Advertisement
kaputt_machen

Woran und wie wollen wir uns erinnern?

Oct 27th, 2013
182
0
Never
Not a member of Pastebin yet? Sign Up, it unlocks many cool features!
text 5.32 KB | None | 0 0
  1. Sächsische Zeitung online
  2.  
  3. Sonntag, 27.10.2013
  4. Woran und wie wollen wir uns erinnern?
  5. Nicht immer nur 13. Februar: Eine neue Initiative will, dass die Dresdner selbst ihre Gedenkkultur gestalten.
  6.  
  7.  
  8. Abgesehen von den Dynamo-Heimspielen mobilisiert kein Ereignis in Dresden mehr Menschen als das Gedenken an den 13. Februar 1945. Aber sind die geschätzten 25.000 Teilnehmer an Menschenkette und Demonstrationen wirklich repräsentativ für ganz Dresden? Oder eher jene halbe Million Bürger, die in jenen Tagen lieber zu Hause bleiben? Kurzum: Wie wichtig ist den Dresdnern das Erinnern an die Bombardierung der Stadt wirklich?
  9.  
  10. Auch diese Frage sollen sie nun selbst beantworten. Eine neue Initiative „Forum Erinnern Gestalten Dresden“ lädt die Bürger ein zur öffentlichen Debatte über das städtische Erinnern. Das soll im Internet geschehen, aber auch auf „analogen“ Veranstaltungen unterschiedlicher Art. „Wir wünschen uns einen neuen, demokratischen Umgang mit der Vergangenheit unserer Stadt“, sagt Matthias Neutzner, einer der Forumsgründer. „Gerade die Entwicklung der Debatten zum 13. Februar machen deutlich, dass es in Dresden auch um die Deutungshoheit über die Erinnerung geht. Da sollte man schon einmal die Frage stellen: Wer hat denn diese Deutungshoheit, und wer sollte sie haben? Die Oberbürgermeisterin, der Stadtrat, die Stadtverwaltung – oder die Bürger selbst?“
  11.  
  12. Viele Räte, wenige Bürger
  13.  
  14. Wie vielen Bürgern genügt auch der Initiative „Forum Erinnern Gestalten Dresden“ der momentane offizielle Umgang mit der Erinnerungskultur nicht. 2010 war zwar von der Bürgermeisterin die „Arbeitsgruppe 13. Februar“ gegründet worden. Ein Bündnis aus Persönlichkeiten von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Vereinen, das zugleich über ein neues, angemessenes Gedenken an die Bombenangriffe beraten und Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen sollte. Doch waren die Mitglieder von OB Helma Orosz (CDU) persönlich bestimmt worden, hat die AG weder eine Satzung noch irgendwelche Befugnisse, noch soll sie sich um anderes kümmern als die Vorbereitung des 13. Februars sowie die Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Aktivitäten.
  15.  
  16. Wohl existiert seit einigen Monaten ein Stadtratsausschuss „Erinnerungskultur“. Gleichwohl sitzen darin 13 Räte und lediglich vier „sachkundige Einwohner“. Über die Ergebnisse ihrer Arbeit dürfen die Bürger debattieren, sich jedoch nicht an der Ergebnisfindung selbst beteiligen.
  17.  
  18. Dennoch versteht sich das „Forum Erinnern Gestalten Dresden“ nicht als Konkurrenz von AG und Ausschuss. „Der Ausschuss ist ein sehr produktives Gremium“, sagt Matthias Neutzner. „Wir verstehen uns eher als eine Art Ergänzung dieser Arbeit, indem wir eine Plattform für wirklich öffentliche Debatten unter breiter Mitwirkung der Bürger schaffen wollen.“
  19.  
  20. Angesichts der bisherigen Verhandlungen um die Erinnerungskultur wurde immer wieder auch die Sorge laut, diese könne sich in wenigen festen Ritualen erschöpfen, hauptsächlich zum 13. Februar, statt zum festen Bestandteil des öffentlichen Bildungsauftrags zu werden. Etwa in Schulen und in Museen. Überhaupt existiert in Dresden seit Längerem eine Vielfalt teils sehr verschiedener Erinnerungskulturen. „Darin liegt ein großes Potenzial“, so Neutzner, „das aber noch viel zu wenig genutzt wird.“ Erinnerungsformen, die abseits eines gewissen Gedenk-Mainstreams liegen, werden oftmals von vorneherein abgelehnt, statt dass man den Initiatoren zuhört, ihre Motive zu verstehen versucht und nach Gemeinsamkeiten sucht.
  21.  
  22. Besonders wichtig ist dem Forum auch, dass sich nicht der Großteil des Erinnerns nur auf den 13. Februar 1945 bezieht. „Dieses Datum nimmt eine extrem dominante Rolle ein“, sagt Forumsmitglied Margot Gaitzsch. „Das hat bis zu einem gewissen Grad seine Berechtigung. Aber es gibt viel mehr historische Ereignisse, auf die die Bürger Bezug nehmen, und darunter sind auch sehr viele positive, an die hier im öffentlichen Raum nur sehr wenig oder gar nicht erinnert wird.“ Eben deshalb wollen Gaitzsch und ihre Mitstreiter auch solche Geschehnisse und Errungenschaften im Bewusstsein halten, „die für eine menschenwürdige, demokratische und kulturvolle Stadtgesellschaft bedeutsam sind“.
  23.  
  24. Welche das sind, sollen die Dresdner ebenfalls selbst angeben. Das Forum will im Internet eine Art Karte veröffentlichen, in die jeder Bürger Ereignisse eintragen kann, die er persönlich für erinnerungswürdig hält. Das Aussehen der Karte könnte die Gretchenfrage beantworten helfen: Woran wollen die Dresdner erinnern und wie? Bei wie vielen ist es der 13. Februar 1945? Und bei wie vielen der 15. September 1971, als Dynamo beim Eurocupspiel gegen Ajax Amsterdam ein glorreiches Unentschieden holte?
  25.  
  26. Einen ersten Punktsieg kann das „Forum Erinnern Gestalten Dresden“ mit seiner spannenden Initiative schon verbuchen: Kulturbürgermeister Ralf Lunau (parteilos) lobte gegenüber der SZ ihr Grundsatzpapier „Rahmen für das Erinnern“ als „gute Grundlage dafür, gemeinsam über die Erinnerungskultur in Dresden zu diskutieren“. Diese Impulse, so Lunau, seien „für das städtische Gedenkkonzept sehr wichtig und hilfreich“. Denn die Vielfalt der Dresdner Erinnerungskultur könne „nur dann wirken, wenn sich städtische und zivilgesellschaftliche Aktivitäten ergänzen“.
  27.  
  28. www.dresden-erinnern.org
Advertisement
Add Comment
Please, Sign In to add comment
Advertisement