehen, dass ich verliebt war. Wir begegneten uns nur im Stall und mussten unsere Zuneigung verstecken. Mit kleinen Gesten und innigen Blicken drückten wir unsere Sehnsucht aus. Wir suchten die Nähe zueinander, wann immer dies möglich war. Alyson ging mir oft zur Hand und unterstützte mich vor allem bei den schweren Arbeiten. Unser sechzehnjähriger Teenager Joshua, der mich bei der Stallarbeit unterstützte, spürte als Erster, dass es zwischen Alyson und mir gehörig funkte. Er wusste natürlich, dass dies gar nicht im Sinne des Experiments war. Schließlich hatte uns Benno immer wieder vor Außenkontakten gewarnt. Joshua, sonst eher schüchtern, nahm seinen ganzen Mut zusammen und tat, was ihm sein Gewissen
  82. auftrug: Er teilte Benno seine Beobachtungen pflichtbewusst mit. Als wir abends allein im Zimmer waren, ging es los. Benno fixierte mich und wollte wissen, was es mit Alyson auf sich habe. Ich war über- rumpelt. Seine Frage kam für mich aus heiterem Himmel. In mir zog sich alles zusammen. Ich erstarrte so, dass Benno sofort wusste, was geschehen war. Sein Tonfall und seine durchdringende Stimme lösten bei mir Panik aus. Tausend Gedanken rasten mir durch den Kopf, doch ich brachte keinen Ton hervor. Ich hätte am liebsten geweint, aber ich war wie versteinert. Als ich mich wieder etwas gefasst hatte, wollte ich mich herausreden. Ich merkte aber rasch, dass es keinen Zweck hatte, meine Gefühle für Alyson zu vertuschen. Benno spürte mein schlechtes Gewissen und nahm das Heft in die Hand. Er las wie in einem offenen Buch in mir. »Es ist völlig absurd von dir, dich in einen anderen Mann zu verlie- ben«, tadelte er mich. »Du musst das Kribbeln, das du bei Alyson spürst, auf mich übertragen. Mit deiner Willenskraft und dem spirituellen Potenzial schaffst du das.« Ich war verzweifelt und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ich mobilisierte allen Mut und sagte ihm, dass mir dazu die Kraft fehle. Doch er beharrte darauf. Schließlich finde alles im Kopf statt. »Es gibt nur eine Lösung: Du musst die Situation mit Alyson regeln«, forderte er mich auf. Und zwar sofort. Ich wusste, was dies bedeutete: Ich musste auf der Stelle einen Schlussstrich ziehen. Benno erklärte mir, wie ich es Alyson beibringen und wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte, um glaubwürdig
  83. zu wirken. Es wäre schön, wenn ich für Benno körperlich mehr empfinden würde, dachte ich. Ich wünschte mir sogar, dass ich mich in ihn verlieben könnte. Das hätte mir die Sache so ungeheuer erleichtert. Ich ging mit dem Auftrag zum Pferdestall, die Sache mit Alyson zu klären. Das Gespräch verlief recht gut, fast genau so, wie Benno es prophezeit hatte. Ich sagte Alyson, dass ich einen Freund in Deutschland habe und vergeben sei. Doch meine Gefühle sprachen eine andere Sprache. Wir standen während des Gesprächs Hand in Hand da und drückten uns immer fester. Ohne es zu merken. Alyson hörte wortlos zu. Er lächelte mich an. Unsere Herzen verstanden die Worte nicht und nahmen sie auch nicht richtig auf. Ich kämpfte tapfer gegen meine romantischen Gefühle. Natürlich war ich immer noch in Alyson verliebt, doch ich versuchte, meine Sehnsüchte zu unterdrücken. Schließlich hatten wir über Jahre ge- lernt, unsere ursprünglichen Regungen und Bedürfnisse zu kontrollieren. Mein Wunsch zu sterben lebte wieder auf. Ich hätte Tag und Nacht schreien können vor Verzweiflung, doch mir fehlte die Energie dazu. Ich hielt diese innere Zerrissenheit kaum mehr aus. Da haifauch die Liebe zu den Pferden, zum kleinen Zorro und zur Ranch nicht viel. Der Schmerz übertönte alles. Als ich wieder einmal allein mit Alyson war, schaute er mir tief in die Augen und fragte mich, warum wir nicht einfach unsere Herzen sprechen und unseren Gefühlen freien Lauf lassen würden. Wir könnten uns doch abends heimlich auf
  84. der Weide treffen. Sein Vorschlag wühlte mich auf. Zu meiner eigenen Überra- schung wehrte ich den Gedanken nicht ab. Vielmehr produzierte meine Fantasie tausend Bilder. In mir tobte ein Kampf. Was würde passieren, wenn unsere Beziehung auffliegen würde? Dann müsste ich wohl tun, was ich mir schon lange vorgenommen hatte: mir das Leben nehmen. Dennoch konnte ich nicht anders, ich vereinbarte mit Alyson einen Treffpunkt. Meine Gefühlswelt spielte total verrückt, ich konnte nicht mehr klar denken. Ich musste mich zusammenreißen, damit Benno mir nichts anmerkte. Zur unbeschreiblichen Vorfreude kamen Angst und Schuldgefühle. Mein Vorhaben war ein großer Verrat an unserer Familie. Ich galt als Verkörperung unseres übersinnlichen Projektes, als Vorbild. Und nun wollte ich mich auf einen »gewöhnlichen« Men- schen einlassen, einen Angestellten, einen Einheimischen, einen Farbigen! Das war ungeheuerlich. Ich wusste es, konnte mich aber nicht dagegen wehren. Meine Gefühle waren stärker. Zur verabredeten Zeit schlich ich mich in der Dunkelheit davon und rannte über die Weide. Auf dem Arm hatte ich Zorro, denn das putzige Kerlchen war noch zu klein, als dass ich es hätte allein lassen können. Bist du wahnsinnig, sagte ich mir immer wieder und rannte trotzdem weiter. Zurück konnte ich nicht mehr, die Sehnsucht trieb mich vorwärts. Nur das schlechte Gewissen haftete mir an den Fersen. Mein Herz schlug bis zum Hals. Alyson wartete schon auf mich. Ich zitterte am ganzen Körper. Verrückt, dachte ich, ich bin
  85. total verrückt. Alyson nahm meine Hand, und wir küssten uns leidenschaftlich. Wir fielen förmlich übereinander her und liebten uns innig. Das erste Mal in meinem Leben erlebte ich einen wirklich schönen Liebesakt. Wir saßen noch eine kurze Zeit eng umschlungen zusammen. Als der heftige Rausch etwas verklungen war, meldete sich die Angst. Vermisste mich Benno schon? Suchte mich die Gruppe? Eigentlich hätte ich aufspringen und zurückrennen müssen, doch ich wollte den Moment des unbeschreiblichen Glücks noch ein wenig auskosten. Ich erzählte Alyson, dass ich Bennos Geliebte sei. Deshalb sei das Liebesabenteuer für mich so gefährlich. Er schaute mich entgeistert an. Ein Verhältnis mit dem alten Mann? Ich wollte sein Bild von Benno korrigieren und gab ihm zu verstehen, dass er viele Qualitäten habe und wir den Aufbau der Ranch und unsere Visionen ihm verdanken würden. Alyson schüttelte nur den Kopf. Unsere Gruppe erinnere ihn an ein Militärcamp, sagte er. Die Einheimischen wunderten sich, dass wir so isoliert lebten und nie eine Disco oder ein Fest besuchen würden. Wir gälten als sonderbare Gemeinschaft, die nicht durchschaubar sei. Ich entgegnete ihm, dass unsere Ziele nur erreichbar seien, wenn wir strenge Regeln und Ordnungen einhalten würden. Ich wurde immer nervöser und drängte auf den Abschied. Bis zum nächsten Mal, flüsterten wir uns zu. Dann rannte ich mit meinem flauschigen Fellknäuel in der Hand zu den Wohnhäusern zurück. Ich jubelte und hüpfte vor Freude. Ich fühlte mich wie neugeboren und spürte plötzlich wieder eine unbändigende Energie in mir. Benno saß in unserem Zimmer, umringt von einer Schar
  86. Familienmitglieder. Ich huschte ins Badezimmer, um mein zerzaustes Haar zu kämmen. Die Gruppe war so vertieft in ihre Diskussion, dass sie mich kaum wahrnahm. Ich atmete tief durch und ging zu Benno. Wie beiläufig gab ich ihm einen Begrüßungskuss, nahm ein T-Shirt aus meinem Schrank und ging zurück ins Bad. Als ich unter der Dusche stand, wusste ich nicht, ob dies alles ein Traum gewesen war. Das Wasser prickelte aber so sehr auf meiner Haut, und ein Gefühl tiefer Befriedigung machte sich in mir breit, dass ich wusste: So leicht fühlt man sich, wenn man glücklich ist. Und die Leidenschaft kennen gelernt hat. Niemand schien meine Abwesenheit bemerkt zu haben Dabei hatte ich mir alle möglichen Ausreden zurechtgelegt, hudln h meinte es das Schicksal mal gut mit mir. Obwohl ich ein Tabu gebrochen hatte, stellte sich das schlechte Ge wissen nur zögerlich ein. Vielmehr freute ic h mu h, die Grenzen ge- sprengt zu haben und ein schönes Geheimnis in mir zu tragen. Das war neu für mich. Etwas nur für mich zu haben, einen Schatz, der nur mir gehörte. Es war wunderbar. Alyson und ich teilten eine kostbare Erfahrung, an der niemand sonst teilhaben konnte, die ganz allein uns gehörte. Ich hatte mich endgültig verliebt. Ich hatte das Tor in eine fremde Welt aufgestoßen und wusste augenblicklich, dass damit das übersinnliche Experiment für mich erledigt war. Das wirkliche Leben war viel aufregender. Ich dachte nicht daran, die heimliche Liebesbeziehung zu Alyson abzubrechen. Und so trafen wir uns regelmäßig unter unserem Liebesbaum. Der Rausch riss uns stets von neuem fort, verstärkt durch das Abenteuer des Heimlichen. Ich staunte immer wieder, wie gut wir harmonierten. Es war, als legte
  87. eine höhere Macht einen Schutzmantel über uns. Wir wurden nicht entdeckt, niemand wurde misstrauisch. Nicht einmal Benno, der sonst alles intuitiv zu spüren schien und mich meistens durchschaute, kam hinter unser Geheimnis. Das Alibi lieferte mein kleiner Freund Zorro. »Ich mache noch einen Spaziergang mit dem wilden Kerl«, sagte ich stets zu Benno. »Wenn Zorro Energie loswird, haben wir eine ruhigere Nacht.« Ich täuschte Benno ohne Skrupel. Plötzlich fiel es mir nicht mehr so schwer, seine Geliebte zu spielen. Hauptsache, er merkte nichts von meiner heimlichen Liebschaft. Die Rolle als Geliebte war der Preis für die Freiheit, mich mit Alyson zu treffen. Das Doppelspiel gab mir ein wenig das Gefühl der Überlegenheit. Manchmal beschäftigte es mich schon, dass ich Benno gegenüber so berechnend war. Ich tröstete mich damit, dass ich mich bei Alyson gehen lassen und meine Gefühle ausleben konnte. Auch mein Körper reagierte auf die neue Lebensenergie. Plötzlich setzte die Menstruation wieder ein. Nach über einem Jahr. Benno hatte hingegen seine extreme Phase. Er surfte tagelang im Internet und suchte »heiße Seiten«, wie er sich ausdrückte. Ich hasste es, wenn er geifernd vor dem Bildschirm saß und hemmungslos getes- selte Frauen in obszönen Stellungen begaffte. Er bat mich dann, mich neben ihn zu setzen. Dabei wusste er genau, dass mich die Szenen anwiderten. Zum Glück hatte ich meine eigene Welt mit Alyson, in die ich gedanklich immer wieder flüchten konnte. Ich gewann auch immer mehr Abstand zu unserer Großfamilie. Da mich das Experiment nicht mehr interessierte, konnte ich mich besser behaupten. So gab ich Benno deutlicher als früher zu verstehen, dass
  88. mich seine sexu- Cj eilen Fantasien nicht antörnten. Ich hatte mich oft genug auf seine Fesselspiele einlassen müssen und ihm bewiesen, dass ich innerlich frei genug flir diese Grenzerfahrung war. Nun wehrte ich mich bis zu dem Punkt, bei dem Benno noch keine Grundsatzdiskussion vom Zaun brach. Ich hatte durch ihn gelernt, flexibel zu sein. Nun nutzte ich meine Erfahrungen, um mir möglichst viele Freiheiten zu verschaffen. Ich wagte auch das erste Mal, Bennos Verhalten schonungslos zu betrachten. Der Typ ist krank, dachte ich nun, wenn er sich stundenlang an obszönen Bildern aufgeilte. Benno war von Natur aus faul und bequem. Er ließ sich gern bedienen und bekam sogar das Essen an den Computer serviert. Oft fühlte er sich von den Familienmitgliedern belästigt, die wegen jeder Kleinigkeit seinen Rat suchten. Dann sei ich seine Oase, sagte er zu mir, denn das Experiment zehre an ihm. Dabei wusste er genau, weshalb die Leute mit allen Fragen zu ihm kamen. Sie hatten Angst, eigene Entscheidungen zu treffen, da er sie dauernd belehrte. Ein kleiner Fehler und schon war Benno in Rage. Er wünschte sich zwar selbstständige Gruppenmitglieder, gleichzeitig wollte er alles und jeden kontrollieren. Und immer allein entscheiden. Er ärgerte sich über den »Kindergarten«, den er selbst verantwortete. Mein Vertrauen in Benno bröckelte immer mehr. Ich erkannte plötzlich Widersprüche und konnte mir eingestehen, dass er sich und uns etwas vorspielte und nicht ehrlich war. Benno kannte unsere Defizite und konnte mit unseren
  89. Gefühlen spielen. Wir glaubten, er könne unsere Gedanken lesen. Das gab ihm Macht über uns. Da ich ihm am nächsten stand, kannte ich auch seine Launen und Schwächen am besten. Gleichzeitig spürte er in dieser Zeit, dass ich mich veränderte und mich innerlich immer stärker von ihm und der Gruppe entfernte. Ich hatte gelernt, Abwehrstrategien zu entwickeln und mich vor seinem Röntgenblick zu schützen. Ich legte mir ein zweites Gesicht zu. Meine Veränderung gab ihm Rätsel auf. Ich war einfach nur glücklich. Dank Alyson. Die Schmetterlinge verdrängten das schlechte Gewissen. Mein kleiner Zorro lieferte mir weiterhin eine glaubwürdige Ausrede. Benno wollte mir plötzlich unbedingt meine langen Haare schneiden. Ich war stolz darauf, sie brachten mir viel Bewunderung ein. Sie waren im Laufe der Jahre bis über den Po gewachsen. Ich hatte mich lange erfolgreich gegen Bennos Ansinnen gewehrt, doch nun erhöhte er den Druck. Seine ironischen Sprüche wurden immer spitzer. Außerdem warf er mir vor, ich würde zu sehr an meinen Haaren hängen und mich damit an die materielle Welt binden. Irgendwann war mir der ewige Streit zu blöd und ich gewöhnte mich an die Vorstellung, dass meine Haare vielleicht nur noch bis zur Mitte des Rückens reichen würden. Triumphierend holte Benno die Schere und machte sich ans Werk. Er war aufgekratzt wie selten. Als ich nach der Prozedur in den Spiegel schaute, hätte ich losheulen können. Meine Haare fielen nur noch bis auf die Schultern. Ich fühlte mich verstümmelt und gedemütigt. Ich hatte ihm
  90. deutlich gesagt, dass er nur ein kleines Stück abschneiden dürfe. Ich war so unglücklich über die neue Frisur, dass ich meine Enttäuschung nicht überspielen konnte und auch gar nicht wollte. Ich sagte ihm offen, dass ich nicht begeistert sei über sein Werk. Er konnte es nicht verstehen, da er stolz auf seine Schneidekunst war. Er habe einen inneren Fluss gespürt und die Haare intuitiv auf der richtigen Höhe abgeschnitten. Ich hätte ihn ohrfeigen können. Als ich eines Abends von einem weiteren Treffen mit Alyson zurückkehrte, stand Benno vor unserem Haus. Ich war noch gai nz erfüllt und ging überschwänglich auf ihn zu. Als ich ihm einen Kuss geben wollte, reagierte er ungewohnt kühl, ja abweisend. »Wie lange machst du schon mit Alyson rum«, fragte er in schneidendem Ton. Ich erstarrte innerlich. Oh Gott, jetzt ist es aus. Angst überfiel mich, ich konnte keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen. Wie in Trance folgte ich Benno ins Zimmer. Er schaute mich durchdringend an und löcherte mich mit Fragen. Doch ich war unfähig zu antworten, meine Stimme versagte. Mein Kopf glühte, alles in mir und um mich herum kreiste. Benno sagte, Alyson und ich seien von weitem eng umschlungen gesehen worden. Mein Traum von der wahren Liebe war geplatzt. Benno raste vor Wut. Ich saß wie angewurzelt da und brachte immer noch keinen Ton hervor. Er bohrte immer weiter, doch der Schock blockierte mich total. Ich wäre am liebsten im Boden versunken und gestorben. »Ich habe mich seit zweieinhalb Monaten heimlich mit Alyson getroffen«, gab ich endlich kleinlaut zu. »Wie oft?«, fragte Benno mit
  91. durchdringender Stimme. Ich zuckte verlegen mit den Schultern. »Drei Mal oder zwanzig Mal?« »Eher zwanzig«, gestand ich und schaute zu Boden. »Schau mir in die Augen«, befahl er mir. »Hast du mir gegenüber die Liebe nur vorgespielt? Waren deine Gefühle unecht?« Ich war verzweifelt und schwieg. Seine Augen zeigten eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. »Ich will gehen«, sagte ich nach einer Weile. Es hörte sich an, als spreche eine fremde Stimme. Benno wusste genau, was ich meinte. Ja, ich hatte in meiner ausweglosen Situation plötzlich den Mut, diesen Gedanken laut auszusprechen. »Ich will die Familie und das Experiment verlassen.« Doch Benno ließ nicht locker und redete weiter auf mich ein. Schweigend saß ich auf dem Balkon vor unserem Schlafzimmer und hörte mir seine Standpauke an. Mein Schweigen machte ihn rasend. Plötzlich sprang er auf und zog seine Pistole aus dem Hosenbund, die er ständig mit sich trug. »Ich knüpfe mir diesen Alyson vor und erschieße ihn«, fauchte er und stürmte los. Ich schnellte hoch und rannte Benno hinterher. »Lass Alyson aus dem Spiel«, rief ich, »komm zurück.« Im Rennen feuerte er Schüsse ab. Glücklicherweise nur in die Luft. Dann blieb er stehen und schaute mich wutentbrannt an. »Wenn es um Alyson geht, dann findest du plötzlich deine Stimme wieder«, warf er mir vor und kehrte zum Haus zurück. Es ist aus, überlegte ich und folgte ihm. Endgültig aus. Ich wollte nicht mehr leben. Die Beziehung zu Alyson konnte ich vergessen, und zurück in die Familie wollte ich nicht. Ich sah keinen Ausweg mehr, vor mir öffnete sich der Abgrund. Ich wollte nur noch sterben.
  92. Benno setzte sich auf die Bettkante und starrte grimmig gegen die Wand. Seine Pistole hielt er immer noch in der Hand. Mit erstickter Stimme sagte er mir, dass er sich auf der Stelle erschießen werde, wenn ich ihn verlassen oder mich umbringen würde. Seine Worte erreichten mich nicht richtig. Er schien es zu spüren und steckte sich den Lauf der Pistole in den Mund. Ich war schockiert, und doch blieb ich seltsam unberührt. Benno hatte einen Teil seiner Macht über mich verloren. Benno war verstört. Er hatte erwartet, dass ich mich vor ihm auf den Boden werfen und ihn um Verzeihung bitten würde. Er nahm die Schusswaffe aus dem Mund und schaute mich an. »Was muss ich tun, um dich zurückzugewinnen?« Ich zuckte mit den Schultern. Da saß der Mann, der uns und die ganze Menschheit befreien wollte, und flehte mich verzweifelt an. Mich, die junge Frau, die er nach seinen Wünschen geformt hatte. Aber Benno gab nicht auf. Er wolle mir das größte Geschenk machen, das er mit seinem ganzen Sein und all seiner Macht kreieren könnte. Damit weckte er meine Neugier doch ein wenig. Was lässt er sich wohl diesmal einfallen, fragte ich mich. Tränen rollten über seine Wangen. Benno sagte, er wolle mir sein Leben schenken. Die Szene war grotesk. Benno, der erleuchtete Meister, wollte mir undankbarem Geschöpf alles zu Füßen legen. Er versprach mir, mich mit seiner ganzen Liebe, seinem Wissen und seiner ganzen Kraft auf dem Weg zum höheren Ziel zu unterstützen. Ich würde einen enormen Energieschub erfahren. Er würde mich auf Händen tragen und mich begleiten auf dem Pfad der spirituellen Tugend und Erleuchtung.
