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Eric Berne die Spiele der Erwachsenen

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Jul 22nd, 2018
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  1. SPIELE DER
  2. ERWACHSENEN
  3.  
  4. ERIC BERNE
  5.  
  6. INHALT
  7.  
  8.  
  9. Vorwort 11
  10. Einleitung 15
  11. Soziale Verbindungen 15
  12. Die Strukturierung der Zeit 19
  13. I. Analyse von Spielen
  14. 1. Struktur-Analyse 29
  15. 2. Transaktions-Analyse 37
  16. 3. Verfahren und Rituale 47
  17. 4. Arten von Zeitvertreib 57
  18. 5. Spiele 67
  19.  
  20. Definition 67
  21. Ein typisches Spiel 70
  22. Der Ursprung von Spielen 83
  23. Die Funktion von Spielen 88
  24. Die Klassifizierung von Spielen 91
  25. II. Ein Spiel-Brevier
  26. Einleitung 97
  27. Schema 98
  28. Kolloquialismen 100
  29. 6. Lebensspiele 103
  30. 1. «Alkoholiker» 103
  31. 2. «Schuldner» 116
  32.  
  33. 3. «Mach mich fertig» 122
  34. 4. «Jetzt hab ich dich endlich.
  35. du Schweinehund!» 124
  36. 5. «Sieh bloß, was du angerichtet hast» 128
  37. 7. Ehespiele 135
  38. 1. «Zwickmühle» 135
  39. 2. «Gerichtssaal» 141
  40. 3. «Frigide Frau» 145
  41. 4. «Überlastet» 151
  42. 5. «Wenn du nicht wärst» 156
  43. 6. «Du siehst, ich gebe mir wirklich
  44. die größte Mühe» 157
  45. 7. «Schätzchen» 163
  46. 8. Partyspiele 167
  47. 1. «Ist es nicht schrecklich» 167
  48. 2. «Makel» 172
  49. 3. «Schlemihl» 174
  50. 4. «Warum nicht - Ja, aber ...» 177
  51. 9. Sexspiele 191
  52. 1. «Macht den Sieger unter euch aus» 192
  53. 2. «Per version» 193
  54. 3. «Hilfe! Vergewaltigung!» 195
  55. 4. Das «Strumpfspiel» 201
  56. 5. «Tumult» 204
  57. 10. Räuberspiele 207
  58. 1. «Räuber und Gendarm» 207
  59. 2. «Wie kommt man hier bloß
  60. wieder raus» 216
  61. 3. «Dem Burschen wolln wir mal
  62. ein Ding verpassen» 219
  63.  
  64. 11. Doktorspiele 223
  65. ¡.«Treibhaus» 223
  66. 2. «Ich versuche nur, dir zu helfen» 226
  67. 3. «Armer Teufel» 234
  68. 4. «Verehrerin» 240
  69. 5. «Psychiatrie» 245
  70. 6. «Blöd» 251
  71. 7. «Holzbein» 255
  72. 12. Gute Spiele 261
  73. 1. «Urlaub im Beruf» 262,
  74. 2. «Kavalier» 263
  75. 3. «Hilfreiche Hand» 267
  76. 4. «Weiser Mann» 268
  77. 5. «Die werden noch einmal froh sein,
  78. dass sie mich gekannt haben» 269
  79.  
  80. III. Jenseits des Spielbereichs
  81. 13. Die Bedeutung der Spiele 273
  82. 14. Die Spieler 277
  83. 15. Ein Paradigma 281
  84. 16. Autonomie 287
  85. 17. Die Erringung der Autonomie 293
  86. 18. Blick in die Zukunft 297
  87.  
  88.  
  89. Anhang 299
  90. Anmerkungen 301
  91. Erklärendes Wörterverzeichnis 305
  92. Register für Zeitvertreib und Spiele 313
  93. Sachwortregister 317
  94. Namenregister 320
  95.  
  96. Z u D I E S E M B UCH
  97.  
  98. Dieses Buch hat Hunderttausende Leser begeistert und
  99. nachdenklich gemacht.
  100. Der amerikanische Psychiater Eric Berne entwickelt und de-
  101. monstriert hier die faszinierende These von der Neigung der
  102. Menschen, ihr Leben im privaten Bereich als ständiges Spiel
  103. zu leben. 36 solcher Spiele werden analysiert und durch Bei-
  104. spiele veranschaulicht. Darunter:
  105. Lebensspiele: DUHME: «Du hast mir das eingebrockt.«
  106. JEHIDES: «Jetzt hab ich dich endlich, du
  107. Schweinehund!»
  108. Ehespiele: WEDUNIW: «Wenn du nicht wärst.»
  109. Partyspiele: WANJA: «Warum - Ja, aber ...»
  110. Sexspiele: HIVE: « Hilfe! Vergewaltigung!»
  111. Doktorspiele: SISIWUP: «Sie sind wirklich wundervoll,
  112. Herr Professor!»
  113. Wir alle spielen sie täglich, aber Eric Berne stellt sie in ein
  114. System der Individual- und Sozialpsychiatrie und macht uns
  115. deutlich, wie ihre Kenntnis dem Menschen zu einer neuen
  116. Bewusstheit verhelfen und ihm den Weg zu einer konstruk-
  117. tiven Lebensführung ebnen kann. Die Lektüre des Buches
  118. lässt uns nicht nur die anderen, sondern auch uns selbst
  119. schärfer beobachten und auf geistreich-amüsante Weise
  120. neue Erkenntnisse über das Verhalten des Menschen in sei-
  121. nen privaten Bereichen gewinnen.
  122. ERIC Bei wurde 1910 in Montreal/Kanada geboren; stu-
  123. dierte an der McGill University /Montreal Medizin und pro-
  124. movierte 1935 mit einer Arbeit über Psychiatrie; von 1941
  125. bis 1943 Psychiater im New York Psychoanalytic Institute;
  126. von 1947 bis 1956 am San Francisco Psychoanalytic Institute
  127. (Arbeitsgebiet: Gruppentherapie); danach Dozent an der
  128. University of California Medical School und Direktor des
  129. San Francisco Social Psychiatry Seminar. Eric Berne starb
  130. 1970. Als rororo sachbuch erschien ferner: «Spielarten und
  131. Spielregeln der Liebe» (16848).
  132.  
  133. Meinen Patienten und Studenten,
  134. von denen ich in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
  135. immer wieder etwas Neues über unsere täglichen Spiele
  136. und über den tieferen Sinn des Lebens erfahren habe,
  137. erfahre und erfahren werde.
  138.  
  139. VORWORT
  140.  
  141.  
  142. Das vorliegende Buch ist in erster Linie für Psychothe- rapeuten gedacht, es ist aber so abgefasst, dass man es auch als Nicht-Fachmann lesen und verstehen kann. Die für die Analyse und das verstandesmäßige Erfas- sen von Spielen erforderlichen theoretischen Voraus- setzungen sind in Teil I zusammengefasst. Teil II ent- Die hält detaillierte Beschreibungen der einzelnen Spiele, Glieder- ung Teil III bringt neues klinisches und theoretisches Mate- rial, das es in Zusammenhang mit dem bereits bekann- ten Material ermöglicht, bis zu einem gewissen Grad zu begreifen, was es heißt: nicht spielanfällig zu sein. Wer noch weiteres Material einsehen möchte, wird auf die früheren Werke des Autors verwiesen. Das Bedürfnis nach dem vorliegenden Buch ergab sich aus den Nachfragen interessierter Studenten der Sozialwissenschaft und fachlich vorgebildeter Hörer- gruppen nach einer detaillierten Liste bzw. einer aus- führlichen Darstellung von Spielen, über die sie schon vorher einiges gehört hatten. Diesen Studenten und Kollegen schulde ich in ihrer Gesamtheit Dank; beson- ders gilt das auch für die vielen Patienten, die neue Spiele erkannten, entdeckten und benannten; für Miss Barbara Rosenfeld, die viele Ideen über Kunst und Be- deutung des Zuhörens beisteuerte; für Mr. Melvin Boyce, Mr. Joseph Concannon, Dr. Franklin Ernst, Dr. Vorwort
  143. Kenneth Everts, Dr. Gordon Gritter, Mrs. Francés Mat- son und Dr. Ray Poindexter, die - neben anderen - un- abhängig voneinander die Bedeutung vieler Spiele auf- zeigten bzw. bestätigten. Wissen- Mr. Claude Steiner, Vizepräsident und Forschungs- -schaftl. leiter der International Transactional Analysis Associa- Bestät. tion, verdient aus zwei Gründen besonders hervorge- hoben zu werden. Er führte die ersten Experimente durch, mit denen viele der hier zur Debatte stehenden theoretischen Erörterungen bestätigt wurden, und auf- grund ebendieser Experimente trug er auch maßgeb- lich zur Klärung der Begriffe Autonomie und Intimität bei. , Dank für ihre ständige Mithilfe gebührt auch der früheren Sekretärin und Schatzmeisterin der ITAA: Mrs. Viola Callaghan; meiner Privatsekretärin: Mrs. Allen Williiims, sowie Anne Garrett für ihre Mithilfe beim Korrekturlesen. Spiele Die Analyse von Spielen befasst sich unmittelbar mit und Alltag der Materie des Alltagslebens, und sie verwendet im sprachlichen Bereich die im Familienkreis und unter Vertrauten üblichen <Kolloquialismen>. Diese weichen freilich in den verschiedenen Ländern voneinander ab; daher ist es für Menschen in einem bestimmten Raum manchmal schwierig, die tief greifende Bedeutung zu erfassen, die ein solcher <Kolloquialismus> oder der Name eines Spiels für Menschen in einem anderen Ge- biet haben können. Im Prinzip sind jedoch die meisten der hier angeführten Spiele über die ganze Welt ver- breitet; das vorliegende Handbuch sollte sich daher für Psychologen, Psychotherapeuten, Soziologen und Vorwort sonstige Wissenschaftler, die sich mit der Natur und
  144. dem Wesen des Menschen befassen, in allen Teilen der Welt als nützlich erweisen. Semantik. Aus Zweckmäßigkeitsgründen werden die Spiele hauptsächlich vom männlichen Standpunkt aus be- schrieben, es sei denn, sie sind ihrer Natur nach ausge- sprochen feminin. Der Hauptakteur wird also gewöhn- lich mit <er> apostrophiert; das geschieht jedoch ganz «Er» steht unvoreingenommen, da in der gleichen Situation mu- für «sie» tatis mutandis in den meisten Fällen auch <sie> als Hauptakteurin auftreten könnte. Unterscheidet sich bei einem Spiel die Rolle der Frau wesentlich von der des Mannes, dann wird sie gesondert behandelt. Ähn- lich wird auch der Therapeut ganz unvoreingenom- men als <er> apostrophiert. Terminologie und Betrach- tungsweise sind in erster Linie auf den praktizierenden Fachmann hin ausgerichtet, doch mag sich das Buch auch für Angehörige anderer Berufe als interessant und nützlich erweisen. Man sollte die Transaktions-Analyse von Spielen deutlich unterscheiden von ihrer mehr und mehr in Psychologie, den Vordergrund rückenden Schwesterdisziplin: der keine mathematischen Analyse von Spielen; allerdings gelten Mathematik einige der im vorliegenden Buch angewandten Be- griffsformulierungen heute auch im Bereich der ma- thematischen Analyse als durchaus korrekt.
  145. EINLEITUNG
  146. Soziale Verbindungen Die Lehre von den sozialen Verbindungen, die in mei- nen früheren Arbeiten ziemlich ausführlich dargelegt 1
  147. wurde, lässt sich etwa folgendermaßen kurz zusam- menfassen: Spitz hat festgestellt, dass Kinder, die über einen län- 2
  148. geren Zeitraum hin physische Zärtlichkeiten entbehren müssen, zu chronischem Kränkeln neigen, und dass sie dann schließlich einer neu hinzutretenden Krankheit Lebensnot- erliegen. Diese Feststellung bedeutet im Endeffekt, dass wendiger physischer der Vorgang, den er als «emotionelle Deprivation» be- Kontakt zeichnet, tödliche Folgen haben kann. Diese Beobach- tungen führen zu der Vorstellung vom Reiz-Hunger und deuten daraufhin, dass die am stärksten favorisier- ten Reiz-Faktoren diejenigen sind, die von der physi- schen Intimität ausgehen, eine Schlussfolgerung, der man aufgrund der im Alltagsleben gemachten Erfah- rungen durchaus zustimmen kann. Ein verwandtes Phänomen ergibt sich bei Erwachse- nen, die von einer sensorischen Deprivation betroffen Sensorische sind. Die Erfahrung lehrt, dass eine solche Deprivation Deprivation zu einer vorübergehenden Psychose führen oder zu- mindest, zeitlich begrenzt, geistige Störungen hervor- rufen kann. In früheren Zeiten hat man bereits festge- stellt, dass sowohl eine soziale als auch eine sensorische Deprivation ähnliche Auswirkungen bei Menschen Einleitung
  149. hatten, die zu länger dauernder Einzelhaft verurteilt worden waren. In der Tat ist die Einzelhaft eine jener Strafarten, die selbst von hartgesottenen Verbrechern gefürchtet werden , und sie gilt heute als berüchtigte 3
  150. Prozedur, um jemanden politisch gefügig zu machen. Umgekehrt ist soziale Organisation die beste aller Waffen gegen politische Willfährigkeit jeder Art.4
  151. Im biologischen Bereich besteht die Wahrscheinlich- keit, dass die emotionelle und die sensorische Depriva- tion organische Veränderungen herbeiführen oder zumindest begünstigen können. Wird das Retikular- system des Hirnstamms nicht hinreichend stimuliert, 5
  152. dann können, zumindest auf indirektem Wege, dege- nerative Veränderungen in den Nervenzellen die Folge sein. Es kann sich hier natürlich auch um einen Sekun- däreffekt aufgrund unzureichender Ernährung han- deln, aber die unzureichende Ernährung lässt sich ih- rerseits wieder auf die Apathie zurückführen, wie etwa bei Kindern, die an Marasmus leiden. Man kann also eine biologische Kettenreaktion postulieren, die von Deprivation emotioneller und sensorischer Deprivation über Apa- als Todes- thie zu degenerativen Veränderungen und schließlich ursache zum Tode führt. In diesem Sinn steht der Reiz-Hunger im gleichen Bezug zum Überleben des menschlichen Organismus wie der Hunger nach Nahrung. In der Tat zeigt der Reiz-Hunger nicht nur im biolo- gischen, sondern auch im psychologischen Bereich viele Parallelen zum Hunger nach Nahrung. Begriffe wie Unterernährung, Übersättigung, Gourmet, Gour- mand, Fex, Asketiker, kulinarische Künste und Meis- terkoch lassen sich leicht aus dem Bereich der Ernäh- Einleitung rung in den der Sinnesempfindung übertragen. Die
  153. Übersättigung findet ihre Parallele in der Reizüberflu- tung. Unter normalen Voraussetzungen, wenn ein um- fangreicher Vorrat verfügbar und ein abwechslungsrei- ches Menü möglich ist, wird die Auswahl in beiden Idiosynkrasien Bereichen sehr stark von den Idiosynkrasien des ein- zelnen Individuums beeinflusst. Möglicherweise beru- hen einige oder viele dieser Idiosynkrasien auf einer konstitutionellen Determinante; für die hier zur De- batte stehenden Probleme ist das jedoch irrelevant. Der Sozialpsychiater befasst sich nur damit, was ge- schieht, wenn das Kind im Verlauf des normalen Wachstumsprozesses von der Mutter getrennt wird. Das bisher Gesagte lässt sich in dem Kolloqiiialismiis 6
  154. zusammenfassen: «Wenn man nicht gestreichelt wird, verkümmert das Rückenmark.» Daher sieht sich das Individuum nach Beendigung der Periode enger Inti- mität mit der Mutter zeit seines Lebens mit einem Di- Das lemma konfrontiert: Es fragt sich, gegen welche Klip- Intimitäts- dilemma pen sein Geschick und sein Überlebenswille ständig geschleudert werden. Eine von ihnen stellen die sozia- len, psychologischen und biologischen Kräfte dar, die sich einer kontinuierlichen physischen Intimität im Stil des Kindheitsalters entgegenstellen, die andere ist sein immerwährendes Bemühen, ihrer dennoch hab- haft zu werden. In den meisten Fällen wird das Indivi- duum einen Kompromiss schließen. Es lernt allmäh- lich, sich mit subtileren, ja rein symbolischen Formen von Zärtlichkeit zufrieden zu geben; schließlich kann sogar die bloße Andeutung einer Anerkennung bis zu einem gewissen Grad diesen Zweck erfüllen, obschon sein ursprüngliches Verlangen nach rein physischem Kontakt durchaus unvermindert weiterbesteht. Einleitung
  155. Dieser Kompromissvorgang lässt sich mit verschie- denen Begriffen bezeichnen, z.B. Sublimierung; wie immer man ihn aber auch nennen mag, das Ergebnis ist eine teilweise Umwandlung des kindlichen Reiz- Hunger nach Hungers in etwas, das man als Hunger nach Anerken- Anerkennung nung bezeichnen kann. Mit zunehmenden Kompro- miss-Komplikationen zeigt jeder Mensch in seinem Streben nach Anerkennung auch eine mehr und mehr persönliche Note, und es sind diese differenzierten Un- terschiede, die zur Vielgestaltigkeit der sozialen Verbin- dungen führen und das Schicksal des Individuums be- stimmen. Ein Filmstar benötigt vielleicht Woche für Woche Hunderte von schmeichelnden Zustimmungen anonymer und undifferenzierter Verehrer, um sein «Rückenmark nicht verkümmern zu lassen», einem Wissenschaftler dagegen mag eine einmal im Jahr aus- gesprochene Anerkennung von einem geachteten Meister seines Fachs zur Aufrechterhaltung seiner phy- sischen und geistigen Gesundheit genügen. Man kann den Ausdruck Streicheln (stroking) als All- gemeinbegriff für jede Art von intimem physischem Kontakt verwenden; in der Praxis kann es durchaus verschiedene Formen annehmen. Manche <streicheln> Soziales ein Kind im buchstäblichen Sinne des Wortes; andere Streicheln drücken es zärtlich an sich oder geben ihm einen freundlichen Klaps, sie tätscheln es in spielerischer Laune oder betasten es zärtlich mit den Fingerspitzen. Zu all diesen Zärtlichkeiten gibt es Analogien in der Unterhaltung, und es hat den Anschein, als könne man durchaus behaupten, jemand liebkose ein Baby auch dadurch, dass er seinen Äußerungen lauscht. Mit Hilfe Einleitung einer Bedeutungserweiterung lässt sich der Begriff
  156. Streicheln umgangssprachlich zur Bezeichnung jeder <Aktion> anwenden, mit der eine Anerkennung der Ge- genwart des anderen verbunden ist. Man kann daher den Begriff Streicheln als grundlegende Maßeinheit al- len sozialen Tuns ansehen. In diesem Sinn stellt wech- selseitiges Streicheln eine Transaktion dar, die die Grundeinheit aller sozialer Verbindungen ist. In Bezug auf die Theorie der Spiele ergibt sich dar- aus der Grundsatz, dass jede soziale Verbindung, wel- cher Art sie auch immer sei, auf jeden Fall einen biolo- gischen Vorteil gegenüber dem Fehlen einer solchen Bindung hat. Diese Tatsache wurde von S. Levine in 7 Levines einigen bemerkenswerten Tierversuchen mit Ratten gesunde Ratten experimentell nachgewiesen; dabei wurden nicht nur die physische, geistige und emotionelle Entwicklung, sondern auch die biologischen Vorgänge im Gehirn und sogar die Widerstandsfähigkeit gegen Leukämie dadurch günstig beeinflusst, dass man sich mit den Tieren abgab. Das Entscheidende bei diesen Versuchen war die Tatsache, dass man bei den gesundheitsför- dernden Maßnahmen für die Tiere mit einer fürsorg- lich sanften Behandlung den gleichen Effekt erzielte wie mit schmerzhaften Elektroschocks. Diese Bestätigung der vorausgehenden Ausführun- gen ermutigt mich dazu, mich nun mit erhöhter Zu- versicht dem nächsten Abschnitt zuzuwenden.
  157. Die Strukturierung der Zeit Wir setzen also voraus, dass das Liebkosen von Kin- dern ebenso wie sein symbolisches Äquivalent bei Er- wachsenen, die Anerkennung, einen Überlebenswert
  158. haben. Die Frage ist: «Was nun?» Für den Alltagsfall: Was können die Leute tun, nachdem sie ihre Begrü- ßungsformalitäten ausgetauscht haben, ganz gleich ob diese Begrüßung nun aus einem kurzen kollegialen «Hi» beim Amerikaner oder aus einem sich über Stun- den hinziehenden Ritual beim Orientalen besteht? Nach dem Reiz-Hunger und dem Hunger nach Aner- Struktur- kennung macht sich nun der Struktur-Hunger bemerk- Hunger bar. Für die heranwachsenden Jugendlichen erhebt sich beständig das Problem: «Was soll ich nun zu ihr [bzw. ihm] sagen?» Nicht nur für Jugendliche, auch für viele Erwachsene, ist nichts unbehaglicher als ein gesell- schaftlicher Hiatus, eine Periode unstrukturierter Zeit, in der alle Anwesenden schweigen und keinem etwas Besseres einfällt, als etwa zu fragen: «Glauben Sie nicht auch, dass die Wände heute Abend senkrecht stehen?» Ein immer währendes Problem des Menschen besteht in der Frage, wie er seine Tageszeit strukturieren soll. In diesem existenziellen Sinn besteht die Funktion al- len gesellschaftlichen Lebens darin, sich bei der Bewäl- tigung dieses Projekts gegenseitig Beistand zu leisten. Die Struk- Den Funktionsaspekt der Zeit-Strukturierung kann turierung man als Programmierung) bezeichnen, und zwar in der Zeit drei Bereichen: im materiellen, im sozialen und im in- dividuellen. Die allgemeinste, naheliegendste, be- quemste und zweckdienlichste Methode der Zeit- Strukturierung besteht in einer Unternehmung, die dazu dient, sich mit der stofflichen Substanz der äuße- ren Realitäten auseinander zu setzen, und die allge- mein unter der Bezeichnung <Arbeit> bekannt ist. Fach- gerecht bezeichnet man eine solche Unternehmung als Einleitung Tätigkeit; der Begriff <Arbeit> ist nicht ganz zutreffend,
  159. denn eine allgemeine Theorie der Sozialpsychiatrie muss der Tatsache Rechnung tragen, dass auch die ver- schiedenen sozialen Verbindungen eine gewisse Form von <Arbeit> darstellen. Die materielle Programmierung ergibt sich aus den Materielle Wechselfällen, denen man bei der Auseinandersetzung Program- mierung mit der äußeren Realität begegnet; sie ist hier nur inso- weit von Interesse, als derartige Tätigkeiten einen gu- ten Nährboden für das Streicheln, für Anerkennung und andere, komplexere Formen von sozialen Verbin- dungen abgeben. Die materielle Programmierung ist nicht in erster Linie ein Sozialproblem; im Wesentli- chen beruht sie auf der Übermittlung von Informatio- nen. Die Tätigkeit des Bootsbaus z. B. stützt sich auf eine ganze Reihe von Messungen und Schätzwerten; je- der sich dabei entspinnende Sozialkontakt muss diesen Dingen untergeordnet werden, damit der Bootsbau fortschreiten kann. Die soziale Programmierung führt zu einem tradi- Soziale tionell-rituellen bzw. semirituellen Höflichkeitsaus- Program- mierung tausch. Ihr Hauptkriterium ist die lokale Akzeptabili- tät, die man gewöhnlich als (gute Kinderstube) bezeichnet. In allen Teilen der Welt bringen die Eltern ihren Kindern gute Manieren bei, d. h., sie lehren sie, wie man in der rechten Form grüßt, isst und seine Not- durft verrichtet, jemanden umwirbt oder betrauert und auch, wie man mit angemessener Zurückhaltung bzw. mit angebrachtem Nachdruck Gespräche über ak- tuelle Themen führt. Die Zurückhaltung ebenso wie der Nachdruck sind Anzeichen von Takt und diploma- tischem Geschick, die manchmal weltweite Gültigkeit, manchmal auch nur lokale Bedeutung haben. Beim Einleitung
  160. Mahl zu rülpsen oder sich nach der Frau eines Nach- barn zu erkundigen, wird je nach der lokalen Überlie- ferung entweder erwartet oder verboten; in der Tat be- Taktgefühl steht gerade zwischen diesen beiden Vorgängen ein und Rituale hoher Grad von inverser Korrelation. Wo man beim Essen zu rülpsen pflegt, empfiehlt es sich meist nicht, sich nach dem Befinden der Frauen zu erkundigen, wo es hingegen Sitte ist, sich nach dem Befinden der Frauen zu erkundigen, sollte man beim Essen nicht rülpsen. Im Allgemeinen geht ein formelles Ritual ei- ner semirituellen Unterhaltung über aktuelle Themen voraus; diese lässt sich am besten als <Zeitvertreib) (pastime) bezeichnen. Lernen die Leute einander besser kennen, dann Individuelle schleicht sich mehr und mehr eine individuelle Pro- Program- grammierung ein, und in der Folge kommt es allmäh- mierung lich zu verschiedenen <Episoden>. Oberflächlich be- trachtet, scheinen derartige Episoden Zufallscharakter zu haben, und sie mögen von den beteiligten Partnern auch in diesem Licht gesehen werden; eine sorgfältige Untersuchung zeigt jedoch, dass sie sich für gewöhn- lich an festliegenden Strukturmodellen orientieren, die für eine Auswahl und Klassifizierung verbindlich sind, und dass ihre Abfolge durch unausgesprochene Regeln und Richtlinien bestimmt wird. Diese Richtlinien sind äußerlich nicht erkennbar, solange sich die freund- schaftlichen bzw. feindschaftlichen Beziehungen streng im Rahmen der gültigen Regeln abspielen, sie werden jedoch dann offenbar, wenn jemand diese Regeln miss- achtet; es erhebt sich sofort symbolisch oder wörtlich der Ruf: «Foul!» Derartige Episodenfolgen, die im Ge- Einleitung gensatz zum oben genannten <Zeitvertreib) mehr auf
  161. individueller als auf sozialer Programmierung basie- ren, kann man als <Spiele> (games) bezeichnen. Das Fa- Soziale Spiele milienleben und das Eheleben können ebenso wie das Leben im Rahmen verschiedener sozialer Organisatio- nen Jahr für Jahr auf verschiedenen Variationen des gleichen <Spiels> beruhen. Stellt man fest, dass ein Großteil der Sozialaktivität darin besteht, bestimmte Spiele zu spielen, dann be- deutet das nicht notwendigerweise auch, dass es sich hierbei meistens um ein < Vergnügen) handelt oder dass die beteiligten Partner sich in den wechselseitigen Be- ziehungen nicht auch ernsthaft engagieren. Einerseits sind sowohl das Fußball-<Spiel> als auch andere sport- liche Kampf-<Spiele> durchaus nicht immer ein reines Vergnügen, und die Spieler können dabei unter Um- ständen recht verbissen agieren. Spiele dieser Art ha- ben mit Wett- und Würfelspielen sowie mit anderen <Spiel>-Formen eines gemeinsam: Sie können unter Umständen durchaus kritische, mitunter sogar ver- hängnisvolle Folgen haben. Andererseits reihen man- che Autoren, wie z. B. Huizinga*, in die Kategorie <Spiel> auch so bedenkliche Unternehmungen ein wie Spiel und z. B. einen Kannibalen-Festschmaus. Klassifiziert man Vergnügen also Verhaltensweisen wie Selbstmord, Alkoholismus, Rauschgiftsucht, Kriminalität oder Schizophrenie als <Spielformen>, dann ist das durchaus nicht unverant- wortlich, barbarisch oder nur ein schrulliger Einfall. Das grundlegende Merkmal des menschlichen <Spie- lens> ist nicht die Tatsache, dass die Emotionen nur Scheincharakter haben, sondern dass sie bestimmten Regeln unterworfen sind. Das zeigt sich ganz deutlich, wenn eine illegitime Zurschaustellung von Emotionen Einleitung
  162. mit Sanktionen belegt wird. Ein Spiel mag bitterernst, ja verhängnisvoll sein, ernsthafte Sanktionen vonseiten der Gesellschaft sind nur dann zu erwarten, wenn die gültigen Spielregeln missachtet werden. Der <Zeitvertreib> und die <Spiele> sind Ersatzformen für echte Intimerlebnisse. Aus diesem Grund kann Spiele man sie eher als Präliminarien zu einer Bindung denn als Ersatz als wirkliche Verbindungen betrachten; daher werden sie auch als <pikante> Spielformen charakterisiert. Die Intimität setzt dann ein, wenn die individuelle (ge- wöhnlich dem Instinkt entspringende) Programmie- rung sich intensiviert und sowohl das soziale Struktur- modell als auch die verdeckten Restriktionen und Motive allmählich außer Kraft gesetzt werden. Das ist die einzig völlig befriedigende Antwort auf den Reiz- Hunger, den Hunger nach Anerkennung und den Struktur-Hunger. Ihr Prototyp ist der Akt der Imprä- gnation aus Liebe. Der Struktur-Hunger hat den gleichen Überlebens- wert wie der Reiz-Hunger. Im Reiz-Hunger und im Hunger nach Anerkennung kommt das Bedürfnis zum Ausdruck, einer sensorischen und emotionellen Ver- kümmerung zu entgehen, die beide zu einer Degene- Struktur gegen ration im biologischen Bereich führen. Im Struktur- Langeweile Hunger drückt sich das Bedürfnis nach Vermeidung der Langeweile aus; schon Kierkegaard hat auf die aus y
  163. unstrukturierter Zeit resultierenden verderblichen Fol- gen hingewiesen. Hält ein derartiger Zustand längere Zeit an, dann wird die Langeweile zu einem Synonym für emotionelle Verkümmerung, und sie kann durch- aus die gleichen Folgen haben. Einleitung Das allein stehende Individuum kann Zeit auf zwei-
  164. erlei Art strukturieren: mit Hilfe einer Tätigkeit oder mit Hilfe seiner Phantasie. Ein Individuum kann auch in Gegenwart anderer durchaus <für sich allein) blei- ben; das weiß jeder Schullehrer. Als Mitglied eines sich aus zwei oder mehr Menschen zusammensetzenden Sozialaggregats hat man mehrere Möglichkeiten zur Strukturierung der Zeit. Dem Grad ihrer Komplexität nach geordnet, sind dies: 1. Rituale, 2. Zeitvertreib, Soziale 3. Spiele, 4. Intimerlebnisse, 5. Tätigkeit; Letztere kann Aktivitäten zugleich die Grundsubstanz für jede der vorhergehen- den Formen sein. Für jedes Mitglied eines Sozialaggre- gats besteht das Ziel darin, aus seinen Transaktionen mit den anderen Mitgliedern eine größtmögliche Be- friedigungsquote zu erlangen. Mit dem Grad seiner Zugänglichkeit erhöht sich auch die Befriedigungs- quote. Ein Großteil der Programmierung seiner Sozi- alaktivität vollzieht sich ganz automatisch. Da einige der im Rahmen dieser Programmierung erzielten Be- friedigungen) (satisfactions), so z. B. selbstzerstöreri- sche, im üblichen Sinn des Wortgebrauchs nur schwer als (Befriedigungen) zu erkennen sind, wäre es besser, diesen Begriff durch einen mehr neutralen zu ersetzen, wie etwa <Nutzen> (gains) oder <Vorteile> (advantages). Die Vorteile aller Sozialkontakte beziehen sich vor allem auf ein somatisches und psychisches Equili- brium. Sie stehen in enger Beziehung zu folgenden Vorteile der Faktoren: 1. Lösung von inneren Spannungen, 2. Ver- Sozialkontakte meidung schädlicher Außeneinflüsse, S.Vermittlung von Zärtlichkeiten und 4. Aufrechterhaltung eines ein- mal etablierten Equilibriums. All diese Probleme sind von Psychologen und Psychoanalytikern bereits sehr detailliert untersucht und erörtert worden. Übertragen
  165. auf die Terminologie der Sozialpsychiatrie kann man Arten der sie bezeichnen als 1. primäre innere Vorteile, 2. primä- Vorteile r eäußere Vorteile, 3. Sekundär-Vorteile und 4. existen- zielle Vorteile. Die drei ersteren bilden eine Parallele zu den von Freud beschriebenen Arten von «Krankheits- gewinn», «dem inneren paranosischen Gewinn, dem äußeren paranosischen Gewinn und dem epinosischen Gewinn» . Die Erfahrung zeigt, dass es zweckmäßiger 10
  166. und instruktiver ist, wenn man soziale Transaktionen unter dem Gesichtspunkt der dabei erreichten Vorteile untersucht, als wenn man sie als defensive Vorgänge behandelt. Erstens besteht die beste Defensive darin, dass man sich überhaupt in keine Transaktionen ein- lässt; zweitens umfasst das Konzept der <Defensive> nur Teilgebiete der beiden ersten Vorteilskategorien; ihre Restgebiete gehen bei dieser Betrachtungsweise ebenso verloren wie die gesamte dritte Vorteilskategorie. Die zur höchsten Befriedigung führenden Formen von Sozialkontakten, mag nun ihre Grundsubstanz in einer Tätigkeit liegen oder nicht, sind Spiele und In- timerlebnisse. Intimerlebnisse, die sich über einen län- geren Zeitraum hin erstrecken, sind selten, und selbst dann sind sie vorwiegend eine Privatangelegenheit; die bedeutsamsten sozialen Verbindungen vollziehen sich in den meisten Fällen in Form von Spielen, und das ist das Thema, mit dem wir uns hier in erster Linie befas- sen. Weiteres Material zum Thema der Zeit-Strukturie- rung findet der Leser in meiner Abhandlung über die Gruppendynamik."
  167. ANALYSE
  168. VON SPIELEN
  169. STRUKTUR- ANALYSE
  170. Beobachtet man jede Art von spontaner Sozialaktivität (sie vollzieht sich am produktivsten im Rahmen gewis- ser Psychotherapiegruppen), dann bemerkt man, dass die Menschen von Zeit zu Zeit deutliche Veränderun- gen in Haltung, Anschauungsweise, Stimmlage, Voka- bular und anderen Verhaltensaspekten erkennen las- sen. Diese Veränderungen im Verhaltensbereich sind Verhaltens- oft von Umschichtungen im Gefühlsbereich begleitet. änderungen In jedem Individuum korrespondiert eine bestimmte Verhaltensstruktur auch mit einer bestimmten Ge- mütslage, während eine andere wieder eng mit einer unterschiedlichen seelischen Verfassung verbunden ist, die oft sogar im Widerspruch zur ersten steht. Diese Veränderungen und Unterschiede führen zu der Idee von verschiedenen Ich-Zuständen. Fachgerecht kann man einen <Ich-Zustand> phäno- Der menologisch als ein kohärentes Empfindungssystem, Ich-Zu stand funktionsmäßig als eine kohärente Verhaltensstruktur bezeichnen. Effektiv bedeutet das, dass es sich hier um ein Empfindungssystem handelt, das mit einer bezie- hungsgerechten Verhaltensstruktur gekoppelt ist. Je- dem Individuum scheint ein begrenztes Repertoire derartiger Ich-Zustände zur Verfügung zu stehen, die l nicht nur als <Rollen> zu betrachten, sondern als psy- Struktur- chologische Realitäten zu werten sind. Dieses Reper- Analyse
  171. toire lässt sich in folgende Kategorien aufgliedern: Arten der 1. Ich-Zustände, die denen von Elternfiguren ähneln, Ich-Zustände 2. Ich-Zustände, die autonom auf eine objektive Erfas- sung der Wirklichkeit ausgerichtet sind, und 3. solche, die sozusagen regressive Relikte darstellen: Ich-Zu- stände, die bereits in früher Kindheit fixiert wurden und immer noch wirksam sind. In der Fachtermino- logie nennt man diese drei Kategorien exteropsychi- sche, neopsychische und archäopsychische Ich-Zu- ständc. In der Umgangssprache bezeichnet man ihre Manifestationen als Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich und Kindheits-Ich; diese einfachen Begriffs-Formulierun- gen erweisen sich, wenn man einmal von streng me- thodischen Fachdiskussionen absieht, als durchaus ausreichend. Die Dinge liegen also so, dass bei einem bestimmten Anlass jedes einem Sozialaggregat zugehörige Indivi- Wahl des Ich duum entweder sein Eltern-Ich, sein Erwachsenen-Ich oder sein Kindheits-Ich zum Ausdruck bringt und dass die einzelnen Individuen in der Lage sind, mit jeweils variierendem Schnelligkeitsgrad von dem einen auf ei- nen anderen Ich-Zustand umzuschalten. Diese Wahr- nehmungen führen zu bestimmten, für die Klassifizie- rung wichtigen Schlüssen. «Das ist dein Eltern-Ich» bedeutet: «Du nimmst augenblicklich die gleiche Geis- teshaltung ein wie einer deiner Elternteile [oder Eltern- Stellvertreter], und du reagierst so, wie er es getan ha- ben würde, mit der gleichen Haltung, den gleichen Gesten, dem gleichen Vokabular, den gleichen Empfin- dungen etc.» - «Das ist dein Erwachsenen-Ich» bedeu- Analyse von tet: «Du hast soeben ein autonomes, objektives Erfas- Spielen sen der Situation erkennen lassen, und du trägst diese
  172. gedanklichen Prozesse bzw. die erkannten Probleme oder die gezogenen Schlussfolgerungen in unvoreinge- nommener Form vor.» - «Das ist dein Kindheits-Ich» bedeutet: «Die Art und Weise deiner Reaktion ent- spricht genau derjenigen, die du als kleiner Junge bzw. als kleines Mädchen gezeigt haben würdest.» Daraus ergeben sich folgende Implikationen: 1. Jedes Individuum hat Eltern (oder Eltern-Steil - vertreter) gehabt, und es besitzt in seinem Innern eine Gruppe von Ich-Zuständen, die die Ich-Zustände sei- Eltern-Ich ner Eltern (so wie es sie aufnahm) wiedergeben; diese Eltern-Ich-Zustände lassen sich unter gewissen Vor- aussetzungen aktivieren (exteropsychische Funktion). Umgangssprachlich ausgedrückt: «Jeder trägt in sei- nem Innern seine Eltern mit sich herum.» 2. Jedes Individuum (einschließlich der Kinder, der geistig Zurückgebliebenen und der Schizophrenen) hat Erwachsenen- die Fähigkeit zur objektiven Übermittlung von Infor- Ich mationen, wenn der angemessene Ich-Zustand sich ak- tivieren lässt (neopsychische Funktion). Umgangs- sprachlich: «Jeder hat ein Erwachsenen-Ich.» 3. Jedes Individuum war früher einmal jünger als zum gegenwärtigen Zeitpunkt, und es besitzt in seinem Innern fixierte Relikte aus früherer Zeit; diese werden Kindheits-Ich unter bestimmten Voraussetzungen wirksam (archäo- psychische Funktion). Umgangssprachlich: «Jeder trägt in seinem Innern einen kleinen Jungen bzw. ein kleines Mädchen mit sich herum.» Zu diesem Zeitpunkt erscheint es angebracht, sich mit dem in Abbildung 1 (a) gezeigten Struktur-Dia- gramm zu befassen. Es erfasst, vom Standpunkt der Gegenwart aus betrachtet, die vollständige Persönlich-
  173. keit eines jeden Individuums und schließt seinen El- tern-Ich-Zustand, seinen Erwachsenen-Ich-Zustand und seinen Kindheits-Ich-Zustand ein. Diese sind ge- Grenzen der geneinander sorgfältig abgegrenzt, denn sie sind nicht Ich-Zustände nur untereinander sehr verschieden, sondern stehen sogar oft in erheblichem Widerspruch zueinander. Dem ungeübten Betrachter mögen diese Unterschei- dungen zunächst nicht ganz klar sein, aber für jeden, der sich die Mühe macht., sich mit dem Prinzip einer Strukturdiagnose zu befassen, gewinnen sie schnell an Bedeutung und Interesse. Abbildung I (b) stellt eine leicht verständliche, vereinfachte Form des Struktur- Diagramms dar. Bevor wir uns von der Struktur-Analyse einem an- deren Thema zuwenden, sollten noch gewisse mög- liche Komplikationen geklärt werden. 1. Die Bezeichnung <kindlich> wendet man bei einer Struktur-Analyse grundsätzlich nicht an, denn ihr haf-
  174.  
  175. Struktur-Diagramm: Vereinfachte Form Analyse von Spielen ABBILDUNG I
  176. tet ein starker Beigeschmack von etwas an, das uner- wünscht ist, und das man folglich nicht beibehalten, sondern loswerden möchte. Zur Charakterisierung des Kindheits-Ichs (eines regressiven Ich-Zustands) be- nutzt man den Begriff <kindhaft>; er ist biologisch «Kindhaft» mehr gerechtfertigt und durchaus neutral. Tatsächlich statt «kindlich» ist das Kindheits-Ich in vieler Hinsicht der wertvollste Bestandteil der Persönlichkeit, und es kann für das Le- ben des Individuums genau den gleichen Beitrag leis- ten, den ein wirkliches Kind zum Familienleben bei- steuert: Anmut, Freude und schöpferischen Impuls. Ist das Kindheits-Ich im Individuum konfus und ange- kränkelt, dann können sich daraus verhängnisvolle Folgen ergeben; es kann und sollte allerdings dagegen etwas unternommen werden. 2. Das eben Gesagte gilt auch für die Bezeichnung <reif> und <unreif>. In diesem System gibt es nicht so et- was wie eine <unreife Person>. Es gibt nur Leute, bei de- «Unreif» nen das Kindheits-Ich in unangemessener Form die gibt es nicht Oberhand gewinnt; aber all diese Leute haben auch ein vollständiges, wohlstrukturiertes Erwachsenen-Ich, das nur freigelegt bzw. aktiviert zu werden braucht. Umgekehrt sind die so genannten <reifen Menschen) Leute, die in der Lage sind, ihr Erwachsenen-Ich die meiste Zeit über unter Kontrolle zu halten; ihr Kind- heits-Ich gewinnt nur gelegentlich die Oberhand, wo- bei sich dann freilich nicht selten bestürzende Folgen ergeben. 3. Besondere Beachtung verdient die Tatsache, dass das Eltern-Ich sich in zweierlei Form manifestiert, in einer direkten und einer indirekten: als aktiver Ich-Zu- stand und als Einflussfaktor. Ist es direkt aktiv, dann
  177. Formen des reagiert die Person ebenso, wie auch ihr Vater (bzw. ihre Eltern-Ich Mutter) tatsächlich reagiert haben («Tue das, was ich tue!»). Macht es sich nur als indirekter Einflussfaktor geltend, dann reagiert der Mensch so, wie seine Eltern es von ihm erwartet haben («Tue nicht das, was ich tue, sondern das, was ich dir sage!»). Im ersten Fall identifi- ziert er sich mit ihnen, im zweiten passt er sich ihren Anforderungen an. 4. Ebenso manifestiert sich auch das Kindheits-Ich in zwei Formen: dem angepassten Kindheits-Ich und dem natürlichen Kindheits-Ich. Das angepasste Kind- heits-Ich modifiziert sein Verhalten unter dem Einfluss des Eltern-Ichs. Es verhält sich so, wie sein Vater (bzw. seine Mutter) es von ihm erwartet haben: 2. B. willfah- rig oder altklug. Oder es passt sich an, indem es sich zurückzieht oder wimmert. Der Einfluss des Eltern- Ichs ist also als Ursache anzusehen, das angepasste Kindheits-Ich als Wirkungseffekt. Das natürliche Formen des Kindheits-Ich manifestiert sich in Spontan-Reaktio- Kindheits-Ich nen, z. B. Rebellion oder schöpferischer Impuls. Eine Bestätigung der Struktur-Analyse lässt sich an den Auswirkungen des Alkoholrausches ablesen. Gewöhn- lich setzt er zunächst das Eltern-Ich außer Kraft; das angepasste Kindheits-Ich wird so der Einflusssphäre des Eltern-Ichs entzogen und verwandelt sich im Ge- folge dieser Loslösung in das natürliche Kindheits-Ich. Zur Durchführung einer erfolgreichen Analyse von Spielen reichen die oben genannten Ausführungen in Bezug auf die Persönlichkeits-Struktur in den meisten Fällen aus. Ich-Zustände sind durchaus normale psychologi- sche Phänomene. Das menschliche Gehirn ist das Or-
  178. gan bzw. der organisierende Faktor des psychischen Lebens, und seine Produkte werden in Form von Ich- Gehirn und Zuständen organisiert und gespeichert. Dafür gibt es Ich-Zustände bereits konkrete Beweise in einigen Untersuchungser- gebnissen von Penfield und seinen Mitarbeitern.' Es gibt auf verschiedenen Ebenen andere Auslesesysteme, wie z. B. die Fähigkeit, Tatsachen im Gedächtnis zu be- halten, doch besteht die natürliche Form der Erfah- rung in wechselnden Geisteshaltungen. Jede Art von Ich-Zustand hat ihre eigene lebenswichtige Bedeutung für den menschlichen Organismus. Im Kindheits-Ich wohnen Intuition , Kreativität so- 2
  179. wie spontane Antriebskraft und Freude. Das Erwachsenen-Ich ist für die Nutzung der Über- lebenschancen unentbehrlich. Es übermittelt Informa- tionen und wertet die Möglichkeiten aus, die von es- senzieller Bedeutung für eine erfolgreiche Bewältigung der Umwelt sind. Es erlebt auf seine ganz spezielle Art Rückschläge und Genugtuungen. Überquert man z. B. Das steuernde eine verkehrsreiche öffentliche Straße, dann erfordert Erwachsenen- das die Übermittlung einer komplizierten Reihe von Ich Informationen in Bezug auf die verschiedenen Ge- schwindigkeiten; die <Aktion> wird so lange hinausge- zögert, bis die angestellten Berechnungen einen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad dafür ergeben, dass man die andere Straßenseite sicher erreicht. Die Genugtuung, die man bei erfolgreich angestellten Berechnungen die- ser Art empfindet, trägt ihrerseits auch zu der Freude bei, die etwa durch das Skifahren, Fliegen, Segeln und andere mobile Sportarten ausgelöst wird. Eine weitere l Aufgabe des Erwachsenen-Ichs besteht darin, einen re- Struktur- gulierenden Einfluss auf die Tätigkeiten des Eltern- Analyse
  180. Ichs und des Kindheits-Ichs auszuüben und zwischen beiden objektiv zu vermitteln. Funktionen Das Eltern-Ich hat zwei Hauptfunktionen. Erstens des Eltern-Ich ermöglicht es dem Individuum, als Elternteil tatsäch- lich vorhandener Kinder wirkungsvoll zu fungieren und so zum Überleben des Menschengeschlechts bei- zutragen. Welche Bedeutung es in dieser Hinsicht hat, geht aus der Tatsache hervor, dass es Menschen, die schon in früher Kindheit verwaist waren, wesentlich schwerer fällt, selbst Kinder aufzuziehen, als solchen, die lange in wohl behüteten Familien aufgewachsen sind. Zweitens vollzieht sich ein Großteil der Reaktio- nen des Eltern-Ichs ganz automatisch, und das bedeu- tet eine erhebliche Einsparung von Zeit und Energie. Viele Dinge werden getan, <einfach, weil man sie so tut>. Dadurch bleibt es dem Erwachsenen-Ich erspart, zahllose Trivial-Entscheidungen zu fällen, und es kann sich, indem es die Routine-Angelegenheiten dem El- tern-Ich überlässt, selbst intensiver den bedeutungs- volleren Problemen zuwenden. Es haben also alle drei Persönlichkeitsaspekte einen hohen Lebens- und Überlebenswert; wenn allerdings der eine oder andere von ihnen das gesunde Gleichge- wicht zwischen ihnen stört, dann ergibt sich die Not- wendigkeit zu einer Analyse und zur Reorganisation. Sonst aber haben alle drei: Eltern-Ich, Erwachsenen- Ich und Kindheits-Ich Anspruch auf gleiche Berück- sichtigung, und jedes von ihnen hat seinen legitimen Platz in einem erfüllten und produktiven Leben.
  181. TRANSAKTIONS- ANALYSE
  182. Die Grundeinheit aller sozialen Verbindungen be- zeichnet man als <Transaktion). Begegnen zwei oder mehr Menschen einander im Rahmen eines Sozialag- gregats, dann beginnt früher oder später einer von ih- nen zu sprechen oder in irgendeiner Form von der Ge- genwart der anderen Notiz zu nehmen. Diesen Vorgang nennt man <Transaktions-Stimulus> (transac- tional stimulus). Sagt oder tut dann eine von den ande- ren Personen etwas, das sich in irgendeiner Form auf den voraufgegangenen Stimulus bezieht, so bezeichnet man diesen Vorgang als <Transaktions-Reaktion> Definition (transactional response). Die einfache Transaktions- Analyse sucht zu ergründen, welcher Ich-Zustand den Transaktions-Stimulus ausgelöst hat und welcher die Reaktion auf diese Transaktion vollzogen hat. Die ein- fachsten Transaktionen sind diejenigen, bei denen so- wohl der Stimulus als auch die durch ihn ausgelöste Reaktion vom Erwachsenen-Ich der beteiligten Perso- nen ausgehen. Der agierende Urheber schließt z. B. aus den ihm vorliegenden Informationen, dass er jetzt zum Skalpell greifen muss, und streckt seine Hand aus. Der reagierende Mitmensch, auf den dieser Akt gerichtet ist, erfasst den Sinn dieser Geste, schätzt Kraftaufwand 2. und Entfernung richtig ein und platziert den Griff des Transaktions- Skalpells genau dorthin, wo der Chirurg es erwartet. Analyse
  183. Fast ebenso einfach sind Transaktionen zwischen Kindheits-Ich und Eltern-Ich. Das fieberkranke Kind bittet um ein Glas Wasser, und die Mutter, die es pflegt, bringt es ihm. Komplementär- In beiden Fällen handelt es sich um Komplementär- Transaktionen Transaktionen, d. h., die Reaktion ist so, wie sie der Si- tuation angemessen ist und erwartet wird; sie folgt der natürlichen Ordnung gesunder zwischenmenschlicher Beziehungen. Die erste Transaktion, als Komple- mentär-Transaktion, Typ I bezeichnet, ist in Abbildung 2 (a) dargestellt, die zweite, Komplementär-Transak- tion, Typ II, findet man in Abbildung 2 (b). Offensicht- lich zeigen jedoch Transaktionen die Tendenz, sich in
  184.  
  185. Form von Kettenreaktionen zu vollziehen, sodass jede Reaktion ihrerseits wieder zu einem neuen Stimulus Analyse von wird. Die erste Kommunikationsregel besagt, dass jede Spielen Kommunikation sich so lange reibungslos vollzieht,
  186. wie die Transaktionen ihren Komplementär-Charakter wahren; als logische Folge ergibt sich daraus: Solange die Transaktionen ihren Komplementär-Charakter wahren, kann ein Kommunikationsvorgang im Prinzip unbegrenzt andauern. Diese Regeln gelten unabhängig Regeinfür vom Wesen und vom Inhalt der sich vollziehenden Transaktionen Transaktionen; sie beruhen ausschließlich auf der Richtung der dabei einbezogenen Vektoren. Solange es sich bei den Transaktionen um Komplementär-Trans- aktionen handelt, ist für die Regel völlig irrelevant, ob zwei Menschen sich zu einem Klatsch zusammenfin- den (Eltern-Ich - Eltern-Ich), gemeinsam ein Problem lösen (Erwachsenen-Ich-Erwachsenen-Ich) oder mit- einander spielen (Kindheits-Ich - Kindheits-Ich oder Eltern-Ich - Kindheits-Ich). Die entgegengesetzte Regel besagt, dass die Kommu- nikation unterbrochen wird, wenn es zu einer <Über- Überkreuz- kreuz-Transaktion> (crossed transaction) kommt. Die- Transaktionen jenige Überkreuzaktion, die am häufigsten vorkommt und die zu allen Zeiten in den Bereichen der Ehe, der Liebe, der Freundschaft und des Berufslebens die meis- ten sozialen Komplikationen in der Welt ausgelöst hat, ist in Abbildung 3 (a) als Überkreuz-Transaktion, Typ I zu sehen. Mit diesem Transaktions-Typ befassen sich vor al- lem die Psychotherapeuten; er findet sich verkörpert in der klassischen <Übertragungs-Situation> (transference reaction) der Psychoanalyse. Der Stimulus leitet sich aus einer Transaktion zwischen Erwachsenen-Ich und Erwachsenen-Ich ab, z. B. «Wir sollten mal versuchen, 2. herauszufinden, warum du in letzter Zeit so viel ge- Transaktions- trunken hast», oder: «Weißt du, wo meine Manschet- Analyse
  187. tenknöpfe sind?» Die angemessene Reaktion von Er- wachsenen-Ich zu Erwachsenen-Ich wäre in diesen beiden Fällen: «Wir sollten das wirklich mal tun. Ich möcht's im Grunde selber gern wissen!» bzw.: «Auf Unange- dem Schreibtisch.» Wenn der reagierende Partner je- messene doch aufbraust, dann wird er etwa folgendermaßen Reaktionen reagieren: «Du kritisierst mich ständig, genauso wie mein Vater das immer getan hat», bzw.: «Immer gibst du mir die Schuld an allem.» Beide Male handelt es sich um Reaktionen vom Kindheits-Ich zum Eltern- Ich hin, und, wie man auf den Transaktions-Dia- grammen ablesen kann, die Vektoren überkreuzen einander. In solchen Fällen müssen die Probleme des Erwachsenen-Ichs in Bezug auf das Trinken bzw. die Manschettenknöpfe so lange ungelöst bleiben, bis Analyse von sich die Vektoren wieder aufeinander abstimmen las- Spielen sen. Das mag beim Trinkproblem mehrere Monate
  188. oder noch länger dauern, im Fall der Manschetten- knöpfe kann das schon innerhalb weniger Sekunden der Fall sein. Entweder muss der agierende Urheber sein Eltern-Ich zum Tragen bringen, und zwar als Lösungen Komplementärfaktor zu dem vom reagierenden Part- ner plötzlich aktivierten Kindheits-Ich, oder aber das Erwachsenen-Ich des reagierenden Partners muss wirksam werden, und zwar als Komplementärfaktor zum Erwachsenen-Ich des agierenden Urhebers. Wenn das Dienstmädchen beim Geschirrspülen re- belliert, dann ist eine Unterhaltung von Erwachse- nen-Ich zu Erwachsenen-Ich über dieses Problem nicht mehr möglich; es können darauf nur folgen: entweder eine Unterhaltung vom Kindheits-Ich zum Eltern-Ich hin oder die Erörterung eines anderen Themas auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs, näm- lich die hinsichtlich der Fortdauer oder Lösung des Arbeitsverhältnisses. Das Gegenbeispiel zu einer Überkreuz-Transaktion vom Typ I findet man in Abbildung 3 (b) dargestellt. Es handelt sich hier um die dem Psychotherapeuten wohl bekannte <Gegenübertragung> (counter-transference re- Gegen- action): Der Patient trifft mit Hilfe seines Erwachse- übertragung nen-Ichs eine objektive Feststellung, der Therapeut führt jedoch ein Sich-Überkreuzen der Vektoren her- bei, indem seine Reaktion der eines Elternteils gegen- über einem Kind gleicht: Das ist die Überkreuz-Trans- aktion, Typ II. Im Alltagsleben würde in diesem Fall die Frage «Weißt du, wo meine Manschettenknöpfe sind?» etwa eine Reaktion hervorrufen wie: «Warum passt du 2. auf deine Sachen nicht besser auf? Du bist schließlich Transaktions- kein kleines Kind mehr.» Analyse
  189. Das <Beziehungs-Diagramm> (Abb. 4) zeigt die neun möglichen Vektoren einer Sozialaktion zwischen ei- nem agierenden Urheber und einem reagierenden Partner; es besitzt einige interessante geometrische (ty- Neun pologische) Eigenschaften. Komplementär-Transak- Beziehungs- tionen zwischen Partnern auf (gleicher psychologi- typen scher Ebene> stellen die Beziehungen (I-I) , (5-5) und 2 2
  190. (9-9) dar. Außerdem gibt es noch drei weitere Kom- 2
  191. plementär-Transaktionen: (2-4) (4-2), (3-7) (7-3) und (6-8) (8-6). Alle anderen Kombinationen stellen Über- kreuz-Transaktioncn dar, und sie sind in den meisten Fällen auch als solche im Diagramm zu erkennen, z. B. (3-7) (3-7); das bedeutet etwa, dass zwei Menschen, ohne zu sprechen, einander durchdringend anstarren. Lässt keiner von beiden von seiner Haltung ab, dann ist die Kommunikation beendet, und sie müssen sich Analyse von wieder trennen. Die am häufigsten eintretende Lösung Spielen ist jedoch die, dass einer von beiden veranlasst wird,
  192. nachzugeben und zurückzustecken (7-3); es kommt dann in der Folge zu dem so genannten «Tumult- Spiel (s. Kap. 9, Nr. 5); kommt es jedoch zu einer Lö- sung auf der Ebene (5-5) dann brechen beide Part- 2
  193. ner plötzlich in Gelächter aus oder schütteln sich lachend die Hände. Einfachen Komplementär-Transaktionen begegnet man meist in oberflächlichen Beziehungen am Arbeits- platz oder auf gesellschaftlicher Ebene; sie lassen sich durch einfache Überkreuz-Transaktionen leicht aus dem Gleichgewicht bringen. In der Tat lässt sich eine oberflächliche Beziehung definieren als eine Bezie- hung, die auf einfache Komplementär-Transaktionen beschränkt bleibt. Beziehungen dieser Art begegnen wir im Bereich der beruflichen Tätigkeit, der rituellen Handlungen und des Zeitvertreibs. Komplexer sind die <verdeckten Transaktionen) (ulterior transactions), bei Verdeckte denen mehr als zwei Ich-Zustände gleichzeitig wirksam Transaktionen werden: diese Kategorie bildet auch die Grundlage für die verschiedenen <Spiele>. Handelsvertreter verstehen sich besonders gut auf Angulär-Transaktionen, bei de- Angulär- nen drei Ich-Zustände beteiligt sind. Ein ungeschmink- Transaktionen tes, aber treffendes Beispiel für ein solches < Verkaufs- Spiel) stellt der folgende Wortwechsel dar: VERTRETER : «Dieser Apparat hier ist besser, aber den können Sie sich nicht leisten.» HAUSFRAU : «Genau den werde ich nehmen.» Eine Analyse dieser Transaktion zeigt die Abbildung 5 (a). Der Vertreter trifft mit seinem Erwachsenen-Ich zwei objektive Feststellungen: «Dieser Apparat ist bes- 2. ser» und «Sie können ihn sich nicht leisten». Diese Transaktions- richten sich auf der äußerlich vorgeschobenen sozialen Analyse
  194. Ebene an das Erwachsenen-Ich der Hausfrau, das nun seinerseits antworten müsste: «Sie haben in beiden Punkten Recht.» Der verdeckte psychologische Vektor wird jedoch von dem trickreichen und erfahrenen Er- wachsenen-Ich des Vertreters an das Kindheits-Ich der Hausfrau gerichtet. Wie richtig diese Beurteilung ist, das zeigt sich an der Antwort dieses Kindheits-Ichs,
  195.  
  196. in der im Prinzip Folgendes zum Ausdruck kommt: «Ohne Rücksicht auf finanzielle Konsequenzen werde ich diesem arroganten Burschen schon zeigen, dass ich mir ebenso viel leisten kann wie seine anderen Kun- den.» Auf beiden Ebenen handelt es sich hier um eine Komplementär-Transaktion, denn die Antwort der Hausfrau wird für bare Münze genommen und als Kaufvertrag zwischen Erwachsenen akzeptiert. Bei einer verdeckten Duplex-Transaktion sind vier Analyse von Ich-Zustände beteiligt; man findet sie im Allgemeinen Spielen bei Flirt-<Spielen>.
  197. BEISPIEL: COWBOY : «Schauen Sie sich doch mal die Scheune an.» BESUCHERIN : «Schon als kleines Mädchen habe ich immer eine Vorliebe für Scheunen gehabt.» Wie Abbildung 5 (b) zeigt, handelt es sich hier auf Duplex- der Sozial-Ebene um eine von den Erwachsenen-Ichs Transciktion getragene Unterhaltung über Scheunen, auf der psy- chologischen Ebene jedoch um eine von den Kindt. heits-Ichs bestrittene Unterhaltung über Liebesspiele. Oberflächlich betrachtet, scheint hier die Initiative beim Erwachsenen-Ich zu liegen, aber wie bei den meisten Spielen ist es das Kindheits-Ich, das den Aus- schlag dafür gibt, was bei dieser Unternehmung her- auskommt, und den beteiligten Partnern steht mög- licherweise eine Überraschung bevor. Transaktionen lassen sich also folgendermaßen klas- sifizieren: Komplementär- und Überkreuz-Transaktio- nen, einfache und verdeckte Transaktionen; verdeckte Transaktionen kann man ihrerseits unterteilen in den Typ der Angulär-Transaktionen und den der Duplex- Transaktionen.
  198. VERFAHREN U N D RITUALE
  199. Transaktionen vollziehen sich für gewöhnlich in einer bestimmten Abfolge; diese Abfolge ist nicht zufallsbe- dingt, sondern fest programmiert. Für die Program- mierung gibt es drei mögliche Quellen: Eltern-Ich, Er- wachsenen-Ich und Kindheits-Ich, bzw. allgemeiner Abfolge der ausgedrückt: Gesellschaft, reale Umweltgegebenheiten Transaktionen und persönliche Idiosynkrasie. Da es aus Adaptations- gründen erforderlich ist, das Kindheits-Ich vom El- tern-Ich bzw. vom Erwachsenen-Ich so lange abschir- men zu lassen, bis jede soziale Situation hinreichend getestet ist, begegnet man der vom Kindheits-Ich aus- gehenden Programmierung überwiegend in Situatio- nen der privaten Intimsphäre, für die vorbereitende Test-Ergebnisse bereits vorliegen. Die einfachsten Formen von Sozialaktivität sind Ver- fahren und Rituale. Einige von ihnen tragen universa- len, andere mehr lokalen Charakter, aber alle müssen erst erlernt werden. Ein Verfahren besteht aus einer Folge von einfachen Komplementär-Transaktionen auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs, die auf die Manipu- Statische lation der realen Umweltgegebenheiten gerichtet sind. Realität Diese Umwelt-Realität hat zwei Aspekte, einen stati- schen und einen dynamischen. Die statische Realität 3. umfasst alle möglichen Gruppierungen der Materie im Verfahren Universum. Die Arithmetik zum Beispiel besteht aus und Rituale
  200. Feststellungen über die statische Realität. Die dynami- Dynamische sche Realität lässt sich definieren als Möglichkeitsbe- Realität reich für die Wechselwirkung aller im Universum vor- handenen Kräfte-Systeme. Die Chemie zum Beispiel besteht aus Feststellungen über die dynamische Reali- tät. Alle Verfahren beruhen auf Informationsübermitt- lungen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen in Be- zug auf die realen Gegebenheiten der Umwelt; sie erreichen ihren höchsten Entwicklungsgrad in den ver- schiedenen Berufspraktiken. Wenn man ein Flugzeug steuert oder einen Blinddarm entfernt, dann bezeich- net man das als Verfahren. Die Psychotherapie ist inso- weit ein Verfahren, als sie unter der Kontrolle des Er- wachsenen-Ichs des Therapeuten steht; sobald jedoch sein Eltern-Ich bzw. sein Kindheits-Ich die Führung übernehmen, ist sie es nicht mehr. Die Programmie- rung eines Verfahrens wird bestimmt durch die realen Umweltgegebenheiten, und zwar auf der Basis der vom Erwachsenen-Ich des agierenden Urhebers ermittelten Schätzwerte. Bei der Bewertung bestimmter Verfahren verwendet Variablen der man zwei Variablen. Man bezeichnet ein Verfahren als Verfahren wirksam> wenn der agierende Urheber von den ihm zur Verfügung stehenden Informationen und von seiner beruflichen Erfahrung den bestmöglichen Gebrauch macht; irgendwelche etwa bestehenden Mängel in sei- nem beruflichen Wissen bleiben dabei außer Betracht. Mischen sich das Eltern-Ich oder das Kindheits-Ich bei der Informations-Übermittlung ein, dann wird das Verfahren nachteilig beeinträchtigt und verliert an Analyse von Wirksamkeit. Den Effektivwert eines Verfahrens beur- Spielen teilt man nach dem tatsächlich erzielten Ergebnis. Die
  201. Wirksamkeit eines Verfahrens ist ein psychologisches, der Effektivwert ein rein sachliches Kriterium. Auf ei- Effektivwert ner tropischen Insel arbeitete ein Eingeborener als eines Verfahrens amtsärztlicher Assistent und erwarb sich bald einen hohen Grad von Geschicklichkeit beim Stechen des grauen Stars. Er setzte die ihm zur Verfügung stehen- den Kenntnisse sehr wirksam ein, aber da sie geringer waren als die des europäischen Amtsarztes, war er nicht im gleichen Maß erfolgreich. Der Europäer begann dann stark dem Alkohol zuzusprechen, sodass seine Wirksamkeit nachließ; auf den Erfolg seiner Operatio- nen hatte dies jedoch zunächst keinen Einfluss. Als aber seine Hände mit den Jahren immer zittriger wurden, begann sein Assistenzarzt ihn allmählich zu übertref- fen, und zwar nicht nur in seiner Wirksamkeit, sondern auch im Erfolgsgrad. Dieses Beispiel zeigt, dass die beiden oben genannten Variablen sich am besten von einem Experten auf dem Gebiet des jeweils infrage kommenden Verfahrens beurteilen lassen - die Wirk- samkeit durch persönliche Bekanntschaft mit dem agierenden Urheber und der Erfolgsgrad durch Über- prüfung der tatsächlich erzielten Ergebnisse. Nach der gegenwärtig geltenden Auffassung besteht ein Ritual aus einer stereotypen Folge von einfachen Komplementär-Transaktionen, programmiert durch äußere Sozialfaktoren. Ein informelles Ritual, wie z. B. Informelle das Sich-Verabschieden im gesellschaftlichen Bereich, Rituale kann im Detail örtlich sehr stark variieren, die Grund- form bleibt jedoch stets die gleiche. Ein formelles Ri- tual, wie z. B. die katholische Messe, lässt Variations- 3. möglichkeiten nur in weit geringerem Ausmaß zu. Die Verfahren Form eines Rituals wird traditionell vom Eltern-Ich und Rituale
  202. bestimmt; <Eltern-Ich>-Einflüsse jüngeren Datums können ähnliche, dabei allerdings weniger beständige Auswirkungen auch in alltäglichen Dingen haben. Ei- Formelle nige formelle Rituale von besonderer historischer bzw. Rituale anthropologischer Bedeutung bestehen aus zwei Pha- sen: l.aus einer Phase, in der die Transaktionen sich unter strenger kritischer Überwachung durch das El- tern-Ich vollziehen, 2. einer Phase weitgehender Kon- zessionen des Eltern-Ichs, in der dem Kindheits-Ich in seinen Transaktionen fast völlige Freiheit gewährt wird, die in der Folge gewöhnlich zu einem Exzess führt. Viele formelle Rituale waren zunächst stark konta- minierte, dabei aber noch verhältnismäßig wirksame Verfahren; im Verlauf der Zeit und unter veränderten Umständen ging dann ihre Verfahrens-Wirksamkeit völlig verloren, doch erwiesen sie sich als Glaubens- Rituale und Akte weiterhin nützlich. Im Transaktions-Bereich stel- Transaktion len sie so etwas dar wie eine Gefügigkeit gegenüber den vom Eltern-Ich gestellten Forderungen, mit der man eine Schuld zu lindern oder eine Belohnung zu erhei- schen sucht. Sie bieten eine sichere, beruhigende (apo- tropäischc) und häufig recht genussreiche Methode der Zeit-Strukturierung. Als Einführung in die Analyse von Spielen haben je- doch informelle Rituale größere Bedeutung; eines der instruktivsten Rituale überhaupt ist das amerikanische Grußritual. 1 A: «Hi!» (Hello, good tnorning.) 1 B: «Hi!» (Hello, good morning.) 2 A: « Warm enough forya /foryou]?» (How areyou?) Analyse von 2 B: «Sure [it] is. Looks like rain, though.» Spielen (Fine. How areyou?)
