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State of War James Risen

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Jul 22nd, 2018
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  1. James Risen
  2.  
  3. State of War
  4. Die geheime Geschichte der CIA und der Bush Regierung
  5.  
  6. Deutsch von Norbert Juraschitz
  7. Hinweis zu den Quellen 7
  8. Prolog: Die geheime Geschichte 9
  9. 1 »Wer hat denn genehmigt, dass er Schmerzmittel bekommt?« 20
  10. 2 Das Programm 50
  11. 3 Casus Belli 72
  12. 4 Die Suche nach Massenvernichtungswaffen 99
  13. 5 Skeptiker und Eiferer 125
  14. 6 Zwischen Krieg und Frieden 142
  15. 7 Der Verlust von Afghanistan 169
  16. 8 Die verdrängte Realität: Ol, Terrorismus und SaudiArabien 196
  17. 9 Eine Schurkenoperation 215
  18. Nachwort 245
  19. Dank 251
  20. Register 253
  21.  
  22. In letzter Zeit wird immer öfter die Verwendung von anonymen Quellen kritisiert. Doch jeder Journalist weiß, dass man für die besten Geschichten, die brisantesten und vertraulichsten Themen auf anonyme Informanten angewiesen ist. DiesesBuch wäre ohne die Kooperationsbereitschaft vieler derzeitigerund ehemaliger Mitarbeiter der Regierung Bush, derGeheimdienste und anderer Behörden nicht möglich gewesen.Viele von ihnen waren nur unter der Bedingung, dass ihreIdentität nicht enthüllt wird, bereit, mit mir über brisanteoder geheime Angelegenheiten zu sprechen . Prolog Die geheime Geschichte der CIA und der BushRegierung Präsident George W. Bush legte wütend den Hörer auf undbeendete damit kurzerhand ein unerfreuliches Gespräch mitseinem Vater George Herbert Walker Bush, dem ehemaligenPräsidenten der USA.Man schrieb das fahr 2003, und der Streit zwischen dem einundvierzigstenund dem dreiundvierzigsten Präsidenten derVereinigten Staaten bildete den Höhepunkt eines seit längeremschwelenden Konflikts zwischen Vater und Sohn, eines Konflikts,über den sie strengstes Stillschweigen wahrten. Di e ge -nauen Einzelheiten des Gesprächs sind natürlich nur denbeiden Beteiligten bekannt, doch Informanten in hohen Positionenberichten, der Streit habe sich an George H. Bushs Be -fürchtungen hinsichdich der Regierungspolitik seines Sohnesentzündet. Er sei darüber beunruhigt gewesen, dass Bush juniordem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und einemKader neokonservativer Ideologen einen starken Einfluss aufdie US-Außenpolitik vor allem in der Irakkrise zugestehe undRatschläge von gemäßigten Regierungsmitgliedern wi e Außenminister Colin Powell
  23. einfach ignoriere. Mit anderen Worten,George W. Bushs eigener Vater teilte insgeheim einige derBedenken, die Kritiker seines Sohns damals äußerten.Später rief der Präsident seinen Vater noch einmal an undentschuldigte sich dafür, dass er das Gespräch so abrupt beendethatte. Nach Angaben demjenigen, die über den Vorfall Bescheidwissen, kam es nicht zum Bruch zwischen den beiden.Doch der Vorfall macht deutlich, dass die Präsidentschaft von George W. Bush eine radikale Abkehr von der gemäßigtenTradition der amerikanischen Außenpolitik bedeutet, wie sienoch von seinem Vater vertreten wurde. Seit dem ZweitenWeltkrieg waren die Außenpolitik und die nationale Sicherheitder USA Bereiche, in denen die jeweiligen Präsidenten,welcher Partei sie auch angehörten, einem vorsichtigen Pragmatismusfolgten. Bei Entscheidungen über Krieg ode r Friedenerkannten sowohl liberale Demokraten als auch konservativeRepublikaner, dass fiir die USA zu viel auf dem Spiel standund sie daher nicht ihren impulsiven politischen oder ideologischenNeigungen nachgeben durften. Selbst Präsidenten miteiner klaren Vorstellung von Amerikas Platz in der Welt wieetwa Ronald Reagan oder John F. Kennedy handelten äußerstbesonnen, wenn es um Entscheidungen ging, durch die amerikanischeSoldaten in Gefahr geraten konnten. Von den USAerwartete man, dass sie ihre Wut im Zaum hielten.Bush senior war in dieser Tradition aufgewachsen und befürwortetesie als Präsident. Er führte die USA 1991 erst inden Krieg gegen den Irak, nachdem die Truppen Saddam Husseinsim benachbarten Kuwait einmarschiert waren und nichtohne sich zuvor der breiten Unterstützung einer internationalenKoalition zu versichern. Nach der Befreiung Kuwaits (demeinzigen erklärten Ziel des Krieges) stoppte Bush den Vormarschder USTruppen, anstatt sie weiter nach Bagdad ziehenzu lassen, wo sie Saddam hätten stürzen können.George W. Bush wurde gewählt, weil die Wähler annahmen,er würde die Politik seines Vaters fortsetzen. Er verstärktediesen Eindruck mit Wahlkampfaussagen wie der vom Oktober2000, er wolle eine »zurückhaltende« Außenpolitik betreiben:»Wenn wir als arrogante Nation auftreten, wird man unsnicht mögen; wenn wir eine zurückhaltende, aber starke Nationsind, wird man uns willkommen heißen.«Doch nach dem 11. September 2001 brach George W. Bushmit den Traditionen seiner Vorgänger, und diese Entscheidunghatte Konsequenzen, die bis heute wirksam sind. Vor allem ist10 das System der gegenseitigen Kontrolle innerhalb der Exeku -tive der US-Regierung aus dem Gleichgewicht geraten, wasgravierende Folgen hat: unter anderem ein neues Spionageprogrammgegen die Bürger im eigenen
  24. Land, die Entwick -lung Afghanistans zu einem Drogenstaat und Chaos im Irak.Der Nationale Sicherheitsrat im Weißen Haus, der im KaltenKrieg geschaffen wurde, um den enormen Militärapparat, dieGeheimdienste und die Außenpolitik zu koordinieren, ist un -ter Bush nach Aussage vieler Regierungsmitglieder schwachund ineffektiv geworden. Als Nationale Sicherheitsberaterinwährend Bushs erster Amtszeit hatte Condoleezza Ric e zwarein hervorragendes persönliches Verhältnis zum Präsidenten,verfugte aber nur über wenig Macht und Autorität. Meist wurdedie Außenpolitik von kleinen Gruppen an dafür nicht vorgesehenenOrten bestimmt, zu denen auch die Büros des Vizepräsidentenund des Verteidigungsministers gehörten. Ric emusste den Entwicklungen hinterheijagen und berufliche De -mütigungen einstecken, vor allem von Seiten Donald Rumsfelds.Einer ihrer leidgeprüften Berater ist der Ansicht, anderean ihrer Stelle wären zurückgetreten. Doc