  93. Ich war am Ende. Mein Kopf fühlte sich an, als wäre er stundelang gegen eine Wand geschlagen worden. Ich fing an zu weinen. Benno schaute mich herzerweichend an. Meine Schutzmauer begann zu bröckeln. Ich wusste nicht mehr ein noch aus und willigte ein, Bennos Geschenk anzunehmen. Benno verbeugte sich vor mir und nahm mich schluchzend in seine Arme. »Hut ab vor dieser mutigen Entscheidung«, sagte er, als ob ich eine Wahl gehabt hätte. Alyson wurde noch am gleichen Tag fristlos entlassen. Ich bat Benno, kurz mit Alyson reden zu dürfen. Es sei für mich wichtig, ihm mitzuteilen, weshalb wir uns nicht mehr treffen könnten. Vergiss endlich diesen blöden Belizer, entgegnete er unwirst h. Mir ging es nur noch mies. Alyson spukte dauernd in meinem Kopf herum. Was denkt er wohl? Ist er wütend auf mich? Ich hatte das Gefühl, unsere Liebe verraten zu haben. Zwei Tage später, am frühen Abend, hielt ich es nicht mehr aus. Benno, Janet und noch ein paar Gruppenmitglieder waren in unserem Zimmer versammelt und diskutierten eifrig. »Ich möchte noch kurz mit Zorro eine kleine Runde drehen«, sagte ich zögernd zu Benno und wartete auf seine Einwilligung. Er wolle mich begleiten, entgegnete er. Ich wagte einen weiteren Vorstoß und sagte, ich brauchte dringend frische Luft. Benno traute mir nicht. Er schaute mich eindringlich an und fragte, ob ich ihm versprechen könne, dass ich bald wieder zurück sei. »Ich verspreche es«, antwortete ich knapp. »Dann warte ich hier, bis du wieder bei mir bist.« Ich atmete erleichtert auf und ging rasch hinaus. Nur weg
  94. aus dieser erdrückenden Atmosphäre. Zorro trottete hinter mir her, als ich mit schnellen Schritten zum Eingangstor unserer Ranch marschierte. Ich hatte mich dort gelegentlich mit Alyson getroffen und hoffte von ganzem Herzen, dass er auf mich warten würde. Ich musste ihm dringend sagen, was passiert war. Nur er hätte mich trösten können. Ich wäre mit ihm fortgegangen. Egal wohin. Einfach weg. Alyson war nicht am Tor. Es gab mir einen Stich ins Herz. Ich hätte losschreien können vor Schmerz. Mir war klar, dass ich nicht gezögert hätte, wenn Alyson vor mir gestanden hätte und seine Hände nach mir ausgestreckt hätte. Er hatte mir mehrmals vorgeschlagen, gemeinsam abzuhauen. Doch ich hatte stets gezögert. Meine Angst war zu groß. Ich wusste nicht, was mich erwartet hätte. Die Belizer lebten in sehr einfachen Verhältnissen und hatten eine ganz andere Mentalität. Hätte ich doch nur früher den Mut gehabt, sagte ich mir in meiner Verzweiflung. Ich nahm die letzte Kraft zusammen und zwang mich, zum Haus zurückzukehren. Bennos Misstrauen wollte ich nicht weiter schüren, sonst hätte ich den letzten Freiraum verloren. Die folgenden Tage waren der reine Horror. Geplagt von Eifersucht, ließ Benno mich nicht mehr aus den Augen. Ich war gefangen, 248mein Liebeskummer erdrückte mich. Zu den Pferden durfte ich nicht
  95. gehen da die Tiere als emot. Brücke zu Alyson galten. Benno wollte mich
  96. rund um die Uhr in seiner Nähe haben. Es gehe nun um
  97. unsere totale Verschmelzung. Wir müssten wieder lernen, blindes Vertrauen zueinander zu haben und als Paar zu funktionieren. Benno ließ mir keine Ruhe, er wollte wissen, was ich mit Alyson getrieben hatte, bis in die Einzelheiten. Dann versuchte er, sich mir körperlich zu nähern, doch ich reagierte nicht. Das machte ihn fast rasend. Unser Führungsteam aus Janet, Kai, Sibylle und Jochen war entsetzt, als Benno von meiner heimlichen Liebesaffäre mit Alyson berichtete. Die vier konnten nicht glauben, dass ich mich mit einem Stalljungen eingelassen hatte. Schließlich gehörte auch ich zur geistigen Elite unserer Großfamilie. Mir war klar, dass sie mich für mein illoyales Verhalten verurteilten, aber mich beschäftigten ganz andere Probleme. Ich durfte nicht mehr zum Pferdestall und lebte wie in einem Käfig. Keinen Schritt durfte ich tun, ohne mich rechtfertigen zu müssen. Der letzte Rest meines ohnehin kleinen Freiraums wurde mir genommen. Benno wusste, dass ich in meiner Verzweiflung zu allem fähig war. Ich hatte nicht einmal mehr die Energie, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Mir war scheißegal, was er und das Führungsteam von mir dachten. Benno konzentrierte sich ganz auf mich und redete pausenlos auf mich ein. In seiner Panik spürte er nicht, dass ich seine Worte satt hatte und er mich damit nur noch mehr in die Verzweiflung trieb. Er glaubte, Missverständnisse zwischen uns ausräumen zu müssen. Als alles nichts nützte, entschied er, die ganze Gruppe einzusetzen, um den Druck auf mich zu erhöhen. Schließlich hätten die anderen Grup- penmitglieder über meine Beziehung mit Alyson noch nichts erfah-
  98. Ich ahnte, was mich erwartete. Als Benno und Janet die Gruppe aufklärten, blickte ich in lauter fassungslose Gesichter. Benno bat jedes Familienmitglied um seine Meinung. Norbert, der schon einige Krisen durchgestanden hatte und oft unglücklich wirkte, war verunsichert. »Lea war doch immer der leuchtende Stern am Himmel unseres Experiments«, sagte er. »Wenn ich entmutigt war und dachte, alles sei Scheibe, dann musste ich nur Lea begegnen und hatte wieder Hoffnung, die Erleuchtung doch noch zu schatten.« Die anderen Familienmitglieder schilderten ihre Eindrücke- aui ähnliche Weise. Alle waren bicter enttäuscht. Einzelne gar entrüstet. Ihre Zeugnisse berührten mich trotz allem. Ich war völlig überrascht davon, welche Bedeutung mir die Familienmitglieder zumaßen und welches Gewicht ich in unserer Gruppe hatte. Immer wieder brachten sie zum Ausdruck, dass ich mit meinem fahrlässigen Verhalten das Experiment gefährde. Am verwerflichsten fanden sie meine Suizidabsichten. Zum Schluss fragte Benno plötzlich, ob noch andere Personen von Suizidgedanken verfolgt seien. Zu meinem Erstaunen streckten ein paar Kids ihre Hände hoch. Auch drei Erwachsene bekannten sich dazu, unter ihnen sogar meine Mutter. Ich war perplex. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich spürte zum ersten Mal, dass ich nicht allein war mit meinen Nöten und Ängsten. Das erschreckte nicht nur mich. Meine Beichte vor der Gruppe sollte den moralischen Druck auf mich erhöhen und die übrigen Familienmitglieder warnen. Doch mein Geständnis löste bei
  99. einigen auch die Zunge. Sie wagten auszusprechen, was ihnen lange Zeit auf der Seele gelegen hatte. Ihre Aussagen machten deutlich, dass manche an den übersinnlichen Zielen zweifelten und unter der Isolation und der Gruppennorm litten. Benno geriet in die Defensive. Eine unbekannte Situation für ihn. Aber er fasste sich auch diesmal rasch. Unser Projekt sei ein Experiment, sagte er. Da wisse man nie genau, ob alles planmäßig funktioniere. »Wir haben also nichts zu verlieren«, schloss Benno. Und schon rückten die Gruppenmitglieder wieder zusammen und machten sich gegenseitig Mut und Hoffnung. Und die Gesichter hellten sich allmählich auf. In mir sah es jedoch weiterhin düster aus. Diesmal ließ ich mich nicht anstecken von der inszenierten Erleichterung. Ich konnte und wollte mich nicht wieder umbiegen lassen. Mir war es zu eng in dem kleinen Raum mit den vielen Leuten, die mich mit ihren Erwartungen erdrückten. Sie gingen mir auf den Geist. Ich wollte nur noch raus, mich irgendwo verkriechen. Einfach niemanden sehen. Allein sein. 179 Als das Meeting endlich überstanden war, schlich ich in janer Baumhaus. In mir brodelte es. Ich musste meine chaotischen Gefühle zügeln und den Schmerz dämpfen. Wehmütig schaute ich über die Pferdeweiden und weinte still vor mich hin. Noch nie hatte ich mich so einsam gefühlt. Es schüttelte mich, als ich zur Weide hinüber- schaute, auf der Alyson und ich uns geliebt hatten. Dann packte mich eine unbändigende Wut auf Benno. Der ließ mich sofort suchen. Er wusste genau, dass ich mich in einem labilen Zustand befand. Es dauerte eine
  100. Weile, bis sie mich im Baumhaus entdeckten. Benno kam zu mir hinauf. Er müsse mit mir sprechen, um mich aus meinem Zustand der geistigen Starre zu befreien, wie er sagte. Ich blieb stur, wollte einfach nur dort oben bleiben. Und nie wieder hinuntersteigen. Benno war irritiert, weil er mich nicht erreichte. Ihm war rasch klar, dass er behutsam ans Werk gehen musste. Vorsichtig begann er, mir mit Fragen zuzusetzen. Was mit mir los sei, was ich fühle und welche Pläne ich hätte. Vor allem aber wollte er mich verunsichern und in die Enge treiben. Doch ich blieb stur. Ich schwieg und starrte an ihm vorbei, bis mir irgendwann der Kragen platzte. »Ich will hier im Baumhaus bleiben und meine Ruhe haben«, schrie ich ihn an. Eigentlich wusste ich selber nicht, was ich wollte. Oder ob ich überhaupt noch etwas wollte. Am liebsten wäre ich auf der Stelle tot umgefallen. Benno gab nicht auf. Er setzte all seine Überredungskünste ein, um mich umzustimmen. »Wie hast du dir das mit Alyson vorgestellt? Es war eine sinnlose Trotzreaktion, dass du dich auf ihn eingelassen hast. Der ungebildete Bursche ist doch nichts als ein dahergelaufener Weiberheld, ein gewöhnlicher Belizer, der dir nichts bieten kann.« Ich hätte Benno anspucken können. »Die Realität hätte dich schnell aus deinen Träumen gerissen, wenn du in der kleinen Bretterbude von Alyson aufgewacht wärst. Dann hättest du bald gemerkt, dass du in seiner Welt nicht existieren kannst.« Bennos Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Ich hatte mir oft Gedanken darüber gemacht, was ein Leben in einer einheimischen Familie für mich bedeuten würde. Wenn ich überzeugt gewesen wäre, dass eine feste Beziehung mit
  101. Alyson eine Zukunft gehabt hätte, wär^ wahrscheinlich abgehauen. Aber ich wusste ja nicht einmal, wie Aly- son lebte. Ich spürte eine große Leere in mir und war wie gelähmt. Benno verlangte von mir, dass ich mich zusammenreißen und mit ihm hinuntersteigen sollte. Nein, antwortete ich bestimmt, ich bleibe hier oben. Ich wollte um keinen Preis mit ihm ins Zimmer gehen. Wenn er mich zwingt, springe ich ins Leere, schwor ich mir. So hatte mich Benno noch nie erlebt. Er warf mir vor, dass ich mich total danebenbenehmen würde wegen ein bisschen Liebeskummer. »Deine Trotzhaltung ist absolut bekloppt, du bist reif für die Klapsmühle«, sagte er entnervt. Seine spitzen Worte trafen tief. Zum ersten Mal war Benno bei mir am Ende seines Lateins. Das war eine neue Erfahrung für ihn. Er verließ das Baumhaus. Ich war aber nicht lange allein. Benno schickte nun Janet und Kai zu mir hoch. Das Medium und mein Bruder sollten richten, was Benno nicht geschafft hatte. Es war eine Tortur. Die beiden redeten fast drei Stunden auf mich ein. Anfänglich verschloss ich mich auch ihnen gegenüber, doch mit der Zeit bröckelte mein Widerstand. Janet und Kai gaben mir immer wieder zu verstehen, wie wichtig ich für sie und die ganze Familie sei. Sie überschütteten mich mit Komplimenten und Liebe. Ich wusste nicht mehr ein noch aus, mir liefen die Tränen. Janet und Kai machten mir verschiedene Lösungsvorschläge und ermunterten mich, gemeinsam mit ihnen einen Weg zu suchen. So ließ ich mich überreden, mein Refugium zu verlassen und mit ihnen hinabzusteigen. Benno gegenüber verhielt ich mich aber nach wie vor
  102. reserviert. Er gab sich alle Mühe und warb wie ein frisch verliebter Lover um mich. Doch ich ertrug ihn schlecht. Vor allem die körperliche Nähe setzte mir zu. Schon wenn ich mich von ihm küssen lassen musste, schnürte es mir den Hals zu. Ich sagte Benno offen ins Gesicht, dass mich seine schlampige Erscheinung und sein übergewichtiger Körper abstießen. Er versprach mir, sofort abzunehmen. Mir zuliebe werde er auf sein Idealgewicht reduzieren. Auch im Bett nahm er Rücksicht auf mich. Immerhin fühlte er, dass er mir etwas Raum geben musste. Ich war nicht mehr bereit, mich auf seine sexuellen Sonderwünsche einzulassen. Die Ausweglosigkeit meiner Situation gab mir den Mut, vermehrt zu mir zu stehen und Benno meine Meinung zu sagen. Ich beichtete ihm endlich, dass es fiir mich stets eine Last gewesen sei, mit ihm zu schlafen. Es war mir plötzlich wichtig, ihm meine wahren Gefühle zu zeigen. Ich erklärte ihm sogar, dass die Leidenschaft, die ich mit Aiy- son erlebt hatte, für mich etwas Einmaliges gewesen sei. Meine Worte trafen ihn ins Mark. Benno starrte micn entgeistert
  103. an. Jahrelang hatte er geglaubt, mich im Bett zu beglücken. Und nun musste er erfahren, dass ich mich stets geekelt und ihm etwas vorgegaukelt hatte. Er, der große spirituelle Meister mit den übersinnlichen Fähigkeiten hatte es nicht bemerkt und sich von einem Teenager täuschen lassen. Das war ein Tiefschlag. Er fasste sich zwar schnell und versuchte, meine Enthüllungen zu beschönigen, doch ein Blick in sein fahles Gesicht verriet mir, dass er sehr
  104. gekränkt war. Benno verkraftete die Niederlage schlecht. Um sich zu revanchieren, gestand er mir, ebenfalls ein Geheimnis vor mir gehabt zu haben. Er habe sich schon des Längeren heimlich mit Karin getroffen. Sie sei eben nicht so verschlossen gewesen wie ich und habe sich in einer Weise auf ihn eingelassen, wie er es sich von mir stets gewünscht habe. Ich wusste, was er meinte. Seine Beichte traf mich nur für einen kurzen Moment. Meine Abneigung gegen ihn wurde jedoch noch stärker. Es w ar fast wie eine Befreiung: Jetzt hatte ich allen Grund, ihn von mir zu stoßen, meinen Ekel gegen ihn zuzulassen. Sein Geständnis nahm mir auch das schlechte Gewissen, das ich wegen der Affäre mit Alyson gehabt hatte. Trotzdem wurde ich meine Gewissensbisse nicht ganz los. Ich glaubte immer noch, Benno für seine Liebe und Unterstützung dankbar sein zu müssen. Er hatte mir zu oft beteuert, wie sehr er mich liebe und nur das Beste für mich wolle. Und ich zweifelte trotz seiner heimlichen Orgien nicht daran, dass ich ihm sehr viel bedeutete. Denn seine Eifersucht war offensichtlich. Eine Woche nach seinem Rausschmiss tauchte Alyson beim Pferdestall auf. Kai hatte ihn entdeckt und meldete es Benno. Mein Herz schlug sofort höher. Ich wollte ihn unbedingt sehen, um ihm die Situation zu erklären und mich von ihm zu verabschieden. Benno und Janet reagierten unwirsch. Ich solle die Affare geistig endlich abschließen und nicht wieder alte Gefuhlsverstrickungen aufwärmen. Benno schickte Janet mit der Mission zu Alyson, in meinem Namen mit ihm zu reden.
  105. Ich hätte die beiden auf den Mond schießen können. Janet erzählte Alyson, dass ich ihn nicht mehr sehen wollte und deshalb ihre beste Freundin geschickt hätte. Ich wäre mir nun im Klaren, wie viel mir meine Beziehung zu Benno bedeutete. Die Liebe zu ihm wollte ich auf keinen Fall aufs Spiel setzen. Diese verlogene Aktion kotzte mich an. Ich wurde nicht gefragt, was Janet Alyson erzählen sollte. Er drückte ihr beim Abschied ein kleines Abschiedsgeschenk für mich in die Hand. Die schnöde Art, wie Janet und Benno Alyson abservierten, wühlte mich auf. Ich wollte das nicht einfach hinnehmen. Alyson sollte nicht glauben, ich sei ein Feigling. Heimlich ließ ich ihm über einen einheimischen Arbeiter eine Nachricht zukommen und teilte ihm mit, dass ich ihn gern treffen würde. Ich fieberte dem Zeitpunkt entgegen. Wird er kommen, fragte ich mich immer wieder. Ich konnte es kaum erwarten. Würde ich unbemerkt abhauen können? Benno kontrollierte mich fast rund um die Uhr. Ich setze alles daran, um Alyson zu treffen, schwor ich mir. Nachdem es dunkel geworden war, verließ ich unter dem Vorwand das Haus, mit Zorro spazieren zu gehen. Bevor ich eine Antwort erhielt, schlich ich mich davon. Ich fieberte vor Freude und Aufregung, als ich draußen stand. Würde Alyson beleidigt sein? Mir Vorwürfe machen? Meine Gedanken und Gefühle galoppierten davon. Ich hoffte, er würde mich verstehen und mich in seine Arme nehmen. Doch durfte ich das zulassen? Ich war hin- und hergerissen. Plötzlich heulte ein Motorrad auf, und ein Lichtkegel holte
  106. mich ein. Nein, schoss es mir durch den Kopf, das nicht auch noch. Vermutlich wollte Benno mich zurückholen. Die Maschine hielt vor mir, der Scheinwerfer blendete mich. Zu meiner Überraschung war es Kai. »Benno hat mich geschickt«, gestand er. »Warum musst du ausgerechnet zur Ausfahrt gehen«, wollte mein Bruder wissen. Er mache sich Sorgen um mich. Du meinst wohl Benno, gab ich ihm in Gedanken zur Antwort. Ich wusste jedoch, dass er Bennos Sichtweise teilte. Außerdem verzieh er mir die Affäre mit Alyson nicht. Ich hatte damit viel Unruhe in die Gruppe gebracht, und er hatte einen seiner besten und liebsten Mitarbeiter verloren. »Komm mit mir zurück, es ist das Beste für dich«, redete er mir ins Gewissen. Ich ließ mich nicht erweichen und versicherte meinem Bruder, dass ich nur einen Spaziergang mit Zorro unternehmen würde. Fahr zurück, ich komme bald nach, versprach ich ihm. Ich scheute mich nicht, Kai anzuschwindeln, denn ich musste Alyson unbedingt noch einmal treffen. Kai traute mir nicht. Er drehte eine Kontrollrunde, um zu prüfen, ob sich Alyson irgendwo versteckte. Hoffentlich ist er nicht schon am Tor, bangte ich. Dann wäre der Teufel los gewesen. Kai hielt beim Tor und schaute sich um. Dann gab er Gas und brauste zu den Wohnhäusern zurück. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich ging zum Eingang und wartete voll Sehnsucht. Meine Unruhe konnte ich kaum bändigen. Wenn er nicht bald kommt, muss ich zurück. Für Benno wird jeder Augenblick zur Ewigkeit, überlegte ich. Ich wusste, dass ich mich spätestens nach einer halbe Stunde mit meinem Funkgerät
  107. bei ihm melden musste. Meine Freiheit hatte sich auf dreißig Minuten beschränkt. Uber Funk war ich permanent mit ihm verbunden. Alyson kam nicht. Ich war niedergeschlagen. Er ist wohl zu sehr enttäuscht von mir. Vielleicht war er wütend auf mich. Du musst ihn aus deinem Kopf verbannen, sagte ich mir. Es hat keinen Sinn, du machst dich sonst noch ganz verrückt. Dabei hätte ich mich so gern anständig von ihm verabschiedet. Ich hätte schreien können. Warum verbot mir Benno, Alyson adieu zu sagen? Warum behauptete er, dass ich es nicht schaffen würde, ihm ins Gesicht zu sagen, dass ich die Beziehung abbrechen wollte? Deprimiert kehrte ich zu Benno zurück. In dieser Nacht lag ich lange wach, ich sehnte mich so sehr nach Geborgenheit. Als Benno ein paar Tage später einen Testflug mit seiner Cessna machte, zog es mich fast magisch zum Pferdestall. Ich hatte meine geliebten Pferde mehr als zehn Tage nicht gesehen. Die belizischen Mitarbeiter, deren Vorgesetzte ich immer noch war, freuten sich riesig. Sie umarmten mich und fragten, wie es mir gehe. Sie hätten sich große Sorgen um mich gemacht. Sie hatten natürlich das Drama um Alyson mitbekommen und befürchteten, ich sei bestraft worden. Die herzliche Begrüßung und die Anteilnahme taten mir gut. Ein Freund von Alyson kam zu mir, nahm meine Hand und flüsterte mir zu, Alyson würde heute Abend am Eingangstor auf mich warten. Ich schaute ihn ungläubig an. Damit hatte ich nicht gerechnet. Schließlich war er das letzte Mal nicht gekommen. Mein Herz raste. Jetzt würde ich ihm doch
  108. noch alles erklären und mich von ihm verabschieden können. Ich konnte den ganzen Tag über kaum etwas Ver- nünftiges tun und fieberte dem Abend entgegen. Nach dem Abendessen schlich ich mich mit Zorro davon und eilte zum Tor. Von weitem erkannte ich die Umrisse von Alyson. Überglücklich fiel ich ihm in die Arme. Wir umklammerten uns und wollten uns nicht mehr loslassen. Plötzlich sagte Alyson: »Verlass dieses Gefängnis und komm mit mir.« Ich hatte es befürchtet. Die ewigen Moralpredigten und Einschüchterungen von Benno, Janet und Kai waren nicht wirkungslos geblieben, ich zögerte. Alyson flehte mich an. Er sagte, ich sei verwirrt, weil man mich zu sehr unter Druck setze. Da hatte er sicher Recht, und mein Herz gehörte immer noch ihm. Trotzdem spürte ich, dass die Flucht keine Lösung war. In unserem Schmerz fielen wir übereinander her und liebten uns mitten auf der Wiese noch einmal leidenschaftlich. Es war der gleiche Ort, an dem wir uns zum ersten Mal getroffen hatten. Sollte sich der Kreis hier schließen? Ich wurde nervös, denn es war schon fast eine Stunde vergangen. Ich befürchtete, Benno könnte bereits wieder auf hundert sein. Alyson und ich umarmten uns ein letztes Mal, dann rannte ich mit Tränen in den Augen zurück zum Haus. Ich ahnte, dass es für mich dort eng werden würde. Die Spannung lag förmlich in der Luft. Ich hörte von weitem, dass Benno außer sich war. Angsterfüllt öffnete ich die Zimmertür. Benno tobte und trat mit den Füßen gegen die Wände, dass das Leichtbauhäuschen erzitterte. Er würdigte mich keines Blickes und tigerte im Zimmer umher. Plötzlich blieb er stehen und schaute mich wutentbrannt an.
  109. »Bist du denn von allen Sinnen? Wieso bist du so lange weggeblieben? Was hast du dir dabei gedacht?« Er ließ mir zum Glück keine Möglichkeit, die Fragen zu beantworten. »Niemand wusste, wo du warst. Wo hast du dich herumgetrieben?« Ich versuchte, ihn zu beschwichtigen. Er habe sich wahnsinnige Sorgen um mich gemacht, sagte er, als er sich ein wenig beruhigt hatte. Ich atmete erleichtert auf. Die Freude über die Begegnung mit Alyson klang in mir nach. Es freute mich, dass ich es trotz aller Widerstände und Hindernisse geschafft hatte, mich von Alyson zu verabschieden. Das gab mir die Energie, mich auf den Drahtseilakt mit Benno einzulassen. Ich nahm Benno in meine Arme, schaute ihm tief in die Augen, lächelte ihn an und sagte, dass alles in Ordnung sei. Ich spürte, wie sich seine Anspannung löste. Meine gespielte Zuneigung bewirkte Wunder. In dieser Nacht wollte Benno unbedingt mit mir schlafen. Er fühlte, dass ich zum ersten Mal seit der Affäre mit Alyson etwas gelöster war. Ich spielte mit, so gut es ging. Hauptsache, Benno beruhigte sich wieder. In Gedanken war ich an einem anderen Ort. Mein Ungehorsam, ja meine Rebellion hatten etwas Befreiendes. Zwar hatte ich mit meiner Affäre und den Suizidfantasien in der Gruppe an Nimbus verloren. Zu meiner eigenen Überraschung wirkte es jedoch erlösend, dass ich nicht mehr einem Idealbild entsprechen musste. Ein paar Gruppenmitglieder suchten das Gespräch mit mir. Es beschäftigte sie, dass ausgerechnet ich ausgeschert war und mit persönlichen Dingen zu kämpfen hatte. Sie hatten angenommen, ich sei glücklich an der Seite von Benno. Zum ersten Mal konnte ich über meine Probleme sprechen.
