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- Der Literaturhistoriker und die Gegenwart
- Ed. Avenarius, Leipzig 1910
- Der Literaturhistoriker und die Gegenwart. „In dem ersten Bande der ‚Charakteristiken‘ von Erich Schmidt findet sich an letzter Stelle auch seine Wiener Antrittsvorlesung vom Jahre 1880: ‚Wege und Ziele der deutschen Literaturgeschichte.‘ Schmidt gibt da in seiner feuilletonistisch-manieristischen Weise zunächst eine Übersicht der Entwicklung der deutschen Literaturgeschichtschreibung und legt dann, nach seinem eigenen Ausdruck, ein wissenschaftliches Glaubensbekenntnis ab.“
- „Literaturgeschichte,“ so lautet der Beginn des Glaubensbekenntnisses, soll ein Stück Entwicklungsgeschichte des geistigen Lebens eines Volkes, mit vergleichenden Ausblicken auf die anderen Nationalliteraturen sein. Sie erkennt das Sein aus dem Werden und untersucht wie die neuere Naturwissenschaft Vererbung und Anpassung und wieder Vererbung und so fort in fester Kette. Sie wird die verschiedenen Ausgangspunkte zu vereinigen und ihre Aufgabe umfassend zu lösen trachten.“
- Darauf geht er ins einzelne und schildert, indem er zum Teil Beispiele heranzieht, die von dem Literaturhistoriker zu leistenden Arbeiten.
- Hier und da blickt auch seine Anschauung durch, so wenn er bemerkt: „Der Begriff der Nationalliteratur duldet gleichwohl keinen engherzigen Schutzzoll; im geistigen Leben sind wir freihändlerisch.“
- Zum Schluss kommt er auch auf das Verhältnis der Literaturgeschichte zur Literatur der Gegenwart: „Wir werden nicht nach der Ziffer 1832 einen dicken Strich machen, sondern auch neueren und neuesten Schriftstellern lauschen. Analogien der Vergangenheit können unser Urteil über zeitgenössische Erscheinungen festigen und an der Gegenwart gemachte Beobachtungen uns Aufschluss über Vergangenes spenden.“ Das ist alles, was er über diesen Punkt sagt.
- Überhaupt vermisst man in der Vorlesung das Eingehen auf die Ziele der Literaturgeschichte, der angeführte Satz mit dem ‚Stück Entwicklungsgeschichte des geistigen Lebens eines Volkes‘ ist beinahe das einzige, was Schmidt in dieser Hinsicht bietet.
- Doch zitiert er in seiner geschichtlichen Übersicht, unter der Devise ‚Das Volksmäßige ist Schlagwort und Prüfstein‘, wenigstens die nachfolgende Auslassung Achim von Arnims: „Wir suchen alle etwas Höheres, das goldne Vlies, das allen gehört; was den Reichtum unseres ganzen Volkes, was seine eigene poetische Kunst gebildet, das Gewebe langer Zeit und mächtiger Kräfte, den Glauben und das Wissen des Volkes, was sie begleitet in Lust und Tod, Lieder, Sagen, Kunden, Sprüche, Geschichten, Prophezeiungen und Melodien: wir wollen allen alles wiedergeben, was im vieljährigen Fortrollen seine Diamantfestigkeit bewährt, nicht abgestumpft, nur farbespielend geglättet alle Fugen und Ausschnitte hat zu dem allgemeinen Denkmal des größten neueren Volkes, der Deutschen; das Grabmal der Vorzeit, das frohe Mahl der Gegenwart, der Zukunft ein Merkmal in der Rennbahn des Lebens.“
- Wäre Schmidt imstande gewesen, diese Auslassung Arnims weiter und tiefer zu erfassen, hätte er dem Begriff des Volksmäßigen den des Volkstümlichen oder, wie wir neuerdings sagen, des Völkischen untergeschoben, dann hätten wir etwas über die wirklichen Ziele der deutschen Literaturgeschichte erfahren, die denn doch wohl noch andere Aufgaben hat, als ein Stück Entwicklungsgeschichte des geistigen Lebens eines Volkes mit vergleichenden Ausblicken auf die anderen Nationalliteraturen zu bieten, andere Aufgaben zumal für die Gegenwart.
