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Feb 9th, 2019
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  1. ~~~~ Einleitung ~~~~
  2.  
  3. Dieser Text entstand im Rahmen einer argumentativen Auseinandersetzung und ist in diesem Kontext zu sehen. Der Autor erhebt keine Anpruch auf absolute Wahrheit und bittet den Leser nur, sich die Gedankengänge durch den Kopf gehen zu lassen.
  4.  
  5. Die Veröffentlichung auf einem Past erfolgt, damit dieser Text unter cc-by-sa 3.0 zur Verfügung steht und somit unter gleichen Bedingungen kopiert werden darf.
  6.  
  7. Inhaltsverzeichnis:
  8. Einleitung
  9. 1. Die formale Gleichheit bei der Wahl impliziert einen "unitären Demos" oder ein "unitäres" Volk
  10. 2. Die ungleiche Anzahl an weiblichen und männlichen Abgeordneten ist ein Indiz von Diskriminierung
  11. 3. Auftrag aus Artikel 3 (2) GG erfüllen
  12. 4. Der Wählerwille drückt sich im Wahlakt aus
  13. 5. Fazit und Konsequenzen in der politischen Realität
  14.  
  15. Es geht um folgenden Text:
  16. https://verfassungsblog.de/unitaeres-volk-oder-paritaet-fuer-eine-materiale-perspektive-auf-die-demokratie/
  17.  
  18. Ich kann der Argumentation in diesem Artikel überhaupt nicht folgen und finde das Ergebnis falsch.
  19. Nun versuche ich das mal zu begründen, auch im Bewusstsein, dass meine Antwort viel weniger Leute erreichen wird als der eigentliche Artikel.
  20.  
  21. 1. *Die formale Gleichheit bei der Wahl impliziert einen "unitären Demos" oder ein "unitäres" Volk*
  22. Ich halte diese Behauptung für nicht haltbar. Hierzu will ich ein positives und ein negatives Argument anbringen.
  23. Das positive Argument lautet, dass es bei der demokratischen Wahl, im Unterschied zu z. B. Wahl in eine Ständeversammlung, nur und ausschließlich auf den Willen des Wahlvolkes ankommt, jemanden ein Amt oder ein Mandat zur Verfügung zu stellen. Es ist nicht relevant, ob diese Person z. B. verantwortungsvoll mit den Möglichkeiten des Amtes umgeht oder ob die Person an sich schon "das Volk" repräsentiert. Durch den erfolgreichen Akt der Wahl zeigt sich, dass eine Person das Volk repräsentiert, die Person muss nicht schon im Vornherein typisch für die Wähler gewesen sein.
  24. In der Realität ist das auch sehr schön zu beobachten. Dort werden zum Teil Personen in politische Ämter gewählt, die älter sind als der Bevölkerungsdurchschnitt oder es werden oft im Schnitt gebildetere Leute ins Parlament geschickt als der Durchschnitt der Bevölkerung. Man darf darüber streiten, in wie weit das angemessen ist. Es entspricht aber dem Willen des Wählers und muss daher respektiert werden.
  25.  
  26. Das negative Argument ist eigentlich kurz gesagt, dass es in einem demokratischen Staat keine normativ allgemein verbindliche Gerechtigkeitsvorstellung geben kann.
  27. Die Autorin schreibt selbst, Zitat:
  28. "Dementsprechend genügen 'neutrale' Wahlrechtsgesetze, um der Gleichheit der Staatsbürger*innen [sic!] bei der unmittelbaren Teilhabe an der Staatsgewalt gerecht zu werden. Auf ein gerechtes Wahlergebniskommt es nicht an."
  29. (Im Orginal teils kursiv. Röhner, Cara: Unitäres Volk oder Parität? Für eine materiale Perspektive auf die Demokratie, VerfBlog, 2019/1/04, https://verfassungsblog.de/unitaeres-volk-oder-paritaet-fuer-eine-materiale-perspektive-auf-die-demokratie/.)
