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Jun 17th, 2019
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  1. https://magazin.spiegel.de/SP/2019/25/164407485/index.html
  2.  
  3. Leitartikel
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  5. Gefährliches aus der Trickkiste
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  7. Horst Seehofer schafft mit "Sicherheitsgesetzen" neue Risiken für Firmen und Bürger.
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  9. Marcel Rosenbach
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  11. Man kann dieser Regierung wirklich nicht vorwerfen, zu ambitioniert zu handeln oder allzu ideenreich. Nur in einer Sparte ist das anders, da sprüht sie geradezu vor Ehrgeiz: bei der inneren Sicherheit. Hier vergeht kaum eine Woche ohne Vorschläge, neue Vorhaben oder weitreichende Forderungen.
  12.  
  13. Viele der Vorstöße stammen aus dem Haus von Bundesinnenminister Horst Seehofer, die meisten haben derzeit mit dem Internet zu tun; also dem, was seine Beamten und auch Militärs und Geheimdienstler gern sinister den "Cyberraum" nennen. Der CSU-Mann, der jüngst bekannte, Gesetze gern möglichst kompliziert zu gestalten, um sie möglichst unbemerkt und störungsfrei durchzusetzen, hat tief greifende Pläne. Nahezu alle sollen die Befugnisse der Sicherheitsbehörden erweitern und ihre Arbeit im Digitalen erleichtern.
  14.  
  15. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn diese Vorhaben denn zielgerichtet, maßvoll oder auch nur erfolgversprechend wären. Doch das sind sie in zu vielen Fällen nicht. In der Gesamtschau handelt es sich um den wohl umfassendsten Angriff auf Freiheits- und Bürgerrechte seit Rasterfahndung und Großem Lauschangriff.
  16.  
  17. Einige der Ideen drohen das Netz und digitale Dienste für die Nutzer sogar unsicherer zu machen, und da wird es gefährlich. Denn hier wird Seehofer, der sich offenbar in seinem letzten Amt vor seinem angekündigten Abschied aus der Politik noch als Heimatschutzminister profilieren will, selbst zum Sicherheitsrisiko.
  18.  
  19. Ein Beispiel dafür ist sein Vorhaben, Anbieter verschlüsselter Chats und Telefonate wie WhatsApp, Threema oder Apple mit Facetime und seinem iMessage künftig dazu zu zwingen, den Sicherheitsbehörden die Kommunikation ihrer Kunden im Klartext zu schicken – wenn die Ermittler einen richterlichen Beschluss vorlegen. Klingt nicht nach einem Aufreger? Ist es aber. Denn bislang können diese Dienste die Inhalte selbst gar nicht erkennen, sie übertragen die Signale Ende-zu-Ende-verschlüsselt. Nur Absender und Empfänger sind in der Lage, sie zu entziffern.
  20.  
  21. Ironischerweise hat beispielsweise WhatsApp diesen besonders sicheren Standard erst nach den Enthüllungen von Edward Snowden vor sechs Jahren eingeführt – zum Schutz seiner Kunden vor überbordender staatlicher Überwachung und zum Schutz seiner Reputation.
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  23. Nun sollen die Firmen die Sicherheit ihrer Kunden auf staatliches Geheiß wieder schwächen. Das setzt sie und ihre Kunden unnötigen Risiken aus. Denn bewusst eingebaute Hintertüren oder "goldene Schlüssel" sind auch Einfallstore für Hacker, Kriminelle oder Spione.
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  25. Das ist leider keine Theorie. Die beiden bislang größten und folgenreichsten Cyberangriffswellen vor rund zwei Jahren betrafen neben der Deutschen Bahn und Beiersdorf auch Energieversorger und Logistikfirmen und verursachten weltweit Milliardenschäden. Die Urheber nutzten dafür eine Schadsoftware, deren wesentlicher Baustein zuvor dem US-Geheimdienst NSA abhandengekommen war.
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  27. Die geplante Gesetzeserweiterung ist nicht einmal notwendig. Schon heute ist es Behörden erlaubt, mit richterlicher Erlaubnis Spähprogramme ("Trojaner") auf die Smartphones Verdächtiger aufzuspielen. Auch so können sie mitlesen und überwachen. Das Verfahren ist aufwendiger, entspricht damit aber der Praxis in vordigitalen Zeiten. Damals mussten Ermittler noch in Wohnungen eindringen, um Wanzen zu installieren.
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  29. Seehofers Pläne sind zudem das Gegenteil von verlässlichem politischen Handeln und schaden dem Wirtschaftsstandort. Sie widersprechen den vor 20 Jahren erlassenen Krypto-Eckpunkten ebenso wie der Ankündigung seines Amtsvorgängers, Deutschland zum "Verschlüsselungsstandort Nummer eins" zu machen.
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  31. Tatsächlich brauchen wir mehr Verschlüsselung, nicht weniger, denn sie gewährleistet Firmen und Bürgern das Grundrecht auf Vertraulichkeit ihrer Kommunikation. Wenn der Staat für mehr Sicherheit sorgen will, darf er dabei nicht neue Risiken schaffen.
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  33. Horst Seehofer bemerkte bei seinem angeblich "leicht ironischen" Einblick in seine Trickkiste bei der Massenverfertigung neuer Sicherheitsgesetze neulich: "Notwendiges wird ja oft unzulässig infrage gestellt." Was für ein Satz von einem Mann, der qua Amt zugleich Verfassungsminister ist. Auch vermeintlich Notwendiges muss kritisiert werden (dürfen), für Überflüssiges und potenziell sogar Gefährliches gilt das erst recht.
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