  110. Über meine Essstörungen und die Niedergeschlagenheit. Ich konnte ihnen auch klar machen, dass Benno nicht so un- fehlbar war, wie er sich gab. Dennoch musste ich meine Kritik an Benno geschickt verpacken, um meine Gesprächspartner nicht zu brüskieren. Sie wären sonst auch sofort zum ihm gerannt und hätten mich verraten. Deshalb konnte ich mich noch nicht restlos öffnen. Außerdem glaubten sie immer noch an die übersinnlichen Phänomene und an den Weg ins Licht. Das galt auch für meinen Bruder. Er gehörte zum Führungsclan und war gegenüber Benno und Janet absolut loyal. Mir war klar, dass 1 SA ich mich niemandem wirklich anvertrauen durfte. Die stille Post funktionierte immer noch und alle Informationen landeten früher oder später bei Benno. Ich erhielt nach dem letzten Ausbruch von Benno keine Chance mehr, von seiner Seite zu weichen. Außerdem musste ich ihm beim Abnehmen helfen, denn er bekam die Fressattacken nicht in den Griff. Er hatte auch diesmal eine »logische« Begründung. So behauptete er, er müsse die Energie kompensieren, die er durch die vielen Problem- lösungen für uns verbrauche. Ich durchschaute ihn. Er war einfach unfähig, Verzicht zu leisten. Schon bei der kleinsten Anstrengung wurde er übellaunig. Wie immer suchte er einen Ausweg und erfand kurzerhand eine neue Diät. Er nannte sie Konvertieren. Wir mussten ihm tonnenweise Essen servieren, noch viel mehr als sonst. Er saß auf seinem Bett und stopfte genüsslich alles in sich hinein. Dann folgte sein Trick: Benno kontrollierte seinen Schluckreflex und spuckte die fein säuberlich zerkauten
  111. Lebensmittel in einen Eimer. Stolz präsentierte er mir seine »geniale Erfindung«. Ich war fassungslos. Was für ein ekelerregendes Bild, wenn er den Brei in den Abfalleimer fließen ließ. Ich empfand seine »Diät« als krankhaft. Für Benno war sie eine Zeremonie. Deshalb ließ er sich das Essen ans Bett servieren. Und wirklich: Seine Laune besserte sich er- heblich, und er nahm auch ab. Seine »Diät« wirkte sich handfest auf meinen Alltag aus. Ich verbrachte viel Zeit in der Küche und half unserem Koch, Bennos Essen zuzubereiten und es ihm zu servieren. Zwischendurch musste ich ihm die Füße massieren, die durch sein Übergewicht oft taub wurden. Tatsächlich stand er seine »Esstechnik« mehrere Monate durch und verlor etwa dreißig Kilo. Ein Bekenntnis Seit ich mich von Alyson hatte verabschieden können, ging es mir besser. Benno hatte seine Eifersucht weitgehend im Griff, dennoch konnte er es nicht lassen, beleidigende Bemerkungen über Alyson zu machen. Ich hätte ihm dann immer den Hals umdrehen können. Benno fand, es sei an der Zeit, offiziell zu unserer Beziehung zu stehen. Da ich inzwischen längst volljährig geworden war, musste er keine Geheimniskrämerei mehr betreiben. Wir spazierten demonstrativ Hand in Hand auf der Ranch umher, sodass uns alle Angestellten sehen konnten. Mir war das extrem peinlich. Ich hätte vor Scham im Boden versinken können. Innerhalb der Gruppe hatte ich keine Mühe, mich als Bennos Partnerin zu geben, an diese Rolle hatte ich mich gewöhnt. Doch in der Öffentlichkeit war er
  112. für mich wie ein Fremdkörper. In jener Zeit bekamen wir wieder Schwierigkeiten mit dem ehemaligen Besitzer unserer Ranch. Wir verloren den Prozess und wurden verurteilt, die ausgesetzten Raten zu zahlen. Auch wenn wir wussten, dass Mister Peterson Schmiergelder gezahlt hatte, war die Gerichtsentscheidung flir uns bindend. Der Peterson-Clan konnte uns zwar nicht ohne weiteres vom Land vertreiben, aber unsere Lage wurde ungemütlich. Benno nahm das Urteil als Zeichen, um über einen Ortswechsel nachzudenken. Da solche Gespräche meist nur im Führungsteam stattfanden, gehörte ich zu den wenigen Geheimnisträgern. Die Stiftung sei für uns nicht mehr tragbar und überfordere uns, sagte Benno bestimmt. Wir würden zu tief in der Materie stecken und könnten unmöglich an unserem Aufstieg arbeiten. Damit rannte er bei Janet offene Türen ein. Eines Tages, ich half gerade Johann, unserem Bäcker, besuchte uns Edward. Der Polizist, mit dem wir die Suppenküche für arme Kinder aufgebaut hatten. Vor vier Jahren war er plötzlich verschwunden. Nun stand er unerwartet vor uns. Eigentlich war Sibylle seine Kontaktperson gewesen, doch sie hatte einen dringenden Termin. Deshalb musste ich mich um Eddie, wie wir ihn nannten, kümmern. »Ich habe dich gesucht«, sagte er und strahlte über das ganze Ge- sieht, Ich schaute ihn mit großen Augen an. Sein Kollege luelr sich abseits, sodass wir ungestört reden konnten. Er sei gekommen, um mich zum Tanzen einzuladen. Ich war perplex. Reflexartig winkte ich ab. Ich wusste, dass Benno dies nicht zulassen würde. Außerdem war Eddie bereits
  113. fiinfundd reißig Jahre alt. Doch er ließ sich nicht abwim- meln und setzte seinen ganzen Charme ein. Er schob seine dunkle Sonnenbrille nach unten und schaute mir tief in die Augen. »Dann entführe ich dich«, sagte er mit einem schelmischen Lächeln. Benno wollte von mir wissen, worüber Eddie mit mir gesprochen hatte. Als ich ihm sagte, er habe mich zum Tanzen eingeladen, richtete er sich auf. Bei ihm schrillten die Alarmglocken. Eine heikle Situation, meinte er dann, denn Eddie sei ein anderes Kaliber als Alyson. Benno war beunruhigt. »Du musst sehr vorsichtig sein, Eddie ist ein Frauenschwarm«, warnte er mich. »Er flirtet gern.« Eddie besuchte uns fortan häufiger, er verhielt sich dabei stets sehr vorsichtig. Er sprach mit mir nur, wenn es sich zufallig ergab. Trotzdem spürte ich, dass er meinetwegen kam. Er flirtete auf charmante, diskrete Art. Ich fühlte mich geschmeichelt, dass ein so attraktiver und von vielen Frauen begehrter Mann mir den Hof machte. Einmal mehr hatte ich nicht die Disziplin, meine Gefühle zu verdrängen, wie Benno es von mir verlangte. Ich wusste eigentlich wenig über Eddie. Er hatte mir nur erzählt, dass er sich von seiner Frau und den beiden Kindern getrennt habe. Unerwartet stellte er mir eine Frage, die sich als schicksalhaft erweisen sollte: »Bist du mit jemandem liiert?« Ich schaute ihn leicht verlegen an. Sein Blick verriet mir, dass er nicht erstaunt war. »Benno?«, fragte er und beobachtete mich gespannt. Ich nickte unmerklich. Hatte er es geahnt? »Ich will dich nicht in Schwierigkeiten bri ngen«, sagte er mit ernster Miene, »aber wann immer du diesen Ort verlassen willst, empfange ich dich mit offenen Armen.«
  114. Ich war zutiefst irritiert. Eine Stimme in mir warnte mich. Ich wollte nicht ins nächste Abenteuer schlittern und reagierte gehemmt. Beim Abschied sagte er mir, ich solle mir eine geheime E-Mail- Adresse einrichten und ihm eine Nachricht schicken. Meine Herz ga- © loppierte. Am nächsten Tag ging ich tatsächlich ins Büro und setzte mich an 189 den Computer Es war riskant, denn es befanden sich stets mehrere Leute im Raum. Schweißperlen traten mir auf die Stirn, meine Hanär zitterten. Ich atmete erleichtert auf, nachdem es mir gelungen war mir eine E-Mail-Adresse zu besorgen. Eddie und ich schrieben uns regelmäßig ein paar kurze unverfängliche Zeilen. Als ich Norbert, der auch unser Computerspezlalist war, eines Abends stirnrunzelnd vor dem Bildschirm sitzen sah. wurde ich nervös. Normalerweise machte er einen Spruch, wenn wir uns begegneten. Doch heute war er sehr vertieft und reagierte nicht. Vielleicht hatte er ein Problem mit unserem Netzwerk, versuchte ich mich zu beruhigen. Ich konnte die Nervosität nicht recht zügeln. Nachdem ich die Rehe versorgt hatte, ging ich zurück. Durch das Fenster sah ich Norbert heftig mit Benno diskutieren. Eine Hitzewelle durchströmte meinen Körper. Ich nahm allen Mut zusammen, holte tief Luft und trat ins Zimmer. Benno war außer sich vor Wut. Sein Blick durchbohrte mich. Er reagierte sich ab, indem er mich mit Vorwürfen
  115. überhäufte. »Ich habe dir mein Leben geschenkt und du missbrauchst mein Venrauen schon wieder«, fauchte er mich an. Benno wartete auf eine Erklärung. Doch ich schwieg. Der Kloß im Hals war zu groß. »Bist du tatsächlich so bescheuert, dass du nach Alyson gleich dem nächsten Mann in die Arme fliegst? Glaubst du, dass du die wahre Liebe bei Eddie findest? Du bist doch nicht so blöd und nimmst an, dass Eddie es ernst meint! Das ist doch nichts als ein doofes Spiel von ihm.« Ich hatte nicht den Mut, Benno anzuschauen und ihm zu sagen, dass ich mir durchaus vorstellen könnte, mit Eddie eine Beziehung anzufangen. Ich kam mir bloßgestellt und erniedrigt vor. Benno wartete weiter auf ein Zeichen von mir. »Bist du wirklich so bescheuert.'«, wiederholte er. Ich hielt das Verhör und die Vorwürfe nicht mehr aus und flüchtete ins Bad. Dort kauerte ich mich auf dem Boden zusammen. Janet und Benno kamen ins Bad und verlangten Rechenschaft von mir. Sie warfen mir vor, dass ich erneut unser Experiment gefährden würde. Ich war wieder einmal am Ende. Benno beriet eine Krisemitzung mit Janet, Sibylle und Kai ein, die im Bad stattfand. Ich wusste, dass sie mir wieder schlimm zusetzen würden. Wie sollte ich diesen neuerlichen Verrat an der Familie erklären? »Eddie würde doch jede Frau aus unserer Familie nehmen, die er kriegen kann«, schleuderte mir Benno entgegen. »Du gibst wieder einmal das traurige Bild einer schwachen Frau ab.« Er wusste, dass mich dieser Vorwurf treffen würde. Und dann spielte er auf der übersinnlichen Klaviatur, um
  116. mich zur Besinnung zu bringen. Ob ich denn nicht an die höheren Botschaften glaubte, die Janet uns vermittle? Unser Geistwesen betone doch immer wieder die Bedeutung, die meine Beziehung zu Benno für das Experiment habe. Es gelang Benno einmal mehr, mich weich zu klopfen. Die Verzweiflung raubte mir die Widerstandskraft, ich begann zu weinen. Dann brach es aus mir heraus. Ich beichtete, dass ich kurz nach meiner Abmachung mit Benno wieder auf Abwege geraten war. Benno schaute mich entgeistert an. Er ahnte, was nun kommen würde. »Ja, ich habe mich noch einmal mit Alyson getroffen, um mich von ihm zu verabschieden und die Beziehung abzuschließen. Das habe ich dann auch geschafft. Es war die einzige Möglichkeit, Alyson aus meinem Kopf zu bekommen und meine Ruhe zu finden.« Benno schäumte. Janet griff sofort ein. Die Geschichte mit Eddie sei nur passiert, damit ich gezwungen war, die heimliche Begegnung mit Alyson zu gestehen, beschwichtigte sie Benno. Das sei eine Fügung der übersinnlichen Mächte. Damit eröffne sich für mich die große Chance, mit allem abzuschließen und wieder auf eine höhere Frequenzebene zu gelangen. Benno starrte vor sich hin, er brachte keinen Ton hervor. Ich hörte mein Herz schlagen. Dann endlich sagte er, dass ich mir etwas einfallen lassen und den Beweis für meine Reue und Umkehr erbringen müsse. »Worte reichen nicht aus«, fügte er an, »es muss eine Tat folgen.« Alle schauten mich erwartungsvoll an. Sie erwarteten eine Antwort, doch ich war wie gelähmt. Ich suchte krampfhaft nach einer Lösung, aber je länger das Schweigen dauerte, umso verzweifelter wurde ich. »Tu endlich etwas, wir
  117. warten«, hörte ich Bennos Stimme von weit her. Ich kauerte wie ein Häufchen Elend auf dem Boden. Schlief) lieh richtete ich mich ein wenig auf und hob leicht den Kopf. Dann robbte ich auf allen vieren zu Benno, der auf dem Klodeckel saß. Ich nahm seine nackten Füße in meine Hände und küsste sie. Etwas anderes fiel mir nicht ein. Ich war unsicher, ob Benno dies als Beweis meiner Einsicht akzeptieren würde. Wohlwollend schaute er mich an und nickte. Für den Moment sei es in Ordnung, sagte er, ich müsse aber ab sofort aufhören, sein Vertrauen mit Füßen zu treten. Dann deutete er mit einer Handbewegung an, dass ich mich auf seinen Schoß setzen sollte. »Es sei dir verziehen«, sagte er und schloss seine Arme um mich. Ich war einfach nur erleichtert, dass die Erniedrigungen überstanden waren. Zu meiner Überraschung sagte Benno, dass ich Eddie weiterhin schreiben sollte. Er wolle nicht, dass der Polizist misstrauisch werde und zu schnüffeln beginne. Ich musste Benno alle Mails von Eddie vorlegen -- und meine Antworten. Ich wusste nicht, wie ich mit der verkorksten Situation umgehen sollte. Der zensierte Kontakt mit Eddie schien mir sinnlos, doch Benno bestand darauf. An Weihnachten veranstalteten wir für unsere Angestellten und be- lizischen Freunde ein Barbecue. Benno trug mir auf, auch Eddie einzuladen. Er wollte die Beziehung zu einem einflussreichen Polizisten nicht aufs Spiel setzen. Eddie sagte zu und kam mit seinen beiden Kindern. Ausnahmsweise mischten sich auch Benno und Janet unter die Gäste. Ich begrüßte Eddie zurückhaltend. Mir war klar, dass
  118. Benno und Janet mich beobachteten. Um Benno zu signalisieren, dass alles in Ordnung sei, ging ich zwischendurch zu ihm, legte meine Hand auf seine Schulter und flüsterte ihm zu, dass die Begegnung mit Eddie völlig easy sei. Benno grinste zufrieden. Gegen Ende des Festes schlenderte Eddie wie zufällig an mir vorbei, blieb kurz stehen und fragte mich: »Ist etwas geschehen?« Seine Intuition verblüffte mich erneut. Ich nickte, was ich natürlich nicht hätte tun dürfen. Es widerstrebte mir, ihn anzulügen, und so sagte ich ihm in knappen Worten, dass Benno unseren Briefwechsel entdeckt habe. Ich war erleichtert, ihm die Wahrheit sagen zu können. Nun wusste er auch, weshalb ich mich so reserviert verhielt. Gleichzeitig meldete sich bei mir das schlechte Gewissen, hatte ich doch schon wieder das Vertrauen von Benno und unserer Familie missbraucht. Eddie nickte verständnisvoll, er schien dies vermutet zu haben. Dann ließ er mich stehen und mischte sich rasch unter die anderen Gäste. Ich fragte mich, warum ich mich nicht an die Regeln halten konnte. Ich wusste nur eines: Mein Herz war wieder einmal stärker als die Vernunft. Am Abend saßen Benno, Janet, Kai und ich zusammen und sprachen über das Fest. Janet sagte vorwurfsvoll, dass kein Mann meinem sehnsüchtigen Blick widerstehen könne. Ich hatte das nicht bemerkt. Offenbar hatte sie mich sehr genau beobachtet. Ich schwieg. Inzwischen konnte ich mich gut abfinden mit ihren spitzen Bemerkungen. Soll sie mich doch verurteilen, dachte ich. Benno sagte, es müsse mir doch aufgefallen sein, wie viele Frauen Eddie angebaggert
  119. hätte. Benno warf mir vor, ich würde nicht mit offenen Karten spielen und hinter seinem Rücken heimlich Dinge drehen. Stimmt, gab ich in Gedanken zu. Aber hatte ich eine Wahl? Gern würde ich zu meiner Meinung und zu meinen Gefühlen stehen! Das Versteckspiel war anstrengend. Uber die Festtage hatte ich kaum Kontakt zu Eddie, in meinen Gedanken jedoch war er sehr präsent. Sein Versprechen, mich mit offenen Armen zu empfangen, klang in meinen Ohren nach. Ich malte mir immer wieder aus, wie das Leben mit ihm wäre. Mir war klar, dass ich einen Job suchen müsste. Dieser Gedanke machte mir Angst. Da war einerseits der unbändige Drang, endlich aus dem Gefängnis auszubrechen, aber andererseits auch die Furcht vor der unbekannten Welt. Die Chance Nach etwa zwei Wochen besuchte uns Eddie zusammen mit ein paar Kollegen. Als ich sie sah, schlenderte ich wie zufällig an ihnen vorbei. Eddie forderte mich auf, mich zu ihnen zu setzen und etwas zu trinken. Er schaute mir in die Augen und fragte mich, ob ich daran zweifle, dass er mich glücklich machen könnte. Vielleicht konnte er nicht verstehen, dass ich von seinem Angebot bisher keinen Gebrauch gemacht hatte. Ich zögerte eine halbe Ewigkeit. Und doch glaubte ich zu spüren, dass er es ernst meinte. Und ich wünschte mir nichts so sehr, als mit einem Mann glücklich zu werden. Mein Herz klopfte bis zum Hals und die Knie wurden weich, als ich Eddies intensiven Blick erwiderte. Ich brachte kein Wort hervor, sondern nickte nur. Eddie fixierte mich und sagte: »Ich denke, dass Benno hier der Boss ist und die Leute manipuliert.« Der Satz traf mich
  120. wie ein Blitz. Ich wagte nicht, ihm zu antworten, doch er las die Bestätigung in meinen Augen. »Wann kommst du endlich zu mir?«, fragte Eddie. Ich glaubte, in seiner Stimme auch Sorge herauszuhören. Er sei doch verheiratet, sagte ich und deutete meine Unsicherheit ihm gegenüber an. Er räumte meine Bedenken mit der Antwort aus, dass er schon seit einiger Zeit von seiner Frau getrennt lebe. Ich bemerkte, dass einzelne Familienmitglieder auf uns aufmerksam geworden waren. Ich wurde unruhig, was Eddie bewog, aufzubrechen. Er gab seinen Kollegen zu verstehen, ihm zu folgen. »Begleitest du mich noch zum Auto?«, fragte mich Eddie. Ich stand auf und ging neben ihm zum Parkplatz. Er wirkte stattlich in seiner Uniform. Ich fühlte mich sicher an seiner Seite. »Ich würde dich nie im Stich lassen«, flüsterte er mir zu. »Ich wäre immer für dich da und würde dir nie wehtun.« Ich sog seine Worte auf. Bisher war ich vielleicht ein wenig verliebt in ihn, doch nun glaubte ich, ihm vertrauen und mich auf ihn verlassen zu können. Wir schauten uns beim Abschied wieder tief in die Augen. Ich war glücklich, dass am Horizont ein neues Licht aufging. Vielleicht kann Eddie meine Wünsche erfüllen, überlegte ich. Mir wurde leicht ums Herz. Doch die Angst vor weiteren Eifersuchtsdramen mit Benno steckte tief in meinen Knochen. Wann immer ich in Gedanken von der Ranch flüchtete, tauchte vor meinem geistigen Auge die Szene auf, als Benno sich seine geladene Pistole in den Mund geschoben hatte. Eddie hatte mir immer wieder zu verstehen gegeben, dass er mich heimlich treffen möchte. Nach den schmerzlichen
  121. Erfahrungen mit Alyson wagte ich es aber nicht, obwohl ich große Sehnsucht hatte. Ich hätte auch keine Möglichkeit dazu gehabt, da ich permanent von Benno kontrolliert wurde. Als Benno mir ein paar Tage später sagte, er wolle mit seiner Cessna in den Süden von Belize fliegen, wurde ich unruhig. Er wird eine Weile unterwegs sein, überlegte ich. Und ich schöpfte Hoffnung, mich mit Eddie treffen zu können. Meine Gedanken kreisten bald nur noch darum, wie ich abhauen könnte. Mir blieb allerdings wenig Zeit, ich musste mich schnell entscheiden. Wie in Trance beschloss ich, Eddie anzurufen. Meine Knie zitterten. Ist Eddie auf der Polizeistation? Hat er überhaupt Dienst? Kann er so kurzfristig die Arbeit verlassen und mich abholen? Eddie nahm das Telefon ab. Natürlich könnte er es einrichten, sagte er mir. Seine Überraschung war unüberhörbar. Ich jubelte. Am Morgen des Tages seines Ausflugs änderte Benno plötzlich seine Pläne. Er habe keine Lust zu fliegen, verkündete er, zumal das Wetter nicht optimal sei. Ich war niedergeschmettert, den Treffpunkt mit Eddie hatte ich bereits vereinbart. Hatte sich denn alles gegen mich verschworen? Benno verbrachte wie so häufig den halben Tag im Bett und verschlang Vampirbücher. Er träumte davon, mit seiner spirituellen Potenz in den Körper eines starken, attraktiven Mannes zu gleiten. Seine Augen glänzten, wenn er über dieses Experiment sprach. Die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit hatte ihn immer schon umgetrieben. Mir hingegen waren solche Vorstellungen zu absurd, um
  122. auch nur darüber zu diskutieren. Ich wollte gar nicht unsterblich sein. Ich überließ es Janet, mit Benno über den Austausch des Körpers zu spekulieren. Ich saß wie auf Kohlen. Wie sollte ich abhauen? Ich suchte krampfhaft nach einer plausiblen Ausrede. »Ich habe gesehen, dass die Walla- che kein Wasser mehr haben, ich fülle die Tränke schnell auf«, saat* ich zu Benno und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Ich wollte ihm keine Zeit für einen Einwand geben. »Muss das wirklich sein>v fragte er mich. Beim Verlassen des Zimmers antwortete ich, ich sei bald zurück. Plötzlich zog ein tropisches Gewitter über die Ranch, es begann wie aus Kübeln zu schütten. Ich rannte die Landebahn entlang und sah von weitem Eddies weißes Auto. Mein Herz schlug immer heftiger. Ich kletterte über den Zaun und stieg ins Auto. Eddie fuhr in eine ruhige Nebenstraße und hielt an. Wir wechselten kaum ein Wort. Dann fielen wir uns in dem engen Auto in die Arme. Ich war zwar sehr nervös und konnte mich nicht recht entspannen. Trotzdem sträubte ich mich nicht, als Eddie mich auszuziehen begann. Wir liebten uns stürmisch auf dem kleinen Autositz. Warum darf ich nicht einfach in Frieden mit einem Mann zusammen sein, den ich liebe, fragte ich mich, als wir uns verrenkten. Ich konnte das Zusammensein mit Eddie nicht richtig genießen, weil ich Angst vor Bennos Wutausbruch hatte. Sicher suchte er mich schon. Ich verabschiedete mich hastig von Eddie und rannte zu den Wohnhäusern zurück. Mir zitterten die Knie, als ich unser Schlafzimmer betrat. Zu meiner Verblüffung schaute Benno, der immer noch in sein Buch vertieft war, nicht einmal auf. Er hatte gar nicht
  123. bemerkt, wie lange ich weg war. Erleichtert zog ich trockene Kleider an und kuschelte mich an Benno. Erst jetzt breitete sich ein Gefühl der Befriedigung und Erlösung in mir aus. Ich konnte kaum glauben, dass ich Eddie hatte tref- fen können, ohne mir ein weiteres Drama einzuhandeln. Eddie schickte mir ein Gedicht -- wir hatten eine neue E- Mail- Adresse eingerichtet das er nach unserem Treffen für mich geschrieben hatte. Ich war tief berührt. Nun war es endgültig um mich geschehen. Ich wusste, dass da draußen ein Mann war, der mich liebte und auf mich wartete. Es waren erneut Tage der Schmetterlinge. Sie bevölkerten meinen Bauch und schienen sich von Tag zu Tag zu vermehren. Eddie schrieb mir, ich solle endlich flüchten, doch ich wagte den Sprung ins Ungewisse nicht. Es hatte auch mit meiner Großmutter zu tun, die uns in zwei Monaten besuchen wollte und den Flug schon gebucht hatte. Sie wäre maßlos enttäuscht und beunruhigt gewesen, wenn sie mich nicht angetroffen hätte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Inzwischen war das Jahr 2002 angebrochen. Und weit und breit keine Spur von der versprochenen spirituellen Transformation. Verunsicherung war in der Gruppe zu spüren. Trotzdem arbeiteten wir schwer. Am meisten verausgabte sich meine Mutter. Sie wirkte sehr unglücklich. Aber auch ich hatte mich wieder in einer depressiven Stimmung verfangen. Einige Tage vor meiner Flucht kam Janet schon früh in unser Zimmer. Sie müsse uns eine wichtige Erkenntnis mitteilen, sprudelte sie sofort los. Es gehe um mich und meine Persönlichkeitsentwicklung. Sie habe sich immer wieder gefragt, weshalb ich stecken geblieben sei. Nun
  124. habe sie die Antwort. Ich schaute sie fragend an. Ich machte mich auf eine schwülstige Weisheit gefasst. Ein bestimmter Persönlichkeitsanteil in mir habe sich nicht entwickeln können, weil ich schon im Alter von dreizehn Jahren eine feste Beziehung zu Benno eingegangen sei. Zwar sei ich dadurch in vielen Belangen reifer als meine Altersgenossinnen, in manchem aber das junge, unschuldige Mädchen geblieben. Dann kam die große Überraschung: Diese Kombination sei der Schlüssel des Experiments. Ich hätte vorgemacht, wie wir das Kind in uns bewahren können. Janet war total begeistert von ihrer bahnbrechenden Erkenntnis und schaute uns erwartungsvoll an. Benno nickte anerkennend. Ihre Worte trafen mich wie kleine Nadeln. Wut machte sich in mir breit. Ich ließ mir nichts anmerken und ließ Janets euphorisches Geschwätz stoisch über mich ergehen. Doch tief in mir brodelte es gewaltig. Während unser Medium immer noch theatralisch seine geistigen Ergüsse über meine »kindliche Unschuld« vortrug, war ich geistig weit weg. Ich wusste, dass ich fliehen musste. Auch aus der zeitlichen Distanz erscheint es mir immer noch wie ein Wunder, dass mir die Flucht geglückt ist. Ich hatte das Schicksal, das sich über all die Jahre gegen mich verschworen hatte, endlich auf meiner Seite. Ich saß also nach meiner Flucht in Eddies Auto und bebte vor Glück und Stolz. Ich hatte den Sprung in die Freiheit tatsächlich geschafft und das Leben in meine eigenen Hände genommen. Und nichts sollte mich dazu bewegen
  125. können, zurück auf die Ranch zu gehen. So jedenfalls hämmerte ich es mir ein. Ich hoffte, dass meine Flucht wie eine Bombe einschlagen und die Gruppe auseinander brechen würde. Im Geist sah ich Benno wie einen Irren durch die Gegend rennen und mit seiner Knarre herumfuchteln. Sollte er doch toben vor Eifersucht. Im Moment war mir das alles egal. Ich genoss einfach mein Glück. Es kümmerte mich auch wenig, was Kai und meine Eltern über mich dachten. Ich hatte mehr als genug gelitten und kostete das Gefühl der Leichtigkeit aus. Zum Teufel mit dem geistigen Aufstieg und dem ewigen Leben. Das wahre Leben findet hier und jetzt statt, freute ich mich. Lasst mich doch in Frieden mit euren spirituellen Fantasien. Meine Flucht war das Beste, was mir bislang passiert ist. Und ich habe sie selbst inszeniert. Freiheit Als Eddie vor seinem Haus hielt, schaute ich zunächst ungläubig. Es war ein winziges Steinhaus mitten im Städtchen Benque Viejo. Um Eddie nicht zu enttäuschen, ließ ich mir nichts anmerken. Die äußeren Umstände sind Nebensache, beruhigte ich mich. Nur die Freiheit und das Zusammensein mit Eddie zählten. Als ich das Häuschen betrat, schreckte ich doch ein wenig zurück. Die Räume waren klein, düster und ziemlich schmuddelig. Das ungepflegte Heim eines alleinstehenden Mannes. Das Haus hatte ihm die Regierung zur Verfügung gestellt. Nach einem kurzen Rundgang drängte es Eddie hinaus. Er wollte mir meine neue Welt zeigen. Wir machten uns auf den Weg nach Belize City. Eddie hielt unterwegs und zeigte mir ein wunderschönes Grundstück mit ein paar Hügeln
  126. und einem kleinen Holzhaus. »Das gehört mir«, sagte er stolz. Die traumhafte Lage und die schöne Aussicht machten mich sprachlos. Eddie erzählte mir von seinen Visionen und Plänen. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, hier mit Eddie ein kleines Paradies zu schaffen. Wir umarmten uns innig auf seinem Grundstück. Die Vergangenheit holte mich ein, bevor ich so richtig in der Gegenwart gelandet war. Als wir wieder im Auto saßen, klingelte Eddies Mobiltelefon. Sein Blick verriet mir, dass es um mich ging. Es war Sibylle. Benno hatte wieder jemanden vorgeschoben, war mein erster Gedanke. Sibylles Stimme klang sorgenvoll. Ich sei spurlos verschwunden, sagte sie. Die ganze Gruppe sei verzweifelt und habe eine große Suchaktion gestartet. Ob er ihr weiterhelfen könne? »Lea ist bei mir«, antwortete Eddie knapp. »Ihr müsst euch keine Sorgen machen.« Da die Verbindung schlecht war, versprach er, dass wir uns bald melden würden und legte auf. Eddie schaute mich prüfend an und fragte mich, ob ich unter Essstörungen leiden würde. Ich schüttelte energisch den Kopf. »Sibylle hat behauptet, du seiest schwer krank und in höchster Gefahr, ich müsste dich dringend auf die Ranch zurückbringen.« Was für eine Scheißbande! Alle wussten doch genau, dass ich die Krankheit längst überwunden hatte. Ich konnte Eddie zum Glück davon überzeugen, dass mit mir alles in Ordnung war. Unterwegs hielt er bei einem Freund, damit ich mit Sibylle telefonieren konnte. Mein Herz klopfte bis zum Hals, als ich den Hörer in die Hand nahm. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte und was mich erwarten würde. Benno war am Apparat. Seine Stimme schnürte mir die Kehle zu.