  30. Meines Erachtens gehören die Anführungsstriche eher an das Wort "gerecht". Um in eigentlicher Rede sagen zu können, dass ein Wahlergebnis "gerecht" oder "ungerecht" ist, müsste man vorher definieren, wie ein "gerechtes" Wahlergebnis den aussehen soll.
  31. Soll die SPD nicht mindestens 20% der Stimmen haben, schließlich vertritt sie doch angeblich die Arbeiter? Darf so eine böse Partei wie die AfD überhaupt ins Parlament?
  32. Das sind genau die Fragen, die durch das demokratische Wahlverfahren beantwortet werden sollen. Sie von vornherein für alle festzulegen, heißt nichts anderes als die Demokratie als solches zu entkernen.
  33.  
  34. 2. *Die ungleiche Anzahl an weiblichen und männlichen Abgeordneten ist ein Indiz von Diskriminierung*
  35. Die Autorin stellt in dem Artikel mehr oder weniger in den Raum, dass die Ungleiche Anzahl von weiblichen und männlichen Abgeordneten im Parlement ausschließlich aufgrund gesellschaftlicher Diskriminierung erfolgen kann.
  36. Die Behauptung an sich ist vielleicht richtig, aber sie wird durch die Begründung nicht gerechtfertigt. Eine Ungleichheit in der Anzahl weiblicher und männlicher Abgeordneter bedeutet nicht zwangsläufig, dass hier eine Diskriminierung stattfindet.
  37. Im Zweifelsfall könnte man dieses Verhältnis auch einfach auf den Zufall zurückführen.
  38. Der wesentliche Punkt ist, die Hypothese der Diskriminierung als Ursache muss in der Lage sein, die "Nullhypothese" des bloßen Zufalls zu schlagen, ebenso wie andere alternative Erklärungen.
  39. Nur wenn das gelungen ist, kann logisch gültig von der Ungleichheit auf eine gesellschaftliche Diskrimierung zurückgeschlossen werden.
  40. Der Fall ist ungefähr vergleichbar mit einem Krimi: Der Ermittler findet eine Leiche mit einer Verletzung. Nun ist es sehr naheliegend, dass diese Verletzung zum Tode der Person geführt hat, aber es ist ebenso vorstellbar, dass die Wunde viel früher und in einem völlig anderen Zusammenhang zugefügt wurde. So eine Abduktion oder ein Plausibilitätsschluss wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Tod durch die Verletzung die einzig plausibele Erklärung wäre. Selbst wenn die Wunde zum Todeszeitpunkt zugefügt wurde, könnte es aber sein, dass die Person z. B. vergiftet wurde, sich zur Wehr setzte, sich dabei die Wunde zuzog und dann am Gift verstarb.
  41.  
  42. Zunächst bleibt festzustellen, dass tendenziell einfach viel mehr Männer in politischen Parten aktiv sind als Frauen. Das lässt sich bei allen großen deutschen Parteien feststellen und bei fast allen Parteien überhaupt.
  43.  
  44. Sofern man bereit ist, einen Unterschied im Sozialverhalten der beiden Geschlechter anzuerkennen, gibt es zumindest zwei alternative Hypothesen. Ich will sie die starke und die schwache Differenzthese nennen.
  45.  
  46. Die *starke Differenzthese* begsagt, dass Frauen biologisch bedingt _grundsätzlich_ eine gerindere Neigung dafür haben, dominant aufzutreten und Macht über andere Menschen auszuüben als Männer. In dem Fall wäre die ungleiche Anzahl der Abgeordneten eine direkte Folge dieser Neigung und wäre nicht auf Diskriminierung oder gesellschaftliche Mechanismen zurückzuführen.
  47. Diese These lässt sich durch drei Fakten untermauern, einen abschließenden "harten" Beweis gibt es allerdings noch nicht dafür. Erstens stärkt das Testosteron, welches das männliche Geschlechtshormon schlechthin ist, das Dominanzverhalten und die Aggressivität beim Durchsetzen seiner Ziele. Das sind biologisch allgemein anerkannte Tatsachen. Der Wert dieses Hormons ist bei Männern zumeist höher als bei Frauen. Zweitens entspricht dies Beobachtungen am Sozialverhalten. Das sowohl bei unseren nächsten evolutionären Verwandten als auch beim Menschen. Sich mit anderen zu verbünden, um gemeinsam das Alpha-Männchen zu stürzen scheint eher ein Männerding zu sein.