  203. 3 A: « Well, take cara [care of] yourself.» (Okay.) 3 B: «Vll be seeingyou.» 4 A: «So long.» 4 B: «So long.» Dieser Grußwechsel ist ganz offensichtlich nicht dazu bestimmt, irgendwelche Informationen zu übermit- teln. In der Tat, gäbe es wirklich irgendwelche Informa- tionen, dann behält man sie klugerweise für sich. Mr. Rituale mit A. könnte 15 Minuten darauf verwenden, darzulegen, Streichel- wie es ihm wirklich geht, und Mr. B., der mit ihm nur Einheiten ganz oberflächlich bekannt ist, hat nicht die geringste Absicht, derart viel Zeit fürs Zuhören zu verschwen- den. Man kann diese Abfolge von Transaktionen tref- fend als <Ritual mit acht Streichel-Einheitem bezeich- nen. Hätten es A und B sehr eilig, dann würden sie sich wohl mit zwei Streichel-Einheiten begnügen: «Hi!» - «HU» Wären sie altmodische, orientalische Potentaten, dann würden sie vielleicht ein Ritual mit zweihundert Streichel-Einheiten zelebrieren, bevor sie sich endlich an die Arbeit begäben. Inzwischen haben A und B - so würde man das in einer Transaktions-Analyse fachge- recht ausdrücken - ihr Wohlbefinden gegenseitig ein wenig erhöht; im Augenblick zumindest <läuft ihr Rü- ckenmark nicht Gefahr zu verkümmern), und dafür ist jeder von beiden dankbar. Dieses Ritual basiert auf behutsamen intuitiven Er- wägungen der beiden beteiligten Partner. Im gegen- wärtigen Stadium ihrer Bekanntschaft, so rechnen sie sich aus, schulden sie einander bei jeder Begegnung ge- nau vier Streichel-Einheiten, und auch das nicht öfter 3. als einmal am Tag. Begegnen die beiden einander etwa Verfahren innerhalb der nächsten halben Stunde zufällig noch und Rituale
  204. einmal, ohne dass sie irgendwie beruflich miteinander zu tun haben, dann gehen sie grußlos oder nur mit ei- nem andeutenden Kopfnicken aneinander vorüber, äu- ßerstenfalls tauschen sie ein flüchtiges «Hi!» - «Hi!» miteinander aus. Erwägungen dieser Art behalten ihre Gültigkeit nicht nur für einen kurzen Zeitraum, son- dern auch für längere Zeitperioden, etwa über mehrere Monate hin. Betrachten wir nun den Fall von Mr. C. und Mr. D.; sie begegnen einander einmal am Tag, tau- Kalkulierte schende eine Streichel-Einheit aus - «Hi!» - «Hi!» - und Streichel- gehen dann ihrer Wege. Nach einiger Zeit nimmt Mr. einheiten C. einen Monat Urlaub. Am Tag nach seiner Rückkehr begegnet er wie gewöhnlich Mr. D. Sagt Mr. D. bei die- ser Gelegenheit nur das übliche «Hü», dann wird Mr. C. sich verletzt fühlen, und sein Rückenmark wird an- deutungsweise verkümmern. Nach seiner Kalkulation schulden Mr. D. und er einander in dieser Situation etwa 30 Streichel-Einheiten. Diese lassen sich in einigen wenigen Transaktionen komprimieren, wenn die Transaktionen nur hinreichend emphatisch sind. Auf Mr. D.s Seite müsste die Unterhaltung also etwa fol- gendermaßen verlaufen (jede Grundeinheit von (In- tensität) bzw. <Interesse> gilt dabei als Äquivalent für eine Streichel-Einheit): 1 D: «Hi!» (Eine Einheit.) 2 D: «Haven't seen you around lately.» (2 Einheiten.) 3 D: «Oh, have you! Where did you go?» (5 Einhei- ten.) 4 D: «Say, that's interesting. How was it?» (7 Ein- heiten.) Analyse von 5 D: «Well, you're sure looking fine.» (4 Einheiten.) Spielen «Didyourfamily go along?» (4 Einheiten.)
  205. 6 D: « Well, glad to see you back.» (4 Einheiten.) 7 D: «So long.» (Eine Einheit.) Das ergibt für Mr. D. insgesamt 28 Einheiten. Mr. C. und er wissen, dass die noch fehlenden Einheiten am folgenden Tag nachgeholt werden; damit haben prak- tisch beide ihr Konto ausgeglichen. Zwei Tage später Rechnungen kehren sie wieder zum üblichen Grußaustausch mit zwei Streichel-Einheiten - «Hi!» - «Hi!» - zurück. Im- merhin <kennt man einander jetzt besser>, d. h., jeder weiß: Der andere ist zuverlässig, und das könnte sich als nützlich erweisen, falls man einander eines Tages <auf gesellschaftlicher Ebene) begegnet. Auch der umgekehrte Fall ist recht interessant. Mr. E. und Mr. F. haben miteinander ein Ritual von zwei Streichel-Einheiten zur Regel werden lassen: «Hi!» - «Hi!» Eines Tages setzt Mr. E. seinen Weg nicht fort, Irritationen sondern bleibt stehen und fragt: «How are you?» Die Unterhaltung verläuft dann etwa folgendermaßen: 1 E: «Hi!» 1 F: «Hi!» 2 E: «How are you?» 2 F (verblüfft): «Fine. How are you?» 3 E: «Everything's great. Warm enough for you?» 3 F: «Yeah.» (Zögernd:) «Looks like rain, though.» 4 E: «Nice to see you again.» 4 F: «Same here. Sorry, I've got to get to the library be- fore it closes. So long.» 5 E: «So long.» Beim Weitergehen denkt Mr. F. sich im Stillen: «Was ist denn plötzlich in den gefahren? Will der mir eine Ver- 3. sicherung andrehen oder was sonst?» In einer Trans- Verfahren aktions-Analyse fachgerecht ausgedrückt, heißt das: und Rituale
  206. «Er ist mir eigentlich nur eine Streichet-Einheit schul- dig, warum gibt er mir plötzlich fünf?» Dass diese einfachen Rituale wirklich Transaktions- Charakter haben und ausgesprochen sachlicher Natur sind, lässt sich noch an einem anderen Beispiel demon- Unerwiderte strieren, nämlich wenn z. B. Mr. G. mit «H/7» grüßt und Geste Mr. H. weitergeht, ohne darauf zu antworten. Mr. G.s Reaktion: «Was ist denn mit dem los?» bedeutet so viel wie: «Ich habe ihm eine Streichel-Einheit gegeben, und er hat diese Geste nicht erwidert.» Bleibt Mr. H. weiter- hin bei seiner Verhaltensweise und dehnt sie auch noch auf andere Bekannte aus, dann führt das mit Sicherheit dazu, dass man bald in seinem Bekanntenkreis über ihn reden wird. In Grenzfällen ist es manchmal schwierig, zwischen Verfahren und Ritual zu unterscheiden. Beim Laien be- steht die Tendenz, gewisse Berufspraktiken nicht als Grenzfälle Verfahren, sondern als Ritual zu bezeichnen, dabei mag Ritual/ in der Tat jede einzelne Transaktion in starkem, ja ent- Verfahren scheidendem Maß auf Erfahrungsgrundsätzen beru- hen, dem Laien fehlt es jedoch an entsprechenden Kenntnissen, um diese Tatsache richtig zu würdigen. Umgekehrt neigen Fachleute dazu, die ihren Berufs- praktiken (Verfahren) noch anhaftenden ritualisti- schen Elemente zu rationalisieren und skeptische Laien mit dem Hinweis abzutun, es mangle ihnen zum Verständnis dieser Dinge an der nötigen Vorbildung. Ein Mittel, mit dem eingeschworene Fachleute sich gern der Einführung brauchbarer neuer Verfahrens- weisen in ihrem Beruf widersetzen, besteht darin, sie Analyse von als Rituale abzuklassifizieren. Das wird dann Neuerern Spielen wie z. B. Semmelweis u. a. zum Verhängnis.
  207. Ein essenzielles, sowohl für Verfahren als auch für Rituale ähnlich charakteristisches Merkmal ist die Tat- sache, dass beide stereotyp sind. Sobald die erste Trans- Stereotype aktion eingeleitet ist, wird die gesamte weitere Abfolge voraussagbar und nimmt, wenn keine besonderen Umstände eintreten, ihren vorherbestimmten Verlauf bis zu dem gleichermaßen vorherbestimmten Ab- schluss. Der Unterschied zwischen ihnen besteht im Ursprung der Vorherbestimmung: Verfahren werden vom Erwachsenen-Ich programmiert, Rituale in ihrer Struktur vom Eltern-Ich bestimmt. Individuen, die mit Ritualen nicht gut zurechtkom- men, oder sich bei ihrer Anwendung ungeschickt an- stellen, weichen manchmal auf Ersatzverfahren aus. Man findet sie z. B. unter Leuten, die gern bereit sind, der Gastgeberin bei der Vorbereitung einer Party oder beim Servieren von Speisen und Getränken zu helfen.
  208. ARTEN VON ZEITVERTREIB
  209. Dem Zeitvertreib begegnen wir in einer sozialen und temporalen Grundsubstanz von unterschiedlichen Komplexitätsgraden, und auch er variiert daher im Grad seiner Komplexität. Gehen wir von der Transak- tion als der Grundeinheit aller sozialen Verbindungen aus, dann lässt sich aus entsprechenden Situationen ein Gebilde herausschälen, das man als einfachen Zeitver- treib bezeichnen kann. Er lässt sich definieren als eine Definition Folge von semirituellen, einfachen Komplementär- Transaktionen, die sich alle um ein einziges Sachgebiet herum gruppieren und in erster Linie das Ziel verfol- gen, ein bestimmtes Zeitintervall zu strukturieren. Der Beginn und das Ende eines solchen Intervalls werden gemeinhin durch bestimmte Verfahren oder Rituale angezeigt. Die Transaktionen selbst sind adaptations- gerecht programmiert, sodass jeder Beteiligte einen maximalen Nutzen bzw. Vorteil aus diesem Zeitinter- vall ziehen kann. Ie besser seine Adaptation, desto grö- ßer sein Gewinn. Dem Zeitvertreib widmet man sich im Allgemeinen auf Partys ((gesellschaftlichen Zusammenkünften)) oder aber während der Warteperiode vor Beginn eines formellen Gruppentreffens; solche Warteperioden vor 4. <Beginn> eines Treffens gleichen in ihrer Struktur und Arten von Dynamik den (Partys). Zeitvertreib kann seiner Form Zeitvertreib
  210. nach etwa das sein, was man als <Geplauder> (chit-chat) bezeichnet, er kann aber auch ernsthafterer Natur sein, d. h. von logischer Konsequenz. Eine große Cocktail- party hat oft die Funktion, als eine Art Ausstellungs- Spiele zum galerie für die verschiedenen Arten von Zeitvertreib zu Zeitvertreib dienen. In einer Ecke des Raumes spielen einige Leute «Elternbeirat», eine andere gibt das Forum für «Psych- iatrie» ab, eine dritte ist der Schauplatz für «Jemals da gewesen» oder «Was ist denn aus ... geworden», in der vierten bespricht man «Daimler-Benz», und das Büfett ist für Frauen reserviert, die gern «Küche» oder «Gar- derobe» spielen möchten. Was sich auf einer solchen Zusammenkunft abspielt, mag, abgesehen von gele- gentlichen Namensänderungen, nahezu identisch sein mit dem, was sich auf einem Dutzend ähnlicher Partys ereignet, die zur gleichen Zeit im näheren oder weite- ren Umkreis stattfinden. Auf einem weiteren Dutzend Partys in einer anderen sozialen Schicht vollzieht sich gleichzeitig der Zeitvertreib in anderen Formen. Zeitvertreib lässt sich auf verschiedene Weise klassi- fizieren. Die äußeren Bestimmungsfaktoren sind so- ziologischer Natur (Geschlecht, Alter, Familienstand, kulturelle, rassische oder wirtschaftliche Faktoren). «Daimler-Benz» (Vergleich von Autos) und «Wer hat Männerspiele gewonnen» (Sport) sind <Männergespräche>. «Lebens- mittel», «Küche» und «Garderobe» sind durchwegs <Frauengespräche>. «Mal herausfinden, ob» ist unter Fleranwachsenden üblich, dagegen wird der Eintritt ins mittlere Lebensalter gekennzeichnet durch eine Tendenz zur «Bilanz». Andere Arten dieser Kategorie, Analyse von alle Variationen des belanglosen (Geplauders), sind: Spielen «Wie macht man das», damit lässt sich leicht eine kurze
  211. Flugreise überbrücken; «Wie viel kostet das», beson- ders beliebt in Bars, in denen die untere Mittelschicht verkehrt; «Jemals da gewesen» (an irgendeinem Ort, an den man gern und oft zurückdenkt), ein Spiel der Mit- telschicht für <alte Hasen> wie z. B. Handelsvertreter; «Kennen Sie ...» (Herrn oder Frau Soundso), beson- ders geeignet für die Einsamen; «Was ist denn aus ... (dem alten Sepp) ... geworden», häufig von Erfolgsleu- ten und Versagern der Wirtschaftsbranche gespielt; «Der Morgen danach» (ich hab einen schrecklichen Kater!) und «Martini» (ich kenne eine bessere Mix- Methode) sind typisch für eine gewisse Sorte von ehr- geizigen jungen Männern. Im strukturellen bzw. transaktionellen Bereich ist die Klassifizierung mehr persönlicher Natur. So kann z. B. «Elternbeirat» auf drei verschiedenen Ebenen ge- Spiele auf spielt werden. Auf der Ebene des Kindheits-Ichs spielt drei Ebenen man es in der Form «Wie wird man mit widerborsti- gen Eltern fertig»; auf der Ebene des Erwachsenen- Ichs, in seiner angemessenen Form, ist «Elternbeirat» sehr beliebt bei gebildeten jungen Müttern; ältere Leute neigen mehr zu der dogmatischen Form auf der Ebene des Eltern-Ichs: «Jugendkriminalität». Ehepaare spie- len manchmal «Sag's ihnen nur, Liebster»; dabei ver- tritt die Frau das Eltern-Ich, und dem Ehemann fällt die Rolle eines etwas altklugen Kindes zu. Ähnlich ist auch «Schau, Mutti, ich hab keine Hän- de» ein Zeitvertreib, der sich zwischen Kindheits-Ich und Eltern-Ich abspielt und der sich für Leute aller Al- tersstufen eignet; gelegentlich taucht er auch in einer 4. adaptierten Version auf: «Das ist doch zu dumm!» Arten von Noch zwingender ist die psychologische Klassifizie- Zeitvertreib
  212. rung der verschiedenen Arten von Zeitvertreib. So kann man z.B. «Elternbeirat» und «Psychiatrie» so- Spielformen wohl in projektiver als auch in introjektiver Form spie- len. Eine Analyse des Zeitvertreibs «Elternbeirat» in Projektiv seiner projektiven Form zeigt Abbildung 6 (a); sie ba- siert auf folgendem Paradigma der <Eltern-Ich>-Ebene: A: «Die Jugendkriminalität wäre nicht so stark ver- breitet, wenn es nicht so viele zerrüttete Familien gäbe.» B: «Es ist nicht nur das allein. Selbst in intakten Fami- lien bringt man den Kindern nicht mehr so inten- siv gute Manieren bei, wie das früher einmal üblich war.» Introjektiv In seiner introjektiven Form spielt sich «Elternbeirat» etwa folgendermaßen ab (auf der <Erwachsenen-Ich>- Ebene): C: «Ich habe offenbar nicht das Zeug dazu, eine gute Mutter zu sein.» D: «Wie sehr man sich auch abmüht, die Kinder wach- sen einfach nicht so heran, wie man das gern haben möchte; man muss sich fortgesetzt fragen, ob man die Sache überhaupt richtig anpackt und was man falsch gemacht hat.» Folgendes Beispiel zeigt «Psychiatrie» in ihrer projekti- ven Form auf der <Erwachsenen-Ich>-Ebene: E: «Ich glaube, der Grund für seine Handlungsweise ist eine unbewusste orale Frustration.» F: «Ich glaube, es ist Ihnen gut gelungen, Ihre Aggres- sionen zu sublimicrcn.» Abbildung 6 (b) zeigt «Psychiatrie» in ihrer introjekti- Analyse von ven Form, ebenfalls ein Zeitvertreib auf < Erwachsenen - Spielen Ich>-Ebene.
  213. G: «Dieses Gemälde ist für mich nur eine sinnlose Schmiererei.» H: «Wenn ich male, dann versuche ich, meinem Vater damit eine Freude zu machen.» Die verschiedenen Arten von Zeitvertreib dienen nicht nur dazu, die Zeit zu strukturieren und den Beteiligten so etwas wie eine wechselseitige Anerkennung zu ver- schaffen, sie haben noch eine zusätzliche Funktion, > Soziale nämlich die eines sozialen Selektions-Prozesses. Wäh- Selektion rend ein bestimmter Zeitvertreib im Gange ist, ver- sucht das Kindheits-Ich in jedem Beteiligten die in den anderen Beteiligten vorhandenen inneren Möglichkei- ten sorgfältig abzuschätzen. Am Schluss einer Party hat jeder Teilnehmer auf diese Weise gewisse <Mitspielen ausgewählt, die er gern wiedersehen möchte, andere dagegen lehnt er ab, und zwar ohne Rücksicht darauf, wie geschickt und liebenswürdig sie sich auch an die- sem Zeitvertreib beteiligt haben mögen. Die von ihm Ausgewählten sind mit größter Wahrscheinlichkeit Beziehungs- prospektive Kandidaten für komplexere Beziehungen - kandidaten d.h. Spiele. Wie rationell man aber bei diesem Aus- wahlsystem auch immer verfahren mag, es vollzieht sich in Wirklichkeit doch weitgehend unbewusst und intuitiv. In besonderen Fällen gewinnt allerdings beim Selck- tions-Prozess das Erwachsenen-Ich die Oberhand über das Kindheits-Ich. Das zeigt sich sehr deutlich etwa bei einem Versicherungsagenten, der gründliche Erfah- rung darin besitzt, wie man am besten an einem gesell- 4. schaftlichen Zeitvertreib mitwirkt. Während er äußer- Arten von lich mitspielt, hält sein Erwachsenen-Ich intensiv Zeitvertreib Ausschau nach prospektiven Kunden und bezieht sie
  214. in den ausgewählten Kreis jener Mitspieler ein, die er gern wiedersehen möchte. Ihre Geschicklichkeit im Spiel oder ihr sympathisches Wesen stehen in diesem Fall in keiner Beziehung zu dem von ihm praktizierten Selektions-Prozess, denn dieser gründet sich, wie in den meisten Fällen, auf periphere Faktoren - im vor- liegenden Beispiel auf die finanzielle Solvenz.
  215.  
  216. Exklusivität Die verschiedenen Arten von Zeitvertreib haben einen des ganz spezifischen Aspekt von Exklusivität. So lassen Zeitvertreibs sich z. B. <Männergespräche> nicht mit einem <Frauen- gespräch) vermengen. Leute, die konsequent «Jemals da gewesen» spielen, werden sich von einem Gast belästigt fühlen, der in ihren Kreis eindringt und plötzlich «Wie viel kostet das» oder «Der Morgen danach» spielen will. Leute, die «Elternbeirat» in seiner projektiven Form Analyse von spielen, nehmen es übel, wenn jemand ihnen das glei- Spielen che Spiel in seiner introjektiven Form aufzwingen will;
  217. für gewöhnlich geschieht das jedoch nicht in so star- kem Maß wie etwa im umgekehrten Fall. Die verschiedenen Arten von Zeitvertreib bilden die Grundlage für die Auswahl von Bekanntschaften, und sie können sogar zu einer Freundschaft führen. Ein Spiele Damenkränzchen, das sich jeden Morgen reihum zu und sozialer einem Kaffeeklatsch trifft und dabei «Der Gatte als De- Kontakt linquent» spielt, wird einer neu hinzukommenden Nachbarin, die ihrerseits «Immer auf der Sonnenseite» spielen möchte, höchstwahrscheinlich die kalte Schul- ter zeigen. Wenn die einen fortgesetzt darüber reden, wie gemein ihr Mann ist, dann bringt sie das allzu sehr aus der Fassung, wenn ihre neue Kollegin erklärt, ihr Mann sei einfach wundervoll, ja geradezu der perfekte Ehemann; mit Sicherheit wird man sie nicht lange in diesem Kreis dulden. Wechselt jemand auf einer Cock- tailparty von einer Ecke des Raumes in eine andere hinüber, dann muss er sich entweder dem Zeitvertreib anschließen, den man dort gerade betreibt, oder er muss sich bemühen, die Vorgänge, die sich dort abspie- len, mit Erfolg auf ein anderes Gleis zu lenken. Eine tüchtige Gastgeberin ist in solchen Fällen natürlich so- fort Herrin der Situation und macht einen festen Pro- gramm-Vorschlag: «Wir haben gerade (Elternbeirat) gespielt. Was halten Sie davon?» Oder: «Nun, meine Lieben, ihr habt jetzt lange genug <Garderobe> gespielt. Unser Gast, Mr. J., ist Schriftsteller/Politiker/Chirurg, und ich bin sicher, er würde gern spielen: <Schau, Mut- ti, ich hab keine Hände>. Nicht wahr, Mr. J.?» Ein weiterer entschiedener Nutzen, den man aus den 4. verschiedenen Arten von Zeitvertreib ziehen kann, ist Arten von die Bestätigung der Rolle, die man selbst spielt, und die Zeitvertreib
  218. Rollen im Spiel Festigung der eigenen Position. Eine Rolle ähnelt etwa dem, was Jung als Persona bezeichnet, nur ist sie weni- ger opportunistisch und tiefer in der Phantasie des ein- zelnen Individuums verwurzelt. So kann bei der pro- jektiven Form von «Elternbeirat» ein Spieler die Rolle des energischen Eltern-Ichs übernehmen, ein anderer die des gerechten Eltern-Ichs, ein dritter die des nach- giebigen und ein vierter die des verständnisvollen El- tern-Ichs. Alle vier erleben einen <Eltern-Ich>-Zustand und stellen ihn dar, nur tut das jeder einzelne von ih- nen auf verschiedene Weise. Die Rolle eines jeden wird bestätigt, wenn sie sich Geltung verschafft - d. h. wenn sie keinem Widerspruch begegnet, durch überwunde- nen Widerspruch gefestigt oder von einem gewissen Personenkreis mit schmeichelnder Anerkennung ge- billigt wird. Die Bestätigung in seiner Rolle bedeutet für das In- dividuum die Festigung seiner Position; man bezeich- Rolle und net diesen Vorgang als existenziellen Nutzen aus dem Position Zeitvertreib. Eine Position ist eine einfache prädikative Grundhaltung, die Einfluss auf alle Transaktionen des Individuums ausübt; auf weite Sicht hin bestimmt sie sein Schicksal und häufig auch das seiner Nachkom- men. Eine Position kann mehr oder minder absolut sein. Typische Positionen, von denen aus man «Eltern- beirat» in seiner projektiven Form spielen kann, sind: «Alle Kinder sind schlecht!» - «Alle anderen Kinder sind schlecht!» - «Alle Kinder sind beklagenswert!» - «Alle Kinder werden drangsaliert!» Von diesen Positio- nen aus können sich dann die Rollen des energischen, Analyse von des gerechten, des nachgiebigen und des verständnis- Spielen vollen Eltern-Ichs entfalten. In der Tat manifestiert sich
  219. eine Position in erster Linie durch die zum Ausdruck gebrachte geistige Haltung, und aus dieser Haltung her- aus vollzieht das Individuum dann diejenigen Trans- aktionen, die zusammengenommen seine Rolle aus- machen. Solche Positionen werden bereits zu einem überra- schend frühen Zeitpunkt im Leben eingenommen und fixiert, etwa vom zweiten (manchmal sogar schon vom Fixierung der ersten) bis zum siebenten Lebensjahr - auf jeden Fall Position lange bevor das Individuum kompetent oder erfahren genug ist, um eine so schwer wiegende Verpflichtung einzugehen. Aus der Position eines Individuums lässt sich verhältnismäßig leicht ein Schluss auf seine Kind- heit ziehen. Wenn nicht irgendetwas dazwischen- kommt oder irgendjemand eingreift, dann verbringt es den Rest seines Lebens damit, seine Position zu festi- gen und sich mit den Situationen auseinander zu set- zen, die sie gefährden: Es tut das, indem es ihnen aus- weicht, gewisse Elemente von sich fern hält, oder aber ihre Herausforderung annimmt und sie so manipu- liert, dass Bedrohungen zu Rechtfertigungen werden. Ein Grund dafür, dass alle Arten von Zeitvertreib so stereotyp sind, ist die Tatsache, dass sie auch ebenso stereotypen Zwecken dienen. Aber der Nutzen, den sie Nutzen des zu bieten haben, lässt erkennen, warum die Leute sich Zeitvertreibs ihnen so eifrig hingeben und warum ein Zeitvertreib so erfreulich sein kann, wenn dabei Leute mitwirken, die konstruktive oder menschenfreundliche Positionen zu wahren haben. Nicht immer lässt sich ein Zeitvertreib ohne weite- 4. res von einer <Tätigkeit> unterscheiden, und häufig be- Arten von gegnet man Kombinationen von beiden. Viele weit ver- Zeitvertreib
  220. breitete Arten von Zeitvertreib, wie z. B. «Daimler- Benz», sind das, was Psychologen als eine Art Satzvoll- endung bei mehrfacher Auswahlmöglichkeit bezeich- nen würden. Spiel mit A: «Mir gefällt ein Mercedes/Opel/Ford/Volkswagen Stereotypen besser als ein Mercedes/Opel/Ford/Volkswagen, weil...» B: «Nun, ich möchte lieber einen Mercedes/Opel/Ford/ Volkswagen als einen Mercedes/Opel/Ford/Volks- wagen, denn ...» Ganz offensichtlich können in solchen stereotypen Ge- sprächen durchaus auch nützliche Informationen übermittelt werden. Einige andere weit verbreitete Arten von Zeitvertreib sollen hier noch erwähnt werden. «Ich auch» ist häufig eine Variante von «Ist das nicht schrecklich». «Warum unternimmt man nicht etwas dagegen» ist besonders beliebt bei Hausfrauen, die nicht gern als emanzipiert gelten möchten. «Nun wollen wir mal» ist ein Zeitver- treib auf der <Kindheits-Ich>-Ebene. «Lasst uns mal ein Ding drehen» ist ein bevorzugter Zeitvertreib für kri- minelle Halbstarke und für Erwachsene, die etwas Bö- ses im Schilde führen.
  221. SPIELE
  222. Definition Ein Spiel besteht aus einer fortlaufenden Folge ver- deckter Komplementär-Transaktionen, die zu einem ganz bestimmten, voraussagbaren Ergebnis führen. Es lässt sich auch beschreiben als eine periodisch wieder- kehrende Folge sich häufig wiederholender Transak- tionen, äußerlich scheinbar plausibel, dabei aber von verborgenen Motiven beherrscht; umgangssprachlich kann man es auch bezeichnen als eine Folge von Ein- zelaktionen, die mit einer Falle bzw. einem trügeri- Die Falle schen Trick verbunden sind. Spiele unterscheiden sich im Spiel von Verfahren, Ritualen und allen Arten von Zeitver- treib hauptsächlich durch zwei Merkmale: 1. durch die Tatsache, dass sie von verdeckten Motiven beherrscht werden, und 2. durch ihren Nutzeffekt. Verfahren mö- gen erfolgbringend, Rituale wirkungsvoll und alle Ar- ten von Zeitvertreib nutzbringend sein, aber ihrem Wesen nach sind sie alle offen und ehrlich; sie können mit einem Wettstreit verknüpft sein, nicht aber mit ei- nem Konflikt, und was dabei herauskommt, mag Auf- sehen erregend sein, aber dramatisch ist es nicht. An- dererseits ist jedes <Spiel> im Grunde unehrlich, und das Ergebnis ist nicht nur erregend, sondern erfüllt von echter Dramatik. 5. Die Spiele müssen jetzt noch gegenüber einer bisher Spiele
  223. noch nicht erörterten Art von Sozialaktion abgegrenzt Operation werden. Eine (Operation) (operation) besteht aus einer vs. Spiel einfachen Transaktion oder einer Folge von Transak- tionen, die zu einem fest umrissenen, vorher bestimm- ten Zweck unternommen werden. Bittet jemand freundlich um Ermutigung und erhält sie auch, dann ist das eine <Operation>. Bittet jemand um Ermutigung und wendet sie, nachdem seiner Bitte entsprochen wurde, irgendwie zum Nachteil dessen an, der sie ihm gegeben hat, dann ist das ein Spiel. Oberflächlich be- trachtet, nimmt sich also ein Spiel aus wie eine Folge von Operationen, aber nach dem Ausgang der Unter- nehmung wird deutlich, dass diese (Operationen) in Wirklichkeit nur Manöver waren: nicht aufrichtige Bit- ten, sondern Schachzüge im Rahmen eines Spiels. Nehmen wir z.B. das «Versicherungs-Spiel»: Auf welche Weise der agierende Urheber sich auch immer äußerlich an der Konversation beteiligen mag, er wird, wenn er ein (gewiegter Spieler) ist, in Wirklichkeit doch Manöver nur nach einem prospektiven Kunden Ausschau halten im Spiel bzw. ihn für seine Pläne bearbeiten. Wenn er sein Geld wert ist, dann trachtet er danach, jemanden «zur Strecke zu bringen». Das Gleiche gilt für das «Immobi- lien-Spiel», das «Pyjama-Spiel» und ähnliche Unter- nehmungen. Nimmt auf gesellschaftlichen Zusam- menkünften ein Handelsvertreter an verschiedenen Arten von Zeitvertreib teil, besonders an Varianten des «Bilanz-Spiels», dann kann er hinter seiner leutseligen Beteiligung sehr wohl eine Reihe geschickter Manöver verbergen, die darauf abzielen, über seine Partner die- Analyse von jenigen Informationen einzuholen, die für ihn beruf- Spielen lich interessant sind. Dutzende von Handelsjournalen
  224. sind darauf bedacht, die Manöver im kommerziellen Bereich ständig zu perfektionieren, und sie berichten über hervorragende <Spiele> und <Spieler> (fesselnde Akteure, denen ungewöhnliche geschäftliche <Coups> gelungen sind). Im transaktioneilen Sinn sind diese Zeitschriften im Grunde nichts anderes als Varianten von verschiedenen Sportmagazinen. Im Bereich der Angulär-Transaktionen - hier han- delt es sich um Spiele, die unter Führung des Erwach- senen-Ichs bewusst und mit geradezu professioneller Präzision so geplant sind, dass sie einen maximalen Nutzen abwerfen - sind die großen Betrugsaffären Betrugsspiele (auch sie <Spiele>), die ihre Blütezeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebten, an detaillierter praktischer Pla- nungsarbeit und psychologischer Virtuosität kaum noch zu übertreffen. 1
  225. Womit wir uns aber im vorliegenden Buch befassen wollen, das sind die unbewussten Spiele, gespielt von ahnungslosen Menschen, die in Duplex-Transaktionen verwickelt sind, ohne sich dessen voll bewusst zu wer- Unbewusste den; diese Spiele stellen in der ganzen Welt den wesent- Spiele lichsten Aspekt allen gesellschaftlichen Lebens dar. We- gen ihrer dynamischen Eigenschaften sind Spiele leicht von den rein statischen Verhaltensweisen zu unterschei- den, die sich ergeben, wenn man eine bestimmte Posi- tion wahrt. Die Verwendung des Flauptworts <Spiel> darf nicht zu Missverständnissen führen. Wie schon in der Ein- leitung angedeutet, impliziert dieser Begriff nicht not- wendigerweise auch <Vergnügen> oder gar <Freude>. Viele Handelsvertreter betrachten ihre Arbeit durchaus 5. nicht als Vergnügen; das hat Arthur Miller in seinem Spiele
  226. Stück <Der Tod eines Handlungsreisendem deutlich zum Ausdruck gebracht. Es fehlt auch durchaus nicht an Spiel Ernsthaftigkeit. Fußballspiele werden zum Beispiel und Ernst heute sehr ernst genommen, allerdings nicht, in höhe- rem Maß als Transaktions-Spiele in der Art von «Alko- holiker» oder «HIVE» dritten Grades (s. Kap. 9, Nr. 3). Das eben Gesagte gilt auch für das Verb <spielen>; das kann jeder bezeugen, der einmal <scharfes> Poker ge- spielt) oder über einen längeren Zeitraum hin an der Börse spekuliert (<gespiclt>) hat. Die Möglichkeit, dass Spiele durchaus gefährlich sein und bedenkliche Fol- gen haben können, ist den Anthropologen wohl be- kannt. «Höfling», das komplexeste Spiel, das es jemals gab und das Stendhal in <Die Kartause von Parma> so vorzüglich beschrieben hat, war von tödlichem Ernst. Das erbarmungsloseste aller Spiele ist natürlich: «Krieg».
  227. Ein typisches Spiel Das unter Eheleuten am häufigsten gespielte Spiel be- zeichnet man umgangssprachlich als «Wenn du nicht wärst», an ihm sollen die allgemeinen Charakteristika von Spielen erläutert werden. Mrs. White beklagte sich darüber, dass ihr Mann sie Ein Ehespiel in ihrer gesellschaftlichen Tätigkeit ernsthaft behinde- re; so sei sie z. B. noch nie dazu gekommen, Tanzen zu lernen. Mit Hilfe einer psychiatrischen Behandlung änderte sich jedoch ihre Haltung: Ihr Mann verlor dar- aufhin etwas von seiner Selbstsicherheit und wurde Analyse von nachgiebiger. Mrs. White hatte jetzt die Möglichkeit, Spielen den Bereich ihrer gesellschaftlichen Tätigkeit zu erwei-
  228. tern. Sie belegte einen Tanzkurs, musste aber verzwei- felt feststellen, dass sie eine geradezu pathologische Angst vor dem Tanzboden hatte und aus diesem Grund ihr Vorhaben wieder aufgeben musste. Zusammen mit ähnlichen Erfahrungen brachte diese missglückte Unternehmung einige wesentliche Aspekte der Struktur ihrer Ehe ans Tageslicht. Aus der großen Zahl ihrer Verehrer hatte sie einen tyranni- Der schen Mann zum Gatten gewählt. Sie war nun in der tyrannische Lage, sich darüber zu beklagen, dass sie alle möglichen Gatte Dinge tun könnte, «wenn du nicht wärst». Viele der mit ihr befreundeten Frauen hatten ebenfalls tyranni- sche Männer; wenn sie sich beim morgendlichen Kaf- feeklatsch trafen, verbrachten sie gewöhnlich die meis- te Zeit mit dem Spiel «Wenn er nicht wäre». Wie sich jedoch gezeigt hat, leistete ihr der Mann - ganz im Gegensatz zu den von ihr erhobenen Klagen - in Wirklichkeit einen guten Dienst, indem er ihr ver- ... ist doch eine bot, etwas zu tun, wovor sie sich im Grunde ihres Her- kluge Wahl zens fürchtete, und indem er sie sogar davor bewahrte, sich ihrer Furcht bewusst zu werden. Zweifellos war das ein Grund dafür, dass ihr Kindheits-Ich kluger- weise einen solchen Mann zum Gatten gewählt hatte. Das ist aber noch nicht alles. Seine <Edikte> und ihre ständigen Klagen führten häufig zum Ehestreit und be- einträchtigten ernsthaft ihr Liebesleben. Infolge seiner Schuldgefühle brachte er ihr häufig Geschenke mit, die sonst wohl unterblieben wären; natürlich wurden die Geschenke kleiner und weniger häufig, sobald er ihr mehr Freiheit ließ. Außer den üblichen Haushaltssor- gen und ihren Kindern hatten die beiden kaum ge- 5. meinsame Interessen, und so erhielten ihre Zänkereien Spiele
  229. den Rang von bedeutenden Vorkommnissen; vorwie- gend bei diesen Anlässen nämlich erlebten sie endlich etwas anderes als die übliche nichts sagende Konversa- tion. Auf jeden Fall hatte in den Augen der Frau ihr Eheleben deutlich bewiesen, was sie schon immer be- hauptet hatte: dass nämlich alle Männer gemein und tyrannisch seien. Es zeigte sich, dass diese Auffassung in engem Zusammenhang mit einigen Traumphanta- sien von sexueller Schändung stand, die sie früher häu- fig geplagt hatten. Theoretische Man kann das eben zitierte Spiel auf verschiedene Analyse Weise mit Allgemeinbegriffen beschreiben. Ganz of- fensichtlich gehört es in das umfangreiche Gebiet der Sozialdynamik. Durch ihre Heirat erhalten Mr. und Mrs. White die Möglichkeit zu wechselseitiger Kom- munikation, eine Situation, die man als Sozialkontakt bezeichnen kann. Die Tatsache, dass sie diese Gelegen- heit auch wirklich nützen, macht ihr Heim zu einem Sozialaggregat, im Gegensatz etwa zu der Situation im Abteil einer Untergrundbahn, wo die Leute zwar Soziale räumlich miteinander Kontakt haben, aber selten die Beziehungen Gelegenheit zu wechselseitiger Kommunikation nut- zen: Sie bilden ein dis-soziales Aggregat. Der Einfluss, den die Whites wechselseitig auf ihre Verhaltens- und Reaktionsweise ausüben, stellt eine Sozialaktion dar. Verschiedene Disziplinen würden eine solche Sozialak- tion auch unter verschiedenen Gesichtspunkten zu de- finieren suchen. Da wir uns hier mit dem persönlichen Schicksal und der persönlichen Psychodynamik der an dieser Aktion beteiligten Individuen befassen, fällt un- Analyse von sere Betrachtungsweise in den Bereich der Sozial- Spielen Psychiatrie; über die <Zuträglichkeit> der hier unter-
  230. suchten Spiele wird ein klares und bestimmtes Urteil gefällt. Das ist ein nicht unerheblicher Unterschied ge- genüber der mehr neutralen und weniger bindenden Auffassung der Soziologie und der Sozial-Psychologie. Die Psychiatrie nimmt für sich das Recht in Anspruch, Sozial- zu sagen: «Moment mal, so geht das nicht!», die ande- Psychiatrie ren Disziplinen tun das jedoch nicht. Die Transak- tions-Analyse ist ein Teilgebiet der Sozial-Psychiatrie, die Spiel-Analyse ist ihrerseits wieder ein spezieller Aspekt der Transaktions-Analyse. Die praktische Spiel-Analyse befasst sich mit spezi- ellen Fällen, so wie sie in bestimmten Situationen vor- kommen. Die theoretische Spiel-Analyse versucht die charakteristischen Merkmale verschiedener Spiele zu abstrahieren und zu generalisieren, sodass man sie auch unabhängig von ihrem jeweiligen Wortinhalt und von ihrem kulturellen Nährboden erkennen kann. So müsste z. B. die theoretische Analyse eines Spiels wie «Wenn du nicht wärst», und zwar in seiner ehelichen Form, die charakteristischen Merkmale dieses Spiels so Merkmale darstellen, dass man es in einem Dschungeldorf in von Spielen Neuguinea ebenso leicht identifizieren kann wie in der Dachgeschosswohnung eines Hochhauses in New York, ganz gleich, ob es sich dabei um eine Hochzeits- party handelt oder um die finanziellen Probleme bei der Anschaffung einer Angelrute für die Enkelkinder; unberücksichtigt bleibt dabei auch, wie plump oder subtil, entsprechend dem jeweiligen Grad von Offen- heit zwischen Mann und Frau, die einzelnen Schach- züge im Spiel vollzogen werden. Eine Untersuchung darüber, ob das Spiel in einer bestimmten Gesellschaft 5. besonders stark verbreitet ist, gehört in den Bereich der Spiele
  231. Soziologie und der Anthropologie. Als Teilbereich der Sozial-Psychiatrie ist die Spiel-Analyse nur daran in- teressiert, das Spiel so zu beschreiben, wie es vor- kommt, nicht aber, wie häufiges vorkommt. Diese Un- terscheidung ist nicht vollständig, sondern sie verläuft etwa analog zu der Unterscheidung zwischen öffent- lichem Gesundheitswesen und innerer Medizin; Erste- res ist an der Häufigkeit von Malariavorkommen inter- essiert, Letztere untersucht die einzelnen Fälle von Malaria, ganz gleich, ob sie nun im Dschungel auftre- ten oder in Manhattan. Zurzeit hat sich das weiter unten angewandte Sche- Schema der ma für die theoretische Spiel-Analyse als das brauch- Spiel-Analyse barste erwiesen. Mit zunehmenden Erkenntnissen wird es zweifellos noch verbessert werden. Zunächst muss man erkennen können, ob eine bestimmte Folge von Manövern den Kriterien eines Spiels entspricht. Dann sammelt man möglichst viele Beispiel-Fälle für dieses Spiel. Die kennzeichnenden Merkmale werden isoliert, und gewisse Aspekte schälen sich dabei als we- sentliche Faktoren heraus. Diese klassifiziert man dann unter übergeordneten Gesichtspunkten, die so sinnvoll und instruktiv sein sollen, wie das nach dem augen- blicklichen Stand der Erkenntnis möglich ist. Die Ana- lyse vollzieht man dann vom Standpunkt derjenigen Person aus, die die Hauptrolle spielt - das ist im vorlie- genden Fall Mrs. White. These: Sie gibt eine allgemeine Beschreibung des Spiels; dazu gehören auch die unmittelbare Abfolge des Geschehens (Sozialebene) und Informationen über Analyse von psychologische Hintergründe, Entwicklungen und Be- Spielen deutungen (psychologische Ebene). Für das Spiel
  232. «Wenn du nicht wärst», und zwar in seiner ehelichen Form, reichen die oben gemachten Angaben aus. Im weiteren Verlauf wird das Spiel abgekürzt als «WE- DUNIW» bezeichnet. Antithese: Die Annahme, eine gewisse Folge von Vorgängen stelle ein Spiel dar, gilt so lange als vorläu- fig, bis ihre Gültigkeit existenziell nachgewiesen ist. Diesen Nachweis erbringt man am besten, indem man Beweis sich weigert, das Spiel mitzumachen, oder indem man für Spiele den aus dem Spiel resultierenden Nutzeffekt hinter- treibt. Der Hauptakteur des Spiels wird in diesem Fall intensivere Anstrengungen machen, das Spiel dennoch fortzusetzen. Angesichts einer unnachgiebigen Weige- rung oder eines erfolgreichen Hinter treibens verfällt er schließlich in einen Zustand der <Verzweiflung>, der ge- wisse Ähnlichkeiten mit einer Depression hat, sich aber doch von ihr in wesentlichen Punkten unterschei- det. Er ist mehr akuter Natur, enthält Elemente der Frustration und der Verblüffung und kann sich z. ß. in einem plötzlich einsetzenden Weinkrampf manifestie- ren. In einer erfolgreichen therapeutischen Situation Der frustrierte kann der Weinkrampf sich bald in befreiendes Lachen' Spieler auflösen, mit dem das Erwachsenen-Ich zum Ausdruck bringt: «So, jetzt hab ich mich wieder gefangen!» Ver- zweiflung liegt also im Wirkungsbereich des Erwach- senen-Ichs, während bei einer Depression das Kind- heits-Ich das bestimmende Element ist. Frohe Erwartung, Enthusiasmus und lebendiges Interesse an der Umwelt: Das ist das Gegenteil von einer Depres- sion; Gelächter ist das Gegenteil von Verzweiflung. Da- her zeigt die therapeutische Spiel-Analyse oft so er- 5. götzliche Züge. Die Antithese zu «WEDUNIW» ist das Spiele
  233. <Erlaubtsein>. Solange der Ehemann <Edikte> erlässt, kann das Spiel fortdauern. Sagt der Ehemann nicht «Dass du mir ja nicht ...!», sondern «Mach, was du willst!», dann werden die zugrunde liegenden Phobien aufgedeckt, und die Ehefrau kann sich nun nicht mehr länger gegen ihren Mann wenden, wie wir das im Fall von Mrs. White gesehen haben. Um ein Spiel wirklich gut zu verstehen, muss man auch die entsprechende Antithese kennen und ihre Wirksamkeit in der Praxis erprobt haben. Ziel: In ihm manifestiert sich der eigentliche Sinn und Zweck des Spiels. Dabei gibt es manchmal Alter- nativen. Das Ziel von «WEDUNIW» kann entweder Sinn des Spiels eine Selbstbestätigung sein («Nicht dass ich etwa davor Angst hätte, er lässt mich einfach nicht ...») oder eine Rechtfertigung («Nicht dass ich es etwa nicht versu- chen würde, er hält mich davon ab ...»). Die ermuti- gende Funktion lässt sich leichter verdeutlichen und entspricht auch mehr dem Sicherheitsbedürfnis der Frau; daher lässt sich dem Spiel «WEDUNIW» am bes- ten die Selbstbestätigung als Ziel zuschreiben. Ich-Zustände Rollen: Wie schon früher angedeutet, sind Ich-Zu- und Rollen stände nicht Rollen, sondern Phänomene. Daher muss man in einer formalen Beschreibung einen Unter- schied machen zwischen <Ich-Zuständen> und <Rollen>. Man kann Spiele als zweiseitig, dreiseitig, vielseitig etc. bezeichnen, je nach Anzahl der in ihnen enthaltenen Rollen. Manchmal korrespondieren die Ich-Zustände der einzelnen Mit-Spieler mit der ihnen jeweils zufal- lenden Rolle, doch ist das nicht immer der Fall. Analyse von «WEDUNIW» ist ein zweiseitiges Spiel, beteiligt sind Spielen an ihm eine in ihrem Aktionsradius eingeschränkte
  234. Ehefrau und ein tyrannischer Ehemann. Die Frau kann ihre Rolle auf zweierlei Weise spielen: entweder mit ihrem besonnenen Erwachsenen-Ich («Es ist am besten, ich tue, was er sagt») oder mit ihrem querulie- renden Kindheits-Ich. Der tyrannische Ehemann kann entweder auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs verhar- ren («Es ist am besten, du tust, was ich dir sage») oder auf die des Eltern-Ichs hinübergleiten («Tu du nur, was ich dir sage»). Dynamik: Zur Identifizierung der psychodynami- schen Antriebskräfte, die hinter jedem Spiel stehen, bieten sich häufig verschiedene Alternativen an. Meist ist es jedoch möglich, einen einzelnen psychodynami- Psycho- schen Faktor herauszuschälen, mit dem sich die Sach- dynamik lage in gedrängter Form zweckmäßig, zutreffend und sinnvoll darstellen lässt. So lässt sich bei der Beschrei- bung von «WEDUNIW» am besten eine Phobie als aus- lösende Ursache anführen. Beispiele: Da die in der Kindheit wurzelnden Ur- sprünge eines Spiels - bzw. seine infantilen Proto- typen - sehr lehrreich für eine grundlegende Untersu- Spiel- chung sind, lohnt es sich durchaus, bei einer formalen Versionen Beschreibung auch solche artverwandten Formen zu berücksichtigen. So wird auch «WEDUNIW» ebenso häufig von kleinen Kindern gespielt wie von Erwach- senen; dabei ist die Kindheitsversion im Prinzip die gleiche wie die später von Erwachsenen gespielte, nur tritt hier an die Stelle des verbotsfreudigen Ehemanns der wirkliche Elternteil. Transaktions-Paradigma: Es bringt die Transak- tions-Analyse eines typischen Falls, wobei eine be- 5. zeichnende verdeckte Transaktion sowohl auf sozialer Spiele
  235. als auch auf psychologischer Ebene sichtbar gemacht wird. In seiner dramatischsten Form ist «WEDUNIW» auf der Sozial-Ebene ein Spiel zwischen Eltern-Ich und Kindheits-Ich. Mr. White: «Du bleib zu Hause und kümmere dich um den Haushalt!» Ebenen Mrs. White: «Wenn du nicht wärst, dann könnte ich des Spiels jetzt ausgehen und mich amüsieren.» Auf der psychologischen Ebene (verdeckter Heirats- grund) besteht eine völlig andere Beziehung, und zwar zwischen Kindheits-Ich und Kindheits-Ich. Mr. White: «Du musst immer da sein, wenn ich heimkomme. Ich habe schreckliche Angst davor, ver- lassen zu werden.» Mrs. White: «Ich werde immer da sein, aber du musst mir dabei helfen, mich aus Situationen heraus- zuhalten, die in mir eine Phobie auslösen könnten.» Auf der Abbildung 7 werden die beiden Ebenen dar- gestellt. Einzelaktionen: Die einzelnen Aktionen (Schachzü- ge) eines Spiels entsprechen im großen Ganzen etwa den Streichel-Einheiten beim Ritual. Wie bei jedem Schachzüge Spiel vervollkommnen auch hier die Spieler mit zu- nehmender Praxis ihre Geschicklichkeit. Unrentable Aktionen werden eliminiert, jede einzelne Aktion wird intensiver und zweckmäßiger. «Harmonische Freund- schaften» gründen sich häufig auf die Tatsache, dass die <Spieler> einander ohne großen Aufwand und zu beider Zufriedenheit ergänzen, sodass sich aus den miteinander gespielten Spielen bei minimaler Mühe Analyse von ein maximaler Nutzeffekt ergibt. Gewisse Einzelaktio- Spielen nen, die nur Zwischencharakter haben oder aus Vor-
  236. sichts- bzw. Konzessionsgründen gestartet werden, können ohne weiteres entfallen, und die wechselseiti- gen Beziehungen erhalten so in hohem Maße etwas Stil- volles. Die Kräfte, die man beim Entfallen der Verteidi- gungs-Manöver einspart, lassen sich stattdessen zur Freude der beteiligten Partner, und manchmal auch des Publikums, zur ornamentalen Ausschmückung ver- wenden. Gründliche Untersuchungen zeigen, dass eine Varianten bestimmte Mindestzahl von Einzelaktionen für den der Grundzüge Fortgang des Spiels erforderlich ist; diese lassen sich in einem <Protokoll> festhalten. Einzelne Spieler können dann diese Grundzüge je nach Bedarf, Talent und Wunsch ausschmücken oder erweitern. Für «WE- DUNIW» gilt folgendes Schema als Ausgangsbasis: 1. Instruktion - Einwilligung («Du bleibst daheim» - 5. «Gut, ich bleibe») Spiele
  237. 2. Instruktion - Protest («Du bleibst wieder daheim» - «Wenn du nicht wärst...») Nutzeffekte: Im großen Ganzen gesehen, liegt der Nutzeffekt eines Spiels vor allem in seinen stabilisie- renden (homöostatischen) Funktionen. Die biologische Homöostase wird durch Streicheln gefördert, die psy- chologische Stabilität wird durch die Bestätigung einer Position verstärkt. Das Streicheln kann, wie bereits er- Spiele als wähnt, verschiedene Formen annehmen; der biologi- Stabilisie- sche Nutzen eines Spiels lässt sich daher auch mit tak- rung ... tilen Begriffen ausdrücken: So erinnert etwa die Rolle des Ehemanns in «WEDUNIW» an einen Klaps mit dem Handrücken (er unterscheidet sich erheblich von einem Schlag mit der Innenfläche der Hand, der eine unmittelbare Erniedrigung darstellt), und die Reaktion der Frau entspricht etwa einem mutwilligen, dabei doch nicht bös gemeinten Tritt ans Schienbein. Der biologische Nutzen des Spiels «WEDUNIW» leitet sich also aus einem Austausch von herausfordernden und mutwilligen Einzelaktionen ab: eine reichlich merk- würdige, aber offenbar recht wirkungsvolle Art, die Gesundheit des Nervensystems aufrechtzuerhalten. Die Bestätigung der Frau in ihrer Position - «Alle Männer sind Tyrannen» - bildet den existenziellen ... und als Nutzen. Diese Position ergibt sich aus einer Reaktion Bestätigung auf das mit den Phobien eng verhaftete Bedürfnis zur Kapitulation, und sie lässt deutlich die allen Spielen zugrunde liegende kohärente Struktur erkennen. In er- weiterter Form würde die Aussage der Frau etwa so lauten: «Ginge ich allein aus und begäbe mich in eine Analyse von Menschenmenge, dann würde mich die Versuchung Spielen überkommen, vor der Masse zu kapitulieren; daheim
  238. kapituliere ich nicht von selbst: Er zwingt mich dazu, und das beweist klar, dass alle Männer Tyrannen sind.» Daher wird dieses Spiel im Allgemeinen auch von Frauen bevorzugt, die unter mangelndem Wirklich- keitssinn leiden; typisch dafür ist, dass es ihnen in Si- tuationen, in denen eine starke Versuchung auf sie zu- kommt, recht schwer fällt, ihre Verhaltensweise nach dem Erwachsenen-Ich auszurichten. Eine detaillierte Erklärung dieser Zusammenhänge gehört allerdings eher in den Bereich der Psychoanalyse als in den der Spiel-Analyse. Diese befasst sich in erster Linie mit den am Ende des Prozesses stehenden Auswirkungen. Der innere psychologische Nutzen eines Spiels besteht in seiner direkten Einwirkung auf das psychische Sys- tem (libido). In «WEDUNIW» bewahrt die im sozialen Psycho- Bereich akzeptable Kapitulation vor der Autorität des logischer Ehemanns die Frau vor neurotischen Angstzuständen. Nutzen Gleichzeitig erfüllt sie auch masochistische Bedürfnis- se, soweit diese vorhanden sind; dabei steht der Begriff <Masochismus> hier nicht im Sinne von Selbstverleug- nung, sondern in seiner klassischen Bedeutung: sexu- elle Erregung in Situationen von Deprivation, Ernied- rigung und Schmerz, d.h., die Frau empfindet eine derartige Erregung, wenn sie der Deprivation und Ty- rannisierung unterworfen ist. Der äußere psychologische Nutzen besteht darin, dass man vermeidet, in eine Situation zu geraten, vor der man sich fürchtet, indem man das Spiel mitspielt. Das ist beim Spiel «WEDUNIW» besonders auffallend; hier liegt in diesem Vorgang zugleich das hervorstechends- te Motiv: indem die Ehefrau sich dem strengen Regle- 5. ment des Gatten unterwirft, weicht sie zugleich jenen Spiele
  239. Situationen in der Öffentlichkeit aus, vor denen sie sich furchtet. Sozialer Der innere soziale Nutzen wird gekennzeichnet Nutzen durch den Namen des Spiels, so wie es sich im Intim- kreis des Individuums abspielt. Durch ihre Unterord- nung erwirbt sich die Frau das Privileg, zu sagen: «Wenn du nicht wärst...» Das hilft ihr bei der Strukturierung desjenigen Zeit- abschnitts, den sie mit ihrem Ehemann verbringen muss; im Fall von Mrs. White war dieses Bedürfnis nach Zeit-Strukturierung wegen des Mangels an sons- tigen gemeinsamen Interessen besonders stark; das gilt speziell für die Zeit, bevor ihre Kinder zur Welt kamen und nachdem sie dem Elternhaus entwachsen waren. In der Zwischenzeit wurde das Spiel weniger intensiv und weniger oft gespielt, denn in dieser Zeit waren es die Kinder, die für ihre Eltern die Funktion der Zeit- Strukturierung erfüllten; gleichzeitig waren sie auch der Anlass für eine fast noch stärker verbreitete Versi- «WEDUNIW»- on von «WEDUNIW», nämlich die Variante «Viel be- Variante schäftigte Hausfrau». Die Tatsache, dass junge Mütter heutzutage wirklich viel beschäftigt sind, ändert nichts an der Analyse dieser Variante. Die Spiel-Analyse ver- sucht nur die folgende Frage vorurteilsfrei zu beant- worten: Vorausgesetzt, eine junge Frau ist in ihrem Haushalt stark beschäftigt, was unternimmt sie dann, um für ihre Geschäftigkeit eine gewisse Kompetenz einzuhandeln? Der äußere soziale Nutzen wird bestimmt von der Art, wie man die Situation in den sich außerhalb des Analyse von engsten Kreises vollziehenden Sozialkontakten auswer- Spielen tet. Im Fall des Spiels «Wenn du nicht wärst ...» (das
  240. sind die Worte, die die Frau zu ihrem Ehemann spricht) vollzieht sich eine Umwandlung in den Zeit- vertreib «Wenn es ihn nicht gäbe», und zwar dann, wenn z.B. die Ehefrau mit ihren Freundinnen zum morgendlichen Kaffeeklatsch zusammenkommt. Auch hier zeigt sich der Einfluss von Spielen auf die Auswahl Spiele und von Sozialpartnern. Für eine neue Nachbarin, die zum Sozialpartner morgendlichen Kaffeeklatsch eingeladen ist, ist die Flinladung zugleich eine Aufforderung, «WEDUNIW» mitzuspielen. Tut sie das gut und gern, dann avanciert sie bald zur Busenfreundin der übrigen Kaffeetanten. Weigert sie sich mitzuspielen, und beurteilt sie ihren Gatten beständig mit Güte und Nachsicht, dann wird man sie nicht lange in diesem Kreis dulden. Sie wäre dann in der gleichen Situation, als wenn sie sich auf Cocktailpartys weigerte, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen - in den meisten Zirkeln dieser Art würde man sie allmählich ganz aus der Gästeliste streichen. Damit ist die Analyse der formalen Merkmale des Spiels «WEDUNIW» abgeschlossen. Zur Klärung wei- terer Faktoren halte man sich an die Analyse von «War- um nicht - ja, aber ...» (Kap. 8, Nr. 4); dieses Spiel wird auf gesellschaftlichen Zusammenkünften, in Komitees und Psychotherapie-Gruppen auf der ganzen Welt am häufigsten gespielt.
  241. Der Ursprung von Spielen Nach der augenblicklich vorherrschenden Auffassung kann man die Kindererziehung als einen Bildungspro- zess betrachten, in dessen Verlauf das Kind lernt, wel- 5. che Spiele es spielen soll und wie es sie spielen soll. Es Spiele
  242. erlernt auch Verfahren, Rituale und verschiedene Arten Spielen lernen von Zeitvertreib, die seiner künftigen Position in der örtlichen Gesellschaft angemessen sind, doch ist ihre Bedeutung geringer. Das Ausmaß, in dem es sich in Verfahren, Ritualen und in verschiedenen Arten von Zeitvertreib auskennt, und die Geschicklichkeit, mit der es sie zu handhaben weiß, sind bestimmend dafür, welche Möglichkeiten sich ihm in Zukunft bei gleich- artigen Voraussetzungen erschließen werden. Seine Spiele jedoch haben entscheidenden Einfluss darauf, wie es diese Möglichkeiten nutzen und welchen Erfolg es in den Stellungen haben wird, für die es sich qualifi- ziert hat. Als Elemente seines im Unbewussten vorge- Spiele und zeichneten Lebens-Plans sind die von ihm bevorzug- Lebens-Plan ten Spiele schließlich auch entscheidend für sein weiteres Schicksal (bei ebenfalls gleichartigen Voraus- setzungen), für den Erfolg seiner Ehe und seiner beruf- lichen Karriere sowie für die näheren Umstände seines Todes. Gewissenhafte Eltern verwenden zwar viel Aufmerk- samkeit darauf, ihren Kindern die für ihren späteren Lebensweg angemessenen Verfahren, Rituale und die Fehler der verschiedenen Arten von Zeitvertreib beizubringen, Eltern und sie wählen auch mit gleicher Sorgfalt diejenigen Schulen, Universitäten und Kirchen aus, von denen sie eine Vertiefung der von ihnen begonnenen Erziehung erwarten können; doch neigen sie dazu, den Bereich der Spiele ganz außer Acht zu lassen; aber gerade sie bilden ja die Grundstruktur für die emotionelle Dyna- mik in jeder Familie, und die Kinder lernen sie schon Analyse von von allerfriihester Kindheit an aufgrund bedeutsamer Spielen Erfahrungen im Alltagsleben. Verwandte Probleme
  243. sind zwar seit Tausenden von Jahren in ziemlich allge- meiner und unsystematischer Form erörtert worden, und in der modernen orthopsychischen Literatur sind auch einige Anstrengungen zu einer mehr methodi- schen Erfassung unternommen worden, doch besteht ohne das Konzept von den Spielen kaum die Möglich- Forschungs- keit zu einer konsistenten Erforschung dieser Proble- Lücken me. Die Theorien über die innere individuelle Psycho- dynamik waren bisher nicht in der Lage, die Probleme der zwischenmenschlichen Beziehungen zufrieden stellend zu lösen. Es handelt sich hier nämlich um Transaktions-Vorgänge, für die eine Theorie der Sozi- aldynamik erforderlich ist, die sich nicht allein aus der Berücksichtigung der individuellen Motivationen ab- leiten lässt. Da es bis jetzt erst wenige gut ausgebildete Spezia- listen auf dem Gebiet der Kinder-Psychologie und der Kinder-Psychiatrie gibt, die zugleich auch die Spiel- Analyse beherrschen, stehen nur wenige Beobach- tungsergebnisse über die Entstehung von Spielen zur Verfügung. Glücklicherweise ereignete sich nachfol- gende Episode in Gegenwart eines Experten auf dem Gebiet der Transaktions-Analyse. Tanjy, sieben Jahre alt, bekam während des gemein- samen Essens Bauchschmerzen und bat darum, sich Ein Spiel entfernen zu dürfen. Seine Eltern schlugen vor, er soll- entsteht te sich eine Weile hinlegen. Daraufhin sagte sein klei- ner dreijähriger Bruder Mike: «Ich hab auch Bauch- schmerzen»; offensichtlich trachtete er danach, der gleichen fürsorglichen Behandlung teilhaft zu werden. Sein Vater sah ihn einige Sekunden lang streng an und 5. antwortete dann: «Du willst doch nicht etwa dieses Spiele
  244. Spielchen mit mir spielen, nicht wahr?» Mike brach so- fort in Gelächter aus und versicherte pflichtschuldigst: «Nein!» Hätte es sich im vorliegenden Fall um einen Haus- halt gehandelt, in dem sich alles um den Magen und ums Essen dreht, dann wäre Mike von seinen erschro- ckenen Eltern ebenfalls ins Bett gesteckt worden. Hätte Abbrechen sich die gleiche Szene mehrmals wiederholt, dann ließe ist sinnvoll sich leicht voraussehen, dass dieses Spiel zu einem Be- standteil von Mikes Charakter geworden wäre, wie das häufig der Fall ist, wenn die Eltern <mitspielen>. Die verdeckte Transaktion sähe dann etwa so aus: (Sozial- ebene) «Ich fühle mich nicht wohl», (psychologische Ebene) «Ihr müsst mir auch ein Privileg einräumen». Mike blieb jedoch eine solche hypochondrische Ent- wicklung erspart. Natürlich könnte ihm Schlimmeres passieren, aber das steht hier nicht zur Debatte. Hier kommt es darauf an, dass ein Spiel in statu nascendi an Ort und Stelle abgebrochen wurde, und zwar sowohl durch die Fragestellung des Vaters als auch durch das offene Eingeständnis des Jungen, seine Äußerung sei tatsächlich eine Art <Spiel> gewesen. Daraus ergibt sich ganz klar, dass Spiele von Kindern Inszenierte oft ganz bewusst <in Szene gesetzt) werden. Hat sich Spiele erst eine feste Struktur von Reiz und Reaktion heraus- gebildet, dann verlieren sich ihre Ursprünge im Nebel der Zeit, und die verdeckte Natur der Spiele verdunkelt sich im Dunstkreis der Gesellschaft. Nur mit Hilfe ganz bestimmter Verfahren lassen sich beide Faktoren wie- der ins Bewusstsein rücken: der Ursprung durch eine Analyse von analytische Therapie und der Aspekt des Verdecktseins Spielen durch eine Antithese. Immer wiederkehrende klinische
  245. Erfahrungen in dieser Richtung machen deutlich, dass Spiele ihrer Natur nach imitativ sind und dass sie ihren Spiel als Beginn dem (neopsychischen) Aspekt des Erwachse- Imitation nen-Ichs in der Persönlichkeit des Kindes verdanken. Lässt sich der <Kindheits-Ich>-Zustand im erwachse- nen Spieler wieder zum Tragen bringen, dann ist die psychologische Kapazität dieses Segments (der Er- wachsenen-Aspekt des <Kindheits-Ich>-Zustands) so auffallend und sein Geschick bei der Manipulation von Menschen so verblüffend, dass man dafür die ~ um- gangssprachliche Bezeichnung «Der (Psychiatrie-)Pro- fessor» geprägt hat. In Psychotherapie-Gruppen, die sich auf die Spiel-Analyse konzentrieren, besteht eines der differenzierteren Verfahren in der Suche nach dem kleinen <Professor> in jedem Patienten; seinen frühen, Der kleine meist zwischen dem zweiten und achten Lebensjahr Professor liegenden, wagemutigen Unternehmungen bei der In- itiation von Spielen lauscht die gesamte anwesende Gruppe mit Faszination und, falls es sich nicht gerade um ein tragisches Spiel handelt, oft mit ungetrübter Freude und Heiterkeit, an der auch der Patient selbst mit berechtigter Selbstbewunderung und Selbstgefäl- ligkeit teilhat. Hat er es erst einmal so weit gebracht, dann ist er auf dem besten Weg, von einem unglückse- ligen Verhaltensmuster abzulassen, ohne das er im Le- ben viel besser zurechtkommt. Aus den eben angeführten Gründen unternimmt man daher bei der formalen Beschreibung eines Spiels stets den Versuch, auch die infantilen bzw. Kindheits- Prototypen des Spiels zu schildern. 5. Spiele
  246. Die Funktion von Spielen Da im Alltagsleben die Gelegenheiten zu Intimerlebnis- sen recht spärlich sind und da einige Arten von Intim- erlebnissen (besonders wenn sie intensiv sind) für die meisten Menschen aus psychologischen Gründen un- denkbar sind, nehmen Spiele im seriösen gesellschaft- lichen Leben einen sehr breiten Raum ein. Sie sind also ebenso notwendig wie wünschenswert, und es ergibt sich hier eigentlich nur ein einziges Problem, nämlich die Frage: Sind die von einem bestimmten Menschen bevorzugten Spiele für ihn auch die ertragreichsten? In diesem Zusammenhang sollten wir uns noch einmal vor Augen halten, dass das entscheidende Merkmal Nutzen des eines Spiels sein Kulminationspunkt ist bzw. sein Nutz- Spiels effekt. Die Hauptfunktionen der Präliminarien beste- hen darin, diesen Nutzeffekt Schritt für Schritt herbei- zuführen, sie sind aber auch dazu bestimmt, in jedem einzelnen Zwischenstadium die maximal mögliche Be- friedigung als Sekundäreffekt herbeizuführen. So be- steht in dem Spiel «Schlemihl» (etwas anstellen und sich dann dafür entschuldigen) der Nutzeffekt, ebenso wie der Sinn des Spiels, darin, für irgendetwas Ver- gebung zu erlangen, eine Vergebung, die durch eine Entschuldigung gewissermaßen gewaltsam erzwungen wird; dass man etwas verschüttet oder einen Brandfleck mit seiner Zigarette verursacht, das sind nur Einzel- aktionen, die zu dem gewünschten Ergebnis führen, wobei allerdings jede einzelne derartige <Missetat> beim Delinquenten ein Freudegefühl auslöst. Die Freude, die er bei einer solchen <Missetat> empfindet, macht diese Analyse von aber keineswegs zu einem <Spiel>. Der entscheidende Spielen Reiz für den Ausgang des Spiels ist die Entschuldigung.