- Natürlich, die Wissenschaft ist sich Selbstzweck, und wenn es eine Geisteswissenschaft dann noch so weit bringt, dass sie wie Naturwissenschaft erscheint – das hohe Ziel all unserer modernen Historiker! – dann hat sie ihren Beruf erfüllt, und es ist ziemlich einerlei, wie sie auf Volk und Jugend wirkt.
- Doch man verzeihe, das ist nicht mein Ernst, ich bin, was die exakte Wissenschaftlichkeit der Literaturwissenschaft anlangt, immer ein Ketzer gewesen, und ich fürchte, dass ich es bis an mein Lebensende bleibe.
- Schon in meiner Schrift ‚Kritiker und Kritikaster‘ vom Jahre 1903 steht zu lesen: „Jedes Gebiet menschlicher Betätigung hat seine eigenen Gesetze, so das der Dichtung die ästhetischen, und ehe ich nicht ein Dichterwerk ästhetisch, d. h. nach den Begriffen der eigenen Gattung, bestimmt habe, eher kann ich es überhaupt nicht wissenschaftlich weiter verwerten. Wohlverstanden, aber auch die Kenntnis der ästhetischen Gesetze (Bedingungen des Schaffens usw.) ermöglicht kein ‚exaktes‘ Arbeiten, wie es beispielsweise auf dem Gebiete der Naturwissenschaften durch Beobachtung und Experiment möglich ist, immer bleibt das Urteil, das Werturteil die Voraussetzung aller nachfolgenden wissenschaftlichen Prozeduren, die dann die Literaturgeschichte ergeben. Kurz, sie ist im letzten Grunde stets relative Wissenschaft, nie absolute, wenn natürlich auch durch Vergleichung (die aber immer wieder das Urteil voraussetzt) eine weitgehende Übereinstimmung und Sicherheit zu erreichen ist.“
- Und in derselben Schrift heißt es an anderer Stelle: „Es ist das deutsche Volkstum, das, in dem deutschen Literaturhistoriker sowohl als nationaler Instinkt, wie als ihrer selbst bewusst gewordene Erkenntnis wirksam, den sicheren Kompass auf der weiten Fahrt durch das Meer der Geschichte ergibt, die subjektive Willkür einschränkt, uns von den Büchern zu den Menschen, von der rein ästhetischen Kritik zu der Persönlichkeitsdarstellung gelangen und in der deutschen Literaturgeschichte zuletzt etwas wie eine zusammenhängende Galerie deutscher Charaktere entstehen lässt, die kennen zu lernen für jedermann eine nationale Notwendigkeit ist.“
- „Je deutlicher das die Charaktere verbindende Nationale, Rassenhafte von den alten Zeiten bis zur Gegenwart hervortritt, um so sicherer wird auch das historische Ideal erreicht, und so wird die Literaturgeschichte als nationale Kunstgeschichte zuletzt doch wieder der sichere geschichtliche Unterbau der großen Geistes- und Seelengeschichte der Menschheit.“
- In aller Bescheidenheit glaube ich es aussprechen zu dürfen, dass man auf diese Weise, in diesem Geiste doch ein wenig weiter kommt, als mit Erich Schmidts ‚Freihandel‘.
- Im Übrigen hat er die Arbeitsmethode der Literaturgeschichte, durch ziemlich vollständige Aufzählung der zu leistenden Einzeluntersuchungen, gar nicht übel gekennzeichnet, ‚fehlt leider nur das geistige Band‘.
- Einen späteren, von dem Münchner Privatdozenten Dr. Rudolf Unger unternommenen Versuch, die absolute Wissenschaftlichkeit der Literaturwissenschaft zu retten, habe ich auf Bogen 5 meiner Zeitschrift ‚Deutsches Schrifttum‘ zurückgewiesen und verweise auf diese.
- Es ist überhaupt die Quintessenz meiner Anschauungen über alle sogenannten Geisteswissenschaften, dass sie ohne Ausnahme nur relative Wissenschaft, in ihrem Gesamtbetrieb national, im Einzelbetrieb subjektiv sind und ihre Leistungen um so wertvoller werden, je mehr der Einzelne im Geiste seines Volkstums schafft, ein je größerer und besserer Vertreter seines Volkstums er ist.
- Die besondere Bedeutung der Geisteswissenschaften aber sehe ich in ihrer praktischen Wirkung: Sie haben die Völker und die Einzelnen zu erziehen.