  48. Drittens entspricht es auch grundsätzlichen evolutionstheoretischen Erwartungen. Für Männchen zahlt sich eine hohe soziale Stellung durch größeren Erfolg bei der Fortpflanzung aus, da es für Männchen so einfacher ist, Partnerinnen zu finden. Er ist in der Lage, eine Partnerin und ihre potenziellen gemeinsamen Nachkommen zu beschützen und zu versorgen. Das wird in der hypothetischen prähistorischen Urhorde einen gewissen Vorteil bedeutet haben, so dass sich diese Gene erfolgreicher vermehrt haben dürften.
  49. Die *schwache Differenzthese* folgt im Grunde der starken These, nur mit der Abwandlung, dass Frauen Macht auf andere Art und Weise ausüben als Männer.
  50. Es gibt ja in der empirischen Realität auch Fälle von matriarchalische Gesellschaften. Die Form der Herrschaft und Machtausübung unterscheidet sich dort zum Teil von denen in patriarchischen Gesellschaften.
  51. Es könnte sein, dass aufgrund unserer Geschichte die Formen der Machtausübung in unserem System eher der männlichen Form der Herrschaft entsprechen als der weiblichen.
  52.  
  53. 3. *Auftrag aus Artikel 3 (2) GG erfüllen*
  54.  
  55. Sofern man der Differenztheorie zustimmt, wäre es vernünftiger etwas an den Formen der Machtausübung zu ändern, sie "geschlechtsneutral" oder für Frauen akzeptabler zu machen als das Ergebnis von demokratischen Wahlen vorzuschreiben. Bei letzteren bekämpft man lediglich ein Symptom.
  56. Ein Jurist hat die Aufgabe, die verschiedenen Gesetzestexte mit ihren unterschiedlichen politischen Intentionen, historischen Entstehungsumständen usw. so zu interpretieren, dass sie ein stimmiges Ganzes ergeben.
  57. Da Artikel 38 (1) explizit eine freie, gleiche und geheime Wahl fordert, darf einem Kandidaten sein Mandat nicht abstrakt verweigert werden, nur weil sich zufällig in seinem Wahlkreis keine Frau aufgestellt hat. Dies widerspricht sowohl der Gleichheit, da beide Geschlechter hier unterschiedlich behandelt werden, als auch der Freiheit der Wahl. Man kann den Wähler nicht dazu zwingen, unbedingt eine Frau zu wählen.
  58. Der Artikel 3 sollte daher so interpretiert werden, dass er einen Auftrag an die Regierung und Parteien stellt, die Politik so zu gestalten, dass mehr Frauen sich bei Wahlen aufstellen.
  59.  
  60. Dies kann und darf nicht dadurch erreicht werden, dass die Wähler gezwungen werden, weibliche Kandidaten zu wählen, sondern indem einfach genügend gute weibliche Kandidaten zur Verfügung stehen.
  61.  
  62. 4. *Der Wählerwille drückt sich im Wahlakt aus*
  63. "Für die gleichberechtigte Teilhabe an der Herrschaftsausübung bedarf es einer gleichberechtigten Präsenz von Frauen in den Parlamenten." (Zitat aus dem Artikel)
  64. Auch hier muss ich deutlich widersprechen. Dieses Argument ist unlogisch. Wenn die weiblichen Wähler unbedingt auch weibliche Abgeordnete in den Bundestag schicken wollen, dann haben sie schon heute die Freiheit entsprechende Abgeordnete zu wählen. Niemand kann ihnen diese Möglichkeit nehmen, schon wegen der Geheimheit der Wahl.