  247. Sonst wäre diese Missetat bloß eine destruktive Proze- dur, ein Vergehen, das möglicherweise dem Täter selbst eine gewisse Freude bereitet. Ähnlich verhält es sich auch beim Spiel «Alkoholi- ker». Welchen physiologischen Ursprung das Trinkbe- dürfnis auch immer haben mag, im Sinne der Spiel- Analyse ist das Trinken nur ein Schachzug im Rahmen Alkoholismus des Spiels, das mit den Menschen der Umgebung ge- als Schachzug trieben wird. Das Trinken selbst mag recht angenehm und genussreich sein, es ist jedoch nicht der essenzielle Faktor des Spiels. Das zeigt sich ganz deutlich bei der Variante «Trockener Alkoholiker»; dieses Spiel ist mit den gleichen Einzelaktionen verbunden wie das regu- läre Spiel, und es erzielt auch den gleichen Nutzeffekt, aber irgendwelche <Flüssigkeiten> kommen dabei nicht ins Spiel (s. Kap. 6, Nr. 1). Über ihre soziale Funktion hinaus: Zeit zufrieden stellend zu strukturieren, sind einige Spiele dringend erforderlich zur Aufrechterhaltung der Gesundheit in bestimmten Individuen. Die psychische Stabilität die- ser Menschen ist so prekär und ihre Position so unsi- Stabilisierende cher, dass sie einer abgrundtiefen Verzweiflung oder Spiele sogar einer Psychose anheim fallen können, wenn man sie ihrer Spiele beraubt. Leute dieser Art wehren sich gewöhnlich mit aller Kraft.gegen jede antithetische Ak- tion. Das lässt sich häufig bei Ehepaaren beobachten, wenn nämlich die durch psychiatrische Behandlung bei einem Ehepartner erzielte Besserung (z. B. das Auf- geben von destruktiven Spielen) zu einer rapiden Ver- schlechterung beim anderen Partner führt, für den die Spiele von erheblicher Bedeutung für die Aufrechter- 5. haltung des F^quilibriums waren. Man muss also bei Spiele
  248. der Analyse von Spielen mit beträchtlicher Umsicht zu Werke gehen. Das nicht spiel-gebundene Intimerlebnis, das die vollkommenste Form menschlichen Erlebens darstellt, oder doch zumindest darstellen sollte, ist erfreulicher- weise so überaus beglückend, dass selbst Personen mit prekärem seelischem Gleichgewicht ohne weiteres und mit Freude auf ihre Spiele verzichten können, wenn sich ein entsprechender Partner für dieses vollkomme- nere Zueinander finden lässt. In einem größeren Zusammenhang gesehen, sind Spiele integrale und dynamische Komponenten des im Spiele im Unbewussten vorgezeichneten Lebens-Plans der ein- Lebens-Plan zelnen Individuen; sie dienen dazu, die Zeit auszufül- len, während der das Individuum auf seine abschlie- ßende Erfüllung wartet, und sie wirken zugleich als vorantreibende Kräfte. Da im letzten Akt eines Stückes charakteristischerweise entweder ein Wunder gesche- hen oder aber eine Katastrophe eintreten muss - und zwar je nachdem, ob das Stück eine konstruktive oder eine destruktive Tendenz hat -, sind auch die korre- spondierenden Spiele entweder konstruktiv oder de- struktiv. Umgangssprachlich ausgedrückt bedeutet das: Ein Individuum, dessen Lebens-Plan auf das <Warten auf den Weihnachtsmann) ausgerichtet ist, ist mit großer Wahrscheinlichkeit recht umgänglich in Spielen wie etwa «Sie sind wirklich wundervoll, Herr Michelmeier», dagegen kann jemand mit einem tragi- schen Lebens-Plan, der ausgerichtet ist auf das <War- ten auf den Beginn von rigor mortis>, unter Umständen Analyse von so unerfreuliche Spiele spielen wie z. B. «Jetzt hab ich Spielen dich endlich, du Schweinehund!».
  249. <Kolloquialismen> wie die im vorangegangenen Satz stehenden sind, das sollte man festhalten, ein integra- ler Bestandteil der Spiel-Analyse, und sie werden in transaktionellen Psychotherapie-Gruppen und -Semi- naren häufig verwendet. Die Formulierung <Warten Formeln auf den Beginn von rigor mortis> verdankt ihre Entste- für Spiele hung dem Traum einer Patientin, in dem diese sich entschloss, gewisse Dinge zu erledigen, «bevor bei ihr rigor mortis einsetzte». In einer geistig differenzierten Gruppe wies ein Patient auf einen Umstand hin, den der Therapeut übersehen hatte: dass nämlich das War- ten auf den Weihnachtsmann) und das (Warten auf den Tod> in Wirklichkeit synonyme Begriffe sind. Da <Kolloquialismen> für die Spiel-Analyse von entschei- dender Bedeutung sind, werden sie im Verlauf der Un- tersuchung noch ausführlich erörtert werden. Die Klassifizierung von Spielen Die meisten bei der Analyse von Spielen und verschie- denen Arten von Zeitvertreib verwendeten Variablen wurden bereits erwähnt; jede von ihnen ist zur syste- matischen Klassifizierung von Spielen und verschiede- nen Arten von Zeitvertreib geeignet. Einige recht plau- Unter- sible Klassifikationen basieren auf folgenden Faktoren: scheidende 1. Anzahl der Spieler: zweiseitige Spiele («Frigide Faktoren Frau»), dreiseitige Spiele («Macht den Sieger unter euch aus»), fünfseitige Spiele («Alkoholiker») und vielseitige Spiele («Warum nicht-ja, aber ...») 2. Benutzte Valuta: Worte («Psychiatrie»), Geld («Schuldner») und Körperteile («Chirurgie») 3. Klinische Arten: hysterisch («HIVE»), besessen- 5. zwangshaft («Schlemihl»),paranoid («Warum muss Spiele
  250. das ausgerechnet immer mir passieren?») und de- pressiv («Jetzt hat's mich wieder erwischt!») 4. Körperzonen: oral («Alkoholiker»), anal («Schle- mihl») und phallisch («Macht den Sieger unter euch aus») 5. Psychodynamik: antiphobisch («Wenn du nicht wärst»), projektiv («Elternbeirat») und introjektiv («Psychiatrie») 6. Instinkt-Trieb: masochistisch («Wenn du nicht wärst»), sadistisch («Schlemihl») und fetischistisch («Frigider Mann») Oft ist es zweckdienlich, außer der Anzahl der Spieler Quantitative drei weitere quantitative Variablen zu berücksichtigen: Faktoren 1. Flexibilität. Einige Spiele, wie z. B. «Schuldner» und «Chirurgie», lassen sich nur mit einer ganz be- stimmten Valuta regelgerecht spielen, andere Spie- le, vor allem exhibitionistische, sind in dieser Bezie- hung flexibler. 2. Tenazität. Manche Menschen geben bei ihren Spie- len verhältnismäßig leicht auf, andere zeigen ent- schieden mehr Ausdauer. 3. Intensität. Einige Menschen betreiben ihre Spiele lässig, andere sind dabei spannungsgeladen und ag- gressiv. Entsprechend diesen Voraussetzungen be- zeichnet man ein Spiel entweder als zwanglos oder als hart. Diese drei Variablen haben in ihrem Zusammenwirken entscheidenden Einfluss darauf, ob ein Spiel freund- lichen oder gewalttätigen Charakter annimmt. Bei Geistesgestörten zeigt sich in dieser Hinsicht häufig Analyse von eine bemerkenswerte Progression, sodass man von ver- Spielen schiedenen Stadien sprechen kann. So kann z. B. ein
  251. paranoider Schizophrener zunächst ein flexibles, lo- Psychotische ckeres, zwangloses Spiel «Ist es nicht schrecklich» in Spiele seinem ersten Stadium spielen, dann jedoch in ein in- flexibles, zähes und hartes drittes Stadium übergehen. Diese einzelnen Stadien eines Spiels lassen sich folgen- dermaßen kennzeichnen: a) Ein <Spiel ersten Grades> gilt im Bekanntenkreis des agierenden Urhebers als gesellschaftlich akzeptabel. b) Ein <Spiel zweiten Grades> richtet zwar keinen blei- benden, nicht wieder gutzumachenden Schäden an, aber die Spieler zeigen die Neigung, es vor den Au- gen der Öffentlichkeit zu verbergen. c) Ein <Spiel dritten Grades> hat endgültigen Charak- ter; es endet im Operationsraum, im Gcrichtssaal oder in der Leichenhalle. Spiele lassen sich auch aufgrund aller anderen spezifi- schen Faktoren klassifizieren, die bei der Analyse von «WEDUNIW» erörtert wurden: Ziele, Rollen und be- sonders ins Auge fallende Nutzeffekte. Am besten wäre wohl eine systematische wissenschaftliche Klassifizie- rung auf der Grundlage der existenziellen Position; da dieser Faktor jedoch bisher nicht hinreichend erforscht ist, muss diese Art der Klassifizierung vorerst unter- bleiben. Nach ihr ist im Augenblick die soziologische Soziologische Klassifizierung wohl die zweckmäßigste. Ihr wollen wir Klassifizierung uns im folgenden Abschnitt zuwenden.
  252. Nachtrag Dank gebührt Stephan Potter - für seine scharfsinni- gen und humorvollen Erörterungen von Manövern 5. bzw. <Tricks> (ploys) in gesellschaftlichen Alltagssitua- Spiele
  253. tionen und G. H. Mead für seine wegbereitende Stu- :i
  254. die über die Rolle von Spielen im gesellschaftlichen Le- ben. Diejenigen Spiele, die zu psychiatrischer Invalidi- tät führen, sind seit 1958 in den San Francisco Social Psychiatry Seminars gründlich erforscht worden, und in jüngster Zeit hat. auch T. Szasz sich diesem Sektor 4
  255. der Spiel-Analyse zugewandt. Mit der Rolle von Spie- len in Gruppen-Aktionen befasst sich mein Buch über (Gruppendynamik). 3
  256. EIN SPIEL- BREVIER
  257. EINLEITUNG
  258. Die vorliegende Sammlung von Spielen kann bis zum Erscheinungsjahr des Buches (1962) als vollständig gel- ten, doch werden seither ständig neue Spiele entdeckt. Gelegentlich erweist sich ein Spiel, das man ursprüng- lich nur für ein weiteres Beispiel eines bereits bekann- ten Spiels hält, bei eingehenderer Untersuchung als völlig neuartig, andererseits ist manchmal ein Spiel, Neue Spiele das zuerst neuartig erscheint, häufig nur die Variante eines bereits bekannten Spiels. Auch die einzelnen Fak- toren der Analysen sind mit dem Auftauchen neuer Er- kenntnisse gewissen Veränderungen unterworfen; wo z. B. bei der Erläuterung der Dynamik mehrere Alter- nativen bestehen, mag sich herausstellen, dass die hier getroffene Feststellung nicht unbedingt die zwin- gendste war. Doch sind die Liste der Spiele und die in den Analysen aufgeführten Faktoren für die klinische Arbeit durchaus geeignet. Einige Spiele werden in extenso erörtert und analy- Darstellung siert. Andere, die noch einer eingehenderen Untersu- der Spiele chung bedürfen oder selten sind, oder aber solche, de- ren Bedeutung ziemlich auf der Hand liegt, werden nur kurz erwähnt. Der Hauptakteur wird gewöhnlich als <agierender Urheber* bezeichnet, oder er erhält den Namen <Weiß>, und sein Partner wird als <Schwarz> apostrophiert. Einleitung
  259. Die Spiele werden in zusammengehörige Gruppen eingeteilt, und zwar entsprechend den Situationen, in Ordnung denen man ihnen am häufigsten begegnet: «Lebens- der Spiele spiele>, <Ehespiele>, <Partyspiele>, <Sexspielc> und <Räu- berspiele>; dann kommt, für den Fachmann gedacht, ein Kapitel über <Doktorspiele>, und zum Schluss fol- gen einige Beispiele für <Gute Spiele>.
  260. Schema Für die analytischen Protokolle gilt folgendes Schema: Titel: Hat das Spiel einen langen Namen, dann wird Aufbau der im Text eine geeignete Abkürzung verwendet. Haben Spiel- ein Spiel bzw. seine Varianten mehrere Namen, dann Protokolle erscheint ein entsprechender Hinweis im <Spiel-Index>. Bei mündlichen Berichten ist der vollständige Name eines Spiels einer Abkürzung bzw. einem Akronym vorzuziehen. These: Sie wird so zwingend wie möglich formuliert. Ziel: Hier wird, basierend auf der Erfahrung des Au- tors, die sinnvollste Alternative angeführt. Rollen: Die Rolle des Hauptakteurs, von dessen Blickwinkel aus das Spiel erörtert wird, erscheint zu- erst und zwar kursiv. Dynamik: Siehe Ziel. Beispiele: 1. Hier steht zuerst ein Beispiel aus der Kindheit, denn es stellt den am besten erkennbaren einschlägigen Prototyp dar. 2. Es folgt ein Beispiel aus dem Erwachsenen-Leben. Paradigma: Es erläutert in gebotener Kürze die ent- Ein scheidenden Transaktionen auf sozialer und psycholo- Spiel-Brevier gischer Ebene.
  261. Einzelaktionen: Hier wird die minimale Anzahl von Transaktions-Stimuli und Transaktions-Reaktionen angeführt, wie sie sich aus der Praxis ergeben. Sie las- sen sich in verschiedenen Situationen in unbegrenztem Ausmaß erweitern, umschichten oder ausschmücken. Nutzeffekte: 1. Innerlich-psychologisch - Hier wird der Versuch gemacht, den Beitrag des Spiels zur inne- ren psychischen Stabilität zu fixieren. 2. Äußerlich psy- chologisch - Es wird versucht, festzustellen, welche Klassifikation Furcht auslösenden Situationen bzw. Intimerlebnisse der Zwecke vermieden werden. 3. Innerlich sozial - Er wird ge- kennzeichnet durch die für das Spiel im intimen Kreis charakteristische Redensart. 4. Äußerlich sozial - Er wird erkennbar aus der bei einem derivativen Spiel oder Zeitvertreib in einem weniger intimen Kreis ver- wendeten Haupt-Redensart. 5. Biologisch - Hier wird darzulegen versucht, welche Art von Streichel-Ehihei- ten das Spiel den beteiligten Partnern bietet. 6. Existen- ziell - Hier wird die Position fixiert, von der aus das Spiel üblicherweise gespielt wird. Verwandte Spiele: Hier stehen die Namen von Spie- len komplementären, verwandten und antithetischen Charakters. Im Grunde erwächst ein adäquates Verständnis für ein Spiel nur aus einer therapeutischen Situation her- aus. Menschen, die destruktive Spiele spielen, suchen Spiel und den Therapeuten weit häufiger auf als solche, die sich Psychotherapie konstruktiven Spielen widmen. Aus diesem Grund sind auch die meisten Spiele, die wir gut kennen, ih- rem Wesen nach destruktiv: Der Leser sollte aber die Tatsache nicht außer Acht lassen, dass es auch kon- struktive Spiele gibt, die freilich von glücklicheren Einleitung
  262. Menschen gespielt werden. Um die Idee von den (Spie- len) nicht allzu sehr zu vulgarisieren, wie das bei so vie- len psychiatrischen Begriffen der Fall ist, muss ich nochmals betonen, dass es sich hier um eine sehr prä- zise Idee handelt: Spiele müssen, mit Hilfe der oben angeführten Kriterien, klar abgegrenzt werden gegen- Grenzen über Verfahren, Ritualen, allen Arten von Zeitvertreib, der Spiele Operationen und Manövern sowie gegenüber den geistigen Haltungen, die jeweils mit verschiedenartigen Positionen korrespondieren. Ein Spiel wird von einer Position aus gespielt, aber eine Position oder die mit ihr korrespondierende Haltung sind nicht schon an sich ein Spiel.
  263. Kolloquialismen Viele der hier benutzten Kolloquialismen wurden von Patienten geprägt. Benutzt man sie mit hinreichender Rücksichtnahme auf den rechten Zeitpunkt und die Sensibilität der Mitspieler, dann werden sie alle auch von ihnen verstanden, geschätzt und genossen. Mögen auch einige von ihnen etwas respektlos klingen, so richtet sich doch die ihnen anhaftende Ironie gegen die Treffende Spiele selbst und nicht gegen die Spieler, die sie spielen. Formeln Kolloquialismen sollen in erster Linie zweckdienlich sein; wenn sie sich häufig amüsant anhören, dann des- wegen, weil sie den Nagel genau auf den Kopf treffen. Wie ich schon an anderer Stelle, bei der Erörterung umgangssprachlicher Epitheta, darzulegen versucht habe, ist es durchaus möglich, dass eine ganze Seite Ein vielsilbiger gelehrter Wörter weniger ausdrucksstark Spiel-Brevier ist als z. B. die schlichte Feststellung: Diese Frau ist eine
  264. Hure, oder: Dieser Mann ist ein Querkopf. Man kann 1
  265. psychologische Wahrheiten zu akademischen Zwecken in streng wissenschaftlichen Formulierungen ausdrü- cken; will man aber emotionelle Regungen aus dem praktischen Leben wirksam zum Ausdruck bringen, Konkrete dann erfordert das eine völlig andere Methode. So Formu- ziehe ich z. B. für ein Spiel die Bezeichnung «Ist es nicht lierungen
  266. schrecklich» der folgenden vor: «Verbal-Formulierung einer projizierten analen Aggression». Erstere ist nicht nur als Bedeutungsträger und Einflussfaktor dynami- scher, sie ist auch effektiv präziser; und manchmal tritt bei den Menschen eine Besserung ihres Zustands in strahlend hellen Räumen rascher ein als in eintönig düsteren.
  267. LEBENSSPIELE
  268. Unter normalen sozialen Voraussetzungen haben alle Spiele einen wesentlichen, wenn nicht gar entscheiden- den Einfluss auf das Schicksal der Spieler; einige bieten jedoch mehr als andere die Chance zu einer lebens- länglichen Karriere, und bei ihnen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass auch relativ unbeteiligte Zu- Einfluss schauer in das Geschehen mit einbezogen werden. auf Spieler Diese Gruppe kann man zweckmäßig als <Lebensspie- le> bezeichnen. Zu ihr gehören die Spiele «Alkoholi- ker», «Schuldner», «Mach mich fertig», «Sieh bloß, was du angerichtet hast», «Jetzt hab ich dich endlich, du Schweinehund!» und ihre hauptsächlichen Varianten. Sie gehen am einen Ende der Skala in die <Ehespiele> über, am anderen in die <Räuberspiele>.
  269. 7. «Alkoholiker» These. Die Spiel-Analyse kennt weder den <Alkoholis- mus> noch <einen Alkoholiker), es gibt nur in einem bestimmten Spiel eine Rolle, die man als <Alkoholiker> «Alkoholiker» bezeichnet. Ist eine biochemische oder physiologische als Rolle Anomalie die Hauptursache für exzessives Trinken - diese Frage ist noch nicht hinreichend geklärt -, dann gehört eine diesbezügliche Untersuchung in den Be- 6. reich der inneren Medizin. Die Spiel-Analyse ist an Lebensspiele
  270. ganz anderen Problemen interessiert - daran nämlich, was für soziale Transaktionen mit derartigen Exzessen verbunden sind. Daher das Spiel «Alkoholiker». In voller Besetzung handelt es sich hier um ein fünf- seitiges Spiel, doch lassen sich die Rollen so kondensie- ren, dass es als zweiseitiges Spiel beginnen und enden Die Rollen kann. Die Hauptrolle ist die des <Alkoholikers> - sie wird von <Weiß> gespielt. Die wichtigste Nebenrolle ist die des <Nörglers>, die normalerweise von einem Ver- treter des anderen Geschlechts gespielt wird, gewöhn- lich von der eigenen Ehefrau. Die dritte Rolle ist die des <Retters>, sie wird für gewöhnlich von einem Ge- schlechtsgenossen gespielt, häufig vom guten Hausarzt, der sich ebenso für den Patienten interessiert wie für die Probleme des Trinkens. In der klassischen Situation gelingt es dem Arzt, den Alkoholiker zu heilen. Weiß hat inzwischen sechs Monate lang keinen Tropfen mehr zu sich genommen, und man beglückwünscht sich gegenseitig zu diesem Erfolg. Tags darauf findet man Weiß wieder im Rinnstein. Die vierte Rolle ist die des <Stummen Helfers>. In der «Stumme Literatur wird sie meist vom Besitzer einer Imbissstube Helfer» gespielt, der Weiß Kredit einräumt oder ihm gelegent- lich ein Sandwich und eine Tasse Kaffee spendiert, ohne dass er ihm Vorwürfe macht oder versucht, ihn zu <retten>. Im Leben findet man in dieser Rolle häufi- ger Weiß' Mutter, die ihm Geld gibt und mitfühlendes Verständnis dafür zeigt, dass ihn seine Frau nicht ver- steht. In dieser Phase des Spiels muss Weiß für seinen Geldbedarf eine plausible Erklärung finden, eine Er- Ein klärung, die beide Partner nach außen hin als glaub- Spiel-Brevier haft hinnehmen, obschon sie genau wissen, wofür
  271. Weiß in Wirklichkeit den größten Teil des Geldes aus- gibt. Manchmal nimmt der <Stumme Helfer> auch eine andere, allerdings nicht so wesentliche Rolle an, näm- lich die des (Agitators), des (guten Kerls>, der weiteren (Stoff) anbietet, ohne dass er darum gebeten worden wäre: «Komm, lass uns einen hinter die Binde gießen (und es wird mit dir noch rascher bergab gehen).» Der Versorgungs-Experte in allen Trinkspielen ist der Barmixer. Im Spiel «Alkoholiker» spielt er die fünfte Rolle, die des (Verbindungsmannes); er ist die direkte Versorgungsquelle, versteht sich auf Gespräche unter Alkoholeinfluss und ist gewissermaßen die wich- Der tigste Person im Leben jedes Süchtigen. Der Unter- «Verbindungs- mann» schied zwischen dem (Verbindungsmann) und den an- deren Spielern ist der gleiche, wie er in jedem Spiel zwischen einem Profi und einem Amateur besteht: Der Profi weiß, wann er aufhören muss. Von einem be- stimmten Zeitpunkt an verweigert ein guter Barmixer den weiteren Ausschank von Getränken an den Alko- holiker; dieser bleibt nun auf dem Trockenen sitzen, wenn es ihm nicht gelingt, einen nachgiebigeren (Ver- bindungsmann) ausfindig zu machen. In den ersten Phasen des Spiels «Alkoholiker» kön- nen der Ehefrau alle drei Nebenrollen zufallen: um Mitternacht die des (Stummen Helfers): Sie bringt ih- Die ren Mann zu Bett, macht ihm Kaffee und nimmt es Spiel-Phasen hin, wenn er sie schlägt; am Morgen die des (Nörglers): Sie macht ihm Vorhaltungen wegen seines üblen Le- benswandels; und am Abend die des (Retters>: Sie fleht ihn an, sich zu bessern. In späteren Phasen - und das geschieht häufig aufgrund der Verschlechterung seines 6. organischen Zustands - können die Rollen des (Nörg- Lebensspiele
  272. lers> und des <Retters> wegfallen; sie werden jedoch to- leriert, wenn sie sich gleichzeitig bereit zeigen, als Ver- sorgungsquellen zu füngieren. Weiß geht zur Caritas oder zur Inneren Mission und lässt sich <retten>, wenn er dafür gratis eine warme Mahlzeit erhält; oder er lässt Beschimpfungen und Vorwürfe - sei es von Amateu- ren oder Profis - über sich ergehen, wenn man ihm da- für nachher etwas spendiert. Die bisher gemachten Erfahrungen deuten darauf Nutzejfekt hin, dass der Nutzeffekt beim Spiel «Alkoholiker» (und des Spiels das gilt im Prinzip für alle Spiele) sich gerade aus dem Aspekt ergibt, dem die Experten, die sich damit befas- sen, die geringste Beachtung schenken. Die Analyse des vorliegenden Spiels zeigt, dass das Trinken selbst sozu- sagen nur als Nebenprodukt Freude und zusätzliche Vorteile bringt; erst im weiteren Verlauf des Trinkpro- zesses kommt es zum eigentlichen Kulminationspunkt: zum <Kater>. Das Gleiche ist beim Spiel «Schlemihl» der Fall: Das Begehen irgendeiner Missetat, das ge- wöhnlich die größte Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist für Weiß nur ein Mittel zum Zweck, das ihm zwar eine gewisse Freude bereitet, das aber erst zum eigentlichen Kulminationspunkt führt: Er besteht darin, dass Weiß von Schwarz die ersehnte Verzeihung gewährt wird. Der «Kater» Für den <Alkoholiker> besteht der <Kater> nicht so sehr im physischen Unwohlsein als vielmehr im psy- chischen Unbehagen. Trinker haben gewöhnlich zwei Lieblingsarten von Zeitvertreib: «Martini» (Wie viel wurde getrunken, und wie waren die Getränke ge- mixt?) und «Der Morgen danach» (L<iss mich dir von Ein meinem <Kater> berichten). «Martini» wird meist von Leuten gespielt, die auf Empfängen und Partys alkoho- Spiel-Brevier
  273. lische Getränke zu sich nehmen; viele Alkoholiker be- vorzugen jedoch ein hartes Spiel «Der Morgen da- nach» auf psychologischer Ebene, und Organisationen wie Anonyme Alkoholiker oder psychologische Bera- tungsstellen bieten ihnen dazu unbegrenzt Gelegen- heit. Ein Patient suchte nach einem <Quartalstag> regel- mäßig seinen Psychiater auf und belegte in dessen Ge- genwart sich selbst mit einer Reihe von Schimpfnamen; der Psychiater äußerte sich dazu nicht. Als Weiß später im Rahmen einer Therapie-Gruppe von diesen Besu- Alkoholiker in chen berichtete, erzählte er recht selbstgefällig und be- der Therapie friedigt, es sei der Psychiater gewesen, der ihm all diese Schimpfnamen gegeben habe. Bei der therapeutischen Behandlung gilt das hauptsächliche Gesprächsinteresse vieler Alkoholiker nicht ihrer Trunksucht, von der sie ganz offensichtlich überhaupt nur im Zusammenhang mit ihren <Nörglern> sprechen, sondern in erster Linie dem durch das Trinken verursachten Leidenszustand. Abgesehen von dem ganz persönlichen Vergnügen, das das Trinken bereitet, besteht sein Transaktions-Ziel darin, eine Situation herbeizuführen, in der dem Kind- heits-Ich ernste Vorhaltungen gemacht werden kön- nen, und zwar nicht nur von dem eigenen inneren Reaktionen Eltcrn-Ich, sondern von jeder Eltern-Figur der sozialen der Umwelt Umwelt, die sich interessiert zeigt, darauf einzugehen. Daher sollte sich bei diesem Spiel die Therapie nicht auf das Trinken selbst konzentrieren, sondern auf den <Morgen danach): auf die Selbstbemitleidung und Selbstkasteiung. Es gibt allerdings einen Typ des chro- nischen Trinkers, der keinen <Kater> kennt; er gehört 6. jedoch nicht in die eben besprochene Kategorie. Lebensspiele
  274. Es gibt auch das Spiel «Trockener Alkoholiker»; in ihm macht Weiß, ohne zur Flasche zu greifen, den glei- chen Prozess des finanziellen und sozialen Ruins «Trockener durch, er vollzieht die gleiche Folge von Einzelaktionen Alkoholiker» und sieht sich von den gleichen Mitspielern umgeben. Auch hier liegt das entscheidende Element im <Morgen danach). Gerade die Ähnlichkeit zwischen «Trockener Alkoholiker» und «Alkoholiker» deutet mit Nachdruck daraufhin, dass es sich in beiden Fällen um Spiele han- delt; so ist zum Beispiel die Prozedur der Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei beiden Spielen die gleiche. «Süchtig» zeigt gewisse Ähnlichkeiten mit «Alkoholi- ker», ist jedoch unheilvoller und verläuft dramatischer, sensationeller und rascher. Zumindest in unserer Ge- sellschaft stützt es sich noch stärker auf die Rolle des <Nörglers> und <Verfolgers>; die (Stummen Helfen und <Retter> sind hier freilich seltener, dafür spielt aber der (Verbindungsmann) in erheblich größerem Ausmaß eine zentrale Rolle. Es gibt eine ganze Reihe von Organisationen, die sich mit dem Spiel «Alkoholiker» befassen; einige von Mitspieler ihnen haben einen nationalen oder sogar internatio- nalen Wirkungskrcis, andere tragen mehr lokalen Cha- rakter. Viele machen sogar die Spielregeln publik. Nahezu alle erläutern, wie man die Rolle des (Alkoho- likers) spielt: Fang schon vor dem Frühstück mit dem Trinken an, vertrinke Geld, das für andere Zwecke be- stimmt ist etc.... Auch die Funktion des (Retters) wird erläutert. So setzen zum Beispiel die Anonymen Alko- holiker das Spiel regelgerecht fort, konzentrieren sich Ein jedoch darauf, den (Alkoholiker) dazu zu bewegen, selbst die Rolle des (Retters> zu übernehmen. Ehema- Spiel-Brevier
  275. lige Alkoholiker werden dabei bevorzugt, denn sie ken- nen sich in den <Spielregeln> gut aus und sind daher für die Besetzung der Nebenrollen besser qualifiziert als Leute, die das Spiel noch nicht kennen. Es sind sogar Fälle bekannt geworden, in denen eine Sektion der An- onymen Alkoholiker, bei der der <Vorrat> an zu betreu- enden Alkoholikern zur Neige ging, ihre Mitglieder aufforderte, das Trinken wieder aufzunehmen, da sonst in Ermangelung rettungsbedürftiger Personen das Spiel nicht hätte fortgesetzt werden können! 1
  276. Daneben gibt es auch Organisationen, die sich zur Aufgabe gesetzt haben, das Los der übrigen Mitspieler Rollen der zu verbessern. Einige versuchen einen gewissen Druck Mitspieler auf die Ehefrauen dahingehend auszuüben, dass diese statt der Rolle des <Nörglers> lieber die des <Retters> spielen sollten. Diejenige Organisation, die theoretisch der idealen Behandlung wohl am nächsten kommt, be- fasst sich mit den heranwachsenden Jugendlichen, die aus Alkoholikerfamilien stammen; diese jungen Leute werden dazu ermutigt, sich lieber von dem Spiel gänz- lich loszusagen, als nur ihre Rolle zu wechseln. Auf psychologischer Ebene besteht die Heilung eines Die Heilung Alkoholikers ebenfalls darin, ihn dazu zu bringen, lie- ber das <Spiel> gänzlich aufzugeben, als einfach nur von einer Rolle in die andere hinüberzuwechseln. In eini- gen Fällen hat sich das als durchaus möglich erwiesen; es ist allerdings ziemlich schwierig, irgendetwas ausfin- dig zu machen, das für den Alkoholiker mindestens ebenso interessant ist wie die Fortsetzung seines Spiels. Da er gewöhnlich Intimerlebnisse scheut, sollte als Er- satz für sein Trinken eher ein anderes <Spiel> dienen als 6. eine nicht spielgebundene menschliche Beziehung. Lebensspiele
  277. Häufig sind so genannte (geheilte Alkoholiker) nicht gerade sehr anregende Gefährten auf gesellschaftlichen Zusammenkünften; möglicherweise haben sie das Ge- fühl, ihr Leben sei nicht spannend genug, und sie se- hen sich beständig der Versuchung ausgesetzt, in ihre Kriterium alten Gewohnheiten zurückzufallen. Das Kriterium für für Heilung eine echte (Heilung) besteht darin, dass der ehemalige (Alkoholiker) in der Lage sein sollte, in Gesellschaft al- koholische Getränke zu sich zu nehmen, ohne dabei der Gefahr eines Rückfalls zu erliegen. Die übliche Hei- lung mit Hille einer (totalen Abstinenz) stellt in den Augen des Spiel-Analytikers keine befriedigende Lö- sung dar. Aus der Beschreibung des Spiels ((Alkoholiker» geht Idar hervor, dass die verschiedenen Rolleninhaber die- ses Spiels eine starke Neigung zeigen, auch andere Spiele zu spielen: der (Retter>: «Ich versuche nur, dir [Ihnen] zu helfen»; der (Nörgler>: «Da siehst du, was Neue Rollen du wieder angerichtet hast»; und der (Stumme Helfen: «Guter Kamerad.» Mit dem Entstehen neuer Hilfsor- ganisationen, die die Auffassung verbreiten, der Alko- holismus sei eine Krankheit, haben die Alkoholiker auch gelernt, das Spiel «Holzbein» zu spielen. Die Rechtsprechung, die sich an solchen Fällen interessiert zeigt, bestärkt diese Leute heutzutage noch in ihrem Verhalten. In der Bedeutung der einzelnen Rollen hat sich der Akzent von der des (Nörglers) auf die des (Ret- ters) verlagert, von der Auffassung «Ich bin ein Sünder» zu «Was erwarten Sie von einem kranken Mann?» (hier erkennt man eine Begleiterscheinung zu dem Trend im Ein modernen Denken, der sich von der Religion löst und Spiel-Brevier zur Wissenschaft hin bewegt). Vom existenziellen
  278. Standpunkt aus ist diese Akzentverlagerung fragwür- dig, vom praktischen Standpunkt aus gesehen hat sie kaum dazu beigetragen, das Verkaufsvolumen von al- koholischen Getränken an chronische Trinker zu ver- ringern. Trotzdem ist die Organisation Anonyme Alko- Anonyme holiker für die meisten Leute immer noch die beste Alkoholiker Einführung in die Therapie der übermäßigen Nach- sicht. Antithese. Bekanntlich ist «Alkoholiker» ein recht har- tes Spiel, von dem man nur schwer ablassen kann. In einem Fall zeigte eine weibliche Alkoholikerin in einer Therapie-Gruppe nur eine geringe Eigenbeteiligung, und zwar so lange, bis sie glaubte, sie wisse nun genug über die anderen Mitglieder der Gruppe, um jetzt mit ihrem eigenen Spiel zu beginnen. Sie bat alle, ihr zu sa- gen, wie sie über sie dächten. Da sie sich bisher durch- aus liebenswürdig gegeben hatte, machten ihr verschie- dene Mitglieder der Gruppe artige Komplimente, Antithetisches gegen die sie jedoch Protest erhob: «Das ist nicht das, Verhalten was ich hören will. Ich will wissen, wie Sie wirklich über mich denken.» Sie ließ deutlich erkennen, dass sie durchaus abfällige Bemerkungen hören wollte. Die an- deren Frauen weigerten sich jedoch, ihr diesen Gefal- len zu erweisen; daraufhin ging sie heim und machte ihrem Gatten zur Auflage, sich entweder von ihr schei- den zu lassen oder sie in eine Klinik einzuliefern, falls sie noch einmal zu trinken anfangen sollte. Er ver- sprach, das zu tun, und als sie sich noch am gleichen Abend betrank, schickte er sie in ein Sanatorium. Hier weigerten sich die anderen Patienten ebenfalls, die 6. <Nörgler>-Rolle zu spielen, die Frau Weiß ihnen zuge- Lebensspiele
  279. dacht hatte; sie sah sich nicht in der Lage, dieses anti- thetische Verhalten zu tolerieren, obwohl jedermann sich bemühte, sie in ihren bereits gewonnenen Einsich- ten zu bestärken. Nur daheim fand sie schließlich je- manden, der willens war, die von ihr geforderte Rolle zu übernehmen. In anderen Fällen erscheint es jedoch durchaus mög- lich, auf den Patienten so einzuwirken, dass das Spiel aufgegeben werden kann, und den Versuch einer ech- Soziale ten sozialen Heilung zu unternehmen, bei der der The- Heilung rapeut sich strikt weigert, die Rolle des <Nörglers> oder des <Retters> zu spielen. Vom therapeutischen Stand- punkt aus ist es für ihn ebenso unfruchtbar, die Rolle des <Stummen Helfers) zu spielen, indem er dem Pati- enten erlaubt, seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachzukommen bzw. unpünktlich zur Konsulta- tion zu erscheinen. Vom transaktionellen Standpunkt aus gesehen, besteht die sachgerechte therapeutische Rollenver- Prozedur darin, nach sorgfältiger, grundlegender weigerung als Vorarbeit eine strikt vertragsmäßige Position auf der Therapie Ebene des Erwachsenen-Ichs einzunehmen und die Übernahme jeglicher Rolle im Spiel zu verweigern, in der Hoffnung, der Patient werde in der Lage sein, sich nicht nur mit der Abstinenz vom Trinken abzufinden, sondern auch damit, dass er sein Spiel aufgeben muss. Kann er das nicht, dann verweist man ihn am besten an einen <Retter>. Als besonders schwierig erweist sich die Antithese deshalb, weil man in den meisten Ländern der west- lichen Welt den chronischen Trinker in hohem Maß als Ein wünschenswertes Objekt für missbilligende Kritik Spiel-Brevier ebenso wie für Hilfs- und Betreuungsmaßnahmen be-
  280. trachtet; jemand, der sich weigert, eine der oben ange- führten Rollen zu spielen, läuft daher Gefahr, sich den Unwillen der Öffentlichkeit zuzuziehen. Eine rationale Methode kann auf die <Retter> weit alarmierender wir- ken als auf den «Alkoholiker) selbst, und gelegentlich ergeben sich daraus für die Therapie recht unglück- liche Konsequenzen. In einem klinischen Arbeitskreis war eine Gruppe von Mitarbeitern ernsthaft am Spiel Ein «Alkoholiker» interessiert, und sie versuchte, echte Schiffbruch Heilungen dadurch zu bewirken, dass sie die Patienten nicht nur rettete, sondern das Spiel gänzlich abbrach. Sobald dieser Tatbestand an die Öffentlichkeit drang, wurden diese Mitarbeiter von dem Laienkomitee, das diese Klinik unterstützte, kaltgestellt, und keiner von ihnen wurde jemals wieder zur Behandlung derartiger Patienten herangezogen. Verwandte Spiele. Ein interessantes Nebenspiel zum «Alkoholiker» bezeichnet man als «Nimm einen [Drink]». Diesen Sachverhalt entdeckte ein mit gutem Auffassungsvermögen begabter Student der Industrie- Psychiatrie. Weiß und seine Frau (eine nicht trinkende <Nörglerin>) veranstalten ein Picknick mit Schwarz und seiner Frau (beide <Stumme Helfen). Weiß sagt zu Schwarz und seiner Frau: «Nehmt einen Drink mit mir!» Gehen sie darauf ein, dann erhält Weiß die Mög- Varianten lichkeit, schnell vier oder fünf Drinks zu nehmen. Wei- im Spiel gert sich jedoch das Ehepaar Schwarz, dann wird das Spiel entlarvt. Nach den Spielregeln von «Alkoholiker» muss Weiß sich nun Vorhaltungen machen lassen; er wird also für das nächste Picknick die Gesellschaft von 6. Leuten suchen, die besser auf seine Wünsche eingehen. Lebensspiele
  281. Was sich auf der Sozial-Ebene wie Großzügigkeit des Erwachsenen-Ichs ausnimmt, erweist sich auf psycho- logischer Ebene als eine geradezu unverschämte Aktion: Unter den Augen von Frau Weiß, die keine Möglichkeit hat zu protestieren, erschleicht sich das Ein Drink Kindheits-Ich von Weiß durch einen Akt von glatter in Ehren... Bestechung die Einwilligung vom Eltern-Ich des Ehe- paars Schwarz. Gerade weil sie keine Möglichkeit hat zu protestieren, stimmt Frau Weiß dem ganzen Arran- gement zu, denn ihr ist ebenso an der Fortsetzung des Spiels gelegen, und zwar mit ihr selbst in der Rolle des <Nörglers>, wie Herr Weiß das wünscht, wobei er sich selbst in der Rolle des «Alkoholikers) sieht. Dass ihm seine Frau am Morgen nach dem Picknick schwere Vorwürfe macht, kann man sich lebhaft vorstellen. Zu Komplikationen kann diese Variante des Spiels dann führen, wenn Weiß der Vorgesetzte von Schwarz ist. Weitere Die «Stummen Helfen sind im Allgemeinen einsa- «Stumme me Menschen, die selbst nicht unerhebliche Vorteile Helfer» davon haben, dass sie sich um die Alkoholiker küm- mern. Der Besitzer einer Imbissstube, der den «Guten Kameraden) spielt, macht auf diese Weise eine ganze Reihe von Bekanntschaften, und er hat so die Mög- lichkeit, sich in seinem eigenen Bekanntenkreis einen guten Namen als großzügiger Mensch und guter Un- terhalter zu machen. Eine Variante des Spiels «Guter Kamerad» besteht darin, in seiner näheren Umgebung herumzuhorchen und um Rat zu bitten, wie man den Menschen am besten helfen kann. Hier haben wir ein Beispiel für ein Ein erfreuliches und konstruktives Spiel, zu dem man Spiel-Brevier durchaus ermutigen sollte. Sein Gegenbeispiel ist das
  282. Spiel «Harter Bursche»: Man trainiert auf Gewalttätig- keit oder holt sich Ratschläge, wie man den Leuten am besten <eins auswischen) kann. Auch wenn der Spieler die einstudierten Gewaltakte niemals in die Praxis Geliehene umsetzt, genießt er doch das Privileg, sich mit echten Bedeutung «harten Burschen) zu assoziieren, die sozusagen Profi- Spieler sind, und er kann sich im Abglanz ihres zwei- felhaften Ruhmes <sonnen>. Dieser Spielertyp gehört zu einer Spezies, die die Franzosen als un fanfaron de vice bezeichnen. Analyse These: Wie schlecht hab ich mich benommen! Sieh mal zu, ob du mich davon abhalten kannst! Ziel: Selbstkasteiung. Rollen: Alkoholiker, Nörgler, Retter, Stummer Helfer und Verbindungsmann. Dynamik: Orale Deprivation. Beispiele: 1. Sieh mal zu, ob du mich erwischen kannst! Die Prototypen dieses Spiels lassen sich wegen seiner Komplexität nur schwer identifizieren. Jedoch praktizieren Kinder, besonders Kinder von Alkoholi- kern, häufig viele derjenigen Manöver, die für das Spiel Ko-Alkoholiker «Alkoholiker» charakteristisch sind. «Sieh mal zu, ob du mich davon abhalten kannst!» ist verbunden mit Lügen, mit dem Verstecken von Gegenständen, mit dem Herausfordern von abfälligen Bemerkungen, mit der Suche nach hilfreichen Mitmenschen und mit der Inanspruchnahme eines menschenfreundlichen Nach- barn, der des Öfteren etwas spendiert etc. Die Selbst- kasteiung wird oft auf einen späteren Zeitpunkt ver- 6. schoben. 2. Der Alkoholiker und sein Kreis. Lebensspiele
  283. Sozial-Paradigma: Erwachsenen-Ich / Erwachsenen- Ich. Erwachsenen-Ich: «Sag mir, wie du wirklich über mich denkst, oder hilf mir dabei, das Trinken aufzugeben.» Erwachsenen-Ich: «Ich will offen mit dir reden.» Psychologisches Paradigma: Eltern-Ich / Kindheits- Ich. Kindheits-Ich: «Sieh mal zu, ob du mich davon abhal- ten kannst.» Eltern-Ich: «Du musst mit dem Trinken aufhören, denn ...» Einzelaktionen: 1. Provokation - Anschuldigung oder Verzeihung. 2. Duldung - Arger oder Verzweiflung. Nutzeffekte: 1. Innerlich psychologisch - a) Trinken als <Verfahrcn> - Rebellion, Ermutigung und Befriedi- gung eines dringenden Verlangens; b) «Alkoholiker» als Spiel - (Mögliche) Selbstkasteiung. 2. Äußerlich psychologisch-Vermeidung sexueller und anderer In- timerlebnisse. 3. Innerlich sozial - Sieh mal zu, ob du mich davon abhalten kannst. 4. Äußerlich sozial - «Der Morgen danach», «Martini» und andere Arten von Zeitvertreib. 5. Biologisch - Alternierender Aus- tausch von liebevollen und zornigen Bekundungen. 6. Existenziell - Jeder will mir etwas vorenthalten.
  284. 2. «Schuldner» These. «Schuldner» ist mehr als nur ein Spiel. In Ame- rika, ebenso wie in einigen Dschungelgebieten von Afrika und Neuguinea, zeigt es die Tendenz, sich zu ei- Ein nem Schema für die gesamte Lebensgestaltung zu ent- Spiel-Brevier wickeln. Dort wenden die Verwandten eines jungen 2
  285. Mannes für den Brautkauf eine ungeheure Summe auf und machen ihn so auf lange Sicht hin zu ihrem Schuldner. In Amerika herrscht, zumindest in den zi- «Schuldner» vilisierteren Gebieten, im Prinzip die gleiche Sitte, nur als wird hier aus dem Brautkaufpreis ein Hauskaulpreis, Lebensschema und wenn die Kaufsumme nicht von den Verwandten erlegt wird, dann übernimmt eine Bank diese Rolle. So wiegen sich beide in dem gleichen Gefühl, ein be- stimmtes «Lebensziel) vor sich zu haben: der. junge Mann aus Neuguinea, der eine alte Armbanduhr von seinem Ohr herabbaumeln lässt, um den Erfolg zu ver- bürgen, und der junge Mann in Amerika, der sich eine neue Armbanduhr ums Handgelenk schnallt, um den Erfolg zu verbürgen. Die große Feier: die Hochzeit bzw. der Einstand im neuen Haus, findet nicht erst dann statt, wenn er sich der Schuld entledigt hat, sondern bereits dann, wenn er sie übernimmt. Auch bei den Darbietungen im Fernsehen zum Beispiel wird nicht in erster Linie der Mann mittleren Alters gezeigt, der end- lich seine Hypothekenschuld abgetragen hat, sondern der junge Mann, der mit seiner Familie in das neue Ei- Das Eigenheim genheim einzieht und voller Stolz die eben unterzeich- neten Urkunden schwenkt, die ihn von nun an für ein Großteil seiner produktiven Jahre belasten werden. Hat er seine Schuldenlast schließlich getilgt - die Hypothe- ken, die Ausbildungskosten für seine Kinder und seine Versicherungsbeiträge -, dann wird er zum Problem, zu einem (älteren Bürger), dem die Gesellschaft nicht nur materiellen Komfort zu bieten hat, sondern für den sie auch eine neue Lebensaufgabe bereithalten muss. Ist er recht gewitzt und gerissen, dann mag es 6. ihm hier wie dort gelingen, sich aus einem großen Lebensspiele
  286. Schuldner in einen großen Gläubiger zu verwandeln, doch geschieht das relativ selten. Während ich diese Zeilen schreibe, kriecht gerade eine Kellerassel über meinen Schreibtisch. Legt man sie auf den Rücken, dann kann man beobachten, welch ungeheure Anstrengungen sie unternimmt, um wieder Triumph der auf ihre Füße zu kommen. Während dieser Zeitspanne Kellerassel hat sie ein «bestimmtes Ziel> in ihrem Leben. Hat sie mit ihren Bemühungen Erfolg, dann kann man ihr die Freude über diesen <Sieg> geradezu aus den Augen ab- lesen. Sie kriecht davon, so schnell sie ihre Füße tragen, und man kann sich lebhaft vorstellen, wie sie auf dem nächsten Kellerassel-Treffen stolz von ihrer Heldentat berichtet und wie die «jüngere Generation* zu ihr auf- schaut als zu einem Krebstier, das seinen Weg gemacht hat. Und doch mischt sich in ihre Selbstzufriedenheit eine kleine Enttäuschung. Jetzt, da sie ihre Heldentat vollbracht hat, hat sie kein bestimmtes Ziel mehr im Leben. Vielleicht kehrt sie noch einmal zurück, in der Hoffnung, ihren Triumph zu wiederholen. Man sollte eigentlich auf ihrem Rücken ein Kennzeichen mit Tinte anbringen, um festzustellen, ob sie es noch ein- mal riskiert. Wirklich ein mutiges Geschöpf, diese Kel- lerassel! Kein Wunder, dass sie Millionen von Jahren überdauert hat. Die meisten jungen Amerikaner nehmen ihre Hypo- Schulden thekenschulden nur in Krisenzeiten wirklich ernst. Lei- als Antrieb den sie unter Depressionen oder ist die allgemeine Wirtschaftslage kritisch, dann sind ihre Verpflichtun- gen ein Antrieb zu intensiverer Tätigkeit, und sie mö- Ein gen sogar manchen davon abhalten, sich das Leben zu Spiel-Brevier nehmen. Die meiste Zeit über spielen sie in nicht allzu
  287. ernster Form das Spiel «Wenn ich diese Schulden nicht hätte ...», im Übrigen aber genießen sie durchaus ihr Leben. Nur ganz wenige machen ein <knallhartes> Spiel «Schuldner» sozusagen zu ihrem Beruf. «Versuch's und kassiere!» («VUK») wird gewöhnlich von jungen Ehepaaren gespielt; es ist ein gutes Beispiel dafür, wie man ein Spiel so arrangieren kann, dass der Spieler auf jeden Fall <gewinnt>, ganz gleich, wie das Spiel auch laufen mag. Das Ehepaar Weiß nimmt für alle möglichen Waren und Dienstleistungen Kredite in Gut leben, Anspruch, und zwar für solche einfacherer oder luxu- ohne zu riöserer Art, entsprechend ihrem jeweiligen gesell- zahlen schaftlichen Status bzw. der Art und Weise, in der ih- nen dieses <Spiel> von ihren Eltern und Großeltern beigebracht wurde. Gibt der Gläubiger nach einigen zaghaften Inkassoversuchen seine Bemühungen auf, dann kann das Ehepaar Weiß seine Erwerbungen straf- los genießen, und in diesem Sinne hat es <gewonnen>. Unternimmt der Gläubiger intensivere Versuche zu kassieren, dann genießen sie nicht nur die Benutzung ihrer Erwerbungen, sondern auch eine Art sportliches Vergnügen an der fortgesetzten <Verfolgungsjagd>. Sportliche Knallhart wird das <Spiel> dann, wenn der Gläubiger Verfolgung zum Inkasso fest entschlossen ist. Um zu seinem Geld zu kommen, muss er zu außergewöhnlichen Maßnah- men greifen. Ihnen haftet gewöhnlich ein koerzitives Element an - der Gläubiger geht entweder zum Arbeit- geber von Weiß, oder er fährt vor Weiß' Haus recht ge- räuschvoll in einem grell bemalten Geschäftswagen vor, auf dem in riesigen Buchstaben zu lesen ist: INKASSO-AGENTUR. 6. Zu diesem Zeitpunkt tritt eine Wende ein. Weiß wird Lebensspiele
  288. jetzt klar, dass er wohl oder übel wird zahlen müssen. Aufgrund des koerzitiven Elements, das in den meisten Fällen im <letzten Mahnbrief) des Inkasso-Agenten deutlich genug zum Ausdruck kommt («Falls Sie nicht Immer innerhalb von 48 Stunden ...»), fühlt Weiß sich ent- Gewinner schieden dazu berechtigt, wütend zu werden; er verlegt sich nunmehr auf eine Variante des Spiels «jetzt hab ich dich endlich, du Schweinehund!». In diesem Fall betrachtet er sich als Gewinner, indem er demonstriert, dass der Gläubiger habgierig, rücksichtslos und nicht vertrauenswürdig ist. Daraus ergeben sich zwei deutlich erkennbare Nutz- effekte: 1. Weiß wird in seiner existenziellen Position be- stärkt, mit der er in verhüllter Form zum Ausdruck bringt «Alle Gläubiger sind raffgierig»; 2. auch der äu- Sozialer ßerlich soziale Nutzeffekt ist beträchtlich, denn Weiß Gewinn ist nunmehr in der Lage, vor seinen Freunden den Gläubiger ganz offen zu beschimpfen, ohne dabei sei- nen eigenen Status als <Guter Kamerad» zu verlieren. Er kann außerdem auch noch einen inneren sozialen Nutzeffekt herausholen, indem er dem Gläubiger per- sönlich die Stirn bietet. Zusätzlich sieht er im Verhal- ten des Gläubigers eine nachträgliche Bestätigung da- für, dass er sich die Vorteile des Kreditsystems zunutze gemacht hat: Wenn sich die Gläubiger so benehmen, wie es sich gerade in seinem Fall gezeigt hat, warum soll man dann überhaupt ans Zahlen denken? In der Form von «Versuch's, aber lass dich nicht er- wischen» («VALDNE») wird das Spiel «Gläubiger» Ein manchmal von weniger bemittelten Hausbesitzern ge- Spiel-Brevier spielt. «VUK»- und «VALDNE»-Spieler durchschauen
  289. einander relativ leicht; wegen der prospektiven trans- aktioneilen Nutzeffekte und des ins Haus stehenden Weitere sportlichen Vergnügens reiben sie sich jedoch heimlich Geldspiele die Hände und lassen sich nicht ungern miteinander ein. Ungeachtet der Tatsache, wer schließlich das Geld <gewinnt>, hat jeder von beiden für den Zeitpunkt nach Abschluss der Auseinandersetzung seine Ausgangs- position für das folgende Spiel «Warum muss das aus- gerechnet immer mir passieren?» verbessert. Geld-Spiele können schwerwiegende Folgen haben. Wenn die hier gegebenen Beschreibungen einen leicht scherzhaften Eindruck hinterlassen, dann nicht des- halb, weil es sich hierbei um triviale Dinge handelt, sondern weil hier die triviale Motivierung von Dingen aufgedeckt wird, die die Leute ernst zu nehmen gelernt haben. Antithese. Die Antithese zu «VUK» besteht ganz offen- sichtlich darin, eine sofortige Barzahlung zu verlangen. Ein guter «VUK»-Spieler verfügt jedoch über Aus- weichmethoden, die nur bei den hartgesottensten Gläubigern ihre Wirkung verfehlen. Die Antithese zu «VALDNE» besteht im Promptheit und Rechtschaffen- heit. Da gewiegte «VUK»- und «VALDNE»-Spieler in Amateure des Wortes vollster Bedeutung als <Profis> zu bezeich- chancenlos nen sind, sind die Chancen eines Amateurs im Kampf gegen sie ebenso gering wie gegen professionelle Glücksspieler. Hat der Amateur auch nur äußerst ge- ringe Gewinnchancen, so kann es ihm doch ein gewis- ses Vergnügen bereiten, in einem dieser Spiele eine, und sei es auch noch so kleine, Rolle zu spielen. Da 6. beide Spiele traditionell <mit harten Bandagen> gespielt Lebensspiele
  290. werden, bringt einen Profi nichts so stark aus der Fas- sung, als wenn ein Amateur-Opfer sich über den Aus- gang des Spiels lustig macht. In Finanzkreisen gilt eine solche Reaktion als vollkommen unmöglich. Aus den dem Autor bekannt gewordenen Fällen ergibt sich fol- gendes Bild: Lacht ein Gläubiger über einen Schuldner, wenn er ihm auf der Straße begegnet, dann ist das für diesen ebenso verblüffend, irritierend und frustrie- rend, als wenn man mit einem «Schlemihl»-Spieler «Anti-Schlemihl» spielt.
  291. 3. «Mach mich fertig» These. Dieses Spiel wird von Männern gespielt, die in Gesellschaft ein Verhalten an den Tag legen, als trügen sie ein Schild um den Hals mit der Aufschrift «Bitte, tut mir nichts zuleide!». Die Versuchung ist geradezu un- widerstehlich, und wenn sich die natürliche Folge ein- stellt, dann fängt Weiß an zu jammern. «Aber das Einladung Schild besagt doch: <Tut mir nichts zuleide>!» Ungläu- zum Angriff big fügt er noch hinzu: «Warum muss das ausgerech- net immer mir passieren?» («WAIM»). Vom klinischen Standpunkt aus lässt sich «WAIM» in verkappter Form in das < Psychiatrie)-Schema einbauen: «Immer wenn ich einer großen Belastung ausgesetzt bin, gerate ich ganz durcheinander.» Ein Spiel-Element in «WAIM» leitet sich aus inversem Stolz ab: «Meine Missgeschicke sind besser als deine.» Dieser Faktor spielt häufig bei Paranoiden eine wichtige Rolle. Werden die Menschen in der Umgebung des Spie- Ein lers durch Güte («Ich versuche nur, dir zu helfen»), So- Spiel-Brevier zial-Konventionen oder gesellschaftliche Spielregeln
  292. davon abgehalten, ihm etwas anzutun, dann steigert sich sein provokatorisches Verhalten so lange, bis er die gesetzten Grenzen überschreitet und die anderen dazu zwängt, gegen ihn vorzugehen. Solche Menschen werden von der Gesellschaft ausgestoßen, von den Frauen sitzen gelassen und von ihren Arbeitgebern entlassen. Ein korrespondierendes Spiel gibt es auch unter Frauen, und man kann es als «Lumpentante» bezeich- Die «Lumpen- nen. Diese Frauen geben sich häufig liebenswürdig, tante» achten aber recht pingelig darauf, äußerlich stets einen schäbigen Eindruck zu machen. Sie sorgen, aus <guten> Gründen, dafür, dass ihr Verdienst niemals wesentlich über das Existenzminimum hinausgeht. Kommen sie unerwartet zu Geld, dann finden sich immer unter- nehmungsfreudige junge Männer, die ihnen dabei be- hilflich sind, es wieder loszuwerden, indem sie ihnen wertlose Industrieaktien oder ähnliche Dinge andre- hen. Umgangssprachlich nennt man eine solche Frau «Mutters Freundin»; sie ist stets bereit, wohl gemeinte elterliche Ratschläge zu erteilen, und lebt ständig in ei- ner Art Ersatzbefriedigung, die sie aus den Erfahrun- gen und Erlebnissen anderer Menschen bezieht. Das «WAIM» dieser Frauen bleibt unausgesprochen, und nur ihr stetes tapferes Ringen mit den Realitäten deu- tet hin auf das «Warum muss das ausgerechnet immer mir passieren?». Einer interessanten Form von «WAIM» begegnen Unverdienter wir bei innerlich ausgeglichenen Menschen, die - oft Erfolg weit über ihre eigenen Erwartungen hinaus - Erfolg auf Erfolg häufen. Nimmt das «WAIM» hier die Form 6. an von «Womit habe ich das alles eigentlich verdient?», Lebensspiele
  293. dann kann es durchaus zu ernsten und konstruktiven Gedankengängen führen und, im besten Sinn des Wor- tes, zur Reifung der Persönlichkeit.
  294. 4- «Jetzt hab ich dich endlich, du Schweinehund!» («JEHIDES») These. Für sie gibt es ein geradezu klassisches Beispiel beim Pokerspiel. Weiß bekommt ein so genanntes tod- sicheres Blatt, z.B. vier Asse. Gehört er zu den « JF.HI- DES»-Spielern, dann ist er mehr an der Tatsache inter- essiert, dass ihm nun Schwarz auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, als daran, ein gutes Pokerspiel zu ma- chen oder Geld zu verdienen. Weiß musste in seinem Haus einige Installateur- arbeiten ausführen lassen; er besprach mit dem Instal- Der naive lateur sehr eingehend die anfallenden Kosten, bevor er Installateur ihn mit den Arbeiten beginnen ließ. Der Preis wurde fixiert, und man war sich darin einig, dass keine zu- sätzlichen Kosten entstehen würden. Als der Installa- teur dann seine Rechnung vorlegte, setzte er darin noch einige Dollar zusätzlich für ein Ventil an, dessen Anbringung ursprünglich nicht vorgesehen war - der Betrag belief sich auf etwa vier Dollar bei einer Ge- samtrechnung von 400 Dollar. Weiß wurde wütend, rief den Installateur an und forderte eine Erklärung. Dieser war jedoch nicht bereit, nachzugeben. Darauf- hin schrieb Weiß ihm einen längeren Brief, in dem er seine Integrität und sein Berufsethos anzweifelte und sich entschieden weigerte, die Rechnung zu begleichen, Ein bevor nicht die zusätzlichen Kosten gestrichen würden. Spiel-Brevier Am Ende gab der Installateur dann doch nach.