- Das weiß ich natürlich auch, dass die Geschichtswissenschaften in Analogie der Naturwissenschaften Gesetze der menschlichen Entwicklung festzustellen haben, und ich glaube sogar, dass sie in dieser Beziehung noch recht weit kommen werden, jedoch Kopernikanische und Newtonische Arbeit ist hier schwerlich möglich, und man wird immer wieder erkennen müssen, dass auf den Gebieten höherer menschlicher Betätigung die Ausnahme und nicht die Regel das Wichtigste ist, wie, dass man ganze Entwicklungen und einzelne Persönlichkeiten sehr verschieden anschauen kann.
- Das Volkstum, Gehalt und Form, instinktive Empfindung wie bewusster Maßstab, erscheint hier noch als das Sicherste und Festeste, und es wäre gut, wenn sich alle Leuchten der geschichtlichen Wissenschaften als seine getreuen Diener empfänden.
- Bloßes Wissen aufzuspeichern, ja selbst Anschauung zu geben und Urteile auszusprechen, ist nur eine sekundäre Leistung der Wissenschaft, wenn sie auch der Reihenfolge nach die erste sein muss; höher steht es, dem geahnten Wesen nachzugehen und beschrittene Entwicklungswege aufzuzeigen, und das kann man, wenn man aus dem Geiste und dem Herzen seines Volkes heraus forscht.
- Mögen dann die Gesetze, nach denen sich das Wesen gebildet hat, die die Entwicklungswege leiten, immer noch im Dunkeln bleiben, es ist fruchtbare Arbeit möglich, aus der Volksseele heraus an der Volksseele.
- Im Besonderen die Literaturwissenschaft ist zu solcher Arbeit berufen, sie darf nicht tote, sie muss lebendige Wissenschaft sein. Weit mehr als jede andere Wissenschaft ist sie an die Gegenwart gewiesen.
- Nein, ich will auch die Forschung um ihrer selbst willen nicht unterschätzen, ich will ihre Ergebnisse, und seien sie nur ein richtig gestelltes Geburtsjahr, ein bisher unbekannter Verfassername, die Abstammung eines Versmaßes, die Herkunft eines Motivs, an richtiger Stelle dem großen Bau eingefügt wissen, möglicherweise trägt auch das Kleinste etwas zu seiner Haltbarkeit bei oder ist in irgendeiner Weise typisch oder symbolisch.
- Aber man soll mir nicht vergessen, dass die Literaturwissenschaft vor allen Dingen eine Wissenschaft lebender Werte ist. Sie ist es in höherem Grade als die politische Geschichte; denn wenn auch diese über Dokumente verfügt und auf bestehendes Geschichtliches hinweisen kann, so sind doch die Dokumente an und für sich wertlos und meist schon etwas Totes, und das bestehende Geschichtliche ist die Domäne der Politik und nicht der Geschichtswissenschaft.
- Ja, die Literaturwissenschaft übertrifft sogar die ihr so nahe verwandte Kunstwissenschaft an eigentlichem Lebenswert, da Bücher deutlicher reden als Kunstwerke, auch durch das Medium der Buchdruckerkunst überallhin zu verbreiten, nicht in ihrer unmittelbaren Wirkung auf bestimmte Orte beschränkt sind, als immer wieder druckbar dem ‚Zahn der Zeit‘ nicht unterliegen.
- Im Besonderen auf die Dichtung hingewiesen, ist die Literaturwissenschaft zunächst und vor allem die Hüterin und Bewahrerin all der bedeutsamen Werke, in die der schöpferische Dichtergeist der Nation übergegossen ist, Werke, die zu einem guten Teil gar nicht veralten können, da es ja eben ihr Charakteristikum ist, nationalen Gehalt in unvergänglicher und künstlerischer Form zu bewahren.
- Diese Werke ihrem wahren Wesen nach zu erkennen und ihren Wert zu zeigen, halte ich für die erste Aufgabe der Literaturwissenschaft und stelle die forschende Tätigkeit, die die Entwicklung des Geisteslebens der Nation aufhellen will, daneben ruhig in die zweite Reihe.