h ihre Treue wurd ebelohnt, in seiner zweiten Amtszeit ernannte Bush sie zur Au -ßenministerin.In vielen Fällen wurden politische Maßnahmen gar nicht diskutiert.Nach Aussage eines Regierungsmitglieds gab es beispielsweisenie eine Sitzung mit allen ranghohen Beratern desPräsidenten, bei der offiziell über einen Krieg gegen den Irakdebattiert und entschieden wurde. Un d die vielleicht verhängnisvollsteEntscheidung nach der Invasion, der Beschluss desZivilverwalters L. Paul Bremer, die irakische Arme e aufzulö-sen, wurde möglicherweise ohne Absprache mit dem Präsidentengetroffen, zumindest behauptet das ein Informant imWeißen Haus: Präsident George W. Bush habe erst von derEntscheidung erfahren, nachdem sie gefallen sei. De r Be -ll schluss, der höchstwahrscheinlich mit Rumsfeld abgestimmtwar, lief den Empfehlungen einer Planungsgruppe verschiedenerMinisterien unter Vorsitz des Nationalen Sicherheitsrats(NSC) zuwider.Das Fehlen eines effektiven Managements und einer klaren Linieist ein charakteristisches Merkmal von Bushs Außenpolitikund hat dazu geführt, dass radikale Entscheidungen ohnegründliche Prüfung vorschnell umgesetzt wurden.Die Leichtigkeit, mit der die BushAdministration den Widerstandin den staatlichen Organen überwinden konnte, lässt dieSchwäche des militärischen Offizierskorps und der Geheimdienstedes Landes klar zutage treten. Auf sehr unterschiedlicheWeise dienen das Militär und die Central Intelligence Agency(CIA) traditionell als Gravitationskräfte, die den Status quostützen. Unabhängig von Wahlentscheidungen und der aktuellenTagespolitik, scheuen beide Einrichtungen rasche Veränderungenund neigen dazu, die Politik in Richtung einer gemäßigtenMitte zu steuern.Doch unter Bush
  25. schrecken Militär und CIA vor einer Auseinandersetzungmit der Regierung zurück, obwohl in den eigenenReihen Wut und Frustration über die amerikanische Sicherheitspolitikvorherrschen. Besonders augenfällig ist daszahme Gebaren des amerikanischen Offizierskorps. Ein ranghoherRegierungsmitarbeiter hörte bei seinen Besuchen imIrak US-Kommandanten über Probleme klagen, unter anderemüber zu wenige Truppen. Doch bei den Besprechungenund Videokonferenzen mit Bush und Rumsfeld, an denen erteilnahm, brachte keiner der Kommandanten seine Beschwerdenvor. Dieses Schweigen gegenüber den obersten Vorgesetztenermöglichte es dem Weißen Haus, öffentlich zu verkünden,die US-Kommandanten im Irak seien mit den ihnen zurVerfügung stehenden Ressourcen zufrieden, sie hätten nie umVerstärkung gebeten. Keine andere Einrichtung hat in den Jahren seit Bushs erstemWahlsieg so vollständig versagt wie die CIA. Gegen Ende vonBushs erster Amtszeit glich die Behörde einem staatlichenEnron: eine Organisation, deren Bankrott den Ruf nach Re -formen auslöste.Man muss nur etwas mehr als zehn Jahre in der Geschichtezurückgehen, um zu verstehen, warum die CIA in der Zeit vordem Irakkrieg 2003 dem Weißen Haus nur noch Gesprächsstoffstatt unabhängiger und ausgewogener Geheimdienstberichtelieferte. Die Wurzeln der Korruption bei der CIA lassen sichbis zum Ende des Kalten Kriegs zurückverfolgen.Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 endete die ursprünglicheMission der CIA. Sie war 1947 zu einem einzigen Zweckgeschaffen worden: den Sowjet-Kommunismus zu bekämpfen.Für ganze Generationen von CIAOffizieren waren andereAufgaben nebensächlich.Nach dem Kalten Krieg wurde dann Kritik laut, die CIAhabe die Bedrohung durch die Sowjetunion übertrieben dargestellt,und die Frage aufgeworfen, wozu man einen Nachrichtendienstbrauche, der vom Fall der Berliner Mauer überraschtworden sei. Auf der Suche nach einer Friedensdividende nahmendie Regierung Clinton und der Kongress schon bald radikaleStreichungen am CIA-Budget vor. Clinton selbst zeigte sogut wie kein Interesse für die Geheimdienstarbeit. Sein ersterCIA-Direktor James Woolsey fühlte sich derart isoliert vomPräsidenten und der übrigen Regierung, dass er kaum zwei Jahredurchhielt.Während die öffentliche Neubewertung der CIA noch imvollen Gange war, wurde einer ihrer Agenten, AJdrich Arnes,als russischer Spion verhaftet. Seine Enttarnung löste 1994 eineerbitterte Jagd auf Maulwürfe aus, was dem Ansehen derAgency nicht gerade förderlich war. Viele altgediente Mitarbeiterreichten ihren Abschied ein. Bis Mitte der neunzigerJahre kündigte eine ganze Generation von CIAOffizieren(diejenigen, die den
  26. Kalten Krieg gewonnen hatten) oder13 ging in den Ruhestand. Ein CIA-Veteran verglich die Agencymit einer Fluggesellschaft, die all ihre erfahrenen Piloten verlorenhatte.Die kurze, bittere Amtszeit von CIADirektor John M.Deutch beschleunigte den Niedergang. Als Deutch 1995 zurCIA kam, machte er kein Geheimnis daraus, dass er den Posteneigentlich gar nicht wollte und ihn nur angenommen hatte, weiler hoffte, Clinton würde ihn dafür später zum Verteidigungsministerernennen. Unfähig, seine Abneigung gegen die CIAzu verbergen, stieß Deutch schon bald eine wesentliche Abteilungder CIA vor den Kopf: das für die Planung und Durchführungverdeckter Aktionen zuständige Directorate of Operations(DO). Seine Entscheidung, ranghohe Offiziere wegeneines Skandals in Guatemala zu entlassen, könnte man als üblicheManagementpraktik betrachten, wenn sie nicht eine offeneRebellion im DO ausgelöst hätte, von der sich Deutch nie wiederrichtig erholte. Die Moral sank auf einen neuen Tiefpunkt,und die CIA war regelrecht gelähmt, weil sie aus Furcht vor politischenSkandalen jede riskante Operation mied. Doch ohneRisikobereitschaft war die CIA auch nicht in der Lage, Agentenund Mitarbeiter in Krisengebieten wie dem Irak anzuwerben.Gleichzeitig versuchte die CIA, ihre Daseinsberechtigungnach dem Ende des Kalten Krieges dadurch zu beweisen, dasssie neue Aufgaben übernahm. So kümmert e sie sich um dieverbotene Weitergabe von Atomwaffen, um den Terrorismusund den internationalen Drogenhandel. Es gab neue »Schurkenstaaten«,die man im Auge behalten musste: Nordkorea,Irak und Iran, und regionale Konflikte wie im ehemaligen Jugoslawien,die es einzudämmen galt. James Woolsey, CIAChefvon 1993 bis 1995, sagte gern, die CIA habe