  127. »Lea, wo bist du?«, fragte er in eindringlichem Ton. »Ich bin bei Eddie und bleibe bei ihm«, antwortete ich. »Lea, was ist in dich gefahren, komm sofort zurück.« Er legte seine ganze Verzweiflung in die Stimme. Mich schüttelte es. Als er merkte, dass seine Worte bei mir nicht verfingen, begann er mir zu drohen. »Ich steige in die Cessna und stürze mit ihr auf Belize City ab.« Ein Gefühl zwischen Ohnmacht und Wut überkam mich. Reflexartig hängte ich den Hörer auf. Als ich wieder klar denken konnte, holte mich doch die Angst ein. Was passiert, wenn er seine Drohung wahr macht? Wenn er seine Maschine in ein Haus rammt und Ahnungslose mit in den Tod reißt? Hört denn der Terror nie auf? Gibt es eine perfidere Methode, mich erneut in die Knie zu zwingen? Ich hätte schreien können. Ich traute Benno viel zu, wenn er durchgeknallt war. Doch Eddie beruhigte mich. Kaum saßen wir wieder im Auto, da klingelte das Handy erneut. Nicht schon wieder, stöhnte ich. Diesmal war es Andres, mein Vater. Eddie reagierte kühl und sagte, ich sei momentan nicht zu sprechen. Ich dankte ihm seine Gelassenheit. Zum Glück ist Eddie Polizist, sonst würde mich Benno bis ans Ende der Welt verfolgen oder mich entführen lassen, ging es mir durch den Kopf. Am Abend lud mich Eddie in ein schönes Restaurant ein. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Wir turtelten verliebt und strahlten uns an. Bin ich tatsächlich frei, fragte ich mich. Wenn ich mich in den dunklen Augen des verliebten Eddie verlor, gab es keine Zweifel. Es war unbeschreiblich. Nach dem Essen besuchten wir Eddies Lieblingsclub. Zum ersten Mal betrat ich eine Diskothek. Ich zögerte. Benno
  128. hatte mir eingetrichtert, die Atmosphäre in diesen Etablissements sei niederfrequent, also sehr weltlich und binde die Besucher stark an die irdische Realität. Dort werde geraucht und getrunken, die Leute würden sich anbag- gern, es sei ein einziger Aufriss. Das sei ein Vergnügen flir Menschen ohne innere Reife. Eddie zerstreute meine Bedenken schnell. Er sprühte vor Temperament und tanzte so hinreißend, dass mir keine Zeit zum Grübeln blieb und ich mich der prickelnden Atmosphäre überließ. Als wir müde waren, fuhren wir zu einem Haus außerhalb der Stadt. Es gehörte einem Freund, der im Ausland weilte. Bevor wir ins Bett schlüpften, nahmen wir uns nochmals fest in die Arme. »Lass mich nie wieder gehen«, beschwor ich Eddie, »bitte, gebe mich nie auf.« Eddie schwieg, schaute mir tief in die Augen, drückte mich fest an sich und sagte, dass er immer zu mir halten werde. Es war ein gött- liches Gefiihl, in den Armen dieses arrraktiven Marines zu liegen ti war wie eine Erlösung. Am Sonntag besuchten wir Eddies Familie. Und alle waren sie da Eltern, Großeltern, Geschwister, Cousinen, Nichten. Obwohl ich nun schon seit über sieben Jahren in diesem Land lebte, tauchte ich jetzt erst in das belizische Leben ein und lernte die Mentalität der Einheimischen kennen. Ich saß in der einfachen Stube eines Holzhäuschens auf einem alten schäbigen Sessel und war umringt von fröhlichen Menschen, die temperamentvoll miteinander palaverten. Fasziniert betrachtete ich ihre Mimik und das Gespräch mit den Händen. Es war ein eigenartiges Gefühl, Teil dieser fremden Welt zu sein. Ich verstand das tiefe Kreol, das die Belizer sprachen, schon recht gut. Doch Eddies Familie
  129. unterhielt sich in einem Slang, der mir unbekannt war. Obwohl die Verwandten von Eddie in sehr einfachen Ver- hältnissen lebten, strahlten sie eine erfrischende Lebensfreude und Herzlichkeit aus. Ich wurde von allen sehr freundlich aufgenommen. Mir fielen Bennos warnende Worte wieder ein, der bei jeder Gelegenheit betont hatte, wir spirituellen Wesen würden in einem solchen Umfeld krank. Eddies Familienmitglieder waren zwar weder gebildet noch reich, doch sie wirkten äußerst lebendig und gesund. Das Elitedenken und die Arroganz unserer Gruppe kam mir da wie ein Hohn vor. Abends fuhren Eddie und ich wieder nach Benque Viejo in unser kleines Haus. Ich schaute dem einsamen Alltag mit gemischten Gefühlen entgegen. Die Zeit verging jedoch schnell, denn ich war vollauf damit beschäftigt, das Haus aufzuräumen und gründlich zu reinigen. Außerdem rief mich Eddie täglich mehrmals an. Bei einem seiner Anrufe erkundigte er sich nicht nach meinem Befinden, sondern sagte, dass Kai bei ihm auf der Polizeistation sei und mich gern sehen w^ürde. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder ärgern sollte. Natürlich hätte ich liebend gern mit Kai gesprochen und ihm meine Beweggründe erklärt, doch ich befürchtete, dass er im Auf- trag von Benno unterwegs war. Trotzdem wollte ich Kai sehen. Mein Bruder bedeutete mir immer noch sehr viel. Außerdem war ich neugierig und wollte erfahren, was sich nach meiner Flucht auf der Ranch abgespielt hatte. Kai und ich fielen uns sofort in die Arme und hielten uns lange fest. »Schön, dich zu sehen«, begrüßte er mich. Dass es ihm nicht gut ging, konnte ich sehen. Er wirkte gehemmt und druckste herum. Es war offensichtlich, dass
  130. er in einer unangenehmen Mission gekommen war. Außerdem belastete ihn die Krise, in die ich die Gruppe mit meiner Flucht gestürzt hatte. Wir saßen nebeneinander auf dem Sofa und hielten uns die Hand. Es war das erste Mal, dass wir über unsere Gefühle und Ängste sprachen. Obwohl wir uns immer sehr verbunden fühlten, hatten wir uns nie voreinander geöffnet. Kai merkte nun, dass er mich gar nicht richtig kannte. Dann platzte er heraus: »Ich muss dir einen Vorschlag machen.« Ich wappnete mich. »Komm mit mir nach Deutschland. Ein Tapetenwechsel täte dir gut.« Ich starrte Kai ungläubig an. Dann kullerten mir Tränen über die Wangen. Sein Angebot bewegte mich. »Was soll ich in Deutschland? Dort habe ich wirklich nichts zu suchen«, erwiderte ich. »Ein Vorschlag von Benno?« Kai nickte. Benno und Janet seien auch in Deutschland, gestand er kleinlaut. »Was!«, entfuhr es mir. »Sie sind bereits in Deutschland?« Sie seien bereits wenige Tage nach meiner Flucht geflogen, bestätigte Kai. Ich war fassungslos. Damit hatte ich nicht gerechnet. Kai erzählte mir, dass in der Gruppe Panik ausgebrochen war. »Alle haben Angst, dass du unser Projekt auffliegen lässt und das Experiment zerstörst.« Ich machte Kai klar, dass er sich die Deutschlandreise abschminken müsse. »Keine zehn Pferde bringen mich zurück zu Benno. Ich habe mich endlich aus seinen Klauen befreit. Ich liebe Eddie und bleibe hier.« Es war eine Wohltat, so sprechen zu können. Dennoch gab Kai nicht auf. Janet und Benno hätten erkannt, dass vieles schief gelaufen sei. Meine Flucht sei notwendig gewesen, um einen wichtigen Prozess ins Rollen zu bringen. »Benno und
  131. Janet haben die Fehler wirklich geschnallt, sie sind bereit, einen neuen spirituellen Raum zu kreieren. Nun wird alles anders. Besser.« »Du bist naiv«, sagte ich enttäuscht. »Sie haben diesen angeblichen neuen Raum schon hundert Mal kreiert. Und was hat sich geändert? Nichts! Ich habe die endlosen Diskussionen um den geistigen Aufstieg und die spirituelle Entwicklung gründlich satt. Ich will end- lieh leben. Verstehst du? In Freiheit leben. Selber bestimmen, was ich denken und tun will. Und vor allem: Ich habe bei Eddie endlich erfahren, was wirkliche Liebe ist, und bleibe bei ihm.« Kai gab sich geschlagen. »Pass gut auf dich auf«, sagte er beim Abschied. Mit hängenden Schultern verließ er das Haus. Es gab mir einen Stich, doch ich war nicht mehr bereit, zurückzukehren. Am Abend spürte ich einmal mehr, dass ich in der schönen neuen Welt gelandet war. Eddie kam übermütig heim und drehte die Musik auf. Nach einer innigen Begrüßung ging er in die Küche, um mir ein kreolisches Mahl zuzubereiten. Wir alberten, tanzten ausgelassen in der kleinen Küche, lachten, küssten uns -- ich hätte vor Glück platzen können. Als Eddie merkte, dass ihm einige Zutaten fehlten, bat er mich, in den Supermarkt zu gehen. Er beschrieb mir den Weg und drückte mir Geld in die Hand. Ich musste allen Mut zusammennehmen. Seit wir die Schweiz verlassen hatten, war ich nicht mehr allein einkaufen gegangen. Da ich ehrgeizig war, ließ ich mir meine Angst nicht anmerken und nahm die Herausforderung an. Als ich das Haus verließ, wurde mir heiß und kalt. Es war wie eine Offenbarung: Ich kann hinaustreten in die große weite Welt.
  132. Einfach so. Mich frei bewegen. Mich unter die Leute mischen. Ohne Angst haben zu müssen. Selbst bestimmen, ob ich nach rechts oder links marschieren will. Großartig. Ein unbeschreibliches Glücksgefuhl durchströmte mich. Ich schaffte den Einkauf und ging voll Stolz heim. Als wir am Tisch saßen, erzählte ich Eddie vom Gespräch mit Kai und der Flucht von Benno und Janet. Wir unterhielten uns auf Englisch, was recht gut klappte. »Die Gruppe fliegt früher oder später auseinander«, sagte ich Eddie. Ich erzählte ihm auch, dass wir einen einzigartigen Fleck auf dieser Erde erschaffen wollten. Die eigentlichen Motive unserer Gruppe, also die spirituellen Projekte, verschwieg ich. Ich wusste nicht, wie ich diesen Wahnsinn hätte erklären sollen. So stellte ich uns als eine Gruppe von Idealisten dar. Es kostete mich viel Überwindung, »meine« Großfamilie und ihr Geheimnis zu »verraten«. Von mir fiel aber ein riesiger Ballast ab, als ich über die Missbräuche, Intrigen und Lügen sprechen konnte. Am nächsten Tag rief Kai an und fragte, ob er mich noch einmal besuchen dürfe. Ich war gespannt, was er nun vorzutragen hatte. Als er auf unser Häuschen zukam, fiel mir auf, wie mitgenommen er aussah. Er hatte an Gewicht verloren und wirkte deprimiert. Kai erzählte mir nun in allen Einzelheiten, was sich nach meiner Flucht auf der Ranch ereignet hatte. Der Aufruhr war riesig, als mein Verschwinden entdeckt wurde. Janet hatte vergeblich versucht, mich per Funk zu erreichen. Alle Familienmitglieder wurden befragt, doch niemand hatte mich gesehen. Als Janet mein ausgeschaltetes Funkgerät neben meinem Bett entdeckte, herrschte Alarmstimmung.
  133. Sofort wurde eine große Suchaktion gestartet. Benno war immer noch mit seiner Cessna unterwegs und wusste noch nichts von meiner Flucht. Per Pferd und Motorrad wurde die Ranch abgesucht. Vergeblich. Als Benno zurückkehrte, war endgültig die Hölle los. Er hat getobt wie ein Irrer, berichtete Kai. Benno vermutete, dass Alyson hinter meiner Flucht steckte. Mein Bruder musste ihn sofort zu Hause aufsuchen. Ergebnislos. Als Sibylle mit ihrem Anruf herausfand, dass ich zu Eddie geflüchtet war, war der Schock groß. Alle wussten sofort, dass sie mich nicht so leicht zurückholen konnten und die Gruppe in ihrer Existenz bedroht war. Die Führungscrew hielt stundenlange Krisensitzungen ab. Viele Gruppenmitglieder waren am Boden zerstört, die Frauen weinten hemmungslos, die Angst war groß. Janet erstickte fast. Sie weinte so heftig, bis ihr die Luft ausging. Sie fühlte sich für meine Flucht verantwortlich. Die ganze Nacht hindurch wälzten sie verschiedene Szenarien und Strategien, um die Gefahr abzuwenden. Dabei wurde entschieden, dass Janet und Benno so schnell als möglich abtauchen müssten. »Es war ein riesiges Drama«, fasste Kai seine Eindrücke zusammen. Ich konnte mir die Situation sehr gut vorstellen und war heilfroh, dass ich den Wahnsinn nicht hatte miterleben müssen. Dann kam Kai zur Sache. Er bat mich, mit ihm in die Schweiz zu reisen. Da sich unsere Wege nun trennen würden und er verstanden habe, dass er mich eigentlich gar nicht richtig kannte, wünschte er sich diese Reise. »Wir werden irgendwo in die Berge gehen, nur wir zwei.« Es schien sein Herzenswunsch zu sein. Trotzdem vermutete ich, dass der Vorschlag einen Haken hatte. Kai machte es
  134. mir schwer, denn ich wollte Eddie unter keinen Umständen verlassen. Gleichzeitig wusste ich, dass es für Kai und mich wichtig war, die Erlebnisse zu verarbci ten. Auf jeden Fall wollte ich zuerst mit Eddie darüber sprechen. Eddie kam die Sache nicht geheuer vor. »Wenn die Reise für dich wichtig ist, werde ich deine Entscheidung akzeptieren und warten, bis du wieder zu mir zurückkommst«, sagte er. »Das werde ich. Und wenn ich über den Atlantik schwimmen muss«, schwor ich ihm. »Was ist, wenn Benno dich in den Schweizer Bergen besucht«, fragte mich Eddie. »Ich habe keine Angst, weil ich weiß, dass er das Spiel verloren hat«, beruhigte ich ihn. »Er hat keine Macht mehr über mich.« »Und wenn er am Flughafen wartet, um dich an der Rückreise zu hindern?« »Dann schreie ich und mache ihm eine Szene, bis die Polizei kommt. Außerdem habe ich Verwandte in der Schweiz, die mir helfen würden.« Angst hatte ich nur davor, noch einmal mit Benno konfrontiert zu werden. Ich befürchtete, dass mir ein weiterer Kampf um meine Freiheit bevorstand. Trotz meiner Bedenken willigte ich in die Reise ein, und Kai buchte die Flüge. Um von günstigen Konditionen profitieren zu können, sei eine Rückreise erst nach drei Wochen möglich, erklärte mir Kai. Wieder eine Finte? Kai flehte mich an, jetzt keinen Rückzieher zu machen. Mit gemischten Gefühlen gab ich nach. Eddie und ich sorgten vor. Wir erstellten Videoaufnahmen, in denen ich die sexuellen Missbräuche schilderte. Damit wollten wir Benno drohen, falls er mich festhalten würde.
  135. Außerdem hätte Eddie damit eine Strafanzeige einreichen können. Ich musste schmunzeln, denn er war ganz in seinem Element als Polizist. Witzig, dass mir das Schicksal ausgerechnet einen Gesetzeshüter beschert hatte. Allmählich getraute ich mich, ihm von unseren übersinnlichen Zielen zu erzählen. Es war schwierig, aber ich musste es versuchen. Wie erklärt man jemandem, der sich noch nie mit esoterischen Fragen beschäftigt hat, eine spirituelle Welt? Eddie versuchte, mich zu verstehen, doch er schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf. Ich begriff nun die Aussage von Benno und Janet, dass normale Menschen uns nicht verstehen könnten. Die Frage war nur, wer »normal « war. es war mir schrecklich peinlich, Eddie zu erzählen, was wir all die Jahre getrieben hatten. Auch mir gingen die Augen erst jetzt richtig auf, als ich den Wahnsinn einem Außenstehenden erklären musste. Ein Versuch Am Abend vor unserer Abreise besuchte uns Kai. Eddie kochte eine belizische Spezialität, danach spielten wir Billard und gingen rechtzeitig zu Bett, denn unser Flug war früh am Morgen. Eddie und ich konnten aber noch lange nicht einschlafen. Ich tauchte noch einmal tief in das Geflihlsbad der Liebe und fühlte mich bereits als Teil von Eddie. Als ob wir schon ewig zusammen wären. Ich verabschiedete mich am anderen Morgen innig von ihm. Auf der Fahrt zum Flughafen erzählte mir Kai, dass unsere Mutter es nicht fassen könne, dass ich ausgerechnet mit einem Kerl wie Eddie durchgebrannt sei. Wie die übrigen Familienmitglieder vermutete auch sie, dass ich nicht wirkliche Liebe für ihn empfinde, sondern nur den
  136. Beschützer in ihm sehe. Alyson hätte viel besser zu mir gepasst. Ich starrte Kai ungläubig an. Das ist der Gipfel der Verlogenheit. Ich kochte vor Wut. Nun soll Alyson plötzlich zu mir gepasst haben ... Alyson, der damals so verflucht und in den Dreck gezogen worden war. Das Gespräch machte mir deutlich, dass Kai hin- und hergerissen war. Seine Worte verrieten den Einfluss von Benno und Janet. Gleichzeitig versuchte er, mich zu verstehen. Trotzdem konnte er meine seelische Not, die mich zur Flucht veranlasst hatte, nicht recht nachvollziehen. Er wollte auch nicht wahrhaben, dass ich an eine Zukunft mit Eddie glaubte. Im Flugzeug verlangte Kai meinen Pass. Es sei besser, wenn er alle Papiere in seiner Obhut habe. Ich reagierte misstrauisch, wollte ihn aber nicht brüskieren. Ich malte mir immer wieder aus, wie es für mich wäre, wenn Benno auf dem Zürcher Flughafen auf uns warten wurde Ich sah mich bereits toben und schreien. Meine Freiheit gebe ich um keinen Preis mehr her, dafür werde ich kämpfen wie ein wildes Tier. An Kais Seite fühlte ich mich trotz der leichten Entfremdung geborgen. Ich glaubte, dass ich mich im Notfall auf ihn würde verlassen können. Auf dem Zürcher Flughafen schaute ich mich ängstlich um. Mein Misstrauen war zum Glück unbegründet, weit und breit kein Benno. Kai und ich studierten Prospekte und entschieden uns, nach Grindelwald ins Berner Oberland zu fahren, wo wir vor etwa zwölf Jahren Ferien verbracht hatten. Die Umgebung mit Eiger, Mönch und Jungfrau hatten wir als traumhaft in Erinnerung. Kai strahlte mich an
  137. und sagte, wir könnten im Schnee spazieren, Schlitten fahren, Eis laufen und vielleicht sogar Skier mieten. Nur um zu schauen, ob wir das Ski- fahren in all den Jahren nicht verlernt hatten. Ich entspannte mich und freute mich erstmals über die Reise und die Zeit mit Kai. Auch wenn ganz tief ein Rest an Unbehagen blieb. Die Schweiz war mir fremd. Plätze, die ich noch von meiner Kindheit her kannte, kamen mir unbekannt vor. Wir mieteten uns in einer einfachen Herberge ein und freuten uns wie kleine Kinder über den Winter und die herrliche Berglandschaft. Wir verstanden uns blendend und kamen uns langsam näher. Wir waren die tiefen Temperaturen nicht mehr gewöhnt und erkälteten uns nach kurzer Zeit. Das Fieber band uns ans Bett. Ich wollte unbedingt Eddie anrufen, da die Sehnsucht von Tag zu Tag stärker wurde. Ich musste seine Stimme hören. Kai wollte es mir zuerst ausreden, doch dann ließ er mich gewähren. Ich war total aufgeregt, als ich die Nummer wählte. Eddie freute sich riesig über meinen Anruf, und ich war glücklich, ihn zu hören. Spannungen mit Kai gab es auch, wenn ich ein Internetcafe aufsuchte, um Eddie eine E-Mail zu schicken. »Kannst du nicht einmal den Moment mit mir genießen? Immer hast du Eddie im Kopf«, warf er mir vor. Da war wieder dieser Druck, vor dem ich geflüchtet war. Ich reagierte verärgert. Als Kai einmal das Zimmer verließ, ging ich zu seinem Nacht- tischchen und nahm meinen Fass und das Flug ticket an mi< h. Sicher ist sicher, dachte ich. Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich erwachte, kam Kai ins Zimmer. Er telefonierte. Mir war sofort klar,
  138. dass er mit Janet sprach Seine Stimme verriet ihn. Er säuselte, wie sehr er sie vermisse und liebe. Ich konnte es nicht fassen, dass Kai noch so stark an Janet hing. Konster- niert stellte ich fest, dass mein Bruder immer noch total von Janet abhängig war. Gefangen in dieser einseitigen, erzwungenen Beziehung. Plötzlich nahm Kai das Telefon vom Ohr und sagte zu mir gewandt, dass Janet sich nichts sehnlicher wünsche, als einige Tage mit uns in den Schweizer Bergen zu verbringen. Ob ich etwas dagegen hätte. In meiner Fieberschwere willigte ich ein. Ich sagte mir, dass sie bei mir ohnehin nichts mehr ausrichten könne. Ich fragte Kai, woher er das Mobiltelefon habe. Es gehöre zur Herberge, antwortete er. Und woher kannte er Janets Nummer? Andres habe sie ihm beim letzten Gespräch gegeben. Sie habe sich in Belize gemeldet und eine Nachricht flir ihn hinterlassen. Kai bemerkte kurz darauf, dass ich meinen Pass an mich genommen hatte. »Warum vertraust du mir nicht?«, fragte er. Ich war verunsichert, denn ich wollte meinem Bruder vertrauen. Also gab ich ihm Pass und Billett zurück. Bereits am nächsten Tag trudelte Janet bei uns ein. Ich war sehr gespannt auf die Begegnung. Mir war, als hätte ich sie eine halbe Ewigkeit nicht gesehen. Ich erschrak, als Janet unser Zimmer betrat. Sie sah aus, als sei sie um zehn Jahre gealtert. Ihr Gesicht wirkte eingefallen. Janet schloss mich in ihre Arme. Sie weinte vor Freude, mich wiederzusehen. Ich reagierte zurückhaltend. Sie habe mich so vermisst, sagte sie mir. Ich schwieg. Mit Genugtuung stellte ich fest, dass ich mich stark fiihlte. Ich
  139. musste ihr nichts mehr vorspielen. Die Atmosphäre blieb angespannt. Mir war klar, dass Janet meinetwegen nach Grindelwald gekommen war. Wir wussten, was gespi elt wurde, auch wenn der wahre Grund ihres Besuchs unausgesprochen blieb. Eigentlich hatte mich Kai unter falschen Versprechungen in diesen Hinterhalt gelockt. Wir unterhielten uns über Unverfängliches, über das Wetter und die schöne Landschaft. Als wären wir Fremde und müssten uns zuerst einmal abtasten. Als wir ins Bett gingen, schlugen Kai und Janet vor, ich solle doch meine Liege neben ihr Doppelbett schieben. Es wäre doch schöner, nebeneinander zu schlafen. Ich lehnte das Angebot ab, denn ich hatte genug von diesen Ritualen. Immer diese Demonstration von Harmonie! Ich hatte sie satt und brauchte Distanz. Früher hätte Janet mich so lange bearbeitet, bis ich »einsichtig« geworden wäre. Doch nun operierte sie vorsichtiger. Sie war schließlich nicht zum Vergnügen zu uns in die Berge gefahren. Am nächsten Morgen setzte sie sich auf mein Bett. »Ich muss dir ganz liebe Grüße von Benno ausrichten«, fing sie an und streckte mir einen zauberhaften Bergkristall hin. Zum ersten Mal fiel sein Name. »Benno hat ihn mit all seiner Liebe fiir dich ausgesucht.« Ich zögerte, nahm dann aber den Kristall entgegen. Janet schaute mich fragend an. Als ich nicht reagierte, sagte sie, dass sich Benno nichts sehnlicher wünsche, als mich nochmals zu sehen. Daraufhatte ich gewartet. Erstmals wagte ich es, Janet den jahrelang aufgestauten Frust an den Kopf zu werfen. Es
  140. brach förmlich aus mir heraus. »Nie mehr werde ich einen solchen Irrsinn mitmachen«, sagte ich zu ihr. »Nie wieder!« Janet wurde nachdenklich. Die Gefühle überwältigten mich, ich musste weinen. Sie nahm mich in die Arme und sagte, sie verstehe mich. Ich gestand ihr auch, dass ich mit ihren spirituellen Spekulationen von den höheren Ebenen und dem geistigen Aufstieg nicht mehr viel habe anfangen können. »Bleib, wie du bist, das ist gut so«, besänftigte sie mich. »Niemand will dich ändern.« Benno und sie hätten nach meinem Weggang viele neue Erkenntnisse gehabt, sodass sie nun einen neuen freien Raum kreieren könnten. »Bitte, versteh doch«, sagte ich zu Janet. »Ich habe genug, ich will nicht aufsteigen, sondern frei sein.« Diese Worte kosteten mich so viel Kraft, dass ich mein Gesicht ins Kissen vergrub und zu heulen begann. Lasst mich doch einfach in Ruhe, schrie ich in mich hinein, ich kann wirklich nicht mehr. Janet war ratlos, Kai litt. »Lass es gut sein«, sagte er schließlich, »akzeptiere doch Leas Entscheidung.« Er schlug eine Schlittenfahrt vor. Als wir draußen an der frischen Luft waren und die Hänge hinunterrasten, lockerte sich die Stimmung. Wir lagen im Schnee und lachten. Die aufgestauten Gefühle verschafften sich Luft. Nach dem Abendessen holte Janet den nächsten Trumpf aus der Hinterhand. Sie überreichte mir ihr Lieblingscollier. Ein in Gold gefasster Wasseropalhänger, den Benno ihr geschenkt hatte und der ihr sehr viel bedeutete. Mir war nicht wohl bei der großzügigen Geste von Janet. Es sei ihr Herzenswunsch, mir dieses Collier zu schenken, sagte sie. Deshalb wagte ich es nicht, das Geschenk abzulehnen. Ich
  141. lasse mich aber nicht kaufen, schwor ich mir und dachte ganz fest an Eddie. Am nächsten Morgen reisten wir ab. An den Tag erinnere ich mich genau, es war Kais Geburtstag. Während wir unsere Sachen packten, entstand eine seltsame Spannung. Etwas lag in der Luft. Dann löste Kai den Knoten: »Ich wünsche mir zum Geburtstag, dass du mit Benno telefonierst.« Das kann doch nicht dein Ernst sein, dachte ich und schaute ihn mit großen Augen an. Als er meinen fragenden Blick sah, fügte er an: »Es ist auch für deinen Frieden wichtig, dass du dieses Kapitel beendest.« Ich war hin- und hergerissen. Ich wollte meinem Bruder den Gefallen tun, bekam aber eine Gänsehaut bei dem Gedanken, Bennos Stimme zu hören. Irgendwie leuchtete mir Kais Argument auch ein. Es wäre bestimmt ein wichtiger Schritt für mich, Benno unmissverständlich zu sagen, dass es flir mich vorbei war. Ich war sehr nervös, als ich den Hörer in die Hand nahm. Ich fühlte mich wie in einem falschen Film, als ich Bennos Stimme hörte. Sie löste bei mir spontan heftige Reaktionen aus, in mir sträubte sich alles. »Lea, ich will dir noch ein einziges Mal in die Augen schauen«, sagte Benno beschwörend. Seine Stimme vibrierte. »Ich will nicht ... ich kann nicht, nein ...« Ich konnte nur stammeln. Seine Stimme hatte zwar ihre Vertrautheit verloren, doch ihr haftete etwas Magisches an. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, ihm klar zu machen, wie sehr er mich in all den Jahren ausgenutzt und gedemütigt hatte. Doch ich schaffte es nicht. Ich brachte kaum einen Ton hervor. Er ließ mir mit seiner drängenden und zugleich flehenden Stimme auch keinen Raum. »Lass uns verreisen. An einen
  142. wunderschönen Ort. Nur wir beide.« Ich wurde immer hilfloser. Plötzlich ließ ich den Hörer fallen, als hätte mich etwas in die Hand gestochen. Es schüttelte mich, ich emp- fand tiefen Ekel. Schluchzend schmiss ich mich aufs Bett und zog die Decke über den Kopf. Kai schälte mich aus der Decke und nahm mich fest in den Arm. Er sprach beruhigend auf mich ein. Es sei alles in Ordnung, sagte er. Er habe Benno gesagt, dass ich am Ende meiner Kräfte sei und er dies akzeptieren müsse. Erst jetzt wurde mir langsam klar, welche Macht dieser Mann über mich hatte. Janet hatte das Gespräch gespannt verfolgt. Sie beschloss, gemeinsam mit Kai zu Benno nach Deutschland zu fahren. Ich atmete erleichtert auf. Dann rief sie Benno an, um ihm die Ankunftszeit mitzuteilen. Auf einmal veränderte sich ihr Ton. Sie sagte zu Benno, es sei im Sinne des Entwicklungsprozesses notwendig, dass er mich freigebe. Janet hielt mir den Hörer hin. Zögernd nahm ich ihn entgegen. Benno meinte, er wollte sich einfach verabschieden. Er liebe mich unendlich und wünsche mir alles Gute auf meinem weiteren Lebensweg. Ich bedankte mich, wünschte ihm ebenfalls alles Gute und gab Janet das Telefon zurück. Irgendwie fühlte ich mich erleichtert. In Zürich trennten sich unsere Wege. Nun wurde mir doch etwas mulmig. Janet drückte mich fest an sich. Als ich mich von Kai verabschiedete, schauten wir uns lange an. »Pass gut auf dich auf«, sagte er. Ich fiihlte tief, wie sehr wir einander immer noch verbunden waren. Als ich im Zug saß, atmete ich auf. Etwas war vorbei. Ich hatte es geschafft, dem Spuk ein Ende zu setzen. Ich
  143. frohlockte bei dem Gedanken, Janet und Benno besiegt zu haben. Neue Erfahrungen Während meines kurzen Aufenthalts in der Schweiz besuchte ich auch meine Freundin Jessica. Ich hatte ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen, weil ich die Freundschaft nicht hatte pflegen können, wie ich es mir gewünscht und ihr versprochen hatte. Vorsichtig schilderte ich ihr ein paar Episoden aus meinem Leben. Jessica hörte mir interessiert zu. Das alles sei ja viel schlimmer, als sie stets befürchtet hätten, gestand sie mir. Es war eine riesige Erleichterung, mich öffnen und einfach von mir erzählen zu können. Ähnlich erging es mir mit meiner Cousine Gabi. Sie ist ein paar Jahre älter als ich, und ich hatte sie als Kind regelrecht angehimmelt. Nun begegneten wir uns als Erwachsene wieder und wir fielen uns in die Arme, als seien wir in all den Jahren die besten Freundinnen gewesen. Zwischen uns stimmte es auf Anhieb. Auch ihr erzählte ich von unserem Gruppenleben, klammerte aber meine Beziehung zu Benno aus. Darüber wagte ich nicht zu sprechen. Gabi freute sich, dass ich nun mein Leben selber in die Hand genommen und in Eddie einen lieben Freund gefunden hatte. Als mich Gabi zum Flughafen brachte, überraschte mich dort Jessica. Sie hätte mich einfach noch einmal sehen müssen, sagte sie. Ich war sehr bewegt. Jessica hatte Tränen in den Augen, als wir uns verabschiedeten. Mit einem übervollen Herzen nahm auch ich Abschied. Als sich in Belize die Tür des Flugzeugs öffnete und mir die feuchtheiße Luft entgegenströmte, atmete ich tief ein. Endlich zu Hause!
