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May 20th, 2012
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  1. Vor einigen Tagen hatte ich einen Blogeintrag angekündigt, der sich damit befasst, warum ich mein Engagement gegen Scientology vor einiger Zeit aufgegeben habe.
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  3. Einleitend eine Aussage, die nicht nur ein Anonymous Aktivist mir gegenüber getätigt hat: „Was machen wir eigentlich, wenn die Stände verboten sind?“ Oder „Eigentlich sollten die gar nicht verboten werden, dann hätten wir an Tag x gar nichts mehr zu tun“.
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  5. Darüber muss man zu Recht schmunzeln, wenn man ernsthaftes Engagement gegen eine Sekte nicht nur als Kinderspaß oder Zeitvertreib am Wochenende betrachtet. Für die meisten Anons ist es nichts weiter. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man sich anschaut, wo Chanology ursprünglich herkommt.
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  7. Chanology entstammt keiner Friedensbewegung, keiner moralischen Instanz, keiner Bewegung, die etwas Gutes tun will. Chanology entstammt einer Bewegung, die darüber angefressen war, dass Scientology in ihr Internet eingreifen wollte. Der Kampf gegen Scientology ist für „Lulz“. Anonymous sind keine Menschenrechtsaktivisten und dergleichen, die Heimat von Anonymous – 4chan – ist der Ort der eigentümlichsten Witze und Grausamkeiten. Alles, was die Gesellschaft verdrängt, alles, was aus historischen oder moralischen Gründen aus dem Tageslicht der menschlichen Gemeinde verbannt wurde, sammelt sich in 4chan. Es ist ein selbstsüchtiger Ort, an dem es um Spaß geht. Auch Spaß auf Kosten anderer Menschen. Daraus ergibt sich ein ganz massiver innerer Widerspruch – sowohl innerhalb von Chanology als auch innerhalb von Anonymous. Dazu später noch etwas mehr.
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  9. Dieser Blogeintrag soll bitte nicht als eine objektive Einschätzung des Phänomens Anonymous missverstanden werden. Der Anonymous Aktivismus gegen Scientology ist allerdings ein ganz wichtiger Teil, wenn es um die Frage geht, wie gefährlich Scientology wirklich ist. Man kann aus dem leichtsinnigen Verhalten der meisten Anons grundsätzlich ableiten, dass sie innerlich selbst nicht wirklich davon überzeugt sind, dass sie es mit einer gefährlichen Sekte zu tun haben könnten.
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  11. Wie bin ich überhaupt mit dem Thema Scientology in Berührung gekommen? In der Alterspanne zwischen meinem 20. und 24. Lebensjahr hatte ich Kontakt zu 2 Aussteigern. Der eine meinte, ihm wäre überhaupt nichts passiert, der andere beschrieb des ganze Repertoire mit Fair Game und Co. Er kannte auch noch die One Way Tickets die „Happy Valley“, was seit langem geschlossen ist. Die Erfahrungen dieser Personen lagen wiederum auch an die 10 Jahre zurück. Grundsätzlich war das aber Grund genug, um mich länger mit Scientology zu befassen. Das lag unter anderem auch daran, dass ich ein spirituell interessierter Mensch bin und mich gerne mit Modellen anderer Menschen auseinandersetze. Denn für mich war immer klar: zur Beschäftigung mit einem System, zur Kritik an einem System gehört zwangsläufig die Auseinandersetzung mit den Inhalten dieses Systems. Jede Kritik muss auf Fakten basiert werden. Es nutzt nichts, wenn man einem interessierten Menschen auf der Straße zwar ein rundes Gebäude präsentiert, wieso man von Scientology nichts halte, aber dieses Gebäude zusammenfällt, sobald sich die Menschen selbst mit Scientology befassen. Und letztlich muss man ja erst einmal wissen, wovon man redet, wenn man etwas nach Außen kommunizieren will.
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  13. Die Alternative ist, sich mit den Verbrechen zu befassen oder zumindest mit den „sog.“ Unfällen, die auf das Konto einer Organisation gehen. Es macht Sinn und ist richtig, darauf hinzuweisen, dass es bei Scientology einige merkwürdige Dinge gab, die – wenn die Organisation nicht so gut bezahlte Anwälte hätte und einen besonderen Draht in bestimmte amerikanische Kreise – Business, Politik und Hollywood – vermutlich rechtlich ganz anders bewertet worden wären. Viele Kritiker tun das auch.
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  15. Aber was sind das für Verbrechen oder Unfälle? Scientology wird – nicht zuletzt aufgrund der totalitären Ideologie, die sich in den Büchern von L. Ron Hubbard findet – als eine gefährliche Sekte dargestellt (was Scientology zweifelsohne ist), die Kritiker verfolge, aussteigewillige Mitglieder ins RPF stecke, Menschen töte und vieles weitere in Richtung. Wenn aber Scientology so gefährlich ist, wieso bedienen sich Kritiker denn immer und immer wieder den gleichen Fällen, die bereits Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen. Sollte man nicht meinen, eine solche gefährliche Sekte müsste mehr Opfer haben als Lisa McPhearson & Co? Wie kommt es, dass es nur eine handvoll nachgewiesener Opfer gibt, wo es Scientology schon bald 4 Jahrzehnte gibt? Es wird den Scientologen an ihren Stresstestständen immer wieder empfohlen zu zweifeln. Das ist eine gute Sache.