  295. Dass Weiß und der Installateur eine Art Spiel mit- einander spielten, war schon bald nach Beginn ihrer Transaktionen klar geworden. Im Verlauf ihrer Ausein- andersetzungen hatten sie wechselseitig ihre poten- zielle Reaktion ausgelotet. Der Installateur provozierte Weiß durch die Vorlage der erhöhten Rechnung. Da er Wut über vorher Weiß sein Wort gegeben hatte, war er eindeutig vier Dollar im Unrecht. Weiß fühlte sich nun berechtigt, seine na- hezu grenzenlose Wut an ihm auszulassen. Anstatt, entsprechend dem Standard des Erwachsenen-Ichs, den er sich zur Norm gemacht hatte, vernünftig zu ver- handeln und den Verdruss nur anzudeuten, nahm Weiß die Gelegenheit wahr, die gesamte Lebensauffas- sung des Installateurs zu kritisieren. Oberflächlich be- trachtet, handelte es sich hier um eine Transaktion von Erwachsenen-Ich zu Erwachsenen-Ich, um eine legi- time geschäftliche Auseinandersetzung über eine be- stimmte Geldsumme. Auf der psychologischen Ebene vollzog sich die Transaktion zwischen Eltern-Ich und Erwachsenen-Ich: Weiß nutzte seine zwar geringfügige, vom sozialen Standpunkt aus jedoch zu verteidigende Reklamation (Position!) dazu aus, um Jahre hindurch aufgestauten Wutgefühlen nun seinem betrügerischen Opponenten gegenüber freien Lauf zu lassen, wie das Aufgesparte wohl auch seine Mutter in einer ähnlichen Situation Wut getan haben würde. Er war sich rasch über die seinem Verhalten zugrunde liegende geistige Einstellung im Klaren («JEHIDES») und begriff auch, welch heim- liches Vergnügen ihm die Provokation des Installateurs bereitet hatte. Zugleich erinnerte er sich daran, dass er schon seit frühester Kindheit ähnliche Fälle von Unge- 6, rechtigkeit herbeigesehnt, sie mit Vergnügen genossen Lebensspiele
  296. und mit dem gleichen Nachdruck ausgebeutet hatte. Bei vielen von den Fällen, an die er sich erinnerte, war ihm der eigentliche provokatorische Anlass bereits ent- fallen, doch erinnerte er sich bis ins kleinste Detail an die darauf folgenden Auseinandersetzungen. Der In- stallateur spielte offensichtlich eine Variante des Spiels «Warum muss das ausgerechnet immer mir passie- ren?» («WAIM»). «JEHIDES» ist ein zweiseitiges Spiel, das man streng unterscheiden muss von «Ist es nicht schrecklich?» («INS»). Beim «INS»-Spiel sucht der agierende Urhe- Spiel- ber nach Ungerechtigkeiten, um sich darüber einem Varianten Dritten gegenüber beklagen zu können; es handelt sich hier also um ein dreiseitiges Spiel mit den Rollen: Ag- gressor, Opfer und Vertrauter. «INS» spielt man nach der Devise «Geteiltes Leid ist halbes Leid». Die Vertrau- ensperson ist gewöhnlich jemand, der selber «INS» spielt. Auch «WAIM» ist ein dreiseitiges Spiel, doch ver- sucht hier der agierende Urheber, seine Missgeschicke als einzigartig hinzustellen, und er ärgert sich über die <Konkurrenz> vonseiten anderer Leidensgenossen. «JE- HIDES» wird in dreiseitiger professioneller Form auch kommerziell ausgenutzt als so genanntes «Badger»- Spiel [Erpressung eines Mannes durch eine ihn kom- promittierende Frau], In mehr oder minder subtilen Formen kann es auch als zweiseitiges Ehespiel gespielt werden. Antithese. Die beste Antithese ist eine korrekte Verhal- tensweise. Die Struktur einer auf vertraglicher Basis Ein beruhenden Beziehung zu einem «JEHIDES»-Spieler Spiel-Brevier sollte gleich zu Beginn bis ins Detail klar festgelegt wer-
  297. den, und an diese Regelung sollte man sich nachher strikt halten. So muss zum Beispiel in der klinischen Praxis die Frage der Bezahlung für versäumte Konsul- Schutz vor tationen bzw. für Stornierungen gleich zu Beginn der «JEHIDES» Behandlung unmissverständlich geregelt werden, und es müssen zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, um Missverständnisse bei der Buchführung auszuschalten. Kommt es trotzdem zu einem unvor- hergesehenen Zwischenfall, dann besteht die Antithese, darin, zunächst ohne Diskussion in taktvoller Form nachzugeben, bis dann der Therapeut in der Lage ist, die Angelegenheit zu bereinigen. Im Alltagsleben muss man bei geschäftlichen Transaktionen mit «JEHIDES»- Spielern immer ein gewisses Risiko einkalkulieren. Der Ehefrau eines solchen Menschen gegenüber sollte man sich stets höflich und korrekt verhalten und auch die Andeutung eines Flirts, eines starken persönlichen In- teresses oder einer Kränkung vermeiden, besonders dann, wenn der Ehemann sich den Anschein gibt, als unterstütze er ein solches Verhalten. Analyse These: Jetzt hab ich dich endlich, du Schweinehund! Ziel: Rechtfertigung. Rollen: Opfer, Aggressor. Dynamik: Eifersuchts- bzw. Wutanfall. Beispiele: 1. Diesmal hab ich dich erwischt. 2. Eifer- süchtiger Ehemann. Sozial-Paradigma: Erwachsenen-Ich / Erwachsenen- Ich. Erwachsenen-Ich: «Was du getan hast, war nicht rich- 6. tig.» Lebensspiele
  298. Erwachsenen-Ich: «Jetzt, da du mich darauf aufmerk- sam machst, sehe ich es wohl ein.» Psychologisches Paradigma: Eltern-Ich / Kindheits- Ich. Eltern-Ich: «Ich habe dich die ganze Zeit beobachtet, und ich habe gehofft, du würdest dir etwas zuschulden kommen lassen.» Kindheits-Ich: «Diesmal hast du mich erwischt.» Eltern-Ich: «Und ob! Ich bin entschlossen, meine gan- ze Wut an dir auszulassen.» Einzelaktionen: 1. Provokation - Anschuldigung. 2. Verteidigung - Anschuldigung, 3. Verteidigung - Bestrafung. Nutzeffekte: 1. Innerlich psychologisch - Rechtferti- gung für einen Wutausbruch. 2. Äußerlich psycholo- gisch - Vermeidung einer Konfrontation mit eigenen Schwächen. 3. Innerlich sozial - Jetzt hab ich dich end- lich, du Schweinehund! 4. Äußerlich sozial - Die Leute sind immer darauf aus, einen zu erwischen. 5. Biolo- gisch - Austausch von aggressiven Bekundungen, ge- wöhnlich autoerotischer Natur. 6. Existenziell - Man kann den Leuten nicht trauen.
  299. 5. «Sieh bloß, was du angerichtet hast» («SIWADAH») These. In seiner klassischen Form ist dieses Spiel ein Ehespiel, und es beschwört meist einen <Mords-Ehe- krach> herauf; es kann aber auch zwischen Eltern und Kindern und am Arbeitsplatz gespielt werden. 1. «SIWADAH» ersten Grades: Weiß, der nicht sehr umgänglich ist, vertieft sich in eine Tätigkeit, die es
  300. ihm erlaubt, sich von den anderen Menschen abzuson- dern. Alles, was er sich im Augenblick wünscht, ist nur, dass man ihn in Ruhe lässt. Plötzlich stören ihn seine Kinder oder seine Frau: Sie wollen entweder gestrei- chelt werden oder stellen eine Frage wie z. B.: «Wo ist die große Kneifzange?» Diese plötzliche Unterbre- chung ist nun die <Ursache> dafür, dass er sich mit sei- nem Meißel oder Pinsel, seiner Schreibmaschine oder seinem Lötkolben irgendwie verhaspelt; wütend wen-, Wut über die det er sich gegen den Störenfried und schreit ihn an: Störung «Sieh bloß, was du da angerichtet hast!» Wiederholt sich ein solcher Vorgang im Laufe der Jahre immer wieder, dann neigt die Familie immer mehr dazu, ihn sich selbst zu überlassen, wenn er sich in irgendetwas vertieft hat. Natürlich ist nicht der Störenfried die ei- gentliche <Ursache> seines Missgeschicks, sondern sein eigener gereizter Zustand, aber im Grunde kommt ihm der Zwischenfall sehr gelegen, denn dieser liefert ihm einen günstigen Vorwand, um den Eindringling hin- auszuwerfen. Unglücklicherweise eignen sich Kinder dieses Spiel nur allzu leicht an, und es wird dann von Familien- Generation zu Generation weitergegeben. Die ihm zu- tradition grunde liegenden Befriedigungs- und Nutzeffekte las- sen sich noch deutlicher demonstrieren, wenn ein ver- führerisches Element mit hineinspielt. 2. «SIWADAH» zweiten Grades: Wird das Spiel («SI- WADAH») nicht nur gelegentlich als persönlicher Schutzwall benutzt, sondern dient als Ausgangsbasis für eine ganz bestimmte Lebensweise, dann heiratet z. B. Weiß eine Frau, die «Ich versuche nur, dir zu hel- fen» oder eine seiner Varianten spielt. Für ihn ist es 6. dann leicht, alle Entscheidungen ihr zu überlassen. Das Lebensspiele
  301. kann häufig unter dem Deckmantel von taktvoller Rücksichtnahme oder Ritterlichkeit geschehen. Er Rücksicht kann ihr z. B. höflich und rücksichtsvoll die Entschei- als Falle dung darüber überlassen, in welches Speiserestaurant oder in welches Kino man gehen soll. Verläuft alles nach Wunsch, dann hat er Grund zu guter Laune. Geht etwas schief, dann kann er sie dafür verantwortlich machen, indem er sagt oder zumindest andeutet: «Du hast mir das eingebrockt»; das ist eine einfache Varian- te von «SIWADAH». Er kann ihr auch die Verantwor- tung für die Erziehung der Kinder aufbürden, während er selbst sozusagen nur die vollziehende Gewalt aus- übt; klappt dann bei den Kindern nicht alles so, wie man sich das vorgestellt hatte, dann hat er einen guten Delegieren Anlass, «SIWADAH» zu spielen. Im Laufe der Jahre er- und rügen gibt sich daraus die Konsequenz, dass der Mutter die Schuld dafür in die Schuhe geschoben wird, wenn aus den Kindern nichts Ordentliches wird; «SIWADAH» ist in diesem Fall nicht mehr Selbstzweck, sondern es bie- tet nur eine vorübergehende Befriedigung auf dem Weg zum Spiel «Ich hab's dir ja gleich gesagt!». Der Profi-Spieler, der mit «SIWADAH» psycholo- gisch erfolgreich arbeitet, verwendet es auch an seinem «SIDWADAH» Arbeitsplatz. Bei dieser Variante tritt an die Stelle von im Betrieb Worten der leidende, ressentimentgeladene Gesichts- ausdruck. Der Spieler bittet als Ausdruck <demokrati- scher Gesinnung) oder <guter Menschenführung) die ihm unterstellten Mitarbeiter um Ratschläge und An- regungen. Auf diese Weise kann er sich eine unangreif- bare Ausgangsposition für die Terrorisierung seiner Ein jüngeren Mitarbeiter schaffen. Jedes Missgeschick, das Spiel-Brevier ihm selbst passiert, kann er als Waffe gegen sie verwen-
  302. den, indem er ihnen die Schuld dafür in die Schuhe schiebt. Verwendet man das Spiel gegenüber Vorgesetz- ten (indem man sie für die eigenen Irrtümer verant- wortlich macht), dann nimmt es selbstzerstörerische Formen an und kann zur Kündigung des Beschäfti- gungsverhältnisses oder, bei der Armee, zur Versetzung zu einer anderen Einheit führen. In diesem Fall wird es zu einer Komponente der Spiele «Warum muss das ausgerechnet immer mir passieren?» bzw. «letzt hat's mich wieder erwischt!» (beide gehören zur Gruppe der «Mach mich fertig»-Spiele). 3. «SIWADAH» dritten Grades: In dieser <harten> Form kann «SIWADAH» von Paranoiden gegenüber Leuten gespielt werden, die unvorsichtig genug sind, Die schlimme ihnen Ratschläge geben zu wollen (siehe «Ich versuche Variante nur, dir zu helfen»). Das kann sehr gefährlich sein und in einigen seltenen Fällen sogar tödliche Folgen haben. «Sieh bloß, was du angerichtet hast» («SIWADAH») und «Du hast mir das eingebrockt» («DUHME») ergän- zen einander vortrefflich, sodass man die Kombina- tion «SIWADAH» - «DUHME» als klassische Ausgangs- Die Ehe- basis für eine Art heimlichen Spiel-Kontrakt in vielen Variante Ehen betrachten kann. E)in derartiger Kontrakt lässt sich mit Hilfe der folgenden Begebenheit verdeut- lichen: In gegenseitigem Einvernehmen mit ihrem Mann verwaltete Frau Weiß die Familienkasse und beglich die anfallenden Rechnungen von ihrem gemeinsamen Scheckkonto, denn Herr Weiß kam mit Zahlen nicht sehr gut zurecht. Alle paar Monate erhielten sie eine Benachrichtigung, dass das Konto überzogen war, und Weiß musste das bei der Bank wieder in Ordnung
  303. bringen. Forschten sie beide gemeinsam nach der Ur- sache dieser <Panne>, dann stellte sich regelmäßig her- aus, dass Frau Weiß irgendeine kostspielige Anschaf- fung gemacht hatte, ohne ihren Mann davon in Die Problem Kenntnis zu setzen. Als das herauskam, machte Weiß wütend sein «DUHME»-Spiel, seine Frau entschuldigte sich unter Tränen und versprach, dass das nie wieder vorkommen werde. Für eine Weile ging danach alles gut, bis eines Tages plötzlich ein Gläubiger auftauchte, der die Bezahlung einer längst überfälligen Rechnung verlangte. Weiß hatte von dieser Rechnung noch nie et- was gehört und erkundigte sich bei seiner Frau. Dar- aufhin machte sie ihr «SIWADAH»-Spiel und schob ihm die Schuld in die Schuhe. Da er ihr verboten hatte, das gemeinsame Konto zu überziehen, bestand die ein- zige Möglichkeit, mit dem Geld auszukommen, für sie darin, diese große Rechnung unbezahlt zu lassen und die eintreffenden Zahlungsaufforderungen vor ihm zu verbergen. Während eines Zeitraums von zehn Jahren wieder- holte sich das Spielchen immer wieder, jedes Mal unter der Voraussetzung, dass es diesmal das letzte Mal sein und sich nun alles ändern würde - das geschah auch in der Tat, aber immer nur für wenige Monate. Bei der Therapeutische therapeutischen Behandlung analysierte Herr Weiß Lösung dieses Spiel sehr scharfsinnig und ohne jede Hilfe von- seiten des Therapeuten, und er schlug auch ein wirksa- mes Heilmittel vor. In gegenseitigem Einvernehmen ließen beide ihre sämtlichen Konten auf seinen Namen überschreiben. Frau Weiß verwaltete nach wie vor die Ein Haushaltskasse und schrieb die Schecks aus, doch kon- Spiel-Brevier trollierte Herr Weiß vorher die eingehenden Rechnun-
  304. gen und die ausgehenden Zahlungsanweisungen. Auf diese Weise konnte ihm weder eine Zahlungsaufforde- rung noch eine Überziehung des Kontos entgehen, und er entwarf gemeinsam mit seiner Frau das Haushalts- budget. Die Tatsache, dass sie sich nun der Befriedi- Praktische gungen und Nutzeffekte aus den Spielen «SIWADAH» Lösung und «DUHME» beraubt sah, brachte die Familie Weiß zunächst in einige Verlegenheit, doch war sie nun ge- zwungen, nach weniger verdeckten und mehr kon- struktiven Nutzeffekten zu suchen. Antithese. Die Antithese zu «SIWADAH» ersten Gra- des besteht darin, den Spieler sich selbst zu überlassen, die zu «SIWADAH» zweiten Grades darin, die Verant- wortung für eine Entscheidung wieder auf Weiß zu- rückzuübertragen. Wer das Spiel im ersten Grad spielt, mag so reagieren, dass er sich zwar verlassen vor- kommt, er wird aber selten zornig werden; wer das Spiel im zweiten Grad spielt, neigt im Allgemeinen zu Widerspenstigkeit, wenn man ihn dazu zwingt, die In- itiative zu ergreifen, sodass eine konsequente Anti-«SI- WADAH»-Einstellung zu unerfreulichen Folgen führt. Die Antithese zu «SIWADAH» dritten Grades sollte man kompetenten Fachleuten überlassen. Teil-Analyse Das Ziel dieses Spiels ist eine Rechtfertigung. In dyna- mischer Hinsicht könnte man das Spiel in seiner mil- Psychische deren Form mit einer vorzeitigen Ejakulation in Ver- Grundlagen bindung bringen, in seiner <harten> Form mit einem Wutanfall, der durch die Angst vor einer <Kastration> 6. ausgelöst wird. Kinder erlernen das Spiel verhältnis- Lebensspiele
  305. mäßig leicht. Der äußerliche psychologische Nutz- Der Nutzen effekt (Ausweichen gegenüber jeder Verantwortung) liegt auf der Hand; häufig wird das Spiel auch durch ein unmittelbar drohendes Intimerlebnis ausgelöst, denn der (berechtigte) Zornausbruch bietet einen gu- ten Vorwand, um sexuellen Beziehungen aus dem Wege zu gehen. Die existentielle Position wird gekenn- zeichnet durch die Formulierung «Mich trifft keine Schuld». Nachtrag Für ihre fortgesetzten Bemühungen bei der Untersu- chung des Spiels «Alkoholiker», für ihre Beiträge zur vorliegenden Erörterung und für ihre kritische Begut- achtung bin ich folgenden Damen und Herren zu Dank verpflichtet: Dr. Rodney Nurse und Mrs. Frances Matson vom Center for Treatment and Education on Alcoholism in Oakland, Kalifornien, Dr. Kenneth Everts, Dr. R. J. Starrels, Dr. Robert Goulding und allen anderen, die ein besonderes Interesse an diesem Pro- jekt bezeugt haben.
  306. EHESPIELE
  307. Nahezu jedes beliebige Spiel kann zu einer Art <Korsett> für das Ehe- und Familienleben werden, aber unter dem Schutz der staatlich konzessionierten Intim-Ge- meinschaft gedeihen einige Spiele besser, wie z.B. «Wenn du nicht wärst», oder sie werden länger tole- riert, wie z. B. «Frigide Frau». Zwischen den Ehespielen Grenze zu und den in einem gesonderten Kapitel behandelten Sexspielen Sexspielen lässt sich natürlich nur eine mehr oder we- niger willkürliche Trennungslinie ziehen. Zu den Spie- len, die charakteristischerweise im ehelichen Leben zu voller Blüte gedeihen, gehören «Zwickmühle», «Ge- richtssaal», «Frigide Frau» und «Frigider Mann», «Überlastet», «Wenn du nicht wärst», «Du siehst, ich gebe mir wirklich die größte Mühe» und «Schätzchen».
  308. T. « Z w i c k m ü h l e » These. Deutlicher als bei den meisten Spielen kommen bei «Zwickmühle» der manipulierbare Aspekt der Spiele und ihre Funktion als Intimitäts-Barriere zum Ausdruck. Paradoxerweise besteht es gerade aus einer unaufrichtigen Weigerung, das Spiel eines anderen Partners mitzuspielen. 1. Frau Weiß schlägt ihrem Mann vor, gemeinsam 7. ins Kino zu gehen. Weiß stimmt zu. Ehespiele
  309. 2. a) Frau Weiß unterläuft ein <unbewusster> Lapsus. Sie erwähnt im Laufe der Unterhaltung ganz nebenbei, dass das Haus neu gestrichen werden müsse. Das ist ein kostspieliges Unterfangen, und ihr Mann hatte sie erst Der Anlass. unlängst darauf hingewiesen, dass seine finanzielle Lage recht angespannt sei; er hatte sie gebeten, ihn zu- mindest nicht vor Beginn des nächsten Monats mit unnötigen und ungewöhnlichen Anschaffungsvor- schlägen zu belästigen. Es ist jetzt also ein absolut ungeeigneter Moment, um Reparaturen am Haus vor- zuschlagen, und Weiß reagiert darauf auch ausgespro- ... und die chen unfreundlich. Reaktionen 2. b) Alternative: Weiß kommt im Laufe der Unter- haltung absichtlich auf das Haus zu sprechen, und seine Frau kann nur schwer der Versuchung widerste- hen, zu sagen, das Haus müsse neu gestrichen werden. Auch in diesem Fall reagiert ihr Mann ausgesprochen unfreundlich. 3. Frau Weiß fühlt sich beleidigt und sagt, wenn er einen Anfall von schlechter Laune habe, dann würde Konsequenzen sie ihn nicht ins Kino begleiten, und er solle am besten allein gehen. Er antwortet darauf, wenn sie das so ha- ben wolle, dann werde er tatsächlich allein gehen. 4. Weiß geht ins Kino (oder mit seinen Freunden aus), seine Frau spielt die Gekränkte und bleibt allein daheim. Bei diesem Spiel sind zwei verschiedene Pointen möglich: a) Frau Weiß weiß aus Erfahrung sehr wohl, dass sie sein Aufbrausen nicht allzu ernst nehmen sollte. Was Ein er in Wirklichkeit von ihr erwartet, ist, dass sie einige Spiel-Brevier anerkennende Bemerkungen darüber macht, dass er
  310. intensiv für ihren gemeinsamen Lebensunterhalt ar- beitet; täte sie das, dann könnten sie jetzt zusammen Pointe 7 ins Kino gehen. Aber sie weigert sich mitzuspielen, und er fühlt sich arg im Stich gelassen. Er verlässt, das Haus enttäuscht und verbittert, sie bleibt allein daheim, scheinbar gekränkt, nährt aber heimlich das Gefühl, triumphiert zu haben. b) Weiß weiß aus Erfahrung sehr wohl, dass er ihre Verstimmung nicht allzu ernst nehmen sollte. Was sie in Wirklichkeit von ihm erwartet, ist, dass er sie ein bisschen umschmeichelt und begütigend auf sie ein- wirkt; täte er das, dann könnten sie jetzt zusammen ins Kino gehen. Aber er weigert sich mitzuspielen, obwohl Pointe 2 er weiß, dass seine Weigerung nicht aufrichtig ist: Er weiß sehr wohl, dass sie umschmeichelt und begütigt werden will, aber er tut so, als wüsste er's nicht. Er ver- lässt das Haus mit einer Miene, als sei ihm Unrecht geschehen, aber innerlich fühlt er sich froh und er- leichtert. Sie dagegen bleibt enttäuscht und verbittert daheim zurück. Ganz unbefangen betrachtet, ist in beiden Fällen die Position des jeweiligen Siegers in dem Spiel unangreif- bar; was er bzw. sie getan hat, bestand einfach darin, den anderen wörtlich zu nehmen. Das zeigt sich noch deut- licher im Fall b), wo Weiß die Weigerung seiner Frau, mit ihm zu gehen, für bare Münze nimmt. Beide wissen sehr wohl, dass das in Wirklichkeit nicht zutrifft, aber sie hat es gesagt und sitzt jetzt in der Zwickmühle. Der am meisten ins Auge fallende Nutzeffekt ist hier Der Nutzen der äußerlich psychologische. Beide betrachten Kino- besuche als eine Art sexuelles Stimulans und sind sich 7. mehr oder minder darüber im Klaren, dass sie nach der Ehespiele
  311. Heimkehr aus dem Kino intime Beziehungen mitein- ander haben werden. Wer von ihnen beiden also ein Intimerlebnis vermeiden will, bringt das Spiel mit Ak- Abwehr von tion 2. a) bzw. 2. b) in Gang. Es handelt sich hier um Intimität eine besonders scharfe Variante des Spiels «Tumult» (s. Kap. 9, Nr. 5). Der Partner, der sich verletzt fühlt, hat natürlich einen guten Grund, intime Beziehungen im Zustand gerechtfertigter Entrüstung abzulehnen, und dem Partner, der in die Zwickmühle geraten ist, bleibt nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden. Antithese. Diese ist für Frau Weiß verhältnismäßig einfach. Sie braucht nur ihre Meinung zu ändern, ihren Gatten beim Arm zu nehmen, versöhnlich zu lächeln und dann mit ihm auszugehen (eine Umschaltung vom <Kindheits-Ich>- auf den <Erwachsenen-Ich>-Zu- stand). Für Weiß selbst ist die Situation etwas schwie- riger, da seine Frau ja die Initiative hat; überdenkt er jedoch die ganze Sachlage nochmals, dann gelingt es ihm vielleicht, sie mit einigen Schmeicheleien dazu zu überreden, ihn zu begleiten, und zwar entweder wie ein schmollendes Kind, das man gerade besänftigt hat, oder, besser noch, wie es sich für einen richtigen er- wachsenen Menschen gehört. In etwas veränderter Form findet man «Zwickmüh- Double-bind- le» als Familien-Spiel, an dem auch die Kinder mitbe- Spiel teiligt sind; in dieser Form ähnelt es dem von Bateson und seinen Mitarbeitern beschriebenen <Dilemma>- Spiel (double-hindy. Hierbei gerät das Kind so in die Zwickmühle, dass alles, was es dann tut, falsch ist. Nach Ein Auffassung der Bateson-Schule könnte dieser Umstand Spiel-Brevier ein wichtiger ätiologischer Faktor für die Schizophre-
  312. nie sein. In der von uns hier benutzten Terminologie könnte man also bei Kindern die Schizophrenie ge- wissermaßen als Antithese zum Spiel «Zwickmühle» bezeichnen. Die Erfahrungen, die man bei der Behand- Schizophrenie lung schizophrener Erwachsener mit Hilfe der Spiel- als Schutz Analyse gemacht hat, bestätigt diese Annahme - d. h., wenn man das Familien-Spiel «Zwickmühle» analy- siert, um zu demonstrieren, dass die Partner das schi- zophrene Verhalten gerade deswegen an den Tag gelegt haben, um dem Spiel entgegenzuwirken, dann tritt bei hinreichend vorbereiteten Patienten ein teilweises oder sogar völliges Nachlassen der Krankheitserscheinun- gen ein. Einer Alltagsversion des Spiels «Zwickmühle», die von der ganzen Familie gespielt wird und die höchst- wahrscheinlich einen ungünstigen Einfluss auf die «Zwickmühle» charakterliche Entwicklung der heranwachsenden im Alltag Kinder hat, begegnen wir bei stark von ihrem Eltern- Ich bestimmten Eltern, die die Sucht haben, sich dau- ernd in alles einzumischen. Die heranwachsenden Kin- der werden von den Eltern angehalten, sich im Haushalt nützlich zu machen; befolgen sie den Rat, dann mäkeln die Eltern an dem, was sie dann tun, fort- gesetzt herum - ein Schulbeispiel für die Devise: «Der Teufel hol dich, wenn du's tust, und der Teufel hol dich, wenn du's nicht tust.» Als ätiologischer Faktor wirkt «Zwickmühle» «Zwickmühle» manchmal auch bei asthmatischen Kindern. und Asthma Kleines Mädchen: «Mami, liebst du mich?» Mutter: «Was ist das, Liebe?» Diese Antwort ist für das Kind unbefriedigend und 7. macht es hilflos. Es möchte über die Mutter sprechen, Ehespiele
  313. die Mutter aber wechselt das Thema und spricht über Philosophie: Damit weiß das kleine Mädchen nichts anzufangen. Sein Atem wird schwer, die Mutter ist plötzlich irritiert, beim Kind setzt ein Asthma-Anfall ein, die Mutter sagt, es tut ihr Leid, und so nimmt das «Asthma»-Spiel seinen Lauf. Für diese «Asthma»-Vari- ante des «Zwickmühle»-Spiels stehen eingehendere Untersuchungen noch aus. Die elegante Einer eleganteren Variante von «Zwickmühle», die «Zwickmühle» man als «Russell-Whitehead-Variante» bezeichnen kann, begegnet man gelegentlich in Therapie-Gruppen. Schwarz: «Nun, wenn keiner was sagt, dann werden wenigstens auch keine Spiele gespielt.» Weiß: «Das Schweigen kann ja selbst auch ein Spiel sein.» Rot: «Heute hat hier niemand gespielt.» Weiß: «Aber an sich kann ja nicht zu spielen auch eine Art Spiel sein.» Die therapeutische Antithese ist nicht weniger ele- gant. Logische Paradoxa werden einfach untersagt. Be- raubt man Weiß derartiger taktischer Manöver, dann rücken bei ihm rasch die zugrunde liegenden Angst- Komplexe in den Vordergrund. Einerseits eng verwandt mit «Zwickmühle», ande- Verwandtes rerseits aber auch mit «Lumpentante» ist das Ehespiel Spiel «Limc/z-Paket». Der Ehemann, der es sich sehr wohl leisten könnte, mittags in einem guten Restaurant zu essen, macht sich trotzdem jeden Morgen ein paar be- legte Brote und nimmt sie dann in einem Papierbeutel in sein Büro mit. Auf diese Weise findet er eine nütz- Ein liche Verwendung für die Brot- und Wurst-Reste vom Spiel-Brevier Abendessen und für die Papierbeutel, die die Frau im-
  314. mer für ihn aufhebt. Damit stärkt er seine Position bei der Verwaltung der Familien-Finanzen, denn welche Frau würde es angesichts solch selbstloser Opferbereit- schaft schon riskieren, sich eine Nerzstola anzuschaf- fen. Der Ehemann erzielt mit seinem Verhalten auch eine Reihe anderer Nutzeffekte, so hat er z. B. das Privi- Nutzeffekte leg, in der Mittagspause sein Essen ungestört allein einnehmen zu können und danach noch liegen geblie- bene Arbeiten vom Vormittag zu erledigen! Hier han- delt es sich in vieler Hinsicht um ein konstruktives Spiel, das sicherlich den Beifall Benjamin Franklins ge- funden hätte, denn es fördert die Tugenden der Spar- samkeit, der intensiven Arbeit und der Pünktlichkeit.
  315. 2. « G e r i c h t s s a a l » These. Seiner Beschreibung nach gehört dieses Spiel in die Gruppe derjenigen Spiele, bei deren Definition man am besten Ausdrücke aus dem Bereich der Recht- sprechung verwenden kann; dazu zählen: «Holzbein» (Plädoyer für geistige Unzurechnungsfähigkeit bzw. körperliche Unzulänglichkeit) und «Schuldner» (Zivil- klage). In klinischer Form findet man es meistens bei Therapie als Eheberatern und psychotherapeutischen Ehe-Grup- Spiel-Raum pen. In der Tat bestehen eine ganze Anzahl von Ehe- Bcratungs- und Therapie-Gruppen aus einer ständi- gen Wiederholung des Spiels «Gerichtssaal»: Zu einer Lösung kommt es nicht, denn das Spiel wird praktisch niemals endgültig abgebrochen. Bei derartigen Fällen wird ohne weiteres ersichtlich, dass der Berater bzw. Therapeut selbst stark in das Spiel mit verwickelt ist, 7. ohne dass er sich jedoch dessen bewusst wird. Ehespiele
  316. Am Spiel «Gerichtssaal» kann sich eine beliebige An- zahl von Mitspielern beteiligen, doch ist es im Prinzip dreiseitig: mit den Rollen des Klägers, des Beklagten und des Richters; sie werden dargestellt vom Ehemann, seiner Frau und dem Therapeuten. Vollzieht sich das Spiel in einer Therapie-Gruppe, im Rundfunk oder im Fernsehen, dann übernehmen die übrigen Anwesen- Ablauf des den die Rolle der Jury. Der Ehemann fängt an, sich zu Spiels beldagen: «Jetzt will ich euch mal erzählen, was ... [Name der Ehefrau] gestern angestellt hat. Sie nimmt ...» etc. etc. Die Ehefrau beginnt nun, sich zu verteidigen: «Jetzt will ich euch mal sagen, wie das wirklich zugegangen ist ...; und außerdem hat er ge- rade vorher ...; und im Übrigen waren wir zu dieser Zeit beide ...» etc. Daraufhin sagt der Ehemann mit ei- nem Anflug von Ritterlichkeit: «Nun gut, ich bin froh, dass ihr die Möglichkeit hattet, euch beide Seiten anzuhören, ich möchte absolut fair sein.» In diesem Augenblick greift der Therapeut mit abwägenden Be- merkungen ein: «Wenn man berücksichtigt, dass ... dann scheint mir ...» etc. etc. Ist eine Zuhörer-Gruppe anwesend, dann kann er sich jetzt an sie wenden und vorschlagen: «So, jetzt wollen wir mal hören, was die anderen dazu zu sagen haben.» Handelt es sich dabei um eine bereits geschulte Gruppe, dann kann sie ohne weitere Anweisungen vonseiten des Therapeuten die Rolle der Jury übernehmen. Antithese. Der Therapeut sagt zum Ehemann: «Sie sind absolut im Recht!» Gibt sich daraufhin der Ehe- Ein mann selbstzufrieden oder triumphierend, dann fragt Spiel-Brevier ihn der Therapeut: «Wie fühlen Sie sich jetzt, nachdem
  317. Sie mein Urteil gehört haben?» - «Ausgezeichnet», ant- wortet der Ehemann. Nun sagt ihm der Therapeut: «Eigentlich glaube ich nämlich, dass Sie im Unrecht sind.» Ist der Ehemann aufrichtig, dann müsste er jetzt Therapeu- sagen: «Das hab ich schon die ganze Zeit über ge- tische List wusst.» Ist er es nicht, dann wird man an seiner Reak- tion deutlich erkennen, dass hier ein Spiel im Gange ist. Es ist nun möglich, die Angelegenheit eingehender zu untersuchen. Das Spiel-Element liegt in der Tatsa-, che, dass der Kläger zwar nach außen hin seinen <Sieg> bescheinigt haben will, im Grunde aber selbst davon überzeugt ist, dass er Unrecht hat. Sobald in ausreichendem Maß klinisches Material zur Klärung der Situation vorliegt, kann das Spiel durch ein taktisches Manöver unterbunden werden, das in der gesamten Kunst der Antithese zu den elegantesten zählt. Das elegante Der Therapeut stellt eine Regel auf, mit der der (gram- Manöver matische) Gebrauch der dritten Person innerhalb der Gruppe verboten wird. Von nun an können die einzel- nen Mitglieder der Gruppe einander nur noch direkt mit <Du> (bzw. <Sie>) apostrophieren oder über sich selbst in der Ich-Form berichten, aber sie dürfen nicht mehr sagen: «Jetzt will ich euch mal über ihn (bzw . über 7
  318. sie) berichten.» Das Ehepaar hört nun entweder gänz- lich damit auf, innerhalb der Gruppe seine Spiele zu spielen, oder es weicht aus auf das Spiel «Schätzchen», das eine gewisse Verbesserung gegenüber dem vorher- gehenden bedeutet, oder aber es geht über zum Spiel «Außerdem ...», und in diesem Fall wird die ganze Sa- che sinnlos. Das Spiel «Schätzchen» wird in einem an- deren Abschnitt dieses Kapitels (Nr. 7) beschrieben. Im 7. Spiel «Außerdem ...» bringt der Kläger eine Anschuldi- Ehespiele
  319. gung nach der anderen vor. Der beklagte Partner ant- wortet auf jede einzelne: «Das kann ich leicht aufklä- ren.» Der Kläger schenkt jedoch diesen (Erklärungen) nicht die geringste Beachtung, sondern er bringt, sobald der Beldagte zu reden aufgehört hat, sofort mit einem Die erneuten <Außerdem> seine nächste Anschuldigung vor, Verschärfung: der dann wieder eine weitere <Erklärung> folgt - es han- «Außerdem» delt sich hier um eine typische Transaktion zwischen Eltern-Ich und Kindheits-Ich. Am intensivsten wird «Außerdem ...» von Parano- iden in der Rolle des Beklagten gespielt. Gerade weil sie alles allzu wörtlich auslegen, ist es für sie besonders leicht, die Anklagen von Leuten zu parieren, die ihre Anschuldigungen in humorvoller oder metaphorischer Form vorbringen. Ganz allgemein sind beim Spiel «Au- ßerdem ...» Metaphern diejenigen Fallstricke, denen man in erster Linie zu entgehen versuchen sollte. In seiner üblichen Form findet man «Gerichtssaal» als dreiseitiges Spiel häufig bei Kindern; es spielt sich dann zwischen zwei Geschwistern und einem Eltern- teil ab. «Mutti, sie hat mir meine <Gut.tis> weggenom- men.» - «Ja, aber er hat mir meine Puppe weggenom- men, und vorher hat er mich auch noch gehauen, und wir haben sowieso ausgemacht, dass wir uns die <Gut- tis> teilen wollen.» Analyse These: Man muss mir bestätigen, dass ich im Recht bin. Ziel: Ermutigung. Ein Rollen: Kläger, Beklagter, Richter (und/oder Jury). Spiel-Brevier Dynamik: Rivalität zwischen Geschwistern.
  320. Beispiele: 1. Kinder streiten sich, ein Elternteil schrei- tet ein. 2. Ein Ehepaar sucht Rat und Hilfe. Sozial-Paradigma: Erwachsenen-Ich / Erwachsenen- Ich. Erwachsenen-Ich: «Das hat sie mir angetan.» Erwachsenen-Ich: «So sieht die Sache in Wirklichkeit aus.» Psychologisches Paradigma: Kindheits-Ich / Eltern- Ich. Kindheits-Ich: «Sag, dass ich Recht habe.» Eltern-Ich: «Er hat Recht», oder: «Ihr habt beide Recht.» Einzelaktionen: 1. Vorbringen der Anklage - Vorbrin- gen der Verteidigung. 2. Widerlegung, Eingeständnis oder versöhnliche Geste des Klägers. 3. Entscheidung des Richters oder Instruktionen für die Jury. 4. Das abschließende Urteil wird gefällt. Nutzeffekte: 1. Innerlich psychologisch - Übertra- gung von Schuldgefühlen. 2. Äußerlich psycholo- gisch - Befreiung von Schuldgefühlen. 3. Innerlich sozial - «Schätzchen», «Außerdem ...», «Tumult» und andere Spiele. 4. Äußerlich sozial - «Gerichtssaal». 5. Biologisch - Anerkennung (Streichel-Einheiten) vonseiten des Richters und der Jury. 6. Existenziell - Depressive Position; ich bekomme niemals Recht.
  321. 3. «Frigide Frau» These. Hier handelt es sich nahezu immer um ein Ehe- spiel, denn es ist kaum vorstellbar, dass eine informelle Liaison über einen ausreichenden Zeitraum hin die er- forderlichen Möglichkeiten und Privilegien bieten
  322. würde oder dass eine solche Liaison trotz dieses Spiels weiter bestehen bliebe. Der Ehemann macht zärtliche Annäherungsver- suche bei seiner Frau und wird von ihr abgewiesen. Als er diese unzweideutigen Annäherungsversuche wieder- holt, wirft ihm seine Frau vor, alle Männer benähmen sich wie die Tiere, er liebe sie in Wirklichkeit gar nicht, zumindest nicht um ihrer selbst willen, und er sei aus- schließlich am <Sex> interessiert. Für eine Weile hält er sich zurück, dann nimmt er seine Annäherungsver- Der frustrierte suche wieder auf - mit dem gleichen Resultat. Schließ- Ehemann lich resigniert er und unterlässt weitere Versuche. Wochen und Monate verstreichen, und die Frau gibt sich in zunehmendem Maß zwanglos und manchmal recht vergesslich. Sie geht in halb bekleidetem Zustand durch das Schlafzimmer oder vergisst, wenn sie ein Bad nimmt, sich vorher ein sauberes Handtuch zu- rechtzulegen, sodass er es ihr dann bringen muss. Spielt sie das Spiel in scharfer Form oder ist sie eine starke Trinkerin, dann lässt sie sich bei Partys auf ldeine Flirts mit fremden Männern ein. Nach einer ge- wissen Zeit reagiert der Mann schließlich auf dieses provokative Verhalten und unternimmt erneute Annä- herungsversuche bei seiner Frau. Nach einer erneuten Abweisung kommt es zu dem Spiel «Tumult», bei dem Turbulentes ihr beiderseitiges Verhalten, andere Ehepaare, ihre Ver- Ende wandten, ihre Finanzen und ihre eigenen Schwächen zur Sprache kommen; den Abschluss bildet das Zu- knallen einer Tür. Diesmal kommt der Ehemann zu dem Schluss, dass er mit ihr fertig ist und dass sie nun zu einem sex-losen modus vivendi finden müssen. Monate vergehen. Die
  323. Parade im Négligé und das Manöver mit dem verges- senen Handtuch lassen ihn kalt. Die Frau gibt sich her- ausfordernd zwanglos und lässig, doch er widersteht. Eines Abends schließlich beginnt sie ihn mit Zärtlich- Einladung keiten und Küssen zu traktieren. Zunächst hält er sei- zum Sex... nen Entschluss aufrecht und zeigt keine Reaktion, aber nach der langen <Durststrecke> nimmt die Natur dann doch ihren Lauf, und er glaubt, jetzt habe er es ge- schafft. Die ersten, noch zaghaften Annäherungsver- suche werden nicht zurückgewiesen und machen ihn kühner und aggressiver. Aber im entscheidenden Au- genblick schreckt dann die Frau doch zurück und schreit: «Siehst du, was hab ich dir gesagt! Alle Männer benehmen sich wie die Tiere. Ich wollte nur zärtliche Zuneigung, aber du bist ja nur an Sex interessiert!» Bei ... und dem nun folgenden Spiel «Tumult» entfallen dann ge- Abbruch wöhnlich die ersten vorbereitenden Phasen, und es tre- ten gleich die finanziellen Probleme in den Mittel- punkt. Man muss hier festhalten, dass der Mann, trotz sei- nes gegenteiligen Verhaltens, sich im Grunde vor sexu- ellen Intimitäten ebenso fürchtet wie seine Frau, und Angst vor Sex er hat seine Gefährtin sorgfältig unter dem Gesichts- punkt ausgesucht, die Gefahr einer Überschätzung sei- ner leicht lädierten Potenzkraft, die er nun ihr anlasten kann, so gering wie möglich zu halten. In seiner Alltagsform wird dieses Spiel auch von un- verheirateten Damen aller Altersklassen gespielt, und es bringt ihnen meist nach kurzer Zeit ein allgemein bekanntes Slang-Epitheton ein. Bei ihnen verschmilzt es häufig mit dem Entrüstungs-Spiel «HIVE» (s. Kap. 9, Nr. 3).
  324. Antithese. Das hier besprochene Spiel ist durchaus ge- fährlich, und die möglichen Antithesen sind es nicht minder. Sich eine Geliebte zu nehmen bedeutet ein ge- wisses Risiko. Angesichts der animierenden Konkurrenz Affären ist es durchaus möglich, dass die Frau ihr Spiel aufgibt helfen nicht und nun versucht, ein normales Ehelebcn zu führen, auch wenn es dazu jetzt vielleicht zu spät ist. Anderer- seits kann sie aber auch, besonders mit Hilfe eines An- walts, die Affäre ihres Mannes zu seinem Nachteil aus- werten, und zwar in einem Spiel «Jetzt hab ich dich endlich, du Schweinehund!». Das Resultat ist gleicher- maßen ungewiss, wenn der Mann sich in therapeutische Behandlung begibt, seine Frau dagegen nicht. Es kann sein, dass die Frau ihr Spiel fallen lässt, wenn der Mann durch die Behandlung in seiner Position gestärkt wird, und das führt dann zu einem vernünftigen Arrange- ment. Ist die Frau jedoch eine gewiegte Spielerin, dann kann die Besserung beim Mann schließlich zur Schei- Die Lösung dung führen. Die bestmögliche Lösung für beide Teile ist die, dass sie sich einer transaktionellen Ehe-Gruppe anschließen, in der sich die dem Spiel zugrunde liegen- den Nutzeffekte und der fundamentale sexualpatholo- gische Befund bloßlegen lassen. Dieser vorbereitende Schritt kann dazu führen, dass sich nun beide Ehepart- ner an einer intensiven individuellen Psychotherapie interessiert zeigen, die eine Art psychologischer Wieder- heirat bewirken kann. Aber auch wenn das nicht der Fall ist, sind für beide Teile die Chancen für ein vernünftige- res Arrangement ihrer wechselseitigen Beziehungen zu- mindest besser, als das sonst der Fall gewesen wäre. Eine dezente Antithese zum Spiel «Frigide Frau» be- steht darin, dass man sich einfach anderen gesellschaft-
  325. liehen Umgang sucht. Einige der raffinierteren bzw. brutaleren Antithesen haben ausgesprochen korrup- ten, wenn nicht gar kriminellen Charakter. Verwandte Spiele. Das umgekehrte Spiel «Frigider Mann» ist weniger verbreitet, aber, wenn es vorkommt, nimmt es im Allgemeinen den gleichen Verlauf, bis auf geringfügige Veränderungen im Detail. Das Resultat hängt von dem persönlichen Verhalten der beteiligten Partner ab. ' Der entscheidende Punkt beim Spiel «Frigide Frau» ist die Schlussphase von «Tumult». Ist diese erst einmal Schlussphase abgelaufen, dann kommt für die Beteiligten ein sexuel- «Tumult» les Intimerlebnis nicht mehr in Frage, denn beide Part- ner leiten aus dem Spiel «Tumult» eine perverse Befrie- digung ab und haben danach nicht mehr das Bedürfnis nach wechselseitiger sexueller Erregung. Daher besteht der wichtigste Faktor bei der Bekämpfung des Spiels «Frigide Frau» darin, das «Tumult»-Spiel zu unterbin- den. Die Frau bleibt auf diese Weise in einem Zustand sexueller Unbefriedigtheit zurück, der so akute Form annehmen kann, dass sie sich bald entgegenkommen- der gibt. Die Rolle, die <Tumult> bei «Frigide Frau» spielt, unterscheidet dieses Spiel von «Schlag mich, Papi», bei dem «Tumult» zu den Präliminarien gehört; «Tumult» im Spiel «Frigide Frau» ist der <Tumult> ein unmittel- und Sex barer Ersatz für den Geschlechtsakt selbst. Beim Spiel «Schlag mich, Papi» ist der <Tumult> eine Voraussetzung für den eigentlichen Geschlechtsakt, eine Art Fetisch, der die Erregung steigert, bei «Frigide Frau» ist die Epi- sode beendet, sobald der <Tumult> stattgefunden hat. Eine frühe Analogie zum Spiel «Frigide Frau» findet
  326. Ein man in Dickens' Roman <Großc Erwartungen'; hier literarisches wird es von einem preziösen kleinen Mädchen gespielt. Vorbild Es kommt in seinem frisch gestärkten Kleidchen aus dem Haus und bittet einen kleinen Jungen, ihm einen Kuchen aus dem feuchten Sand zu backen. Hinterher macht sich das Mädchen über seine schmutzigen Hände und seinen beschmierten Anzug lustig und zeigt ihm, wie sauber es selbst ist.
  327. Analyse These: Jetzt hab ich dich endlich, du Schweinehund! Ziel: Rechtfertigung. Rollen: Anständige Frau, rücksichtsloser Ehemann. Dynamik: Penis-Neid. Beispiele: 1. Danke für den feuchten Sandkuchen, du dreckiger kleiner Junge du. 2. Aufreizende, dabei frigide Ehefrau. Sozial-Paradigma: Eltern-Ich / Kindheits-Ich. Eltern-Ich: «Du darfst mir einen feuchten Sandkuchen machen [mich küssen].» Kindheits-Ich: «Liebend gern.» Eltern-Ich: «Sieh bloß, wie schmutzig du jetzt bist.» Psychologisches Paradigma: Kindheits-Ich / Eltern- Ich. Kindheits-Ich: «Versuch mal, ob du mich verführen kannst.» Eltern-Ich: «Ich will's versuchen, aber du musst Wider- stand leisten.» Kindheits-Ich: «Siehst du, du hast mit allem angefan- gen.» Einzelaktionen: 1. Verführung - Reaktion. 2. Abfuhr -
  328. Resignation. 3. Provokation - Reaktion. 4. Abfuhr - < Tumult). Nutzeffekte: 1. Innerlich psychologisch - Freiheit von Schuldgefühlen wegen sadistischer Phantasien. 2. Äu- ßerlich psychologisch - Vermeidung einer befürchte- ten Exhibition und Penetration. 3. Innerlich sozial - <Tumult>. 4. Äußerlich sozial - Was fängt man mit schmutzigen ldeinen Jungen (Ehemännern) an? 5. Bio- logisch - Inhibierte Sex-Präliminarien und Austausch von aggressiven Bekundungen. 6. Existenziell - Ich bin makellos.
  329. 4- «Überlastet» These. Dieses Spiel wird vorzugsweise von arbeitsmä- ßig überlasteten Hausfrauen gespielt. Von ihnen ver- langt man, dass sie in zehn oder zwölf verschiedenen Beschäftigungsarten gleich tüchtig sind oder, anders ausgedrückt, dass sie zehn oder zwölf verschiedene Rollen mit gleicher Anmut ausfüllen. Von Zeit zu Zeit erscheinen in den Sonntagsbeilagen der Tageszeitun- Das gen in halb scherzhafter Form Listen, in denen diese «Hausfrauen- Beschäftigungen bzw. Rollen aufgeführt sind: Geliebte, Knie» Mutter, Krankenschwester, Hausmädchen etc. Da die- se Rollen miteinander kollidieren und überdies recht anstrengend sind, führt ihre Aufbürdung im Laufe der Jahre bei der Frau zu einem Zustand, der symbolisch unter dem Namen <Hausfrauen-Knie> bekannt ist (das Knie braucht man beim Kinderwiegen, Schrubben, Heben, Autofahren usw.) und dessen Symptome sich kurz und bündig in der Klage «Ich bin abgespannt» zu- 7. sammenfassen lassen. Ehespiele
  330. Kann die Frau ihr Arbeitstempo selbst bestimmen und in der Liebe zu ihrem Gatten und zu ihren Kin- dern eine ausreichende Befriedigung finden, dann wird sie die 25 }ahre, in denen sie alle Rollen ausfüllen muss, nicht nur abdienen, sondern freudig auf sich nehmen, Das und wenn sie ihr jüngstes Kind zum Besuch einer Uni- Hausfrauen- versität in die Fremde gehen lässt, dann wird sie die Dilemma plötzliche Einsamkeit schmerzlich empfinden. Wird sie aber einerseits von ihrem Eltern-Ich angetrieben und von dem kritischen Ehemann, den sie sich zu diesem Zweck ausgesucht hat, fortgesetzt zur Rechenschaft ge- zogen, und ist sie andererseits nicht in der Lage, in der Liebe zu ihrer Familie eine hinreichende Erfüllung zu finden, dann wird sie allmählich immer unglücklicher werden. Zunächst mag sie versuchen, sich mit den Nutzeffekten aus den Spielen «Wenn du nicht wärst» und «Makel» (s. Kap. 8, Nr. 2) zu trösten (tatsächlich greift jede Hausfrau auf diese Spiele zurück, wenn die «Überlastet» Situation zusehends unerfreulicher wird); aber schon als Lösung nach kurzer Zeit gibt ihr das keinen Auftrieb mehr. Sie muss also nach einem anderen Ausweg suchen, und den findet sie in dem Spiel «Überlastet». Die für dieses Spiel geltende These ist recht einfach. Die Hausfrau erledigt nicht nur die anfallenden Aufga- ben, sondern bürdet sich noch zusätzliche Belastungen auf. Sie akzeptiert die Kritik ihres Gatten und erfüllt sämtliche Wünsche ihrer Kinder. Erwartet sie Gäste zum Abendessen, dann fühlt sie nicht nur die Ver- pflichtung, die Funktionen als Gesprächspartnerin, als Beschließerin und Personalchefm, als Innendekorateu- Ein rin, als Proviantmeisterin, als Reklameschönheit, als Spiel-Brevier jungfräuliche Königin und als Diplomatin auf gleich
  331. perfekte Weise zu erfüllen; sie erklärt sich auch noch freiwillig bereit, am Vormittag des gleichen Tages einen Kuchen zu backen und die Kinder zum Zahnarzt zu begleiten. Fühlt sie sich bereits abgespannt, dann ge- staltet sie den Tagesablauf noch aufreibender. Ver- ständlicherweise bricht sie dann am Nachmittag plötz- Der lich zusammen, und alles bleibt liegen. Sie lässt Zusammen- bruch praktisch ihren Mann, ihre Kinder und ihre Gäste im Stich, und die Vorwürfe, die sie sich macht, vergrößern nur noch ihr Elend. Ereignet sich ein solcher Vorfall zwei- oder dreimal, dann ist ihre Ehe ernsthaft in Ge- fahr; die Kinder sind verstört, sie selbst verliert an Ge- wicht, ihr Haar ist unordentlich, ihr Gesichtsausdruck ist verhärmt, und ihre Schuhe sind abgetragen. Schließ- lich erscheint sie im Ordinationsraum eines Psychia- ters, bereit, sich in ein Krankenhaus einweisen zu las- sen. Antithese. Die logische Antithese ist im Grunde ganz einfach: Frau Weiß kann im Verlauf der Woche nach- einander jede einzelne der ihr zugefallenen Rollen aus- füllen, aber sie muss sich entschieden weigern, zwei Immer nur oder mehr Rollen gleichzeitig zu spielen. Gibt sie eine eine Rolle Cocktailparty, dann kann sie vorher entweder die Pro- viantmeisterin oder das Kindermädchen spielen, aber nicht beides zugleich. Leidet sie am <Hausfrauen-Knie>, dann ist sie vielleicht selbst in der Lage, sich die nöti- gen Beschränkungen aufzuerlegen. Spielt sie jedoch aktiv das Spiel «Überlastet», dann wird es für sie sehr schwer sein, sich diesem Prinzip zu unterwerfen. Ihren Ehegatten hat sie sich sorgfältig 7. ausgesucht; er ist im Allgemeinen ein ganz vcrnünfti- Ehespiele
  332. ger Mann, aber er übt immer dann Kritik an seiner Frau, wenn er glaubt, sie sei nicht so tüchtig wie seine Mutter. In Wirklichkeit heiratet sie ihres Ehemanns Wunschbild von seiner eigenen Mutter, wie es sich in Bedingungen seinem Eltern-Ich niedergeschlagen hat; es hat eine ge- für wisse Ähnlichkeit mit dem Wunschbild, das sie sich «überlastet» selbst von ihrer eigenen Mutter oder Großmutter ge- macht hat. Hat sie einen passenden Partner gefunden, dann kann ihr Kindheits-Ich sich in die Rolle der Überlasteten einleben, die sie zur Aufrechterhaltung ihres psychischen Gleichgewichts benötigt und die sie nur schwer wieder aufgeben wird. Je größer der beruf- liche Verantwortungsbereich des Ehemanns ist, desto leichter ist es für beide, Gründe für die Beibehaltung der unerfreulichen Aspekte ihrer wechselseitigen Be- ziehungen zu finden. Wird die Situation schließlich unhaltbar (häufig ge- schieht das, wenn die Schulbehörde zugunsten der un- glücklichen Kinder interveniert), dann wird der Psych- iater herbeizitiert, und es kommt nun zu einem dreiseitigen Spiel. Entweder wünscht der Ehemann, Psychiatrischer der Psychiater soll eine Art psychischer Generalüber- Eingriff holung an seiner Ehefrau vornehmen, oder sie benö- tigt ihn als Bundesgenossen im Kampf gegen ihren Mann. Wie sich die Dinge nun weiterentwickeln, das hängt von der Geschicklichkeit und Tüchtigkeit des Psychiaters ab. Die erste Phase, die Linderung der de- pressiven Empfindungen der Frau, verläuft gewöhnlich glatt. Entscheidend ist die zweite Phase, in der sie das Spiel «Überlastet» zugunsten des Spiels «Psychiatrie» Ein aufgibt. In diesem Stadium macht sich bei beiden Ehe- Spiel-Brevier partnern eine wachsende Neigung zu oppositioneller
  333. Haltung bemerkbar. Manchmal wird sie für eine Weile gut getarnt und kommt dann ganz plötzlich, wenn auch nicht unerwartet, zum Ausbruch. Ist diese Krise erst einmal überwunden, dann kann man mit der ei- gentlichen Arbeit, der Spiel-Analyse, beginnen. Den eigentlichen Schuldigen muss man in dem auf Spiel-Analyse die Mutter bzw. Großmutter zurückzuführenden El- tern-Ich der Frau suchen; der Ehemann ist bis zu ei- nem gewissen Grad nur eine für diese Rolle im Spiel bestimmte Marionette. Der Therapeut muss nicht nur gegen das Eltern-Ich der Frau und gegen den Ehemann ankämpfen, sondern auch gegen ein Sozial-Milieu, in dem die Willfährigkeit der Frau noch gefördert wird. Eine Woche nachdem der Artikel über die vielen Rol- len, die der Hausfrau zufallen, erschienen ist, bringt die nächste Sonntagsbeilage ein Testformular zur Selbstbe- fragung: «Wie gut sind Sie als Gastgeberin / Ehefrau / Mutter / Haushälterin / Verwalterin des Budgets etc.?» Für die Hausfrau, die das Spiel «Überlastet» betreibt, hat dieser Testbogen etwa die gleiche Bedeutung, die das Merkblatt mit den Spielregeln, das jedem neu gekauften Spiel beiliegt, für die Kinder hat. Es kann die Steigerung des Spiels «Überlastet» beschleunigen, das bei mangelnder Kontrolle häufig in das Spiel «Städti- sches Krankenhaus» einmündet («Das Letzte, was ich mir wünschte, ist, dass man mich ins Krankenhaus ein- liefert»). In der Praxis besteht bei solchen Ehepaaren eine Praktische große Schwierigkeit darin, dass der Ehemann, abgese- Folgen hen von dem Spiel «Du siehst, ich gebe mir wirklich die größte Mühe», keine weitere persönliche Beteiligung 7. an der Behandlung seiner Frau wünscht; er ist nämlich Ehespiele
  334. in den meisten Fällen erheblich beunruhigter, als er zu- zugeben bereit ist. Stattdessen lässt er dem Therapeu- ten indirekt Nachrichten zukommen, denn er weiß ge- nau, dass die Tempcramentsausbrüche, zu denen er sich hinreißen lässt, von seiner Frau dem Therapeuten geschildert werden. Das Spiel «Überlastet» macht leicht eine Eskalation bis zum dritten Grad durch, in Tödliche dem es zu einem Kampf auf Leben, Tod und Scheidung Eskalation wird. Der Psychiater steht nahezu allein auf der Seite des Lebens, und er wird dabei nur von dem <überlaste- ten> Erwachsenen-Ich der Patientin unterstützt, das ge- gen alle drei Ich-Aspekte des Ehemanns sowie gegen ihr eigenes inneres Eltern- und Kindheits-Ich in einen erbitterten Kampf verwickelt ist, der leicht einen töd- lichen Ausgang nehmen kann. Es ist ein recht drama- tischer Kampf, bei dem die Chancen fünf gegen zwei stehen und der selbst an das berufliche Können eines absolut nicht spiel-anfälligen Therapeuten die höchs- ten Anforderungen stellt. Verliert er dabei den Mut, dann bleibt ihm der bequeme Ausweg, seine Patientin auf dem Altar des Scheidungsgerichts zu opfern; das ist dann das Gleiche, als sagte er: «Ich geb's auf; macht den Sieger unter euch aus.» (Siehe Kap. 9, Nr. 1.)
  335. 5. «Wenn du nicht wärst» («WEDUNIW») These. Eine detaillierte Analyse dieses Spiels wurde be- reits in Kapitel 5 gegeben. Nach dem Spiel «Warum nicht - ja, aber ...», das man bislang nur als interessan- Ein tes Phänomen betrachtet hatte, war «WEDUNIW» der Spiel-Brevier zeitlichen Reihenfolge nach das zweite Spiel, dem man
  336. auf die Spur kam. Mit dieser Neuentdeckung wurde deutlich, dass es eine ganze Gruppe von Sozial-Aktio- nen geben musste, die auf verdeckten Transaktionen beruhten. Das führte zu einer intensiveren Erfor- schung derartiger Vorgänge, und die vorliegende Sammlung ist eines der erzielten Ergebnisse. Eine Frau heiratet einen tyrannischen Mann, damit er sie in ihrem Aktionsradius beschränkt und sie auf Ty rann ei diese Weise davor bewahrt, in Situationen zu geraten, gegen Angriff die bei ihr Angstgefühle auslösen. Handelte es sich hier um eine einfache <Operation>, dann würde sie ihm wohl ihre Dankbarkeit dafür ausdrücken, dass er ihr diesen Dienst erweist. Im Spiel «WEDUNIW» zeigt sie jedoch eine genau entgegengesetzte Reaktion: Sie nutzt die Si- tuation aus, um sich über die ihr auferlegten Beschrän- kungen zu beklagen; das hat zur Folge, dass ihr Mann sich unbehaglich fühlt und sie selbst alle möglichen Vorteile ergattert. Das Spiel selbst ist der innerlich so- ziale Nutzeffekt. Der äußerlich soziale Nutzeffekt, be- steht in dem aus diesem Spiel abgeleiteten Zeitvertreib: «Wenn er nicht wäre», dem sie sich beim Kaffeekränz- chen mit ihren gleichgesinnten Freundinnen hingibt.
  337. 6. «Du siehst, ich gebe mir wirklich die größte Mühe» These. In seiner üblichen klinischen Form handelt es sich hier um ein dreiseitiges Spiel, gespielt von einem Ehepaar und einem Psychiater. Meist geht der Ehe- mann auf eine Scheidung aus, obwohl er nach außen hin lauthals das Gegenteil behauptet, seine Frau hinge- 7. gen ist aufrichtig an der Weiterführung der Ehe interes- Ehespiele
  338. siert. Der Mann sucht sozusagen unter Protest den The- rapeuten auf und berichtet nur so viel, wie nötig ist, um Der tückische der Frau seinen guten Willen zu demonstrieren; ge- Ehemann wöhnlich spielt er dabei in relativ milder Form entwe- der «Psychiatrie» oder «Gerichtssaal». Mit fortschrei- tender Zeit zeigt er jedoch gegenüber dem Therapeuten eine in zunehmendem Maß ressentimentgeladene Pseudo-Willfährigkeit oder aber eine aggressive Streit- lust. Daheim gibt er sich anfangs verständiger und zu- rückhaltender, benimmt sich aber bald schlimmer als je zuvor. Manchmal, schon nach einer Konsultation, manchmal, und das hängt von der Geschicklichkeit des Therapeuten ab, auch erst nach fünf oder zehn Besu- chen, weigert sich der Mann, weiterhin zur Konsulta- tion zu erscheinen und geht stattdessen zur Jagd oder zum Angeln. Die Frau sieht sich nun ihrerseits gezwun- gen, die Scheidung einzureichen. Jetzt steht der Mann als der schuldlose Teil da, denn schließlich hat ja die Frau die Initiative ergriffen, während er seinen guten Willen dadurch demonstriert hat, dass er den Thera- Ein famoser peuten aufgesucht hat. Er befindet sich nun in der Sieg glücklichen Lage, jedem Anwalt, Richter, Freund oder Verwandten gegenüber zu sagen: «Du siehst [Sie se- hen], ich gebe mir wirklich immer die größte Mühe!» Antithese. Man bestellt das Ehepaar zunächst gemein- sam zur Konsultation. Zeigt sich, dass einer von ihnen - nehmen wir einmal an, der Ehemann - offensicht- lich dieses Spiel spielt, dann beginnt man mit dem an- deren Partner eine individuelle Behandlung; den (Spie- ler) dagegen schickt man mit der zutreffenden Begründung weg, er sei für eine therapeutische Be-
  339. handlung noch nicht hinreichend vorbereitet. Er kann natürlich trotzdem die Scheidung durchsetzen, aber nur dann, wenn er seine Behauptung fallen lässt, er Lösung «gebe sich wirklich die größte Mühe». Notfalls kann der Krise auch die Frau den Scheidungsprozess einleiten, doch ist ihre Position zweifellos stärker, denn sie hat sich ja tatsächlich <große Mühe gegeben). Das erhoffte güns- tige Ergebnis besteht nun darin, dass der Ehemann, wenn sein Spiel abgebrochen wird, in einen Zustand der Verzweiflung verfallen und nunmehr, aus echten inneren Motiven heraus, einen anderen Therapeuten konsultieren wird. Im Alltagsleben kann man das Spiel leicht bei Kin- Die Alltags- dern beobachten, und zwar in einer zweiseitigen Form, variante bei der ein Elternteil und ein Kind beteiligt sind. Es lässt sich von zwei Positionen aus spielen: «Ich bin hilf- los» oder «Ich bin schuldlos». Das Kind versucht ir- gendetwas zu tun, aber es misslingt ihm. Ist es <hilflos>, dann muss ein Elternteil die Sache für das Kind erledi- gen, ist es <schuldlos>, dann hat der betreffende Eltern- teil keinen vernünftigen Grund, es dafür zu bestrafen. Hier werden die Grundelemente des Spiels erkennbar. Die Eltern müssen vor allem zwei Dinge herausfinden: 1. wer von ihnen dem Kind das Spiel beigebracht hat, und 2. wodurch sie die fortwährende Wiederholung des Spiels begünstigen. Eine interessante, dabei jedoch manchmal recht un- Die harte heilvolle Variante des Spiels ist «Du siehst, ich habe Variante wirklich mein Äußerstes getan». Hier handelt es sich ge- wöhnlich um ein härteres Spiel zweiten oder dritten Grades. Das lässt sich am besten am Fall eines Mannes 7. darlegen, der schwer arbeitet, obwohl er ein Magen- Ehespiele
  340. geschwür hat. Es gibt viele Menschen mit progressiver physischer Invalidität, die ihr Möglichstes tun, um mit dieser Situation fertig zu werden; sie können dabei auf ganz legitime Weise die Hilfe ihrer Familienangehörigen in Anspruch nehmen. Allerdings lässt sich ein derartiger Zustand auch zu verdeckten Zwecken ausschlachten. Spiel ersten Grades: Ein Mann erzählt seiner Frau und seinen Freunden, dass er ein Magengeschwür hat. Gleichzeitig macht er ihnen klar, dass er weiter auf sei- Der Tapfere nem Arbeitsplatz bleiben wird. Diese Tatsache löst bei ihnen Bewunderung aus. Ein Mensch, dessen Gesund- heitszustand schlecht ist und der Schmerzen hat, ist wohl bis zu einem gewissen Grad dazu berechtigt, sich mit seiner Krankheit ein bisschen in Szene zu setzen; das ist nur eine etwas dürftige Kompensation für sein Leiden. Man sollte anerkennen, dass er nicht auf das Spiel «Holzbein» ausweicht, und ihn verdientermaßen dafür belohnen, dass er die Verantwortung für seinen Aufgabenbereich weiter auf sich lädt. Die freundliche Antwort auf «Ihr seht, ich gebe mir wirklich die größte Mühe» lautet in diesem Fall «Gewiss, wir alle sehen das und bewundern dich, weil du so tapfer und gewissen- haft bist». Spiel zweiten Grades: Ein Mann erfährt, dass er ein Der stille Held Magengeschwür hat, aber er hält diese Tatsache vor sei- ner Frau und seinen Freunden verborgen. Er setzt sei- ne Arbeit mit unvermindertem Eifer fort und bricht ei- nes Tages an seinem Arbeitsplatz zusammen. Wenn seine Frau diese Nachricht erhält, versteht sie sofort, was der Mann ihr indirekt damit sagen will: «Du siehst, Ein ich habe wirklich mein Äußerstes gegeben!» Man er- Spiel-Brevier wartet nun von ihr, dass sie ihrem Mann eine größere
  341. Wertschätzung entgegenbringen soll als je zuvor und dass sie sich all der weniger erfreulichen Dinge schä- men soll, die sie vorher gesagt und getan hat. Kurzum: Nachdem alle voraufgehenden Versuche, sie für sich zu gewinnen, fehlgeschlagen sind, wird nun von ihr er- wartet, dass sie ihrem Mann wirkliche Liebe entgegen- bringt. Unglücklicherweise sind aber zu diesem Zeit- punkt ihre Manifestationen von Zuneigung und Erpresste Liebe Besorgtheit weniger aus Liebe motiviert als vielmehr von einem gewissen Schuldgefühl. Im tiefsten Timern grollt sie ihm wahrscheinlich sogar, weil er in unfairer Weise Druck auf sie ausübt und weil er sich dadurch, dass er die Krankheit vor ihr verheimlicht hat, ihr ge- genüber einen unrechtmäßigen Vorteil verschafft hat. Mit anderen Worten: Mit einem Diamant-Armband kann man einer Frau seine Zuneigung weit besser und aufrichtiger bezeigen als mit einem durchlöcherten Magen. Sie hat zwar immer noch die Möglichkeit, dem Die Frau Mann den kostbaren Schmuck wieder an den Kopf zu in der Falle werfen, aber sie kann ihn nicht wegen eines Magenge- schwürs verlassen, ohne sich dabei moralisch ins Un- recht zu setzen. Die plötzliche Konfrontation mit einer schweren Krankheit gibt ihr wohl eher das Gefühl, in eine Falle geraten zu sein, als das, nun endgültig zu ih- rem Mann zu gehören. Das Spiel lässt sich häufig zu einem ganz bestimm- ten Zeitpunkt entlarven, nämlich unmittelbar nach- Entlarvung dem der Patient zum ersten Mal von seiner möglicher- des Spiels weise progressiven Invalidität erfährt. Hat er vor, das Spiel zu spielen, dann wird ihm aller Wahrscheinlich- keit nach der ganze Plan zu diesem Zeitpunkt durch den Kopf gehen; eine sorgfältige psychiatrische Analyse
  342. der gegebenen Situation deckt nun die Hintergründe auf: Heimlich empfindet sein Kindheits-Ich eine gera- dezu hämische Freude darüber, dass ihm eine solche Waffe in die Hand gegeben wird, überdeckt wird sie je- doch von den Überlegungen, die sein Erwachsenen-Ich angesichts der sich aus der Krankheit ergebenden praktischen Probleme anstellt. Spiel dritten Grades: Noch unheilvoller und tücki- Das heroische scher ist die Situation, wenn es wegen der schweren Opfer Krankheit zu einem plötzlichen und unvorhergesehe- nen Selbstmord kommt. Aus dem Magengeschwür entwickelt sich Krebs; die Ehefrau, die niemals erfah- ren hat, dass ihr Mann ernstlich krank ist, geht eines Tages ins Badezimmer und findet dort unvermutet die Leiche ihres Mannes. Was ihr der tote Gatte noch zu sagen hat, ist deutlich genug: «Du siehst, ich habe wirklich mein Äußerstes getan!» Passiert ein solches Missgeschick zweimal der gleichen Frau, dann ist es höchste Zeit für sie, herauszufinden, was für eine Art von Spiel sie eigentlich die ganze Zeit über gespielt hat.