  144. Bei der Immigrationskontrolle wurde ich von einem bulligen Beamten angesprochen. Ob ich die Freundin von Edward sei, fragte er mich. Ich erschrak. Eddie ließ mir ausrichten, dass er sich leicht verspäten würde. Ich war erleichtert. Auf einem Bänkchen am Ausgang des Flughafens wartete ich geduldig. Nach einer Stunde wurde es mir doch ungemütlich. Die Vorstellung, alleine in Belize City zu sein, machte mir Angst. Benno und Janet hatten uns immer eingeredet, dass die Stadt ein schlimmes Pflaster sei, und als junge weiße Frau dürfte ich auf keinen Fall ohne Beglei- tung unterwegs sein. Nach einer weiteren Stunde des Wartens und der bangen Fragen brauste Eddie endlich heran. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Eddie erdrückte mich fast bei der Begrüßung. »Ich bin so glücklich, dich wiederzusehen.« Fast zeitgleich sprachen wir beide es aus. Eddie wollte alle Details meiner Reise wissen. Er konnte es kaum fassen, dass ich zurückgekehrt war, Eddies glänzende Augen rulirtrfi mich. »Weißt du, was es bedeutet, dass du wieder nach Belize gekommen bist?«, fragte er mich. Ich nickte. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr er Angst um mich gehabt hatte. Obwohl Eddie beruflich sehr eingespannt war, tat er alles, damit ich mich wohl fühlte und mir nicht verloren vorkam. An einem Nachmittag nahm er sich frei und fuhr mit mir zu Freunden , die tief im Regenwald wohnten. Ich staunte nicht schlecht. Ihre Farm stellte sich als einfache Touristenherberge heraus. Hier lebte eine junge deutsche Frau, mit der Eddie mich bekannt machen wollte.
  145. Ich fühlte mich in der abgeschiedenen Welt auf Anhieb wohl. Die von den beiden belizischen Brüdern Jose und Lazaro erbauten Gästehäuser thronten mehrheitlich auf Bäumen. Sie führten ein wenig das Leben von Wilden, der Dschungel war ihre Heimat, und es gab weder Strom noch fließendes Wasser. Dafür sprudelte im Küchenhaus, das im Stil der Mayas gebaut war, frisches Quellwasser aus einer Leitung. Gebadet wurde im Flüsschen, das sich zwischen den Häusern hindurchschlängelte und einen kleinen Pool bildete. Die Deutsche stellte sich als Miriam vor und freute sich, in ihrer Muttersprache reden zu können. Sie war 25 Jahre alt und die Freundin eines der beiden Brüder. Wir mochten uns sofort. Als sie von meinen Lebensumständen erfuhr, lud sie mich ein, bei ihnen zu wohnen. Ich war erst verwundert, nahm die Einladung aber dankbar an. Hier konnte ich mich nützlich machen und war tagsüber nicht allein. Auf der Martz-Farm lebte auch ein älterer Amerikaner, den alle Onkel Joe nannten. Er war ein begnadeter Geschichtenerzähler. Als er mitbekam, dass ich Erfahrung mit Pferden hatte, durfte ich mich um seinen Esel kümmern. Die beiden Brüder arbeiteten hart, doch sie waren immer für einen Spaß zu haben. Miriam freute sich, dass es eine weitere weibliche Person auf der Farm gab. Wir freundeten uns rasch an. Verblüfft stellte ich fest, dass die »gewöhnlichen Menschen« gar nicht so blöd waren, wie es Benno oftmals dargestellt hatte. Auch die beiden belizischen Brüder, die mit ihren zotteligen Mähnen aussahen wie Buschmänner, hatten klare Lebensvorstellungen und hohe morali~ sehe Ziele. Es war fiir mich eine Offenbarung, ihre Welt zu
  146. entdecken. Das Leben außerhalb unserer Gruppe war gar nicht so dumpf, wie ic\ geglaubt hatte. Und ich wurde angenommen, wie ich war. Es wai wunderbar. Ich half in der Küche, kümmerte mich um die Gäste, meist waren es ausländische Touristen, versorgte den Esel Budly und begleitete Miriam auf ihren Einkaufstouren. Schon nach kurzer Zeit fühlte ich mich geborgen und wurde Teil der Familie. Eddie kam abends oft zu uns in den Dschungel. Dann stimmte für mich einfach alles. Es ist fast zu schön, um wahr zu sein, sagte ich mir immer wieder. Es beglückte mich jeden Tag aufs Neue, dass ich die Flucht gewagt hatte. Kurze Zeit nach meiner Rückkehr besuchte uns meine Großmutter. Ich hatte sie in der Schweiz vorwarnen können, dass ich nicht mehr auf der Ranch lebte. Mit zittrigen Knien wählte ich die Nummer der Ranch. Ich hatte meiner Großmutter versprochen, sie zu treffen. Beim Gedanken, zur Ranch zu fahren, zog es mir den Magen zusammen. Dabei wusste ich genau, dass mir im Beisein der Großmutter dort nichts passieren konnte. Außerdem waren Benno und Janet in Deutschland. Eddie fuhr mich mit einem großen Geländefahrzeug der Polizei zur Ranch. Es war ein erhabenes Gefiihl, in Begleitung von vier Polizisten vorzufahren. Gleichzeitig klopfte mein Herz bis zum Hals. Als Erstes begegnete ich Matthias und Alice. Zu meiner Überraschung begrüßten sie mich sehr freundlich. Ich war verkrampft, denn ich wusste, dass ich als Feindin galt. Als ich zum Restaurant kam, spürte ich auch das frostige Klima. Andres und meine Großmutter seien bei der Gästeunterkunft, wurde mir
  147. bedeutet. Erleichtert machte ich mich auf den Weg. Ich freute mich vor allem auf das Wiedersehen mit meinem Vater. Wir fielen uns in die Arme. Zum ersten Mal seit unserer Auswanderung konnte ich ihm wieder als Tochter begegnen. Endlich war das belastende Versteckspiel zu Ende. Andres sagte mir, Lisa sei in der Wäscherei und werde gleich kommen. Ich sah der Begegnung mit gemischten Gefühlen entgegen. Mir war klar, dass meine Mutter meine Flucht als Verrat an der Gruppe empfand. Die Begrüßung fiel dann auch kühl aus, doch sie wahrte die Form, um meine Großmutter nicht zu brüskieren. Das Gespräch verlief schleppend. Wir konzentrierten uns auf die Großmutter. Lisa gab mir zu verstehen, dass sie unter vier Augen mit mir ein paar Worte wechseln wollte. Wir setzten uns auf die Veranda. Bevor meine Mutter das Wort ergreifen konnte, sagte ich ihr, wie stark ich in all den Jahren unter Benno und dem Gruppendruck gelitten hatte. Und dass ich endlich davon frei sein wollte. Ich machte ihr klar, wie glücklich ich mit Eddie sei und welch ein tiefes Gefühl von Frieden ich nun verspürte. Lisa hörte mir ungeduldig zu. Ob ich wirklich so naiv sei und an die wahre Liebe glaube, fragte sie mich. »Die wahre Liebe ist eine Illusion.« Außerdem sei sie von Eddie enttäuscht, weil er mich auf simpelste Art verführt und sie als Freunde hintergangen habe. Ich kochte innerlich. Es hat keinen Sinn, mit ihr darüber zu streiten, dachte ich. Trotzdem machte ich sie darauf aufmerksam, dass sie und Andres doch auch lange Zeit eine tiefe Liebe füreinander empfunden hätten. »Jede Flamme erlischt irgendwann«, sagte sie gleichgültig. Sie könne nicht verstehen, dass ich
  148. Benno verlassen habe. Ich war enttäuscht und niedergeschlagen. Lisa wollte einfach nicht wahrhaben, wie unglücklich ich mit Benno war und wie wenig ich zu ihm passte. Aber es hatte sie auch schon lange nicht mehr interessiert, wer ich eigentlich war und wie es mir ging. Immerhin gestand sie mir, dass sie zwischendurch auch unglücklich gewesen sei. Meine Flucht habe aber die längst fälligen Korrekturen bewirkt. Sie seien nun auf dem richtigen Weg, zumal auch Benno die Lektion kapiert habe. Alles werde nun anders. Ich müsse aber Benno und der Gruppe noch eine Chance geben und zurückkommen. Ich konnte es nicht mehr hören. Immer die gleiche Leier. Wie konnte sie noch an diesen Wahnsinn glauben? Als ich mit meiner Großmutter dann im Restaurant ein Eis aß, würdigten mich die meisten Gruppenmitglieder keines Blickes oder schauten demonstrativ weg. Andres brachte mich später zurück zu Eddies Haus. Während der Fahrt fragte ich ihn, wie er die Situation empfinde. Er wünsche sich einfach, dass ich glücklich werde, sagte er. Auch wenn er mich vermisse. Wir gaben uns die Hand und hielten uns lange fest, ohne etwas zu sagen. Dann fragte ich ihn, ob er ein Problem damit habe, dass Eddie ein Schwarzer sei. Er verneinte. Er hoffe nur, dass ich nithc schwanger und dann von Eddie im Stich gelassen würde Kurz vor unserem Ziel hupte hinter uns ein Auto. Es war Eddie Wir hielten an und stiegen aus. Eddie ging auf Andres zu und streckte ihm die Hand entgegen. Dann schlossen sich die beiden kurz in die Arme. Es war die erste
  149. Begegnung zwischen den beiden seit meiner Flucht. Andres war ein wenig gehemmt, doch er gab sicn Mühe. Eddie offen zu begegnen. Eddie und ich verbrachten das Wochenende in Belize City. Wir trafen uns mit seinen Freunden, gingen tanzen und besuchten die Familie seiner Schwester. Überall wurde ich herzlich aufgenommen. Die Offenheit und die Wärme überwältigten mich. Eddie verbarg auch nicht, dass er stolz auf mich war. Am Sonntagabend steckte er mir ein Notizheft zu. Halte deine Gedanken und Gefühle fest, schreibe sie auf, ermunterte er mich. Eddie schrieb Gedichte und er wusste, dass ich dies bewunderte. Als ich dann wieder auf der Martz-Farm übernachtete, in meinem Baumhaus mit freier Sicht auf den Mond, fielen mir, überwältigt von der Atmosphäre, einige Gedichtzeilen ein. Ich setzte mich sofort auf und begann zu schreiben. In wenigen Minuten entstand mein erstes Gedicht. Seitdem drückte ich meine Sorgen und Glücksmomente in Gedichten aus. Zu meinem eigenen Erstaunen tat ich es in Englisch. Es war so befreiend, Gefühle in Worte zu fassen. Die Brüder Martinez von der Martz-Farm baten mich, mich um Onkel Joe zu kümmern. Sie boten mir 40 belizische Dollar (etwa 20 Euro) pro Tag dafür an. Er war zuckerkrank und ich sollte ihm das Insulin spritzen. Diesbezüglich hatte ich nur Erfahrung mit Pferden, lernte die Applikation bei Onkel Joe aber schnell. Zum ersten Mal in meinem Leben verdiente ich ein bisschen Geld. Nach gut einem Monat wurde Eddie nach Belmopan, der Hauptstadt von Belize, versetzt. Meine Zeit auf der Martz- Farm war damit ebenfalls vorbei. Der Abschied fiel mir
  150. nicht leicht. Der Umzug von Eddies Hausrat stand uns bevor. Als ich zusammen mit einem befreundeten Polizisten das Auto packte, klingelte das Telefon. Ich sprang freudig zum Hörer, denn meistens war es Eddie, der anriet. Es meldete sich jedoch eine Frauenstimme. Wo ist Edward, fragte die unbekannte Anruferin. Ihr energischer, fordernder Ton beunruhigte mich. Als ich ihr sagte, dass er nicht da sei, beendete sie das Gespräch. Immerhin verabschiedete sie sich recht freundlich. Als wir in unserem neuen Heim ankamen, spürte ich sofort, dass mit Eddie etwas nicht stimmte. Er wirkte bedrückt. Seine Frau Debo- rah habe angerufen und sei total ausgerastet. Obwohl sie schon seit zweieinhalb Jahren getrennt lebten, habe sie ihm eine Szene gemacht. Was ich bei ihm mache, habe sie wissen wollen. Es war eine heikle Angelegenheit und Eddie war nicht wirklich gewillt, mir von seiner Beziehung zu Deborah zu erzählen. Früher hatte er mal angedeutet, dass Deborah bei Konflikten rabiat reagiere und dass dann die Fetzen fliegen. Manchmal habe sie in ihrer Wut seine Kleider zerrissen, Stühle zu Kleinholz verarbeitet oder seine Gedichte verbrannt. Eddie mied dieses Thema, und ich wollte ihn nicht bedrängen. Allerdings irritierte mich dieser Vorfall. An einem der nächsten Tage, wir fuhren gerade zu unserem halbleeren Haus, klingelte Eddies Handy. Es war Andres, der sich erkundigte, wie es mir gehe. Als ich mit ihm sprach, mischte sich Eddie ein und ließ Andres fragen, ob ich nicht auf der Ranch übernachten könne. Ich war gar nicht begeistert von dieser Idee und schaute Eddie überrascht an. Mein Vater reagierte ähnlich verblüfft.
  151. Einen Moment schien die Leitung tot. Dann sagte er, dass der Besucherbungalow besetzt sei, sie hätten Gäste. Ich wollte auch lieber allein im fast leeren Haus in Benque übernachten. Eddie brachte mich schweren Herzens dorthin und fuhr zum Nachtdienst ins entfernte Belmopan. Zum Glück gehörten Herd und Kühlschrank zum Inventar des Hauses, so dass ich mir noch eine Kleinigkeit zubereiten konnte. Ich war so müde vom Schleppen der Möbel, dass ich mich bald aufs Bett legte. Plötzlich hörte ich vor dem Haus aufgeregte Stimmen. Was war los? Ich war sofort hellwach. Vorsichtig schlich ich ans Fenster und warf einen Blick nach draußen. In der Einfahrt entdeckte ich ein mir fremdes Auto. Ich geriet in Panik und suchte reflexartig ein Versteck. Ich konnte nicht ins Wohnzimmer gehen, denn dieses wurde von außen hell beleuchtet. Dort wäre ich rasch entdeckt worden. Unter das Bett konnte ich auch nicht, es war zu niedrig Hastig schaute ich mich um. Ich hörte bereits, wie jemand an der Haustüre rüttelte. Es war nichts da, das mir hätte Schutz bieten können. Wir hatten alles ausgeräumt. Als größeres Möbel gab es nur noch den Wandschrank. Da er Fächer hatte, fand ich darin keinen Platz. In meiner Not öffnete ich die Tür und stellte mich dahinter. Ein schlechteres Versteck hätte ich mir nicht vorstellen können. Aber es gab kein besseres. Kinderstimmen drangen auf einmal an mein Ohr. Sie kamen mir bekannt vor. Eddies Kinder, schoss es mir durch den Kopf. Sie riefen auch schon nach ihrem Vater. Nun war mir klar, dass Eddies Frau De- borah vor der Haustür stand. Und ich ahnte, dass ihr Besuch nichts Gutes verhieß.
  152. Ich hätte mich ohrfeigen können, weil ich vergessen hatte, die Außentür richtig zu verriegeln. Deborah hatte also keine große Mühe, die Tür aufzudrücken. Die Sekunden schienen zu gefrieren. Ich kam mir lächerlich vor hinter der Tür des Wandschranks. Trotzdem blieb ich wie angewurzelt stehen. Und schon hörte ich Schritte, die langsam näher kamen. Jetzt entdeckt mich Deborah, war ich überzeugt. Ich spähte durch den Türspalt und sah, wie sie einen Blick in das Zimmer warf. Mein Herz pochte heftig. Doch dann drehte sie sich um und verließ den Raum. Ich atmete erleichtert auf. Nach kurzer Zeit stürmte Eddies Sohn ins Zimmer und schaute sich interessiert um. Er kam auf den Schrank zu und guckte durch den Spalt. Wir standen Aug in Aug, getrennt durch die Schranktür. Ich wusste nicht, ob er mich gesehen hatte. Er ließ sich nichts anmerken und ging aus dem Zimmer. Der Schweiß brach mir aus, die Sekunden dehnten sich zur Ewigkeit. Dann hörte ich wieder Schritte. Das ist Deborah! Augenblicke später tauchte sie auf. Bevor ich überlegen konnte, wie ich mich am besten aus der ungemütlichen Lage befreien könnte, stand Deborah bereits vor mir. Sie müsse mit mir reden, sagte sie ungehalten. Als sie die Angst in meinen Augen sah, wurde sie sanfter. Sie werde mir nichts tun, beruhigte sie mich. Wir setzten uns auf die Bettkante. Ich fühlte mich hilflos. Die beiden Kinder blieben im Wohnzimmer. Deborah löcherte mich mit Fragen. Seit wann bist du mit Eddie zusammen? Plant ihr eine £e- meinsame Zukunft? Plötzlich klingelte das Handy, das mir Eddie dagelassen hatte. Erleichtert nahm ich den Anruf entgegen. Es war Eddie. Er wollte sich nur vergewissern, ob bei mir alles in Ordnung
  153. sei. Deborah schaute mich feindselig an. Ich schilderte Eddie knapp die Situation. Lass dich nicht auf eine Diskussion mit ihr ein, beschwor er mich. Verlass sofort das Haus, ich schicke jemanden vorbei, der dich abholt. Ich atmete auf. Eddie war mein Retter. Als ob er es geahnt hätte, dass ich in Gefahr war. »Gib mir Deborah«, sagte er. Wie in Trance reichte ich ihr das Telefon. Ich hörte, wie Deborah in giftigem Ton sagte, sie wolle endlich wissen, woran sie sei. Nach einem heftigen Wortwechsel brach sie das Gespräch abrupt ab. Die Kinder warfen einen kurzen Blick ins Zimmer, zogen sich aber rasch wieder zurück. Deborah fragte mich auffällig freundlich, warum ich Eddie beim Umzug helfe. Ich war immer noch von diesem Uberfall geschockt. Sie werde sich aus Eddies Leben zurückziehen, wenn sie wisse, dass wir eine gemeinsame Zukunft planten, säuselte sie. Vorsichtig sagte ich ihr, dass sie mit Eddie darüber reden müsse. Es sei schließlich ihre Angelegenheit. Da klopfte es an die Tür. Ich sprang auf. Doch Deborah packte mich von hinten an den Haaren und brüllte mich an, dass sie mich nicht gehen lasse. Dann verpasste sie mir eine schallende Ohrfeige. Erschreckt schrie ich auf. Die Person, die mich abholen sollte, versuchte vergeblich, die Tür zu öffnen. Meine Peinigerin hatte sie abgeschlossen und schlug nun wie wild auf mich ein. »Lass mich los«, rief ich und hoffte, der Unbekannte würde die Tür eindrücken. Mein Kopf hämmerte. Dann prasselten weitere Schläge auf mich nieder. Ich hockte mich auf den Boden und hielt die Arme schützend über den Kopf. Dann hörte ich einen Automotor, das Geräusch wurde immer schwächer. Der lässt mich tatsächlich im Stich,
  154. dachte ich. Warum nur? Hatte er Angst vor Deborah? Ich war verzweifelt. Immerhin ließ Deborah von mir ab. Doch als ich hörte, dass sie die Fensterlamellen schloss, verflog meine Hoffnung. Deborah kam erneut auf mich zu- geschossen. Sie packte mich wieder an den Haaren und zerrte mich ins hintere Zimmer. Aus ihren Augen sprühte der blanke Hass. Ich wusste, dass ich gegen die rasende Deborah, die krähiger und größer war als ich, keine Chance hatte. Wenn ich mich wehre, schlägt sie nur noch härter zu. Ich fing den nächsten Schlag ein und schrie vor Schmerzen. Die beiden Kinder fürchteten sich und begannen laut zu weinen. Deborah ließ sich nicht beirren. Sie brüllte mich an, dass ich mit dem falschen Mann zusammen sei, Eddie gehöre ihr. Ob das meine Art sei, mit verheirateten Männern herumzumachen. Laut schluchzend stammelte ich, Eddie habe mir gesagt, er lebe schon seit zwei Jahren getrennt von ihr. Deborah schaute mich prüfend an. Ach, das hat er dir also erzählt. Sie schwieg für einen Moment und schien zu überlegen. Ich hörte, wie ein Auto vorfuhr. Ein Mann rief nach mir. Ich erkannte seine Stimme, es war Eddies Stellvertreter. Er rief durch die Tür, es sei Freiheitsberaubung, jemanden gegen seinen Willen festzuhalten. Sie unterhalte sich nur mit mir, sagte sie dem Polizisten durch die verschlossene Tür. In meiner Verzweiflung schrie ich, dass ich sofort hier raus wolle. Nun gab Deborah auf und öffnete die Tür. Ich stürmte nach draußen und war heilfroh, das Haus verlassen zu können. Eddies Stellvertreter bedeutete mir, in sein Auto zu steigen, wo ein zweiter Polizist saß. Deborah setzte das breiteste Grinsen auf und flötete den beiden Männern zu, es sei doch gar nichts passiert.
  155. Mein ganzer Körper schmerzte. Später holte mich ein Freund von Eddie von der Polizeistation ab und brachte mich zur Martz-Farm. Wir erreichten die Farm am späten Abend. Alle schienen bereits zu schlafen. Doch dann entdeckte ich ein Kerzenlicht, das langsam auf uns zukam. Es war Miriam. Wie eine große Schwester schloss sie mich in ihre Arme und hieß mich willkommen. Miriam war bestürzt, als ich ihr den Grund meines nächtlichen Erscheinens erzählte. Sie kochte Tee und wir redeten über den Alptraum bis tief in die Nacht. Am nächsten Morgen war ich kaum fähig, aufzustehen. Mir ging es hundselend. Als ich einen Blick in den Spiegel warf, erschrak ich. Mein Kopf war übersät mit Blutergüssen, ein Augenlid war geschwollen und der Hals war voller Kratzspuren. Ich fühlte mich, als sei eine Walze über mich gefahren. Sehnlichst wartete ich auf einen Anruf von Eddie. Die Ungewiss- heit war mindestens so schmerzhaft wie die Blessuren. Lässt er mich einfach sitzen? Ist der ganze Traum bereits vorbei? Was mache ich bloß allein in Belize? Stunde um Stunde verging. Von Eddie kein Zeichen. Meine Versuche, ihn zu erreichen, schlugen fehl. Ich hatte Angst vor der zweiten Nacht. Unruhig warf ich mich hin und her und zermarterte mir den Kopf. Als am nächsten Morgen das Telefon klingelte, war ich wie elektrisiert. Es war tatsächlich Eddie. Die Leitung war jedoch schlecht, ich verstand ihn kaum. Aber es war wie eine Erlösung, seine Stimme zu hören. Er sei mit seinen Kindern auf einem Ausflug. Welche Erleichterung. Ich war ihm zwar immer noch böse, dass er sich so lange nicht
  156. gemeldet hatte, doch nun war wenigstens die schlimmste Befürchtung verflogen. Ich hätte noch tausend Fragen an ihn gehabt, doch wir verstanden uns kaum. Er werde in zwei Tagen zu mir kommen, versprach er. Ich hatte ausreichend Erfahrung im Aushalten von unerträglichen Situationen. Trotzdem gelang es mir nur schlecht, das Gefühlschaos zu bändigen. Und die Zeit schien stehen zu bleiben. Miriam und die Brüder Martinez redeten mir gut zu. Eddie müsse sich über seine Beziehung zu seiner Familie klar werden und Stellung beziehen, meinten sie. Offenbar hatte Deborah immer noch großen Einfluss auf ihn, vermuteten wir. Ich wollte nicht zusätzlichen Druck auf ihn ausüben, er sollte mit sich selbst ins Reine kommen. Mir war auch klar, dass er als Vater Verpflichtungen hatte. Und es freute mich, dass ihm viel an seinen Kindern lag. Dennoch fühlte ich mich verletzt, weil er mich nach dem schrecklichen Erlebnis vier Tage warten ließ. Das ist schwach von dir, sagte ich ihm in Gedanken immer wieder. Ich nahm mir aber vor, ihm nicht mit Vorwürfen zuzusetzen. Als er zwei Tage später wirklich auftauchte, atmete ich auf. Er schloss mich innig in seine Arme. Er liebt mich noch, stellte ich freudig fest. Wir sprachen lange über die Vorkommnisse. Eddie erzählte mir, dass er inzwischen ein gutes Gespräch mit Deborah gehabt hatte. Es tue ihr leid, dass sie mich geschlagen habe. Sie wolle sich zukünftig nicht mehr in Eddies Leben einmischen. Sie wollte nicht, dass die Kinder unter dem Konflikt leiden. Ich wurde stutzig und fragte Eddie, warum sie dann vor den
  157. Augen der Kinder auf mich losgegangen sei. »Deborah hat mich in Ruhe gelassen, bis ich mich in dich verliebt habe«, versicherte er mir. »Sie wurde auf einmal eifersüchtig und rastete aus.« Sie sei kein schlechter Mensch und habe sich nun wieder im Griff. Ich traute diesem plötzlichen Frieden nicht recht. Eddie versprach mir, Deborah anzuzeigen, sollte sie nochmals ausfallend werden. Ich wusste nicht, was ich von der Sache halten sollte. Ich klammerte mich an den guten Ausgang, obwohl ich ahnte, dass der Konflikt nicht gelöst war. Eddie sprach nicht gern über seine Probleme. Es bedeutete schon viel, dass er mit mir überhaupt den Ehekonflikt thematisierte. Normalerweise vermied er es mit allen Mitteln, über seine dreizehn Jahre mit Deborah zu reden. Es schien ihn zu schmerzen, dass vieles in seiner Familie schief gelaufen war. Chaos im Paradies Auf der Ranch ging alles drunter und drüber, wie mir Norbert in einer Mail berichtete. Ohne den direkten Einfluss von Janet und Benno fanden plötzlich viele den Mut, sich eine eigene Meinung zu bilden. Sibylle und Jochen, die die Führung auf der Ranch übernommen hatten, stellten Janet und Benno ein Ultimatum. Sie müssten beweisen, dass sie fähig seien, die Gruppe im spirituellen Sinn zu fuhren. Und zwar mit Taten, nicht nur mit Worten. Viele hatten nun das Gefühl, dass sie jahrelang Illusionen aufgesessen seien. Norbert schrieb, er und Daniel hätten sich entschlossen, nach Deutschland zurückzukehren. Erfreut stellte ich fest, dass nun viele Gruppenmitglieder meine Flucht nicht mehr als Verrat betrachteten. Ich mutierte in ihren Augen von der Feindin zur Heldin.