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  17. Aber sollte der Zweifel nicht auch der Begleiter aller Kritiker sein ? Wo sind die Massen an Verfolgten? Scientology hat nach allgemeiner Info eine ziemlich hohe Aussteigerzahl. Müssten im Anbetracht der angeblichen Verfolgung nicht so viele Fälle an die Öffentlichkeit kommen, dass Scientology verboten werden kann? Oder könnte die gleiche Situation entstehen, die es schon einmal gab, nämlich dass ein Verbot nicht möglich ist, weil man die Übergriffe nicht der Organisation anlasten kann? Wenn das aber die Situation ist, warum nehmen dann Kritiker an, dass man diese Ausfälle auf Scientology als Organisation zurückführen müsste, was sind die Fakten?
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  19. Es steht auch die Frage im Raum: wenn Scientology nach wie vor noch so gefährlich ist wie vor 20 Jahren, wieso treffen sich Anons ohne Masken an öffentlich bekannt gemachten Orten? Warum streifen sie 50 Meter neben der Org die Masken ab? Wieso outen sie im Internet gegenseitig ihre Identitäten, wenn sie wirklich davon überzeugt sind, dass Scientology so gefährlich ist? Wieso latschen sie mittlerweile mit 2 Meter langen Schildern zur Org, geht das nicht noch auffälliger? Für mich sind das alles Dinge, die nicht passen und die mich in meinem Eindruck bestätigen, dass ein Großteil der Kritiker selbst nicht davon überzeugt ist, dass Scientology für Außenstehende sonderlich gefährlich wäre. Mit der unüberschaubaren Menge an Kritikern oder Anons hat das wenig zu tun, die aktiven Anonymous Zahlen im Projekt Chanology kann man in den meisten Städten auf unter 30 zählen. Hier wäre es wohl ein leichtes für Scientology, aus der Portokasse einen Privatdetektiv zu engagieren oder über’s Darknet einen Hacker zu besorgen, der für 50 Dollar den Leuten was übles anhängt. Immerhin haben sie einige Milliarden in der Kriegskasse
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  21. Im übrigen bestätigen die Behörden, dass Scientology in Berlin kaum Fuß fassen kann – das bestätigt auch die Erfahrungen, die ich vor Ort gesammelt habe. Die meisten Berliner ignorieren den Scientology Stand. Die Menschen sind aufgeklärt. Scientology schafft es bestenfalls, ein paar Touris zum Stresstest zu motivieren. Die Berliner gehen vorbei, haben keine Zeit oder werfen die Flyer weg. Wofür also Raids, wenn nicht zur Selbstbespaßung oder zum Vertreiben des langweiligen Nachmittags. Das ist die spannende Frage. Der Bevölkerung wird immer etwas von Aufklärung erzählt – und es wird auch aufgeklärt, wobei die Menschen erfahrungsgemäß aufgeklärt genug sind, um für sich entscheiden zu können, was sie von Dianetik oder Scientology zu halten haben -, aber der Ursprung von Scientology war – 4chan – reiner Spaß. Auch wenn Anonymous betont, die Weltanschauung – den Begriff Religion möchte ich nicht verwenden, da ich ihn nicht für zutreffend halte – von Scientologen zu respektieren, erfolgt ein großteil verbaler Angriffe doch eindeutig gegen die Weltanschauung und die anwesenden Scientologen.
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  23. Man ist sich auch nicht einig, ob man Scientologen nun eher als unterdrückerische Person sehen soll oder als Opfer. Leute, die zu Scientologen Kontakt haben, werden ja schon schnell mal als PTS betrachtet und – auch darüber gibt es Berichte – einem „Fair Game“ unterzogen. Ganz paradox wird das ganze, wenn Leute wie Debbie Cook hofiert werden, weil ihr in Scientology Gewalt angetan wurde. Zweifelsohne ist schlimm, was ihr angetan wurde. Wer aber ist Debbie Cook? Eine ehemalige Führungsperson, die für viele Dinge, die in Scientology getan wurden, die Verantwortung trägt. Manch einer ringt sich den Kompromiss ab, dass eigentlich nur Miscavige das Problem sei. Wer aber ist David Miscavige? David Miscavige wurde ebenfalls als Kind in die Organisation gebracht – eine klassische Familiengeschichte, die sich vermutlich in jedem Haushalt, der mit Scientology in Berührung kam, so abgespielt haben könnte. Ist David Miscavige damit nicht auch ein Opfer?
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  25. Sicher ist: bei allen Systemen, die mit Feindbildern arbeiten und um diese Feindbilder herum eine totalitäre Denkstruktur aufbauen, geht Opfer und Täter sein Hand in Hand. Es gibt so etwas wie Eigenverantwortung, die Menschen in solchen Situationen von Opfern auch zu Tätern macht. Diese Eigenverantwortung ist es aber auch, die wir den Menschen zuschreiben müssen, wenn wir sie für Handeln anklagen *wollen* – wenn Scientology nur noch aus Opfern bestehen soll, wie könnten wir dann ein Verbot fordern? Peinlich ist es zumindest, wenn wir der Überzeugung sind, dass wir uns mit Tätern solidarisieren sollten, nur weil diese die Seite gewechselt haben. Dann brauchen wir auch den Tätern, die noch Scientologen sind, nicht vorwerfen, Täter zu sein.
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  27. Letztlich denke ich, dass die Gefahr, die mittlerweile von Scientology ausgeht, eher gering ist und sich wenig von der anderer Sekten oder totalitärer Systeme abhebt – ein Heilmittel dagegen gibt es nicht, solange wir die menschliche Freiheit und Autonomie des Einzelnen erhalten wollen. Menschen, die bewusst leben und nicht in einer Gesellschaft aufwachsen, die sie unter Druck setzt, sind auch stressfrei genug, um keinen Stresstest oder eine alternative Technologie zu benötigen.
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