vierzig Jahrelang gegen einen Drachen gekämpft und müsse es nun mitmehreren Giftschlangen aufnehmen; statt einer großen Bedrohunggebe es mehrere kleinere. Doch diese Aufgaben mussteman gleichzeitig bewältigen, und schon bald zeigte sich, dassdie CIA im Multitasking nicht besonders gut war. In Ermangelung einer vorrangigen Mission wie der Auseinandersetzungmit der Sowjetunion verlagerte die CI A-Führungihre Ressourcen von einem Ziel zum anderen, je nachInteresse und sogar Laune der jeweiligen Regierung. So wurdedank Vizepräsident Al Gore sogar der globale Umweltschutzauf die Prioritätenliste der CIA gesetzt.Aufgrund der wachsenden Zahl von Fernsehsendern undspäter durch das Internet stieg allgemein der Druck auf die Politik,auf aktuelle Krisen sofort zu reagieren. Und die Politikgab den Druck an die CIA weiter. Manchmal wechselten dieLaunen täglich. Langfristige Recherchen und eingehendeAnalysen litten darunter, dass sich
  27. Abteilungsleiter und Analytikerder CIA auf einen Wettlauf mit der Zeit einließen undversuchten, im täglichen Bericht an den Präsidenten, dem President^Daily Brief (PDB), die aktuellsten nachrichtendienstlichenErkenntnisse unterzubringen. Um beruflich vorwärtszu kommen, mussten die Analytiker lernen, möglichst schnellmöglichst kurze Berichte zu verfassen, die die Neugierde derwichtigsten Entscheidungsträger weckten. Infolgedessen nahmensie sich immer weniger Zeit, grundlegende Annahmenin Frage zu stellen und zu überprüfen. Sie verwandelten sichin die Geheimdienstvenion eines Fernsehreporters.»Wenn ich ein einziges Problem als Ursache dafür nennenmüsste, warum wir im Nachrichtendienst so schlechte Arbeitleisten, würde ich mich ausschließlich auf die aktuelle Berichterstattungkonzentrieren«, bemerkte Carl Ford, ein ehemaligerCIA-Analytiker und früherer Leiter des Bureau of Intelligenceand Research im Außenministerium, das mit der Analyse vonDaten für das Ministerium betraut ist. In den siebziger Jahren,fugte Ford hinzu, seien siebzig bis achtzig Prozent der CIAMitarbeitermit Grundaufklärung zu den wichtigsten Themenbeschäftigt gewesen; heute machten neunzig Prozent der Analytikernichts anderes, als sich um aktuelle Berichte zu kümmern.»Die heutigen Analytiker sichten die eintreffendennachrichtendienstlichen Informationen und schreiben dann, was sie darüber denken. Sie verfügen jedoch über kein tieferesWissen, um zu erkennen, ob die Nachricht überhaupt korrektist. Es gibt nur noch sehr wenige beim Geheimdienst, die wissen,wie man Grundaufklärung betreibt.«in diese schwierige Situation platzte George Tenet, als er 1997eher ungeplant Deutchs Nachfolger wurde. Nach dessenRücktritt Ende 1996 fiel Clintons Wahl zuerst auf Tony Lakeder während seiner ersten Amtszeit sein Nationaler Sicherheitsberatergewesen war. Doch Lakes Nominierung löste imvon den Republikanern dominierten Senat Unmut aus, ergalt als zu liberal und Clinton zu nahe stehend. NachdemLake verzichtet hatte, wandte sich Clinton in Ermangelungeiner Alternative an Tenet. Er war seit 1995 Deutchs Stellvertretergewesen und die drei Jahre zuvor persönlicher BeraterBill Clintons. Davor wiederum hatte er in führenden Positionenin den Senatsausschüssen für Abrüstung und Geheimdienstegearbeitet, und jene Zeit war in den Augen ClintonsTenets größter Pluspunkt: Er war mehrheitsfähig.Tenet hatte sich fest vorgenommen, die Fehler seiner Vorgängernicht zu wiederholen. Woolsey war gescheitert, weiler keine Beziehung zum Präsidenten hatte; Deutch war gescheitert,weil er das Directorate of Operations vor den Kopfgestoßen
  28. hatte. Tenet machte sich nun daran, das Oval Officeund das Directorate of Operations zu hofieren.In vielerlei Hinsicht war Tenet ein guter CIAChef für Friedenszeiten.Er arbeitete hart daran, den Kampfgeist der CIA zustärken, während er gleichzeitig den Kongress und das WeißeHaus zu bewegen versuchte, das CIA-Budget zu erhöhen. Ermachte der vergifteten Atmosphäre der Deutch-Jahre einEnde und erntete großes Lob dafür, dass er eine Legende desKalten Krieges, Jack G. Downing, dazu brachte, das DO zu leiten,eine Maßnahme im Zuge des Versuchs, es wieder zu seinenWurzeln der Spionage zurückzuführen.Doch wie ein ehemaliger CIAOffizier so schön sagte: Tenet16 war zwar ein großartiger Cheerleader, aber keine Führungspersönlichkeit:gut im Anfeuern, aber nicht im Anfuhren. Ersorgte zwar für eine Erhöhung des Budgets und eine Stärkungdes Kampfgeistes, doch die Strukturschwächen der amerikanischenGeheimdienstarbeit ließ er unangetastet. Das Versäumnis,sich in Friedenszeiten um die heiklen Organisationsproblemezu kümmern, sollte auf Tenet zurückfallen, als eineneue Regierung mit einem härteren außenpolitischen Kursund deutlich größerem Interesse an der Geheimdienstarbeitan die Macht kam.Rückblickend sind selbst Bewunderer von Tenet der Ansicht,er hätte nach dem Ende von Clintons Amtszeit zurücktretensollen. Sein Ruf wäre dann unbeschädigt geblieben, derMakel der Anschläge vom 11. September und der vergeblichenSuche nach irakischen Massenvernichtungswaffen hätte ihmnicht angehaftet. Er wäre als der Mann in Erinnerung geblieben,der die Wende bei der CIA einleitete. Vielleicht hätte mansich auch an Tenets erfrischende Offenheit erinnert, die er vorallem zu Beginn seiner Zeit bei der CIA an den Tag legte, auchwenn er damit manchmal seine Karriere aufs Spiel setzte.Als Präsident Clinton zum Beispiel überlegte, das Urteil gegenden israelischen Spion Jonathan Pollard zu mildern, umdamit Zugeständnisse der Israelis bei den Nahostfriedensverhandlungenzu erreichen, sagte Tenet dem Präsidenten, erwerde zurücktreten, wenn man Pollard freiließe. Clinton gabnach. Im Mai 1998, als die CIA vom indischen Atombombentestüberrascht wurde, musste Tenet die Konsequenzen für daserste größere Versäumnis des Geheimdienstes unter seiner Leitungtragen. Sobald die Nachricht bekannt wurde, telefonierteTenet mit Senator Richard C. Shelby, einem gewitzten Republikaneraus Alabama, der Vorsitzender des Senatsausschussesfür Geheimdienste war.»George, was ist passiert?«, fragte Shelby.»Senator«, antwortete Tenet, »wir hatten keine Ahnung.«Tenets unverblümte Antwort beunruhigte Shelby sehr. Spä-17 ter sagte der Senator, dieses Gespräch habe Zweifel in ihm geweckt,ob Tenet