  158. Hoppla, dachte ich, da hatte sich ja einiges getan. Ich war überzeugt, dass die Gruppe nun rasch auseinander fallen würde. Nur zu gern wollte ich wissen, wohin es sie verschlägt und wie sie sich in der Welt da draußen zurechtfinden. Eddie hatte noch keine Bleibe an seinem neuen Arbeitsort gefunden. Deshalb brachte er mich zu Charly, einem seiner chinesischen Freunde, für ein paar Tage, wie er mir beim Abschied sagte. Ich bezog das kleine, spartanisch eingerichtete Zimmer. Immerhin hatte ich eine Matratze, die auf dem Boden lag, und ein Kissen unter dem Kopf. Mehr brauchte ich für den Moment nicht. Ich hatte Sehnsucht nach Eddie. Seit der Attacke von Deborah hatten wir keinen Moment mehr für uns allein. Ich vermisste ihn. Mir war klar, dass er zuerst seine Familienverhältnisse klären musste und ich viel Geduld brauchte. Ich hatte gehofft, dass er bald zurückkommen würde. Doch Eddie tauchte nicht auf. Ich konnte beim besten Willen nicht einschlafen. Als ich um zwei Uhr früh ein letztes Mal auf die Uhr schaute, war mir klar, dass ich mit ihm nicht mehr zu rechnen brauchte. Der nächste Tag begann schlecht. Ich fiihlte mich unwohl in diesem fremden Haus. Gegen Mittag hielt ich es nicht mehr aus. Ich musste unbedingt versuchen, Eddie zu erreichen. Sein Mobiltelefon Chatte aber keinen Empfang oder es war ausgeschaltet. Eddies Freund machte sich Sorgen um mich und lud mich zum Essen ein. Ich brachte aber kaum einen Bissen hinunter. Vielleicht würde der Fernseher mich etwas ablenken, sagte er. Doch ich zog mich in mein Zimmer zurück und holte den Schreibblock hervor.
  159. Als ich Eddie am Nachmittag endlich erreichte, erzählte er mir, )dass er in Ontario auf seinem Stück Land sei, zusammen mit seiner (Frau und den Kindern. Er habe leider nicht verhindern können, dass jseine »Crew«, wie er seine Familie nannte, mitkam. Er würde morgen zu mir kommen. In mir zog sich alles zusammen. Deborah hat also nicht im Sinn, Sich zurückzuziehen, wurde mir schlagartig bewusst. Und Eddie nicht die Kraft, sich durchzusetzen.
  160. Meine Befürchtung schien sich zu bewahrheiten. Eddie besuchte seine Familie immer häufiger. Und er lebte bei seiner Frau. Sie hätten getrennte Schlafzimmer, erzählte er mir. Außerdem würden sie sich per- manent streiten. Es sei die Hölle, doch er tue es seinen Kindern zuliebe. Am Abend, als ich wieder allein im heißen, stickigen Zimmer lag, überkam mich das heulende Elend. Es war schrecklich, in dieser fremden Umgebung eingesperrt zu sein und mit niemandem reden zu können. Ich sehnte mich so nach Geborgenheit. Zum ersten Mal dachte ich mit einer gewissen Wehmut an die Ranch und meine ehemaligen Freunde zurück. Den nächsten Tag verbrachte ich mit Schreiben, Fernsehen und Schlafen. Hauptsache, die Stunden vergingen. Ich traute mich nicht, das Haus zu verlassen. Charly richtete mir aus, dass Eddie gegen zweiundzwanzig Uhr kommen werde. Ich konnte das Wiedersehen kaum erwarten. Immer wieder trat ich auf den Balkon, um Ausschau zu halten. Zweiundzwanzig Uhr war längst vorbei. Ich konnte es nicht fassen. Log Eddie mich an? Ich stand auf der Veranda und die Tränen liefen mir über das Gesicht. Da erschreckte mich
  161. eine Stimme von hinten. Es war Eddie. Wir fielen uns in die Arme. Als ich ihm in die Augen sah und das Leuchten darin entdeckte, wurde mein Herz leichter. Dass ich seinetwegen Tränen vergoss, berührte ihn, und er entschuldigte sich für seine Verspätung. Er hielt mich ganz fest und sagte immer wieder, wie sehr er mich liebe. Eddie schilderte mir seine Auseinandersetzungen mit Deborah. Es war offensichtlich, dass sie ihn nicht kampflos freigeben wollte. Sie legte ihm Steine in den Weg und machte ihm große Vorwürfe wegen der Kinder. Doch Eddie war zuversichtlich, dass er seine familiären Probleme in den Griff bekäme. Die unbefriedigende Wohnsituation und die Einsamkeit machten die Sache für mich aber nicht einfacher. Ich sehnte mich danach, wieder einmal ungestört mit Eddie zusammenzusein. Nur er und ich. In diesen Tagen erhielt ich einen Anruf von meinem Vater. Alle auf der Ranch würden sich freuen, wenn ich zu Besuch käme, sagte er. Ich sei herzlich willkommen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Eddie bot mir an, mich zur Ranch zu bringen, damit ich mal wieder in vertrauter Umgebung wäre. Er wolle in der Zwischenzeit weiterhin ein Haus für uns in Belmopan suchen. Der Empfang auf der Ranch war ausgesprochen herzlich. Ich konnte es kaum fassen. Plötzlich trauten sich die Gruppenmitglieder mehr oder weniger, ihr wahres Gesicht zu zeigen. Viele hatten tatsächlich kapiert, dass Benno ein fieses Spiel mit uns getrieben und sich auf unsere Kosten schadlos gehalten hatte. Manche waren richtig wütend auf den Mann, den sie als unfehlbar betrachtet und als ihren geistigen Lehrer verehrt hatten. Viele suchten das Gespräch
  162. mit mir. Linda strahlte mich an. Sie habe gebangt, als Benno mit allen Mitteln versucht habe, mich wieder zurückzuholen, sagte sie. Inständig habe sie gehofft, ich würde stark bleiben und ihn abblitzen lassen. Meine Flucht sei für sie wie eine Erlösung gewesen. Ich hätte ihnen Hoffnung auf einen Neuanfang in ihrem Leben gegeben. Plötzlich hätten sie begonnen, die Freiheit zu entdecken. Dabei fiel mir auf, dass auch ich bis vor kurzem geglaubt hatte, Benno habe für mich und alle Gruppenmitglieder nur das Beste gewollt. Verrückt. Jedenfalls entdeckte ich immer neue Ungereimtheiten und Widersprüche. Auch meine Mutter wollte mit mir sprechen. Sie hatte sich allerdings noch nicht von ihren Illusionen befreit, sondern sie plante, mit einer kleinen Gruppe zu Benno und Janet nach Deutschland zu reisen. Janet und Benno hätten aus ihren Fehlern gelernt. Alle seien eingeladen, gemeinsam die Vollendung der letzten Phase zu erleben. Die einzige Voraussetzung sei, dass wir Benno verzeihen und ihm seine Fehler vergeben würden. Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich. Ausgerechnet meine Mutter kann sich nicht befreien! Meine Enttäuschung war riesig. Lisa erklärte mir, sie habe nichts mehr zu verlieren und glaube immer noch daran, dass es möglich sei, den Aufstieg ins Licht zu erreichen. Sie wolle den vielen Jahren in der Aufstiegsgruppe einen Sinn geben. »Das alles kann doch nicht fiir die Katz gewesen sein«, sagte sie. Ein paar Tage nach meinem Besuch auf der Ranch reisten meine Mutter und fünf andere Gruppenmitglieder nach Deutschland zu Benno und Janet. Zu dieser Gruppe
  163. gesellten sich sogar neue Mitglieder. Benno hatte es also wieder geschafft, ein paar Ergebene um sich zu scharen. Auch Petra war mit nach Deutschland gereist. Das war ein wichtiger Schachzug, denn ihre Eltern waren großzügige Sponsoren. Eigentlich hätte das Geld dazu benutzt werden sollen, die Schulden zu tilgen und die Maya-Ranch zu sichern. Doch Benno ließ die Gruppe in Belize wissen, dass er das Geld brauche, um den neuen Raum zu kreieren. Das war Benno. Nichrs hatte er gelernt. Es gab im Universum nur ihn und seinen spirituellen Raum. Je mehr sich die beiden Parteien zerstritten, desto öfter suchte das Team auf der Ranch den Kontakt zu mir. Ich wurde unfreiwillig der Gegenpol zu Benno. Andres sagte sogar, sie würden mir gern eine Stelle auf der Ranch anbieten. Ich könnte wieder die Pferde übernehmen. Sie hätten vor, die Stiftung als Umweltprojekt so aufzubauen, wie sie der Öffentlichkeit ursprünglich vorgestellt worden sei. Ich wollte mich aber nicht festlegen und zuerst mit Eddie ein neues Heim in Belmopan aufbauen. Die nächste Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Als Eddie mich wieder von der Ranch abholte, eröffnete er mir, dass wir vorübergehend bei seinem Freund Gary wohnen könnten. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Immerhin ließ Eddie mich nicht ganz im Stich, und wir könnten die Freizeit zusammen verbringen, tröstete ich mich. Eddie wurde an seiner neuen Arbeitsstelle sehr ge- fordert. Ich war oft allein und vertrieb mir die Zeit mit Lesen, Schreiben und Zeichnen. Eddie gab sich Mühe, so oft wie möglich flir mich da zu
  164. sein. Er holte mich zum Mittagessen ab oder brachte mir abends meine Lieblingsfrüchte mit. Seine Bemühungen ließen mich die einsamen Momente einigermaßen ertragen. Wenigstens übernachtete er wieder regelmäßig bei mir. Und doch wurde ich von Tag zu Tag unruhiger, denn ich fand keinen Sinn im Alltag und fühlte mich nutzlos. Ich hielt es kaum mehr aus und hatte das Gefühl, mir falle die Decke auf den Kopf. Ich musste etwas tun. Ich rief auf der Ranch an und fragte, ob sie es ernst meinten mit dem Stellenangebot. Ich solle doch vorbeikommen, war die Antwort. Ich freute mich riesig auf meine alte Aufgabe und vor allem auf die Pferde. Die Vorstellung, mit dem Bus zur Ranch zu fahren, löste jedoch ein mulmiges Gefühl in mir aus. Ich war einundzwanzig Jahre alt und schrecklich nervös bei dem Gedanken, allein mit dem Bus zu fahren. Benno hätte dies nie zugelassen. Am nächsten Morgen wachte ich vor lauter Aufregung viel zu früh auf. Die Busfahrt ging gut. Es machte mir nichts aus, den schäbigen öffentlichen Bus zu benutzen. Die Einheimischen musterten mich neugierig. Auf der Ranch wurde ich von den Gruppenmitgliedern erneut herzlich empfangen. Ich ging sofort zu Sibylle ins Hauptquartier. Sie hatte mit Jochen und Heiner eine Besprechung, ich musste warten. Verloren saß ich im großen Büro und beobachtete den Betrieb. Ich merkte, dass mir inzwischen vieles fremd geworden war. Ich gehörte nicht mehr dazu. Zwar waren viele Zwänge und Regeln, die Benno aufgestellt hatte, abgeschafft worden, die Gruppenstrukturen und Richtlinien funktionierten aber
  165. immer noch nach dem alten Muster. Als Sibylle endlich einen Moment Zeit für mich hatte, steckten wir meinen Aufgabenbereich ab. Ich sollte vorerst Ordnung in den Pferdestall bringen. Ich war sehr motiviert und freute mich auf die Arbeit. Doch es kam wieder einmal anders. Einige Männer verhielten sich mir gegenüber sehr reserviert. Mir wurde bald klar, dass Eddie der Grund war. Sie konnten nicht akzeptieren, dass ich in einer Beziehung mit einem Schwarzen lebte. Mich betrachteten sie zwar als Heldin, weil ich Janet und Benno die Stirn geboten hatte, doch Eddie war für sie ein Verräter. Ich fand ihre Haltung völlig absurd, aber es war unmöglich, offen darüber zu reden. Die Spannungen waren zu groß. Jochen und Heiner starteten sogar Annäherungsversuche. Ich bedeutete ihnen jedoch unmissverständlich, wem mein Herz gehörte. Sie fühlten sich in ihrem männlichen Stolz gekränkt, weil sie keine Chance gegen einen Einheimischen hatten. Inzwischen war mein Bruder nach Belize zurückgekommen. Kai hatte fast ein halbes Jahr lang bei Benno und Janet in Deutschland gelebt. Ohne Ranch schien er keine Perspektive zu haben, der Alltag mit Janet wurde eintönig. So sehnte er sich zurück nach Belize und hatte glücklicherweise die Kraft, sich von Janet zu lösen. Ich freute mich, dass er das Tor zur Freiheit einen Spalt weit geöffnet hatte und ich mit ihm über unsere Erfahrungen und Gefühle sprechen konnte. Eddie rief mich an und teilte mir mit, dass er einen Nachteinsatz in Belize City habe und nicht heimkommen könne. Ich entschied mich, mir die Busfahrt zu ersparen und auf der Ranch zu übernachten. Nach dem Abendessen unterhielt ich mich mit Linda. Sie
  166. erzählte mir, dass nach meiner Flucht die Hölle los gewesen sei. Und dass Benno alles unternommen habe, mich zurückzuholen. Jeder Kontakt mit Kai und meiner Mutter habe nur diesem Zweck gedient. Auch das Gespräch mit meiner Mutter, bei dem sie versucht hatte, mir die Illusion von der wahren Liebe zu nehmen, sei Satz für Satz mit Benno abgesprochen gewesen. Ich war zutiefst verletzt, dass meine Mutter nur das Sprachrohr Bennos war. Wie sehr hatte ich mir gewünscht, sie würde mich wenigstens ein bisschen verstehen. Ich bekam eine richtige Wut auf diesen Scheißkerl, der skrupellos integrierte und nur auf seine Bedürfnisse achtete. Mir behagte es auf der Ranch nicht, nachdem ich dann doch ein paar Tage dort verbracht hatte, die Atmosphäre war immer noch angespannt. Ich vermisste den Aufbruch, den Wind der Freiheit. Sibylle und Jochen begegneten mir mit einer gehörigen Portion Misstrauen. Sie schienen machtbesessen zu sein und lockerten das Regime nicht wirklich. Niemand schien sich zu wehren. Es machte auch niemand Anstalten, sich mit der Vergangenheit der Gruppe in den letzten Jahren auseinander zu setzen. Das Leben auf der Ranch ging im alten Trott weiter, allerdings ohne den übersinnlichen Überbau. Erschwerend für mich war auch, dass man mir die Zuständigkeit fiir die Pferde wieder entzogen hatte und ich nun den Restaurant- und Küchenbetrieb leiten sollte. Das Führungsteam nörgelte ständig an mir herum, vielleicht lag es daran, dass ich für meine Arbeit 40 beli- zische Dollars (etwa 20 Euro) pro Tag erhielt, während die anderen weiterhin umsonst arbeiteten. Ich hielt die Situation nicht lange aus und schmiss den Job
  167. kurzerhand hin. Mittlerweile reagierte ich allergisch auf verkniffene Gesichter und übereifrige Gruppenmitglieder. Das brauchte ich nicht mehr. Sie haben immer noch nicht kapiert, was Freiheit bedeutet, stellte ich ernüchtert fest. Solche Beobachtungen stießen mich ab. Ich kehrte der Ranch endgültig den Rücken. Doch auch Kai verstand die Welt nicht mehr. Ihm missfiel das Gehabe des neuen Führungsteams ebenfalls. Deshalb trug auch er sich mit dem Gedanken, die Ranch zu verlassen. Er träumte von einem eigenen Häuschen, das er sich selbst bauen wollte. Als ich abends mit dem Bus nach Belmopan fuhr, konnte ich es kaum erwarten, Eddie meine Entscheidung mitzuteilen. Er war erleichtert, dass ich nichts mehr mit der Ranch zu tun haben wollte. Wir werden schon einen neuen Job für dich finden, machte Eddie mir Mut. Die Vorstellung, an einem fremden Ort, in einem fremden Betrieb und mit fremden Menschen zu arbeiten, bereitete mir jedoch Bauchschmerzen. Einmal mehr wurde mir bewusst, dass ich keine Ausbildung hatte. Vorerst machte ich aber Reisepläne. Meine Großmutter hatte mir Geld zugesteckt. Für deine Zukunft auf eigenen Beinen, hatte sie gesagt. Ich wollte Eddie unbedingt meine Heimat zeigen. Er war begeistert von der Idee, und so buchten wir für den November Flüge in die Schweiz. Ich war überzeugt, dass dies ein wichtiger Schritt für unsere gemeinsame Zukunft sein würde. In meiner Euphorie störte es mich nicht allzu sehr, dass Eddie seiner Frau erklärte, er müsse nach Houston ... Ich war tagsüber auf mich allein gestellt und verbrachte die meiste Zeit in dem kleinen stickigen Raum. Das Haus
  168. verließ ich nur, wenn ich die Familie Mena besuchte, die eng mit Eddie befreundet war. Sie wohnte auf einem mondänen Anwesen. Ihre Gastfreundschaft und Herzlichkeit waren überwältigend. Wenn Eddie mich begleitete, fiihlte ich mich bei den Menas besonders wohl. Er verzauberte alle mit seiner lockeren und fröhlichen Art. Heimreise Als ich mit Eddie über den Wolken Richtung Europa schwebte, war ich überglücklich. Ich freute mich sehr, meinem Geliebten die Schweiz zu zeigen und ihn meinen Verwandten vorzustellen. Es war ein großes Abenteuer für mich. Vor einem Jahr noch hatte ich geglaubt, dass mir diese Erfahrung auf ewig vorenthalten bleiben würde. Nun war ich richtig stolz, dass ich den Ausbruch en und mir eine Zukunftsperspektive erkämpft hatte. Auf dem Zürcher Flughafen warteten meine G meine Freundin Jessica auf uns. Es war ein überwältig Wir waren hundemüde von der langen Reise. Gabi brachte uns zu un- serer Großmutter. Meine Cousine schien Eddie gleich ins Herz geschlossen zu haben, jedenfalls redete sie während der Fahrt ohne Unterlass. Ich war erleichtert, wie selbstverständlich wir aufgenommen wurden. Auch meine Großmutter begrüßte uns herzlich. Es war wohltuend, nicht mehr angespannt zu sein aus der Furcht heraus, nicht unterscheiden zu können, was richtig und was falsch ist. Ich sah vieles mit ganz neuen Augen. Das Wetter spielte zwar nicht mit, der November zeigte sein regnerisches und trübes Gesicht. Daflir verwöhnten uns meine Verwandten und Bekannten mit zahlreichen Einladungen. Ich wollte, dass Eddie ein Bild von meiner Heimat bekam. So unternahmen wir trotz des schlechten
  169. Wetters Ausflüge ins Tessin, ins Engadin und ins Ap- penzeller Land. Wir kamen in Gegenden, die auch ich nicht kannte. Eddie machten die Ausflüge großen Spaß, er saß zum ersten Mal in einer Bahn. Die tiefen Temperaturen waren eine neue Erfahrung für ihn. Eis kannte er nur aus dem Gefrierfach. Wir gingen Schlittschuh laufen und vollführten auf der Eisfläche ein Sturzfestival. Es war zu komisch. Meine Verwandten und Bekannten wollten immer wieder von mir wissen, ob ich mir vorstellen könnte, wieder in der Schweiz zu leben. Nein, antwortete ich entschieden. Ich fühlte mich zu fremd in dieser überorganisierten stressigen Welt. An meinem 22. Geburtstag lud Gabi uns zum Abendessen in ein australisches Restaurant ein. Ich flihlte mich dort sehr wohl und traute mich, ihr ansatzweise zu schildern, was ich in der Ramtha-Gruppe erlebt hatte. Ich erzählte ihr von meinen Essproblemen, meiner Verzweiflung und meiner belastenden Beziehung zu Benno. Mir war klar, dass meine impulsive Cousine dies nicht verstehen und mit Wut darauf reagieren würde. Ich wollte aber auch nicht, dass sie Mitleid mit mir empfand. Deshalb verheimlichte ich ihr das wahre IAO
  170. Ausmaß der Übergriffe. Trotzdem tat es unglaublich gut, über diese Dinge zu reden. Mir kam es vor, als könne ich so den Fluch und das schreckliche Geheimnis loswerden. Gabi schüttelte immer wieder den Kopf. Sie hatte geahnt, dass wir zu einer Art Sekte gehörten, doch meine Schilderungen übertrafen ihre schlimmsten Befürchtungen.
