Advertisement
Guest User

Was ist Konservativ?

a guest
Apr 20th, 2019
674
0
Never
Not a member of Pastebin yet? Sign Up, it unlocks many cool features!
text 13.72 KB | None | 0 0
  1. Dieser Text entstand im Rahmen einer argumentativen Auseinandersetzung und ist in diesem Kontext zu sehen. Der Autor erhebt keine Anpruch auf absolute Wahrheit und bittet den Leser nur, sich die Gedankengänge durch den Kopf gehen zu lassen.
  2.  
  3. Die Veröffentlichung auf einem Past erfolgt, damit dieser Text unter cc-by-sa 3.0 zur Verfügung steht und somit unter gleichen Bedingungen kopiert werden darf.
  4.  
  5. Inhaltsverzeichnis:
  6. Einleitung
  7. 1. Es geht um die Frage *Was ist Konservativ?*
  8. 2. *Die drei Hauptwege oder großen Wege in den Konservativismus*
  9. 2.1. *Der religiöse Konservativismus*
  10. 2.1.1. *Exkurs: Sakrale Legitimation von Herrschaft*
  11. 2.2. *Der kulturpessimistische Konservativismus*
  12. 2.3. *Der skeptische Konservative*
  13. 3. *Die kleinen Strömungen*
  14. 4. *Versuch eines Fazit*
  15.  
  16. 1. Es geht um die Frage *Was ist Konservativ?*
  17.  
  18. Meines Erachtens gibt es verschiedene Wege, um ein Konservativer zu sein oder ein solcher zu werden. Sicherlich gehört die Etikettierung durch die soziale Umwelt inzwischen wohl häufiger dazu. Es gibt heute tatsächlich viele Leute, die eigentlich Linke oder Liberale sind, aber sich selbst im konservativen Lager wiederfinden und andere, die Wert darauf legen, Linke zu sein, aber eigentlich einen konservativen Standpunkt vertreten.
  19. Grade deshalb scheint mir eine eher "abstrakte" Standortbestimmung seine Berechtigung zu haben.
  20.  
  21. 2. *Die drei Hauptwege oder großen Wege in den Konservativismus*
  22. Es gibt drei große Wege in den Konservativismus oder wenn man so will "Hauptströmungen". Bezeichnungen wie "Hauptweg", "Hauptströmung" und dergleichen sollen hier nicht als wertend aufgefasst werden. Diese Strömungen sind nicht irgendwie legitimer als andere Varianten des konservativen Denkens und sie sind vielleicht nicht einmal "authentischer".
  23. Es geht nur darum, dass zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Bedingungen diese drei Wege nach Ansicht des Autors immer wieder präsent blieben, während die anderen nicht diese Permanenz hatten.
  24.  
  25. 2.1. *Der religiöse Konservativismus*
  26. Vorab muss festgestellt werden, dass nicht jede politische Betätigung auf Basis der Religion an sich konservativ ist oder sein muss. Es gibt durchaus so etwas wie einen religiös begründeten Sozialismus oder einen Liberalismus, der auf religiösen Fundamenten fusst.
  27. Dennoch stellt im Lager der Konservativen der religiös begründete Konservativismus wahrscheinlich die Mehrheit dar. Dieser Konservative weiß sich und die Gesellschaft als Teil eines größeren, metaphysischen Ganzen. Sehr schön zu sehen ist das zum Beispiel beim sog. "katholisch-konservativen Lager".
  28. In diesem Rahmen werden bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen naturrechtlich abgeleitet, beispielsweise das Eigentum, die klassische Familie (Mann, Frau und Kinder) oder der besondere Schutz religiösen Brauchtums und Glaubens.
  29. In einem gewissen Rahmen ist der religiöse Konservativismus durchaus zu Veränderungen fähig und viele Anhänger dieser Strömung haben sich auch mit einem gewissen Fortschritt arrangiert. Ein metaphysisches Ganzes, in das man eingebettet ist, lässt sich ja durchaus "organisch", also sich entwickelnd, wachsend, vorstellen. Was also in den 1950ern schützenswert und gut war, kann heute schlecht sein.
  30.  