- Gewiss, auch zur Erkenntnis des Wesens und Wertes großer Dichtungen bedarf man der Forschung, aber zunächst soll man die Überlieferung, von deren Einfluss man ja doch nie ganz frei wird, zu ihrem Rechte kommen lassen und auf die unmittelbar sprechende Stimme des Herzens hören, die bei allen Berufenen auch mit menschenmöglicher Sicherheit und Bestimmtheit spricht.
- Dies sind die Dichterwerke, ruft die sich ihrer Aufgabe bewusste deutsche Literaturwissenschaft aus, in denen deutsches Wesen und deutsches Leben unvergängliche Gestalt gewonnen hat, und die ihr, die ihr Deutsche von Geburt seid und bewusste Deutsche werden wollt, daher notwendig kennen, mit denen ihr leben müsst.
- Sie verlangt nicht, dass wir ihr ohne Prüfung glauben, sie gibt selbst die Mittel, zu prüfen, sich zu überzeugen, an die Hand, aber zuletzt weiß sie, dass sie aus deutscher Seele herausspricht und auf deutsche Seelen rechnen muss, dass Imponderabilien mitwirken, wenn das tiefste Verständnis nationaler Dichtung geoffenbart und weitergeleitet wird.
- O, allen Respekt auch vor der forschenden Wissenschaft, aber wehe der Wissenschaft, wenn sie nur forschen und nicht mehr auf das Leben der Nation Einfluss üben will!
- Es ist eine nicht zu bestreitende Tatsache: leider hat die deutsche Literaturwissenschaft ihre eigentliche Lebensaufgabe in den letzten Zeiten fast allerorten vergessen gehabt, sie ist eine Wissenschaft für Wissenschaftler geworden. Die Philologen hatten sich ihrer bemächtigt, und dann sind die psychologischen Ästhetiker gekommen, und das Ergebnis ist: unzählige Jahrgänge wissenschaftlicher Zeitschriften, die eines Tages kein Mensch mehr ansehen wird, und unzählige Monographien und Doktordissertationen, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt durch andere ersetzt werden.
- Eine entsetzliche Plusmacherei! Die Literaturwissenschaft ist aber nicht dazu da, dass möglichst viele junge Philologen zu ihrem Doktortitel kommen und die Professoren in den Stand gesetzt werden, ihre Fachartikel in Fachzeitschriften unterzubringen, sie ist als die große Bewahrerin lebender Werte, unter den nationalen Wissenschaften die erste und für das ganze Volk, wie schon daraus hervorgeht, dass Studierende aller Fakultäten, wenn es ihnen ernst um ihre Bildung ist, Literaturgeschichte hören und alle Gebildeten Literaturgeschichte lesen, eben aus dem Grund, weil die Werke der Literatur ihnen den unmittelbaren Zugang zu den hohen Persönlichkeiten ihres Volkes und damit in dessen Leben und Wesen hinein eröffnen.
- Wir kennen den Dichter des Nibelungenliedes nicht, und es ist auch gar nicht nötig, dass wir seinen Namen wissen, nötig aber ist es, dass wir das Gedicht, das wie kein anderes unser deutsch-germanisches Wesen offenbart und in Siegfried und Hagen die beiden ewigen Typen deutscher Mannesnatur hinstellt, zur rechten Zeit lesen und verstehen, und dazu hat uns die Literaturgeschichte Führerin zu sein.
- Sie hat uns dann ferner durch Wolframs ‚Parzival‘, durch Gottfrieds ‚Tristan‘, durch Walters Lieder die Welt des Mittelalters zu erschließen, hat uns an Luthers Persönlichkeit näher heranzuführen, als es die politische Geschichte vermag, hat uns im ‚Simplizissimus‘ den Dreißigjährigen Krieg erleben, in der ‚Minna‘ einen raschen Blick in die Zeit des Siebenjährigen tun zu lassen, uns in Goethe die Allseitigkeit deutschen Wesens und seine ganze Herrlichkeit zu zeigen.
- Kurz, sie hat vor allem eine Wissenschaft der Hauptsachen zu sein und allen Deutschen zu ermöglichen, die Hauptsachen nicht nur kennen zu lernen, sondern sie gleichsam wieder zu erleben.
- Was der Professor der Literaturgeschichte in seinem Auditorium sagt, was der Literaturgeschichtsschreiber in seinen Werken darstellt, das muss geeignet und es wert sein, in jedes deutsche Haus getragen zu werden, mehr als jeder andere Mann der Wissenschaft soll der Literaturhistoriker ein Erwecker sein.