  29. der geeignete Mann für die Führung der CIAsei. Shelby zählte später zu Tenets heftigsten Kritikern.Tenets Kommentar war auf peinliche Weise ehrlich. In späteren Jahren wären äußerungen wie »Wir hatten keine Ahnung«vielleicht angebracht gewesen und Tenet zugute gekommen. Mittlerweile ist der islamische Terrorismus im Irak, in Afghanistan,Europa, im Nahen Osten und in Südostasien zu einertödlichen Bedrohung geworden. Die grundlegende politischeFrage, die man Washington stellen muss, ist, ob die Politik vonPräsident Bush diesem Terrorismus Auftrieb gegeben hat.Schließlich versäumte es Bush, AlQaida den Todesstoß zuversetzen, als er die Gelegenheit dazu hatte, und vertiefte mitseiner Irakpolitik die Kluft zwischen den USA und der sunnitisch-arabischenWelt. Uns allen ist schmerzlich klar geworden,dass die Zahl der jungen Muslime, die bereit sind, sich einenSprengstoffgürtel umzubinden, schneller wächst als die Fähigkeitder USA und ihrer Verbündeten, diese Attentäter zu fassen.Manchmal hat man den Eindruck, als kämpfte die RegierungBush gegen die Geburtenrate der gesamten arabischenWelt an.Bushs Anhänger verweisen nicht ganz zu Unrecht auf eineneue Sehnsucht nach demokratischen Reformen, die im NahenOsten zu spüren ist. Sicher muss man Präsident Bush dasVerdienst zusprechen, die Verbreitung der Demokratie zumHerzstück seiner Agenda gemacht zu haben. Vielleicht wirdder ehrgeizige Traum des Präsidenten eines Tages wahr - vielleichtwird sich der Irakkrieg als das Ereignis erweisen, mitdem die jahrzehntelange politische Stagnation in der arabischenWelt aufbrach. Und vielleicht wird das zu besseren israelisch-arabischenBeziehungen fuhren und ein Gefühl der Hoffnungwecken, das Extremismus und Terror standhalten kann. Tatsächlich ist Bush aber mit seiner Politik in der arabischenWelt ein enormes Risiko eingegangen ein Risiko, dm innenkanische Soldaten mit dem Lebern bezahlen, und nicht nur sie,Bush setzt darauf, dass der allgemeine Wunsch nach Demokratie, der durch den Sturz von Saddam I iussein geweckt wurde,stärker ist als der wachsende islamistische Extremismus, der allerdingsdurch den Einmarsch der Amerikaner in den Irak heftigangeheizt wurde. Bush hat so viele rivalisierende Kräfte imNahen Osten entfesselt, dass niemand den Ausgang vorhersehenkann.Diese Fragen werden wahrscheinlich noch viele Jahre unbeantwortetbleiben, und so lange sollte man wohl auch mit einerendgültigen Beurteilung des Präsidenten George W. Bush warten.Allerdings rücken einige kurzfristigere Auswirkungen seinerPräsidentschaft bereits jetzt ins Blickfeld.Unter dem weiten Bogen der globalen Ereignisse verbirgtsich eine geheime Geschichte der
  30. Regierung Bush und ihresUmgangs mit den amerikanischen Geheimdiensten seit dem11. September, und diese Geschichte, in der Moral eine wichtigeRolle spielt, zeigt, dass die meisten verdeckten Instrumenteder amerikanischen nationalen Sicherheitspolitik missbrauchtwurden. Sie handelt unter anderem von wild wuchernderSpionage im eigenen Land, von Amtsanmaßung und ungeheuerlichenOperationen. Es ist eine Geschichte, die man erst jetztzu erzählen beginnen kann. 1 Wer hat denn genehmigt,dass er Schmerzmittel bekommt?
  31. «Bis zum Frühjahr 2002 hatte sich zwischen George Tenet undGeorge W. Bush ein außerordentlich enges und kompliziertesVerhältnis entwickelt, ein Verhältnis, das vielleicht einer echtenFreundschaft recht nahe kam. Es war eine Beziehung, um diesich Tenet anfangs sehr engagiert bewarb, doch die ungleicheMachtverteilung zwischen den beiden Männern bedeutetezwangsläufig, dass am Ende Tenet als der Verführte dastand.Bush fand in Tenet nicht nur einen guten Kumpel (Tenet ist einechter Experte, was CollegeBasketball angeht, und ein erklärterFan der Mannschaft der Georgetown University, seinerAlma mater), sondern auch einen cleveren griechisch-stämmigenJungen aus Queens, ein Kind der Straße, das nicht langeum den heißen Brei herumredete. Dieses Image wurde nochdurch Tenets unangenehme Angewohnheit befördert, beimSprechen eine abgeschnittene Zigarre im Mundwinkel hinundherzuschieben. Tenet traf den richtigen Ton bei einemPräsidenten, der einmal Miteigentümer der BaseballmannschaftTexas Rangers war und große Freude an scherzhaftemGeplänkel hat. Der Präsident schätzt eine klare Sprache überalles, und Tenet tat ihm den Gefallen. Im Gegensatz zu Bushwar er übergewichtig und in schlechter körperlicher Verfassung,schon in jungen Jahren unter Clinton hatte er Herzprobleme.Dennoch war Tenet hart im Nehmen, trainierte undspielte PickupBasketball mit anderen CIAMitarbeitern, einEinsatz, der dem Fitness-Freak Bush imponieren musste.20 Aufgrund seiner Erfahrungen im Senat und im WeißenHaus verstand Tenet es meisterhaft, Beziehungen zu älterenund mächtigeren Männern zu pflegen. Wer Mittel und Wegefand, einen mächtigen Mann für sich zu gewinnen, dem warin der Treibhauskultur auf dem Kapitolshügel der Weg zumErfolg geebnet. Tenet hatte seinen griechischen Sinn für dieBedeutung von Beziehungen mit nach Washington gebracht.Ihm gelang es immer, die große Politik in eine Reihe kleinererpersönlicher Transaktionen zu zerlegen.Allerdings zweifelten auch einige von Tenets