  343. Analyse These: Ich lass mich nicht herumschubsen. Ziel: Rechtfertigung. Rollen: Standhafte Person, Quälgeist, Autoritätsperson. Dynamik: Anale Passivität. Beispiele: 1. Ein Kind zieht sich an. 2. Ein Ehepartner geht auf Scheidung aus. Sozial-Paradigma: Erwachsenen-Ich / Erwachsenen- Ich.
  344. Erwachsenen-Ich: «Es ist höchste Zeit, dass du dich an- ziehst [zu einem Psychiater gehst].» Erwachsenen-Ich: «Gut, ich will's versuchen.» Psychologisches Paradigma: Eltern-Ich / Kindheits- Ich. Eltern-Ich: «Ich werde dafür sorgen, dass du dich an- ziehst [zu einem Psychiater gehst].» Kindheits-Ich: «Du siehst ja, es klappt nicht.» Einzelaktionen: 1. Vorschlag - Widerspruch. 2. Druck -Willfährigkeit. 3. Billigung - Misserfolg. Nutzeffekte: 1. Innerlich psychologisch - Freisein von aggressiver Schuld. 2. Äußerlich psychologisch - Aus- weichen vor familiären Verpflichtungen, 3. Innerlich sozial - «Du siehst, ich gebe mir wirklich immer die größte Mühe.» 4. Äußerlich sozial - wie vor. 5. Biolo- gisch - Austausch von aggressiven Bekundungen. 6. Existenziell - Ich bin hilflos (schuldlos).
  345. 7. «Schätzchen» These. In seiner deutlichsten Ausprägung findet man dieses Spiel in den frühen Stadien der ehelichen Grup- pen-Therapie, wenn die Partner sich noch in die De- fensive gedrängt fühlen; man begegnet ihm aber auch bei verschiedenen gesellschaftlichen Gelegenheiten. Weiß macht eine leicht abfällige Bemerkung über seine Frau, bringt sie jedoch in Form einer Anekdote vor Elegante und schließt mit den Worten: «So war es doch, Schätz- Abwertung chen, nicht wahr?» Frau Weiß neigt dazu, ihm zuzu- stimmen, und zwar aus zwei Gründen, die offensicht- lich von ihrem Erwachsenen-Ich bestimmt werden: a) die Anekdote ist in ihren Grundzügen richtig, und es
  346. erschiene pedantisch, hinsichtlich der Dinge zu wider- sprechen, die nur als periphere Details präsentiert wer- den (die jedoch in Wirklichkeit den Kernpunkt der Transaktion darstellen); b) man müsste sie für ausge- sprochen kratzbürstig halten, wenn sie einem Mann widerspricht, der sie öffentlich <Schätzchen> nennt. Der psychologische Grund für ihre Zustimmung ist aller- Die depressive dings ihre depressive Position. Sie hat ihn gerade des- Position wegen geheiratet, weil sie genau wusste, dass er ihr den Dienst erweisen würde, ihre Mängel aufzudecken, und dass er ihr dadurch die peinliche Situation ersparen würde, es selbst tun zu müssen. Als sie noch ein Kind war, haben ihre Eltern ihr den gleichen Dienst erwie- sen. Neben «Gerichtssaal» wird das hier besprochene Spiel in Ehe-Gruppen am häufigsten gespielt. Je ge- spannter die Lage ist und je näher das Spiel seiner Auf- deckung entgegenrückt, desto bitterer ist der Unterton, mit dem das Wort <Schätzchen> ausgesprochen wird, bis schließlich das zugrunde liegende Ressentiment of- Lösungs- fen zutage tritt. Bei sorgfältiger Abwägung aller Gege- möglichkeiten benheiten kommt man zu der Feststellung, dass es sich hier um eine verwandte Variante zum Spiel «Schle- mihl» handelt, denn die kennzeichnende Einzelaktion besteht darin, dass Frau Weiß die Ressentiments ihres Gatten, die sie krampfhaft zu übersehen sucht, aus- drücklich verzeiht. Daher spielt man auch «Anti- Schätzchen» analog zu «Anti-Schlemihl»: «Du kannst meinetwegen abträgliche Anekdoten über mich erzäh- len, aber bitte nenn mich nicht immer <Schätzchen>.» Ein Diese Antithese birgt allerdings die gleichen Gefahren Spiel-Brevier in sich wie «Anti-Schlemihl». Eine elegantere und we-
  347. niger gefährliche Antithese besteht aus der Antwort: «Ja, mein Süßerl» In einer anderen Variante des Spiels stimmt die Ehe- frau nicht zu, sondern antwortet mit einer ähnlichen <Schätzchen>-Anekdote über ihren Mann, mit der sie praktisch zum Ausdruck bringen will: «Du hast auch Dreck am Stecken, mein Lieber!» Manchmal werden die <Kosenamen> nicht tatsäch- lich ausgesprochen, wer intensiv zuhört, kann sie je- doch auch in diesem Fall heraushören. Hier handelt es sich dann um die stumme Variante des Spiels «Schätz- chen».
  348. PARTYSPIELE
  349. Partys sind zum Zeitvertreib da, und alle Arten von Zeitvertreib eignen sich für Partys (einschließlich der Wartezeit vor dem offiziellen Beginn eines Grüppen- trefFens); mit fortschreitender Bekanntschaft zeichnet sich jedoch eine Tendenz zur Entstehung von Spielen ab. Der «Schlemihl» und sein Opfer erkennen einan- der, und all jene vertrauten, aber meist kaum beachte- ten Selektionsprozesse kommen in Gang. In diesem Alltagsspiele Kapitel werden vier Spiele erörtert, die in ihrer typi- schen Form in sozialen Alltagssituationen gespielt wer- den: «Ist es nicht schrecklich», «Makel», «Schlemihl» und «Warum nicht - Ja, aber ...»
  350. 1 «Ist es nicht schrecklich» These. «Ist es nicht schrecklich» begegnet uns in vier typischen Formen: als Zeitvertreib auf der Ebene des Eltern-Ichs, als Zeitvertreib auf der Ebene des Er- wachsenen-Ichs, als Zeitvertreib auf der Ebene des Kindheits-Ichs und als eigentliches Spiel. Bei den ver- Vier Formen schiedenen Arten von Zeitvertreib gibt es keine Ent- von wicklung und keinen Nutzeffekt im eigentlichen Sinn, sondern nur ungute Gefühle. Zeitvertreib 1. «Heutzutage» ist die Bezeichnung für den selbst- gerechten, strafsüchtigen, manchmal sogar tückischen 8. Partyspiele
  351. Zeitvertreib auf der Ebene des Eltern-Ichs. Soziolo- gisch gesehen, begegnet man ihm am häufigsten bei ei- nem gewissen Typ von Frauen mittleren Alters mit ge- ringem eigenem Einkommen. Eine Frau dieser Sozialschicht zog sich aus einer Therapie-Gruppe zu- Der falsche rück, als sie mit ihrem <Eröffnungszug> auf Schweigen Eröffnungszug stieß und nicht auf jene begeisterte Bestätigung, wie sie sie aus ihrer sozialen Umwelt her gewohnt war. In die- ser geistig differenzierteren und mit der Spiel-Analyse vertrauten Gruppe war ein beträchtlicher Mangel an Zusammengehörigkeitsgefühl spürbar, als Frau Weiß berichtete: «Da wir gerade davon sprechen, dass man den Leuten nicht trauen kann, muss ich sagen, es ist ja auch kein Wunder, dass man heutzutage überhaupt niemandem trauen kann. Ich durchstöberte gerade den Schreibtisch eines meiner Untermieter, und was glauben Sie, was ich darin gefunden habe?» Sie wusste Wohlfeile eine Antwort auf die meisten Sozialprobleme unserer Erklärungen Zeit: Jugendkriminalität (heutzutage sind die Eltern zu nachsichtig); Scheidung (die Frauen sind heutzutage nicht beschäftigt genug); Verbrechen (farbige Auslän- der ziehen heutzutage in vorwiegend von Weißen be- wohnte Viertel) und steigende Preise (die Geschäfts- leute sind heutzutage zu gewinnsüchtig). Sie brachte deutlich zum Ausdruck, dass sie selbst weder ihrem straffälligen Sohn noch ihren straffälligen Untermie- tern gegenüber in irgendeiner Weise nachsichtig sei. «Heutzutage» unterscheidet sich gegenüber bloß müßigem Geschwätz durch das Schlagwort «Kein Wunder». Der <Eröffnungszug> mag bei beiden der Ein gleiche sein («Haben Sie schon gehört, die Fanny Mi- Spiel-Brevier chelmeier soll ...»), aber in «Heutzutage» gibt es eine
  352. bestimmte Richtung und einen Abschluss; man ver- sucht vielleicht sogar, die Sache irgendwie zu erklä- ren). Müßiges Geschwätz plätschert nur so dahin und verliert sich schließlich. 2. «Zerschundene Haut», begleitet von dem Schlag- wort «Wie schade!», heißt die entsprechende Variante auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs; sie erscheint zwar weniger tückisch, doch sind die zugrunde liegen- den Motive gleichermaßen morbid. «Zerschundene Morbide Haut» befasst sich vorwiegend mit.Dingen, bei denen Motive Blut fließt; es ist im Prinzip ein zwangloses klinisches Kolloquium. Jeder kann einen Fall zur Sprache brin- gen, je grauenerregender, desto besser - Details werden genüsslich durchgehechelt. Blutige Verletzungen im Blutige Details Gesicht, Unterleibsoperationen und komplizierte Ge- burtsfälle werden mit Vorliebe als Gesprächsthemen akzeptiert. Der Unterschied zu müßigem Geschwätz liegt hier in der Rivalität bei der Zurschaustellung chir- urgischer Kenntnisse. Pathologische Anatomie, Dia- gnose, Prognose und vergleichende Einzelfallstudien werden systematisch erörtert. Bei nur müßigem Ge- schwätz wird eine günstige Prognose allgemein gebil- ligt, in «Zerschundene Haut» kann jedoch eine fortge- setzt günstige Beurteilung der <Fälle> - wenn sie nicht deutlich als unaufrichtig erkennbar ist - dazu führen, dass das <Zulassungskomitee> ein heimliches Treffen anberaumt, weil der Spieler non particeps criminis ist. 3. Auf der Kindheits-Ebene ist dieser Zeitvertreib «Kaffeepause» von dem Schlagwort «Da siehst du, was man uns jetzt zum Klagen wieder antut» begleitet und hat den Namen «Kaffee- pause». Hier handelt es sich um eine rein organisatori- 8. sche Variante. Nach Einbruch der Dunkelheit kann Partyspiele
  353. man diesem Zeitvertreib auch in einer milderen politi- schen bzw. ökonomischen Form begegnen; man nennt ihn dann: «Barhocker». Beteiligt sind im Prinzip drei Personen, wobei sich die Trümpfe in der Hand der oft etwas schattenhaften, als <Man> zitierten Figur befin- den. 4. Als Spiel findet man «Ist es nicht schrecklich» in seiner dramatischsten Ausdrucksform bei fanatischen Anhängern der «Chirurgie»; in ihren Transaktionen werden auch die Charakteristika des Spiels deutlich. Es Krankheits- handelt sich hier um Leute, die um jeden Preis einen gewinne chirurgischen Eingrifferstreben, auch wenn die gesun- de medizinische Erfahrung dagegen spricht. Das Erleb- nis an sich, die Einlieferung ins Krankenhaus und der operative Eingriff haben ihre ganz bestimmten Nutz- effekte. Der innerliche psychologische Nutzeffekt er- gibt sich aus der <Verstümmelung> des Körpers; der äu- ßerliche psychologische Nutzeffekt besteht in der Vermeidung aller Intimerlebnisse und Verantwortlich- keiten, mit einer Ausnahme: Man gibt sich völlig in die Hand des behandelnden Arztes. Den biologischen Nutzeffekt macht die fürsorgliche Pflege aus. Die in- nerlichen sozialen Nutzeffekte steuern der Stab von Ärzten und Krankenschwestern und die anderen Pati- enten bei. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus fallen dem Patienten die äußerlichen sozialen Nutz- Profit aus effekte dadurch zu, dass er bei anderen Mitgefühl und Kunstfehlern Bewunderung auslöst. In seiner extremen Form wird das Spiel profimäßig gespielt, und zwar von betrügeri- schen und zu allem entschlossenen Leuten, die auf eine Haftung wegen falscher ärztlicher Behandlung ausge- hen und ihren Lebensunterhalt am liebsten dadurch
  354. bestreiten möchten, dass sie sich bewusst oder aus op- portunistischen Gründen eine Invalidität zuziehen. Sie verlangen dann nicht nur wie die Amateurspieler Mit- gefühl, sondern auch eine Entschädigung. «Ist es nicht schrecklich» wird also dann zu einem Spiel, wenn der Spieler sich zwar nach außen hin bekümmert gibt, sich aber sozusagen heimlich die Hände reibt angesichts der Nutzeffekte, die er aus seinem Missgeschick her- auspressen kann. Im großen Ganzen kann man Leute, die derartigen Typologie der Missgeschicken ausgesetzt sind, in drei Gruppen ein- Unglücksraben teilen: 1. Das Leiden stellt sich ohne eigenes Zutun ein und ist unerwünscht. Diese Leute können das ihnen bereit- willig entgegengebrachte Mitgefühl ausnutzen oder auch nicht. Ein gewisses Maß von Ausnutzung ist im Grunde nur natürlich, und man kann daher solchen Leuten mit der üblichen Höflichkeit begegnen. 2. Das Leiden stellt sich ohne eigenes Zutun ein, doch wird es von den Betroffenen wegen der sich bie- tenden Ausnutzungsmöglichkeiten höchst dankbar ak- zeptiert. Hier entspringt das Spiel einer nachträglichen Überlegung und wird zu einem <Sekundäreffekt> im Sinne Freuds. 3. Das Leiden wird bewusst gesucht, wie z.B. bei «Chirurgie»-Fanatikern, die von einem Chirurg zum anderen rennen, bis sie schließlich einen finden, der bereit ist, sie zu operieren. In solchen Fällen entspringt das Spiel einer primären Erwägung.
  355. 8. Partyspiele
  356. 2. «Makel» These. Dieses Spiel ist die Quelle eines hohen Prozent- satzes von kleinlichen Alltagsstreitereien; es wird von der depressiven Position des Kindheits-Ichs aus ge- spielt: «Ich tauge zu nichts», die dann zum Selbstschutz in die Position des Eltern-Ichs transformiert wird: «Sie Die Fehler- taugen zu nichts.» Das Transaktions-Problcm des Spie- Suche lers besteht nun darin, die eben zitierte These zu be- weisen. Daher fühlen sich «Makel»-Spieler im Umgang mit einer neu in ihren Kreis tretenden Person so lange nicht behaglich, bis sie an ihr einen Makel entdeckt ha- ben. In seiner extremsten Form kann es zu einem von <autoritären> Persönlichkeiten gespielten totalitären politischen Spiel werden und zu folgenschweren histo- rischen Nachwirkungen führen. In diesem Fall ist seine Verwandtschaft mit dem Spiel «Heutzutage» durchaus klar. Im Lebenskreis der Vorstadtbezirke bewirkt das Spiel «Wie mache ich mich?» eine Ermutigung im po- sitiven Sinn, während von «Makel» eine Ermutigung im negativen Sinn ausgeht. Eine Teilanalyse soll einige Elemente dieses Spiels verdeutlichen. Sein Bereich erstreckt sich vom ganz Unwesentli- chen und Trivialen («Hat den Hut vom letzten Jahr Bandbreite auf») bis zum Zynischen («Hat nicht mal 30 000 DM des Mäkeins auf der Bank»), Bösartigen («Ist nicht 100% arisch»), Esoterischen («Hat nicht mal Rilke gelesen»), Intimen («Kann seine Erektion nicht halten») und Intellektuel- len («Was will er eigentlich damit beweisen?»). Psycho- dynamisch beruht das Spiel gewöhnlich auf sexueller Unsicherheit, und sein Ziel ist die Ermutigung. Im Ein Transaktionsbereich kommt es zur Einmischung in die Spiel-Brevier Angelegenheiten anderer, zu krankhafter Neugier und
  357. Spioniererei, wobei manchmal die ernste Besorgtheit des Eltern-Ichs oder des Erwachsenen-Ichs die Tatsa- che verdeckt, dass das Kindheits-Ich all das genüsslich auskostet. Der innerliche psychologische Nutzeffekt besteht in der Abwehr von Depressionen, der äußerli- Nutzeffekte che in der Vermeidung von Intimerlebnissen, die Weiß' eigene Makel aufdecken könnten. Weiß fühlt sich dazu berechtigt, eine unmodern geldeidete Frau ebenso ab- zulehnen wie einen Mann ohne finanziellen Hinter- grund, einen Nicht-Arier, einen literarisch Unbewan- derten, einen Impotenten oder einen Mann mit labiler Persönlichkeitsstruktur. Zugleich bietet die Einmi- schung in die Angelegenheiten anderer die Möglichkeit zu einigen Sozial-Aktionen mit biologischem Nutz- effekt. Der äußerliche soziale Nutzeffekt ist der gleiche wie bei der unter der Bezeichnung «Ist es nicht schrecklich» zusammengefassten Gruppe von Spielen. Aufschlussreich ist die Tatsache, dass Weiß unab- hängig von seiner geistigen Kapazität bzw. seinem Bil- dungsgrad den Bereich auswählt, in dem er dann einen Mäkeln <Makel> feststellt. So erzählte z.B. ein Mann, der im unter Niveau Auswärtigen Dienst seines Landes verschiedene ver- antwortungsvolle Positionen bekleidet hatte, einmal seinen Zuhörern, ein gewisses anderes Land sei im Ver- gleich zu seinem eigenen Land zweitklassig, weil dort, unter anderem, die Männer Sakkos mit zu langen Är- meln trügen. Auf der Ebene seines Erwachsenen-Ichs war dieser Mann als durchaus kompetent anzusehen. Nur wenn er auf <Eltern-Ich>-Ebene ein Spiel wie «Ma- kel» spielte, ließ er sich zu so irrelevanten Bemerkun- gen hinreißen. 8. Partyspiele
  358. 3. «Schlemihl» These. Der Begriff <Schlemihl> bezieht sich nicht auf jenen <Mann ohne Schatten), den Titelhelden in Adel- bert von Chamissos Erzählung, sondern auf ein popu- läres jiddisches Wort, das mit dem deutschen Wort Der <Schlaukopf> verwandt ist. Schlemihls Opfer, das etwa Schadenstifter dem <gutmütigen Burschen) in dem Roman von Paul de Kock ähnelt, bezeichnet man umgangssprachlich 1
  359. als <Schlemazl>. In einem typischen «Schlemihl»-Spiel vollziehen sich die einzelnen Schachzüge etwa folgen- dermaßen: Die erste Stufe 1. W. Weiß kippt (scheinbar versehentlich) der Gastgeberin seinen Cocktail aufs Abendkleid. 1. S. Schwarz (der Gastgeber) zeigt zunächst die Tendenz, wütend zu werden, aber er spürt (wenn auch häufig nur vage), dass Weiß gewinnt, wenn er sich sei- ne Erregung anmerken lässt. Schwarz reißt sich also zusammen, und das gibt ihm die Illusion, er sei der Ge- winner. 2. W. Weiß entschuldigt sich: «Oh, das tut mir aber Leid!» 2. S. Schwarz akzeptiert die Entschuldigung in mehr oder minder deutlicher Form und bestärkt sich da- durch in seiner Illusion, er habe gewonnen. Die zweite 3. W. Weiß geht nun dazu über, Schwarz noch wei- Stufe teren Schaden zuzufügen. Er zerbricht was, vergießt was und richtet alles mögliche Unheil an. Nachdem Weiß mit seiner Zigarette ein Loch ins Tischtuch ge- brannt, ein Stuhlbein durch den kostbaren Vorhang gerammt und die fette Sauce auf den Teppich ge- klatscht hat, jubelt das Kindheits-Ich in ihm, denn ihm haben all diese Dinge, für die man seine Entschuldi-
  360. gung akzeptiert hat, ausgesprochen Spaß gemacht, während Schwarz entgegenkommenderweise trotz al- Zwei len Unheils eine musterhafte Selbstdisziplin an den Tag Gewinner im Spiel? gelegt hat. So profitieren beide von der unglücklichen Situation, und Schwarz ist nicht unbedingt darauf be- dacht, Weiß die Freundschaft aufzukündigen. Wie bei den meisten Spielen gewinnt auch hier Weiß, der den ersten Zug macht, auf jeden Fall. Lässt Schwarz sich seinen Ärger anmerken, dann kann Weiß sich zur Erwiderung dieses Ressentiments berechtigt fühlen. Hält Schwarz sich zurück, dann kann Weiß die Gelegenheit zu weiteren Missetaten ausnützen und sich dabei amüsieren. Der eigentliche Nutzeffekt bei diesem Spiel ist jedoch nicht die Freude an den de- struktiven Auswirkungen, die für Weiß sozusagen nur eine zusätzliche (Annehmlichkeit) sind, sondern er be- steht in der Tatsache, dass man Weiß' Entschuldigung akzeptiert. Das führt direkt zur Antithese. Antithese. Man spielt «Anti-Schlemihl», indem man die angebotene Entschuldigung nicht akzeptiert. Ent- Gegen- schuldigt sich Weiß mit den Worten «Das tut mir aber strategie Leid», dann murmelt Schwarz nicht «Ist schon gut», sondern er sagt: «Meinetwegen können Sie heute Abend meine Frau aus der Fassung bringen, die Möbel ruinieren und den Teppich am Boden zerstören, aber tun Sie mir einen Gefallen, und sagen Sie ja nicht nochmal <Das tut mir aber Leid!>.» Auf diese Weise schaltet Schwarz vom verzeihenden Eltern-Ich auf das objektive Erwachsenen-Ich um, das die volle Verant- wortung für alles und vor allem dafür übernimmt, dass 8. Weiß überhaupt eingeladen wurde. Partyspiele
  361. Wie intensiv Weiß sein Spiel spielt, das zeigt sich an der nun folgenden Reaktion, die recht explosiv sein Risiko des kann. Jemand, der «Anti-Schlemihl» spielt, geht stets Gegners das Risiko ein, sich unmittelbaren Vergeltungsmaß- nahmen ausgesetzt zu sehen, oder sich zumindest je- manden zum persönlichen Feind zu machen. Kinder spielen «Schlemihl» in etwas verstümmelter Form, denn sie sind durchaus nicht immer sicher, ob «Schlemihl»- man ihre Entschuldigung akzeptieren wird, aber sie Kinder genießen zumindest das Vergnügen, Unheil der ver- schiedensten Art anzurichten. Sobald sie jedoch ge- lernt haben, sich gesellschaftlich richtig zu benehmen, können sie ihre zunehmende Erfahrenheit sehr wohl dazu ausnutzen, jene Verzeihung zu erlangen, die das hauptsächliche Ziel dieses Spiels ist, so wie man es im Rahmen gut erzogener Erwachsenen-Gesellschaften spielt.
  362. Analyse These: Ich kann mich destruktiv verhalten, und man verzeiht mir doch. Ziel: Verzeihung. Rollen: Aggressor, Opfer (umgangssprachlich: Schle- mihl und Schlemazl). Dynamik: Anale Aggression. Beispiele: 1. Unordentliche und destruktive Kinder. 2. Unbeholfener Gast. Sozial-Paradigma: Erwachsenen-Ich / Erwachsenen- Ich. Ein Erwachsenen-Ich: «Da ich höflich bin, müssen auch Sie Spiel-Brevier höflich sein.»
  363. Erwachsenen-Ich: «Das geht in Ordnung. Ich verzeihe Ihnen.» Psychologisches Paradigma: Kindheits-Ich/Eltern- Ich. Kindheits-Ich: «Du musst mir die kleinen Pannen ver- zeihen, die allem Anschein nach zufällig passiert sind.» Eltern-Ich: «Du hast Recht. Ich muss dir zeigen, wie man sich tadellos benimmt.» Einzelaktionen: 1. Provokation - Verärgerung. 2. Ent- schuldigung - Verzeihung. Nutzeffekte: 1. Innerlich psychologisch - Freude dar- an, Unheil anzurichten. 2. Äußerlich psychologisch - Vermeidung von Strafe. 3. Innerlich sozial - <Schle- mihl). 4. Äußerlich sozial - <Schlemihl>. 5. Biologisch - Provozierendes und sanftes <Streicheln>. 6. Existen- ziell - Mich trifft keine Schuld.
  364. 4. «Warum nicht-Ja, aber...» («WANJA») These. «Warum nicht - Ja, aber ...» spielt bei der Spiel- Analyse eine ganz besondere Rolle, denn von ihm ging der ursprüngliche Anreiz für das gesamte Konzept von den Spielen aus. Es war das erste Spiel, das aus seinem sozialen Kontext herausgelöst wurde, und da man an Fundament ihm die erste Spiel-Analyse vollzogen hat, gehört es der Spiel- auch zu denen, die man heute am besten versteht. Es Analyse ist auch dasjenige Spiel, das auf Partys und in Gruppen aller Art, einschließlich der Psychotherapie-Gruppen, am häufigsten gespielt wird. Das folgende Beispiel möge zur Verdeutlichung seiner hauptsächlichen Cha- rakteristika dienen: 8. Weiß: «Mein Mann besteht immer darauf, die anfal- Partyspiele
  365. lenden Reparaturen eigenhändig auszuführen, und da- bei bringt er niemals etwas Rechtes zuwege.» Der Schwarz: «Warum nimmt er dann nicht mal einen ungeschickte Kurs zur Erlernung der Zimmerei?» Heimwerker Weiß: «Ja, das wäre gut, aber er hat keine Zeit.» Blau: «Warum kaufen Sie ihm dann nicht ein paar gute Werkzeuge?» Weiß: «Ja, das sollte ich tun, aber er weiß ja nicht mal, wie man mit ihnen arbeitet.» Rot: «Warum lassen Sie denn Ihren Bau nicht ein- fach von einem Zimmermann errichten?» Weiß: «Ja, mein Gott, das käme aber viel zu teuer.» Braun: «Warum akzeptieren Sie denn dann nicht das, was Ihr Mann macht, so, wie es ist.» Weiß: «la, das möchte ich schon, aber das Ganze könnte glatt auseinander fallen.» Einem solchen Wortwechsel folgt gewöhnlich betre- tenes Schweigen. Schließlich unterbricht Frau Grün das Schweigen, indem sie etwa Folgendes sagt: «Ja, da seht ihr's, so ist das mit den Männern, immer wollen sie euch vor Augen führen, wie tüchtig sie in allem sind.» «Warum nicht - Ja, aber ...» («WANJA») kann von /
  366. einer beliebigen Anzahl von Mitspielern gespielt wer- Der Ablauf den. Der agierende Urheber stellt ein Problem zur Dis- kussion. Die anderen Mitspieler präsentieren verschie- dene Lösungsversuche, von denen jeder mit den Worten beginnt: «Warum nicht ...?» Auf jede dieser Fragen hat Weiß einen Einwand: «Ja, aber ...» Ein gu- ter Spieler ist in der Lage, die Vorschläge der anderen mit seinen Einwänden auf unbegrenzte Zeit hinaus zu parieren; schließlich geben alle das Spiel auf und Weiß
  367. gewinnt. In vielen Situationen muss sich Frau Weiß mit mindestens einem Dutzend von Lösungsvorschlä- gen auseinander setzen, bis es ihr gelingt, jenes betre- tene Schweigen heraufzubeschwören, das das Signal für Schweigen ihren Sieg ist und sozusagen das Feld freigibt für das als Sieg nächste Spiel; in dem oben angeführten Beispiel schal- tet Frau Grün auf das Spiel «Elternbeirat» um, und zwar zu der Variante «Der Gatte als Delinquent». Da die Lösungsvorschläge, abgesehen von wenigen Ausnahmen, alle verworfen werden, muss das Spiel ganz offensichtlich einem verdeckten Zweck dienen. «WANJA» wird also nicht aus dem nach außen hin vor- Der verdeckte geschobenen Grund (das Erwachsenen-Ich bittet um Zweck Informationen und Lösungsvorschläge) gespielt, son- dern um das Kindheits-Ich zu ermutigen und zu be- friedigen. Die im Gespräch gewechselten Worte mögen so klingen, als spielte sich das Ganze auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs ab, aber zwischen dem Wortgeflecht kann man deutlich heraushören, dass Frau Weiß sich mit ihrem Kindheits-Ich präsentiert, das einer be- stimmten Situation nicht gewachsen ist; daraufhin schalten die anderen auf ihr lebenskluges Eltern-Ich um und sind eifrig bestrebt, mit ihrer Lebenserfahrung dem Kindheits-Ich von Frau Weiß zu helfen. Dieser Vorgang wird in Abbildung 8 graphisch dar- gestellt. Das Spiel kann sich entfalten, denn auf der So- Spielebenen zial-Ebcne vollziehen sich Reiz und Reaktion von Er- wachsenen-Ich zu Erwachsenen-Ich, und auch auf der psychologischen Ebene handelt es sich um Komple- mentär-Transaktionen: Der Reiz ist vom Eltern-Ich auf das Kindheits-Ich gerichtet («Warum nicht ...») und 8. löst beim Kindheits-Ich eine Reaktion aus, die zum Partyspiele
  368. Eltern-Ich hingeht («Ja, aber ...»). Der Vorgang auf der psychologischen Ebene vollzieht sich meist für Umschalten beide Seiten unbewusst, doch kann ein aufmerksamer auf neue Beobachter die Umschaltung von einem Ich-Zustand Ebene auf einen anderen (vom Erwachsenen-Ich zum in- adäquatem Kindheits-Ich bei Weiß, vom Erwachse- nen-Ich zum <lebensklugen> Eltern-Ich bei den ande- ren Mitspielern) leicht entdecken, und zwar aufgrund der Veränderungen in Haltung, Stimmlage und Wort- wahl. Um die mit dem Spiel verbundenen Implikationen zu verdeutlichen, ist es am besten, man führt jetzt noch das oben zitierte Beispiel zu Ende. Therapeut: «Hat Ihnen jemand irgendetwas vorge- schlagen, das Sie nicht schon selbst in Betracht gezo- gen hatten?» Ein Frau Weiß: «Nein, niemand. Praktisch habe ich schon Spiel-Brevier alles, was man mir vorschlug, selbst ausprobiert. Ich
  369. habe meinem Mann einige Werkzeuge gekauft, und er hat einen Kurs zur Erlernung der Zimmerei genom- men.» Hier lässt Frau Weiß zwei Gründe dafür erkennen, war- um man nicht alles Gesagte für bare Münze nehmen sollte. Erstens: Frau Weiß ist in der Mehrzahl der Fälle Spiel-Analyse ebenso intelligent wie die anderen Mitglieder dieser Gruppe; es ist also von vornherein unwahrscheinlich, dass die anderen eine Lösung des Problems vorschla- gen werden, die sie nicht bereits selbst in Betracht ge- zogen hat. Bringt jemand zufällig doch einen neuarti- gen Lösungsvorschlag vor, dann wird Frau Weiß ihn dankbar akzeptieren, falls sie fair spielt, d. h., ihr (inad- äquates) Kindheits-Ich wird nachgeben, wenn irgend- jemand von den Anwesenden eine Idee hat, die so sinn- voll und neuartig ist, dass sie das Erwachsenen-Ich von Frau Weiß stimuliert. Allerdings spielen gewohnheits- mäßige «WANJA»-Spieler, so wie Frau Weiß in dem an- gegebenen Fall, selten fair. Andererseits erhebt sich bei einer allzu bereitwilligen Annahme von Lösungsvor- schlägen die Frage, ob sich hinter dem «WANJA»-Spiel nicht im Grunde das Spiel «Blöd» verbirgt. Das oben zitierte Beispiel ist darum besonders auf- schlussreich, weil in ihm vor allem der zweite Grund klar erkennbar wird. Selbst wenn Frau Weiß einige der Das vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten tatsächlich eigentliche selbst ausprobiert hat, verwirft sie sie trotzdem. Das Ziel eigentliche Ziel des Spiels liegt also nicht darin, Lö- sungsvorschläge zu erhalten, sondern darin, sie zu ver- werfen. 8. Zwar spielt unter den gegebenen Umständen nahe- Partyspiele
  370. zu jeder Mensch dieses Spiel wegen seiner zeitstruktu- rierenden Wirkung gern, doch fördert eine sorgfältige Studie derjenigen Individuen, die dieses Spiel ganz be- sonders bevorzugen, mehrere interessante Tatbestände Rollenwechsel zutage. Erstens: Es ist charakteristisch für sie, dass sie der Spieler mit gleicher Behändigkeit beide Rollen dieses Spiels spielen können und auch wollen. Diese Vertauschbar- keit der Rollen gilt im Übrigen für alle Spiele. Die Spie- ler mögen zwar instinktiv eine bestimmte Rolle den anderen vorziehen, sie sind jedoch fähig und willens, auch jede übrige Rolle im gleichen Spiel zu spielen, falls das aus irgendeinem Grund zweckmäßig er- scheint. (Das ist zum Beispiel der Fall beim Umschal- ten von der <Trinker>-Rolle auf die des <Retters> beim Spiel «Alkoholiker».) Zweitens: In der klinischen Praxis zeigt sich, dass Leute, die eine Vorliebe für das «WANJA»-Spiel haben, zu jener Klasse von Patienten gehören, die zur Be- Klinisches schleunigung ihrer Behandlung schließlich nach einer «WANJA» Hypnose bzw. nach einer Art hypnotischer Injektion verlangen. Spielen sie dieses Spiel, dann kommt es ih- nen darauf an, zu demonstrieren, dass niemand ihnen einen akzeptablen Lösungsvorschlag für ihr Problem machen kann - d. h., sie werden niemals kapitulieren; beim Therapeuten dagegen verlangen sie nach einer Prozedur, die praktisch einer bedingungslosen Kapitu- lation gleichkommt. Das Spiel «WANJA» stellt also of- fensichtlich auf sozialer Ebene so etwas wie eine Lö- sung für einen (Kapitulations-Konflikt) dar. Noch bezeichnender ist die Tatsache, dass dieses Ein Spiel besonders unter Leuten üblich ist, die sich stän- Spiel-Brevier dig davor fürchten, erröten zu müssen; das zeigt das
  371. folgende, im Rahmen einer therapeutischen Behand- lung geführte Gespräch: «WANJA» in Therapeut: «Warum spielen Sie eigentlich <Warum der Therapie nicht - Ja, aber ...>, obwohl Sie doch wissen, dass das ein aufgelegter Schwindel ist?» Weiß: «Wenn ich mit jemandem spreche, dann muss ich immer angestrengt nachdenken, was ich eigentlich sagen soll. Tu ich's nicht, dann muss ich erröten. Na- türlich nicht, wenn's dunkel ist. Eine Pause im Ge- spräch kommt mir unerträglich vor. Ich weiß das sehr wohl, und mein Mann weiß das auch. Er hat mich im- mer wieder darauf aufmerksam gemacht.» Therapeut: «Sie meinen, wenn Ihr Erwachsenen-Ich nicht dauernd beschäftigt ist, dann nimmt Ihr Kind- heits-Ich die Gelegenheit wahr, um urplötzlich aufzu- tauchen und Sie in Verlegenheit zu bringen.» Weiß: «Genauso ist es. Solange ich in der Lage bin, jemandem Lösungsvorschläge für seine Probleme zu unterbreiten bzw. ihn zu veranlassen, mir Lösungsvor- schläge zu unterbreiten, solange ist bei mir alles in Ordnung; ich fühle mich geschützt. Solange ich mein Erwachsenen-Ich unter Kontrolle halten kann, lässt sich bei mir der Einbruch eines Verlegenheitszustands vermeiden.» Damit gibt Frau Weiß deutlich zu erkennen, dass sie sich vor allem vor unstrukturierter Zeit fürchtet. Ihr Furcht als Kindheits-Ich wird so lange daran gehindert, sich be- Motiv merkbar zu machen, wie das Erwachsenen-Ich sich in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation beschäf- tigen lässt, und ein Spiel bietet ein durchaus geeignetes Betätigungsfeld für die Funktionen des Erwachsenen- 8. Ichs. Das Spiel muss allerdings hinreichend motiviert Partyspiele
  372. sein, um das Interesse der Spielerin festzuhalten. Dass Frau Weiß das «WANJA»-Spiel wählt, ergibt sich aus dem Prinzip der Ökonomie: Es bietet für die Konflikte ihres Kindheits-Ichs um die physische Passivität die Maximale maximalen inneren und äußeren Nutzeffekte. Sie kann Nutzeffekte praktisch mit gleichem Gusto die Rolle des pfiffigen Kindes spielen, das sich von niemandem etwas sagen lässt, oder aber die Rolle des lebensklugen Elternteils, der versucht, das Kindheits-Ich in einem anderen Menschen zu beherrschen, dem das aber nicht gelingt. Da das Grundprinzip des Spiels «WANJA» darin be- steht, dass niemals ein Lösungsvorschlag akzeptiert wird, bleibt dem Eltern-Ich der Erfolg immer versagt. Das Motto des Spiels lautet also: «Reg dich nicht auf, das Eltern-Ich verliert immer!» Das heißt: Während jede Einzelaktion sozusagen für Weiß amüsant ist und mit jeder Zurückweisung eines vorgebrachten Lösungsvorschlags immer wieder Ver- Der gnügen bereitet, liegt der eigentliche Höhepunkt des Höhepunkt Spiels in dem mehr oder minder betretenen Schwei- des Spiels gen, das dann eintritt, wenn alle anderen sich hinrei- chend den Kopf zerbrochen haben und keine Lust mehr haben, sich weitere akzeptable Lösungsvor- schläge auszudenken. Das ist das Signal für Frau Weiß und die anderen Mitspielerinnen: Sie hat gewonnen, indem sie demonstriert hat, dass nicht sie inadäquat ist, sondern dass es die anderen sind. Das betretene Schweigen kann mehrere Minuten lang andauern. In dem oben zitierten Beispiel hat Grün die Triumph- spanne für Weiß unvermittelt abgekürzt, denn Frau Ein Grün war nur darauf bedacht, ein Spiel nach ihrer ei- Spiel-Brevier genen Wahl zu beginnen, und das hielt sie davon ab,
  373. sich an dem Spiel von Frau Weiß zu beteiligen. Zu ei- nem späteren Zeitpunkt während der gleichen Grup- pen-Konsultation ließ dann Frau Weiß ihren Groll an Frau Grün dafür aus, dass diese ihr die Zeitspanne ver- kürzt hatte, in der sie ihren Sieg genießen konnte. Recht merkwürdig ist bei dem Spiel «WANJA» auch der Umstand, dass das innerliche und das äußerliche Spiel auf genau die gleiche Weise gespielt werden, nur eben mit vertauschten Rollen. Bei der äußerlichen,.kli- Zwei Formen nisch beobachteten Form tritt das Kindheits-Ich von von «WANJA» Weiß in den Vordergrund, um die Rolle des inadäqua- ten Hilfesuchenden in einer vielschichtigen Situation zu spielen. Bei der innerlichen, intimeren Form, die sie daheim als zweiseitiges Spiel mit ihrem Ehemann spielt, tritt das lebenskluge Eltern-Ich in den Vordergrund, um wirksame Ratschläge zu geben. Diese Umkehrung ist jedoch im Allgemeinen sekundärer Natur, denn solan- ge ihr zukünftiger Mann noch als Liebhaber um sie wirbt, spielt sie die Rolle des hilflosen Kindes, und erst wenn die Flitterwochen vorüber sind, kommt ihr Risiken herrschsüchtiges Eltern-Ich allmählich offen zum Vor- des Spiels schein. Je näher der Hochzeitstermin rückt, desto mehr besteht natürlich die Möglichkeit, dass ihr in dieser Be- ziehung gelegen tlich ein Lapsus unterläuft, aber ihr Ver- lobter übersieht das geflissentlich, denn er ist nur dar- auf bedacht, endlich mit seiner sorgfältig erwählten Braut einen eigenen Hausstand zu gründen. Übersieht der Verlobte die gelegentlichen Fehlhandlungen nicht, dann kann es zu einer Auflösung der Verlobung aus (wichtigen Gründen) kommen; Frau Weiß, nicht wei- ser, sondern betrübter, nimmt nun ihre Suche nach ei- 8. nem geeigneten Ehemann wieder von neuem auf. Partyspiele
  374. Antithese. Es leuchtet ein, dass diejenigen, die auf den Eröffnungszug von Weiß: die Darlegung ihres Pro- blems), reagieren, selbst eine Variante des Spiels «Ich versuche nur, dir zu helfen» («IVEDIH») spielen. Tat- sächlich ist «WANJA» in Wirklichkeit nichts anderes als die inverse Form von «IVEDIH». Bei «IVEDIH» gibt es einen Therapeuten und viele Klienten; bei «WANJA» dagegen gibt es nur einen Klienten, aber viele (Thera- Klinisches peuten). Die klinische Antithese zu «WANJA» besteht Vorgehen daher darin, nicht «IVEDIH» zu spielen. Besteht der Eröffnungszug in der Formulierung: «Was tut man, wenn ...», dann reagiert man am besten mit der Ant- wort: «Das ist ein sehr schwieriges Problem. Was wol- len Sie denn in diesem Fall unternehmen?» Lautet die Eröffnungs-Formulierung: «Mit X hat das nicht rich- tig geklappt», dann sollte man antworten: «Das ist zu schade!» Beide Antworten sind höflich formuliert und bringen zugleich Frau Weiß in Verlegenheit, oder sie lösen zumindest bei ihr eine Überkreuz-Transaktion aus, bei der ihre Frustration klar zutage tritt, sodass man sich ihrer annehmen kann. In einer Therapie- Gruppe sollten anfällige Patienten es sich versagen, «IVEDIH» zu spielen, auch wenn man sie dazu gerade- zu einlädt. Dann können nicht nur Weiß, sondern auch die anderen Mitglieder der Gruppe etwas aus dem «Anti-WANJA» lernen, das im Prinzip nur die Kehr- seite von «Anti-IVEDIH» ist. In einer gesellschaftlichen Situation, in der das Spiel einen freundlichen und harmlosen Charakter hat, be- steht allerdings kein Anlass dazu, nicht daran teilzu- nehmen. Wird jedoch der Versuch gemacht, jemandem berufliche Kenntnisse zu entlocken, dann mag eine an-
  375. tithetische Einzelaktion erforderlich sein; da aber in solchen Situationen das Kindheits-Ich von Weiß bloß- gestellt wird, ergeben sich daraus gewisse Ressenti- ments. Unter diesen Umständen ist es am besten, dem Eröffnungszug auszuweichen und zu versuchen, ein «HIVE»-Spiel ersten Grades in Gang zu bringen. Verwandte Spiele. Man muss «Warum nicht - Ja, aber ...» von seinem Gegenstück unterscheiden, dem Spiel «Warum ... - Nein, aber ...» («WANA»); hier ge- Das winnt das Eltern-Ich, und das Kindheits-Ich wird Gegenstück «WANA» schließlich verwirrt und zieht sich zurück; auch in die- sem Fall bekommt man rein von den gesprochenen Worten her den Eindruck, als handle es sich hier um eine sachliche Unterhaltung auf <Erwachsenen-Ich>- Ebene. «WANA» ist auch eng verwandt mit dem Spiel «Außerdem ...». Die Umkehrung von «WANJA» scheint zunächst Ähnlichkeit mit dem Spiel «Verehrerin» zu haben. Hier verleitet Frau Weiß den Therapeuten dazu, ihr Lösungsvorschläge zu unterbreiten, die sie jedoch Die Falle nicht ablehnt, sondern unverzüglich akzeptiert. Erst für den Therapeuten nachdem sich der Therapeut sehr eingehend mit Frau Weiß befasst hat, wird er der Tatsache gewahr, dass sie sich gegen ihn wendet. Was zunächst wie ein Spiel «Verehrerin» aussah, entpuppt sich schließlich als eine Art intellektuelles «HIVE»-Spiel. Die klassische Versi- on dafür ist die Umschaltung von positiver auf negati- ve Übertragung im Verlauf einer orthodoxen Psycho- analyse. «WANJA» kann man auch in einer schärferen Form zweiten Grades spielen, und zwar als «Tu mir etwas
  376. an». Die Patientin weigert sich z. B., ihre Arbeiten im Haushalt zu verrichten, und jeden Abend, wenn der Verschärftes Ehemann heimkehrt, kommt es dann zu einem «WAN- «WANJA» JA»-Spiel. Was der Mann auch immer vorbringen mag, sie weigert sich hartnäckig, ihr Verhalten zu ändern. Diese verbissene Hartnäckigkeit kann in einigen Fällen durchaus boshafter Natur sein und eine gründliche psychiatrische Untersuchung erforderlich machen. Man sollte allerdings auch den Spiel-Aspekt mit in Be- tracht ziehen, denn aus ihm ergibt sich die Frage, war- um der Mann sich eine solche Frau zur Gattin erwählt hat und inwieweit ihn selbst die Schuld daran trifft, dass die Situation unverändert bleibt. Analyse These: Sieh mal zu, ob du mir einen Lösungsvorschlag präsentieren kannst, den ich nicht aus irgendeinem Grund zurückweisen kann. Ziel: Ermutigung. Rollen: Hilflose Person, Ratgeber. Dynamik: Kapitulations-Konflikt (oral). Beispiele: 1. Ja, aber ich kann jetzt nicht im Haushalt arbeiten, denn ... 2. Hilflose Frau. Sozial-Paradigma: Erwachsenen-Ich / Erwachsenen- Ich. Erwachsenen-Ich: «Was tut man, wenn ...» Erwachsenen-Ich: «Warum ... nicht...» Erwachsenen-Ich: «Ja,aber ...» Psychologisches Paradigma: Eltern-Ich / Kindheits- Ich. Eltern-Ich: «Ich kann dich dazu bringen, dass du mir für meine Hilfe dankbar bist.»
  377. Kindheits-Ich: «Na, dann versuch's doch mal.» Einzelaktionen: 1. Problem - Lösung. 2. Einwand - Lösung. 3. Einwand - Verwirrung. Nutzeffekte: 1. Innerlich psychologisch - Ermutigung. 2. Äußerlich psychologisch - Vermeidung einer Kapi- tulation. 3. Innerlich sozial - «WANJA», Rolle des El- tern-Ichs. 4. Äußerlich sozial - «WANJA», Rolle des Kindheits-Ichs. 5. Biologisch - Sachliche Erörterung. 6. Existentiell - leder will mich beherrschen.
  378. SEXSPIELE
  379. Einige Spiele werden zur Ausnutzung bzw. zur Abwehr sexueller Impulse gespielt. Hier handelt es sich in allen Fällen im Prinzip um Perversionen von sexuellen In- stinkten, bei denen die Befriedigung aus dem sexuellen Charakter Akt in die entscheidenden Transaktionen verlegt wird, der Spiele die den eigentlichen Nutzeffekt des Spiels ausmachen. Das lässt sich allerdings nicht immer überzeugend nachweisen, denn derartige Spiele vollziehen sich im Allgemeinen in der privaten Intimsphäre; klinische In- formationen über sie kommen also aus zweiter Hand, und es lässt sich nicht immer richtig abschätzen, inwie- weit der Informant unvoreingenommen berichtet. So ist z. B. die psychiatrische Auffassung von der Homo- sexualität recht einseitig, denn die aggressiveren und erfolgreicheren <Spieler> begeben sich nur selten in psychiatrische Behandlung, und das verfügbare Mate- rial betrifft überwiegend die passiven Partner. In diesem Kapitel werden folgende Spiele behandelt: «Macht den Sieger unter euch aus», «Perversion», «Hil- fe! Vergewaltigung!», «Strumpfspiel» und «Tumult». In Frauen als den meisten Fällen ist der agierende Urheber eine Frau. Urheber Das ist darum der Fall, weil die schärferen Formen von Sexspielen, bei denen ein Mann der agierende Urheber ist, den Grenzbereich der Kriminalität berühren oder 9. bereits selbst kriminelle Delikte darstellen und folglich Sexspiele
  380. in das Kapitel der Räuberspiele gehören. Andererseits überschneiden sich auch Sexspiele und Ehespiele, doch können die in diesem Kapitel beschriebenen Spiele ebenso von unverheirateten Partnern gespielt werden wie von Ehepaaren.
  381. 7. «Macht den Sieger unter euch aus» («MASUEA») These. Hier kann es sich um ein Manöver, um ein Ri- tual oder um ein Spiel handeln. In allen Fällen wird je- doch das psychologische Moment stark von der weib- Ein lichen Psyche her bestimmt. «MASUEA» bildet wegen literarisches seiner ausgesprochen dramatischen Eigenschaften die Spiel Grundlage für einen Großteil der Weltliteratur, der gu- ten ebenso wie der schlechten. 1. Als Manöver ist es überwiegend romantisch. Die Frau manövriert zwei Männer in einen Kampf hinein, wobei sie impliziert oder rundweg verspricht, dass sie Romantisches dem Sieger angehören wird. Ist der Wettkampf ent- Manöver schieden, dann löst sie ihr gegebenes Versprechen ein. Diese Transaktion hat durchaus aufrichtigen Charak- ter; er zeigt sich auch in der Präsumtion, dass die Frau und ihr Erwählter von nun an für alle Zeiten glücklich zusammenleben werden. 2. Als Ritual zeigt es eine gewisse Tendenz zur Tra- Tragisches gik. Anstand und Sitte verlangen, dass die beiden Män- Ritual ner um sie kämpfen, selbst wenn sie selbst das gar nicht wünscht und ihre Wahl bereits getroffen hat. Gewinnt der Falsche, dann muss sie ihn trotzdem nehmen. In Ein diesem Fall ist es nicht die Frau, sondern die Gesell- Spiel-Brevier schaft, die das Spiel «MASUEA» in Gang bringt. Spielt
  382. sie mit, dann handelt es sich auch hier um eine ehrliche Transaktion. Lehnt sie jedoch das Spiel ab oder ist ent- täuscht, dann bietet ihr der Ausgang beträchtlichen Spielraum für weitere Spiele, wie z. B. «Dem Burschen wolln wir mal ein Ding verpassen». 3. Als Spiel hat es ausgesprochen komischen Cha- rakter. Die Frau setzt den Wettkampf in Szene, aber Gelungene während die beiden Männer um sie kämpfen, macht Komödie sie sich mit einem Dritten aus dem Staub. Die inner- lichen und äußerlichen psychologischen Nutzeffekte für sie und ihren Erwählten lassen sich aus der Auffas- sung ableiten, ein aufrichtiger Wettstreit eigne sich al- lenfalls für Trottel und Einfaltspinsel; die Komödie, die die beiden gemeinsam durchlebt haben, bildet die Grundlage für die innerlichen und äußerlichen sozia- len Nutzeffekte.
  383. 2. «Perversion» These. Heterosexuelle Perversionen wie z. B. Fetischis- mus, Sadismus und Masochismus sind symptomatisch für ein verworrenes Kindheits-Ich und werden auch dementsprechend behandelt. Ihren transaktionellen Aspekten, wie sie sich effektiv in sexuellen Situationen manifestieren, kann man am besten mit Hilfe der Spiel-Analyse beikommen. Das kann zu einer Kon- Soziale trolle im gesellschaftlichen Bereich führen, sodass die Kontrolle pervertierten Sexual-Impulse, auch wenn sie im Prin- zip unverändert bleiben, so weit neutralisiert werden, dass ihre tatsächliche Befriedigung eingeschränkt bzw. ausgeschlossen wird. 9. Menschen, bei denen sadistische oder masochisti- Sexspieie
  384. sehe Züge in relativ milder Form ausgeprägt sind, nei- gen zu einer recht primitiven psychologischen Einstel- Primitiv- lung. Sie haben das Gefühl, ihre Sexual-Impulse seien Psychologie besonders stark ausgebildet und eine länger anhal- tende Abstinenz würde daher zu bedenklichen Folge- erscheinungen führen. Diese Schlussfolgerungen ent- sprechen nicht unbedingt den Tatsachen, aber sie bilden die Grundlage für das Spiel «Holzbein», das mit der Ausrede verknüpft ist: «Was erwarten Sie denn von jemandem, der so <sexy> ist wie ich?» Antithese. Man sollte gegenüber sich selbst und ge- genüber seinem Partner die üblichen Anstands- und Höflichkeitsregeln beachten, d.h., man sollte sich ver- bales oder physisches Flagellieren versagen und sich auf die mehr konventionellen Formen des Koitus be- Konvention als schränken. Ist Weiß wirklich pervers, dann wird auf Gegenmittel diese Weise auch das zweite Spiel-Element erkennbar, das häufig in seinen Träumen deutlich genug zum Aus- druck kommt: Der Koitus an sich bedeutet ihm kaum etwas, er gewinnt seine eigentliche Befriedigung aus den demütigenden Präliminarien. Sich selbst gegen- Hauptsache über mag er das nicht gern zugegeben haben; jetzt aber Vorspiel wird ihm klar, dass sich das, worüber er sich im Grun- de beklagt, etwa so ausdrücken ließe: «Nach all den an- strengenden Präliminarien soll ich jetzt auch noch den Geschlechtsakt vollziehen!» Angesichts dieser Sachlage sind die Vorbedingungen für eine ganz spezifische Psy- chotherapie wesentlich günstiger: Die Barriere der Ausreden und Ausflüchte ist durchbrochen. Das gilt je- Ein doch, wie die Praxis zeigt, nur für die üblichen <Sexual- Spiel-Brevier Psychopathen>, nicht aber für die bösartigen schizo-
  385. phrenen bzw. kriminellen Perversionen und auch nicht für diejenigen Leute, deren sexuelle Aktivität sich auf den Bereich der Phantasie beschränkt. Das Spiel «Homosexualität» hat sich in vielen Län- Homo- dern zu einer Art <Nebenkultur> entwickelt, in anderen sexualität als Spiel ist es zu einem Ritual geworden. Viele der als Folge der Homosexualität auftretenden <Degenerationserschei- nungen> ergeben sich daraus, dass diese Perversion zu einem Spiel erhoben wird. Das provozierende Verhal- ten, das zu Spielen führt wie «Räuber und Gendarm», «Warum muss das ausgerechnet immer mir passie- ren?», «So ist die Gesellschaft, in der wir leben», «Alle großen Männer waren ...» usw., lässt sich häufig einer gesellschaftlichen Kontrolle unterwerfen, die die mit Soziale den Spielen verbundenen Handikaps auf ein Mini- Kontrolle mum reduziert. Der <Profi-Homosexuelle> vergeudet ein beträchtliches Ausmaß an Zeit und Energie, die sonst nutzbringenderen Zwecken dienstbar gemacht werden könnten. Die Analyse der von ihm gespielten Spiele könnte ihm dazu verhelfen, eine in ruhigen Bah- nen verlaufende ménage zu etablieren, die ihm die Möglichkeit gibt, die Annehmlichkeiten der bürger- lichen Gesellschaft zu genießen, anstatt sich darauf zu beschränken, fortgesetzt seine eigene Version von «Ist es nicht schrecklich» zu spielen.
  386. 3- «Hilfe! Vergewaltigung!» («HIVE») These. Hier handelt es sich um ein Spiel zwischen ei- nem Mann und einer Frau; man könnte es, zumindest in seinen weniger krassen Formen, auch «Küss mich!»
  387. oder «Entrüstung» nennen. Es lässt sich mit unter- schiedlichen Intensitäts-Graden spielen. 1. «HIVE» ersten Grades bzw. «Küss mich!» ist auf «Küss mich!» gesellschaftlichen Zusammenkünften aller Art beliebt und besteht im Wesentlichen aus einem gelinden Flirt. Frau Weiß gibt zu erkennen, dass sie zu haben ist, und sie hat ihr Vergnügen an den werbenden Manövern des Mannes. Sobald er sich ihr anvertraut hat, ist das Spiel vorüber. Ist die Frau höflich, dann kann sie offen zu ihm sagen: «Ihr Interesse für mich hat mich beein- druckt, und ich bin Ihnen dankbar dafür»; dann wen- det sie sich ihrer nächsten Eroberung zu. Ist sie weni- ger generös, dann lässt sie den Mann einfach stehen und geht wortlos von dannen. Eine geschickte Spiele- rin ist durchaus in der Lage, das Spiel im Rahmen ei- ner größeren Gesellschaft eine ganze Weile andauern zu lassen, indem sie häufig ihren <Standort> wechselt: Der Mann ist dann zu komplizierten Manövern ge- zwungen, um ihr möglichst unauffällig zu folgen. 2. Im «HIVE»-Spiel zweiten Grades bzw. «Entrüs- tung» stellen die werbenden Manöver von Schwarz für «Entrüstung» Frau Weiß nur eine sekundäre Befriedigung dar. Das Hauptvergnügen besteht für sie darin, dass sie ihm ei- nen Korb gibt; das Spiel ist daher auch unter der um- gangssprachlichen Bezeichnung «Schleich dich, Casa- nova!» bekannt. Frau Weiß begnügt sich nicht mit dem gelinden Flirt, wie er im «HIVE»-Spiel ersten Grades üblich ist, sondern sie verführt Schwarz zu weit kom- promittierenderen Situationen und weidet sich dann an seinem Unbehagen, wenn sie ihm unvermutet einen Ein Korb gibt. Natürlich ist Schwarz nicht so hilflos, wie es Spiel-Brevier den Anschein hat: Er mag selbst in nicht unbeträcht-
  388. lichem Ausmaß dazu beigetragen haben, sich in diese kompromittierenden Situationen hineinzumanövrie- ren; gewöhnlich spielt er dabei irgendeine Variante des Spiels «Mach mich fertig». 3. «HIVE» dritten Grades ist ein heimtückisches Spiel, das häufig mit Mord oder Selbstmord endet oder aber im Gerichtssaal. Hier verführt Frau Weiß Schwarz zu einem kompromittierenden physischen Provozierte Kontakt und behauptet nachher, er habe sie in verbre- Sexualattacke cherischer Weise attackiert oder ihr einen nicht wie- der gutzumachenden Schaden zugefügt. In der zy- nischsten Variante dieses Spiels kann Frau Weiß es dem Mann sogar gestatten, einen kompletten Koitus mit ihr zu vollziehen; auf diese Weise genießt sie zu- nächst einmal das sexuelle Vergnügen, um ihn danach mit den übelsten Vorhaltungen zu konfrontieren. Die- se Konfrontation kann unmittelbar nach dem Ge- Die schlechtsakt erfolgen, so z. B., wenn sie unberechtig- Konsequenzen terweise schreit: «Hilfe! Vergewaltigung!», sie kann aber auch erst mit beträchtlicher Verzögerung eintre- ten, wie das z. B. der Fall ist, wenn es nach einer sich länger hinziehenden Liebesaffäre zu Mord oder Selbstmord kommt. Will sie die ganze Angelegenheit als strafrechtlich verfolgbare Attacke hochspielen, dann ist es für sie meist relativ leicht, selbstsüchtige oder geradezu pathologisch an dem Fall interessierte Verbündete zu finden, wie z. B. die Presse, die Polizei, Anwälte und Verwandte. Manchmal allerdings wen- den sich die Außenstehenden in zynischer Weise ge- gen sie, sodass sie die Initiative verliert und sozusagen selbst zum Spielball der anderen wird. 9. In manchen Fällen spielen die Außenstehenden Sexspiele
  389. noch eine andere Rolle. Sie zwingen das Spiel Frau Weiß gegen ihren Willen auf, denn sie möchten gern spielen «Macht den Sieger unter euch aus». Sie manö- vrieren sie in eine Situation hinein, in der sie gezwun- «HIVE» als gen ist, «Vergewaltigung!» zu schreien, wenn sie ihr Selbstschutz Gesicht bzw. ihren Ruf wahren will. Das ist besonders bei minderjährigen Mädchen der Fall, die noch dem Jugendschutzgesetz unterstehen. Sie mögen an sich durchaus willens sein, eine Affäre fortzusetzen, aber da das Ganze aufkommt und darüber geredet wird, sehen sie sich gezwungen, aus dem, was ursprünglich als Ro- manze begann, ein «H1VE»-Spiel dritten Grades zu machen. In jener wohl bekannten Situation aus der Bibel wei- Das Beispiel gerte sich der übervorsichtige Joseph, sich in ein Joseph «HIVE»-Spiel hineinziehen zu lassen, und Potiphars Weib nahm daraufhin sofort die geradezu klassische Umschaltung auf das Spiel «Macht den Sieger unter euch aus» vor; das ist ein ausgezeichnetes Beispiel da- für, wie ein routinierter Spieler (bzw. eine Spielerin) auf eine Antithese reagiert und dafür, welchen Gefah- ren Menschen ausgesetzt sind, die sich weigern, gewis- se Spiele mitzumachen. Eine Kombination der beiden Das eben zitierten Spiele ist das allgemein bekannte «Bad- <(Badger»-Spiel ger»-Spiel, in dem eine Frau zuerst Schwarz verführt und dann sofort «Vergewaltigung!» schreit; zu diesem Zeitpunkt tritt ihr Ehemann auf den Plan und setzt Schwarz mit Erpressungsversuchen hart zu. Einer höchst unheilvollen und bedenklichen Form des «HIVE»-Spiels im dritten Grad begegnet man rela- Ein tiv häufig beim Zusammentreffen zweier Homosexu- Spiel-Brevier eller, die sich eben erst kennen gelernt haben; hier kann
  390. es innerhalb kürzester Zeit, manchmal in weniger als einer Stunde, zu Mord und Totschlag kommen. Die zy- nischen und kriminellen Varianten dieses Spiels liefern umfangreiches Berichtsmaterial für die Sensations- presse. Der Kindheits-Prototyp von «H1VE» ist der gleiche wie bei dem Spiel «Frigide Frau»: Das kleine Mädchen «HIVE» verleitet den kleinen Jungen dazu, sich zu erniedrigen unter Kindern oder sich schmutzig zu machen, und macht sich dann selbst über ihn lustig; klassische Beispiele dafür finden sich in Maughams <Des Menschen Hörigkeit> und, wie bereits erwähnt, in Dickens' <Große Erwartungen>. Es handelt sich hier um ein Spiel zweiten Grades. Einer schärferen Form, die schon einen Grenzwert zu einem Spiel dritten Grades darstellt, kann man in übel be- leumdeten Gegenden begegnen. Antithese. Die Fähigkeit eines Mannes, sich aus einem solchen Spiel herauszuhalten oder es zumindest unter seine Kontrolle zu bekommen, hängt davon ab, inwie- weit er in der Lage ist, zwischen dem Ausdruck eines echten Gefühls und dem Schachzug in einem Spiel zu Das Spiel unterscheiden. Kann er das Spiel im gesellschaftlichen kontrollieren Rahmen unter Kontrolle halten, dann mögen ihm die diversen harmlosen Flirts im «Küss mich!»-Spiel viel Vergnügen bereiten. Andererseits ist es sehr schwer, eine Erfolg versprechende Antithese für das Manöver von <Potiphars Weib> zu finden; hier gibt es eigentlich Flucht vor nur eine Möglichkeit: Man macht sich rechtzeitig aus «Potiphars dem Staub, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Im Jahre Weib» 1938 ist der Autor in Aleppo einem alternden <Joseph> 9. begegnet: Er hatte Konstantinopel vor 32 Jahren flucht- Sexspiele
  391. artig verlassen, nachdem ihn anlässlich eines Ge- schäftsbesuchs im Yildiz-Harem eine der Sultans- frauen kompromittiert und in die Enge getrieben hat- te. Er musste sein Geschäft aufgeben, nahm sich aber noch die Zeit, seinen Schatz an Goldfranken dem Rei- segepäck einzuverleiben, und kehrte dann nie wieder an den <Tatort> zurück. Verwandte Spiele. Den Varianten von «HIVE», in de- nen der Mann die Hauptrolle spielt, begegnet man be- zeichnenderweise in verschiedenen Situationen des kommerziellen Lebens: Man kann sie bezeichnen als «Bett des Regisseurs» (und <nachher> bekam sie die Rolle doch nicht!) und «Liebesnest» (und <nachher> wurde sie fristlos entlassen). Analyse Die folgende Analyse bezieht sich auf das Spiel «HIVE» dritten Grades, denn hier kommen die Wesensele- mente des Spiels deutlicher zum Ausdruck. Ziel: Arglistige Rache. Rollen: Verführerin, Schürzenjäger. Dynamik (dritter Grad): Penis-Neid, orale Gewalttä- tigkeit. «Küss mich!» ist phallischer Natur, während sich bei «Entrüstung» in starkem Maß anale Elemente bemerkbar machen. Beispiele: 1. Ich werde verraten, was du getan hast, du dreckiger kleiner lunge du. 2. Frau, der man Unrecht angetan hat. SoziaI-Paradigma: Erwachsenen-Ich / Erwachsenen- Ich. Erwachsenen-Ich (männlich): «Es tut mir Leid, wenn
  392. ich weitergegangen bin, als ich es nach deiner Meinung hätte tun dürfen.» Erwachsenen-Ich (weiblich): «Du hast mich vergewal- tigt, und du musst den vollen Preis dafür bezahlen.» Psychologisches Paradigma: Kindheits-Ich / Kind- heits-Ich. Kindheits-Ich (männlich): «Sich nur, wie unwidersteh- lich ich bin.» Kindheits-Ich (weiblich): «Jetzt hab ich di^h endlich erwischt, du Schweinehund!» Einzelaktionen: 1. Frau - Verführung; Mann - Verfüh- rung im Gegensinn. 2. Frau - Kapitulation; Mann - Sieg. 3. Frau - Konfrontation mit Vorhaltungen; Mann - Zusammenbruch. Nutzeffekte: 1. Innerlich psychologisch - Hassgefühl und Schuldprojektion. 2. Äußerlich psychologisch - Vermeidung von Intimerlebnissen mit emotionellem Hintergrund. 3. Innerlich sozial - «Jetzt hab ich dich endlich, du Schweinehund!» 4. Äußerlich sozial - «Ist es nicht schrecklich», «Gerichtssaal», «Macht den Sie- ger unter euch aus». 5. Biologisch - Sexuelle Beziehun- gen und Austausch von aggressiven Bekundungen. 6. F^xistenziell - Mich trifft keine Schuld.