- Das Beste werden natürlich immer die Werke selber tun, begabte Naturen können sich hier vielleicht sogar am ersten selber helfen, dennoch, man soll den Mann des Berufes hier nicht unterschätzen: Er kann tausendfältig gesunden Anstoß geben und die Wege weisen und bequem machen.
- Lebende Werte! Schon in diesem Worte liegt es, dass der Literaturhistoriker seiner Zeit, der Gegenwart vor allem zu dienen hat: er soll das noch Lebende erkennen, es lebend erhalten und womöglich auch noch neues Leben wenn nicht zeugen, doch hüten.
- Das will nicht viel sagen, wenn Erich Schmidt meint: „Analogien der Vergangenheit können unser Urteil über zeitgenössische Erscheinungen festigen und an der Gegenwart gemachte Beobachtungen uns Aufschluss über Vergangenes spenden.“
- Nein, der Literaturhistoriker ist einfach der berufene Beurteiler auch der Literatur der Gegenwart, und es ist, falls er seinen Namen mit Recht führen und nicht bloß Fachmann im schlechten Sinn sein will, einfach Mangel an nationalem Pflichtgefühl, wenn er sich dieser seiner Aufgabe entzieht.
- Wer soll denn die in der Gegenwart doch so notwendige höhere Kritik leisten, wenn nicht der berufene Literaturhistoriker, den seine Kenntnis der geistigen und seelischen Gesamtentwicklung und damit des Wesens seiner Nation dazu vor allem befähigt?
- Etwa der Berufskritiker, der in unserer Zeit in der Regel Zeitungs-, also Tageskritiker ist? Ich habe in meiner schon einmal genannten Schrift ‚Kritiker und Kritikaster‘ auch diese Dinge berührt, habe das Bild des nachschaffenden oder darstellenden Kritikers entworfen, der nicht, wie damals Franz Servaes wollte, ‚Bildner in Künstlerseelen‘ zu sein beansprucht – auch Erich Schmidt redet übrigens in den ‚Wegen und Zielen‘ von den ‚herrlichen Formeln wie produktive Kritik‘, die Friedrich Schlegel erfunden habe, der die echte Bescheidenheit des Erkennenden dem Gestaltenden gegenüber allezeit bewahrt, und habe dort auch die Grenze zwischen Kritik und Literaturgeschichte zu ziehen gestrebt.
- „Mit der sogenannten historischen Kritik, dem Untergrund unserer Durchschnittsliteraturgeschichte,“ heißt es da, „die Kunstwerke aus Anregungen anderer Kunstwerke und den Künstler aus den Nachrichten über sein Leben erklären will, hat diese unsere darstellende Kritik nichts zu tun, sie geht durchaus auf das Wesen, schafft dieses frei nach, opfert nicht das Kunstwerk und den Künstler auf, um das Werden und gar das einer Zeit zu erklären.“
- Gewiss, auch die Kenntnis der Entwicklung hilft zum Verständnis, aber echte Kritik hat es mit dem Sein, dem Kunstwerk, wie es ist, dem Künstler als besonderer Persönlichkeit zu tun, sie erhebt sich, wenn sie historisch wird zur Kunstgeschichte [das Wort hier in einem engeren Sinn im Gegensatz zur Entwicklungsgeschichte gebraucht, in Analogie von Botanik und Pflanzenbiologie], deren Aufgabe es nicht ist, psychologische und kulturhistorische Probleme zu lösen.
- Hier treffen wir auf die Grenze der Kritik: Sie soll allerdings die Bedeutung eines Kunstwerkes, eines Künstlers in seinem Kreise, auch noch die Bedeutung des Kreises für die weiteren feststellen, aber die zusammenhängende Galerie künstlerischer Charaktere und weiter die nationale Kunstgeschichte als den sicheren Unterbau der großen Geistes- und Seelengeschichte der Menschheit zu schaffen, überlässt sie doch dem geborenen Historiker, der freilich den geborenen Kritiker voraussetzt.
- Eben weil er dies tut, hat aber der Historiker auch für den Kritiker einzutreten, wenn die Zeit es fordert. Und unsere Zeit fordert es.
