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Jun 18th, 2018
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  1. Sorry, Deutschland und Fussball. Das ist für mich nichts. Auch wenn jetzt einige aufschreien werden und mich als Vaterlandsverräter beschimpfen.
  2. Weder habe ich ein Vaterland zu verraten, noch fühle ich mich aufgrund irgendeiner nationalen Identität vier Wochen lang verpflichtet im Pluralis Majestatis zu sprechen.
  3.  
  4. Bei mir verursacht dieses Gebaren der Deutschen als tümelnd-taumelnde Fussballmacht nur ein ungutes Gefühl und eine Erinnerung an unsägliche Traditionen. Die kollektive Euphorie bleibt ein geradewegs in die Falle führender Balanceakt mit dem bereits Gescheiteren. Es ist so, als würde man einem verurteilten Massenmörder ein scharfes Messer in die zitternde Hand drücken, damit er der damit eine Salami in hauchdünne Scheiben schneidet.
  5.  
  6. Begonnen hat es mit dem angeblichen Sommermärchen 2006, dem Sommer in dem der damalige Innenminister Schäuble erklärte, in Deutschland gäbe es keine No-Go-Areas, obwohl kurz zuvor der Deutsch Äthiopier Ermyas M. auf offener Strasse in Potsdam von Neonazis ins Koma geprügelt wurde.
  7.  
  8. Seitdem klafft eine bedenklich große Lücke zwischen dem erforderlichen Realitätsverständnis und dem Anspruch, den die Deutschen auf die Frage nach der Praktikabilität der chauvinistischen Selbstbeschwörung stellen. Während sich in den Stadien die Hände zum tausendfachen „Sieg“ Gruß recken, rangieren in den Statistiken die Zahlen rechtsradikaler Gewalttaten seit Jahren mit steigender Tendenz auf Platz 1. Mehr als 20% Prozent Zuwachs allein im letzten Jahr. Das wirkt in etwa so befremdlich, als würde eine Equipe des Islamischen Staates auf dem Rasen stehen während die Fans mit „Allahu Akbar“ den Toren zujubeln. Oder was hat das eine mit dem anderen zu tun?
  9.  
  10. Warum findet die Auseinandersetzung mit dem politischen Hintergrund im Falle Putins statt, aber die Frage danach ob ein Kanzlerbesuch in der Spielerkabine nicht genauso instrumentalisierend wirkt wie die Danksagung eines Deutschtürkischen Fussballers an seinen Ministerpräsidenten bleibt offen. Warum werden die Trennungslinien plötzlich unscharf, wenn der Vorwurf des Spielverderbers gegen den deutschen Wohlfühlpatriotismus zum Rundumschlag gegen jegliche Kritik ausreicht?
  11.  
  12. In der Vergangenheit war das anders. Deutschland und Fussball, das war zwar immer schon eine Verkettung von Minderwertigkeitsgefühlen und übersteigertem Geltungsdrang, aber seit dem „Wir sind wieder wer“ Credo der WM 2006 im eigenen Land ist alles anders und die politische Instrumentalisierung des kollektiven Nationalgefühls ist unverhohlener in den Alltag gesprungen als je zuvor. Gauland und Weidel reiben sich die Hände. Seit dem Sommermärchen 2006 ist Fussball in Deutschland nämlich nichts anderes als ein unerträglicher und als Volksfest getarnter, dumpfer Vorstufennationalismus, an dessen Ende es oft zum gefährlich demagogischen ausfranst und das unkontrollierbar trotzige Verdrängen der ewigen Identitätskrise manchmal sogar bedrohlich real wirkt.
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  14. Dabei gehen die Einzelteile oft so unsichtbar ineinander über, dass man als Kritiker gar nicht weiss wo man anfangen oder ob man es lieber lassen soll. Ob es die ungeschickten Formulierungen der Kommentartoren vom „Endsieg“ sind oder die zur Schau gestellte Überheblichkeit der BILD Zeitung, als Sprachrohr des Durchschnittlichen, die zunächst 11 Gründe verrät warum „wir“ gegen Mexiko 3:0 gewinnen und dann am nächsten Tag daraus 11 Punkte dreht, die Jogi besser machen muss, um der kollektiven Schande zu entkommen. Stets schwingt in den Überschriften ein verächtlicher Unterton mit. Wenn die Deutschen über ihre Gegner sprechen, wird man den Eindruck nicht los, dass die Deutschen nicht spielen um zu gewinnen, sondern nur um den anderen zu besiegen. Die Niederlage jedenfalls scheinen sie dabei nur selten und widerwillig in Kauf zu nehmen.
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  16. Wahrscheinlich kommt daher in mir dieser Abscheu gegen die scheinbare Verlockung des Schwelgens in nationaler Eintracht. Vielleicht habe ich zu viel Geschichtsbewusstsein, vielleicht nagt an mir die Verantwortung der kollektiven Schuld oder ich bin einfach nicht in der Lage dazu mich zu freuen und hemmungslos patriotisch zu sein. Dabei bin ich noch nicht einmal Biodeutscher. Ich könnte es mir also leicht machen und zügellos einstimmen in den Kanon der Rekonvaleszenten.
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  18. Aber mich hat das Deutsche schon längst angefressen und vielleicht bin ich gerade in dieser zögerlichen Haltung Deutscher als ich selbst wahrhaben will. Ich mag einfach keinen Nationalismus und deutschen Nationalismus finde ich besonders schlimm.
  19.  
  20. In den nächsten Wochen werden wir also wieder darum streiten, ob es schick ist sich dieses abgrundtief hässliche schwarzweisse Trikot überzuziehen, im Kollektiv die noch hässlichere deutsche Fahne zu schwenken oder ob es angebracht ist Bescheidenheit walten zu lassen und aus einer Nation, deren Geschichte ihre kostbarste Hinterlassenschaft ist, ein Vorbild für den vorbehaltlosen und fairen Umgang zwischen Menschen zu machen die, egal woher sie kommen, in einem gleich sind: sie freuen sich gerne über den Erfolg, aber sie leiden auch in der Niederlage.
  21.  
  22. Und das hat für mich mit Herkunft und Heimat nichts zu tun.
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