  32. engsten Mitarbeiterndaran, ob seine Fähigkeit, die Mächtigen für sich einzunehmen,langfristig wirklich gut war. Sie befürchteten, dieseEigenschaft würde sich irgendwann abnutzen. Gegen Endevon Clintons Amtszeit war Tenet bei den CIA-Mitarbeiternsehr beliebt; er galt als der Mann, der sie aus der Orientierungslosigkeitder trüben Deutch-Jabre geführt hatte. Auch bei einigenSpitzenkräften weckte Tenet tiefe Loyalität. Doch mit derZeit lernten zumindest einige seiner Mitarbeiter bei der CIAund im Weißen Haus noch eine andere Seite an ihm kennen.In der öffendichkeit gab er sich als ehrlicher Makler der Geheimdienstarbeitaus; privat galt er jedoch als jemand, der denLeuten nach dem Mund redete. Zumindest ein paar Insider beider CIA und im Weißen Haus mussten feststellen, dass es sehrschwierig war, ihn auf eine Haltung festzunageln. Tenet erschiendiesen Insidern extrem anpassungsfähig. Von einem Politikerwurde das zwar erwartet, bei einem Mann, der die amerikanischeGeheimdienstarbeit leitete, war das jedoch eherbeunruhigend.Einige Berater von Tenet waren überzeugt, dass der CIAChefbei einem Wahlsieg Al Gores nicht in die neue Regie -rung übernommen werden würde. Aber Al Gore verlor dieWahl, und nun musste Tenet, um seinen Posten zu behalten,bei einem anderen Mann einen guten ersten Eindruck hinterlassen,bei George W. Bush - und mit ihm hatte Tenet leichtesSpiel. Es war für ihn nicht schwieriger, mit Bush zurechtzukommen, als mit seinen früheren Vorgesetzten Senator DavidBoren, Tony Lake oder John Deutch. Zuerst musste er herausfinden,was seine Chefs wollten, und dann dafür sorgen, dass erselbst deijenige war, von dem sie das Gewünschte bekamen.Langjährige Beobachter von Tenet wussten: Wenn er genügend Zeit mit Bush allein verbrachte, würde er ihn für sich einnehmen.Bei der CIA machte schon bald die Bemerkung dieRunde, Tenet sei der »Führungsoffizier« des neuen Präsidenten,was ein großes Kompliment ist. Bush gab Tenet sogar einenInsider-Spitznamen (»Jorge«), ein Zeichen, dass der raubeinige,aber umgängliche CIADirektor im Weißen Hausunter Bush akzeptiert war.Dennoch überlebte Tenet nur knapp den Wechsel von Clintonzu Bush, der ihn fast hätte fallen lassen. Er behielt ihn nurim Amt, weil Bush senior ihn in letzter Minute dazu drängteund weil es keinen anderen nahe liegenden Kandidaten fürden Posten gab. Das Team, das den bergang regelte und diePosten vergab, hatte zuerst an Donald Rumsfeld als neuenCIA-Chef gedacht. Als Dick Cheneys Mentor in den Tagenvon Nixon und Ford hatte Rumsfeld in letzter Zeit zwei Ausschüssegeleitet - der eine befasste sich mit der Bedrohungdurch Raketenangriffe, der andere
  33. mit der militärischen undgeheimdienstlichen Nutzung des Weltalls. Beide Ausschüssewaren in den neunziger Jahren auch daran beteiligt gewesen,die Arbeit der Geheimdienste zu überprüfen. Rumsfeld zogaus seiner Arbeit in den Ausschüssen den Schluss, dass dieCIA am Ende war, und schien fasziniert von der Idee, den Geheimdienstzu reformieren.Doch stattdessen eröffneten sich Rumsfeld neue Möglichkeitenim Pentagon. Nach einem persönlichen Gespräch mitdem ehemaligen Senator Dan Coats aus Indiana war Bush vondem bislang aussichtsreichsten Kandidaten für den Posten desVerteidigungsministers nicht mehr sonderlich angetan. Plötzlichfanden sowohl Cheney als auch Rumsfeld die Idee attraktiv,dass Rumsfeld, ein eigenwilliger Mann, der selbst wenigü Zweifel an seinen Führungsqualitäten hatte, wieder das Amtübernahm, das er schon einmal in den siebziger Jahren fürkurze Zeit unter Präsident Ford innegehabt hatte. Einige Mitarbeiterder Regierung Bush glaubten, Cheney wolle einenstarken Rumsfeld im Pentagon als Gegengewicht zu demkünftigen Außenminister Colin Powell. Richard Armitage,ein enger Freund Powells, war als Nummer zwei von DanCoats im Verteidigungsministerium vorgeschlagen worden,und die Vorstellung von Powell im Außen-und Armitage imVerteidigungsministerium schien Cheney zu beunruhigen; erfürchtete, Powe! und sein Lager könnten die ganze Regierungbeeinflussen. Armitage wurde schließlich stellvertretenderAußenminister unter Powell.Doch wenn Rumsfeld ins Pentagon ging, blieb die Besetzungdes CIADirektors weiterhin in der Schwebe. Tenets Stelle warnach Rumsfelds Ausscheiden als Kandidat noch keineswegsgesichert. Das lag unter anderem auch an dem Mann, der sichin Bushs Team zur Regelung des bergangs um den BereichGeheimdienste kümmerte. Richard Häver war ein ehemaligerGeheimdienstoffizier der Marine mit starken republikanischenBindungen, er hatte in der Regierung von Bush senior alsCheneys Geheimdienstberater im Pentagon gearbeitet. Er warkein Freund von George Tenet. In der bergangsphase machteHäver Cheney deutlich, dass die neue Regierung Tenet loswerdenmüsse. Häver hatte sich einen guten Ruf bei einigender riskantesten Geheimdienstoperationen der Navy im KaltenKrieg erworben, vor allem durch einen Einsatz, bei demmit Hilfe von U-Booten die Kommunikationslinien der sowjetischenMarine angezapft wurden. Er war einer der führendenKritiker Tenets und der Kultur der Risikovermeidung,die seiner Meinung nach seit dem Ende des Kalten Krieges inder CIA grassierte. Häver hielt Tenet als CIAChef für zuschwach und zu politisch.Für Häver verkörperte Tenet den nutzlosen und fehIgeleite-23 ten Ansatz der Regierung Clinton zur Gestaltung der
  34. nationalenSicherheit. Andere führende Republikaner teilten dieseMeinung. Senator Shelby, ein Republikaner aus Alabama unddamals Vorsitzender des Senatsausschusses für Geheimdienste,kritisierte Tenet immer wieder schonungslos in der öffentlichkeitund fragte sich, warum Bush es überhaupt in Erwägungzog, den CIADirektor zu behalten. Doch Bush bat Shelby indieser Angelegenheit nie um Rat.Verschiedene CIAMitarbeiter glaubten, Häver sei nicht geradeein unparteiischer Beobachter und interessiere sich selbstfür die Stelle. Diese Aussicht fürchteten viele von ihnen, daHävers Missfallen an der CIA allgemein bekannt war und weitüber seine persönliche Abneigung gegen George Tenet hinausging.Als einen Mann, der mit der CIA-Kultur nicht vertrautwar, hatte man Häver beauftragt, die Untersuchung imSpionagefall Aldrich Arnes zu leiten und den entstandenenSchaden zu beurteilen. Häver hatte niemanden geschont undbeißende Kritik daran geübt, wie die CIA Arnes in den neunJahren vor seiner Verhaftung als sowjetischer Maulwurf 1994freie Hand gelassen hatte.Als Häver Cheney riet, Tenet fallen zu lassen, tat er das mitdem Argument, Tenet sei als CIADirektor von Clinton ignoriertworden, einen solchen CIA-Che f könne die RegierungBush nicht übernehmen. Cheney stellte seine Einschätzungnicht in Frage, aber er sagte Häver, die Entscheidung liegenicht bei ihm. Letztendlich entschied der zukünftige Präsident,und der besprach die Angelegenheit mit seinem Vater.Mittlerweile scheint es offenkundig, dass George H. W. Bushdie Stelle von George Tenet rettete. Er riet seinem Sohn, dieCIA aus dem politischen Wirbel herauszuhalten, die