- Es kann keinem Zweifel mehr unterliegen, dass sich unser Volk seit einigen Jahrzehnten in stetem Niedergang befindet: Die Statistik, jede unvoreingenommene Beobachtung modernen Lebens, die – nun Literatur beweisen es.
- Was im Besonderen die Literatur anlangt, so wird niemand behaupten wollen, dass das Vorherrschen der artistischen und dekadenten Richtung, der in niederen Regionen eine wüste Sensationsliteratur entspricht, ein Zeichen von Volksgesundheit sei.
- Bin ich zwar überzeugt, dass, solange ein Volk krank ist, es auch seine Literatur sein wird, und dass die Ursache, die Krankheit, entfernt werden muss, wenn in der Wirkung, den Lebensäußerungen Besserung eintreten soll.
- Das befreit uns natürlich aber nicht von der Verpflichtung, die schlechte Literatur zu bekämpfen, sie den noch nicht angesteckten Volksteilen nach Kräften fernzuhalten; nur das muss man sich eben nicht einbilden, dass der Kampf gegen die schlechte Literatur genüge, das ganze Volk wieder gesund zu machen, da sind ganz andere Maßnahmen, ja, wohl Schicksale nötig.
- Zu einem Teil erklären sich unsere bösen Literaturzustände aus dem immer mehr zunehmenden Eindringen des Judentums in die deutsche Literatur. Schon Erich Schmidt hat in seiner Wiener Antrittsvorlesung auf die Tatsache aufmerksam gemacht, wenn er auch nach beliebter Weise das Judentum dort nur als Religion, nicht als Rasse auffasst: „Für unser Jahrhundert,“ schreibt er, „wird das jüdische Element, seine Salons und seine Frauen, seine Journalisten und seine Dichter, seine Heine und seine Auerbach, wird sein Fluch und sein Segen ein starkes, unbefangenes Augenmerk erheischen.“
- Als ich mir, ohne von dieser Aufforderung Schmidts zu wissen, in meiner ‚Geschichte der deutschen Literatur‘ gestattete, ein „starkes und auch unbefangenes Augenmerk“ (denn ich bin von Haus aus nichts weniger als Antisemit gewesen) auf das Judentum zu richten, da ist es mir freilich sehr schlecht ergangen, aber die zahllosen Angriffe haben mich doch meiner Pflicht nicht abwendig gemacht.
- Eben weil hier die Tageskritik vollkommen versagt und versagen muss (denn die meisten deutschen Zeitungen sind dem Judentum dienstbar), habe ich als Literaturhistoriker das Nationale so scharf betont und aus der allmählich erworbenen genauen Kenntnis jüdischen Wesens heraus die unheilvollen Wirkungen, die es seit Heine und Börne auf unsere Literatur geübt hat, deutlich zu kennzeichnen gestrebt.
- Wie Lessing einst der Herrschaft des Franzosentums in unserer Literatur entgegentrat, die bei Weitem nicht so gefährlich war wie die des Judentums, da sie den Charakter unserer Nationalliteratur doch nicht von innen heraus zerstörte, nur fremde Einflüsse von außen brachte, so bekämpfe ich, ein weit Geringerer als Lessing, aber mich ihm an Ernst der Gesinnung zu vergleichen wagend, unerschrocken das Judentum in unserer Dichtung, und ich werde von diesem guten Kampf nicht lassen, solange noch ein Blutstropfen in mir ist, es sei denn, das Judentum würde in die Stellung zurückgedrängt, die ihm als fremden Gast bei uns gebührt.
- Neben dem Judentum innen wirken dann auch noch von außen her, wie einst zur Franzosenzeit, zahlreiche ungünstige Einflüsse auf die deutsche Literatur der Gegenwart, der internationale Verkehr lässt zwar hin und wieder auch die guten, aber doch mehr noch die gefährlichen Wirkungen der Auslandliteratur bei uns in Erscheinung treten.
- Wären wir als Nation noch stark und gesund, wäre der Krebsschaden des Judentums nicht, so brauchten wir deswegen nicht ängstlich zu sein; so aber müssen wir die Augen offen halten, das Schädliche abzuwehren, das Nützliche zu stärken versuchen, dürfen uns keineswegs als ‚objektive‘ Literaturhistoriker auf die vergleichenden Ausblicke Erich Schmidts beschränken.