  171. Ich lebte mich in der Schweiz von Tag zu Tag besser ein, auch wenn mir vieles zunächst fremd blieb und vor allem hektisch erschien. Allmählich gewöhnte ich mich an den reglementierten Alltag und fand mich einigermaßen zurecht. Ich spürte, dass hier meine Wurzeln lagen. Trotzdem freute ich mich auf die Rückkehr nach Belize. Ich konnte es kaum erwarten, die gemeinsamen Erlebnisse unseren Freunden mitzuteilen. Ich sah bereits, wie Eddie mit glänzenden Augen von unserer Reise berichtete. Und ich sehnte mich nach Sonne und Wärme. Der Abschied fiel uns dann doch schwer. Gabi brachte uns zum Flughafen. Als unsere Namen über Lautsprecher ausgerufen wurden, blieb uns keine Zeit mehr für einen langen Abschied und wehmütige Gedanken. Wir rannten zum Gate, wo wir bereits erwartet wurden. Wir kamen an einem Samstag in Belize an. Eddie wollte den Rest des Wochenendes mit seinen Kindern verbringen. Ich nutzte die Gelegenheit, Kai auf der Insel San Pedro zu besuchen. Er hatte sich entschieden, eine Tauchlehrer- Ausbildung zu absolvieren. Ich freute mich auf Kai und erzählte ihm von unserem Besuch in der Schweiz. Ihm ging es nicht so gut wie mir. Er tat sich schwer mit der neuen Umgebung. In den ersten Wochen musste er sich sehr einsam und verlassen gefühlt haben. Inzwischen hatte er sich aber auf der Insel einigermaßen eingerichtet. Zurück in Belmopan verbrachte ich meine Tage wieder in Garys kleinem Zimmer. Eddie stürzte sich in die Arbeit. Er hatte viel zu tun, um die Polizeistation der belizischen Hauptstadt in Ordnung zu halten. Es dauerte nicht lange, und die Einsamkeit schlich sich
  172. wieder von hinten an mich heran. Ich kam mir nutzlos vor. Du musst tapfer sein, redete ich mir ein, doch die Tage wollten einfach nicht vergehen. Und Eddie hatte oft Nachteinsätze. Es war zum Verzweifeln. Am schlimmsten war es Weihnachten. Eddie hatte seinen Kindern versprochen, Heiligabend mit ihnen zu verbringen. Ich saß allein in dem trostlosen Zimmer. Ich wollte stark sein und fand mich mit der traurigen Situation ab. Zehn Jahre blieb mir ein richtiges Weihnachtsfest versagt, weil es in der Gruppe als weltliches Ritual galt. Und nun war ich frei, aber verlassen in einem fremden Haus. Am 26. Dezember lud die Familie Mena Eddie und mich überraschend zu einer Weihnachtsfeier ein. Es war wunderbar. Ich genoss die weihnachtliche Atmosphäre. Am großen Christbaum waren sogar richtige Kerzen. Erinnerungen an die Kindheit wurden wach. Die Familie Mena wurde für mich zu einer Ersatzfamilie. Sie sorgte sich rührend um mich. Eddie fragte Herrn Mena, ob er in seinem Unternehmen nicht einen Job fiir mich habe. Er wusste, dass ich mich sehr schwer tat, die Zeit zu Hause totzuschlagen. Herr Mena bot mir tatsächlich eine Stelle als Rezeptionistin im Hauptsitz seiner Firma an. Ich konnte kaum glauben, dass ich für dieses angesehene belizische Familienunternehmen arbeiten durfte. Nun gehörte ich zum Wood Depot, einer der größten Firmen im Holzhandel. Aufgeregt machte ich mich auf den Weg zum meinem ersten richtigen Arbeitsplatz. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Meiner Zukunft in Belize steht nichts mehr im Weg, freute ich mich. Ich wurde herzlich empfangen und gut eingearbeitet. So
  173. verlor ich die anfängliche Nervosität bald. Ich bediente vor allem das Telefon im Headoffice. Ich hatte im Lauf der Jahre einigermaßen Englisch gelernt und mit Eddie eingehend üben können. Nach einiger Zeit übergab mir der Geschäftsleiter auch administrative Aufgaben. Mein Erfolg im großen Betrieb gab mir viel Selbstvertrauen. Endlich konnte ich mich nützlich machen und bewähren. Die Mitarbeiter waren sehr nett zu mir. So gelang es mir, meine Schüchternheit zu überwinden. Die Komplimente, die mir die Anrufer, Mitarbeiter und Vorgesetzten machten, motivierten mich. Ich war beliebt und blühte richtig auf. Rückblickend weiß ich, dass dieser Job ein wichtiger Schritt war. Er bestärkte meine Selbstständigkeit und meine innere Stabilität. Ich bekam endlich ein Gefühl für das »richtige« Leben. Über mein bisheriges Leben dachte ich nicht mehr viel nach. Die Erinnerungen an Benno und das Gruppenleben schmerzten /u sehr Ich hatte Eddie und war glücklich. Ich liebte ihn über alles mehr wollte ich im Moment nicht. Manchmal spürte ich eine diffuse Angst. Eddie erlebte in seinem Beruf gefährliche Momente. Als erfolgreicher Polizist, der sich gegen die Korruption wehrte, hatte er auch viele Feinde. Wenn er riskante Einsätze hatte oder sich verspätete, musste ich gegen meine überbordende Fantasie ankämpfen. Was mache ich, wenn er einmal nicht mehr heimkommt? Ich wäre total verloren gewesen. Ich genoss den Kontakt mit den vielen Mitarbeitern und Kunden. Zum ersten Mal in meinem Leben lernte ich ständig neue Menschen kennen. Es war toll, auch wenn ich
  174. anfänglich etwas schüchtern war. Ich gewann auch bald neue Freunde. Am meisten fühlte ich mich zu Mirtha hingezogen, sie leitete die Verkaufsabteilung. Sie war eine kleine, quirlige Frau mit ausgeprägtem spanischen Temperament. Sie hatte ein großes Herz und sorgte sich rührend um mich. Ihre offene und ehrliche Art flößte mir rasch Vertrauen ein. Wir verbrachten oft die Mittagspause zusammen und plauderten miteinander. Sie war mir nicht nur eine Freundin, sondern auch wie eine große Schwester, manchmal sogar wie eine Mutter. Ich arbeitete bereits seit einem halben Jahr beim Wood Depot und es war, als sei ich endlich als Erwachsene auf der Erde angekommen. In dieser Zeit begann mir Eddie Sorgen zu machen. Er schlief immer seltener bei mir und war oft reserviert. Ich war verunsichert und wusste nicht, wie ich seine Zurückhaltung interpretieren sollte. Mir war, als würde er mir ausweichen. Liebte er mich nicht mehr? Ein Gedanke, der mich tief erschreckte. Oder funkte seine Frau gründlich dazwischen? Ich stellte Eddie am Telefon zur Rede, doch er wich abermals aus. Ich war ratlos. Als er mich nach ein paar Tagen besuchte, verlangte ich Klarheit. Er habe seiner Frau und den Kindern eröffnet, dass er sich scheiden lassen wolle, erklärte er mir. Seine Frau sei einverstanden ge- wesen, doch die Kinder hätten bitterlich geweint. Ihren herzerweichenden Anblick habe er nicht ertragen und seine Frau um ein Gespräch gebeten. Sie stellte ihm ein Ultimatum. Er könne nicht einen engen Kontakt zu den Kindern pflegen, aber außer Haus bei seiner Geliebren leben, war Deborahs Meinung. Er müsse sich
  175. entscheiden. Wenn er die Kinder sehen wolle, müsse er die Beziehung zu mir beenden. Diese Auseinandersetzung war der Höhepunkt eines schon lange währenden Konflikts, wie ich nun bruchstückhaft von Eddie erfuhr. Er sprach nicht gern über seine Streitereien mit Deborah. Wie ich vermutet hatte, übte Deborah schon seit einer Weile Druck auf ihn aus. Mehrfach hatte sie ihm Hausverbot erteilt. Eddie litt schrecklich, wenn er seine Kinder nicht regelmäßig sehen durfte. So zwang sie ihn im Lauf der Monate in die Knie. Und in einem schwachen Moment knickte Eddie ein und versprach, ihre Forderungen zu erfüllen. Ich war wie vor den Kopf gestoßen und brach in Tränen aus. Eddie hatte eingewilligt, ohne vorher mit mir zu reden. Jetzt ist alles aus, dachte ich. Es schnürte mir die Kehle zu. Eddie wollte mich trösten. Er beteuerte mir, er werde mich oft besuchen. Schließlich liebe er mich noch immer und wolle die Beziehung zu mir nicht abbrechen. Außerdem sei es nur eine vorübergehende Lösung. Seine Worte beruhigten mich nicht. Ich hatte ja heute schon kaum mehr etwas von ihm. Ich wusste, dass dies keine Lösung war. Eddie behauptete zwar, er habe im Sinne seiner Kinder und auch in meinem Interesse gehandelt, schließlich sei Deborah auch für mich eine Gefahr. Ich schaute Eddie ungläubig an. Das ist doch nicht dein Ernst, dachte ich, das darf doch nicht wahr sein. Er wollte mich aufmuntern, doch ich war zutiefst verletzt. Soll nun alles vorbei sein? Von einem Moment auf den anderen? Ich konnte es nicht glauben und fiel in ein tiefes Loch. Meine Zukunft hatte doch gerade erst begonnen. Die Vorstellung, dass er wieder mit seiner Frau unter einem
  176. Dach wohnte und womöglich das Schlafzimmer mit ihr teilte, gab mir einen Stich ins Herz. Wenn ich Glück habe, kommt er mich alle vierzehn Tage für eine Stunde besuchen. Und ich warte jeweils dreizehn Tage und dreiundzwanzig Stunden auf den nächsten Besuch. Das würde ich nicht aushalten. Ich verstand Eddie nicht. Er machte sich etwas vor. Er hatte nicht die Kraft, sich durchzusetzen. Gleichzeitig wollte er mich nicht verlieren. Wie stellt er sich denn das vor, fragte ich mich. Ich konnte nicht mehr auf Eddie zählen und musste selbst eine Entschei- dune treffen. Die Fakten sprachen für sich, ich hatte keine Wahl Um mich nicht selbst zu quälen, musste ich einen radikalen Schnitt machen. Tagsüber hielt ich den Schmerz einigermaßen aus. Ich war beschäftigt und hatte liebe Leute um mich. Aber abends fiel mich das ganze Elend an. Ich wollte stark sein, doch es gelang mir nicht recht. Am liebsten wäre ich weggerannt. Weit weg. Und hätte mich dabei in Luft aufgelöst. Dann wäre es aus und vorbei gewesen. Ich wollte Eddie gegenüber keine Schwäche zeigen, doch es gelang mir schlecht. Ohne ihn machte das Leben für mich keinen Sinn mehr. Eddie spürte meine Verzweiflung. Er flehte mich an, nicht unüberlegt zu handeln. Das würde er nicht verkraften. Seine dunklen Augen machten mich traurig. Ich entschloss mich, mir nicht das Leben zu nehmen. Das wollte ich ihm nicht antun, ich liebte ihn doch so. Eddie sollte nicht darunter leiden müssen, dass ich am Boden zerstört war. Wenn es jemand verantworten müsste, dann Benno, überlegte ich. Würde ich mir etwas antun,
  177. wäre es ein Sieg für den Dreckskerl. Lea, reiß dich zusammen, redete ich mir zu. Und plötzlich spürte ich neue Kraft. Es war zwar nur ein Hauch von Energie, aber immer- hin. Sie reichte, um gegen die Todessehnsucht anzukämpfen. Dann siegte doch die Verzweiflung. Oder war es die Hoffnung? Vielleicht auch der Trotz. Ich gebe nicht so rasch auf, entschloss ich mich. Das kommt nicht in Frage. Eddie liebt mich doch immer noch. In einem langen Gespräch erklärte ich ihm, dass ich versuchen wollte, die Beziehung auf Distanz zu leben und auf ihn zu warten. Eine innere Stimme sagte mir zwar, dass das kaum funktionieren könne, doch ich wollte es wagen. Sein Versprechen, er werde mich oft besuchen, tröstete mich denn auch und gab mir wieder ein wenig Hoffnung. Ich wollte an unsere Liebe glauben. Aber ich wurde schnell enttäuscht. Eddie kam so gut wie nie. Er rief auch kaum noch an. Die Vorstellung, dass er unweit in seinem Büro saß und abends zu seiner Familie nach Belize City fuhr, machte mich fertig. Manchmal schaute ich sehnsüchtig aus dem Fenster und sah, wie er mit dem Auto am Wood Depot vorbeifuhr. Jedes Mal gab es mir einen Stich ins Herz. Warum kann er nicht mal eine Stunde län ger in Belmopan bleiben und mich besuchen? Haben Deborah und er sich etwa wieder gefunden? Die Bilder, die meine Fantasie produ zierte, taten schrecklich weh. Meine Enttäuschung wuchs von Tag zu Tag. Gleichzeitig verlor ich die Illusionen. An den Abenden saß ich deprimiert am Tisch und wartete
  178. auf einen Anruf von ihm. Ich hielt es kaum aus, die Zeit wollte nicht verstreichen. So setzte ich mich an den Computer und begann zu schreiben. Bereits nach den ersten Seiten spürte ich, dass es mir gut tat. Nicht nur verging die Zeit schneller, auch die Last auf meiner Seele wurde leichter. Beim Schreiben spürte ich mich wieder. Auf der Wanderung in die Vergangenheit fand ich zu mir zurück. Die Gedanken an die früheren Erlebnisse taten mir gut, auch wenn sie teilweise schmerzlich waren. Ich kam richtig ins Fieber und schrieb oft bis weit nach Mitternacht. Zum Glück hatte ich seit meinem Besuch in der Schweiz wieder Kontakt mit meiner Patin und meiner Cousine. Ich schrieb ihnen viele E-Mails und schüttete ihnen mein Herz aus. Ich fragte die beiden auch um Rat. Das war in dieser Zeit besonders wichtig. Intuitiv wusste ich, dass mich das Warten auf Eddie kaputtmachte. Und dass ich verloren hatte. Da entstand langsam der Gedanke, ob es nicht vielleicht besser wäre, in die Schweiz zurückzukehren. Irgendwann teilte ich diese Idee meiner Patin in einer Mail mit. Sie bestärkte mich sofort darin. Sie würde mich unterstützen, schrieb sie und dafür sorgen, dass ich eine gute Schule besuchen könnte. So schrieb ich auch Gabi davon. Meine Cousine rief mich postwendend an. Ich könnte bei ihr wohnen, bot sie mir an. Sie würde sich rie- rtig freuen, wenn ich bei ihr einziehen würde. Nun fochten zwei Kräfte in mir einen schrecklichen Kampf aus. Die Vernunft sagte mir, dass es für mich eine große Chance wäre, noch einmal neu ins Leben zu starten. Dort den Faden wieder aufzunehmen, ^wo der große Bruch
  179. passiert war. Doch die Gefühle rebellierten. Ich gehörte doch zu Eddie, Belize war meine Heimat. Dann ging alles erstaunlich schnell. Mich hielt nichts mehr dort. es mir einen Stich ins Herz. Warum kann er nicht mal eine Stunde lai. ger in Belmopan bleiben und mich besuchen? Haben Deborah und er sich etwa wieder gefunden? Die Bilder, die meine Fantasie produzierte, taten schrecklich weh. Meine Enttäuschung wuchs von Tag zu Tag. Gleichzeitig verlor ich die Illusionen. An den Abenden saß ich deprimiert am Tisch und wartete auf einen Anruf von ihm. Ich hielt es kaum aus, die Zeit wollte nicht verstreichen. So setzte ich mich an den Computer und begann zu schreiben. Bereits nach den ersten Seiten spürte ich, dass es mir gut tat. Nicht nur verging die Zeit schneller, auch die Last auf meiner Seele wurde leichter. Beim Schreiben spürte ich mich wieder. Auf der Wanderung in die Vergangenheit fand ich zu mir zurück. Die Gedanken an die früheren Erlebnisse taten mir gut, auch wenn sie teilweise schmerzlich waren. Ich kam richtig ins Fieber und schrieb oft bis weit nach Mitternacht. Zum Glück hatte ich seit meinem Besuch in der Schweiz wieder Kontakt mit meiner Patin und meiner Cousine. Ich schrieb ihnen viele E-Mails und schüttete ihnen mein Herz aus. Ich fragte die beiden auch um Rat. Das war in dieser Zeit besonders wichtig. Intuitiv wusste ich, dass mich das Warten auf Eddie kaputtmachte. Und dass ich verloren hatte. Da entstand langsam der Gedanke, ob es nicht vielleicht besser wäre, in die Schweiz zurückzukehren.
  180. Irgendwann teilte ich diese Idee meiner Patin in einer Mail mit. Sie bestärkte mich sofort darin. Sie würde mich unterstützen, schrieb sie und dafür sorgen, dass ich eine gute Schule besuchen könnte. So schrieb ich auch Gabi davon. Meine Cousine rief mich postwendend an. Ich könnte bei ihr wohnen, bot sie mir an. Sie würde sich riesig freuen, wenn ich bei ihr einziehen würde. Nun fochten zwei Kräfte in mir einen schrecklichen Kampf aus. Die Vernunft sagte mir, dass es für mich eine große Chance wäre, noch einmal neu ins Leben zu starten. Dort den Faden wieder aufzunehmen, wo der große Bruch passiert war. Doch die Gefühle rebellierten. Ich gehörte doch zu Eddie, Belize war meine Heimat. Dann ging alles erstaunlich schnell. Mich hielt nichts mehr dort. Ich wollte nur noch vorwärts schauen. Alles abschütteln. Der Blick auf eine neue Zukunft gab mir die Energie dazu. Eddie wollte es nicht begreifen. Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte insgeheim immer noch gehofft, dass wir uns früher oder später wieder finden würden, sagte er. Als er meine Entschlossenheit bemerkte, akzeptierte er allmählich auch meine Entscheidung. Er sah auch, dass es mir bedeutend besser ging, seitdem ich mich entschieden hatte. Die Menas und das ganze Wood Depot bedauerten sehr, dass ich die Firma und Belize verlassen wollte. Vor meiner Abreise besuchte ich Kai auf seiner Insel. Stundenlang sprachen wir über die Erlebnisse in der Ramtha-Guppe, über Benno, Janet und unsere Eltern. Die Nähe, die ich zu meinem Bruder fand, machte mich
  181. glücklich. Die Diskussionen gaben mir neue Einsichten in die verhängnisvollen Zusammenhänge in unserer Gruppe. Danach verbrachte ich noch ein Wochenende mit Eddie in Belize City. Es war unser Abschied. Wir machten es uns nicht leicht. Er verdrängte die Erkenntnis, dass unsere Beziehung vorbei war. Für ihn bestanden keine Zweifel, dass ich wieder zu ihm zurückkehren würde. Doch für mich war die Zeit unserer Beziehung abgelaufen. Ich musste mich ständig zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Trotzdem gingen wir aus wie früher, als ob nichts geschehen sei. Wir besuchten unser Lieblingslokal und danach »unseren« Club. Ich verbrachte die letzte Nacht in Belize auf der Ranch. Wer hätte das gedacht! Der Kreis schloss sich. Ich wollte Abschied nehmen von meinem Vater. Eddie brachte mich zu ihm. Während der Fahrt sprachen wir kaum ein Wort. Die bedrückende Atmosphäre erstickte mich fast. Es gab kein Zurück. Nun war es endgültig. Dann hieß es, Abschied zu nehmen. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Auch Eddie weinte. Damit hatte ich nicht gerechnet. Mein großer, starker Eddie hielt mich fest im Arm und schluchzte. Ich war überwältigt. Es war ein schöner, inniger Moment der Liebe. Ein herzzerreißender, aber guter Abschluss einer tiefen Be- ziehung. Ich werde dich nie vergessen, schwor ich ihm in Gedanken. Du warst zum richtigen Zeitpunkt für mich da, hast mich aus meinem Gefängnis befreit und mich in einer wichtigen Lebensphase an die Hand genommen und begleitet. Wer weiß, was ohne dich mit mir pas siert wäre. Ich konnte ihm nicht böse sein. Als er ins Auto stieg und den Motor startete, musste ich
  182. mich zusammenreißen, um ihm nicht hinterherzurennen. Dann war er weg. Mein Vater kam und legte seinen Arm um meine Schultern. Sibylle, Jochen und der Rest des Teams begegneten mir freundlich. Sie waren froh, dass es mit Eddie vorbei war. Sie hatten offenbar immer noch nicht recht verwunden, dass ich Benno und die Gruppe verlassen hatte und zu einem Einheimischen gezogen war. Das war eine persönliche Kränkung, die trotz der Spaltung der Ramtha-Familie tief saß. Das kümmerte mich alles nicht sonderlich. Für mich war nur wichtig, dass ich noch einmal mit meinem Vater zusammen sein konnte. Außerdem war ich so aufgeregt wegen der bevorstehenden Reise, dass ich nicht groß wahrnahm, was um mich herum passierte. Mein Vater war sehr traurig. Er konnte nicht recht glauben, dass ich morgen abreisen und wir uns nur noch selten sehen würden. Wir unterhielten uns vor allem über meine berufliche Zukunft. Er machte mir Mut und zeigte sich überzeugt, dass ich meinen Weg finden werde. Am nächsten Morgen fuhr mich Andres nach Belize City zur Bushaltestelle. Meine Reise war ein kleines Abenteuer. Aus finanziellen Gründen reiste ich von Belize mit dem Bus nach Cancün, Mexico. Nach einem elfstündigen Flug kam ich in München an, wo ich eine Fahrkarte nach Winterthur löste. Die Zeit reichte gerade noch, meine Cousine anzurufen und ihr die Ankunftszeit mitzuteilen. Als ich endlich aufatmen konnte, schaute ich mir die Fahrkarte genauer an. Ich war irritiert. Sie enthielt eine Schiffsfahrt über den Bodensee. Der Schaffner beruhigte mich aber und erklärte, dass auf
  183. dieser Route die Schiffsfahrt inbegriffen sei. Ich konnte es kaum glauben. Obwohl ich hundemüde war, genoss ich an diesem milden Sommerabend die Fahrt über den Bodensee. Wird Gabi es geschafft haben, fragte ich mich, als der Zug in den Bahnhof von Winterthur einfuhr. Die Antwort erhielt ich von ihren beiden Hunden, die sich auf mich stürzten und freudig begrüßten. Ich konnte es kaum fassen: Ich war in der Schweiz angekommen. Ich sagte mir immer wieder: Hey Lea, du bist in der Schweiz. Du hast es geschafft! Hier wartet ein neues Leben auf dich. Mein ganzes Hab und Gut lag in einem Koffer und einer Tasche, mein Vermögen betrug 200 Franken. Ich nahm Gabis Haus mit neuen Augen wahr. Diesmal kam ich als Bewohnerin. Ich bin ein Glückspilz, sagte ich mir immer wieder. Gabi tat alles für mein Wohl. Ich hatte ein Zimmer unter dem Dach. Auf Anhieb fühlte ich mich geborgen darin. Ich durfte es mir einrichten mit Gegenständen und Möbeln aus dem Haus. Mein Glücksgefühl machte mir sofort klar, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ich war überzeugt, endlich im wahren Leben angekommen zu sein. Wir saßen im kleinen Garten und stießen auf meine Heimkehr an. Ich musste erzählen, was ich in den letzten Wochen erlebt und was die überraschende Wende ausgelöst hatte. Dabei kam ein wenig Wehmut auf, und die Erinnerungen an Eddie schmerzten dann. Dennoch hatte ich mich nach der Trennung von Eddie recht gut gefangen und war neugierig auf das Leben in der Schweiz. Oft fühlte ich mich wie eine Außerirdische. Vieles war mir fremd, und ich wusste nicht, wie ich mich
  184. orientieren sollte. Gabi war meine Rettung. Sie war für mich da und gab sich alle Mühe, damit meine Landung in der alten neuen Heimat so sanft wie möglich verlief. Jedenfalls bewies sie viel Mut. Sie konnte ja nicht ahnen, was ihr mit mir bevorstehen würde. Ob ich eventuell Schäden davongetragen hatte. Die gemeinsamen Spaziergänge mit ihren beiden Hunden waren sehr hilfreich für mich. In langen Gesprächen lernten wir uns intensiv kennen und gewannen rasch Vertrauen. Ich erzählte ihr Einzelheiten aus der Ramtha-Gruppe, und sie erzählte von sich. Anfänglich äußerte ich mich vorsichtig, doch bald konnte ich Gabi mein Herz ausschütten. Je mehr ich ihr erzählte, desto ungläubiger wurde sie. Sie konnte es nicht fassen, was ich alles mitgemacht hatte. Wenn ich aber allein in meinem Zimmer saß, überfiel mich oft eine innere Unruhe. Die Vergangenheit holte mich immer wieder ein. Die Trennung von Eddie hatte Spuren hinterlassen, die Sehnsucht riss mich manchmal fast fort. Du musst vorwärts schauen, dein Leben in die eigenen Hände nehmen, beschwor ich mich in solchen Momenten. Ich wollte auch so rasch als möglich unabhängig werden und nicht auf die finanzielle Unterstützung von Gabi und meinen Verwandten an gewiesen sein. Zunächst musste ich aber die behördlichen Dinge regeln. Mein Onkel erstellte eine Checkliste: Einwohnerkontrolle, Krankenkasse Rentenversicherung, Sozialamt, Steueramt, Arbeitsvermittlungsamt und so weiter und so fort. Ich hatte keine Ahnung, was mich auf den Ämtern erwartete. Die Formulare trieben mir den Schweiß auf die Stirn. Zum Glück unterstützte mich mein Onkel.
  185. Allerdings war schon die Fahrt zu ihm ein Abenteuer. Ich hatte in Gabis Keller das Fahrrad meines Großvaters entdeckt und erkundete damit die Umgebung. Damit fühlte ich mich eigenartigerweise sicherer als zu Fuß. Die Menschen kamen mir dann nicht so nah. Jedoch empfand ich den Verkehr als bedrohlich. Ich wusste nicht, wie ich Spuren wechseln und Kreuzungen überqueren sollte. Und wenn mich ein Lkw überholte, zitterten mir die Arme. Ein Alptraum waren für mich die großen Kaufhäuser. Deren Angebot erschlug mich. Ich bekam Schweißausbrüche und wurde so konfus, dass ich nicht mehr wusste, was ich eigentlich kaufen wollte. Anfangs trieb es mich schnell wieder nach draußen an die Luft. Und so verließ ich die Geschäfte oft mit leeren Händen. Auch das Uberangebot in den Lebensmittelläden irritierte mich. Ich konnte mich kaum für ein Produkt entscheiden. Zudem hatte ich auch kein rechtes Verhältnis zum Geld. Das führte zwar nicht dazu, dass ich in Kaufrausch verfiel, eher im Gegenteil: Ich tat mich schwer, es auszugeben. Vieles erschien mir überflüssig. Ebenso neue Kleider zu kaufen. Wenn ich mich dann endlich durchringen konnte, kamen mir die Sachen irgendwie fremd vor. Auch Nahverkehrsmittel suchte ich zu meiden. Vielleicht hatte es mit meinen Orientierungsschwierigkeiten zu tun. Ich ging lieber zu Fuß, als dass ith die Straßenbahn benutzt hätte. Ich erlebte Zürich in der ersten Zeit als bedrohlich, obwohl die Zürcher ihre Stadt als gemütlich empfinden. Die großen Kreuzungen und der aggressive Verkehr machten mich nervös. Jeder drängelte. Die Leute wirkten gestresst, drängten zielstrebig vorwärts, oft mit verbies
  186. tertem Gesicht. Wenn ich mit Freunden unterwegs war, musste ich mich sputen, um ihrem schnellen Schritt folgen zu können. Am schlimmsten war es in der Hauptverkehrszeit am Hauptbahnhof. Das Gewusel der Tausenden von Passanten machte mich nervös. Ich wunderte mich immer wieder, dass nicht mehr Leute zusammenprallten. Deshalb war ich jedes Mal froh, wenn ich den hektischen Slalomlauf unbeschadet überstanden hatte und wieder frei atmen konnte. Ich erinnere mich noch gut, wie ich das erste Mal dem Automaten ein Zugticket entlocken wollte. Woher sollte ich wissen, was ein Touchscreen ist? Als ich es endlich kapiert hatte und staunend auf dem Bildschirm herumtatschte, gelangte ich dennoch an keine Fahrkarte. Ich traute mich aber nicht, jemanden zu fragen. Der Alltag war anfangs ein einziger Hindernislauf. Vor allem die Behörden waren mir ein Gräuel. Schon die vielen Abkürzungen. AHV, BVG, RAV ... Und all die Formulare. Zahlungsanweisungen per Bank und Post wollten gelernt sein. Ich wusste ja gar nicht, wie das alles funktionierte. Mir fiel auf, wo überall unsere Daten registriert werden. Da ich den Drang hatte, mich rasch zu integrieren, versuchte ich so konzentriert wie möglich alles zu erledigen. Ohne Gabi wäre ich dennoch aufgeschmissen gewesen. Zumindest hatte ich in Belize gelernt, im Internet zu surfen. So musste ich mich nicht auch noch in der virtuellen Welt zurechtfinden. Als ich beispielsweise einen Abholschein von der Post im Briefkasten hatte, wusste ich nicht, was ich damit machen sollte. Das Leben in der Schweiz empfand ich als unglaublich reglementiert und kompliziert. Manchmal
  187. sehnte ich mich in solchen Situationen zurück in den Dschungel. Dort konnte ich mich auf die zentralen Dinge des Lebens verlassen und war nicht ständig gefordert und abgelenkt von Belangen, die lediglich der Organisation des Alltags dienten. Eine wichtige Hilfe war mir auch meine Patin, zumal sie in der Familienforschung und -beratung tätig ist. Sie überwies mich an einen Berufsberater, der meine kognitiven Fähigkeiten testete. Das Resultat machte mich total glücklich. Mit meinen intellektuellen Fähigkeiten liege ich im Durchschnitt gleichaltriger Schweizer. Damit hatte ich nicht gerechnet. Er empfahl mir, eine Handelsschule zu absolvieren. Meine sprachliche Begabung würde mir helfen, die schulischen Defizite auszugleichen. Von einer früheren Bekannten meiner Mutter erfuhr ich dann durch Zufall von dem Sektenexperten Hugo Stamm. Sie gab mir den Rat, mich mit meiner Geschichte an ihn zu wenden. Doch ich reagierte zunächst skeptisch. Von einem Experten hatte ich das Bild, dass er nichts aus eigener Erfahrung weiß. Und ich wollte mich zum Thema Sektenerfahrung von niemandem belehren lassen. Häufig wurde ich nun von Glücksgefühlen überwältigt. Die neue Freiheit fühlte sich so köstlich an. Bald wagte ich den nächsten Schritt. Ich durchstöberte die Stellenanzeigen in den Zeitungen. Ein Inserat weckte meine Neugier. Das australische Restaurant, in das Gabi Eddie und mich bei unserem Besuch eingeladen hatte, suchte eine Servicekraft. Das wärs! Am ehesten traute ich mir die Arbeit im Gastgewerbe zu.