  31. Ein religiöser Konservativer kann dabei im Grunde auch stark säkularisiert, eventuell sogar kaum praktizierend gläubig sein. Der Sonderfalls, dass jemand im engeren Sinne nicht religiös ist, aber dennoch eine Art "metaphysische Legitimation der Gesellschaft" sieht, ist gesondert zu betrachten, weil hier viele Elemente einer Religion wie gemeinsame Gebete, Andachten usw. fehlen.
  32.  
  33. Diese Gattung des Konservativen scheint auch die größten Überschneidungen zu eher linken Vorstellungen zu haben, etwa im Bereich der Sozialpolitik.
  34.  
  35. 2.1.1. *Exkurs: Sakrale Legitimation von Herrschaft*
  36. Wenn man einen unvoreingenommenen Blick auf die Welt wirft, lässt sich feststellen, dass vielfach die Herrschaft eines Staates auch durch religiöse Symbole oder Rituale bestätigt oder legitimiert wird.
  37. Die Situation im Vereinten Königreich auf den britischen Inseln muss man gar nicht groß besprechen, da es dort eine offizielle Landeskirche in Form der angelikanischen Kirche gibt und das Königstum auf die Vorstellung eines Gottesgnadentums zurückgeht. Doch auch in vergleichsweise säkularisierten Staaten wie Deutschland oder den USA gibt es solche Rituale oder Symbole. Beispielsweise beruft sich die deutsche Verfassung in ihrer Präambel explizit auf die "Verantwortung vor Gott", es gibt noch aus Weimarer Zeit einige staatliche Regelungen mit einigen Kirchen, z. B. was Konkordatslehrstühle betrifft.
  38. In den USA ist die Situation ebenfalls komplexer als es den Anschein hat. Zwar ist nach dem ersten Zusatzartikel der american bill of rights das Etablieren einer Staatsreligion untersagt, dennoch gibt es eindeutig religiöse Rituale, die das hoheitliche Handeln legitimieren sollen. Auf der Dollarnote steht z. B. "In God we trust", was auch der Wahlspruch, also quasi das Staatsmotto, der USA ist. Das ist natürlich eine Institution, die für einen Atheisten oder Anhänger einer Religion, die so einen Gottesbegriff nicht hat, befremdlich wirken muss und sich abstrakt schwer mit absoluter staatlicher Neutralität vereinbaren lässt.
  39. Frisch gewählte Präsidenten und Abgeordnete leisten einen Eid auf die Bibel, wobei das bei den Abgeordneten eine inoffizielle Zeremonie ist. Es wird hier also offensichtlich ein religiöser Bezug hergestellt, der die Amtsführung damit mit Legitimiert.
  40. Ebenfalls gibt es im US-Kongress die Einrichtung des Kaplans, beispielsweise des "Chaplain of the United States House of Representatives". Diese Kaplane eröffnen die Sitzungen des Parlaments dort mit einem religiösen Gebet.
  41.  
  42. Natürlich gibt es auch Beispiele von außerhalb des europäisch geprägten Kulturkreises. Der Tenno in Japan z. B. leitet seinen Herrschaftsanspruch direkt aus den religiösen Vorstellungen des Shinto ab.
  43. Von den diversen islamischen Republiken braucht man gar nicht erst zu reden. In wie weit der Kommunismus mit religiösen Formen der Herrscherlegitimation verglichen werden kann, soll hier nicht diskutiert werden.
  44.  
  45. 2.2. *Der kulturpessimistische Konservativismus*
  46. Ein kulturpessimistischer Konservativer ist jemand, der die Idee des Fortschritts an sich in Frage stellt. Man kann hier unterscheiden, ob diese Person (a) die Menschheitsgeschichte als Ganzes oder (b) nur die konkrete historische Epoche, in der er sich befindet entweder (1) in Teilen oder (2) vollständig als Niedergang ansieht.
  47. Jemand vom Typ (a2), der also gesamte Menschheitsgeschichte als kompletten Niedergang ansieht, würden wir heute wohl nicht mehr ganz ernst nehmen können. Zu deutlich sind die Zeichen zumindest des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts.