- Zweifellos, der Literaturhistoriker hat heute im deutschen Leben wichtigere Aufgaben als je zuvor. Da ist die gewaltige, unendlich reiche ältere deutsche Literatur, ein Nationalschatz lebender Werte, mit dem zum Heile des ganzen Volkes gewirtschaftet, da die vielfach entartete, jedenfalls zerfahrene, doch aber auch hoffnungsreicher Keime nicht entbehrende Literatur der Gegenwart, die überwacht und zum Besseren geleitet werden soll.
- Das kann die Kritik mit dem besten Willen nicht leisten, die Kritik, die den fälschenden Tageseinflüssen nur zu leicht unterliegt.
- Man gestatte mir zwei Beispiele dafür zu bringen: Dr. Karl Hoffmann – Charlottenburg, ein ernstzunehmender Schriftsteller, fühlt sich gedrungen zu betonen (‚Eckart‘ IV, 10), „dass auch nach seinem Dafürhalten nationaler Geist und Antisemitismus keineswegs einander bedingen, und dass er eine besondere, jüdische Literatur deutscher Sprache neben der eigentlich deutschen nicht anerkennen vermag“ (hat nebenbei bemerkt auch noch niemand verlangt, der erdrosselnde Efeu und der das Vermodern herbeiführende Pilz sind allerdings nicht selbständig). „Konfessionelle Scheidungen und Rassenvorurteile müssen am Ende den nationalen Gedanken wieder zerspalten“, meint er – wie ein ernster Mensch es fertig bringen kann, sich Nation ohne rassenhafte Bestimmtheit zu denken, ist mir völlig unerfindlich.
- Das zweite Beispiel: Willy Rath, von den jetzigen Kunstwarts-Kritikern doch wohl der Gescheiteste, schreibt: „Die neue Heimatkunst, die unter diesem Namen noch gar nicht lange geht, hat seit Jahren schon viele harte, höhnische Worte hören müssen. Aber sie beweisen nichts gegen die Heimatkunst selbst. Sie treffen nur das übertriebene Wesen, das die paar Jahre zuvor mit ihr, in ihr angestellt worden.“
- Das ist, wie ich in einem Aufsatz des ‚Eckart‘ (III, 6) vor längerer Zeit nachgewiesen habe, durchaus Unsinn, die Heimatkunst ist sich ihrer Grenzen von vornherein klar bewusst gewesen, aber natürlich schreibt Rath doch bona fide; er hat die Schimpfworte der Gegner der Heimatkunst, die sofort mit ihrem Auftreten einsetzten, im Ohr und glaubt nun allmählich die Lügen, die über sie verbreitet worden sind.
- Da ist denn eben, wie ich in diesem Aufsatz nachzuweisen strebe, der Literaturhistoriker not, der die Wahrheit an den Tag bringt.
- Er wird es immer schwer haben, um so schwerer, je ernster er seinen Beruf nimmt; denn außer der feindlichen ‚Konkurrenz‘ hat er auch mit der Gleichgültigkeit seines Volkes und dem Unverständnis der weitesten Kreise zu rechnen, wenn er seinen Kampf rücksichtslos durchführt.
- Mit welchen Gegnern habe beispielsweise ich zu tun gehabt! Da schrieb der Jude Eduard Engel, der Verfasser eines Konkurrenzwerkes, über mich: „Die Darstellung der Deutschen Dichtung der Gegenwart von Adolf Bartels setzt, wie so viele Bücher dieser Art, die genaue Kenntnis des Gegenstands voraus: nicht die kleinste Beweisprobe wird gegeben, der Verfasser führt ganz allein das Wort.“
- „Bartels hat Urteil und Geschmack, soweit er die Dichter nur nach ihren Werken, nicht nach ihrer tatsächlichen oder vermuteten ganzen, halben oder viertel Zugehörigkeit zu dieser oder jener Rasse würdigt und nicht von der krankhaften, ja, dekadenten Neigung befangen ist, die meisten jungen, ganz vergnügten Schriftsteller des letzten Menschenalters für krank oder wie er regelmäßig schreibt, ‚dekadent‘ zu halten. Überdies gehört er auch zu denen, die über Literatur schreiben ohne ein Fünkchen Wohlwollen oder Liebe, vielmehr mit galligster Verbitterung. Warum nur Schriftsteller mit solcher Gemütsverfassung sich nicht lieber mit Düngerchemie, Verbrechertum oder ansteckenden Krankheiten beschäftigen.“
- Wer auch nur eine Ahnung meines Wesens, nur die leiseste Kunde meiner nie aussetzenden Arbeit für andere, für Hebbel, für Klaus Groth, für Polenz, für Stavenhagen usw. hat, muss dies mit Empörung lesen.