  393. 4. Das «Strumpfspiel» These. Auch dieses Spiel gehört zur «HIVE»-Familie; sein charakteristisches Merkmal ist der Exhibitionis- Hysterischer mus, der seiner Natur nach hysterisch ist. Eine Frau Exhibitio- nismus stößt zu einer Gruppe ihr bis dahin unbekannter Men- schen; schon nach kurzer Zeit hebt sie ihren Rocksaum an, entblößt dabei auf provozierende Art ihre Ober-
  394. Schenkel und bemerkt dazu: «O mein Gott, ich hab ja eine Laufmasche in meinem Strumpf.» Diese Aktion Die geile ist darauf abgestellt, die anwesenden Männer sexuell Masche zu erregen und die anderen Frauen zu verärgern. Macht man Frau Weiß Vorhaltungen, dann beteuert sie natürlich ihre Unschuld oder sie protestiert mit Ge- genbeschuldigungen - daher die Ähnlichkeit mit dem klassischen «HIVE»-Spiel. Bezeichnend ist das man- gelnde Anpassungsvermögen von Frau Weiß. Sie war- tet selten lange genug, um erst einmal herausfinden zu können, mit was für Leuten sie es zu tun hat, oder um ihr Manöver im richtigen Augenblick zu starten. Da- her wird es auch sofort als unpassend empfunden und wirkt sich nachteilig auf ihre Beziehungen zu den übri- gen Gruppenmitgliedern aus. Trotz eines gewissen oberflächlichen <Bildungsfirnisses> begreift sie nicht, was um sie herum im Leben vorgeht, denn sie hat eine allzu zynische Auffassung von der menschlichen Natur. Sie will beweisen, dass die anderen Menschen eine las- zive Gesinnung haben; dabei wird ihr Erwachsenen- Selbst- Ich von ihrem Kindheits-Ich und ihrem Eltern-Ich zerstörerische (hier handelt es sich gewöhnlich um eine laszive Mut- Provokation ter) dazu verleitet, ihr eigenes provozierendes Verhal- ten ebenso zu ignorieren wie die anständige Gesin- nung eines Großteils der Menschen, denen sie begegnet. Dadurch bekommt das Spiel eine selbstzer- störerische Tendenz. Hier handelt es sich wahrscheinlich um die phalli- sche Variante eines Spiels, dessen Inhalt von der ihm zugrunde liegenden Störung abhängt. Eine <orale> Va- Ein riante kann man bei pathologisch gestörten Frauen Spiel-Brevier mit stark entwickelten Brüsten beobachten. Solche
  395. Frauen verschränken häufig im Sitzen ihre Hände hin- Die orale ter dem Kopf, und dadurch rücken ihre Brüste auffäl- Variante lig nach vorn; sie können die Aufmerksamkeit der an- deren noch zusätzlich auf ihren Busen lenken, indem sie sich über seinen Umfang auslassen oder über einen Krankheitsbefund berichten, wie z. B. über eine Schwellung oder über eine Operation. Das unruhige Hin- und Herrutschen beim Sitzen stellt möglicher- weise eine anale Variante dar. Mit diesem Spiel ist die Implikation verbunden, dass die Frau für sexuelle Be- Sexuelle ziehungen disponibel ist. So kann es z. B. auch in einer Signale mehr symbolischen Form von <t.rauernden> Frauen ge- spielt werden, bei denen die (Zurschaustellung) ihrer Witwenschaft unaufrichtigen Motiven entspringt.. Antithese. Frauen, die dieses Spiel spielen, zeigen nicht nur ein geringes Anpassungsvermögen, sondern auch wenig Toleranz gegenüber einer Antithese. Wird das Spiel z. B. im Rahmen einer geistig differenzierten The- rapie-Gruppe einfach ignoriert oder rundweg abge- Ignorieren brochen, dann lassen sich diese Frauen meist nicht mehr blicken. Man muss bei diesem Spiel einen deutli- chen Unterschied machen zwischen Antithese und Re- pressalien, denn Letztere zeigen an, dass Frau Weiß ihr Spiel im Grunde gewonnen hat. Beim «Strumpfspiel» sind Frauen im Kontern geschickter als Männer, bei ... oder denen ja auch in der Tat kaum ein Anlass gegeben ist, kontern das Spiel abzubrechen. Daher überlässt man die Anti- these am besten dem freien Ermessen der übrigen noch anwesenden Frauen. 9. Sexspiele
  396. 5. «Tumult» These. Das klassische «Tumult»-Spiel spielt sich zwi- schen einem tyrannischen Vater und seinen Teenager- Töchtern ab, besonders dann, wenn die Mutter sexuell gehemmt ist. Der Vater kehrt von seinem Arbeitsplatz nach Hause zurück und tadelt seine Tochter, die ihm eine unverschämte Antwort gibt; oder die Tochter Das Vater- macht den Eröffnungszug, indem sie sich ihrem Vater Tochter-Spiel gegenüber unverschämt benimmt, der Vater reagiert darauf mit einem Tadel. Ihre Stimmen werden lauter, und der Streit spitzt sich zu. Der Ausgang des Streits hängt davon ab, auf wessen Seite die Initiative liegt. Es gibt drei Möglichkeiten: a) der Vater zieht sich in das elterliche Schlafzimmer zurück und knallt die Tür hin- ter sich zu; b) die Tochter zieht sich in ihr Schlafzim- mer zurück und knallt die Tür hinter sich zu; c) beide ziehen sich getrennt in ihre Schlafzimmer zurück und knallen die Türen hinter sich zu. In jedem Fall wird das Ende des «Tumult»-Spiels durch eine zuknallende Tür gekennzeichnet. Das «Tumult»-Spiel bietet eine wenig Knallende erfreuliche, aber wirksame Lösung für die sexuellen Türen Probleme, die es zwischen Vätern und Teenager-Töch- als Lösung tern in gewissen Familien gibt. Häufig können sie nur unter der Bedingung im gleichen Haus leben, dass sie aufeinander böse sind, und die zuknallenden Türen unterstreichen für jeden von ihnen, dass sie getrennte Schlafzimmer haben. In degenerierten Familien kann dieses Spiel eine üble und abstoßende Form annehmen: Immer wenn die Tochter von einem Rendezvous zurückkehrt, passt sie der Vater an der Eingangstür ab und unterzieht sie selbst und ihre Kleidung einer gründlichen Untersu-
  397. chung, um sich zu vergewissern, dass seine Tochter kei- nen Geschlechtsverkehr gehabt hat. Schon der leiseste Verdacht kann zu einem äußerst heftigen Wortwechsel Üble Kontrolle führen, der unter Umständen damit endet, dass die Tochter mitten in der Nacht aus dem Haus gejagt wird. Mit der Zeit nimmt die Natur natürlich ihren Lauf, wenn nicht in der ersten Nacht, dann in der nächsten oder übernächsten. Dann sieht der Vater seinen Ver- dacht (gerechtfertigt) und versucht das der Mutterklar zu machen, die die ganze Zeit über <hilflos> dabeige- standen hat. Im Allgemeinen kann jedoch das «Tumult»-Spiel auch von zwei Menschen gespielt werden, die versu- chen, ein sexuelles Intimerlebnis zwischen sich zu ver- meiden. In dieser Form stellt es z. B. die Schlussphase «Tumult» als des Spiels «Frigide Frau» dar. Es ereignet sich relativ sel- Vermeidung ten zwischen männlichen Teenagern und ihren weib- lichen Verwandten, denn für die Jungen im «Halbstar- ken»-Alter ist es abends leichter, aus dem Haus zu gehen, als für die übrigen Familienmitglieder. Wenn sie noch jünger sind, können Brüder und Schwestern durch physische Zweikämpfe eine wirkungsvolle Bar- riere zwischen sich aufrichten und sogar eine gewisse Befriedigung darin finden, wobei sich allerdings die Motivierungen auf verschiedenen Altersstufen stark voneinander unterscheiden; in Amerika wird diese semirituelle Form des «Tumult»-Spiels sowohl vom Sanktionierter Fernsehen als auch von Pädagogen und Kinderärzten «Tumult» sanktioniert. In der Oberschicht Englands wird es (oder wurde es zumindest) als unpassend angesehen, und die entsprechenden Energien werden auf das wohlregulier- te «Tumult»-Spiel auf den Spielfeldern umgeleitet.
  398. Antithese. Für den Vater ist das Spiel nicht so uner- freulich, wie er es wohl gern wahrhaben möchte, und es ist im Allgemeinen die Tochter, die durch eine frühe, oft vorzeitige und erzwungene Heirat zuerst den anti- Komplizierte thetischen Zug macht. Ist das psychologisch möglich, Lösungen dann kann auch die Mutter den antithetischen Zug machen, indem sie nämlich ihre relative oder absolute Frigidität aufgibt. Das Spiel kann auch dann zu Ende gehen, wenn der Vater außerhalb des eigenen Hauses ein <Objekt> für seine sexuellen Interessen findet, doch führt das unter Umständen zu weiteren Komplikatio- nen. Bei Ehepaaren ist die Antithese die gleiche wie bei den Spielen «Frigide Frau» bzw. «Frigider Mann». Unter entsprechenden Umständen geht das «Tu- mult»-Spiel ganz von selbst in das Spiel «Gerichtssaal» über.
  399. RÄUBERSPIELE
  400. Angesichts der ständigen Infiltration von Sozial- und Bewährungshelfern u.Ä. bei Gerichtshöfen, Besse- rungsanstalten und den mit der Überwachung von Be- währungsfristen befassten Institutionen und ange- sichts der immer ausgeklügelteren Methoden der Kriminologen und der mit der Urteilsvollstreckung be- auftragten Beamten sollten alle, die es angeht, ihr Au- genmerk nachhaltig auf diejenigen Spiele richten, die Spiele der in der Unterwelt weit verbreitet und besonders beliebt Unterwelt sind, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gefängnismauern. Zu diesen Spielen gehören: «Räuber und Gendarm», «Wie kommt man hier bloß wieder raus» und «Dem Burschen wolln wir mal ein Ding verpassen».
  401. 7. «Räuber und Gendarm» These. Da die meisten Ganoven <Bullen>-Hasser sind, scheint es ihnen mindestens ebenso viel, wenn nicht noch mehr Vergnügen zu bereiten, die Polizei zu über- listen, als ihre Beute in Sicherheit zu bringen. Ihre Ver- brechen sind auf der <Erwachsenen-Ich>-Ebene Spiele, die um des materiellen Gewinns (der Beute) willen ge- spielt werden; aber auf der <Kindheits-Ich>-Ebene geht 10. es vor allem um den mit der Verfolgungsjagd verbun- Räuberspiele
  402. denen Nervenkitzel: das Sich-aus-dem-Staub-Machen und In-der-Versenkung-Verschwinden. Seltsamerweise ist der Kindheits-Prototyp für «Räu- ber und Gendarm» nicht das von den Kindern gespiel- Versteck-Spiel te Spiel gleichen Namens, sondern das Versteckspiel, als Prototyp bei dem das wesentliche Element der Ärger darüber ist, in seinem Versteck entdeckt' zu werden. Kleinkinder verraten das ganz deutlich. Findet sie z. B. der Vater all- zu schnell, dann ärgern sie sich, ohne viel Spaß an der Sache gehabt zu haben. Ist der Vater jedoch ein guter Spieler, dann weiß er, was er zu tun hat: Er verzögert das Finden, und nun gibt ihm der kleine Junge ein Zei- chen, indem er einen Schrei ausstößt, etwas fallen lässt oder sonst irgendwie Lärm verursacht. Auf diese Weise zwingt er seinen Vater dazu, ihn zu finden, zeigt sich Enttäuschung aber trotzdem ärgerlich; doch hat er infolge der länger und anhaltenden Spannung diesmal mehr Vergnügen an Vergnügen der Sache gefunden. Gibt der Vater vorzeitig auf, dann ist der Junge eher enttäuscht, als dass er sich als Sieger fühlt. Da er ja das Vergnügen, versteckt zu sein, durch- aus gehabt hat, kann hierin offensichtlich nicht der Grund für sein Verhalten liegen. Worüber er enttäuscht ist, das ist die Tatsache, dass man ihn in seinem Ver- steck nicht erwischt hat. Ist dann der Vater dran, sich zu verstecken, dann weiß er, dass er den lungen nicht allzu lange hinhalten darf, sondern gerade lange genug, damit es ihm wirklich Spaß macht; wird er schließlich in seinem Versteck gefunden, dann ist er klug genug, den Eindruck zu erwecken, als sei er verärgert. Daraus ergibt sich, dass der eigentliche Nutzeffekt in dem Ge- Ein fundenwerden besteht. Spiel-Brevier Das Versteckspiel ist also nicht nur ein Zeitvertreib,
  403. sondern ein richtiges Spiel. Auf der Sozial-Ebene ist es eine Art geistiger Zweikampf, und es ist dann am über- zeugendsten, wenn das Erwachsenen-Ich jedes der bei- Bedeutungen den Spieler sein Bestes gibt; auf der psychologischen des Spiels Ebene ähnelt es dem kompulsiven Glücksspiel, bei dem das Erwachsenen-Ich von Weiß verlieren muss, damit sein Kindheits-Ich gewinnt. Die Antithese besteht ein- fach darin, nicht erwischt bzw. nicht gefunden zu wer- den. Bei größeren Kindern wird derjenige, der ein y.n- auffindbares Versteck aufspürt, als ausgesprochener Spielverderber angesehen. Er hat das Kindheits-Ele- ment aus dem Spiel eliminiert und das Ganze in ein Verfahren auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs umge- wandelt. Er spielt nicht mehr zum reinen Vergnügen und befindet sich damit in der gleichen Situation wie der Besitzer eines Spielkasinos oder wie gewisse Be- rufsverbrecher, denen es in Wirklichkeit mehr auf den finanziellen Erfolg als auf die <sportliche> Betätigung ankommt. Unter den Gewohnheitsverbrechern scheint es zwei ganz verschiedene Typen zu geben: die in erster Linie Zwei Typen am materiellen Gewinn und die hauptsächlich am von Spiel interessierten - dazwischen die große Gruppe de- Verbrechern
  404. rer, bei denen sich beide Motive vermengen. Der (kom- pulsive Gewinnen, der große Geldmacher, dessen Kindheits-Ich in Wirldichkeit gar nicht erwischt wer- Der den will, wird auch, wie die Berichte ausweisen, in der «kompulsive Gewinner» Tat selten erwischt; er ist gewissermaßen ungreifbar, für ihn ist alles eine abgekartete Sache, die immer klappt. Andererseits gelingen dem (kompulsiven Ver- lieren, der «Räuber und Gendarm» («R&G») spielt, 10. selten finanziell erfolgreiche (Transaktionen). Ausnah- Räuberspiele
  405. men zu dieser Regel scheinen häufig mehr auf Glück als auf persönlicher Geschicklichkeit zu beruhen; auf lange Sicht enden jedoch selbst die Glücklichen und Erfolgreichen so, wie es ihr Kindheits-Ich im Grunde haben will: eher ärgerlich und unzufrieden als angese- hen und erfolgreich. Der «R&G»-Spieler, mit dem wir uns hier befassen, ähnelt in gewisser Beziehung dem (Alkoholikern Er Der kann von der Rolle des Räubers in die des Gendarmen Spielsüchtige hinüberwechseln, und von der des Gendarmen in die des Räubers. In einigen Fällen mag er sogar tagsüber auf der Ebene des Eltern-Ichs den Gendarmen und nach Einbruch der Dämmerung auf der Ebene des Kindheits-Ichs den Räuber spielen. In vielen Räubern steckt ein Gendarm, in vielen Gendarmen ein Räuber. <Bekehrt> sich der Verbrecher, dann kann er auch die Rollenwechsel Rolle eines <Retters> spielen, indem er in der Sozialfür- sorge oder in einer kirchlichen Mission mitarbeitet; al- lerdings ist bei diesem Spiel die Rolle des <Retters> von erheblich geringerer Bedeutung als bei dem Spiel «Al- koholiker». Normalerweise ist jedoch für den Spieler seine Rolle als Räuber zugleich sein Schicksal, und je- der hat seinen eigenen modus operandi, um schließlich doch erwischt zu werden. Er kann es dabei den Gen- darmen leicht machen, ihnen aber auch eine harte Nuss zu knacken geben. Der Ähnlich ist die Situation bei den Glücksspielern. Auf Glücksspieler sozialer oder soziologischer Ebene ist ein (professionel- ler) Glücksspieler ein Mensch, dessen Hauptinteresse im Leben das Glücksspiel beansprucht. Auf der psy- Ein chologischen Ebene kann man jedoch bei den profes- Spiel-Brevier sionellen Glücksspielern zwei verschiedene Arten von
  406. Menschen unterscheiden. Einmal gibt es solche, die ihre Zeit beim Glücksspiel verbringen und dabei mit Motive dem Schicksal <spielen>; bei ihnen wird das intensive und Varianten Bestreben des Erwachsenen-Ichs, zu gewinnen, nur noch übertroffen von dem intensiven Bedürfnis des Kindheits-Ichs, zu verlieren. Andererseits gibt es aber auch solche Leute, die ein Spielkasino besitzen und ih- ren Lebensunterhalt, gewöhnlich einen sehr reichlich bemessenen Lebensunterhalt, damit verdienen, dass sie den Profi-Spielern die Möglichkeit geben, ihr Spiel zu machen; sie vermeiden es nach Möglichkeit, selbst zu spielen, und nur bei besonderen Gelegenheiten gönnen sie sich die Freude, selbst einmal mitzuspielen, etwa ebenso wie ein hartgesottener Berufsverbrecher gele- gentlich auch mal ein «R&G»-Spiel mitspielen mag. Daraus ergibt sich auch, warum soziologische und psychologische Verbrecherstudien im Allgemeinen Nutzlose problematisch und unproduktiv sind: Sie befassen sich Studien mit zwei ganz verschiedenen Arten von Menschen, die sich innerhalb des üblichen theoretischen und empiri- schen Begriffsrahmens nicht in angemessener Form differenzieren lassen. Das Gleiche gilt für die Untersu- chungen über Glücksspieler. Transaktions- und Spiel- Analyse führen hier zu einer sofortigen Lösung. Sie be- seitigen die bestehende Ambiguität, indem sie in einer tieferen Schicht als der Sozial-Ebene scharf unterschei- den zwischen <Amateur-Spielern> und (konsequenten Profis>. Ausgehend von dieser allgemeinen These wollen wir uns nun der Erörterung spezieller Beispiele widmen. Manche Einbrecher führen ihren <Job> aus, ohne auch 10. nur einen überflüssigen Zug zu machen. Der «Räuber Räuberspiele
  407. und Gendarm»-Einbrecher hinterlässt seine Visiten- karte in Form von willkürlichen Zerstörungsakten, in- Typologie der dem er z.B. wertvolle Kleidungsstücke mit Sekreten Verbrecher und Exkreten beschmiert. Der konsequente Bankräu- ber trifft, den Berichten zufolge, jede nur mögliche .Vorsichtsmaßnahme, um überflüssige Gewaltakte zu vermeiden; der «R&G»-Bankräuber sucht nur nach ei- nem Vorwand, um seinem aufgestauten Ärger Luft zu machen. Wie jeder <Profi> möchte ein konsequenter Bankräuber seine Unternehmungen so glatt und per- fekt ausführen wie nur irgend möglich. Der «R&G»- Verbrecher dagegen spürt einen unwiderstehlichen Zwang in sich, während seiner <Arbeit> seine Wut ab- Der echte Profi zureagieren. Der echte Profi, so behauptet man, startet seine Operationen erst dann, wenn die ganze Sache ab- gekartet und nach allen Seiten hin abgesichert ist; der Amateur-Spieler nimmt das Risiko auf sich, gesetzwid- rige Taten sozusagen <mit bloßen Händen> zu begehen. Konsequente Profis kennen und beachten, auf ihre ei- gene Weise, das «R&G»-Spiel sehr wohl. Zeigt z. B. ein Bandenmitglied allzu großes Interesse an diesem Spiel und geht das Interesse so weit, dass dadurch das ganze Unternehmen gefährdet wird, dann greifen sie zu dras- tischen Maßnahmen, um eine Wiederholung solcher Vorfälle zu verhindern; das gilt besonders für den Fall, dass sich bei dem (Delinquenten) bereits das Bedürfnis bemerkbar macht, sich erwischen zu lassen. Vielleicht ist gerade die Tatsache, dass konsequente Profis unter den Verbrechern das «R&G»-Spiel nicht spielen, die Ursache dafür, dass sie so selten erwischt und daher Ein auch so selten mit einer soziologischen, psychologi- Spiel-Brevier schen und psychiatrischen Studie bedacht werden; das
  408. Gleiche gilt auch für Anhänger von Glücksspielen. Ein Großteil unserer klinischen Kenntnisse über Verbre- cher und Glücksspieler bezieht sich also mehr auf die Amateur-Spieler unter ihnen als auf die konsequenten Profis. Kleptomanen sind (im Gegensatz zu professionellen Kleptomanen Ladendieben) ein gutes Beispiel dafür, auf welch trivia- le Objekte das «R&G»-Spiel ausgedehnt werden kann. Wahrscheinlich hat ein sehr hoher Prozentsatz der Be- wohner der westlichen Welt zumindest in der Phanta- sie schon mal das «R&G»-Spiel gespielt, und das ist wohl auch der Grund dafür, dass sich Zeitungen in der westlichen Welt so gut verkaufen lassen. Einem solchen Spiele in der Phantasie-Spiel begegnen wir häufig in der Form, dass Phantasie man sich den <perfekten Mord> ausdenkt: Das bedeutet die härteste aller möglichen Spielformen und das völ- lige Ausmanövrieren des Gendarmen. Varianten von «R&G» sind «Räuber und Revisor», Varianten gespielt von Betrügern unter den gleichen Spielregeln von «R&G» und mit dem gleichen Nutzeffekt, «Räuber und Zöll- ner», gespielt von Schmugglern u. a. Von besonderem Interesse ist die kriminelle Variante des Spiels «Ge- richtssaal». Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kann es auch dem Berufsverbrecher gelegentlich passieren, dass er verhaftet und vor Gericht gestellt wird. Für ihn ist «Gerichtssaal» ein Verfahren, das er entsprechend den ihm von seinen Rechtsberatern gegebenen In- struktionen abwickelt. Sind die Anwälte (kompulsive Gewinner>, dann ist «Gerichtssaal» für sie im Wesent- lichen ein Spiel, das sie mit den Geschworenen spielen und in dem sie sich zum Ziel setzen, unbedingt zu ge- 10. winnen und nicht zu verlieren; ein derartiger Vorgang Räuberspiele
  409. wird von einem Großteil der bestehenden Gesellschaft als durchaus konstruktives Spiel betrachtet. Antithese. Sie ist eher eine Angelegenheit fiir qualifi- zierte Kriminologen als für Psychiater. Der Polizei und dem Justizapparat kommt keine antithetische Bedeu- tung zu, sondern sie spielen ihre Rollen in dem Spiel, und zwar nach den von der Gesellschaft festgelegten Regeln. Einen Punkt sollte man jedoch noch hervorheben. Kurzsichtige Kriminologische Forscher mögen sich darüber lustig Kriminologen machen, dass einige Verbrecher sich so benehmen, als ob ihnen das Verfolgtwerden Vergnügen bereite und als ob sie dringend wünschten, erwischt zu werden, oder sie mögen diese Idee zur Kenntnis nehmen und ihr respektvoll zustimmen. Sie zeigen jedoch kaum Neigung, einen derart <rein akademischen) Faktor als entscheidendes Element in ihrer <ernsthaften) Arbeit in Betracht zu ziehen. Allerdings lässt sich dieses Ele- ment mit den üblichen Standard-Methoden der psy- chologischen Forschung auch nicht verdeutlichen. Dem Forscher bleibt daher nichts anderes übrig, als ein wesentliches Element zu übersehen, weil er nicht Alternative in der Lage ist, es mit den ihm zur Verfügung stehen- Ansätze den Forschungsmethoden zu erfassen, oder aber er muss ebendiese Methoden ändern. Tatsache ist, dass mit Hilfe dieser ihm bisher zur Verfügung stehenden Methoden noch nicht ein einziges kriminologisches Problem gelöst werden konnte. Die Forscher wären daher besser beraten, ihre bisherigen Methoden über Ein Bord zu werfen und das Problem noch einmal unter Spiel-Brevier neuen Gesichtspunkten anzugehen. Solange das
  410. «R&G»-Spiel nur als eine interessante Anomalie be- trachtet wird, und nicht als ein Faktor, der in einer Vielzahl von Fällen den Kernpunkt der Sache darstellt, so lange wird sich ein Großteil der kriminologischen Forschung auch weiterhin mit Trivialitäten, Doktri- nen, Randerscheinungen und Nebensächlichkeiten be- fassen.1
  411.  
  412. Analyse These: Versuch mal, ob du mich erwischen kannst. Ziel: Ermutigung. Rollen: Räuber, Gendarm (Richter). Dynamik: Phallische Intrusion, z.B. 1. Versteckspiel, Fangen; 2. Verbrechen. Sozial-Paradigma: Eltern-Ich / Kindheits-Ich. Kindheits-Ich: «Versuch mal, ob du mich erwischen kannst.» Eltern-Ich: «Das ist meine Aufgabe.» Psychologisches Paradigma: Eltern-Ich / Kindheits- Ich. Kindheits-Ich: «Du musst mich erwischen.» Eltern-Ich: «Aha, da bist du ja!» Einzelaktionen: 1. Weiß - Trotz; Schwarz - Entrüs- tung. 2. W - Tarnung; S - Frustration. 3. W - Provoka- tion; S - Sieg. Nutzeffekte: 1. Innerlich psychologisch - Materielle Entschädigung für ehemals zugefügtes Unrecht. 2. Äu- ßerlich psychologisch - Antiphobie. 3. Innerlich so- zial - Versuch mal, ob du mich erwischen kannst, 4. Äußerlich sozial - Es wäre mir beinahe gelungen, ungestraft davonzukommen (Zeitvertreib: Es wäre ih- nen beinahe gelungen, ungestraft davonzukommen).
  413. 5. Biologisch - Berühmtheit (Berüchtigtsein). 6. Exis- tenziell - Ich habe immer zu den Verlierern gehört.
  414. 2. «Wie kommt man hier bloß wieder raus» These. Das historische Beweismaterial spricht dafür, dass diejenigen Gefangenen ihre Strafzeit am besten überdauern, bei denen die Zeit durch eine Tätigkeit, ei- Spiele im nen Zeitvertreib oder ein Spiel strukturiert wird. Of- Knast fensichtlich ist das auch der politischen Geheimpolizei bekannt, denn man sagt ihr nach, sie richte einige Ge- fangene einfach dadurch zugrunde, dass sie sie untätig sein lässt und in einem Zustand der sozialen Depriva- tion hält. Die beliebteste Tätigkeit von Einzelhäftlingen be- Lesen, steht im Lesen und Schreiben von Büchern, der belieb- Schreiben, teste Zeitvertreib ist der Fluchtversuch; einige Häft- Fliehen linge, die dabei erfolgreich waren, wie z. B. Casanova und Baron Trenck, sind in der ganzen Welt berühmt geworden. Das beliebteste Spiel, das auch gern in öffentlichen Krankenhäusern gespielt wird, ist «Wie kommt man hier bloß wieder raus» («Ich will raus»). Man muss es von der <Operation> (s. S. 70) gleichen Namens un- terscheiden, die man unter der Bezeichnung «Gute Führung» kennt. Ein Gefängnisinsasse, der sich wirk- lich die Freiheit zurückwünscht, wird versuchen, her- auszufinden, wie er am besten mit dem Aufsichtsper- sonal zurechtkommt, um so zum frühestmöglichen Zeitpunkt entlassen zu w erden. Heutzutage kann man 7
  415. Ein das am besten dadurch erreichen, dass man ein gutes Spiel-Brevier Spiel «Psychiatrie» vom Typ der Gruppen-Therapie
  416. spielt. Das Spiel «Ich will raus» wird jedoch von Ge- fängnisinsassen bzw. Patienten gespielt, deren Kind- heits-Ich im Grunde gar nicht herauskommen will. Sie Cute Führung simulieren <Gute Führung), aber im entscheidenden als Spiel Punkt sabotieren sie ihre eigenen Bemühungen, so- dass sie dann doch nicht entlassen werden. Im Spiel «Gute Führung» wirken also Eltern-Ich, Erwachsenen- Ich und Kindheits-Ich zusammen, um die Entlassung zu erreichen; in «Ich wäll raus» führen das Eltern-Ich und das Erwachsenen-Ich eine Zeit lang die vorge- schriebenen Aktionen aus, im entscheidenden Augen- blick aber nimmt das Kindheits-Ich, dem die Aussicht auf neue Abenteuer in einer unsicheren Welt in Wirk- Selbst- lichkeit Furcht einflößt, die Zügel in die Hand und Sabotage macht die Wirkung der voraufgegangenen Bemühun- gen wieder zunichte. Gegen Ende der dreißiger Jahre war das Spiel «Ich will raus» unter den deutschen Ein- wanderern in den Vereinigten Staaten üblich, die von einer Psychose befallen waren. Ihr Zustand besserte sich im Laufe der Zeit und sie baten um Entlassung aus der Heilanstalt; sobald aber der Tag ihrer Entlas- sung näher rückte, traten ihre psychotischen Störun- gen regelmäßig wieder auf. Antithese. Beide Spiele, «Gute Führung» und «Ich will raus», werden meist von aufmerksamen Administrato- ren erkannt, und man kann sich auf höherer Ebene da- mit befassen. Anfanger in der Gruppen-Therapie las- sen sich jedoch häufig täuschen. Ein kompetenter Gruppen-Therapeut, der weiß, dass es sich hier um die in psychiatrisch orientierten Gefängnissen am häu- 10. figsten vorkommenden Manipulationen handelt, wird Räuberspiele
  417. nach ihnen Ausschau halten und diese Fälle bereits in einer frühen Phase aussortieren. Da es sich bei «Gute Führung» um eine aufrichtige Operation handelt, kann man sie auch als solche behandeln, und eine öf- fentliche Diskussion über sie ist durchaus unschädlich. «Ich will raus» verlangt dagegen eine aktive Therapie, wenn der furchtgeplagte Gefängnisinsasse wieder reha- bilitiert werden soll. Verwandte Spiele. Eng verwandt mit «Ich will raus» ist eine Operation mit dem Namen «Sie müssen mich anhören». In diesem Fall beansprucht der Insasse eines Gefängnisses bzw. eines Krankenhauses oder der Kli- ent einer Fürsorge-Institution das Recht, sich über die Zustände zu beklagen. Häufig sind die vorgebrachten Klagen völlig irrelevant. Das Hauptziel des Klagefüh- renden besteht darin, sicherzustellen, dass die Behör- denvertreter ihn anhören. Glauben diese jedoch fälsch- Reaktion auf licherweise, der Beschwerdeführer erwarte, dass man Beschwerden aufgrund seiner Klagen irgendetwas unternehme oder ihn einfach zurückweise, dann kann es zu Misshellig- keiten kommen. Gibt man den vorgebrachten For- derungen nach, dann werden sie bei der nächsten Beschwerde erhöht. Hört man sich aber die Ausfüh- rungen des Klienten geduldig und interessiert an, dann wird der «Sie müssen mich anhören»-Spieler sich da- mit zufrieden geben und bereitwillig davon absehen, weitere Forderungen zu stellen. Jeder Administrator muss wissen, wie man ein «Sie müssen mich anhören»- Spiel von berechtigten und ernst zu nehmenden For- Ein derungen nach Abstellung von Missständen unter- Spiel-Brevier scheidet. 2
  418. «Schiebung» ist ein weiteres Spiel, das in diese Kate- gorie gehört. Ein konsequenter Berufsverbrecher mag, «Schiebung» in dem Bemühen, aus dem Gefängnis wieder heraus- zukommen, «Schiebung» schreien; in diesem Fall ist das ein Bestandteil des von ihm eingeschlagenen Ver- fahrens. Der Gefängnisinsasse, der «Schiebung» als Spiel spielt, setzt es allerdings nicht effektiv für seine Entlassung ein, denn wenn er wieder herauskommt, dann wird er kaum noch einen Grund zu weiteren Pro- testschreien haben.
  419. 3. «Dem Burschen wolln wir mal ein Ding verpassen» («DEMEDIV») These. Der Prototyp dieses Spiels ist «Das große Ge- schäft», die Bauernfängerei in großem Stil, aber auch viele kleinere Gaunereien und selbst das «Badger»- Spiel gehören zur «DEMEDIV»-Gruppe. Niemand kann bei diesem Spiel verlieren, es sei denn, er hat Diebsblut in seinen Adern; der Eröflhungszug besteht Der nämlich darin, dass Schwarz Weiß erzählt, der törichte, Eröffnungszug ehrliche, alte Joe warte geradezu darauf, übers Ohr ge- hauen zu werden. Wäre Weiß absolut ehrlich, dann Der Spiel- müsste er entweder vor der Unternehmung zurück- Ablauf schrecken oder aber den alten Joe davor warnen; er tut es jedoch nicht. Gerade in dem Augenblick, als sich das «Unternehmen Joe> bezahlt machen soll, geht irgendet- was schief, und Weiß bemerkt, dass er seine Investition als Verlust abbuchen kann. Oder im Fall des «Badger»- Spiels: Gerade als dem alten Joe die Hörner aufgesetzt werden sollen, betritt er zufällig den Raum. Weiß, der 10. bisher auf seine Art nach seinen eigenen Regeln ge- Räuberspiele
  420. spielt hat, sieht sich nun gezwungen, nach den von Joe diktierten Regeln weiterzuspielen, und das ist alles an- dere als angenehm. Merkwürdigerweise setzt man voraus, dass der über- tölpelte Gimpel die Regeln des «DEM£D1V»-Spiels kennt und sich an sie hält. Von Herzen kommendes Schimpfen und Meckern betrachtet die Betrügerbande Risiken der als einkalkuliertes Risiko; die Ganoven nehmen das Betrüger Weiß nicht übel und geben ihm sogar einen gewissen Spielraum zum Lügen, um vor der Polizei sein Gesicht zu wahren. Geht er aber zu weit und beschuldigt sie z.B. fälschlicherweise des Einbruchsdiebstahls, dann fühlen sie sich betrogen und nehmen ihm das übel. Andererseits hegt man wenig Sympathie für einen Be- trüger, der in Schwierigkeiten gerät, weil er einen Be- trunkenen übertölpelt: Diese Prozedur ist ausgespro- chen unfair, und er sollte das eigentlich wissen. Das Gleiche gilt für den Fall, dass er töricht genug ist, sich für seine Betrügereien ein Opfer auszusuchen, das Sinn Humor als für Humor hat, denn es ist allgemein bekannt, dass Gegenmittel man solchen Leuten nicht über den Weg trauen kann, dass sie dann das «DEMEDIV»-Spiel auch konsequent bis zu seiner Schlussphase, dem Spiel «Räuber und Gendarm», mitspielen. Erfahrene Ganoven fürchten sich vor <Opfern>, die ihnen ins Gesicht lachen, nach- dem man sie hereingelegt hat. Man sollte noch betonen, dass ein lustiger Streich nicht gleichbedeutend ist mit einem «DEMEDIV»- Spiel, denn bei einem lustigen Streich ist Joe derjenige, der darunter zu leiden hat, beim «DEMEDIV»-Spiel Ein geht Joe dagegen als Sieger hervor, und Weiß ist derje- Spiel-Brevier nige, der darunter zu leiden hat. Ein lustiger Streich ist
  421. ein Zeitvertreib, während «DEMEDIV» ein Spiel ist, bei Sieger dem die Dinge so arrangiert sind, dass der Streich zum und Verlierer Nachteil desjenigen fehlschlägt, der ihn ausgeheckt hat. «DEMEDIV» ist ganz offensichtlich ein drei- bzw. vierseitiges Spiel, wobei die Polizei die Rolle des vier- ten Partners übernimmt; auch seine Verwandtschaft zu dem Spiel «Macht den Sieger unter euch aus» ist evi- dent. Nachtrag Für ihr kontinuierliches Interesse am Studium des Spiels «Räuber und Gendarm» und für ihre der Sache förderlichen Erörterungen und kritischen Hinweise bin ich folgenden Herren zu Dank verpflichtet: Dr. Franklin Ernst von der California Medical Facility in Vacaville, Mr. William Collins vom California Rehabi- litation Center in Norco und Mr. Laurence Means von der California Institution for Men in Tehachapi.
  422. DOKTORSPIELE
  423. Auf diejenigen Spiele, die mit einem gewissen Behar- rungsvermögen immer wieder in therapeutischen Si- tuationen auftauchen, muss der professionelle Vertre- ter der Spiel-Analyse ganz besonders achten. Sie lassen Spiele im sich im Sprechzimmer sehr gut aus erster Hand studie- Sprechzimmer ren. Je nach der Rolle, die der agierende Urheber darin spielt, unterscheidet man drei verschiedene Arten: 1. Spiele, die von Therapeuten und Sozialhelfern ge- spielt werden: «Ich versuche nur, dir zu helfen» und «Psychiatrie». 2. Spiele, die von beruflich vorgebildeten Leuten ge- spielt werden, die als Patienten in Therapie-Gruppen auftauchen, wie z. B. «Treibhaus». 3. Spiele, die von Laienpatienten und Klienten ge- spielt werden: «Armer Teufel», «Verehrerin», «Blöd» und «Holzbein».
  424. 7. «Treibhaus» These. Hier handelt es sich um eine Variante des Spiels «Psychiatrie», die am intensivsten von jungen Sozial- wissenschaftlern gespielt wird, so z.B. von Klinik-Psy- chologen. In Gesellschaft ihrer Kollegen zeigen diese jungen Wissenschaftler die Neigung, «Psychoanalyse» 11 zu spielen; sie tun das häufig auf scherzhafte Art mit Doktorspiele
  425. Bemerkungen wie: «Lieber Kollege, Ihre Aggressivität ist deutlich zu bemerken» oder: «Wie mechanisch Spiele der kann ein Abwehrmechanismus werden?» Meist han- Psychologen delt es sich dabei um einen harmlosen und vergnüg- lichen Zeitvertreib, um eine durchaus normale Phase innerhalb ihrer Fachausbildung, und das kann ganz amüsant werden, wenn sich einige Originale in der Gruppe befinden. (Der Autor hat eine Vorliebe für die Formulierung: «Ich sehe, wir feiern wieder mal die Na- tionale Parapraxis-Woche!») Als Patienten in einer Psychotherapie-Gruppe neigen einige dieser jungen Leute dazu, dieser Art wechselseitiger Kritik eine etwas schärfere Form zu geben; da jedoch ein solches Geba- ren im Rahmen der bestehenden Situation nicht sehr produktiv ist, kann der Therapeut dazu gezwungen sein, es zu unterbinden. Diese Maßnahme kann im weiteren Verlauf das Spiel «Treibhaus» auslösen. Kurz nach Ablegung ihrer Abschlussexamina macht sich bei jungen Wissenschaftlern eine starke Neigung Die <Echte bemerkbar, übertriebenen Respekt für das zu zeigen, Empfindung> was sie als <Echte Empfindungen) bezeichnen. Dem Ausdruck einer solchen Empfindung kann eine An- kündigung vorausgehen, dass sie beginnt, sich be- merkbar zu machen. Nach dieser Ankündigung wird die Empfindung erläutert bzw. der Gruppe präsen- tiert, als handle es sich hier um eine seltene Blume, die mit gebotener Ehrfurcht zu betrachten sei. Die Reak- tion der anderen Gruppenmitglieder wird in geradezu weihevoller Form gewürdigt, und man tut das allge- mein mit der Miene eines Sachkenners, der seltene Ein Blumen in einem Botanischen Garten betrachtet. Das Spiel-Brevier Problem scheint hier - im Fachjargon der Spiel-Ana-
  426. lyse ausgedrückt - darin zu bestehen, dass man prüft, ob dieses (Exemplar) würdig genug ist, um auf der <Nationalen Gefühls-Ausstellung> gezeigt zu werden. Jede auch nur leise Zweifel äußernde Intervention Schwierige vonseiten des Therapeuten wird höchst übel genom- Intervention men, so als sei er ein ungeschickter Trampel, der die zarten Blütenblätter einer seltenen exotischen Pflanze mit Holzhammermethoden traktiert. Der Therapeut hat natürlich seinerseits das Gefühl, es könnte unter Umständen notwendig sein, diese Blume sorgfältig zu zergliedern, um ihre Anatomie und ihre Physiologie zu begreifen. Antithese. Die Antithese, die für einen therapeuti- schen Fortschritt von entscheidender Bedeutung ist, liegt in der Ironie der oben gegebenen Beschreibung des Spiels. Lässt man das Spiel weiterlaufen, dann kann es jahrelang in unveränderter Form andauern, und der lllusionärer Patient gewinnt nachher das Gefühl, er habe in der Nutzen (therapeutischen Praxis> seine (Aggressivität zum Aus- druck gebracht) und gelernt, mit (Empfindungen auf eine Art und Weise umzugehen), die ihm einen be- trächtlichen Vorteil vor seinen weniger glücklichen Kollegen einbringt. Inzwischen hat sich jedoch im Dy- namik-Bereich des Spiels nichts Wesentliches ereignet, und die investierte Zeit ist mit Sicherheit nicht maxi- mal in einen therapeutischen Nutzeffekt umgemünzt worden. Der ironische Unterton in der anfangs gegebenen Beschreibung des Spiels richtet sich nicht gegen die Pa- tienten, sondern gegen ihre Lehrer und gegen das (kul- 11. turelle Milieu), das eine so überanspruchsvolle Emp- Doktorspiele
  427. Ironie wider fmdsamkeit noch begünstigt. Eine zur rechten Zeit ein- Empfind- geworfene skeptische Bemerkung könnte sie sehr wohl samkeit von derart preziösen Einflüssen des Eltern-Ichs abson- dern und dazu führen, dass sie eine weniger selbstbe- fangene Robustheit bei ihren wechselseitigen Transak- tionen an den Tag legen. Anstatt Empfindungen in einer Art Treibhausatmosphäre zu kultivieren, sollte man sie lieber ihrem natürlichen Wachstumsprozess überlassen und, wie die Blumen, pflücken, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Der am meisten ins Auge fallende Nutzeffekt ist bei diesem Spiel der äußerlich psychologische, denn In- Psycholo- timerlebnisse werden dadurch vermieden, dass in ihm gischer Nutzen ganz bestimmte Bedingungen festgelegt werden, unter denen Empfindungen zum Ausdruck gebracht werden dürfen, und dadurch, dass die Reaktionen der übrigen anwesenden Gruppen-Mitglieder ganz bestimmten Restriktionen unterworfen sind.
  428. 2. «Ich versuche nur, dir zu helfen» («IVEDIH») These. Dieses Spiel ist durchaus nicht nur auf Psycho- therapeuten und Sozialhelfer beschränkt, sondern kann in jeder Berufssituation gespielt werden. Man findet es jedoch am häufigsten und in seiner ausge- Die Ur-Szene prägtesten Form bei Sozialhelfern mit einer ganz be- stimmten Art von Ausbildung. Dem Autor dieses Buchs erschloss sich die Analyse dieses Spiels unter recht merkwürdigen Umständen. Bei einem Pokerspiel Ein hatten bereits alle Spieler <gepasst>, mit zwei Ausnah- Spiel-Brevier men: einem Psychologen und einem Geschäftsmann.
  429. Der Geschäftsmann, der ein gutes Blatt hatte, setzte; der Psychologe, mit einem todsicheren Blatt in der Hand, erhöhte den Einsatz. Dem Geschäftsmann war seine Verblüffung anzumerken, und der Psychologe bemerkte daraufhin scherzhaft: «Lassen Sie sich nur nicht aus der Fassung bringen, ich versuche nur, Ihnen Ein zu helfen!» Der Geschäftsmann zögerte zunächst, ironischer Rat setzte aber schließlich seine Chips ein. Der Psychologe zeigte nun sein Gewinnblatt vor, woraufhin sein Part- ner die Karten verärgert beiseite warf. Die übrigen An- wesenden lachten über den Scherz des Psychologen, und der Verlierer bemerkte kleinlaut: «Das war eine schöne Hilfe, die Sie mir da geleistet haben!» Der Psy- chologe warf einen viel sagenden Seitenblick auf den Autor, womit er wohl implizieren wollte, der Scherz sei in Wirklichkeit auf Kosten des Psychiater-Berufs ge- macht worden. In diesem Augenblick zeichnete sich die Struktur dieses Spiels klar ab. Der Sozialhelfer oder Therapeut gibt einem Klien- ten bzw. Patienten einen bestimmten Ratschlag. Der Spiel-Ablauf Patient kommt wieder und berichtet, der gewünschte Erfolg habe sich nicht eingestellt. Der Sozialhelfer tut diesen Misserfolg mit einem resignierten Achselzu- cken ab und versucht es mit einem anderen Vor- schlag. Bei genauer Beobachtung könnte er schon zu diesem Zeitpunkt einen Anflug von Frustration be- merken, er würde es aber auf jeden Fall noch einmal versuchen. Gewöhnlich fühlt er kaum das Bedürfnis, Routine seinen eigenen Motiven mit Skepsis zu begegnen, statt Skepsis denn er weiß sehr wohl, dass viele seiner Kollegen mit einer ähnlichen Ausbildung genau das Gleiche tun, 11. dass er das als <korrekt> geltende Verfahren anwendet Doktorspiele
  430. und dass er dafür bei seinen Vorgesetzten volle Unter- stützung findet. Gerät er an einen harten Spieler, z. B. an einen von aggressiven Gefühlen besessenen, dann wird es ihm Gegen-Spieler zunehmend schwerer fallen, das Gefühl zu vermeiden, er sei der Sache nicht gewachsen. Er gerät jetzt in Schwierigkeiten, und die Situation verschlechtert sich allmählich. Schlimmstenfalls gerät er an einen zorni- gen Paranoiden, der eines Tages zu ihm hereinstürzt und wütend schreit: «Sehen Sie bloß, was Sie da ange- richtet haben!» Seine Frustration manifestiert sich dann deutlich in dem - entweder ausgesprochenen oder unausgesprochenen - Gedanken: «Ich habe ja nur versucht, Ihnen zu helfen!» Seine Bestürzung über die Nutzeffekt ihm zugefügte Undankbarkeit verursacht ihm einigen des Spiels Kummer und deutet auf die komplexen Motive hin, die seinem eigenen Verhalten zugrunde liegen. Diese Bestürzung ist der eigentliche Nutzeffekt des Spiels. Natürlich sollte man legitimierte Helfer keinesfalls mit Leuten verwechseln, die «Ich versuche nur, dir zu helfen» («IVEDIH») spielen. «Ich denke, wir können die Sache in Ordnung bringen», «Ich weiß, was wir da tun müssen», «Ich habe den Auftrag, Ihnen zu helfen» oder «Das Honorar für meine Bemühungen in Ihrem Fall beträgt ...», das alles unterscheidet sich deutlich von der Formulierung «Ich versuche nur, dir [Ihnen] zu helfen». Die vier ersten Formulierungen stellen, wenn sie in gutem Glauben vorgebracht werden, ein Anerbieten des Erwachsenen-Ichs dar, dem bedrängten Patienten oder Klienten aufgrund der eigenen berufli- Ein chen Qualifikationen zu helfen; «IVEDIH» dagegen hat Spiel-Brevier ein verdecktes Motiv, das für den Ausgang der Unter-
  431. nehmung wichtiger ist als das berufliche Können. Die- Das verdeckte ses Motiv basiert auf der Annahme, die Menschen Motiv seien undankbar und im großen Ganzen enttäu- schend. Die Aussicht auf Erfolg wirkt auf das Eltern- Ich des Helfers alarmierend und reizt ihn dazu, den Er- folg zu sabotieren, denn der würde die vorausgesetzte Annahme ins Wanken bringen. Der «IVEDIH»-Spieler braucht eine Bestätigung dafür, dass die Hilfe, wie nachdrücklich sie auch immer angeboten wird, nicht akzeptiert werden wird. Der Klient reagiert mit den Spielen: «Sie sehen, ich gebe mir wirklich die größte «IVEDIH» Mühe» oder «Sie können nichts tun, um mir zu hel- in der Therapie fen». Flexiblere Spieler können zu einem Kompromiss geneigt sein: Die Leute können eine Hilfe ruhig akzep- tieren, vorausgesetzt, sie benötigen eine lange Zeit- spanne, um sie wirksam werden zu lassen. Aus diesem Grund neigen Therapeuten auch dazu, sich gewisser- maßen zu entschuldigen, wenn eine Maßnahme rasch zum Erfolg führt, denn sie wissen, dass einige ihrer Kollegen solche Fälle bei gemeinsamen Besprechungen kritisch beurteilen. Den Gegenpol zu intensiven «IVE- DIH»-Spielern, wie man sie z.B. unter Sozialhelfern Der Cegenpol findet, bilden gute Anwälte, die ihren Klienten helfen, ohne sich dabei persönlich zu engagieren oder senti- mental zu werden. Bei ihnen tritt das berufliche Ge- schick an die Stelle angestrengter Bemühungen im Ver- borgenen. Es hat den Anschein, als seien einige Ausbildungs- Ausbildung stätten für Sozialhelfer in erster Linie so etwas wie Aka- zum Spieler demien zur Heranbildung von professionellen «IVE- DIH»-Spielern, und für diejenigen, die dort ihre Il Examina machen, ist es in der Tat nicht leicht, der Ver- Doktorspiele
  432. suchung zu widerstehen, das Spiel auch weiterhin zu betreiben. Ein Beispiel, das zur Aufhellung einiger der eben angeführten Punkte dienen mag, findet man in der Beschreibung des Komplementär-Spiels «Armer Teufel». «IVEDIH» «IVEDIH» und seine Varianten sind im Alltagsleben im Alltag weit verbreitet. Es wird von Freunden und Verwandten der Familie gespielt (z. B. «Ich kann dir das zum Groß- handelspreis besorgen») und von Erwachsenen, die sich von Amts wegen mit Kindern zu befassen haben. Es ist besonders beliebt bei Eltern, und die Kinder spie- len dann gewöhnlich das Komplementärspiel «Sieh bloß, was du wieder angerichtet hast». Auf der Sozial- Ebene kann es eine Variante des Spiels «Schlemihl» sein, wobei dann der angerichtete Scheiden nicht aus einem Impuls heraus entsteht, sondern bei dem Be- streben zu helfen; an die Stelle des Klienten tritt in die- sem Fall ein <Opfer>, das entweder «Warum muss das ausgerechnet immer mir passieren?» oder eine seiner Varianten spielt. Antithese. Für einen Fachmann gibt es verschiedene Möglichkeiten, einer Aufforderung, dieses Spiel mitzu- spielen, zu begegnen; von welcher Möglichkeit er Ge- Spiel- brauch macht, das wird in der Regel davon abhängen, Verweigerung in welchem Verhältnis er zu seinem Patienten steht, und besonders davon, wie sich das Kindheits-Ich des Patienten verhält. 1. Die klassische psychoanalytische Antithese ist zu- gleich die kompromissloseste, aber auch diejenige, die dem Patienten die größten Schwierigkeiten bereitet. Die Aufforderung, das Spiel mitzuspielen, wird völlig
  433. ignoriert. Der Patient versucht es nun mit steigendem Nachdruck. Schließlich verfallt er einem Zustand der Patienten- Verzweiflung, der sich in Zornausbrüchen oder De- reaktion pressionen manifestiert; das ist ein typisches Zeichen dafür, dass ein Spiel vereitelt worden ist. Diese Situa- tion kann zu einer durchaus nützlichen Konfrontation führen. 2. Eine mildere (aber keinesfalls pedantische) Form der Konfrontation kann man bei der ersten Aufforde- Die milde rung zum Mitspielen versuchen. Der Therapeut stellt Weigerung einfach sachlich fest, dass er der Therapeut des Patien- ten ist und nicht sein Manager. 3. Ein noch stärker abgemildertes Verfahren besteht darin, den Patienten in eine Therapie-Gruppe einzu- Delegation gliedern und den anderen Patienten die Behandlung des Problems des Falles zu übertragen. 4. Bei einem Patienten mit akuten Störungserschei- nungen kann es sich als notwendig erweisen, in der ersten Behandlungsphase auf sein Spiel einzugehen. Solche Patienten sollten allerdings von einem Psychia- Therapeutisches ter behandelt werden, denn er kann als Mediziner so- Eingehen wohl Medikamente verschreiben als auch einige hygie- nische Maßnahmen, die sich, selbst in einer Zeit, in der man ganz auf Sedativa versessen ist, bei der Behand- lung derartiger Patienten immer noch als recht wirk- sam erweisen. Verschreibt der Arzt außer den Medika- menten gleichzeitig eine Art hygienischer Diät mit Bädern, körperlichen Übungen, festgelegten Ruhepau- sen und regelmäßigen Mahlzeiten, dann kann der Pa- tient auf dreierlei Weise reagieren: a) Er hält sich an die vorgeschriebene Lebensweise und fühlt sich besser; b) er hält sich strikt an die ihm zudiktierte Lebensweise,
  434. beklagt sich aber, dass er keine Besserung verspüre; c) er erwähnt beiläufig, dass er sich nicht an die ihm gegebenen Instruktionen gehalten habe oder dass er Therapeutische die vorgeschriebene Lebensweise aufgegeben habe, Schritte weil sie ihm in keiner Weise geholfen habe. Im zweiten und im dritten Fall muss der Psychiirter dann entschei- den, ob der Patient zu diesem Zeitpunkt schon für eine Spiel-Analyse reif ist oder ob zunächst eine andere Be- handlungsform angezeigt ist, um ihn auf eine spätere psychotherapeutische Behandlung vorzubereiten. Be- vor der Psychiater eine Entscheidung über die weitere Behandlungsart trifft, sollte er sorgfältig abwägen, wel- cher Zusammenhang zwischen der verordneten Le- bensweise und der Neigung des Patienten, Spiele zu spielen, tatsächlich besteht. Für den Patienten dagegen lautet die Antithese: «Er- Die Patienten- zählen Sie mir nicht, was ich tun soll, um meinen Zu- Perspektive stand zu bessern, ich werde Ihnen sagen, was Sie tun müssen, um mir zu helfen.» Ist der Therapeut als «Schlemihl»-Spieler bekannt, dann lautet die richtige Antithese für den Patienten: «Helfen Sie nicht mir, hel- fen Sie ihm.» Allerdings mangelt es ernsthaften «Ich will nur versuchen, dir zu helfen»-Spielern im Allge- meinen an entsprechendem Sinn für Humor. Antithe- tische Aktionen vonseiten des Patienten werden meist auch sehr ungünstig aufgenommen und können zu ei- ner lebenslangen Feindschaft mit dem Therapeuten führen. Im Alltagsleben sollte man davon absehen, derartige antithetische Aktionen einzuleiten, es sei denn, man ist bereit, sie auch bis zum Ende konse- Ein quent durchzuhalten und die Folgen auf sich zu neh- Spiel-Brevier men. So kann z. B. die Zurückweisung eines Verwand-
  435. ten, der sein «Ich kann dir das zum Großhandelspreis besorgen» anbietet, folgenschwere familiäre Kompli- kationen nach sich ziehen. Analyse These: Die Leute tun niemals das, was ich ihnen sage. Ziel: Erleichterung von Schuldgefühlen. Rollen: Helfer, Klient. Dynamik: Masochismus. Beispiele: 1. Kinder machen ihre Schulaufgaben, ein Elternteil interveniert. 2. Sozialhelfer und Klient. Sozial-Paradigma: Eltern-Ich / Kindheits-Ich. Kindheits-Ich: «Was soll ich jetzt tun?» Eltern-Ich: «Ich sage dir, was du tun sollst.» Psychologisches Paradigma: Eltern-Ich / Kindheits- Ich. Eltern-Ich: «Du siehst, wie kompetent ich bin.» Kindheits-Ich: «Ich werde dafür sorgen, dass du dich inkompetent fühlst.» Einzelaktionen: 1. Instruktionen werden erbeten - In- struktionen werden gegeben. 2. Das Verfahren wird verpatzt - Tadel. 3. Demonstration, dass das Verfahren nicht richtig ist - Nachdrückliche Entschuldigung. Nutzeffekte: 1. Innerlich psychologisch - Martyrium. 2. Äußerlich psychologisch - Vermeidet, mit eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert zu werden. 3. Inner- lich sozial - (Elternbeirat), projektiver Typ; Undank- barkeit. 4. Äußerlich sozial - (Psychiatrie), projektiver Typ. 5. Biologisch - (Schläge) vom Klienten, (Strei- cheln) von den Vorgesetzten. 6. Existenziell - Alle Men- schen sind undankbar.
  436. 3. «Armer Teufel» These. Die beste Formulierung für die These dieses Spiels findet man in Henry Millers <Der Koloss von Ma- ronssb: «Das Ereignis muss sich in dem Jahr zugetra- Henry Millers gen haben, als ich gerade nach einem Job suchte, ohne Spiel die leiseste Absicht allerdings, ihn auch tatsächlich an- zutreten. Ich musste daran denken, dass ich mir, trotz der verzweifelten Lage, in der ich mich zu befinden glaubte, nicht einmal die Mühe gemacht hatte, die Stel- lenangebote in der Zeitung zu studieren.» Dieses Spiel ist eines der Komplementärspiele zu «Ich versuche nur, dir zu helfen» («IVEDIH»), so wie es von Sozialhelfern gespielt wird, die damit ihren Le- bensunterhalt verdienen. «Armer Teufel» wird auf ebenso professionelle Weise von dem Klienten gespielt, der seinen Lebensunterhalt auf diese Art verdient. Die Erfahrungen des Autors mit dem Spiel «Armer Teufel» sind zwar begrenzt, aber der folgende Bericht eines sei- ner fähigsten Studenten illustriert deutlich das Wesen dieses Spiels und den Platz, den es in unserer Gesell- schaft einnimmt. Fräulein Schwarz war Sozialhelferin in einer Wohl- fahrtsorganisation, die sich die wirtschaftliche Rehabi- Beispiels- litierung von Bedürftigen (<Armen Teufeln>) zum Ziel geschichte gesetzt hatte und die dafür auch finanzielle Zuwen- dungen von der Regierung erhielt; das bedeutete im Ef- fekt, dass sie dafür sorgen musste, dass ihre Klienten eine nützliche Beschäftigung fanden und auch längere Zeit hindurch ausübten. Den offiziellen Berichten zu- folge machten die Klienten dieser Organisation stän- Ein dige Fortschritte), doch wurden sehr wenige von ihnen Spiel-Brevier tatsächlich (rehabilitiert). Dies sei verständlich, so sagte
  437. man, denn die meisten von ihnen waren schon seit mehreren Jahren Klienten von Wohlfahrtsorganisatio- nen, sie zogen von einer zur anderen und ließen sich manchmal von fünf oder sechs Organisationen gleich- zeitig betreuen; es handelte sich hier also ganz offen- sichtlich um schwierige Fälle>. Fräulein Schwarz, in der Spiel-Analyse versiert, be- Das Spiel der merkte sehr bald, dass die Angestellten ihrer Organisa- Sozialhelfer tion ein ganz konsequentes «IVEDIH»-Spiel spielten, und sie fragte sich, wie die Klienten wohl darauf rea- gieren würden. Um das festzustellen, fragte sie ihre ei- genen Klienten von Woche zu Woche, wie vielen Mög- lichkeiten zu einer Anstellung sie jeweils nachgegangen seien. Es war für sie interessant, zu entdecken, dass die- se Klienten, von denen man erwartete, dass sie sich täg- Reaktionen lich angestrengt um eine Arbeit bemühten, in Wirk- der Klienten lichkeit kaum darum bemüht waren; gelegentlich hatten ihre Scheinbemühungen sogar einen stark iro- nischen Zug. So berichtete ihr z. B. ein Mann, er beant- worte im Zuge seiner Arbeitssuche täglich ein Stellen- angebot aus der Zeitung. «Welche Art von Arbeit suchen Sie denn?», fragte sie. Er sagte, er wolle gern als Verkäufer arbeiten. «Ist das die einzige Art von Stellen- angebot, auf die Sie antworten?», fragte sie. Ja, sagte er, das sei die einzige, aber es sei zu dumm, dass er stot- tere, denn das hindere ihn daran, die von ihm gewählte Laufbahn einzuschlagen. Zu dieser Zeit erfuhr auch der Vorgesetzte von Fräulein Schwarz, dass sie Fragen dieser Art stellte, und sie wurde dafür zurechtgewiesen, dass sie auf ihre Klienten <unzulässigen Druck> ausübe. Fräulein Schwarz entschloss sich trotzdem, in ihren Bemühungen fortzufahren und einige ihrer Klienten
  438. zu rehabilitieren. Sie suchte sich zu diesem Zweck die- jenigen heraus, die körperlich kräftig waren und offen- Erfolgreicher sichtlich keinen triftigen Grund hatten, ihre Wohl- Versuch fahrtsunterstützung weiterzubeziehen. Mit dieser ausgewählten Gruppe erörterte sie die Spiele «IVE- DIH» und «Armer Teufel». Als die Leute sich einsichtig zeigten, erklärte sie, wenn sie jetzt nicht endlich Arbeit fänden, würde sie ihnen die Wohlfahrtsunterstützung entziehen und sie an eine andere Betreuungsorganisa- tion überweisen. Daraufhin fanden mehrere von ihnen Proteste der innerhalb kürzester Zeit eine Beschäftigung, einige da- Klienten von sogar zum ersten Mal seit vielen Jahren. Trotzdem waren sie ungehalten über das Verhalten von Fräulein Schwarz, und einige schrieben an deren Vorgesetzten und beklagten sich über sie. Der Vorgesetzte ließ sie ru- fen und erteilte ihr einen strengen Verweis, mit der Be- gründung, ihre ehemaligen Klienten hätten zwar jetzt eine Beschäftigung, sie seien aber nicht <wirklich> re- habilitiert. Zugleich deutete der Vorgesetzte an, es sei Die fraglich, ob Fräulein Schwarz ihre Stellung in der Or- Zurechtweisung ganisation weiterhin behalten würde. Fräulein Schwarz versuchte nun, soweit ihr das ohne weitere Gefährdung ihrer Position möglich war, auf taktvolle Weise heraus- zubekommen, was eigentlich nach Ansicht der Orga- nisation den Tatbestand einer (wirklichen Rehabilitie- rung» darstellte, doch wurde das niemals geklärt. Man sagte ihr nur, sie «übe einen unzulässigen Druck» auf die Klienten aus, und die Tatsache, dass diese zum ers- ten Mal seit vielen Jahren durch eigene Arbeit den Un- terhalt für ihre Familien bestritten, sei in keiner Weise Ein ihr Verdienst. Spiel-Brevier Da sie nun in Gefahr war, die Stellung, auf die sie
  439. selbst dringend angewiesen war, zu verlieren, versuch- ten ihr einige Freunde zu helfen. Der angesehene Chef Vergebliche einer psychiatrischen Klinik schrieb an ihren Vorge- Intervention setzten, er habe gehört, Fräulein Schwarz habe im Um- gang mit ihren Fürsorge-Klienten einige besonders be- merkenswerte Erfolge erzielt, und er möchte um die Genehmigung bitten, dass sie ihre Erfahrungen einmal mit dem ärztlichen Stab seiner Klinik erörtern könne. Der Vorgesetzte verweigerte jedoch die Genehmigung. Im vorliegenden Fall wurden die Regeln für das Spiel «Armer Teufel» von der betreffenden Organisation so Übereinkunft festgelegt, dass sie die lokalen Regeln für das «IVE- Helfer-Klient DIH»-Spiel ergänzten. Zwischen dem Helfer und dem Klienten bestand ein stillschweigendes Übereinkom- men etwa folgenden Inhalts: Helfer: «Ich will versuchen, Ihnen zu helfen (voraus- gesetzt, dass sich Ihre Lage nicht bessern wird).» Klient: «Ich will mich um eine Anstellung bemühen (vorausgesetzt, dass ich nicht tatsächlich eine finden muss).» Verstieß ein Klient gegen diese Übereinkunft, indem er sich wirtschaftlich verbesserte, dann verlor die Or- ganisation einen Klienten, und der Klient verlor seine Verstöße Wohlfahrtsunterstützung; dadurch fühlten sich beide irgendwie benachteiligt. Verstieß ein Sozialhelfer gegen die Übereinkunft, indem er den Klienten veranlasste, tatsächlich eine Beschäftigung zu finden, dann fühlte sich die Organisation ebenfalls geschädigt, denn die Beschwerden des Klienten konnten möglicherweise zur Kenntnis der übergeordneten Behörden gelangen; der Klient verlor auch in diesem Fall seine Wohlfahrts- unterstützung.