Stelle desCIA-Direktors solle nicht jedes Mal wechseln, wenn eine neueRegierung an die Macht komme . Bush senior hatte die CIAein Jahr lang vor Fords Niederlage bei den Wahlen 1976 geleitet.Er hatte damals Jimmy Carter gebeten, ihn auch unter derneuen Regierung als CIADirektor zu behalten. Doch Carterhatte den Vorschlag abgelehnt und Bush durch einen eigenenMann, Stansfield Turner, ersetzt - eine alte Geschichte, dieBush senior immer noch wurmte. Er hielt es für wichtig zuzeigen, dass die CIA frei von Politik war. Und das bedeutete,an Tenet festzuhalten.»Ich glaube, es war der Vater«, sagte ein ehemaliger AssistentTenets in Bezug auf die Rolle von George H. W. Bush. »Ichhabe gehört, dass Bush mit seinem Vater sprach, und sein Vatersagte ihm, er habe genug andere Dinge, um die er sich sorgenmüsse, deswegen könne er ihn [Tenet] eine Weile übernehmen,das hätte Carter seiner Meinung nach auch für ihn tunsollen aber ich glaube nicht, dass er daran dachte, ihn ewigzu behalten.«Natürlich kam Tenet auch zugute, dass er sich in den letztenJahren beim älteren Bush eingeschmeichelt hatte,
  35. vielleicht,weil er die Wiedereinsetzung der Familie vorausahnte. Er hattebei der Zeremonie, bei der das CIAHauptquartier 1999 inGeorge Bush Center for Intelligence umbenannt wurde, denVorsitz geführt. Später im Jahr hatte er dafür gesorgt, dass dieCIA eine Konferenz zur Geschichte des Kalten Krieges in derGeorge Bush Presidential Library finanziell unterstützte, zu derRedner aus der ersten Regierung Bush eingeladen waren. Etwasunauffälliger hatte er gegen Ende der Regierung Clintonmehrere geheime Informationsgespräche für den ehemaligenPräsidenten arrangiert, darunter auch einige in Bushs HeimatstadtHouston. Ehemalige Präsidenten haben ein Anrecht aufderartige CIA-Gespräche, allerdings fragten sich einige CIAInsider,ob die Informationen, die Bush senior erhielt, nichtvielleicht über den üblichen Rahmen hinausgingen.Auch Tenets Verbündete setzten sich für ihn ein. Sein wichtigsterFürsprecher war David Boren. Der Präsident der Universitätvon Oklahoma hatte als demokratischer Senator denSenatsausschuss für Geheimdienste geleitet, als auch Tenetdort in leitender Position tätig gewesen war. Wie die beidenBushs hatte Boren in Yale studiert (Abschlussjahrgang 1963) und war Mitglied bei den Skull and Bones gewesen, dem Elitegeheimbund,dem sich auch George W. Bush (Abschluss 1968)einige Jahre später anschloss. Nach Aussage anderer FreundeTenets empfahl Boren seinen Schützling dem angehenden Präsidenten.Eli Jacobs, ein Investmentbanker in New York, ehemaligerFinanzier des Baseballteams Baltimore Orioles und außerdemeine Art hochrangiges CIA-Groupie, war eng mit Tenet befreundetund kannte außerdem die Familie Bush. Bei einemFrühstück im Dezember 1999 versuchte Jacobs den Gouverneurvon Texas davon zu überzeugen, dass er und Tenet vielgemeinsam hätten, sie würden die gleiche Sprache sprechen,die gleichen Flüche benutzen und gut miteinander auskommen,wenn Bush Tenet eine Chance gäbe.In der Ubergangsphase verliefen Tenets persönliche Informationsgesprächeüber die Geheimdienstarbeit mit dem zukünftigenPräsidenten gut, und Bush junior schien beeindruckt.Schließlich bat Bush nach einem Gespräch MitteJanuar 2001 kurz vor seiner Amtseinführung alle Anwesendenaußer Tenet, den Raum zu verlassen. Dann teilte er Tenet mit,er wolle ihn weiterhin an der Spitze der CIA halten, zumindestfür eine Weile. Später, wenn sich ihre Beziehung entwickelthabe, würde er endgültig darüber entscheiden. Er hoffe, daswerde funktionieren, fügte er hinzu.Im Team, das den Ubergang vorbereitete, wurde die Entscheidungals Rückschlag für Cheney und seine Anhänger interpretiert.Einige Tage später begegnete
  36. Häver Eli Jacobs inWashington und gestand seine Niederlage ein. »Glückwunsch,Ihre Truppe hat gewonnen.« Anstatt CIADirektor wurde Hä-ver nun Rumsfelds oberster Geheimdienstberater und erhieltdamit den gleichen Posten, den er schon unter Cheney einJahrzehnt zuvor innegehabt hatte. Hävers Anwesenheit imBüro des Verteidigungsministers ließ nichts Gutes für die zukünftigenBeziehungen zwischen Pentagon und CIA ahnen. Als Bush beschloss, Tenet zu behalten, gab er seine Entscheidungso beiläufig wie möglich bekannt. Vier Tage vor derAmtseinführung des Präsidenten gab Ari Fleischer, der Sprecherfür die Ubergangszeit, der später Pressesprecher des Wei-ßen Hauses wurde, bekannt, dass CIADirektor Tenet gebetenworden sei, für eine nicht näher bestimmte Zeitspanne im Amtzu bleiben. Bush selbst äußerte sich nicht dazu. Es war klar, dassTenet vom Weißen Haus geduldet wurde und jederzeit entlassenwerden konnte.Tenet machte rasch das Beste aus der Situation. Bush beschloss,die tägliche Informationsbesprechung über die Geheimdienstarbeitwieder aufzunehmen, die Clinton abgeschaffthatte, und auf Bushs Drängen nahm Tenet selbst jedenTag daran teü. Das war ein bedeutender Bruch mit der Tradition;die CIAChefs der Vergangenheit hatten ihre Analytikerdie Besprechungen leiten lassen. Noch niemals hatte sich einCIA-Chef jeden Morgen mit dem Präsidenten getroffen, umüber die Geheimdienstarbeit zu sprechen. Clinton hatte zumBeispiel einfach den täglichen CIABericht gelesen. Doc h un -ter Bush ging Tenet jeden Morgen ins Weiße Haus, begleitetvon einem Analytiker, der dem Präsidenten über die aktuellenEreignisse Bericht erstattete. Dann unterhielt sich Tenet mitBush persönlich über besonders heikle Probleme.Tenet schätzte die Stunden mit Bush sehr, und sie zahltensich auch schon bald aus. Nicht lange nach Beginn seinerAmtszeit teilte Bush Tenet mit, er wolle ihn auf diesem Postenbehalten. »Machen wir so weiter«, soll Bush Tenet vorgeschlagenhaben. »Es funktioniert.« Tenets engste und loyalste An -hänger prahlten schon bald, er habe in wenigen Monate nmehr Zeit mit Bush verbracht als mit Clinton während dessengesamter Regierungszeit.Tenet blieb also, obwohl es Anzeichen dafür gab, dass dieneue Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Ric e ihmgegenüber sehr zurückhaltend war, ähnlich wie auch einigeMitglieder von Clintons Nationalem Sicherheitsrat misstrau-27 28isch gegenüber Tenet gewesen waren, Rice, so hieß es, habeein Gespür für »faule liier«, was laut ihrem ehemaligen As«*,teilten bedeutete, dass sie Tenet wachsam im Auge behielt. Andererseitsvermuteten einige Anhänger Tenets, dass Rice ihmdie vielen persönlichen Gespräche mit Bush neidete; sie wolltediejenige sein,
