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Um Himmels Willen

Apr 5th, 2013
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  1. Sächsische Zeitung online
  2. Freitag, 05.04.2013
  3. Um Himmels Willen
  4. Lothar König steht als Rädelsführer in Dresden vor Gericht. Der Pfarrer aus Thüringen versteht die Welt nicht mehr.
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  6. Für nackte Füße ist es heute zu kalt. „Leute, ich habe Strümpfe angezogen, schaut mal.“ Lothar König, bekennender Sandalenträger, kokettiert mit den Fotografen und Fernsehteams, die am Sitzungssaal A2.133 auf ihn gewartet haben. Er sieht aus, als wäre er überrascht von dem Andrang, setzt sich dann nach einigem Zögern auf seinen Platz. König legt seinen pinkfarbenen Stoffbeutel mit dem Slogan „Kapitalismus kaputt kaufen“ auf den Tisch und dreht sich eine Zigarette. Er sei aufgeregt, sagt er später selbst. Rund 70 Sympathisanten sitzen dicht gedrängt auf den Plätzen. Lothar König, 59 Jahre alt und Pfarrer in Jena, ist in ihren Augen ein Held und die Anklage, daran zweifeln sie keine Sekunde, ein ganz übles Machwerk.
  7. Die Vorwürfe gegen König gehen auf die gewalttätigen Ereignisse am 19. Februar 2011 zurück. Eine Woche nach dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg wollten Neonazis in der Stadt marschieren. Bei den Demonstrationen war es zu bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen gekommen. Mehr als 100 Polizisten wurden schwer verletzt, 35 Autos demoliert und 15 Hausfassaden beschädigt. Mülltonnen brannten ebenso wie ein halbes Dutzend Autos.
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  9. Mitten drin im Geschehen: Lothar König. So sieht es jedenfalls Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer. Sie beschreibt ihn in ihrer Anklage als eine Art Rädelsführer gewaltbereiter Autonomer. Er soll Demonstranten aus dem linken Spektrum aufgestachelt und sie dabei unterstützt haben, Polizeisperren zu durchbrechen. Sein VW-Transporter sei eine Art Führungszentrale gewesen. König habe mit Lautsprecherdurchsagen die zum Teil vermummte Menge dirigiert und Hinweise über Polizeieinsätze weiter gegeben: „Warum lauft ihr weg, das sind doch nur acht Bullen“, soll er unter anderem gesagt haben. Vom „Lauti“ aus habe ein Mitfahrer den Satz „Deckt die Bullen mit Steinen ein“ gerufen. Einen Steinewerfer habe König mit dem Bus vor dem Zugriff der Polizei in Sicherheit gebracht. Schweren Landfriedensbruch wirft die Staatsanwältin dem Angeklagten vor. Mindestens sechs Monate, höchstens zehn Jahre Haft drohen ihm in diesem Verfahren.
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  11. Zwei Anwälte stehen König vor dem Schöffengericht zur Seite. Auch seine Tochter Katharina König ist bei ihm. Die Tochter, Linken-Landtagsabgeordnete in Thüringen, soll als „Berufshelferin“ auf der Verteidigerbank Platz nehmen dürfen, um den Ablauf der Verhandlung zu protokollieren, fordert Rechtsanwalt Johannes Eisenberg. Er könne seine eigene Schrift nicht lesen. Einige Zuhörer kichern. Der Vorsitzende Richter Ullrich Stein lehnt ab. Protokolle schreiben gehe in Ordnung, aber das könne die Helferin auch von einem ganz gewöhnlichen Zuhörerplatz aus.
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  13. Nach einigem Hin und Her liest Staatsanwältin Schmerler-Kreuzer schließlich die Anklage vor. Eisenbergs Kollegin Lea Voigt hatte zuvor vom Gericht vergeblich verlangt, dies zu unterbinden und den Prozess auszusetzen. Eisenberg sagt anschließend, das Verfahren sei von schweren Fehlern und einem massiven Amtsmissbrauch der Ermittlungsbehörden geprägt. König könne sich auf die Meinungsfreiheit und als Pfarrer auf die Verkündungfreiheit des Grundgesetzes berufen. Die Äußerungen, die während der Auseinandersetzungen gefallen sein sollen, seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. König habe in „seelsorgerischer Verantwortung“ die Mitglieder seiner Gemeinde nach Dresden begleitet, um sie vor den Neonazis und der Staatsmacht zu beschützen.