  48. Die Position (b1) dagegen ist schon wesentlich schwerer zu widerlegen. Ein Anhänger dieser Position könnte zwar zugeben, dass wir auf den Feld der Naturwissenschaften und Technik, sowie vielleicht auf den Gebiet der Kunst oder Architektur, große Fortschritte gemacht haben. Dafür kann allerdings ein "Verlust der Tugend" eingetreten sein oder die Politik könnte seit Beginn der Neuzeit ihren Bezug zum moralischen Fundament verloren haben, das "theologisch-politische Problem" nicht mehr lösen können. Aus diesen Thesen müsste nicht mal unbedingt folgen, dass man früher moralischer handelte. Es geht ja um die innere Orientierung.
  49.  
  50. Ein klassischer realer Vertreter dieser Gattung des Konservativismus wäre ein Anhänger der Geschichtsphilosophie Spenglers.
  51. Dieser würde ohne Probleme zugeben, dass die abendländische Kultur gewaltige Fortschritte auf dem Gebiet der Technik, Naturwissenschaften, der Philosophie, Literatur und Malerei geleistet hat, allerdings befindet sie sich in der Gegenwart bereits in einer Phase des Niedergangs, in der eine eher geistige Kultur gegen eine rein technische Zivilisation ausgetauscht wird. Auf kulturellen Gebiet sind damit die Bestände die eigentlichen Werte, während Neuerungen tendenziell Symptome des Verfalls sind.
  52. Ebenfalls bei Nietzsche, der das "klassische" Altertum verehrte, und bei anderen moderneren Denkern finden sich diese Tendenzen.
  53.  
  54. Im Grunde genommen ist der wesentliche Zug dieser Form des konservativen Denkens der Gedanke, dass der Fortschritt auch in eine falsche Richtung abdriften könnte. Solche Argumentationen finden sich oft in Bezug auf Moral, Gesellschaft und vereinzelt auch in Bezug auf Gentechnik und andere Technologie.
  55. Hier gibt es selten auch eine religiöse Beimischung, da der Mensch sich seit dem Sündenfall von Gott entferne.
  56. Ob man einen Zustand als "verfallen" ansieht oder als Sprosse auf den Weg zu etwas besseren, hängt natürlich auch stark vom Blickwinkel, von Bewertungen und Erwartungen in Bezug auf die Zukunft, ab. Für den Anhänger eines möglichst mächtigen Zentralstaates ist dessen Machtverlust eindeutig ein Zeichen des Verfalls, während ein Regionalist das eventuell eher als erfreulich ansieht.
  57.  
  58. Der kulturpessimistische Konservativismus ist bestimmt nur die Haltung einer relativ kleinen Minderheit, zumindest im Vergleich zu den anderen beiden großen Lagern. Dennoch hört man die Klage, dass die eigene Zeit sich im Niedergang befinde, bemerkenswert konstant durch die Menschheitsgeschichte.
  59. Auch besitzt er den Vorzug, dass er wirklich bis auf das Prinzip im Bereich Moral und Ästhetik argumentiert.
  60.  
  61. 2.3. *Der skeptische Konservative*
  62. Der Konservative aus Skeptizismus heraus argumentiert weder mit einer höheren, womöglich göttlichen Ordnung, noch sieht er die aktuelle Epoche ganz oder teilweise als eine Epoche des Verfalls.
  63. Vielmehr versucht der Skeptiker zunächst einmal die Dinge in Frage zu stellen. Dabei stellt er fest, dass der Ist-Zustand schon mal irgendwie funktioniert. Bei einer potenziellen Neuerung, egal wie diese auch aussehen mag, ist dies zunächst nicht klar und deshalb muss diese sich besonders beweisen.
  64. Das Althergebrachte hat sich mit anderen Worten als funktionierend erwiesen, Neuerungen stehen unter Bewährung.
  65.  
  66. Der Skeptiker lehnt dabei eine Neuerung auch nicht grundsätzlich ab, er möchte nur lieber im Vorfeld mehr Evaluierungen. Eventuell lehnt er Neuerungen in einigen Punkten schon ab, wenn er nämlich zu der Annahme gelangt ist, dass eine nicht-funktionierende Neuerung auf einen bestimmten Gebiet katastrophale Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Wenn z. B. ein "Sprung" in der Agrarwirtschaft die Sicherheit der Nahrungsversorgung bedroht oder eine Energiewende die Versorgungssicherheit. Dies ist aber keine grundsätzliche Ablehnung, sollte in einem anderen Land die Reform erfolgreich getestet werden, kann man sie durchaus übernehmen.