  37. die über den Zugang zum Präsidenten bestimmte.Deutlich später, aber immer noch während Bushserster Amtszeit, wurde die Abneigung offenkundig, doch zudiesem Zeitpunkt war bereits klar, dass sie auf Gegenseitigkeitberuhte. Tenet und mit ihm viele CIAMitarbeiter glaubten,dass Rice nicht als ehrliche Mittlerin zwischen der CI A unddem Präsidenten auftrat.Die Anschläge vom 11. September und ihre Folgen verliehender Partnerschaft zwischen Bush und Tenet eine neue Dimensionund schweißten die beiden zusammen. Nach den Anschlägenwar Bush auf Tenet angewiesen, weil dieser als Einzigerim inneren Kreis überhaupt etwas über Osama Bin Ladenund AlQaida wusste, vor allem, nachdem der »Antiterrorzar«Richard A. Clarke ausmanövriert worden war.Das amerikanische Militär wusste so gut wie nichts über Afghanistanund war auf einen Krieg dort nicht vorbereitet. (DieLuftwaffe verfugte nicht einmal über aktuelles Kartenmaterialfür die Piloten, die in ihrer Verzweiflung zu alten russischenKarten griffen, um ihre Einsätze zu planen.) Die CIA dagegenkonnte in Afghanistan auf eine lange Geschichte zurückblicken,die bis zu den verdeckten Maßnahmen zur Unterstützungder afghanischen Rebellen gegen die Rote Armee inden achtziger Jahren reichte. In den Jahren vor dem 11. September2001 hatten CIA-Agenten wieder Kontakt zu einem altenMudschahed aufgenommen, zu Ahmed Massud, dem Anführerder Nordallianz, die gegen die Taliban kämpfte. Vordem 11. September hatte die CIA Massud vergeblich zu überredenversucht, ihr bei der Ergreifung Bin Ladens zu helfen.Die CIA verfugte auch über bezahlte Informanten in verschiedenen Stämmen im südöstlichen Afghanistan, die Bin LadensAufenthaltsorte weitergegeben hatten. Zwei Tage vor dem11. September fiel Massud einem (wohl von Bin Laden gesteuerten)Selbstmordattentat zum Opfer, doch die CIA hattetrotzdem noch genügend Kontakte, um im Herbst den Kampfgegen AlQaida und die Taliban in Afghanistan aufzunehmen.Rumsfeld, der gern alle Fäden in der Hand hatte, war es sehrpeinlich, dass die CIA noch vor dem amerikanischen Militärvor Ort war und die Special Forces bei ihrer Ankunft in Empfangnehmen konnte.In den chaotischen Tagen und Wochen nach den Anschlägen wich Tenet nicht von der Seite des Präsidenten. Dass ihreBeziehung eigentlich vorübergehend sein sollte, schien vergessen.Bush verteidigte Tenet auch, als Fragen zur Arbeit der CIAvor dem 11. September aufkamen. Der Präsident ließ die Kritikan der CIA an sich abprallen und weigerte sich, über eine0 0Endassung Tenets nachzudenken, als man sich in der öffentlichkeitallmählich fragte, warum niemand für den 11. Septemberden Kopf hinhalten musste. »George und ich haben
  38. vielwertvolle Zeit miteinander verbracht«, sagte Bush Ende September2001 vor CIAMitarbeitern, wie die Washington Timesam nächsten Tag meldete. »Dafür gibt es einen Grund. Ich setzegroßes Vertrauen in ihn, und ich setze großes Vertrauen indie CIA.«Privat ging Tenet in jenem Herbst und Winter schnell in dieDefensive, wenn es um den Umgang der CIA mit Terrorismusund AlQaida vor dem 11. September ging. Er stritt Fehler imHinblick auf den 11. September ab. Immerhin stand er der CIAvor, seit AlQaida in den neunziger Jahren zu einem größerenProblem für die USA geworden war. Deshalb fühlte er sich beiKritik sofort persönlich angegriffen. Er und seine Assistentenbeharrten darauf, sie hätten ausreichend davor gewarnt, dassAl-Qaida einen größeren Anschlag plane, mehr könne mannicht erwarten. Sobald sich die Terroristen in den USA aufgehalten hätten, betonten Tenet und seine Leute gern, seien sieSache des FBI gewesen. »Für Amerika sind wir nicht zuständig«,hieß es in der Chefetage des CIAHauptquartiers. Tenetund seine Berater wollten die Parallelen zwischen dem11; September und dem Desaster von Pearl Harbor nicht wahrhaben,das dazu geführt hatte, dass der Oberbefehlshaber deramerikanischen Pazifikflotte seinen Hut nehmen musste. Siewaren deswegen zunehmend verärgert, als einige führendeKongressabgeordnete auf eine Untersuchung der Geheimdienstarbeitvor dem 11. September drängten.Tenet wäre mit seiner geduckten Haltung niemals durchgekommen,wenn ihm Bush nicht den Rücken gestärkt hätte.Nun stand Tenet doppelt in Bushs Schuld: zum einen, weilder Präsident ihn nach der Wahl als CIADirektor behaltenhatte, und zum anderen, weil er ihn nach dem 11. Septemberin Schutz nahm. Zu Beginn des Jahres 2002 war Tenets Schicksaleng mit dem des Präsidenten verknüpft. In dieser Zeit wardie Freundschaft zwischen den beiden besonders herzlich. DasGefühl, eine schwere Prüfung durchgemacht zu haben, war ihnennoch frisch im Gedächtnis und wurde noch nicht durchSpannungen wegen der Geheimdienstarbeit im Irak getrübt.»George Tenet stand dem Präsidenten zu nahe«, räumte späterein ranghoher CIAOffizier ein. »Man sollte nicht mit demPräsidenten befreundet sein.« In dieser Zeit war George Tenetbereit, sehr viel für George W. Bush zu tun.Ende März 2002 erfuhr die National Security Agency aus abgehörtenGesprächen, dass sich Abu Subaida, ein wichtiger VertrauterOsama Bin Ladens, in Faisalabad südwestlich von Lahorein Pakistan versteckte. Wie die meisten Mitglieder derAl-Qaida-Führung war Subaida nach dem Sturz des TalibanRegimesaus Afghanistan geflohen. Einige ranghohe Al-QaidaMitgliederhatten sich Richtung Westen in den Iran durchgeschlagen,doch die meisten, darunter