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  15. Eisenberg redet und gestikuliert meist in Richtung Zuhörer. Die Grenzen der Höflichkeit verletzt er mühelos, aber mit Charme. Die Staatsanwältin nennt er „faul“, ihr Kollege Lorenz Haase rede „Unsinn“. Genüsslich kommt er immer wieder auf den Vorwurf der Staatsanwältin zurück, König habe während der Ereignisse die Aggressivität der Menge mit „anreißerischer und rhythmischer Musik“ gefördert. Über die alten Titel, die gespielt wurden, habe sich bereits der Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht, mit den berühmten Worten beschwert: „Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je sollte man doch Schluss machen.“ Ein gelungener Gag, Applaus im Saal. Mehrfach wirft Eisenberg dem Richter vor, die Akten nicht gelesen zu haben. König habe jedoch keinen Befangenheitsantrag gegen den Richter stellen wollen, sagt Eisenberg: „Er will jetzt vor seinen irdischen Richter treten und um Gerechtigkeit ringen.“
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  17. Schon um 8.45 Uhr soll der Pfarrer die erste Straftat begangen haben, heißt es in der Anklage. Da sei er jedoch noch gar nicht vor Ort gewesen, moniert Eisenberg. Vielmehr habe König erst um 9.07 Uhr mithilfe eines Bundestagsabgeordneten eine Polizeisperre passiert und sei von den Beamten sogar in die angebliche „Verbotszone“ eingelassen worden. Und so geht es weiter, Punkt für Punkt. Jetzt muss die Staatsanwaltschaft ihre Beweise auf den Tisch legen. Von den angekündigten Videofilmen und den Zeugenaussagen wird es abhängen, ob König verurteilt wird. Es wird, das zeichnet sich schon heute ab, darauf ankommen, wie das Gericht die einzelnen Äußerungen des Angeklagten interpretiert. Hat der Theologe dazu beigetragen, dass die Lage vor zwei Jahren eskaliert ist, wie es die Staatsanwältin sagt? Oder hat er verhindert, dass noch Schlimmeres passiert ist, wie er selbst sagt?
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  19. König selbst wirkt nachdenklich an diesem Tag. Manches habe ihm sehr weh getan. „Ich habe viel Zeit gehabt, über die Anklage nachzusinnieren“, sagt der Pfarrer. Anders als sein Anwalt wendet er sich nicht an die Zuhörer, sondern spricht sein Gegenüber, Staatsanwältin Schmerler-Kreuzer, direkt an. „Mit einem Lautsprecherwagen Menschenmassen dirigiert? Diesen Menschen hat es nicht gegeben. Das weiß ich sehr, sehr genau.“ Die Bezeichnung „Bullen“ verwende er nicht. „Ich will auch hinter Polizisten einen Menschen sehen, wie ich auch hinter Neonazis einen Menschen sehe. Solange es Menschen gibt, gibt es eine Chance, dass sich etwas ändern kann“, sagt er, zitiert damit die Autorin Christa Wolf, aber auch in der Bibel finde man das schon.
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  21. Er könne nicht verstehen, wie es seitens der Staatsanwaltschaft zu einer gänzlich anderen Einschätzung dessen kommen konnte, was er am 19. Februar getan habe. „Ich stand doch mit der Polizei im Kontakt.“ Er berichtet, wie er zu DDR-Zeiten von der Stasi verfolgt wurde, wie er mit der Jungen Gemeinde Jena „in der neuen Zeit“ begonnen habe, vor Neonazis zu warnen, Leute zu suchen, die sich für die Demokratie einsetzen und sich „mit Herzblut“ einmischen, „sonst haben wir nur noch TV-Glotzer, die nicht ’mal zur Wahl gehen“. Dass er „mit allen Mitteln“ versucht haben soll, eine Nazidemo in Dresden zu verhindern, dieser Vorwurf habe weh getan. Als Stadtjugendpfarrer in Jena habe er viele Erfahrungen gesammelt. „Jugendliche wurden von Neonazis verdroschen, zusammengeschlagen, verfolgt, die trauen sich nachts nicht einmal in eine Straßenbahn“, sagt König. Er sei mit ihnen mit nach Dresden gegangen, um sie zusammenzuhalten und sie davor zu bewahren, selbst Straftaten zu begehen.
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  23. Er sei kein Freund von Verboten, auch nicht von dem geplanten NPD-Verbot. „Wir müssen mit denen leben, ihnen die Widersprüche aufzeigen und die Grenzen: bis hier hin und keinen Millimeter weiter“, sagt der Pfarrer. Das Demonstrationsrecht sei ein hohes Gut. Für ihn heiße das auch: „Wo ich stehe, kann kein anderer sein.“ Wenn sich Neonazis aus ganz Europa in Dresden zusammenrotten, „müssen wir lernen, etwas dagegen zu unternehmen“.
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  25. Der blaue „Lauti“ steht immer noch bei der Staatsanwaltschaft. Sie hat den VW-Bus als Tatmittel beschlagnahmt. Er durfte auf keiner Demo fehlen, zu der König und die Junge Gemeinde gefahren sind – von Gorleben bis Heiligendamm und jeden Februar nach Dresden. Ohne „Lauti“ geht es nicht. Es gibt deshalb inzwischen ein Nachfolge-Modell, das jetzt vor dem Justizzentrum in Dresden parkt. Rund 30 Unterstützer stehen von acht Uhr morgens an in der Kälte, reden über den Prozess und hören Musik. Wenn die Verhandlung am 24. April fortgesetzt wird, wollen sie wieder kommen. So lange, bis der von ihnen erhoffte Freispruch verkündet wird.
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