  188. Aufgeregt zeigte ich Gabi die Anzeige. Sie fand die Idee gut, mich dort zu bewerben. Ich war vor dem Vorstellungsgespräch total nervös. Meine Cousine sprach mir Mut zu und empfahl mir, ich sollte mich möglichst natürlich geben. Ihre Zuversicht tat mir gut. Ihre Worte klangen auch in mir nach, als ich mich zu Fuß auf den Weg zu dem Restaurant machte. Als Referenz hatte ich ein Arbeitszeugnis unserer Stiftung und ein sehr gutes Zeugnis von den Menas für meinen Einsatz im Wood Depot vorzuweisen. Tatsächlich wurde ich zu einem Probeabend eingeladen. Ich hätte die Welt umarmen können. Voll Stolz rannte ich nach Hause. Ich war nervös, als ich mich bewähren musste. Doch es klappte und ich erhielt den Job. Am Anfang tat ich mich schwer im Service. Ich hatte das Gefühl, die Arbeit nicht professionell genug zu meistern. Den Ansprüchen, die ich an mich stellte, wurde ich ohnehin nicht gerecht. Aber ich biss mich durch. Und schon nach wenigen Tagen ging mir alles besser von der Hand. Das gab mir Vertrauen. Außerdem nahm mich das tolle Team wohlwollend auf und unterstützte mich. Ich schätzte den Kontakt zu den Gästen und bekam bald auch Komplimente. Das machte mir weiter Mut. Allmählich gewann ich Routine und Sicherheit. Ein weiterer wichtiger Schritt in die neue Freiheit war gelungen. Jeden Tag setzte ich mich an den Computer und schrieb Mails nach Belize. Meinem Vater, meinem Bruder, Eddie und den Mitarbeitern des Wood Depots berichtete ich von meinen Erlebnissen in der Seh wetz, Eddie ging mir nicht aus dem Kopf, er nahm noch viel R-etm an in meinem Herzen. Wenn ich allein war,
  189. überkam mich oft eine große Sehnsucht, Mein Verstand sagte mir jedoch, dass ich mich von ihm lösen musste, Du musst lernen, selbstständig zu werden, redete ich mir zu. Seit ich dreizehn war, hatte ich immer einen Mann an meiner Seite. Meine Freundin Jessica mailte mir ein Interview mit Hugo Stamxn. das in einer Frauenzeitschrift veröffentlicht worden war Von seinen Aussagen fühlte ich mich sofort angesprochen. Sie bestätigten meine Erfahrungen, ich beschloss, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Als ich Hugo Stamm dann gegenübersaß, wusste ich mehr mehr so recht, was ich eigentlich von ihm wollte. Klar war mir nur. dass ich gegen den Wahnsinn, den ich neun Jahre lang erduldet harre, rtwass unternehmen musste. Ich wollte von ihm wissen, welche Möglichketten es dazu gab. Und ob er ein Chance sah, meine Geschichte zu veröffentlichen. Ich hoffte, damit auch andere aufrütteln oder warnen zu können. Die Gespräche mit Hugo Stamm wurden wichtig dir mich. Er machte mir Mut, mich intensiv mit meiner Vergangenheit zu betas- sen. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, dass ich meine Jugend tn einer Sekte verbrachte hatte. Dass die Ramtha-Gruppe nichts anderes als eine »gewöhnliche« Sekte war! Es war befreiend, die Zusammenhänge zu verstehen. Nun wusste ich endgültig, dass ich Opier einer psychologischen Manipulation gewesen war und keinen Grund rur Schuldgefühle hatte. Vor allem eine Erkenntnis warf mich fast um: Es spielt keine große Rolle, wie das Heilskonzept einer Gruppe beschaffen ist. die Bewusstseinskontrolle findet unabhängig davon auf tieienpsychoiogischeti Ebenen statt. Das war ein
  190. Schlag für mich. Bei allem Leiden hatte ich immer irgendwie geglaubt, dass die spirituelle Suche Sinn gemacht und meine Persönlichkeitsentwicklung gefördert hatte. Nun wurde mir auch diese Illusion genommen. Doch bald spürte ich, dass diese Erkenntnis etwas Heilsames hatte. Wirklich schlimm war die Einsicht, dass ich missbraucht worden war. Das fiel mir nun wie Schuppen von den Augen, Es gab keinen Grund mehr, irgendetwas zu beschönigen oder zu rechtfertigen. Ich musste mich der bitteren Realität stellen. Klar, ich redete mir auch jetzt noch ein, dass ich in der Ramtha-Gruppe und auf der Ranch viele schöne Dinge erlebt hatte. Mit meinen Pferden, den Rehen, dem Wildkätzchen Leela und dem Waschbären Zorro verbanden mich erfreuliche Erinnerungen. Doch all das wog die Erfahrungen in der Gruppe bei weitem nicht auf. Ich fragte mich, wie ich den Wahnsinn so lange ertragen hatte. Erst jetzt wagte ich, die wichtigen Fragen zu stellen: Warum wurden wir Kinder nicht geschützt? Weshalb hat sich niemand für uns eingesetzt? Warum haben die Erwachsenen das Abhängigkeitssystem nicht durchschaut? Es war doch alles so offensichtlich. Keines der vielen Versprechen wurde auch nur ansatzweise erfüllt.
  191. Meine neuen Freunde wollten natürlich wissen, woher ich kam und was ich bisher gemacht hatte. Das waren schwierige Momente. Mein Drang, mich zu öffnen und den Freunden meine Herkunft offen zu legen, war größer als die Angst, nicht verstanden zu werden. Ich hatte das Versteck- spiel gründlich satt und wollte schonungslos zu mir und
  192. meiner Vergangenheit stehen. Ich zitterte innerlich, wenn ich von meinem Leben in der Ramtha-Gruppe erzählte. Deshalb tastete ich mich vorsichtig vor und beobachtete meine Gesprächspartner. Ich war in solchen Momenten sehr verletzlich und hatte Angst, mein Gegenüber könnte sich lustig über mich machen. Doch meine Bedenken waren unbegründet. Ich hatte die richtigen Bekannten ausgewählt. Alle reagierten sehr einfühlsam und zeigten Verständnis für meine Situation. Ich ging auch nicht in die Details und klammerte die schlimmsten Erfahrungen aus. Mein Bekanntenkreis wuchs rasch, und ich war bei den Gästen an meinem Arbeitsplatz beliebt. Das gab mir das Gefühl, endlich zur »normalen Welt« zu gehören. Ich war keine Fremde mehr, keine Außenseiterin. Viel zu meiner Stabilität trug auch die Berufsausbildung bei. Bereits Ende 2003 meldete ich mich fur die Handelsfachschule an, die im
  193. Sommer 2004 beginnen sollte. Meine größte Sorge galt dem Französischunterricht. Meine Mitschüler hatten in diesem Fach mindestens drei Jahre Vorsprung. Meine Patin schenkte mir zum Geburtstag einen Französischkurs. Nach zwölf Jahren stand meine erste Unter- richtsstunde an. Ich schwankte zwischen Nervosität und Vorfreude, als ich mich am ersten Abend auf den Weg machte. ich fand mich im Kreis erwachsener Personen, die älter waren als ich. Und schon bald stellten sich die ersten Erfolgserlebnisse ein. Das gab mir neues Selbstvertrauen. Im Frühjahr begann der dreimonatige Vorkurs, der mir den Einstieg in die Fachschule ermöglichen sollte. Ich wollte
  194. alles geben, um eine gute Ausbildung zu bekommen. Es war für mich ein Traum, einen Beruf zu erlernen. Meine Motivation war riesig, ich wollte die fehlenden Schuljahre endlich wettmachen. Die familiäre Atmosphäre in der kleinen Klasse half mir, die Nervosität zu überwinden. Ich konnte es kaum glauben: Da saß ich tatsächlich in einem richtigen Klassenzimmer und bereitete mich auf die Berufsausbildung vor. Dies war flir mich ein weiterer Etappensieg. Die größte Klippe musste ich zu Beginn meistern. Die Lehrerin forderte uns auf, uns der Klasse vorzustellen und unseren Werdegang zu erzählen. Für mich war es einmal mehr ein Balanceakt. Ich habe neun Jahre in Belize gelebt, sagte ich, und sei zwecks Ausbildung zurück in die Schweiz gekommen. Ich hoffte, nicht allzu viele Fragen beantworten zu müssen. Wie ich denn gelebt und welche Schule ich dort besuchte habe, wollten meine Mitschüler wissen. Ich gab ausweichende Antworten und sagte, ich hätte Hausunterricht erhalten. Schon nach wenigen Tagen sah ich, dass ich mithalten und meine schulischen Defizite mit Einsatz wettmachen konnte. Das gab mir Mut. Außerdem machte mir das Lernen großen Spaß. Begegnung mit der Vergangenheit Eigentlich konnte ich mit mir und der Welt rundum zufrieden sein. Dennoch saß tief in mir eine große Wut, dass mein Peiniger ungeschoren davonkommen sollte. Er gar weiter seine irrsinnigen Spiele trieb. In mir reifte der Gedanke, auch den letzten Schritt auf meinem langen Weg der Befreiung zu wagen und Strafanzeige gegen Benno zu erstatten.
  195. Da gab es allerdings eine Schwierigkeit, die mir Kopfzerbrechen bereitete. Die Strafverfolgungsbehörden würden sich nicht nur mit Benno beschäftigen, sondern auch meine Eltern ins Visier nehmen. Sie hatten den Missbrauch geduldet und sich damit ebenfalls strafbar ge- macht. Wochen rang ich mit einer Entscheidung. Sollte ich Benno verschonen, um meine Eltern zu schützen? Die Vorstellung, dass dieser Mensch sein Leben unbehelligt weiterführen konnte, ließ mir keine Ruhe mehr. Mein Bruder Kai reagierte zuerst ungläubig, als ich ihm von meiner geplanten Strafanzeige berichtete. Er hatte wie mein Vater die Tendenz, die Vergangenheit ruhen zu lassen und nicht allzu tief in den Wunden herumzustochern. Das könnte ich den Eltern nicht antun, schrieb er mir. Er hatte vor allem Angst um unseren Vater, der sich mittlerweile von der Stiftung gelöst hatte und nicht mehr auf der Ranch lebte. Andres brauchte alle Energie, um sich als Architekt in Belize eine neue Existenz aufzubauen. Kai und ich hatten eine lange Auseinandersetzung deshalb. Mit der Zeit gelang es mir, ihm meine Beweggründe klar zu machen. Und er zeigte Einsicht. Der rege Kontakt hat uns wieder nah zueinander gebracht. Er ist inzwischen mit einer jungen Belizerin zusammen und arbeitet für ein Feriendorf als Supervisor. Meine unnachgiebige Haltung hatte auch mit meiner Mutter zu tun. Sie besuchte mich zweimal in der Schweiz, doch die Begegnung war jedes Mal eine Tortur für mich. Ich war verkrampft und wusste nicht, was ich ihr erzählen sollte. Sie verlor kaum ein Wort über die Vergangenheit, den Missbrauch, meine Depressionen, die Bulimie, meine
  196. Flucht. Wenn ich sie mit den Fakten konfrontieren wollte, wich sie aus und wechselte das Thema. Sie versuchte, gelöst und locker zu wirken, als sei sie mit sich vollkommen im Reinen. So unterhielten wir uns über Belangloses, schlenderten durch Einkaufszentren oder saßen in Cafés. Ich wusste oft nicht, was ich mit meiner Mutter anfangen sollte. Sie wollte auch nicht hören, dass es mir in der »neuen Welt« gut ging. Viel besser als früher Immerhin wusste ich nun, dass ich von ihr nichts zu erwarten hatte. Zumindest solange sie im Bann von Benno stand, blieb sie für mich als Mutter unerreichbar. Die Treffen mit Lisa zerrten an meiner Kraft. Ich brauchte jeweils einige Tage, um mich von ihrem Besuch zu erholen. Ich sah aber auch keinen Grund mehr, Rücksicht auf meine Mutter zu nehmen. Vielmehr hoffte ich, ihr mit einer Strafanzeige gegen Benno die Augen zu öffnen. Bei meinem Vater sah die Sache anders aus. Er distanzierte sich nach meiner Flucht von Benno. Zwar verdrängte er vieles, doch er gab sich Mühe, eine neue Beziehung zu mir aufzubauen und mich zu unterstützen. Und er setzte sich mit mir und meinen Problemen auseinander. Er erkannte mit der Zeit, dass vieles sehr schief gelaufen war. Und dass er mitverantwortlich dafür ist, was Kai und mir widerfahren war. Ich spürte auch, dass er sich große Vorwürfe machte. Vor allem aber gab er mir das Gefühl, dass er wieder mein Vater war und ich seine Tochter. Das war schon sehr viel. Vorläufig musste ich mich dennoch damit abfinden, dass ich weiterhin nicht auf meine engste Familie bauen konnte. Ich habe mich zwar in all den Jahren daran gewöhnt, für mich selbst verantwortlich zu sein und nicht auf die Hilfe
  197. meiner Eltern hoffen zu können, das Bedürfnis nach Geborgenheit in der Familie ist jedoch nicht kleiner ge- worden. Im Gegenteil: Durch die Entbehrungen in der Jugend ist der Wunsch nach dem Urzustand, den ich in der Kindheit erleben durfte, noch größer geworden. Trotzdem habe ich die Hoffnung, dass die Familie dereinst wieder einmal zu viert am Tisch sitzt und offen Bilanz über die unrühmlichen Kapitel der Familiengeschichte zieht, nicht ganz verloren. Es wird wohl noch viele Jahre dauern, bis sich mein geheimer Wunsch erfüllt, aber ich werde dafür kämpfen. Nachwort von Hugo Stamm Als Lea Laasner mich anruft, fallt mir auf, dass ihr Schweizerdeutsch mit hochdeutschen Begriffen durchsetzt ist. Sie kommt schnell zur Sache, erzählt, dass sie in der Ramtha-Gruppe gelebt hat und fragt mich, ob ich von dieser Gruppe vielleicht schon einmal gehört habe. Ich muss scharf nachdenken. Ramtha ist mir ein Begriff, doch es ist viele Jahre her, seit ich mit diesem Geistwesen konfrontiert worden war. Während sie weiterhin behutsam Sätze formuliert, kreisen meine Gedanken um Ramtha. Dann erinnere ich mich an ein Telefongespräch vor etwa elf Jahren. Eine Frau hatte mich angerufen und mich beschworen, etwas dagegen zu unternehmen, dass ihre beiden Söhne zusammen mit ihrer Schwester und deren Familie einem Guru nach Portugal folgten. »Ich erinnere mich an Ihre Tante und weiß nun, wer Sie sind«, sage ich zu ihr. Leas Erleichterung ist durch das Telefon zu spüren. Ich öffne meinen Archivschrank und hole das Ramtha-Dossier hervor. Notizen, die ich vor elf
  198. Jahren geschrieben hatte. Hier finde ich Spuren von Lea. Tausend Fragen schießen mir durch den Kopf. Wie hat sie das Leben in der Sekte verkraftet? Wie überlebt ein Mädchen, ein Teen- ager die Indoktrination und Isolation? Auffällig an Lea ist aber nur die kontrollierte Ausdrucksweise. Kein Ausbruch, kein Kraftausdruck, kaum Emotionen bei der Schilderung der unvorstellbaren Ereignisse. Vorsichtig umschreibt sie ihre Erfahrungen. Der Wahnsinn war für sie Normalität. Dabei ist sie vollkommen frei von Selbstmitleid. Ich bin gespannt auf die erste Begegnung. Wie verhält sich eine junge Frau, die jahrelang gegen ihren Willen in einer Kultgruppe gegangen war? Wie bewegt sie sich jetzt in der Welt, die für sie weitgehend fremdes Territorium ist, das sie bis vor kurzem als das Reich des Bösen betrachtete? Niemand übersteht zehn Jahre Gehirnwäsche unbeschadet, bin ich überzeugt. Erst recht nicht, wenn sexuelle Übergriffe im Spiel sind. Lea ist leicht verunsichert, aber überhaupt nicht eingeschüchtert, als wir uns treffen. Mit offenem Blick schaut sie mich an. Ihre Bewegungen sind so kontrolliert wie ihre Sprache. Sie wirkt ganz normal. Vorsichtig tasten wir uns vor. Sie erzählt von ihrer Arbeit im Restaurant, der großzügigen Unterstützung ihrer Verwandten. Und bald spricht sie über ihren Wunsch, eine Berufsausbildung nachzuholen. Ich bin überrascht. Sie hat sich tatsächlich in wenigen Wochen in der neuen Welt zurechtgefunden und sich ein breites Umfeld aufgebaut, das sehr tragfähig erscheint. Allmählich lenke ich das Gespräch auf ihre Eltern. Immer
  199. wieder betont sie, das Leben in der Kultgruppe sei nicht nur die Hölle gewesen, sie habe auch schöne Erlebnisse gehabt und wichtige Erfahrungen gemacht. Diese Signale scheinen an mich gerichtet zu sein. Als hätte Lea Angst, ich würde die Ramtha-Familie und alle Gruppenmitglieder nur negativ sehen. Ich kann keine Rachegefiihle ausmachen. Lea wirkt auch dann sehr kontrolliert, wenn sie Episoden erzählt, die mir eine Gänsehaut über den Rücken jagen. Sie nimmt sogar ihre Eltern in Schutz, zeigt viel Verständnis fiir deren Situation. Diese seien auch Opfer der Manipulation geworden. Lea lässt sich nicht beirren. Dann kommt sie plötzlich zur Sache: »Ich möchte etwas gegen den Guru und sein Medium unternehmen. Niemand soll erleiden, was ich erduldet habe. Dafür will ich kämpfen.« Ich atme erleichtert auf. Durch die Fassade dringen die ersten Gefühle. Das passt besser ins Bild einer jungen Frau, die sich in all den Jahren nicht hatte unterkriegen lassen und den Mut zur Flucht bewies. Tief in Lea rebelliert es, doch sie lässt sich kaum etwas anmerken. Sie hatte jahrelang gelernt, ihre Gefühle zu kontrollieren, wie mir bald auffällt. Spontane Emotionen durften in der Gruppe nicht gezeigt werden, hätten zu viel Sprengkraft gehabt. Gebetsmühlenartig war ihr eingetrichtert worden, dass jeder für sein Schicksal selbst verantwortlich ist. Und dass man nicht urteilen dürfe. Du allein bist der Urheber deines Universums. Das hatte sie verinnerlicht. Opfer gibt es nicht, nur Täter. So lautete die Maxime der Gruppe.
  200. Und noch etwas: Schuldige gibt es praktisch nicht. Lea urteilt nicht, sie beschreibt nur. So, wie sie es in der Gruppe gelernt hat. Nun weiß ich, was sie von mir erwartet. Ich soll ihr helfen, ihre Lebensgeschichte als Buch zu veröffentlichen. Es beginnt eine spannende, intensive Zusammenarbeit. Die Begegnungen mit Lea sind bewegend. Ich erhalte immer tiefer Einblick in ihre Leidensgeschichte und ihre psychische Befindlichkeit. Sie entwickelt einen unbändigenden Drang, den Problemen auf den Grund zu gehen. Im Lauf der Monate kämpft sie sich durch die psychischen Verstrickungen und erkennt die raffinierten Methoden der Indoktrina- tion. Obwohl der Prozess der Erkenntnis schmerzlich ist, arbeitet sie sich unbeirrt durch dieses Dickicht. Die Erinnerungen an die sexuellen Übergriffe treiben Lea regelmäßig das Blut ins Gesicht. Erst jetzt wird ihr so richtig bewusst, wie krank die Welt ist, in der sie gefangen war. Und was sie alles erleiden musste. Langsam rückt sie die Dinge wieder an den rechten Platz. Mir wird bald klar, dass sich ihre moralischen Koordinaten verschoben hatten. Schließlich hatte das göttliche Geistwesen Ramtha die sexuelle Verbindung mit Benno abgesegnet. Am schlimmsten sind die Schuldgefühle. Damit hatte Benno sie gefügig gemacht und an sich gekettet. Der Guru war ein Meister darin, alles auf andere abzuschieben. Als Zeugen seines krankhaften Weltbildes ließ er die göttlichen Wesen der höheren geistigen Hierarchien auffahren. Als unfehlbare Autoritäten. Als Kind und Jugendliche hatte Lea keine Chance, sich gegen die subtile Beeinflussung zu wehren. Das Gefühl des
  201. eigenen Versagens wucherte bei ihr wie Unkraut. Und trotzdem gelang es ihr auf fast wundersame Weise, einen Rest an geistiger Autonomie zu bewahren. Selbst nach ihrer Flucht und der Rückkehr in die Schweiz führten die Schuldgefühle ein Eigenleben. Sie hinderten Lea lange Zeit daran, Gefühle wie Empörung oder Wut zuzulassen. Je mehr sich Lea jedoch von den Schuldgefühlen befreit und sich als Opfer sieht, desto stärker wird ihr Wunsch, Benno zur Rechenschaft zu ziehen. Mit Genugtuung stelle ich fest, dass Lea geistig sehr agil und psy- chisch unglaublich stark ist. Staunend beobachte icl sich in der neuen Umgebung zurechtfindet. Sie steuert konsequent ihre Ziele an und setzt die hohen Erwartungen an sich selbst erfolgreich um. Als müsste sie die verlorenen Jahre in wenigen Monaten nachholen. Die Freude über die Freiheit und die Zukunftsperspektive setzen bei ihr ungeahnte Kräfte frei. Trotz des fehlenden Schulabschlusses und der Arbeitsbelastung schreibt sie gute Noten. Als sich dann doch kleine Gemütsverstimmungen bemerkbar machen, beruhige ich sie. »Es braucht Phasen der Melancholie. Um ganz zu genesen, musst du um die verlorene Jugend und die Familie trauern.« So wächst mein Vertrauen in Leas psychische Kräfte weiter. Sie straft all meine Erfahrungen und Theorien über die Wiedereingliederung von Sektenaussteigern Lügen. Eine wie sie ist mir noch nicht begegnet, doch ich nehme das Phänomen dankbar zur Kenntnis. Keine Regel ohne wundersame Ausnahme.
  202. Es sind viele Dinge, die bei Lea speziell sind und sie vor dem Absturz geschützt haben. Ausschlaggebend war sicher, dass sie sich nie ganz in den Strudel des Sektensyndroms hat ziehen lassen. Sie war als Kind in die Gruppe geraten und hatte keine Sehnsucht nach dem absoluten Heil. Sie war nie Täterin, sondern stets Opfer, auch wenn sie es selber nicht realisierte. Ihr blieb die Scham weitgehend erspart, von einem Scharlatan geblendet und verfuhrt worden zu sein. Sie hatte ihre Seele nicht verkauft und ist sich nicht untreu geworden. Noch wichtiger: Lea hat sich nie selbst getäuscht. Sie schafft es nicht, sich zu belügen. Obwohl sie an die spirituellen Konzepte und den geistigen Aufstieg in die höheren Sphären geglaubt hatte, konnte sie die übersinnlichen Phänomene nicht wahrnehmen. Sie bemühte sich nach Kräften und litt unter ihrer »Unfähigkeit«, das universelle Licht zu sehen oder einen Blick in die andere Realität zu erhaschen. Sie litt zwar darunter, bewahrte dafür aber ihren Realitätssinn. Obwohl die Verlockung groß war, ließ sie sich nicht von der Sehnsucht mitreißen und von Einbildungen blenden. Wenn sie etwas nicht spürte, dann war da auch nichts. Lieber nahm sie in Kauf, sich als unzulänglich zu betrachten und das Selbstwertgefiihl zu verlieren. Was sie damals nicht wusste: Die Selbstkasteiung rettete sie vor dem totalen Absturz. Sie blieb also immer in Verbindung mit ihrem Selbst und spaltete nur wenige Persönlichkeitsanteile ab. Mit dem Preis allerdings, dass sie in all den Jahren litt, während der Rest der Gruppe oft in Euphorie schwelgte. Lea hat die seelischen Konflikte nicht verdrängt, sondern war
  203. permanent mit ihnen konfrontiert. Damit verhinderte sie, wie die anderen Gruppenmitglieder in die Scheinwelt abzurutschen und sich eine Parallelidentität aufzubauen. Trotzdem ist es erstaunlich, dass Lea den sexuellen Missbrauch ohne traumatische Prägung überstanden hat. Die Hauptursache ist wohl in den besonderen Umständen dieser einseitigen Beziehung begründet. Lea hatte schon als Kind den Wunsch, schnell erwachsen zu werden. Benno und Janet helfen mir dabei, glaubte sie. Sie fühlte sich geschmeichelt, vom Meister auserwählt zu werden. Die Anerkennung der gesamten Gruppe tat ihr gut. Es war fast die einzige Nahrung für ihr Selbstwertgefühl. Deshalb genoss sie teilweise die Privilegien. Sex war der Preis, den sie dafür bezahlte. Außerdem glaubte sie, Benno liebe sie wirklich. Das verpflichtete. Und sie redete sich ein, den Meister auf ihre Weise auch zu lieben. Wenn nur der Ekel nicht gewesen wäre. Schlimmer noch: Sie suchte die Ursachen ihrer Abneigung bei sich. Das war gleichzeitig ihr »Glück«. Der Weltschmerz hielt sich dadurch in Grenzen. Es war für sie einfacher, an sich zu leiden als an der Wirklichkeit. Sie sah die schreiende Ungerechtigkeit nicht im vollen Ausmaß und empfand sich lange Zeit nicht als Opfer. Das Hauptproblem sah sie jahrelang in ihrer Unfähigkeit, sich auf Benno einlassen zu können. Eng damit verknüpft war der Umstand, dass sie keine allzu starke moralische Scham entwickelte. Sie erkannte die isolierte Welt, in der sie lebte, nicht als krank. Die Sexualität war ein wichtiger Faktor der geistigen Entwicklung. Sie fühlte sich zwar elend und unglücklich, konnte aber als Jugendliche die Ursache dafür nicht
  204. ausmachen. Sie hatte die verqueren Normen früh verinnerlicht und als »normal« betrachtet. Deshalb empfand sie kein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Das schützte sie vor allzu starken seelischen Verletzungen. Da sie sich einen gesunden Kern bewahrt hatte, reagierte sie mit psychosomatischen Symptomen. Mit Bulimie und depressiven Verstimmungen. Sie litt zwar unter den Widersprüchen, Lügen, Ungerechtigkeiten und der Unterdrückung, verlor aber nie ganz den Bezug zur Realität und vor allem nicht die Sehnsucht nach Freiheit. Diese sorgte dafür, dass sie sich in Einheimische verlieben und eine Beziehung zur Außenwelt aufbauen konnte. Dabei half ihr auch ihre Kämpfernatur. Lea hat eine untrügliche Intuition, auch wenn ihre Schuldgefühle oft dazwischenfunken. Erst jetzt schien ihr so richtig bewusst zu werden, was Benno, Janet und die Gruppe mit ihr angestellt hatten. Sie kann sich zwar auf ein starkes Umfeld stützen, doch den Schmerz über die verlorene Jugend und den Verlust der Familie muss sie selber tragen. Nach dem spektakulären Ausbruch aus der Gruppe und dem fulminanten Neustart im eigentlichen Leben, holte sie von Zeit zu Zeit die Vergangenheit ein. Die Melancholie hielt aber nie lang an. Der spannende, anforderungsreiche Alltag führte sie rasch wieder in die Gegenwart zurück. Schließlich musste sie das Leben nachholen. Danke Ich muss unbedingt einen Dank loswerden. Ohne die Hilfe von Freunden und Verwandten hätte ich die Flucht aus der Ramtha-Gruppe nicht geschafft. Deshalb sei allen gedankt,
  205. die mir geholfen haben, in der Schweiz Fuß zu fassen, die Berufsausbildung in Angriff zu nehmen und dieses Buch zu schreiben. Sie haben mir zu einem zweiten Leben verholfen. Die erste Anerkennung gehört Edward Broaster, genannt Eddie. Ohne ihn hätte ich die Flucht von der Ranch nicht gewagt, ohne ihn wäre ich in Belize verloren gewesen. Besonders dankbar bin ich meiner Cousine Gabriela Laasner, die mich spontan in ihrem Haus aufgenommen und mich in allen Belangen großartig unterstützt hat. Eine unschätzbare Hilfe war mir auch meine Patin Marie Schäfer-Altiparmakian. Namentlich erwähnen möchte ich meine Tante und meinen Onkel, Diane und Karl Laasner, die sich sehr für mich eingesetzt haben. Mein Dank gilt auch meiner Freundin Jacqueline Rüegger und ihrem Mann Simon. Eine große Hilfe war mir mein Rechtsanwalt Dr. André Clerc. Eine unschätzbare Stütze war mir mein Freund Gianluca De Lusi. Danken möchte ich auch Hugo Stamm für seine immense Arbeit und Unterstützung. Ohne ihn wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Das Ringen um den Text hat meinen Heilungsprozess stark beschleunigt. Lea Saskia Laasner
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