- Dabei ist noch in Betracht zu ziehen, dass Engel meine ‚Geschichte der deutschen Literatur‘, gegen die die ‚Deutsche Dichtung der Gegenwart‘ doch nicht allzuviel bedeutet, einfach unterschlägt, obgleich er sie sehr genau kennt, sie sogar für das ‚Hamburger Fremdenblatt‘ besprochen hat.
- Aber die Weise, in der er von mir redet, hat seinem Buche bei dem deutschen Volke, selbst bei mir verpflichteten Blättern durchaus nicht geschadet, es ist sehr viel gekauft worden, obgleich es im Grunde ebensowenig etwas taugt wie Engels Rassegenossen R. M. Meyers ‚Deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts‘, die ich bei ihrem Erscheinen bekanntlich gründlich charakterisiert habe.
- Ich will hier nicht über meine übrigen ‚Konkurrenten‘ sprechen, obschon ich Veranlassung genug dazu hätte, da sie alle mir namentlich bei der Darstellung der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts sehr viel zu verdanken haben und in der Regel sehr wenig geneigt sind, das anzuerkennen – sie mögen ihre Zeit haben, wenn sie nur dem deutschen Volke nicht direkt schaden statt zu nützen.
- Das aber will ich zum Schlusse doch noch so scharf wie möglich aussprechen: Wer sich heute in der Literaturgeschichte um die Judenfrage herumdrückt, wer nicht ganz klar zwischen gesundem deutschen und ungesundem jüdischen und internationalen Geist unterscheidet, der erfüllt nicht nur nicht seine Pflicht gegen das deutsche Volk, sondern begeht einfach ein Verbrechen an ihm.
- Die schöne Literatur hat heutzutage eine ungeheure Bedeutung, nicht mehr in Tausenden, in Hunderttausenden von Exemplaren werden Romane über Stadt und Land verbreitet, Theaterstücke bringen es in ganz Deutschland zu Hunderten, ja Tausenden von Aufführungen – da kann das deutsche Volk verlangen, dass man ihm Klarheit schafft, was geeignet, was ungeeignet für die breiten Kreise ist, um so mehr, als es, wie gesagt, unzweifelhaft mit seiner Gesundheit nicht besonders gut steht.
- Prüft man doch sorgfältig die materiellen Lebensmittel, wie sollte man da die viel wichtigere geistige Nahrung nicht prüfen? Ist denn der Leib mehr als die Seele und das Vergnügen mehr als das Seelenheil? Manchmal sollte man es fast meinen, wenn man unsere Zeit betrachtet!
- Natürlich, auch der Literaturhistoriker ist nicht unfehlbar, aber, wenn er nur irgend berufen, so steht er doch fester in seinem Volkstum als ein beliebiger Tageskritiker (Ausnahmen unter diesen gebe ich natürlich zu) und kennt besser die geistige Entwicklung seiner Nation und was ihr heilsam und nicht heilsam ist.
- Möge er sich den unwürdigen Banden, die ihn heute zum Teil halten, entreißen, möge er, und ob man ihn tausendmal schmäht und verfolgt, die von sich abweisen, die nicht seines Blutes sind und sich mit den Besten seines Volkes zu Arnims Worten bekennen: „Wir wollen allen alles wiedergeben, was im vieljährigen Fortrollen seine Diamantfestigkeit bewährt, nicht abgestumpft, nur farbespielend geglättet alle Fugen und Ausschnitte hat zu dem allgemeinen Denkmal des größten neueren Volkes, der Deutschen; das Grabmal der Vorzeit, das frohe Mahl der Gegenwart, der Zukunft ein Merkmal in der Rennbahn des Lebens.“
- Was sollen uns eine Literatur und ein Literaturwissenschaftsbetrieb, die uns das nicht mehr schaffen können?
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