  440. Solange sich beide Teile an die stillschweigende Übereinkunft hielten, bekamen beide, was sie wünsch- ten. Der Klient erhielt seine Wohlfahrtsunterstützung Das und merkte bald, was die Organisation sozusagen als Zusammen- Gegengabe dafür erstrebte: die Möglichkeit, sich (aus- spiel zudehnen) (als Bestandteil des «IVEDIH»-Spiels) und <klinisches Material) zu sammeln (um es auf Konferen- zen zu präsentieren, die sich vorwiegend mit den Klienten befassten). Der Klient kam diesen Forderun- gen gern nach, denn sie machten ihm ebenso viel Freu- de wie der Organisation selbst. So kamen beide Seiten gut miteinander aus, und niemand fühlte das Bedürf- nis, so ausgesprochen erfreuliche wechselseitige Bezie- hungen abzubrechen. Fräulein Schwarz dagegen streb- Die Störerin te im Effekt nicht eine Ausdehnung der Organisation an, sondern eine Einschränkung, und sie schlug vor, man sollte auf den Konferenzen mehr das Gemein- schaftsinteresse in den Mittelpunkt stellen und nicht das der einzelnen Klienten; das beunruhigte nicht nur die Klienten, sondern auch die anderen Mitglieder der Organisation, ungeachtet der Tatsache, dass Fräulein Schwarz auf diese Weise im Grunde die in den Bestim- mungen festgelegten Ziele der Organisation förderte. Zwei Dinge sind hier festzustellen. Erstens: Als rei- nes Spiel und nicht so sehr als Zustand, hervorgerufen durch physisches, geistiges oder wirtschaftliches Un- vermögen, wird «Armer Teufel» nur von einem be- grenzten Prozentsatz von Klienten der Wohlfahrts- institutionen gespielt. Zweitens: Es wird nur von Sozialhelfern unterstützt, die darauf trainiert sind, Ein «IVEDIH» zu spielen; andere Sozialhelfer tolerieren das Spiel-Brevier Spiel in der Regel nicht.
  441. Verwandte Spiele sind «Veteran» und «Klinik». Im Verwandte Spiel «Veteran» zeigt sich das gleiche <symbiotische> Spiele Beziehungsverhältnis, und zwar in diesem Fall zwi- schen der Fürsorgeverwaltung für Kriegsteilnehmer oder verwandten Organisationen und einer gewissen Anzahl von sozusagen (professionellen Veteranen), die die gleichen Privilegien genießen wie Kriegsversehrte. «Klinik» wird von einem gewissen Prozentsatz jener Leute gespielt, die Patienten der Ambulanz-Abteilung großer Krankenhäuser sind. Im Gegensatz zu den Leu- ten, die «Armer Teufel» oder «Veteran» spielen, erhal- ten die Patienten, die «Klinik» spielen, keine finanziel- le Vergütung, aber sie genießen dafür andere Vorteile. Der soziale Sie dienen einem nützlichen sozialen Zweck, denn sie Zweck des Spiels sind bereit, bei der Ausbildung des medizinischen Per- sonals und beim Studium von Krankheitsprozessen auf ihre Weise mitzuwirken. Daraus resultiert für sie eine legitime Befriedigung auf der Ebene des Erwach- senen-Ichs, die den Spielern von «Armer Teufel» oder «Veteran» nicht zuteil wird. Antithese. Eine Antithese, soweit eine solche angezeigt ist, besteht aus der Zurückhaltung der Vergütung. Das Risiko liegt hier nicht, wie bei den meisten anderen Spielen, in erster Linie beim Spieler selbst, sondern darin, dass dieses Spiel gewissen Bestrebungen im zivi- lisatorischen Bereich gleichläuft und von den Spielern des komplementären «IVEDIH»-Spiels noch begüns- tigt wird. Die Bedrohung kommt meist vonseiten der Berufskollegen, der mobilisierten Öffentlichkeit, den Regierungsinstitutionen und den Schutzvereinigun- gen. Die Beschwerden, die gewöhnlich dann folgen,
  442. wenn jemand eine antithetische Aktion gegen das Spiel «Armer Teufel» einleitet, können zu dem allgemeinen Entrüstungsschrei führen: «Ja, ja, wie steht's denn ei- Heilsame gentlich damit?» Man kann diese Reaktion durchaus Reaktion als eine heilsame Operation bzw. als einen konstrukti- ven Zeitvertreib betrachten, auch wenn sie gelegentlich der Aufrichtigkeit nicht gerade förderlich ist. In der Tat beruht das gesamte politische System demokratischer Freiheiten auf der Freiheit, diese Frage zu stellen (was unter vielen anderen Regierungsformen durchaus nicht der Fall ist). Ohne diese Freiheit wäre der soziale Fortschritt der Menschheit ernsthaft gefährdet.
  443. 4. «Verehrerin» These. Als Prototyp der <Verehrerin> gilt jene arthriti- sche Bäuerin aus Bulgarien, die ihre einzige Kuh ver- Die Geschichte kauft, um damit eine Reise zur Universitätsklinik in der Bäuerin Sofia zu finanzieren. Hier untersucht sie ein Professor und findet ihren Fall so interessant, dass er ihn seinen Medizinstudenten in einer klinischen Demonstration vorführt. Er befasst sich nicht nur mit Pathologie, Symptomen und Diagnose, sondern erläutert auch in großen Zügen die erforderliche Behandlungsmethode. Diese Prozedur erfüllt die Bäuerin mit ungeheurer Ehrfurcht. Bevor sie wieder heimfährt, verschreibt ihr der Professor ein Rezept und gibt ihr noch detaillierte Anweisungen für die weitere Behandlung. Sie ist voller Bewunderung für die Gelehrsamkeit des Professors und sagt (natürlich auf Bulgarisch): «Sie sind wirklich Ein wundervoll, Herr Professor!» Das verschriebene Medi- Spiel-Brevier kament kauft sie jedoch nicht. Erstens gibt es in ihrem
  444. Dorf keine Apotheke, und zweitens, selbst wenn es eine gäbe, würde sie ein so wertvolles Stück Papier wie das Rezept niemals aus der Hand geben. Sie hat auch gar nicht die Möglichkeit, den übrigen Behandlungsvor- Die schriften nachzukommen, wie z. B. Diät, Hydrothera- Behandlung pie etc. Ihr Gesundheitszustand bleibt ebenso uner- zählt
  445. freulich wie zuvor, aber sie ist trotzdem glücklich, denn jetzt kann sie allen Leuten von der wundervollen Be- handlung berichten, die ihr der gelehrte Professor aus Sofia verschrieben hat; zum Dank schließt sie den gro- ßen Mann in ihr tägliches Nachtgebet ein. Viele Jahre später kommt der Professor, nicht gerade bei bester Laune, zufällig durch das gleiche Dorf, um nach einem wohlhabenden und entschieden an- spruchsvollen Patienten zu sehen. Er erkennt die Bäue- rin wieder, als sie auf ihn zueilt, ihm die Hand küsst und ihn an die geradezu sagenhafte Therapie erinnert, die er ihr vor Jahren hat zuteil werden lassen. Er nimmt die überschwängliche Huldigung gnädigst entgegen und ist besonders erfreut darüber, dass sie ihm erzählt, wie gut ihr diese Behandlung bekommen sei. Tatsäch- Der eitle lich ist er so hingerissen von seinem Erfolg, dass er gar Professor nicht bemerkt, dass sich der Zustand der Bäuerin um keinen Deut gebessert hat. Im sozialen Bereich wird «Verehrerin» sowohl in nai- ver als auch in simulierter Form gespielt; beide stehen Naive und unter dem Motto: «Sie sind wirklich wundervoll, Herr simulierte Michelmeier!» («SISIWUM»). Bei der naiven Form ist «Verehrerin»
  446. Herr Michelmeier tatsächlich <wundervoll>. Er ist ein berühmter Dichter, Maler, Philanthrop oder Wissen- schaftler, und häufig unternehmen naive junge Frauen eine weite Reise, in der Hoffnung, ihm zu begegnen,
  447. bewundernd zu seinen Füßen zu sitzen und seine Schwächen zu romantisieren. Eine erfahrenere Frau, die bewusst darauf ausgeht, mit einem solchen Mann Die eine Liebesaffäre oder die Ehe einzugehen, kann seine Schwächen Schwächen durchaus erkennen, obschon sie ihn auf- des Helden richtig bewundert und schätzt. Sie kann diese Schwä- chen sogar dazu ausnutzen, ihr Ziel zu erreichen. Bei diesen beiden Frauentypen ergibt sich das Spiel entwe- der aus der Romantisierung oder aus der Ausnutzung der Schwächen; ihre Aufrichtigkeit besteht darin, dass sie sehr wohl in der Lage sind, seine Leistungen richtig einzuschätzen und dass sie sie aus ehrlichem Herzen bewundern. Bei der simulierten Spielform kann Herr Michel- meier <wundervoll> sein oder auch nicht, in jedem Fall hat er es mit einer Frau zu tun, die gar nicht fähig ist, seine Leistungen wirklich zu schätzen und zu bewun- Verehrung als dern; es kann sich hier z. B. um eine hochkarätige Pro- Mittel zum stituierte handeln. Sie benutzt das «SISIWUM»-Spiel Zweck nur als Lockmittel, um zu ihrem Ziel zu gelangen. In- nerlich versteht sie den Mann überhaupt nicht, oder sie macht sich sogar über ihn lustig. Aber im Grunde liegt ihr auch gar nichts an ihm persönlich; was sie will, das sind die Vorrechte und Annehmlichkeiten, die mit dem <Besitz> eines solchen Mannes verbunden sind. Die klinische Im klinischen Bereich gibt es zwei ähnliche Formen Variante dieses Spiels; bei ihnen lautet das Motto: «Sie sind wirklich wundervoll, Herr Professor!» («SISIWUP»). Bei der naiven Form bleibt die Patientin gewöhnlich so lange, wie sie an ihr «SISIWUP» ehrlich glauben kann: Für den Therapeuten bedeutet das eine Ver- pflichtung, sich sowohl im öffentlichen Leben als auch
  448. im privaten Bereich mustergültig aufzuführen. Bei der simulierten Form hofft die Patientin, der Therapeut werde auf ihr «SISIWUP»-Spiel eingehen und denken: «Sie sind ein äußerst kluges Kind!» («SIKK»). Manö- vriert sie ihn erst einmal in diese Position hinein, dann kann sie ihn an der Nase herumführen und dann zu einem anderen Therapeuten gehen; lässt er sich nicht so leicht betören, dann kann er in der Lage sein, ihr wirklich zu helfen. Der einfachste Weg, ihr «SISIWUP»-Spiel zu gewin- nen, besteht für die Patientin darin, nicht gesund zu- Das Kalkül der werden. Ist sie boshafter, dann wird sie energischere Patientin Schritte unternehmen, um den Therapeuten zum Nar- ren zu halten. Eine Frau spielte mit ihrem Psychiater «SISIWUP», ohne dass auch nur die geringste Ab- schwächung in ihren Symptomen festzustellen war; schließlich verließ sie ihn unter vielen Abschieds- und Entschuldigungszeremonien. Sie ging dann zu dem von ihr sehr verehrten Pfarrer, bat ihn um Hilfe und spielte «SISIWUP» mit ihm. Nach einigen Wochen ver- Gerissene führte sie ihn zu einem «HIVE»-Spiel zweiten Grades. Manöver Bei einem Gespräch über den Gartenzaun vertraute sie nachher ihrer Nachbarin an, wie enttäuscht sie sei, dass ein so feiner Mann wie Hochwürden Schwarz in einem Augenblick menschlicher Schwäche sich einer so arg- losen und unattraktiven Frau gegenüber, wie sie es sei, zu einem Annäherungsversuch hinreißen ließ. Da sie seine Frau kenne, sei sie natürlich bereit, ihm zu verge- ben, aber trotzdem ... etc. Dieses Geständnis ent- schlüpfte ihr fast unbeabsichtigt, und erst nachher fiel ihr <mit Schrecken) ein, dass ihre Nachbarin Mitglied des Kirchenvorstands war. Gegenüber ihrem Psychia-
  449. ter gewann sie, indem sich ihr Zustand nicht besserte, gegenüber ihrem Geistlichen dadurch, dass sie ihn ver- führte, obwohl sie sich das nur ungern eingestehen wollte. Schließlich reihte sie ein zweiter Psychiater in eine Therapie-Gruppe ein, in der sie nicht die Mög- lichkeit hatte, ihre Manöver an den Mann zu bringen. Therapeu- Da sie nun in dieser therapeutischen Situation keine tisches Finale Gelegenheit mehr zu ihren «SISIWUP»- und «SIKK»- Spielen hatte, fing sie an, sich über ihr eigenes Verhal- ten ernste Gedanken zu machen; mit Hilfe der übrigen Gruppenmitglieder war sie schließlich in der Lage, ihre beiden Lieblingsspiele aufzugeben: «SISIWUP» und «HIVE». Antithese. Der Therapeut muss zunächst eine Ent- scheidung darüber treffen, ob das Spiel wirklich in auf- richtig-naiver Form gespielt wird, und ob man es da- her im Interesse der Patientin so lange weiterlaufen lassen sollte, bis ihr Erwachsenen-Ich sich hinreichend Abgestufte gefestigt hat, sodass man Gegenmaßnahmen riskieren Reaktionen kann. Ist das Spiel nicht arglos-naiv, dann sollten Ge- genmaßnahmen bei der ersten passenden Gelegenheit ergriffen werden, allerdings erst, nachdem die Patientin so weit vorbereitet wurde, dass sie in der Lage ist, die- sen Vorgang zu begreifen. Der Therapeut weigert sich nunmehr hartnäckig, ihr noch irgendwelche Ratschlä- ge zu erteilen; fängt die Patientin an, dagegen zu pro- testieren, dann macht er ihr klar, dass es sich hier nicht um eine <nebulöse psychiatrische Prozedur) handelt, sondern um ein wohl durchdachtes Verfahren. Die konstante Weigerung des Therapeuten kann innerhalb eines gewissen Zeitraums dazu führen, dass die Patien-
  450. tin entweder wütend wird oder dass sich bei ihr akute Angstgefühle einstellen. Der nächste Schritt hängt jetzt vom Zustand der Patientin ab. Ist sie allzu sehr aus dem Gleichgewicht geraten, dann sollten ihre Reaktio- nen erst einmal einem angemessenen psychiatrischen Psychiatrische bzw. analytischen Verfahren unterworfen werden, um Analyse wieder zu einer günstigen therapeutischen Ausgangs- situation zu gelangen. In der simulierten Form sollte man vor allem bestrebt sein, das Erwachsenen-Ich der Patientin von ihrem hypokritischen Kindhcits-Ich ab- zusondern, sodass eine ordnungsgemäße Spiel-Ana- lyse erfolgen kann. Im gesellschaftlichen Bereich sollte man intime Ver- wicklungen mit arglos-naiven «SISIWUM»-Spielerin- nen vermeiden; das wird auch jeder Künstler-Manager den von ihm betreuten Klienten einhämmern. Ande- Die attraktive rerseits sind Frauen, die «SISIWUM» in seiner simu- Spielerin lierten Form spielen, manchmal durchaus interessante und intelligente Wesen, wenn es gelingt, ihnen das «SISIWUM»-Spiel abzugewöhnen; sie können sich dann sogar als erfreuliche Bereicherung des Bekann- tenkreises erweisen, in dem sie verkehren.
  451. 5. «Psychiatrie» These. Man muss die Psychiatrie als berufliches Ver- fahren unterscheiden von der <Psychiatrie> als Spiel. Aufgrund des derzeit verfügbaren, in wissenschaftli- chen Publikationen veröffentlichten klinischen Beleg- materials gelten bei der psychiatrischen Behandlung folgende Verfahren als zweckdienlich: Schock-Thera- pie, Hypnose, pharmazeutische Präparate, Psychoana-
  452. lyse, Orthopsychiatric und Gruppen-Therapie. Es gibt noch andere, weniger bekannte Verfahren, die hier nicht erörtert zu werden brauchen. Jedes der genann- ten Verfahren kann im Spiel «Psychiatrie» Verwendung Die These finden; die Grundposition für dieses Spiel lautet: «Ich des Spiels kann heilen, hier [unter Vorweisen eines Diploms] steht es schwarz auf weiß.» Es sei hier festgestellt, dass es sich dabei auf jeden Fall um eine im Prinzip kon- struktive Position handelt und dass Menschen, die «Psychiatrie» spielen, viel Gutes tun können, vorausge- setzt allerdings, dass sie auch eine entsprechende be- rufliche Ausbildung haben. Vieles spricht jedoch dafür, dass sie bessere thera- peutische Erfolge erzielen würden, wenn man ihren therapeutischen Eifer in etwas gemäßigtere Bahnen lenkt. Für die A N T I T H E S E hat schon vor langer Zeit Gegenposition Ambroise Paré die beste Formulierung gefunden: «Ich zu behandle meine Patienten, aber Gott heilt sie.» leder «Psychiatrie» Medizinstudent lernt diesen Ausspruch neben einigen anderen wie z. B. «primum non nocere» oder «vis medi- catrix naturae». Therapeuten, die nicht Mediziner sind, kennen jedoch diese alten Vorsichtsregeln in den meis- Schädliche ten Fällen nicht. Die Position: «Ich kann heilen, denn Selbstüber- hier steht es schwarz auf weiß, dass ich in der Lage bin schätzung zu heilen», erweist sich meist als nicht unerheblicher Nachteil; es erscheint vorteilhaft, sie etwa durch fol- gende Formulierung zu ersetzen: «Ich will die thera- peutischen Verfahren, mit denen ich vertraut bin, an- wenden, und ich hoffe, sie werden sich als nützlich erweisen.» Damit vermeidet man, dass es zu Spielen Ein kommt, die etwa auf folgenden Voraussetzungen beru- Spiel-Brevier hen: «Da ich heilen kann, ist es Ihre Schuld, wenn sich
  453. Ihr Zustand nicht bessert» (z. B. «Ich versuche nur, Ih- nen zu helfen») oder «Da Sie heilen können, werde ich um Ihretwillen gesünder werden» (z. B. «Verehrerin»). Im Prinzip sind natürlich all diese Dinge jedem gewis- senhaften Therapeuten bekannt. Sicherlich ist sich zu- Der selbst- mindest jeder Therapeut, der einmal einen Fall einer kritische Therapeut Klinik von Rang vorgeführt hat, dieser Tatsachen be- wusst geworden. Umgekehrt kann man diejenige Kli- nik als gut bezeichnen, die ihre Therapeuten auf all das aufmerksam macht. Gewöhnlich ist das Spiel «Psychiatrie» häufiger bei Spielertypik solchen Patienten anzutreffen, die vorher von weniger kompetenten Therapeuten behandelt wurden. Einige Patienten zum Beispiel suchen sich sorgfältig weniger fähige Psychoanalytiker aus, sie laufen dann von einem zum anderen und demonstrieren, dass sie gar nicht ge- heilt werden können; inzwischen werden sie selbst in der Beherrschung des Spiels «Psychiatrie» ständig ver- Der versierte sierter, und es wird allmählich sogar für einen erstklas- Spieler sigen Psychiater mit klinischer Erfahrung recht schwie- rig, die Spreu vom Weizen zu sondern. Im Patienten vollzieht sich folgende Duplex-Transaktion: Erwachsenen-Ich: «Ich komme her, um mich heilen zu lassen.» Kindheits-Ich: «Sie werden mich niemals heilen, Sie werden mir nur beibringen, besser den Neurotiker zu spielen [das Spiel «Psychiatrie» besser zu beherr- schen].» Auf ähnliche Weise wird das Spiel «Psychologische Variante Heilmethode» gespielt; in diesem Fall hat das Erwach- senen-Ich folgende Einstellung: «Alles wird besser wer- 11 den, wenn ich die Prinzipien der psychologischen Heil- Doktorspiele
  454. methode anwende, über die ich viel gelesen und gehört habe.» Eine Patientin lernte das «Psychiatrie»-Spiel Die Patientin von einem Therapeuten, das Spiel «Psychologische weiß alles Heilmethode» von einem anderen und eignete sich an einer dritten Stelle auch noch beachtliche Fertigkeiten in dem Spiel «Transaktions-Analyse» an. Als man die- sen Tatbestand freimütig mit ihr erörterte, willigte sie ohne weiteres ein, das Spiel «Psychologische Heilme- thode» aufzugeben, bat jedoch darum, ihr das Spiel «Psychiatrie» auch weiterhin zu gestatten, weil ihr das ausgesprochen Spaß machte. Der Transaktions-Psych- iater gab seine Zustimmung. Mehrere Monate lang fuhr sie daraufhin fort, einmal wöchentlich ihre Träu- me zu erzählen und sie gleich selbst zu interpretieren. Schließlich entschloss sie sich dann doch - möglicher- weise zum Teil aus dem Motiv der Dankbarkeit her- aus -, ihr Spiel aufzugeben und herauszufinden, was eigentlich mit ihr los war. Sie begann sich nun ernst- haft für die Transaktions-Analyse zu interessieren und machte dabei gute Fortschritte. Eine Variante von «Psychiatrie» ist das Spiel «Ar- Kindheit als chäologie» (diese Bezeichnung verdanke ich Dr. Schlüssel Norman Reider aus San Francisco); hier vertritt die Pa- tientin die Ansicht, alles würde plötzlich wieder zu- rechtgerückt werden, wenn es ihr nur gelänge, sozusa- gen den richtigen Schalthebel dafür zu finden. Daraus ergibt sich dann ein ständiges Nachsinnen über die Kindheitserlebnisse. Manchmal lässt sich der Thera- peut von ihr zum Spiel «Kritik» verleiten, bei dem die Patientin ihre Empfindungen in verschiedenen Situa- Ein tionen erläutert und der Therapeut ihr dann sagt, was Spiel-Brevier dabei nicht in Ordnung ist. Das Spiel «Ausdruck der
  455. eigenen Persönlichkeit» wird in einigen Therapie- Gruppen häufig gespielt; es beruht auf dem Dogma Dogma Gefühl «Gefühl ist immer gut». Ein Patient, der sich bei seinen Schilderungen vulgärer Ausdrücke bedient, kann z. B. durchaus Beifall erhalten oder zumindest stillschwei- gendes Lob ernten. Eine geistig differenzierte Gruppe wird allerdings einen solchen Vorgang recht bald als Spiel entlarven. Einige Mitglieder von Therapie-Gruppen entwi- ckeln sich zu regelrechten Experten in der Aufdeckung von Spielen der «Psychiatrie»-Familie; einem neuen Patienten gegenüber geben sie unverzüglich zu erken- Patienten als nen, wenn sie glauben, er spiele «Psychiatrie» oder Experten «Transaktions-Analyse», anstatt sich mit Hilfe des Gruppen-Verfahrens um echte Einsichten zu bemü- hen. Eine Frau, die aus einer dem «Ausdruck der eige- nen Persönlichkeit» verschriebenen Gruppe in einer Stadt in eine erfahrenere Gruppe in einer anderen Stadt hinüberwechselte, erzählte die Geschichte von ei- ner inzestuösen Beziehung, die sie in ihrer Kindheit ge- habt hatte. Bisher war sie gewohnt, dass man ihrer oft erzählten Geschichte immer mit ehrfürchtigem Stau- nen begegnete; hier jedoch blieb man ihrer Erzählung gegenüber indifferent, und sie wurde sofort wütend. Sie entdeckte zu ihrer Verblüffung, dass die neue Grup- pe mehr an ihrem transaktionellen Zorn interessiert war als an dem längst vergangenen Inzest, und in ihrer Wut schleuderte sie den übrigen Gruppenmitgliedern eine (wie sie glaubte) Beleidigung schwersten Kalibers entgegen: Sie warf ihnen vor, keine Freudianer zu sein. Freud selbst nahm natürlich die Psychoanalyse ernster, 11. und es kam ihm nicht in den Sinn, daraus ein Spiel zu Doktorspiele
  456. machen, indem er etwa gesagt hätte, er selbst sei ei- gentlich kein Freudianer. Eine neue Erst kürzlich wurde eine neue Variante von «Psych- Variante iatrie» mit dem Namen «Erklären Sie mir mal...» auf- gedeckt; sie ähnelt etwa dem auf Partys beliebten Zeit- vertreib «Zwanzig Fragen». Weiß berichtet über einen Traum oder über einen tatsächlichen Vorfall, und die anderen Gruppen-Mitglieder - häufig einschließlich des Therapeuten - versuchen dann, den Bericht zu in- terpretieren, indem sie einschlägige Fragen stellen. Solange Weiß in der Lage ist, die gestellten Fragen zu beantworten, setzen die Gruppen-Mitglieder ihre Be- mühungen der Reihe nach fort, bis man eine Frage fin- det, die Weiß nicht beantworten kann. Nun lehnt sich Schwarz (der die betreffende Frage gestellt hat) mit Kennerblick zurück und sagt: «Aha! Da haben wir's! Könnten Sie diese Frage beantworten, dann wäre Ihnen sicherlich wohler; ich habe also meinen Beitrag geleis- tet.» (Hier zeigt sich eine entfernte Verwandtschaft mit Blockierte dem Spiel «Warum nicht - Ja, aber ...».) Es gibt Thera- Therapien pie-Gruppen, die sich nahezu ausschließlich auf die- sem Spiel aufbauen; hier ergeben sich häufig im Ver- lauf von Jahren nur minimale Veränderungen bzw. Fortschritte. Das Spiel «Erklären Sie mir mal...» räumt Weiß (dem Patienten) einen beträchtlichen Spielraum ein: Er kann z. B. im Strom des Spiels mitschwimmen, indem er sich dem Gefühl der eigenen Untauglichkeit überlässt; er kann aber auch eine antithetische Haltung einnehmen, indem er alle gestellten Fragen beantwor- tet; in diesem Fall machen sich bei den anderen Spie- Ein lern bald Ärger und Verdruss bemerkbar, denn nun Spiel-Brevier kann er ihnen entgegenschleudern: «Ich habe alle eure
  457. Fragen beantwortet, und ihr habt mich nicht geheilt, wie steht ihr nun da [sc. ihr Trottel]?» «Erklären Sie mir mal ...» wird häufig auch von Schulklassen gespielt; hier wissen die Schüler sehr wohl, dass man die Antwort auf eine Frage, die meh- rere Beantwortungsmöglichkeiten zulässt (sie wird be- sonders gern von einem bestimmten Lehrertyp ge- stellt), nicht dadurch findet, dass man reale Fakten zitiert, sondern nur dadurch, dass man versucht, zu er- Die raten, welche von den möglichen Antworten dem Leh- angenehme rer am angenehmsten ist. Einer pedantischen Variante Antwort
  458. begegnen wir im altgriechischen Unterricht; der Leh- rer behält gegenüber dem Schüler immer Recht: Er kann den Schüler, wenn er will, immer schlecht ausse- hen lassen und das durch einen Hinweis auf irgendein obskures Charakteristikum des Originaltextes unter- mauern. Das gleiche Spiel vollzieht sich häufig auch im hebräischen Unterricht.
  459. 6. «Blöd» These. In ihrer milderen Form lautet die These für das «Blöd»-Spiel: «Ich lache mit dir über meine eigene Un- beholfenheit und Stupidität.» Leute mit schwerwie- genderen Störungserscheinungen spielen das Spiel je- doch auf eine mehr schwermütig-resignierte Art, die Depressive etwa besagt: «Ich bin nun mal blöd, das lässt sich nicht Selbst- bezichtigung ändern, du kannst mich also unbesorgt übers Ohr hau- en.» Beide Formen werden von einer depressiven Posi- tion aus gespielt. Man muss «Blöd» von dem Spiel «Schlemihl» unterscheiden: Hier ist die Position ag- 11. gressiver, und mit der Unbeholfenheit ist zugleich eine Doktorspiele
  460. Bitte um Verzeihung verbunden. Ein Unterschied be- steht auch zu «Clown», das nicht ein Spiel, sondern ein Zeitvertreib ist und eine Bestärkung in der Position «Ich bin nett und harmlos» bedeutet. Im «Blöd»-Spiel besteht für Weiß die entscheidende Transaktion darin, Schwarz zu veranlassen, ihn <blöd> zu nennen oder zu- mindest so zu reagieren, als ob er <blöd> sei. Weiß agiert hier ähnlich wie ein <Schlemihl>, bittet aber nicht um Verzeihung, im Gegenteil, eine Verzeihung wäre ihm unangenehm, denn sie würde seine Position bedrohen. Manchmal benimmt er sich auch wie ein Clown, will dadurch aber keinesfalls implizieren, er tue das nur im Scherz; er wünscht, dass man sein Verhalten ernst nimmt: als Beweis für seine tatsächlich vorhandene Stupidität. Der äußere Nutzeffekt, der sich daraus er- gibt, ist beträchtlich, denn je weniger Weiß lernt, umso erfolgreicher wird sein Spiel. Er braucht sich in der Schule nicht anzustrengen, und auch an seinem Ar- beitsplatz beschränkt er sich auf das Notwendigste und «Blöd» als unterlässt alles, was ihn irgendwie vorwärts bringen Überlebens- könnte. Seit seiner frühesten Jugend weiß er, dass je- strategie dermann mit ihm zufrieden ist, solange er sich <blöd> gibt, auch wenn die Leute das manchmal nicht wahr- haben wollen. In Krisenzeiten ist man dann allgemein überrascht, wenn er sich plötzlich wirklich Mühe gibt und es sich herausstellt, dass er in Wirklichkeit gar nicht <blöd> ist - ebenso wenig wie der <dumme> jün- gere Sohn im Märchen. Antithese. Die Antithese für die mildere Spielform ist Ein im Prinzip ganz einfach. Indem er nicht mitspielt, in- Spiel-Brevier dem er über die Unbeholfenheit von Weiß nicht lacht
  461. und über dessen Stupidität nicht lästert, kann der «Anti-Blöd»-Spieler einen Freund fürs Leben gewin- nen. Es gehört zu den Finessen des Spiels, dass es häu- Zurückhaltung fig von zyklothymen oder manisch-depressiven Perso- als nen gespielt wird. Sind diese Leute gerade in Gegenmittel euphorischer Stimmung, dann hat es den Anschein, als wünschten sie tatsächlich, ihre Kollegen sollten in das Gelächter über sie einstimmen. Oft fällt es auch schwer, das nicht zu tun, denn man gewinnt den Eindruck, .sie würden eine Zurückhaltung übel nehmen - in gewis- sem Sinn tun sie das auch, denn ein solches Verhalten bedroht ihre Position und verdirbt das Spiel. Sind sie aber wieder in depressiver Stimmung, dann tritt ihr Ressentiment gegen diejenigen, die in das Gelächter eingestimmt haben, deutlich zutage, und wer sich zu- rückgehalten hat, weiß nun, dass sein Verhalten richtig war. Er ist dann häufig der Einzige, den der Patient im Raum duldet oder mit dem er bereit ist zu sprechen, wenn er wieder in seinen introvertierten Zustand zu- rückfällt; alle früheren <Freunde>, die sich am Spiel be- teiligt und vergnügt hatten, werden nun als <Feinde> behandelt. Es ist zwecklos, dass man versucht, Weiß klar zu ma- chen, er sei in Wirklichkeit gar nicht <blöd>. Unter Um- Widerspruch ständen ist er tatsächlich ziemlich beschränkt und weiß zwecklos das auch genau, und das ist ja auch in erster Linie der Anlass dafür, dass er das Spiel begonnen hat. Es kann allerdings bestimmte Gebiete geben, in denen er eine gewisse Überlegenheit besitzt: Psychologischer Scharf- blick ist häufig eines von ihnen. Solchen Fähigkeiten die verdiente Anerkennung zu zollen ist durchaus 77. nicht schädlich, nur sollte man ein solches Verhalten Doktorspiele
  462. streng unterscheiden von plumpen <Ermutigungs>- Versuchen. Letztere können ihm zwar die bittere Ge- nugtuung verschaffen, dass die anderen Leute im Grunde noch <blöder> sind als er selbst, doch ist das kaum ein angemessener Trost. Derartige <Ermuti- gungs>-Versuche stellen also im vorliegenden Fall si- cherlich nicht gerade das vernünftigste therapeutische Verfahren dar; gewöhnlich handelt es sich dabei um eine Aktion im Rahmen des Spiels «Ich versuche nur, dir zu helfen». Die Antithese zum «Blöd»-Spiel besteht aber nicht darin, ein anderes Spiel an seine Stelle zu setzen, sondern einfach darin, sich des «Blöd»-Spiels gänzlich zu enthalten. Die Antithese zu der schwermütig-resignierten Form des Spiels ist ein komplizierteres Problem, denn Depressive hier versucht der Spieler nicht, Gelächter oder Gespött Variante zu provozieren, sondern Hilflosigkeit oder Erbitterung, mit denen er sehr gut fertig zu werden weiß; er gewinnt in jedem Fall. Unternimmt Schwarz nichts gegen ihn, dann geschieht das, weil er sich hilflos fühlt, unter- nimmt er etwas, dann geschieht das aus einem Gefühl der Verbitterung heraus. Daher neigen diese Leute auch dazu, das Spiel «Warum nicht - Ja, aber ...» zu spielen, das ihnen in milderer Form die gleiche Befrie- digung verschafft. Es gibt für solche Fälle keine Patent- lösung, und.es ist auch nicht damit zu rechnen, dass man eine findet, bevor nicht die Psychodynamik dieses Spiels gründlicher erforscht wird.
  463. Ein Spiel-Brevier
  464. 7. «Holzbein» These. Die dramatischste Form von «Holzbein» ist das Spiel «Plädoyer für geistige Unzurechnungsfähigkeit». Die harte Mit den Begriffen der Transaktions-Analyse lässt sich Form das etwa folgendermaßen ausdrücken: «Was erwarten Sie eigentlich von einem Menschen, der von so schwe- ren seelischen Störungen befallen ist wie ich - etwa, dass ich davor zurückschrecke, Menschen zu töten?» Von den Geschworenen erwartet der Fragesteller ok fensichtlich die Antwort: «Natürlich nicht; wir können Ihnen ja wohl kaum eine derartige Beschränkung auf- erlegen!» Als sozusagen juristisches Spiel wird «Plä- doyer für geistige Unzurechnungsfähigkeit» im ameri- kanischen Kulturbereich akzeptiert; es unterscheidet sich jedoch von dem nahezu auf der ganzen Welt gel- Juristische tenden Grundsatz, dass ein Individuum tatsächlich un- Bedeutung ter so schwerwiegenden psychischen Störungen leiden kann, dass kein vernünftiger Mensch ihm die Verant- wortung für das, was es tut, aufbürden würde. In Japan akzeptiert man Trunkenheit und in Russland Kriegs- dienst in der Armee als Entschuldigungsgrund dafür, sich der Verantwortung für alle möglichen Schandta- ten zu entziehen (soweit die dem Autor vorliegenden Informationen zutreffend sind). Beim Spiel «Holzbein» heißt die These: «Was er- Die normale warten Sie eigentlich von einem Mann mit Holzbein?» Form Stellt man die Frage so, dann würde natürlich niemand etwas von einem Mann mit Holzbein erwarten, außer vielleicht, dass er sich in seinem Rollstuhl ohne fremde Hilfe fortbewegen kann. Andererseits gab es zum Bei- spiel während des Zweiten Weltkriegs einen Mann mit 77. Holzbein, der in Armeelazaretten, in denen sich Am- Doktorspiele
  465. putierte befanden, auf durchaus kompetente Weise Handicap vorführte, wie man trotz eines solchen Handikaps Jit- und Chance terbug tanzen kann. Es gibt Blinde, die als Anwälte praktizieren oder ein politisches Amt innehaben (so ist z. B. der gegenwärtige Bürgermeister der Heimatstadt des Autors ein Blinder), taube Männer, die als Psychia- ter tätig sind, und Männer ohne Hände, die trotzdem in der Lage sind, auf der Schreibmaschine zu tippen. Solange ein Mensch mit einer echten, übertriebenen oder eingebildeten Invalidität mit seinem Los zufrie- den ist, sollte sich wohl niemand veranlasst fühlen ein- zugreifen. In dem Augenblick jedoch, in dem er sich in psychiatrische Behandlung begibt, erhebt sich die Fra- ge, ob er seinem Leben auch wirklich die bestmögli- chen Seiten abgewinnt und ob er nicht vielleicht in der Lage wäre, seine Invalidität zu überwinden. In den Ver- einigten Staaten setzt sich der Therapeut mit seiner Ar- beit in Gegensatz zu einem Großteil der öffentlichen Unerwünschter Meinung in den gebildeten Schichten. Selbst die nahen Therapie- Verwandten des Patienten, die sich zunächst am lautes- Erfolg ten über die durch seine Invalidität verursachten Un- bequemlichkeiten beklagt haben, neigen schließlich dazu, sich gegen den Therapeuten zu wenden, wenn der Zustand des Patienten sich definitiv bessert. Das ist für einen Mann, der mit der Spiel-Analyse vertraut ist, durchaus verständlich, aber es erleichtert seine Auf- gabe in keiner Weise. Alle Leute, die die ganze Zeit über «Ich versuche nur, dir zu helfen» gespielt haben, werden nun von der unmittelbar bevorstehenden Un- terbrechung des Spiels bedroht, wenn sich beim Pa- Ein tienten Anzeichen dafür zeigen, dass er eine gewisse Spiel-Brevier Selbständigkeit wiedererlangt, und sie greifen manch-
  466. mal zu den unglaublichsten Maßnahmen, um die Be- handlung zu beenden. Als typisches Beispiel möge der Fall des stotternden Die klassische Klienten von Fräulein Schwarz dienen, von dem schon Form bei der Erörterung des Spiels «Armer Teufel» die Rede war. Dieser Mann spielte das Spiel «Holzbein» in einer geradezu Idassischen Form. Es gelang ihm nicht, eine Beschäftigung zu finden, und er schrieb das mit Recht dem Umstand zu, dass er stotterte, denn nach seinen eigenen Worten war ja die einzige Laufbahn, die ihn interessierte, die eines Verkäufers. Als freier Bürger hatte er natürlich das Recht, sich diejenige Beschäfti- gung auszusuchen, die ihm am meisten behagte, da er aber stotterte, musste man sich angesichts der von ihm getroffenen Wahl natürlich fragen, ob sie wirklich ech- ten Motiven entsprang. Als Fräulein Schwarz versuch- te, dieses Spiel zu unterbinden, reagierte die Betreu- ungsorganisation des Klienten gegenüber Fräulein Schwarz recht ungnädig. Besonders nachteilig ist das Spiel «Holzbein» in der «Holzbein» in klinischen Praxis, denn der Patient kann auf einen der Therapie Therapeuten stoßen, der das gleiche Spiel unter dem gleichen Motto spielt, und in diesem Fall ist irgendeine Besserung ausgeschlossen. Das ist zum Beispiel leicht möglich beim so genannten «Ideologischen Plädoyer»: «Was erwarten Sie von einem Mann, der in einer Ge- sellschaft wie der unseren lebt?» Ein Patient kombi- nierte diese <Masche> mit dem so genannten «Psycho- somatischen Plädoyer»: «Was erwarten Sie von einem Mann mit so ausgeprägten psychosomatischen Sym- ptomen?» Er gelangte an eine Reihe von Therapeuten, die jeweils nur bereit waren, eines von beiden Plädo-
  467. yers zu akzeptieren, nicht aber zugleich auch das ande- re; die Folge war, dass keiner der konsultierten Psycho- therapeuten den Patienten in seiner gegenwärtigen Po- sition bestärkte, indem er beide Plädoyers akzeptierte, dass ihn aber auch keiner aus dieser Position verdräng- te, indem er beide Plädoyers verwarf. Auf diese Weise konnte der Patient beweisen, dass die Psychiatrie nicht in der Lage war, den Menschen zu helfen. Einige der Entschuldigungen, die Patienten für ihr Wohlfeile symptomatisches Verhalten vorzubringen pflegen, sind: Entschuldi- Erkältungskrankheiten, Kopfverletzungen, <Stress>-Si- gungen tuationen, die Krise im Leben der Moderne, in der ame- rikanischen Kultur und im Wirtschaftssystem. Spieler von einigem Bildungsniveau haben wenig Mühe, ir- gendwelche Präzedenzfälle zu zitieren, auf die sie glau- ben, ihr Verhalten stützen zu können. «Ich trinke, weil ich ein Ire bin.» - «Das würde nicht geschehen, wenn ich in Russland oder auf Tahiti lebte.» In Wirklichkeit liegen die Dinge jedoch so, dass die Patienten in den Nervenkliniken von Russland oder Tahiti sich kaum von denen unterscheiden, die in den staatlichen Anstal- ten für Geisteskranke in Amerika ihr Dasein fristen. 1
  468. Plädoyers besonderer Art wie etwa «Wenn sie nicht wären ...» oder «Man hat mich im Stich gelassen ...» sollten in der klinischen Praxis ebenso wie bei soziologi- schen Forschungsprojekten stets sehr sorgfältig über- prüft werden. Mit Raffinesse Ein wenig raffinierter sind Plädoyers wie die folgen- den: Was erwarten Sie von einem Mann, der 1. aus ei- ner zerrütteten Familie kommt; 2. ein Neurotiker ist; Ein 3. sich in psychoanalytische Behandlung begibt oder Spiel-Brevier 4. an einer Krankheit leidet, die unter dem Namen Al-
  469. koholismus bekannt ist? Den Gipfelpunkt stellt folgen- de Argumentation dar: «Wenn ich aufhöre, das zu tun, dann bin ich auch nicht mehr in der Lage, mein Ver- halten zu analysieren, und dann wird sich mein Zu- stand niemals bessern.» Den Gegenpol zu «Holzbein» bildet das Spiel «Rik- Cegenpolzu scha»; hier lautet die These: «Wenn es doch nur Rik- «Holzbein» schas/Schnabeltiere/Mädchen, die Altägyptisch spre- chen, in unserer Stadt gäbe! Dann wäre ich nämlich niemals in diese Schwierigkeiten geraten!» Antithese. Eine antithetische Aktion zum «Holzbein»- Spiel ist dann nicht schwierig, wenn der Therapeut in der Lage ist, sein eigenes Eltern-Ich und sein Erwach- senen-Ich klar auseinander zu halten, und wenn man sich auf beiden Seiten über das Ziel der therapeuti- schen Behandlung ausdrücklich einig geworden ist. Auf der <Eltern-Ich>-Ebene kann der Therapeut ent- weder als <gutmütiger> oder als <strenger> Elternteil Zwei fungieren. Als (gutmütigen Elternteil kann er das Plä- therapeutische Gegenmittel doyer des Patienten, besonders dann, wenn es sich mit seinen eigenen Ansichten verträgt, akzeptieren, viel- leicht mit der vernünftigen Einsicht, dass man Patien- ten so lange nicht für ihr Verhalten voll verantwortlich machen kann, bis ihre therapeutische Behandlung ab- geschlossen ist. Als (strengen Elternteil kann er das Plä- doyer des Patienten verwerfen und sich mit ihm auf ein Duell der Willenskraft einlassen. Mit beiden Möglich- keiten ist der «Holzbein»-Spieler bereits wohl vertraut, und er weiß, wie man aus jeder von ihnen eine maxi- male Befriedigung herausholen kann. Auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs lehnt der The-
  470. rapeut diese beiden Möglichkeiten ab. Fragt der Pati- ent: «Was erwarten Sie eigentlich von einem Neuroti- ker?» (oder bringt er irgendeines der anderen gängigen <Plädoyers> vor), dann bekommt er zur Antwort: «Ich erwarte überhaupt nichts von Ihnen. Die Frage ist, was Sie eigentlich von sich selbst erwarten?» Das Einzige, Therapeutische was der Therapeut von dem Patienten verlangt, ist, Forderung dass dieser sich ernsthaft um eine Antwort auf diese Frage bemüht, und die einzige Konzession, die er ihm gegenüber macht, besteht darin, dass er dem Patienten eine ausreichende Zeitspanne zur Beantwortung dieser Frage einräumt: Sie kann etwa sechs Wochen bis sechs Monate betragen; das hängt jeweils von dem Verhält- nis zwischen Therapeut und Patient ab und von der vorausgegangenen Vorbereitung des Patienten.
  471. G U T E SPIELE
  472. Der Psychiater, der sich in der besten, wenn nicht sogar in der einzig möglichen Position befindet, von der aus ein hinreichend gründliches Studium der Spiele über- haupt möglich ist, hat es unglücklicherweise fast aus- schließlich mit Leuten zu tun, die gerade durch ihre Spiele bereits in Schwierigkeiten geraten sind. Das be- deutet, dass die Spiele, die für eine ldinische Untersu- chung zur Verfügung stehen, in gewissem Sinn aus- schließlich <schlechte> Spiele sind. Da die Spiele aufgrund der gegebenen Definition auf verdeckten Transaktionen beruhen, muss außerdem in allen ir- gendwie das Element der (Ausbeutung) oder (Ausnut- zung) eine Rolle spielen. Aus den beiden angeführten Gründen, einem praktischen und einem theoretischen, wird die Suche nach (guten> Spielen zu einem schwie- rigen Unternehmen. Als (gut> kann man ein Spiel be- Definition des zeichnen, bei dem der positive Beitrag im sozialen Be- guten Spiels reich mehr Gewicht hat als die vielschichtigen Motivationen, besonders dann, wenn der Spieler diese Motivationen ohne zynische oder nihilistische Einstel- lung absorbiert hat. Das heißt: Gut wäre ein Spiel dann, wenn ein Spiel sowohl zum Wohlbefinden der anderen Spieler beiträgt, als auch zur Entfaltung desje- nigen, der die Hauptrolle darin spielt. Da man selbst 72. angesichts bestgeleiteter Sozial-Aktionen und Sozial- Gute Spiele
  473. Organisationen einen Großteil der Zeit damit verbrin- gen muss, Spiele zu spielen, sollte man die Suche nach <guten> Spielen intensiv und beharrlich betreiben. Es folgen nun verschiedene Beispiele für <gute> Spiele, doch sind sie zugegebenermaßen sowohl nach ihrer Anzahl als auch nach ihrer Qualität noch unzurei- chend. Zu ihnen gehören folgende Spiele: «Urlaub im Beruf», «Kavalier», «Hilfreiche Hand», «Weiser Mann» und «Die werden noch einmal froh sein, dass sie mich gekannt haben».
  474. i. «Urlaub im Beruf» These. Genau genommen handelt es sich hier mehr um einen Zeitvertreib als um ein Spiel, und zwar um einen für alle Beteiligten konstruktiven Zeitvertreib. Ein amerikanischer Postbote, der in seinem Urlaub nach Tokio geht, um dort einem japanischen Postbo- ten beim Austragen der Post zu helfen, oder ein ameri- kanischer Arzt, der während seines Urlaubs in einer Erholung Klinik auf Haiti arbeitet, werden sich höchstwahr- durch Arbeit scheinlich nach ihrer Rückkehr ebenso erholt fühlen und ebenso interessante Geschichten zu erzählen ha- ben, als wären sie zur Löwenjagd nach Afrika gereist oder als hätten sie ihre Zeit damit verbracht, sich durch den Verkehr auf den transkontinentalen Autobahnen hindurchzuschlängeln. Das amerikanische Friedens- korps hat jetzt sozusagen den (Urlaub im Beruf) sank- tioniert. Zu einem Spiel wird (Urlaub im Beruf) dann, wenn Ein die Arbeit einem verdeckten Motiv untergeordnet ist, Spiel-Brevier und wenn der Betreffende die Arbeit nur als äußere
  475. <Schau> aufzieht, um damit in Wirklichkeit etwas ganz anderes zu erreichen. Aber selbst unter diesen Umstän- den behält das Spiel seine konstruktive Qualität und gehört zu den im Prinzip durchaus löblichen Tarn- aktionen für andere Bestrebungen (die ihrerseits durchaus auch konstruktiver Natur sein können).
  476. 2. «Kavalier» These. Dieses Spiel wird von Männern gespielt, die sich nicht in sexueller Bedrängnis befinden - gelegent- lich von jüngeren Männern, die durch eine gut gehen- de Ehe oder eine glückliche Liaison ausgelastet sind, häufiger noch von älteren Männern, die sich in gezie- mender Form mit der Einehe oder dem Zölibat abge- funden haben. Begegnet Weiß einer ansprechenden Frau, von der er sich angezogen fühlt, dann nimmt er jede Gelegenheit wahr, seine Begeisterung in entspre- Geschmack- chenden Komplimenten zum Ausdruck zu bringen; er voller Flirt überschreitet dabei niemals die Grenzen der Schick- lichkeit, der bestehenden Sozial-Situation und des gu- ten Geschmacks. Innerhalb dieser Grenzen lässt er je- doch seiner Kreativität, seinem Enthusiasmus und seiner schöpferischen Originalität völlig freien Lauf. Sein Ziel besteht nicht darin, die Frau zu verführen, sondern darin, zu zeigen, in welch vollendetem Maß er die Kunst der eindrucksvollen Komplimente be- herrscht. Der innerlich soziale Nutzeffekt liegt in dem Nutzeffekt Vergnügen, das er der Frau mit seinem von dunklen Nebenabsichten ungetrübten Künstlertum bereitet, und in der einfühlsamen Wertschätzung, die ihm Frau 12. Weiß angesichts seiner künstlerischen Fähigkeiten zu Cute Spiele
  477. teil werden lässt. In gewissen Fällen, in denen beide sich über die Natur dieses Spiels vollkommen im Kla- ren sind, kann es zum Entzücken beider Partner eine durchaus extravagante Note bekommen. Ein Mann von Welt wird natürlich immer wissen, wann er auf- Die Grenzen hören muss, und er wird das Spiel nicht über jenen des Spiels Punkt hinaus ausdehnen, an dem es aufhört, der Frau Freude zu machen (mit Rücksicht auf sie), oder an dem die Qualität der von ihm dargebotenen künstleri- schen Leistungen nachzulassen beginnt (mit Rück- sicht auf seinen eigenen künstlerischen Stolz). Von Dichtern wird «Kavalier» hauptsächlich wegen seiner äußerlich sozialen Nutzeffekte gespielt, denn ihnen ist an der Wertschätzung qualifizierter Kritiker und des breiten Leserpublikums mindestens ebenso sehr - wenn nicht gar mehr - gelegen wie an der einfühlsa- men Resonanz derjenigen fair lady, die sie zu ihrem Werk inspirierte. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kontinentaleuropäer im Bereich der romantischen Überlegene Literatur und die Briten in der Lyrik den Amerikanern Europäer bei diesem Spiel stets erheblich überlegen gewesen sind. In den Vereinigten Staaten wird das Spiel weitge- hend von den Vertretern der <Obststand-Poesie> ge- spielt: Deine Augen sind wie Birnen, deine Lippen wie die Gurken etc. An Eleganz kann sich dieses «Kava- lier»-Spiel aus der <Obststand>-Schule in keiner Weise mit den Schöpfungen von Herrick und Lovelace mes- sen, ja nicht einmal mit den zwar zynischen, dabei aber von starker Imaginationskraft getragenen Werken von Rochester, Roscommon oder Dorset.
  478. Antithese. Die Frau benötigt eine gute Portion Welt- klugheit, um ihre Rolle gut zu spielen, andererseits muss sie schon sehr stur und töricht sein, um sich ei- nem solchen Spiel gänzlich zu versagen. Das passende Komplementärspiel für sie ist eine Variante des Spiels «Sie sind wirklich wundervoll, Herr Michelmeier!» Cegen-Spiele («SISIWUM»), nämlich: «Ich bewundere Ihre Werke, Herr M.» Ist die <angebetete> Frau ein weniger emp- findsames und kluges Wesen, dann reagiert sie mög- licherweise mit einem einfachen «SISIWUM»-Spiel, doch geht sie damit am Kern der Dinge vorbei: Weiß bietet als Objekt ihrer Wertschätzung nicht sich selbst an, sondern seine dichterischen Werke. Für eine derart beschränkte Frau gibt es auch noch eine brutale Anti- these, und die besteht darin, dass sie zu einem «HIVE»- Die brutale Spiel zweiten Grades greift («Schleich dich, Casano- Antwort va!»). Ein «HIVE»-Spiel dritten Grades, das man nicht völlig ausschließen kann, wäre unter den gegebenen Umständen natürlich eine ausgesprochen niederträch- tige Reaktion vonseiten der Frau. Ist die Frau <nur> geistig beschränkt, dann wird sie ein «HIVE»-Spiel ers- ten Grades spielen, d. h., sie wird die ihr entgegenge- brachten Komplimente akzeptieren, um ihrer Eitelkeit zu frönen, aber sie wird kaum daran denken, die nöti- ge Wertschätzung für die schöpferischen Fähigkeiten und Bemühungen von Weiß aufzubringen. Im Allge- meinen verdirbt eine Frau das Spiel immer dann, wenn sie es nicht so sehr als literarisches <Schauspiel>, son- dern mehr als ernsthaften Verführungsversuch be- trachtet. 12. Cute Spiele
  479. Verwandte Spiele. «Kavalier» ist ein Spiel, und man muss es von den <Operationen> und <Verfahren> unter- scheiden, die im Verlauf einer echten Liebeswerbung vollzogen werden; hier handelt es sich um einfache Transaktionen ohne verdeckte Motive. Das weibliche Gegenstück zu dem Spiel «Kavalier» kann man am bes- ten als «Schmeichelkätzchen» bezeichnen; es wird häu- fig von unentwegten irischen Damen reiferer Jahrgän- ge gespielt.
  480. Teil-Analyse Ziel: Gegenseitige Bewunderung. Rollen: Dichter, einfühlsame Bewunderin. Soziali-Paradigma: Erwachsenen-Ich / Erwachsenen- Ich. Erwachsenen-Ich (männlich): «Sehen Sie nur, wie glücklich ich Sie machen kann.» Erwachsenen-Ich (weiblich): «Mein Gott, Sie machen mich wirklich glücklich.» Psychologisches Paradigma: Kindheits-Ich (männlich): «Sehen Sie nur, was für schöpferische Leistungen ich vollbringen kann.» Kindheits-Ich (weiblich): «Mein Gott, Sie sind wirklich ein sehr schöpferischer Mensch.» Nutzeffekte: 1. Innerlich psychologisch - Schöpferi- sche Tätigkeit und Bestätigung der Anziehungskraft. 2. Äußerlich psychologisch - Vermeidet die Zurück- weisung sinnloser sexueller Annäherungsversuche. 3. Innerlich sozial - <Kavalier>. 4. Äußerlich sozial - Auf sie wird unter Umständen verzichtet. 5. Biolo- gisch - Gegenseitiges <Streicheln>. 6. Existenziell - Ich kann mein Leben mit Charme und Anstand führen.
  481. 3. «Hilfreiche Hand» These. Weiß zeigt sich anderen Leuten gegenüber stän- dig hilfsbereit, hat dabei aber stets irgendein verdeck- tes Motiv. Er kann z.B. für vergangene Missetaten Hilfe mit büßen, gegenwärtige Missetaten tarnen, Freunde ge- doppeltem winnen, um sie später auszunutzen, oder sein Prestige Boden zu heben versuchen. Aber mag man auch immer seine Motive infrage stellen, man muss ihm doch für das, was er tut, Anerkennung zollen. Schließlich kann man , vergangene Missetaten auch dadurch zu verdecken su- chen, dass man immer neue begeht, man kann Leute auch ausnutzen, indem man ihnen nicht zuerst groß- zügig hilft, sondern sie von vornherein unter Druck setzt, und man kann Prestigegewinn auch durch üble Machenschaften anstatt durch gute Taten erzielen. Ei- nige Philanthropen sind mehr daran interessiert, ihre Konkurrenz Konkurrenten zu übertreffen, als daran, etwas Gutes zu der Wohltäter tun: «Ich habe mehr Geld [Kunstwerke, Grund und Boden] gestiftet als du!» Auch ihre Motive mag man infrage stellen, man muss trotzdem anerkennen, dass sich ihr Wettstreit in einem konstruktiven Bereich ab- spielt, denn es gibt ja auch viele Menschen, deren Wett- streit sich in einem ausgesprochen destruktiven Be- reich abspielt. Die meisten Leute (bzw. Völker), die «Hilfreiche Hand» spielen, haben sowohl Freunde als Soziale auch Feinde, und die einen haben für ihr Verhalten Wirkung vielleicht ebenso viel Anlass wie die anderen. Ihre Fein- de attackieren die Motive und messen ihren Taten we- nig Gewicht bei, ihre Freunde dagegen zeigen sich dankbar für die guten Taten und legen den Motiven keine allzu große Bedeutung bei. Daher sind auch so genannte <objektive> Erörterungen dieses Spiels im
  482. Grunde gar nicht möglich. Leute, die den Anspruch er- heben, neutral zu sein, lassen bald erkennen, auf wes- sen Seite sie trotz ihres Neutralitätsanspruchs stehen. Kommerzielle In den Vereinigten Staaten bildet dieses Spiel als Aus- Variante beutungsmanöver die Grundlage für einen Großteil der <Public Relations>-Arbeit. Die Klienten sind jedoch im Allgemeinen freudig bereit, daran zu partizipieren, und so ist dieses Spiel wohl das angenehmste und kon- struktivste aller Spiele im kommerziellen Bereich. In Familiäre einer seiner kritischsten Formen begegnen wir dem Variante Spiel im familiären Bereich: Es vollzieht sich hier als dreiseitiges Spiel, in dem Vater und Mutter um die Zu- neigung ihres Sprösslings wetteifern. Aber selbst in die- sem Fall sollte man bedenken, dass gerade die Wahl des Spiels «Hilfreiche Hand» einige der damit verbunde- nen diskreditierenden Momente wieder ausgleicht; es gibt ja auch noch eine ganze Reihe weit unerfreuliche- rer Wettstreitmöglichkeiten im familiären Bereich - z. B. «Mutti ist kränker als Vati» oder «Warum liebst du ihn mehr als mich?».
  483. 4. «WeiserMann» These. Es handelt sich hier mehr um einen fest umris- senen Plan als um ein Spiel, doch hat dieser Plan eine Reihe von spielähnlichen Aspekten. Ein gebildeter und kluger Mann eignet sich neben seinen beruflichen Qualitäten zusätzlich Kenntnisse auf den verschiedens- ten Gebieten an. Bei seiner Pensionierung verlässt er die Großstadt, in der er einen verantwortungsvollen Posten bekleidet hat, und zieht , in eine kleine Stadt. Dort spricht es sich bald herum, dass sich die Men-
  484. sehen mit allen möglichen Problemen an ihn wenden können, vom Maschinenschaden bis zum (Dachscha- den) bei greisen Verwandten; man weiß, dass er nach besten Kräften persönlich hilft und dass er in den Fäl- len, in denen ihm das nicht möglich ist, den Hilfesu- chenden an einen qualifizierten Experten weiteremp- Wohltäter fiehlt. So findet er in der neuen Umgebung sehr rasch ohne Hinter- gedanken seinen Platz als <Weiser Mann>, der selbst anspruchs- los, aber immer bereit ist, sich die Probleme anderer- anzuhören. In seiner besten Form wird dieses Spiel von Menschen gespielt, die sich der Mühe unterzogen ha- ben, ihre Motive von einem Psychiater gründlich un- tersuchen zu lassen, und die sich erst einmal vergewis- sern, welche Fehler man vermeiden muss, bevor sie sich schließlich ganz ihrer selbst gestellten Aufgabe widmen.
  485. 5. «Die werden noch einmal froh sein, dass sie mich gekannt haben» These. Hier handelt es sich um eine wertmäßig höher einzuschätzende Variante des Spiels «Denen werd ich's Die Ursprungs- zeigen!». Es gibt zwei Formen von «Denen werd ich's spiele zeigen!». In der destruktiven Form <zeigt Weiß es ih- nen), indem er ihnen irgendwelchen Schaden zufügt. Auf diese Weise kann er sich selbst in eine überlegene Position hineinmanövrieren, nicht um des Prestiges oder materieller Vorteile willen, sondern einzig und al- lein darum, weil sie für ihn ein geeignetes Machtinstru- ment zum Vollzug seiner Gehässigkeiten ist. In der konstruktiven Form arbeitet Weiß unermüdlich und ist auf jede nur denkbare Weise um Prestigegewinn be-
  486. müht, nicht um der beruflichen Geschicklichkeit oder einer legitimen Errungenschaft willen (diese können jedoch eine sekundäre Rolle spielen), auch nicht, um seinen Feinden einen direkten Schaden zuzufügen, sondern damit sie sich vor Neid verzehren und bedau- ern, dass sie ihn früher nicht besser behandelt haben. Im Spiel «Die werden noch einmal froh sein, dass sie mich gekannt haben» arbeitet Weiß nicht gegen, son- dern für die Interessen seiner früheren Kollegen. Er will Bestätigung ihnen zeigen, dass sie recht daran taten, ihn mit des positiven Freundlichkeit und Respekt zu behandeln, und er Urteils möchte ihnen zu ihrem eigenen Nutzen beweisen, dass sie ein gesundes Urteilsvermögen besitzen. Damit er in jedem Fall als sicherer Sieger aus diesem Spiel hervor- geht, müssen jedoch seine Mittel ebenso wie seine Ziele ehrenvoll sein; darin liegt die Überlegenheit dieses Spiels gegenüber «Denen werd ich's zeigen!». Beide, «Denen werd ich's zeigen!» und «Die werden noch ein- mal froh sein ...», sind manchmal nicht so sehr Spiele als vielmehr rein sekundäre Nutzeffekte erfolgreicher Unternehmungen. Sie werden dann zu Spielen, wenn Weiß mehr daran gelegen ist, welchen Eindruck sein Erfolg auf seine Freunde bzw. auf seine Feinde macht, als an dem Erfolg selbst.
  487. JENSEITS DES SPIELBEREICHS
  488. DIE BEDEUTUNG der Spiele
  489. 1. Spiele werden von Generation zu Generation wei- Geerbte Spiele tergegeben. Das Lieblingsspiel jedes einzelnen Indivi- duums lässt sich bis auf seine Eltern und Großeltern zurückverfolgen und bis auf seine Kinder weiter in die Zukunft hinein projizieren; sie ihrerseits bringen es später den Enkeln bei, wenn nicht irgendjemand er- folgreich interveniert. Die Spiel-Analyse vollzieht sich also in einer Art historischer Matrix, die nachgewiese- nermaßen bis zu hundert Jahre in die Vergangenheit zurückreicht und sich mit großer Zuverlässigkeit bis auf etwa 50 Jahre in die Zukunft hinein projizieren lässt. Durchbricht man diese sich aus fünf oder mehr Historische Generationen zusammensetzende Kette, dann können Bedeutung sich daraus geometrisch progressive Auswirkungen er- geben. Es leben heute viele Individuen, die mehr als 200 Nachkommen haben. Mögen die Spiele auch bei der Weitergabe von einer Generation an die andere verstümmelt oder verändert werden, so scheint doch in sehr starkem Maß die Neigung zu bestehen, sich sozu- sagen in einer Art Inzucht immer wieder mit Men- schen zu verbinden, die Spiele der gleichen Familie, wenn nicht gar der gleichen Art spielen. Darin liegt die historische Bedeutung der Spiele. 13. Die 2. Kinder erziehen heißt in erster Linie: ihnen bei- Bedeutung bringen, welche Spiele sie spielen sollen. Verschiedene der Spiele
  490. KulturelleKulturen und verschiedene soziale Schichten haben Bedeutung auch verschiedene Arten von Lieblingsspielen, und verschiedene Gruppen und Familien bevorzugen ihrer- seits wieder verschiedene Varianten dieser Spiele. Dar- in liegt die kulturelle Bedeutung der Spiele. 3. Spiele sind, wie sich gezeigt hat, eingezwängt zwi- schen verschiedenen Arten von Zeitvertreib und In- Soziale timerlebnissen. Alle Arten von Zeitvertreib werden bei Bedeutung ständiger Wiederholung langweilig, wie das z. B. bei Cocktailpartys zu Reklamezwecken der Fall ist. Intim- erlebnisse erfordern in hohem Maß Umsicht und Be- hutsamkeit, und sie werden vom Eltern-Ich, vom Er- wachsenen-Ich und vom Kindheits-Ich keinesfalls begünstigt. Die Gesellschaft blickt mit einigem Unmut auf Offenheit und Ehrlichkeit, es sei denn, sie be- schränken sich auf den privaten Bereich; wer einen wa- chen Sinn hat, weiß, dass sie sehr leicht ausgenutzt werden können, und das Kindheits-Ich fürchtet sie we- gen der mit ihnen verbundenen Demaskierung. Um sich von der Langeweile der verschiedenen Arten von Zeitvertreib frei zu machen, sich dabei aber nicht den Gefahren von Intimerlebnissen auszusetzen, schließen die meisten Menschen einen Kompromiss, indem sie sich so weitgehend wie möglich den Spielen zuwenden: Diese füllen einen Großteil der amüsanteren Stunden des gesellschaftlichen Verkehrs aus. Darin liegt die so- ziale Bedeutung der Spiele. 4. Als Freunde, Kollegen und Intimpartner wählen sich die meisten Individuen Leute aus, die die gleichen Spiele spielen. Daher legt in einem bestimmten Sozial- Jenseits des bereich <jeder, der irgendetwas darstellt> (in der Aris- Spielberekhs tokratie, in Halbstarkencliquen, in gesellschaftlichen
  491. Clubs, in College-Internaten etc.) ein Verhalten an den Tag, das Mitgliedern anderer Sozialbereiche durchaus Persönliche fremdartig erscheinen kann. Umgekehrt muss jedes Bedeutung Mitglied eines bestimmten Sozialbereichs, das seine Spiele wechselt, damit rechnen, dass es aus diesem Be- reich verdrängt wird; es findet aber gewöhnlich in ir- gendeinem anderen Sozialbereich willkommene Auf- nahme. Darin besteht die persönliche Bedeutung der Spiele.
  492. Nachtrag Der Leser müsste jetzt eigentlich in der Lage sein, den grundlegenden Unterschied zwischen mathematischer und transaktioneller Spiel-Analyse zu verstehen. Die Definition mathematische Spiel-Analyse postuliert Spieler, die ra- transaktio- neller Spiele tional reagieren. Die transaktioneile Spiel-Analyse da- gegen befasst sich mit Spielen, die unrational, ja sogar irrational und daher wirklichkeitsnäher sind.