  65. Eine "gleichberechtigte Präsenz" zwischen den beiden Geschlechtern besteht schon im Parlamet. Weibliche Abgeordnete haben die selben Rechte wie ihre männlichen Kollegen und sie können sich sogar durchsetzen.
  66. Eine Ungleichheit besteht nur rein Quanitativ.
  67.  
  68. Selbst hier ist die These falsch, dass Frauen nur gleichberechtigt an der Macht teilhaben, wenn die Geschlechtsratio im Parlament 1:1 beträgt. Diese These würde nämlich implizieren, dass eine Frau ausschließlich durch eine Frau repräsentiert werden könnte. Das trifft aber nicht zu, eine linke Frau fühlt sich durch einen linken Abgeordneten vielleicht besser vertreten als durch eine konservative Abgeordnete.
  69.  
  70. Ein weiteres Zitat:
  71. "Denn auch nach einer Wahlrechtsreform, die verlangt, dass Frauen und Männer in gleicher Anzahl gewählt werden müssen, liegt aus streng formaler Perspektive keine Benachteiligung einer Genusgruppe vor."
  72. Die Autorin selbst schreibt die verräterischen Worte "streng formaler Perspektive". Es ist klar, dass es eine Benachteiligung der vielen Männer wäre, die in Parteien eintreten und sich dort zur Wahl aufstellen lassen wollen.
  73. Das Argument ist nicht dadurch von der Hand zu weisen, dass diese Ungleichbehandlung zugunsten einer höheren Gerechtigkeit akzeptiert werden muss.
  74.  
  75. 5. *Fazit und Konsequenzen in der politischen Realität*
  76. Mir ist kein Land auf der Erde bekannt, dass die Bezeichnung "Demokratie" verdient und in der es solche Regeln für Geschlechter im Parlament gibt. Weltweit scheint man bisher davon auszugehen, dass sich der Wählerwille durch den Akt der Wahl eines Kandidaten selbst ausdrückt.
  77. Die Argumente, die eine Art "Frauenquote im Parlament" rechtfertigen sollen scheinen mir nicht schlüssig und einen solch tiefen Eingriff in den Wählerwillen selbst nicht zu rechtfertigen.
  78.  
  79. Ich weise den Leser auch auf die Stoßrichtung der gesamten Argumentation hin. Es soll nicht demokratischer werden, wer nun für welche Partei kandidiert, sondern man hat im Voraus eine Vorstellung, die ein "gerechtes Parlament" aussehen soll und setzt diesen notfalls gegen den Willen der Wähler durch.
  80. Hypothetisch gesehen könnte man die Anzahl der weiblichen Abgeordneten ja dadruch erhöhen, dass man eine Art "Präferenzwahlrecht" wie die Schulze-Methode oder das Instant-Runoff-Voting einführt. Auch wäre die Einführung verbindlicher Primaries wie in den USA eine Lösung.
  81. Beides setzt jedoch voraus, dass es eine Art "Verschwörung der Frauen" gibt, weibliche Abgeordnete auch zu wählen.
  82.  
  83. Meiner persönlichen Vermutung nach hat diese Form des Wahlrechts seht gute Aussicht darauf, in Deutschland politisch durchgesetzt zu werden. Die Idee wird schrittweise popularisiert und irgendwann wird es für den normalen Bürger (egal welchen Geschlechts) unmöglich sein, sich dagegen zu positionieren ohne sich moralisch unmöglich zu machen und dabei in eine frauenfeindliche Ecke gestellt zu werden. Da es in Deutschland nur einer einfachen Gesetzesänderung bedarf, um das rechtlich einzuführen, werden Fraktionszwang und öffentlicher Druck das übrige Tun, um diese Reform durchzubringen.
  84. Höchstens vor dem Verfassungsgericht könnte die Idee noch scheitern. Und hier kann eine Änderung des gesellschaftlichen Klimas viel bewirken.
  85.  
  86. Am Ende muss es jedem, der mit Prinzipien argumentiert und sich an die Vernunft wendet, eine Lehre sein, dass in der Politik das bessere Argument nicht immer den Stich hat.
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