  67. Im Grunde genommen argumentiert auch jeder Wissenschaftler auf diese Art "konservativ", wenn er mit einer neuen Theorien konfrontiert wird. Er sucht sie erst Mal nach Schwachstellen ab und bleibt solange auf der Basis der alten Theorie.
  68.  
  69. Als Konservativen dieser Gattung kann man sich im realen Leben am Ehesten bestimmte Interpretationen der politischen Philosophie Karl Poppers ("Stückwerksozialtechnik") vorstellen oder der Gesellschaftstheorie von v. Hayek (Rationalität "evolutionsökonomisch" als Tradition). Wobei beide dieser Denker mit gewissen Anspruch auch als Liberale gezählt werden könnten. Überhaupt ist dieser Typ wohl allgemein derjenige, der die meisten Übereinstimmungen mit dem Liberalismus hat.
  70.  
  71. 3. *Die kleinen Strömungen*
  72. Eines Vorab, dieser Abschnitt wird nicht jeder Art von Konservativismus, die real existiert, Rechnung tragen. Schon gar nicht jeder irgendwie denkbaren. Sie wird notwendigerweise noch viel grober formuliert sein als die Beiträge über die "großen Strömungen".
  73.  
  74. Anhänger einer Form von Aristokratie, gleichgültig ob als Adelsrepublik, als "Bestenauslese" oder als Monarchie gedacht, werden häufig auch dem konservativen Lager zugerechnet. Für jemanden, der schon die demokratische Gleichheitsidee ablehnt, ist bei typischen Linken oder Liberalen natürlich tendenziell kein Platz. Dennoch ist zu Fragen, ob Reaktionäre allgemein, also Leute, die einen vorherigen Zustand wiederherstellen wollen, überhaupt in das konservative Lager gehören.
  75.  
  76. Auch werden manche Leute zu "Konservativen", weil sie einzelne "progressive" Ideen ablehnen. Das kann z. B. passieren, wenn man heute öffentlich gegen Gender Mainstream argumentiert. In den 1960er Jahren und darüber hinaus dürfte das auch viele Leuten passiert sein, die eine marxistische Geschichtsauffassung für unseriös hielten. Selbst wenn man sich apolitisch hält oder sogar bewusst vom Konservativismus abgrenzen will, kann es sein, dass man von außen in diese Strömung gerät.
  77. Das scheint mir allerdings eher eine negative Folge der Ausgrenzung von Diskussionsteilnehmern zu sein als eine Form der politischen Positionierung.
  78. Es gibt auch Leute, die aus verschiedenen Gründen vorläufig oder langfristig Ruhe vor Veränderungen wünschen, etwa ein Unternehmer, der sich nicht auf ständig ändernde Gesetze einstellen will. Diese Leute können dadurch ebenfalls zu Konservativen werden.
  79.  
  80. Dann gibt es gewisse Strömungen des Nationalismus, die heute ebenfalls mit den konservativen Standpunkt assoziiert werden. Allerdings gibt es Formen der Lobpreisung der eigenen Gesellschaft auch in explizit linken Gesellschaften. Hier könnte man über die Zuordnungen streiten. Will jemand, der seine eigenen Gruppe vorne sehen will, eventuell auch zu Lasten von Dritten, deshalb etwas "erhalten", "konservieren"?
  81.  
  82. Auch gibt es Leute die meinen, ein spezielles, besonders wertvolles oder erhaltenswertes Erbe weiterzugeben. Das kann irgendwelches Brauchtum sein, eine wirtschaftliche Position usw.
  83.  
  84. 4. *Versuch eines Fazit*
  85. Insgesamt ist das Phänomen komplex. Es gibt, nicht zuletzt weil die Begriffe nicht klar bestimmt sind, verschiedene Auffassungen zum selben Thema. Vermutlich wird man diese Vielfalt akzeptieren müssen.
Advertisement
Add Comment
Please, Sign In to add comment
Advertisement