  493. DIE SPIELER
  494. Viele Spiele werden am intensivsten von Leuten gespielt, die unter geistigen Störungen leiden; im Allgemeinen spielen sie umso intensiver, je schwer- Typik der wiegender diese Störungen bei ihnen sind. Eigenar- Spieler tigerweise weigern sich jedoch einige schizophrene Menschen ganz entschieden, irgendwelche Spiele zu spielen, und sie dringen von Beginn der Behandlung an auf absolute Offenheit. Im Alltagsleben werden Spiele von zwei Arten von Individuen mit der stärks- ten inneren Überzeugung gespielt: von den <Schmol- lern> (sulks) und von den <Querköpfen> (jerks) oder <Spießern> (squares). Der <Schmoller> ist ein Mann, der auf seine Mutter Der Schmoller böse ist. Bei eingehender Untersuchung stellt sich ge- wöhnlich heraus, dass er schon seit seiner Kindheit auf seine Mutter wütend ist. Auf der <Kindheits-Ich>-Ebe- ne hat er häufig gute Gründe für seine Wut: Vielleicht hat ihn seine Mutter während einer entscheidenden Phase seiner Kindheit <verlassen), indem sie krank wurde und längere Zeit im Krankenhaus lag, oder sie hat vielleicht < allzu viele) Geschwister zur Welt ge- bracht. Manchmal handelt es sich auch um ein bewuss- tes Verlassen: So kann sie ihn z. B. irgendwo in Pflege gegeben haben, um wieder heiraten zu können. Auf je- 14. den Fall ist er seit dieser Zeit wütend auf sie. Im Allge- Die Spieler
  495. meinen macht er sich nichts aus Frauen, obwohl durchaus ein Don Juan in ihm stecken kann. Da das Schmollen zu Beginn ein bewusster Willensakt ist, kann dieser Entschluss zum Schmollen auch in jeder Lebensphase wieder rückgängig gemacht werden, ebenso wie das etwa während der Kindheit möglich ist, wenn es Zeit zum Mittagessen wird. Die Voraussetzun- gen für eine Änderung des Entschlusses sind beim er- wachsenen Schmoller die gleichen wie bei einem klei- nen Jungen. Er muss sein Gesicht wahren können, und man muss ihm anstelle des Privilegs zum Schmollen irgendetwas anderes anbieten, das ihm lohnend er- Therapie des scheint. Manchmal kann man ein «Psychiatrie»-Spiel, Schmollers das sich sonst jahrelang hinziehen könnte, dadurch ab- brechen, dass man den Entschluss zum Schmollen um- stößt. Das erfordert allerdings eine sorgfältige Vorbe- reitung des Patienten sowie die Wahl des richtigen Zeitpunkts und der richtigen Methoden. Geht der Therapeut ungeschickt vor oder versucht er den Pati- enten einzuschüchtern, dann erzielt er damit ebenso wenig einen Erfolg, wie das bei einem schmollenden kleinen Jungen der Fall wäre; im weiteren Verlauf der Therapie wird der Patient dem Therapeuten seine schlechte Behandlung ebenso heimzahlen, wie ein klei- ner Junge sich an Eltern rächt, die ihn nicht richtig zu nehmen verstehen. Weibliche Bei weiblichen Schmollern ist die Situation die glei- Schmoller che, wenn sie mutatis mutandis auf ihren Vater wütend sind. Ihr <Holzbein> («Was erwarten Sie von einer Frau, die einen solchen Vater hat?») muss mit noch größe- Jenseits des rem diplomatischem Geschick behandelt werden, und Spielbereichs zwar von einem männlichen Therapeuten. Tut er das
  496. nicht, dann riskiert er, sozusagen symbolisch in einen Papierkorb geworfen zu werden mit der Aufschrift: «Für Männer, die wie Vater sind!» Ein bisschen querköpfig sind wir letzten Endes alle, Der Querkopf aber die Aufgabe der Spiel-Analyse besteht gerade dar- in, diese Eigenschaft auf ein minimales Ausmaß zu be- schränken. Ein Querkopf ist für die Einflüsse des El- tern-Ichs stets übermäßig empfänglich. Daher besteht bei einem solchen Menschen immer die Gefahr, dass in entscheidenden Augenblicken die Datenverarbeitung) auf der Ebene seines Erwachsenen-Ichs und die Spon- taneität auf der Ebene seines Kindheits-Ichs störend beeinträchtigt werden: Die Folge ist ein unpassendes und ungeschicktes Verhalten. In Extremfällen ver- schmilzt der Querkopf mit dem Speichellecker, dem Großmaul und der <Klette>. Man darf allerdings den Querkopf nicht mit einem verwirrten Schizophrenen verwechseln, bei dem das Eltern-Ich überhaupt nicht und das Erwachsenen-Ich nur in geringem Ausmaß funktioniert, sodass er mit den Vorgängen in der Welt auf der Ebene eines konfusen <Kindheits-Ich>-Zu- stands fertig werden muss. Interessant ist die Tatsache, dass im allgemein üblichen Wortgebrauch der Begriff <Querkopf> ausschließlich als männliches Epitheton verwendet wird, höchstens noch in seltenen Fällen bei Frauen mit <maskulinem> Einschlag. Ein (Unschulds- Die Unschulds- engel) ist in noch weit höherem Maß <spießig> als ein engel (Querkopf); der Begriff (Unschuldsengel) bleibt im All- gemeinen für Frauen reserviert, gelegentlich kann er jedoch auch auf Männer angewandt werden, bei denen sich gewisse feminine Tendenzen zeigen.
  497. EIN P A R A D I G M A
  498. Wir wollen uns jetzt einmal mit dem folgenden Ge- spräch zwischen einer Patientin (P) und einem Thera- peuten (T) beschäftigen: P: «Ich habe ein neues Projekt: immer pünktlich zu sein.» T: «Ich will versuchen, Ihnen dabei zu helfen.» P: «Das ist mir ganz egal, was Sie tun. Ich tue es in mei- nem eigenen Interesse ... Raten Sie mal, was für eine Note ich für meine Geschichts-Arbeit bekom- men habe!» T: «Eine Zwei.» P: «Woher wissen Sie das?» T: «Sie haben Angst davor gehabt, eine <Eins> zu be- kommen.» P: «Das ist richtig; ich hätte eine <Eins> gehabt, aber ich habe meine Arbeit nochmal durchgesehen; dabei strich ich drei richtige Antworten aus und setzte drei falsche dafür ein.» T: «Mir macht diese Unterhaltung direkt Spaß; sie ist in keiner Weise <querköpfig>!» P: «Ja, stellen Sie sich vor, gestern Abend habe ich dar- über nachgedacht, was für einen großen Fortschritt ich gemacht habe. Ich hatte geradezu das Gefühl, dass ich jetzt nur noch zu 17 Prozent querköpfig 15. Ein bin.» Paradigma
  499. T: «Nun, heute Morgen konnte ich davon noch nichts bemerken; Sie haben also für die nächste Runde eine Gutschrift von 34 Prozent.» P: «Genau vor sechs Monaten hat die ganze Sache an- gefangen; damals starrte ich gerade auf meine Kaf- feekanne, und da sah ich sie zum ersten Mal wirk- lich vor mir. Sie wissen, wie es jetzt um mich steht: Ich höre die Vögel singen, ich schaue die Menschen an, und es sind tatsächlich richtige Menschen, die ich da sehe, und vor allem ich selbst, auch ich selbst bin wirklich gegenwärtig. Kürzlich war ich in einer Kunstausstellung; ich betrachtete gerade ein Bild, da trat ein Mann an mich heran und sagte: (Gau- guin ist wirklich sehr ansprechend, nicht wahr?> Ich antwortete ihm: <Ich mag nicht nur Gauguin, ich mag auch Sie.> Wir gingen dann zusammen hinaus und setzten uns noch in eine Weinstube; er ist ein sehr netter Bursche.» Analyse In der oben wiedergegebenen Unterhaltung sind Ele- mente von <Querköpfigkeit> und <Spielanfälligkeit> nicht zu erkennen, sie spielt sich auf der Ebene zweier autonomer Erwachsenen-Ichs ab; der folgende Kom- mentar soll das noch verdeutlichen: «Ich habe ein neues Projekt: immer pünktlich zu sein.» Diese Feststellung wurde getroffen, nachdem so- zusagen der Testfall bereits eingetreten war. Früher war die Patientin fast immer zu spät gekommen, diesmal erschien sie pünktlich. Wäre diese Pünktlichkeit nur einem Entschluss, einem <Willensakt> entsprungen und eine Art Gebot des Eltern-Ichs an das Kindheits- Jenseits des Ich gewesen, das nur dazu da ist, um übertreten zu Spielbereichs werden, dann hätte die Patientin ihren Entschluss vor-
  500. her bekannt gegeben: «Das ist heute das letzte Mal, dass ich zu spät komme.» Darin hätte man einen Ver- such erblicken müssen, ein Spiel aufzuziehen. Das gilt jedoch nicht für die von ihr getroffene Feststellung. Hier handelt es sich um eine Entscheidung auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs, um ein ernsthaftes Pro- jekt und nicht bloß um eine Resolution. Tatsächlich war die Patientin auch weiterhin pünktlich. «Ich will versuchen, Ihnen dabei zu helfen.» Hier handelt es sich nicht um den Eröffnungszug in einem neuen Spiel «Ich versuche ja nur, Ihnen zu helfen». Die Patientin war zu einem Zeitpunkt bestellt, zu dem die vom Therapeuten eingelegte Kaffeepause gerade zu Ende ging. Da sie meist zu spät kam, hatte er sich ange- wöhnt, sich ebenfalls Zeit zu lassen und mit einiger Verspätung in seine Praxis zurückzukehren. Als sie von ihrem neuen Projekt sprach, wusste er sofort, dass sie auch auf sein Verhalten anspielte, und gab daraufhin sein eigenes Hilfsversprechen ab. Es handelte sich bei dieser Transaktion also um eine Art Vertrag, der auf der <Erwachsenen-Ich>-Ebene abgeschlossen wurde und den beide Vertragspartner dann einhielten, und nicht um einen Vorgang, bei dem das Kindheits-Ich der Patientin das Eltern-Ich des Therapeuten um ir- gendetwas dringend bat, der sich dann aufgrund sei- ner Position gezwungen fühlte, den <guten Papa> zu spielen und seine Hilfe zuzusichern. «Das ist mir ganz egal, was Sie tun.» Hier zeigt sich, dass sie ihren Entschluss zur Pünktlichkeit allein und entschieden getroffen hat und dass es sich hier nicht nur um eine in die Zukunft projizierte Resolution han- delt, die Bestandteil eines Spiels ist, mit dem sie zum
  501. Schein auf den Therapeuten eingeht, um die Situation dann später auszunutzen. «Raten Sie mal, was für eine Note ich bekommen habe.» Hier handelt es sich um einen Zeitvertreib; beide waren sich darüber durchaus im Klaren, und es machte ihnen Spaß, sich diesem Zeitvertreib hinzuge- ben. Für ihn bestand keine Veranlassung, ihr seine Wachsamkeit zu demonstrieren, indem er ihr aus- drücklich klar machte, dass es sich hier tatsächlich um einen Zeitvertreib handelte, und für sie bestand keine Veranlassung, bloß aus dem Grund nicht mitzuspielen, weil es sich hier um einen Zeitvertreib handelte. «Eine Zwei.» Der Therapeut kalkulierte, dass dies in ihrem Fall die einzig mögliche Note sei, und es gab kei- nen Grund dafür, diese Vermutung nicht auch auszu- sprechen. Falsche Bescheidenheit oder die Sorge, mit seiner Vermutung nicht richtig zu liegen, hätten ihn veranlassen können, so zu tun, als wisse er es nicht. «Woher wissen Sie das?» Das war eine Frage auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs, nicht ein Spiel «Sie sind wirklich wundervoll ...», und sie verdiente eine sach- gerechte Beantwortung. «Ja, ich hätte eine <Eins> gehabt.» Hierin lag ein wirk- licher Test. Die Patientin ließ sich jedoch nicht darauf ein, ihrem Verhalten irgendwelche <moralische Mäntel- chen) umzuhängen oder irgendwelche <Plädoyers> vor- zubringen, sondern sie trotzte ihrem Kindheits-Ich ganz offen und ehrlich. «Mir macht diese Unterhaltung wirklich Spaß.» Die- se und die folgenden halb scherzhaften Bemerkungen waren der Ausdruck eines wechselseitigen Respekts auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs; dabei spielte viel-
  502. leicht in geringem Ausmaß ein Zeitvertreib zwischen Eltern-Ich und Kindheits-Ich mit hinein, der jedoch auch in diesem Fall für beide fakultativ war und dessen sich beide durchaus bewusst waren. «Da sah ich sie zum ersten Mal wirklich vor mir.» Die Patientin hat jetzt ihre eigene Art von Bewusstheit gewonnen und ist nicht länger gezwungen, Kaffeekan- nen und Menschen so zu betrachten, wie ihr die Eltern das beigebracht haben. Sie lebt nicht mehr in der Ver- gangenheit oder in der Zukunft, aber sie kann sie kurz erörtern, wenn das zu irgendeinem Zweck nützlich ist. «Ich antwortete ihm: <Ich mag auch Sie.»> Sie fühlt sich nicht mehr gezwungen, ihre Zeit damit zu vergeu- den, dass sie mit dem Unbekannten ein Spiel «Kunst- ausstellung» spielt, obwohl sie es hätte tun können, wenn sie Lust dazu gehabt hätte. Der Therapeut fühlt sich seinerseits nicht verpflich- tet, mit ihr ein Spiel «Psychiatrie» zu spielen. Verschie- dene Male hätte die Möglichkeit bestanden, Fragen der Defensive, der Übertragung und der symbolischen In- terpretation ins Gespräch zu bringen, doch gelang es dem Therapeuten, sie ungenutzt verstreichen zu lassen, ohne darüber auch nur im Geringsten besorgt zu sein. Es erschien ihm allerdings lohnend, für zukünftige Be- ratungen festzuhalten, welche Antworten sie in ihrer Prüfungsarbeit ausgestrichen hatte. Die 17 Prozent <Querköpfigkeit> der Patientin und die 18 Prozent des Therapeuten machten sich unglücklicherweise im wei- teren Verlauf der Ordinationsstunde noch einige Male bemerkbar. Zusammenfassend kann man sagen: Die oben geschilderten Vorgänge stellen eine Tätigkeit dar, 75. Ein aufgelockert durch einigen Zeitvertreib. Paradigma
  503. AUTONOMIE
  504. Die Erringung der Autonomie manifestiert sich in der Freisetzung oder Wiedergewinnung von drei Fähigkei- ten: Bewusstheit, Spontaneität und Intimität. Bewusstheit. Bewusstheit ist die Fähigkeit, auf un- verwechselbar eigene Art eine Kaffeekanne zu sehen und die Vögel singen zu hören, und nicht so, wie es ei- nem beigebracht worden ist. Man hat gute Gründe für die Annahme, dass das Sehen und das Hören für Kin- der ganz etwas anderes bedeutet als für die Erwachse- nen - und dass sie in den ersten Lebensjahren mehr von ästhetischen als von intellektuellen Momenten be- stimmt werden. Ein kleiner Junge ist entzückt, wenn er die Vögel sieht und hört. Dann kommt der <gute Vater> Erziehung und fühlt das Bedürfnis, seinen Erfahrungsschatz mit (zer)stört seinem Sohn zu <teilen> und ihm in seiner <Entwick- lung> behilflich zu sein. Er sagt zu ihm: «Das ist ein Häher, und das ist ein Spatz.» Von dem Augenblick an, in dem sich der Junge damit befasst, welches nun der Häher ist und welches der Spatz, kann er die Vögel nicht mehr richtig sehen oder singen hören. Er muss sie nun so sehen und hören, wie der Vater es verlangt. Der Vater hat für sein Verhalten durchaus plausible Gründe, denn nur wenige Menschen können es sich leisten, ihr Leben damit zu verbringen, dass sie dem 16. Gesang der Vögel lauschen; je eher er also mit der <Er- Autonomie
  505. ziehung> seines kleinen Sohnes beginnt, desto besser ist das für ihn. Vielleicht wird aus ihm eines Tages ein Or- nithologe. Es gibt nur noch einige wenige Menschen, die auf die alte Weise sehen und hören können. Die weitaus meisten Menschen haben jedoch die Fähigkeit verloren, Maler, Dichter oder Musiker zu sein, und sie haben nicht mehr die Wahlmöglichkeit, unmittelbar zu sehen und zu hören, selbst dann nicht, wenn sie es sich eigentlich leisten könnten; sie sind gezwungen, ihre Eindrücke aus zweiter Hand zu empfangen. Die Definition von Wiedergewinnung dieser Fähigkeit wird hier als Be- Bewusstheit wusstheit* bezeichnet. Physiologisch gesehen ist die Bewusstheit eine eidetische Wahrnehmung, verknüpft mit eidetischen Anschauungsbildern. Vielleicht gibt 2
  506. es, zumindest bei gewissen Individuen, auch eine eide- tische Wahrnehmung im Bereich des Geschmacks- sinns, des Geruchssinns und der Kinästhesie, und aus ihnen rekrutieren sich dann die Künstler auf diesen Gebieten: die Küchenchefs, die Parfumeure und die Tänzer und Tänzerinnen, deren Problem ständig darin besteht, ein Publikum zu finden, das ihre Leistungen bzw. Produkte auch richtig zu schätzen weiß. Die Bewusstheit zwingt uns, im Hier und Heute zu Bewusstheit leben und nicht irgendwo in der Vergangenheit oder in im Alltag der Zukunft. Ein anschauliches Beispiel für die im All- tag sich bietenden Möglichkeiten geben die Autofahrer, die am Morgen in großer Hast zu ihrem Arbeitsplatz fahren. Die entscheidende Frage lautet: «Wo sind ihre Gedanken, während sie mit ihrem Körper im Wagen sitzen?» Man kann drei weit verbreitete Fälle unter- scheiden. 1. Der Mann, der in erster Linie damit beschäftigt
  507. ist, zum Dienst zurechtzukommen, ist derjenige, der sich von seiner Umwelt am stärksten ausschließt. Wäh- Der Fall rend sein Körper am Lenkrad seines Wagens sitzt, sind <Ouerkopf> seine Gedanken schon an der Schwelle zu seinem Büro; er ist blind gegenüber seiner unmittelbaren Umge- bung, und er bemerkt sie nur insoweit, als sie ein Hin- dernis für den Augenblick ist, in dem sich bei ihm Sorna und Psyche wieder vereinen werden. Dieser <Querkopf> ist hauptsächlich darum besorgt, welchen Eindruck das Ganze wohl auf seinen Chef machen wird: Kommt er zu spät, dann gibt er sich die größte Mühe, atemlos zu erscheinen. Sein willfähriges Kind- heits-Ich hat das Kommando übernommen, und er spielt «Sie sehen, ich habe mir wirklich die größte Mühe gegeben». Während er fährt, fehlt es ihm fast völlig an Autonomie, und als menschliches Wesen ist er im Prinzip mehr tot als lebendig. Es ist durchaus möglich, dass ein solcher Zustand in hohem Maß zur Entstehung eines hohen Blutdrucks oder zur Erkran- kung der Kranzgefäße des Herzens beiträgt. 2. Der <Schmoller> ist seinerseits nicht so sehr dar- Der Fall um besorgt, dass er zur rechten Zeit an seinem Arbeits- <Schmoller> platz eintrifft, als vielmehr darum, sich eine Reihe von Entschuldigungen für sein Zuspätkommen auszuden- ken. Kleine Missgeschicke, schlecht aufeinander abge- stimmte Verkehrsampeln und stupides Verhalten von- seiten der anderen Verkehrsteilnehmer passen gut in seinen Plan und werden heimlich begrüßt, und zwar als Beitrag zu seinem Spiel «Sehen Sie bloß, was die wieder angerichtet haben», das er entweder auf der Ebene seines rebellischen Kindheits-Ichs oder auf der 16. seines rechthaberischen Eltern-Ichs spielt. Auch er ist Autonomie
  508. blind gegenüber seiner Umgebung, und das gilt nur dann nicht, wenn sie in irgendeiner Form einen Bei- trag zu seinem Spiel leistet; so ist auch er nur halb le- bendig. Sein Körper sitzt in seinem Wagen, seine Ge- danken sind jedoch auf der Suche nach Missständen und Ungerechtigkeiten. Der Fall 3. Weniger häufig trifft man den <natürlichen Fah- <natürlicher rer), den Mann, für den das Autofahren eine konge- Fahrer> niale Kunst und Wissenschaft ist. Wenn er sich rasch und geschickt durch das Verkehrsgewühl windet, dann verschmilzt er mit seinem Auto zu einem Wesen. Auch er beachtet die Umgebung nicht, oder doch nur dann, wenn sie ihm Spielraum für seine fahrerischen Quali- täten gibt, aber er ist sich nicht nur seiner selbst sehr wohl bewusst, sondern auch der Maschine, die er so ausgezeichnet beherrscht; insoweit ist er durchaus le- bendig. Ein solches Fahren ist, formal ausgedrückt, ein Zeitvertreib auf der Ebene des Erwachsenen-Ichs, aber es kann auch in seinem Kindheits-Ich und seinem El- tern-Ich eine gewisse Befriedigung auslösen. Der Fall 4. Der vierte Fall betrifft den Menschen, der sich be- bewusster wusst verhält und keine Hast und Eile zeigt, weil er Haltung ganz in der Gegenwart und in der unmittelbaren Um- gebung lebt, die sich rings um ihn herum befindet: der Himmel, die Bäume und auch das Gefühl der Bewe- gung. Hasten und Eilen heißt: diese Umgebung ver- nachlässigen und nur Dinge in sein Bewusstsein auf- nehmen, die noch außer Sichtweite in weiter Ferne liegen, oder sich nur irgendwelcher Hindernisse oder nur seiner selbst bewusst werden. Ein Chinese, beglei- Jenseits des tet von einem Kaukasier, war einmal gerade im Begriff, Spielbereichs die lokale Untergrundbahn zu besteigen, da machte
  509. ihn sein Begleiter darauf aufmerksam, dass sie 20 Mi- nuten Zeit sparen könnten, wenn sie stattdessen mit dem Eilzug führen. Beide entschlossen sich, das zu tun. Als sie auf der Station am Central Park ausstiegen, setzte sich der Chinese zur großen Verblüffung seines Begleiters auf eine Bank. «Nun», sagte der Chinese, «wir haben 20 Minuten Zeit gespart, also können wir es uns jetzt auch leisten, so lange hier zu sitzen und un- sere Umgebung zu genießen.» Der bewusste Mensch ist lebendig, denn er weiß, was er empfindet, wo er ist und in welcher Zeit er lebt. Er Leben im Hier weiß, die Bäume werden noch an der gleichen Stelle und Heute stehen, wenn er längst gestorben ist, aber er wird dann nicht mehr in ihrer Nähe sein, um sie zu betrachten, also möchte er sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt so in- tensiv betrachten wie nur irgend möglich. Spontaneität. Spontaneität bedeutet in gewissem Sinn Option: die Freiheit, seine Empfindungen aus dem verfügbaren Assortiment (Empfindungen auf der Die Freiheit Ebene des Eltern-Ichs, des Erwachsenen-Ichs und des der Wahl Kindheits-Ichs) auszuwählen und auszudrücken. Sie bedeutet auch Befreiung: Befreiung von dem Zwang, Spiele zu spielen und nur die Empfindungen zum Tra- gen zu bringen, die einem von anderen beigebracht worden sind. Intimität. Intimität bedeutet: spontane, nicht spiel- anfällige Offenheit eines bewussten Menschen, die Freisetzung des mit eidetischer Wahrnehmung begab- Spontane ten, unkorrumpierten Kindheits-Ichs, das mit seiner Offenheit ganzen Naivität im Hier und Heute lebt. Es lässt sich experimentell nachweisen , dass die eidetische Wahr- 16. 3
  510. nehmung Zuneigung auslöst und dass die Offenheit Autonomie
  511. positive Empfindungen mobilisiert, ja es gibt sogar so Einseitige etwas wie <einseitige Intimität) - ein Phänomen, das - Intimität wenn auch nicht unter diesem Namen - professionel- len Verführern wohl vertraut ist: Sie sind in der Lage, ihre Partner an sich zu ziehen, ohne sich dabei selbst innerlich zu engagieren. Sie erreichen das, indem sie den anderen Menschen dazu ermutigen, sich ihnen di- rekt und offen zuzuwenden und freimütig mit ihnen zu sprechen, während der männliche Verführer (oder die weibliche Verführerin) dieses Verhalten nur zum Schein erwidert, was er natürlich sorgfältig vor dem betroffenen Partner verbirgt. Da die Intimität im Wesentlichen eine Funktion des natürlichen Kindheits-Ichs ist (wenn auch eingebettet in eine Matrix von psychologischen und sozialen Ver- flechtungen), zeigt sie meist die Tendenz zu einer günstigen Entfaltung, es sei denn, diese wird durch das Zwischenschalten von Spielen gestört. Eine höchst un- günstige Wirkung übt auf sie im Allgemeinen die Ad- aptation an die Einflüsse des Eltern-Ichs aus, und un- glücklicherweise ist das nahezu überall in der Welt der Fall. Bevor sie jedoch korrumpiert werden, scheinen die meisten Kinder ein starkes Liebesempfinden zu ha- ben , und das ist, wie experimentell nachgewiesen wur- 4
  512. de, das grundlegende Wesensmerkmal der Intimität.
  513. DIE E R R I N G U N G DER A U T O N O M I E
  514. Von Geburt an bringen die Eltern, bewusst oder unbe- wusst, ihren Kindern bei, wie sie sich verhalten sollen, wie sie denken, empfinden und wahrnehmen sollen. Eine Loslösung von diesen Einflüssen ist keinesfalls leicht, denn sie sind tief verwurzelt, und während der Lösung aus der ersten zwei oder drei Lebensjahrzehnte sind sie für Erziehung biologische und soziale Überlebenszwecke unentbehr- lich. Im Prinzip ist eine solche Loslösung überhaupt nur darum möglich, weil das Individuum sich zu Be- ginn seines Lebens in einem autonomen Zustand be- findet, d. h., es hat die Fähigkeiten der Bewusstheit, der Spontaneität und der Intimität, und es besitzt einen gewissen Grad von Ermessensfreiheit darüber, welche der ihm von seinen Eltern übermittelten Lehren es ak- zeptieren will. Frühzeitig in seinem Leben trifft es zu ganz bestimmten Zeitpunkten die Entscheidung dar- über, auf welche Weise es den Adaptationsprozess voll- ziehen will. Gerade weil diese Adaptation sich im Zuge einer Reihe von Entscheidungen vollzieht, kann sie wieder rückgängig gemacht werden, denn Entschei- dungen lassen sich unter günstigen Umständen auch wieder umstoßen. Die Erringung der Autonomie besteht also darin, 17. Die dass man alle in den Kapiteln 13,14 und 15 erörterten Erringung der Irrelevanzen verwirft. Ein solches Verwerfen ist aller- Autonomie
  515. dings niemals endgültig: Man muss ständig darum kämpfen, nicht wieder in die alte Lebensweise zurück- zufallen. Zunächst muss, wie bereits in Kapitel 13 erörtert, das Gewicht einer langen historischen Gruppen- oder Der Weg zur Familientradition beiseite geschoben werden, wie das Autonomie bei Margaret Meads Dorfbewohnern in Neuguinea der Fall gewesen ist ; dann muss auch noch der Ein- 1
  516. fluss, der vonseiten der Eltern sowie aus dem sozialen und kulturellen Milieu heraus auf das einzelne Indi- viduum eingewirkt hat, eliminiert werden. Das Glei- che gilt für die zeitgenössische Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, und schließlich müssen auch noch die Nutzeffekte, die man aus dem unmittelbar zugehöri- gen Sozialmilieu bezogen hat, ganz oder teilweise ge- opfert werden. Dann müssen alle diejenigen Vorteile und Annehmlichkeiten aufgegeben werden, die man, wie in Kapitel 14 gezeigt wurde, daraus ableitete, dass man die Rolle des <Schmollers> oder des <Querkopfs> spielte. Danach muss das Individuum die Selbstkon- trolle im persönlichen und im sozialen Bereich errin- gen, sodass ihm - vielleicht mit Ausnahme der Träu- me - alle im Anhang geschilderten Verhaltensweisen in freier Wahl zu Gebote stehen und nur dem eigenen Willen unterworfen sind. Unter diesen Voraussetzun- gen ist das Individuum nun reif für nicht spielgebun- dene Beziehungen zu anderen Menschen, etwa nach dem in Kapitel 15 erörterten Paradigma. Jetzt sollte es eigentlich auch in der Lage sein, seine Fähigkeiten zur Autonomie hin zu entwickeln. Das bedeutet im Prin- Jenseits des zip, dass die gesamte Vorbereitung daraus besteht, dass man sich in verbindlicher Form von den Einflüs-
  517. sen der eigenen Eltern (und von anderen <Eltern-Ich>- Einflüssen) löst, sodass man zwar bei passender Gele- genheit auf sie zurückgreifen kann, sie aber nicht mehr ein dominierender Faktor im eigenen Leben sind.
  518. BLICK IN DIE
  519. Zukunft
  520. Das in den Teilen I und II dieses Buches präsentierte Bild von der Welt ist recht düster; in ihm besteht das menschliche Leben hauptsächlich darin, die Zeit bis zum Eintreffen des Todes (bzw. des Weihnachtsman- nes)) mit irgendetwas auszufüllen, wobei man allenfalls eine sehr geringe Wahlmöglichkeit hat, darüber zu be- stimmen, mit was für Transaktionen man die lange Wartezeit überbrücken will; dieses Bild ist eine weit ver- breitete, aber doch nicht die endgültige Antwort. Für einige glückliche Menschen gibt es nämlich etwas, das sich über alle systematischen Verhaltensarten erhebt, und das ist die Bewusstheit; etwas, das mehr bedeutet als die Programmierung der Vergangenheit, und das ist die Spontaneität, und etwas, das lohnender ist als alle Spiele, und das ist das Intimerlebnis. Für alle diejenigen aber, die auf diese drei Möglichkeiten innerlich nicht hinreichend vorbereitet sind, können sie Furcht und Gefahr bedeuten. Vielleicht ist es für diese Menschen besser, sie bleiben so, wie sie sind, und suchen die Lö- sung für ihre Probleme darin, dass sie die üblichen So- zialaktionen praktizieren, wie z. B. gesellschaftliche Zu- sammenschlüsse. Das könnte bedeuten, dass es für die Menschheit in ihrer Gesamtheit keine Hoffnung für die 18. Zukunft gibt, dass jedoch für einzelne Individuen die Blick in Zukunft durchaus hoffnungsvoll aussieht. die Zukunft
  521. ANHANG
  522. Die Klassifikation der Verhaltensweisen Ein menschliches Wesen ist zu jedem Zeitpunkt mit einer oder mehreren der folgenden Verhaltensweisen beschäftigt:
  523. Klasse I. Innerlich ausgelöste Programmierung (archäopsychisch). Autistisches Verhalten. GRUPPEN: a) Träume; b) Phantasien. UNTERGRUPPEN: 1. Extrane Phantasien (Wunsch- erfüllung). 2. Autistische Transaktionen, unadap- tiert. 3. Autistische Transaktionen, adaptiert (mit neopsychischer Programmierung). GRUPPEN: C) Fuguen; d) Wahnideen; e) Unbewusste Aktionen. UNTERGRUPPEN: 1. Zuckungen. 2. Manierismen. 3. Parapraxen. GRUPPEN: f) Sonstiges.
  524. Klasse II. Programmierung aufgrund einer Wahr- scheinlichkeitsberechnung (neopsychisch). Wirklich- keitsgerechtes Verhalten. Gruppen: a) Tätigkeiten. UNTERGRUPPEN: 1. Geistige Berufe, handwerkliche Berufe etc. 2. Sport, Hobbys etc. GRUPPEN: b) Verfahren.
  525. UNTERGRUPPEN: ¡.Datenverarbeitung.2.Methoden. G R U P P E N : C) Sonstiges.
  526. Klasse III. Soziale Programmierung (teilweise extero- psychisch). Soziales Verhalten. Gruppen: a) Rituale und Zeremonien; b) Zeitvertreib; c) Operationen und Manöver; d) Spiele. UNTERGRUPPEN: 1. Professionelle Spiele (Angulär- Transaktionen). 2. Spiele im Sozialbereich (Duplex- Transaktionen). G R U P P E N : e) Intimerlebnisse.
  527. Im Rahmen dieses Schemas würden die in diesem Buch erörterten Spiele aus dem Sozialbereich folgen- dermaßen klassifiziert werden: Klasse III. Soziale Pro- grammierung. Gruppe d): Spiele. Untergruppe 2. Spie- le im Sozialbereich. Die Schlussgruppe dieses Schemas, <Intimerlebnis- se>, ist unlöslicher Bestandteil einer von Spielen freien Lebensweise. Es steht dem Leser frei, das oben angeführte Schema zu kritisieren (er sollte jedoch darüber weder lächeln noch spotten). Es wurde in das Buch nicht etwa deswe- gen aufgenommen, weil der Autor in dieses Schema vernarrt ist, sondern weil es funktioneller, realer und praktischer ist als andere heute gebräuchliche Systeme, und weil es für alle diejenigen von Nutzen sein kann, die Systematik schätzen oder ihrer dringend bedürfen.
  528. ANMERKUNGEN
  529. Einleitung 1 E. Berne: < Transactional Analysis in Psychotherapy). New York 1961 2 R. Spitz: < Hospitalism: Genesis of Psychiatric Conditions in Early Childhood>, in: Psychoanalytic Study of the Child I (1945), p. 53-74 3 René Belbenoit: (Dry Guillotine). New York 1938 G. J. Seaton: <Isle of the Damned). New York 1952 4 E. Kinkead: <In Every War But One). New York 1959 5 J. D. French: <The Reticular Formation), in: Scientific Ameri- can 196 (Mai 1957), p. 54-60 6 Die hier zitierten <Kolloquialismen> wurden im Laufe der Zeit in den San Francisco Social Psychiatry Seminars er- arbeitet. 7 S. Levine: < Stimulation in Infancy», in: Scientific American 202 (Mai 1960), p. 80-86 <Infantile Experience and Resistance to Physiological Stress), in: Science 126 (30. August 1957), p. 405 8 Johan Huizinga: <Homo Ludens>. Hamburg 1956 (rowohlts deutsche enzyklopädie. 21) 9 S. Kierkegaard: <A Kierkegaard Anthology). Hg. v. R. Bretall. Princeton 1947, p. 22 f 10 S. Freud: (Studien über Hysterie), in: (Gesammelte Schriften) Bd. II. Leipzig 1924-1928 (Analyse eines Falles von Hysterie), a. a. O., Bd. III 11 E. Berne: (The Structure and Dynamics of Organizations and Groups). Philadelphia und Montreal 1963 (s. besonders Ka- pitel 11 und 12)
  530. I. Analyse von Spielen 1. Struktur-Analyse 1 W. Penfield: < Memory Mechanisms>, in: Archives of Neurology and Psychiatry 67 (1952), p. 178-198 W. Penfield and H. Jasper: (Epilepsy and the Functional Ana- tomy of the Human Braiiv. Boston 1954 (Kap. XI) 2 E. Berne: <The Psychodynamics of Intuition), in: Psychiatric Quarterly 36 (1962), p. 294-300
  531. 5. Spiele 1 D. W. Maurer: <The Big Con>. New York 1940 2 S. Potter: <Theory and Practice of Gamemanship>. New York o.J. 3 G. H. Mead: (Mind, Self, and Society>. Chicago 1934 4 T. Szasz: (The Myth of Mental Illness>. New York 1961 5 E. Berne: (The Structure and Dynamics of Organizations and Groups). Philadelphia und Montreal 1963
  532. II. Ein Spiel-Brevier Einleitung 1 E. Berne: (Intuition IV: Primal Images and Primal Judgements), in: Psychiatric Quarterly 29 (1955), p. 634-658
  533. 6. Lebensspiele 1 Eric Berne: (A Layman's Guide to Psychiatry and Psychoana- lysis). New York 1957, p. 191 2 Margaret Mead: (Growing Up in New Guinea). New York 1951
  534. 7. Ehespiele 1 G. Bateson u. a.: <Toward a Theory of Schizophrenia), in: Be- havioral Science 1 (1956), p. 251-264
  535. 8. Partyspiele 1 Paul de Kock. Eines der populärsten Werke dieses Librettis- ten und Romanschriftstellers aus dem 19. Jahrhundert heißt
  536. <A Good-Natured Fellowr, es handelt von einem Mann, der allzu viel verschenkt.
  537. 10. Räuberspiele 1 In (Psychiatry and the Law: Use and Abuse of Psychiatry in a Murder Case> (American Journal of Psychiatry Bd. 118/1961, p. 289-299) führt Frederick Wiseman ein zugleich deutliches und tragisches Beispiel für die scharfe Form des Spiels «Räu- ber und Gendarm» an. 2 Weitere Informationen über das Spiel «Räuber und Gen- darm» und über andere von Gefängnisinsassen gespielte Spiele findet man in F. H. Ernst and W. C. Keating: (Psychia- tric Treatment of the California Felow, in: American Journal of Psychiatry Bd. 120/1964, p. 974-979.
  538. 11. Doktorspiele 1 E. Berne: (The Cultural Problem: Psychopathology in Tahiti), in: American Journal of Psychiatry Bd. 116/1960, p. 1076-1081
  539. III. Jenseits des Spielbereichs 16. Autonomie 1 E. Berne: (Primai Images and Primal Judgment), in: Psychiatric Quarterly Bd. 29/1955, p. 634-658 2 E. R. laensch: (Eidetic Imagery). New York 1930 3 Diese Experimente in den San Francisco Social Psychiatry Seminars befinden sich noch im Versuchsstadium. Die wirk- same experimentelle Anwendung der Transaktions-Analyse erfordert ebenso eine Spezialausbildung wie die wirksame experimentelle Anwendung der Chromatographie oder der Infrarot-Spektrophotometrie. Ein Spiel von einem Zeitver- treib zu unterscheiden, ist durchaus nicht leichter als die Un- terscheidung zwischen einem Fixstern und einem Planeten. Siehe E. Berne: (The Intimacy Experiment), in: Transactional Analysis Bulletin Bd. 3/1964, p. 113, und: (More About Intima- cy), a. a. O., p. 125.
  540. 4 Einige Kinder werden schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt korrumpiert (Marasmus, einige Arten von Koliken) und ha- ben niemals eine Chance, von dieser Fähigkeit Gebrauch zu machen.
  541. 17. Die Erringung der Autonomie 1 M. Mead: (New Waysfor Old>. New York 1956
  542. ERKLÄRENDES wörterverzeichnis psychologischer, psychoanalytischer und psychiatrischer Begriffe (soweit sie im Text nicht erklärt sind)
  543. Abwehrmechanismen: Unbewusste psychische Abläufe und Vor- gänge mit dem Ziel, nicht akzeptierte Antriebe, Impulse und Emotionen abzuwehren und zu unterdrücken, um so Schuldgefühle und Ängste zu vermeiden und Konflikte zu mildern. A. sind ein Konzept der -»· Psychoanalyse. Die wich- tigsten A. sind -> Verdrängung, ->· Projektion, -+ Sublimie- rung, -»· Regression, -»· Rationalisierung, -* Reaktions- bildung. Alkoholismus: Trunksucht; führt zu einem körperlichen und geistigen Verfall (u. a. Leber-, Nieren- und Darmerkrankun- gen, Nervenleiden; Intelligenzstörungen, gefühlsmäßige Ab- stumpfung, soziales Abgleiten). Anthropologie: Wissenschaft vom Menschen. Im weitesten Sinne umfasst die A. Anatomie, Physiologie, Geschichte und Ar- chäologie, Völkerkunde, Entwicklungsgeschichte, Soziologie und Psychologie. Ätiologie: Lehre von den Krankheitsursachen. Autistisch: Extrem egozentrisch; Tendenz, die Wahrnehmung und das Denken stark mit persönlichen Wünschen und Be- dürfnissen zu durchsetzen. Autoerotik: Sexueller Lustgewinn am eigenen Körper (also ohne Partner). Die sexuelle Selbstbefriedigung ist eine Form der A. Autoritäre Persönlichkeit: Person mit ausgeprägter autoritärer Haltung: zwanghaftes Konformgehen mit den Normen, Regeln und Konventionen der Gruppe oder Gesellschaft, starke Intoleranz gegenüber allem Abweichenden und Un- konventionellen und eine pharisäerhafte Selbstgerechtigkeit.
  544. Depression: Schwermütige, niedergeschlagene Stimmungslage, die verbunden ist mit einer Herabsetzung des Antriebes und der Initiative. Liegt ein äußerer Anlass vor (z.B. Trauerfall), so spricht man von reaktiver D. In starkem Maß und ohne äußeren erkennbaren Anlass kommt D. als Symptom ver- schiedener Ä Psychosen vor. Deprivation: Verlust oder Entbehrung von etwas Gewünschtem; Ausbleiben der Befriedigung eines Bedürfnisses. Emotionale D.: Entzug oder Entbehrung emotionaler Zuwendung (z. B. Einsamkeit). Sensorische D.: Entzug von akustischen und op- tischen Außenreizen. (Sensorische D. wird experimentell zur Klärung wichtiger psychologischer Fragestellungen in schall- toten und lichtlosen Räumen hergestellt und führt zu intel- lektueller Verwirrtheit, Angstzuständen, Ruhelosigkeit, Ori- entierungsverlust, Wahrnehmungstäuschungen.) Eidetische Wahrnehmung: Vorstellungen von besonderer Klar- heit und Deutlichkeit, wie sie sonst nur realen Wahrnehmun- gen zukommt. E. W. ist vor allem bei Jugendlichen zu beob- achten. Epinosischer Krankheitsgewinn: Indirekter -> K. Exhibitionismus: Sexuell abnormes Verhalten; die sexuelle Erre- gung und Befriedigung wird durch Entblößen und Zeigen der eigenen Geschlechtsorgane vor fremden Menschen in der Öffentlichkeit (Parks, einsame Wege) erreicht. Im weiteren Sinn wird unter E. das Bemühen verstanden, die Aufmerk- samkeit anderer in übertriebener Weise auf sich zu lenken. Fetischismus: Sexuell abnormes Verhalten; die sexuelle Erregung und Befriedigung tritt ein beim Betrachten, bei der Vorstel- lung und/oder Betasten eines «Fetisch». Der Fetisch ist ein Körperteil eines Partners (Haar, Fuß; fast immer Körperteile außerhalb der Genitalregion) oder ein Gegenstand vom Pari ner (Taschentuch, Strumpf, Wäsche). Frigidität: Abnormes Fehlen der sexuellen Erregbarkeit und des Erklärendes sexuellen Verlangens. Wörter- Frustration: Versagung oder Verhinderung einer Bedürfnisbe verzeichnis friedigung, eines Wunsches oder einer Erwartung und der
  545. daraus resultierende emotionale Zustand der Enttäuschung, aber auch Erregung, Verärgerung und Wut. Gegenübertragung: Die «t Übertragung unbewusster Emotionen vom Therapeuten auf den Patienten in der -*· Psychothera- pie. Die G. ist durch ständige Selbstkontrolle des Therapeu- ten auszuschalten, um den Behandlungserfolg nicht zu ge- fährden. Gruppendynamik: Teilgebiet der Sozialpsychologie, das vor allem die Gesetze der Gruppenbildung, des Gruppenlebens und das Verhältnis zwischen Gruppen erforscht. Gruppentherapie: Form der Psychotherapie, bei der mehrere Patienten gleichzeitig behandelt werden. Homöostase: Zustand des körperlichen (physiologischen) Gleichgewichts (z. B. das Vorhandensein von genügend Blut- zucker und Sauerstoff im Blut). Homosexualität: Sexuelles Verhalten: sexuelle Anziehung durch Personen des eigenen Geschlechts und sexuelle Betätigung mit gleichgeschlechtlichen Partnern. Hypnose: Künstlich erzeugter Zustand einer erhöhten Sugges- tibilität. Der Hypnotisierte befindet sich in einem schlafähn- lichen Zustand, in dem er Anweisungen des Hypnotiseurs ausführt. Die Technik der H. ist erlernbar und wird zuweilen als Hilfsmittel bei der -f§ Psychotherapie verwendet. Hysterie: Eine Form der ~f Neurose. Ihre kennzeichnenden Symptome sind eine labile Emotionalität, starke Erregbar- keit, Unechtheit des Gefühlslebens, geziertes Gebaren. Häu- fig auch körperliche Symptome ohne körperliche Ursachen (Ohnmächten, Seh- und Sprechstörungen, Lähmungen). Als hysteroid bezeichnet man Personen, die sich hysterieähnlich verhalten. Idiosynkrasie: Überempfindlichkeit und starke Abneigung gegen bestimmte Dinge (z. B. Speisen, Geräusche usw.) oder Perso- nen. Inzest: Sexuelle Betätigung zwischen Verwandten 1. Grades Erklärendes (Eltern-Kinder; Brüder-Schwestern). Wörter- Kleptomanie: Zwanghafter Antrieb zum Stehlen, ohne dass verzeichnis
  546. eine Verwendung des Gestohlenen erfolgt oder beabsichtigt ist. Koitus: Geschlechtsverkehr. Krankheitsgewinn: Vorteil, den eine Krankheit bringen kann. Man unterscheidet einen direkten K. (z. B. der Erkrankte braucht nicht zu arbeiten) und einen indirekten K. (z. B. die Befriedigung ~> masochistischer Tendenzen im Selbstmitleid oder neurotischer Abhängigkeitswünsche). Libido: Sexueller Antrieb, sexuelles Verlangen. Masochismus: Sexuell abnormes Verhalten; die sexuelle Erre- gung und Befriedigung tritt ein durch Erleiden von Schmerz, Qual oder Erniedrigung durch den Partner. Im weiteren Sin- ne jeder Lustgewinn aus oder jedes Genießen von Schmer- zen, Zurücksetzungen, Enttäuschungen, Erniedrigungen. Neurose: Psychische abnorme Verhaltens- und Erlebnisweise (psychische Erkrankung), durch ungelöste Konflikte verur- sacht. Im Gegensatz zu den Psychosen wird die N. weitge- hend durch Umwelteinflüsse (kindliche Erlebnisse) bedingt. Orthodoxe Psychoanalyse: Die Psychoanalyse in der ursprüng- lichen, von Sigmund Freud begründeten Form. Orthopsychiatrie: Die Erforschung psychischer Erkrankungen mit dem Ziel frühzeitiger Behandlung und Vorbeugung. Da- bei werden psychiatrische, psychologische, pädiatrische und sozialpädagogische Betrachtungsweisen und Methoden kombiniert. Paranoia: Geisteskrankheit, bei der Wahnideen (Verfolgungs- wahn, Eifersuchtswahn, Größenwahn) als Symptom im Vor- dergrund stehen. Im weiteren Sinne bezeichnet man Men- schen als paranoid, die extrem misstrauisch sind und zu Verfolgungsgedanken tendieren, ohne dabei Wahnsysteme zu entwickeln. Paranoide Schizophrenie: Form der -* Schizophrenie, bei der Wahnideen zur Symptomatik gehören. Erklärendes Paranosischer Krankheitsgewinn: Direkter -+ K. Wörter- Penis-Neid: Vermissungserlebnisse bei kleinen Mädchen, die verzeichnis sich wegen des «Fehlens» eines Penis als minderwertig Iii Ii
  547. len. Ein ausgeprägter P.-N. kann zur bleibenden Nicht-Ak- zeptierung der weiblichen Rolle führen. Persona (i. S. C. G. Jungs): Die «Rolle», die ein Mensch spielt, um seine Absichten und Wünsche einerseits und die Ansprü- che und Erwartungen der Umwelt andererseits zu erfüllen. Perversion: Krankhafte Abweichung des sexuellen Verlangens und der sexuellen Betätigung. Projektion: Ein ->· Abwehrmechanismus. Eigene, nicht akzeptier- te unbewusste Antriebe und Emotionen werden in andere Menschen hineingesehen, ihnen zugeschrieben und bei ih- nen kritisiert, abgewertet, verachtet und bekämpft. Psychoanalyse: Von Sigmund Freud begründete Theorie psychi- scher Erkrankungen (vor allem Neurosen) und daraus ent- wickelte Technik der Psychotherapie. Im Mittelpunkt der Psychoanalyse stehen Theorien zur Psychodynamik von Konflikten und über die Bedeutung unbewusster Antriebe und Emotionen. Psychose: Geisteskrankheit. Man unterscheidet exogene P., die durch körperliche Veränderungen (z. B. Hirnschäden infolge Verletzungen, Entzündungen u. a.) bedingt sind, und endo- gene P., die als anlagebedingt gelten und für die akute körper- liche Veränderungen nicht ursächlich sind. Die wichtigsten endogenen P. sind die Schizophrenie, die endogene -> Depression, das manisch-depressive Irresein. Psychotherapie: Behandlung psychischer Erkrankungen mit psy- chologischen Mitteln. Der Terminus ist allgemein und um- fasst verschiedene Methoden der Therapie, z. B. Psychoanaly- se, Gruppentherapie, Beratung, autogenes Training u. a. Rationalisierung: Ein -* Abwehrmechanismus. Die verstandes- mäßige Rechtfertigung für eine Handlung, deren Hauptmo- tiv ein nicht akzeptierter Antrieb ist. Reaktionsbildung: Ein -»Abwehrmechanismus. Ein nicht akzep- tierter Impuls oder eine nicht akzeptierte Emotion wird ins Gegenteil verkehrt, um Schuldgefühle und Angst zu bewälti- gen. Regression: Rückkehr zu früheren, weniger reifen Verhaltensmus-
  548. tern infolge Frustration oder Konflikt. R. ist ein Abwehr- mechanismus. Reiz-Hunger: Das starke Verlangen, von außen her angeregt zu werden; entweder sensorisch in dem Verlangen nach Ab- wechslung und Unterhaltung, oder emotional in dem Verlan- gen nach Kontakten, Gesellschaft, Zuneigung. Retikularsystem (Formatio reticularis): Funktionelles System im Hirnstamm mit besonderer Bedeutung für den Wach-Schlaf- Rhythmus. Durch die «Weckwirkung» des R.s wird u. a. die Tätigkeit des Großhirns aktiviert. Rolle: Verhaltensmuster, das von einer Person in einer bestimm- ten Situation erwartet wird. Jeder Mensch ist Träger vieler R. (beispielsweise Vater-R. innerhalb der Familie, R. des Unter- gebenen gegenüber dem Vorgesetzten, R. des Vorgesetzten gegenüber Untergebenen usw.). Sadismus: Sexuell abnormes Verhalten; sexuelle Erregung und Befriedigung treten durch Schmerz-Zufügen, Misshandeln und Erniedrigen des Partners ein. In weiterem Sinne jeder Lustgewinn durch Quälen und Demütigen anderer Men- schen. Schizophrenie: Die S. (Spaltungsirresein) gehört zu den endoge- nen -* Psychosen. Den vielfältigen Erscheinungsformen ist gemeinsam, dass sie die Persönlichkeit irreversibel verändern. Die wichtigsten Symptome der S. sind u. a. Denkstörungen (Zerfahrenheit, alogisches Denken), Wahnideen (Verfol- gungs- oder Größenwahn), Wahrnehmungstäuschungen (Halluzinationen), emotionale Veränderungen (Erregungs- zustände, Gefühlsverödung), Kontaktverlust. Sexual-Psychopathen: Patienten mit krankhaftem sexuellem Ver- langen und krankhaftem Sexualverhalten. Sozialpsychiatrie: Teilgebiet der Psychiatrie unter Beachtung so- ziologischer Gesichtspunkte. Die Analyse psychischer Er- krankungen in der Abhängigkeit von sozialen Einflüssen, der Erklärendes sozialen Umgebung und den gesellschaftlichen Verhältnissen. Wörter- Sozialpsychologie: Teilgebiet der Psychologie; Hauptthemen der verzeichnis S. sind die Abhängigkeit des menschlichen Verhaltens von
  549. Gruppen und Gemeinschaften, die Gesetze des sozialen Ver- haltens (Gruppenbildung; Gruppendynamik; Bildung von Normen, Konventionen und öffentlicher Meinung) und die Gesetzmäßigkeiten der Beziehungen verschiedener Gruppen untereinander (z. B. Minoritätsprobleme, Vorurteile). Stress: Starke körperliche oder psychische Belastung. Sublimierung: Ein -»· Abwehrmechanismus. Nicht akzeptierte Triebregungen werden in den Dienst sozial hoch bewerteter Ziele gestellt (so können beispielsweise sexuelle Impulse zu Liebesgedichten, aggressive Impulse zur Ausbildung sport-, licher Fähigkeiten - etwa Fechten, Boxen - sublimiert wer- den). Übertragung: Die unbewusste Verschiebung eines Affektes von einem Menschen auf den anderen; emotionale Reaktionen, die zu einem Menschen entwickelt wurden, werden auf einen anderen übertragen. Ü. ist ein wichtiger Vorgang in der psy- choanalytischen Therapie, da durch die Verschiebung von Affekten (z. B. der Hass gegenüber dem Vater) auf den The- rapeuten unbewusste Emotionen ausagiert und bewusst ge- macht werden können. In der therapeutischen Situation un- terscheidet man negative Ü. (Verschiebung eines feindseligen Affektes) und positive Ü. (Verschiebungen von Gefühlen der Liebe und Verehrung). Verdrängung: Ein -> Abwehrmechanismus. Die Unterdrückung eines nicht akzeptierten Antriebes oder einer nicht akzeptier- ten Emotion. Die verdrängten Regungen werden unbewusst, aber keineswegs unwirksam. Sie haben nach der psychoana- lytischen Theorie eine entscheidende Bedeutung für die Bildung von -> Neurosen. Zyklothyme Persönlichkeit: Personen, deren Emotionalität durch einen häufigen und periodischen Wechsel von depressiven und heiteren Stimmungslagen gekennzeichnet ist. In der krankhaften Übersteigerung (tiefe Depressionen einerseits, Zustände höchster Erregung und Euphorie andererseits) bie- Erklärendes tet sich das Bild des manisch-depressiven Irreseins. Wörter- verzeichnis
  550. Register f ü r Z e i t v e r t r e i b (Z) u n d S p i e l e (S) Alkoholiker (S) 70,89,91,92, Da siehst du, was du wieder 103-116,182,210 angerichtet hast (S) 110 Alle großen Männer Das große Geschäft (S) 219 waren ... (S) 195 Das ist doch zu dumm! (Z) 59 Anti-Blöd (S) 253 Dem Burschen wolln wir mal Anti-IVEDIH (S) 186 ein Ding verpassen (S) Anti-Schätzchen (S) 164 193,207,219-221 Anti-Schlemihl (S) 122,164, Denen werd ich's zeigen (S) 175-176 269-270 Anti-WANJA (S) 186 Der Gatte als Delinquent (Z) Archäologie (S) 248 63,179 Armer Teufel (S) 223,230, Der Morgen danach (Z) 59, 234-240, 257 62,106-107 Asthma (S) 140 Die werden noch einmal froh Ausdruck der eigenen sein, dass sie mich gekannt Persönlichkeit (S) 249 haben (S) 269-270 Außerdem... (S) 143-145 Dilemma (S) 138 Du hast mir das eingebrockt Badger (S) 126,198,219 (S) 131-133 Barhocker(Z) 170 Du siehst, ich gebe mir Bett des Regisseurs (S) 200 wirklich die größte Bilanz (S) 68 Mühe (S) 135, 155, Bilanz (Z) 58 157-163 Blöd (S) 181,223,251-254 Elternbeirat (Z) 58, 59, 60, Chirurgie (S) 92,171 62,63,64, 92, 179,233 Clown (S) 252 Entrüstung (S) 196,200 Erklären Sie mir mal... (S) Daimler-Benz (Z) 58, 66 250-251
  551. Frigide Frau (S) 91,135, Jetzt hab ich dich endlich, du 145-151,199,205,206 Schweinehund! (S) 90,120, Frigider Mann (S) 92,135, 124-128, 148,150,201 149,206 Jetzt hat's mich wieder erwischt (S) 92,131 Garderobe (Z) 58,63 Jugendkriminalität (Z) 59 Gerichtssaal (S) 135,141- 145,158,164,206,213 Kaffeepause (Z) 169 Gläubiger (S) 120 Kavalier (S) 263-266 Gute Führung (S) 216-218 Kennen Sie ... (Z) 59 Guter Kamerad (S) 110 Klinik (S) 239 Kritik (S) 248 Heutzutage (Z) 167-169 Küche (Z) 58 Hilfe! Vergewaltigung! (S) Küss mich (S) 195,199,200 187, 191, 195-201,243, Lasst uns mal ein Ding 244, 265 drehen (Z) 66 Hilfreiche Hand (S) 267-268 Lebensmittel (Z) 58 Holzbein (S) 110,141,160, Liebesnest (S) 200 194,223,255-259,278 Lumpentante (S) 123, 140 Homosexualität (S) 195 Lunch-Paket (S) 140
  552. Ich auch (Z) 66 Mach mich fertig (S) Ich versuche nur, dir zu 122-124, 197 helfen (S) 110,129,186, Macht den Sieger unter euch 223,226-233,234,235, aus (S) 91,156, 192-193, 236,237,238,239,256 198,221 Ich will raus (S) 216-218 Makel (S) 152, 167,172-173 Ideologisches Plädoyer (S) Mal herausfinden, ob (Z) 58 257 Martini (Z) 59, 106 Immer auf der Sonnenseite (Z) 63 Nimm einen (S) 113 Immobilien (S) 68 Nun wollen wir mal (Z) 66 Ist es nicht schrecklich (S) 167-171,173,195 Perversion (S) 191, 193-195 Ist es nicht schrecklich (Z) Plädoyer für geistige Unzu- 66,126, 167-170 rechnungsfähigkeit (S) 255 Psychiatrie (S) 92,122, 154, Jemals da gewesen (Z) 59, 62 158,216,223,233,245-2'. I
  553. Psychiatrie (Z) 58,60,91, Sie sind wirklich wundervoll, 92 Herr Michelmeier! (S) 90, Psychologische Heilmethode 241,245,265 (S) 247-248 Sie sind wirklich wundervoll, Psychosomatisches Plädoyer Herr Professor! (S) 242-244 (S) 257 Sieh bloß, was du angerichtet Pyjama-Spiel (S) 68 hast (S) 128-133,230 So ist die Gesellschaft, in der Räuber und Gendarm (S) wir leben (S) 195 195,207-216,220,221 Strumpfspiel (S) 191,201-203 Räuber und Revisor (S) 213 Süchtig (S) 108 Räuber und Zöllner (S) 213 Rikscha (S) 259 Transaktions-Analyse (S) 248 Treibhaus (S) 223-226 Sag's ihnen nur, Liebster (Z) Trockener Alkoholiker (S) 89, 59 108 Schätzchen (S) 135,143,145, Tu mir etwas an (S) 187,188 163-165 Tumult (S) 43,138,145,146, Schau, Mutti, ich hab keine 147,149,151,191,204-206 Hände (Z) 59,63 Schiebung (S) 219 Überlastet (S) 135,151-156 Schlag mich, Papi 149 Urlaub im Beruf (S) 262-263 Schlemihl (S) 88,91,106, 122,164,167,174-177, Verehrerin (S) 187,223, 230,232,251,252 240-245,247 Schmeichelkätzchen (S) Versicherung (S) 68 266 Versuch's, aber lass dich nicht Schuldner (S) 92,103, erwischen (S) 120-121 116-122,141 Versuch's und kassiere! (S) Sie können nichts tun, um 119,120, 121 mir zu helfen (S) 229 Veteran (S) 239 Sie müssen mich anhören (S) Viel beschäftigte Hausfrau 218 (S) 82 Sie sehen, ich gebe mir wirklich die größte Mühe Warum muss das ausgerech- (S) 229 net immer mir passieren? Sie sind ein äußerst kluges (S) 91-92,122-123,126, Kind! (S) 243, 244 131,195,230
  554. Warum nicht - Ja, aber ... (S) Wer hat gewonnen (Z) 58 83,91,156,167,177-189, Wie kommt man hier bloß 254 wieder raus (S) 207, Warum unternimmt man 216-219 nicht etwas dagegen (Z) 66 Wie macht man das (Z) 58 Was ist denn aus ... geworden Wie schade! (Z) 169 (Z) 58,59 Wie viel kostet das (Z) 59, Weiser Mann (S) 268-269 62 Wenn du nicht wärst (S) 70-83,92,93, 135,152, Zerschundene Haut (Z) 169 156-157 Zwickmühle (S) 135-141
  555. SACHWORTREGISTER
  556. Alkoholismus 103-116 Ich-Zustände 29-36 autistisch 299 archäopsychische: 30 (s. a. Autonomie 287, 292,293,295 Eltern-Ich) exteropsychische: 30 (s. a. Bewusstheit 287-291,297 Erwachsenen-Ich) neopsychische: 30 (s. a. Depression 145, 154,172 Kindheits-Ich) Deprivation, emotionelle 15 f Rituale und ...: 47-55 Deprivation, sensorische 15 f Spiele und ...: 67-94 Doktorspiele 98,223,260 Transaktionen und ... : 37-45 Ehespiele 98, 135-165 Verfahren und ... : 47-55 Eltern-Ich 30-36 Zeitvertreib und ...: 57-66 epinosisch 25 Impotenz 172 Equilibrium 25 Intimerlebnisse 24,300 Erwachsenen-Ich 30-36 Intimität 291,292 Exhibitionismus 201 Kindheits-Ich 30-36 Fetischismus 193 Kleptomanie 213 Frigidität 145-151,206 Kolloquialismus 17, 91,100 Fuguen 299 Lebensspiele 98,103-134 Gegenübertragung 41 Gruppendynamik 26 Magengeschwür 159 f Gute Spiele 98,261-270 Manierismen 299 manisch-depressiv 253 Homosexualität 191, 195, Manöver 68f,74, 192,300 198 f Masochismus 193,233
  557. Nutzen s. Vorteile Spiel-Brevier 95-270 Spiele 23-24,25, 26, 67-94, paranoid 131,144 300 Paranoide Schizophrenie 93 Analysenschema: 98-99 paranosisch 26 Arten: 91-93 Parapraxen 299 Bedeutung: 273-275 Partyspiele 98,167-189 Definition: 22-23 Penis-Neid 150,200 Entstehung: 83-87 Persona 64 Funktion: 88-91,273-275 Perversion 91,93,95 Intensität: 92 Phantasien 99 Klassifizierung: 91-93 Programmierung 20-26,299 f Nutzeffekte: 80-83, 88, 99 archäopsychische: 299 Ursprung: 83-87 exteropsychische: 300 Vorteile: 80-83,88,99 individuelle: 22,299 Spieler 277-279 materielle: 21 Spontaneität 291,297 neopsychische: 99 Streicheln 18,21 soziale: 21,300 Definition: 18-19 Einheiten: 51-54 Räuberspiele 98 Rituale und ...: 51-55 Reiz-Hunger 15-16,18,20, Wirkungen: 19 24 Struktur-Analyse 29-36 Reizüberflutung 17 Struktur-Hunger 20, 24 Retikularsystem 16 Sublimierung 18 Rituale 25,43,47-55,192, 300 Tätigkeit 20,25 Definition: 49 f Transaktionen 37-45 Gruß-: 50 Angulär-: 43,69,300 informelles: 49 autistische: 299 Streicheln und ... : 51-54 Duplex-: 44,300 Rolle 29,63 f, 98 im Zeitvertreib: 57-66 in Ritualen: 47-55 Sadismus 193 in Spielen: 67-94 Schizophrenie 31, 93,138 f in Verfahren: 47-55 Sexspiele 98, 191-206 Komplementär-: 38 f, 421 Sozialpsychiatrie 17,21, Überkreuz-: 39,41 72-74 verdeckte: 43 Spielanalyse 27-94, 98-99 Transaktions-Analyse 37-45
  558. Transaktions-Paradigma 77, innere psychologische: 26, 98,281-285 81,99 Transaktions-Stimulus 37 innere soziale: 82,99 Träume 299 Krankheits-: 26 paranosische: 26 Übertragung 39 primäre äußere: 26 primäre innere: 26 Verfahren 47-55,67 sekundäre: 26 Definition: 47-48 Spiele und ...: 80-83,88 Vorteile 25-26, 80-83, 99 Arten: 26,80-83 Zeitstrukturierung 19-26, äußere psychologische: 26, 50 81,99 Zeitvertreib 22, 24,25,43, äußere soziale: 82, 99 57-66,167-170,274, 300 epinosische: 26 Definition: 22, 57 existenzielle: 26, 80,99 zyklothym 253
  559. NAMENREGISTER
  560.  
  561. Bateson, Gregory 138 Matson, Mrs. Frances 12,134 Boyce, Melvin 11 Maugham, William Somerset 199 Callaghan, Viola 12 Mead, G. H. 94 Casanova de Seingalt, Mead, Margaret 294 Giacomo 216 Means, Laurence 221 Chamisso, Adelbert von 174 Miller, Arthur 69 Collins, William 221 Miller, Henry 234 Concannon, Joseph 11 Nurse, Rodney 134 Dickens, Charles 150,199 Paré, Ambroise 246 Ernst, Franklin 11,221 Poindexter, Ray 12 Everts, Kenneth 12,134 Potter, Stephan 93 Franklin, Benjamin 141 Reider, Norman 248 Freud, Sigmund 26, 171, 249 Rilke, Rainer Maria 172 Rosenfeld, Barbara 11 Garrett, Anne 12 Gauguin, Paul 282 Semmelweis, Ignaz Philipp 54 Goulding, Robert 134 Spitz, René A. 15 Gritter, Gordon 12 Starrels, R. J. 134 Steiner, Claude 12 Huizinga, Johan 23 Stendhal 70 Szasz, Thomas 94 Jung, Carl Gustav 64 Trenck, Friedrich, Freiherr Kierkegaard, Soren 24 von der 216 Kock, Charles-Paul de 174 Levine, S. 19 Williams, Mrs. Allen 12
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