  39. Osama Bin Laden,waren in den Süden nach Pakistan geflüchtet. Bin Laden und30 sein Stellvertreter Ayman al-Zawahiri fanden in einer abgelegenenGebirgsregion im afghanischpakistanischen GrenzgebietZuflucht, andere wie Subaida versteckten sich in den Städten,wo sie später leichter vom amerikanischen Geheimdienstaufgespürt werden konnten.Die Information über Subaidas Aufenthaltsort war präzisegenug, um mehrere nächtliche Hausdurchsuchungen bei mutmaßlichenExtremisten in Faisalabad durchzuführen, an denenCIA, FBI und die pakistanischen Sicherheitskräfte beteiligtwaren. In einem Haus kam es zu einer Schießerei, als ein Verdächtigerzu flüchten versuchte. Ein Mann erlitt mehrereSchussverletzungen, als er versuchte, über das Dach zu fliehen.Die Pakistanis legten dem Verwundeten Handschellen an undwarfen ihn zusammen mit mehreren anderen Gefangenen aufdie Ladefläche eines Pickups. Erst als ein FBI-Agent mit derTaschenlampe auf die Ladefläche leuchtete und das Gesichtdes gefesselten Mannes als das von Abu Subaida identifizierte,bemerkte man, dass das Zielobjekt der Suche gerade am Verblutenwar. Der Terrorist wurde eilig in ein pakistanischesKrankenhaus gebracht. Nachdem sich sein Zustand stabilisierthatte, wurde er heimlich nach Thailand geflogen, wo ihn dieCIA in Empfang nahm. Die thailändische Regierung, die langeZeit muslimische Separatisten in ihrer südlichen Provinz bekämpfthatte (und seit dem Vietnamkrieg eng mit dem amerikanischenMilitär zusammenarbeitete), war als erstes Landbereit, der CIA einen geheimen Ort zur Verfugung zu stellen,wo Mitglieder von AlQaida gefangen gehalten und verhörtwerden konnten.Abu Subaida war der erste hochrangige AlQaida-Führer,der den Amerikanern nach den Anschlägen vom 11. Septemberin die Hände fiel. Seine Gefangennahme wurde von derCIA und im Weißen Haus begeistert aufgenommen. PräsidentBush hatte lautstark verkündet, man werde Osama Bin Laden»tot oder lebendig * fassen. Er besaß sogar eine von der CIA erstellteListe mit Al-QaidaAnfiihrern, die er abhaken wollte, wenn einer nach dem anderen gefangen genommen oder getötetwurde. Da immer mehr Fakten darauf hindeuteten, dassBin Laden entkommen war und nur Mohammed Atef, der militärischeBefehlshaber des Terrornetzwerks, im November2001 in Afghanistan getötet worden war, musste sich Bush eingestehen,dass die Führer von AlQaida die Verfolgung größtenteils unbeschadet überstanden hatten. Subaidas Gefangennahmewar das lange ersehnte konkrete Zeichen dafür, dassder neue Krieg der Regierung Bush gegen den TerrorismusFortschritte machte.Was dann geschah, ist aufgrund der streng geheim gehaltenenVorgehensweise der Regierung Bush
  40. umstritten. Nach Aussageeines sehr zuverlässigen Informanten erfuhr George Tenetschon bald, dass Bush ein starkes persönliches Interesse amFall Subaida hatte. Wenige Tage nach dessen Festnahme gingTenet ins Weiße Haus, informierte den Präsidenten wie üblichüber den Stand der Geheimdienstarbeit und besprach dann mitihm Einzelheiten. Nach Angaben des Informanten fragte BushTenet, was die CIA aus Subaida herausbekommen habe. Teneterwiderte, man habe noch nichts erfahren, weil Abu Subaida soschwer verwundet worden sei, dass er mit starken Medikamentenbehandelt werde. Er sei durch die Schmerzmittel zu benommenund spreche keine zusammenhängenden Sätze.Bush wandte sich an Tenet und fragte: Wer hat denn genehmigt,dass er Schmerzmittel bekommt?Nach Meinung des Informanten war das möglicherweisenur wieder eine der typischen scherzhaften Bemerkungenzwischen den beiden Männern. Es ist aber auch denkbar, dassdieser Satz mehr bedeutete. Ermutigte der Präsident der VereinigtenStaaten den CIAChef auf verkappte Weise, eine Misshandlungdes Gefangenen anzuordnen? Wenn ja, dann wäredas die direkteste Verbindung zwischen Bush und der Misshandlungvon Gefangenen durch die CIA und das amerikanischeMilitär. Wenn Bush veranlasste, dass die CIA bei Abu32 Subaida härter durchgriff, dann tat er das jedenfalls nicht aufdem Papierweg in Form einer schriftlichen Genehmigung.Da» überhaupt ein derartiges Gespräch zwischen Bush undTenet stattfand, wird von einigen ranghohen Mitarbeitern Tenetsangezweifelt, Sie sagen zwar, sie könnten nicht leugnen,dass es ein Gespräch gegeben habe, sie hätten jedoch nie vondieser Geschichte gehört und glaubten nicht, dass sie wahr sei.Mehrere ehemalige hohe CIABeamte betonen auch, dassAbu Subaida eine erstklassige medizinische Betreuung erhielt,die ihm nach seiner Entdeckung auf der Ladefläche des pakistanischenLastwagens das Leben rettete. Es gibt aber auch Berichte,denen zufolge Abu Subaida die Schmerzmittel vorenthaltenwurden, nachdem sich sein Zustand stabilisiert hatte. Inseinem 2003 erschienenen Buch Why America Slept schreibtGerald Posner, Subaida habe, nachdem er stabilisiert wordensei, ein rasch wirksames Schmerzmittel als Infusion erhalten,wodurch man ihn seine Schmerzen nach Belieben spüren lassenoder sie bndern konnte.Unabhängig davon, ob das Gespräch zwischen Tenet undBush über Abu Subaida und seine Schmerzbehandlung nunstattgefunden hat oder nicht, behaupten mehrere derzeitigeund ehemalige CIAMitarbeiter, nach den Anschlägen vom11. September habe der Präsident gegenüber der CIA auf verschiedeneWeise deutlich gemacht, dass die Schonzeit vorübersei.
  41. Bushs Kommentar zum Einsatz von Schmerzmitteln imFalle Subaidas passt in den Rahmen der allgemeinen, zu mehrHärte mahnenden Botschaft, die der Präsident und das WeißeHaus der CIA in den Monaten nach den Anschlägen zukommenließen.Zwei Jahre nach Abu Subaidas Gefangennahme kam es wegender Misshandlung irakischer Gefangener zum Skandal,aufgelöst durch Fotos von der erniedrigenden und sadistischenBehandlung von Insassen des Abu-Ghraib-Gefängnisses. DerSkandal weitete sich durch zahlreiche Enthüllungen überMisshandlungen durch das Militär und die CIA rasch aus. Nieniand konnte je George W. Bush direkt mit der Kette der Ereignissein Verbindung bringen, die zur Misshandlung der Gefangenenführte. Das Weiße Haus behauptete unerschütterlich,Präsident Bush sei entsetzt über die Bilder der Folter, erhabe nie persönlich die brutalen Verhörmethoden gebilligt,die gegen Iraker, Afghanen und andere Gefangene angewandtworden seien. De r Version des Weißen Hauses zufolge hieltsich Bush von der Schattenseite des Kriegs gegen den Terrorismusfern.In den vielen Berichten über die Misshandlungen §f auch inden Artikeln, in denen Beratungen der Regierung über dierechtliche Grundlage rabiater Vernehmungsmethoden geschildertwurden - fehlte Bushs Name . Es war, als hätte esbei der Diskussion übe r die Verhörmaßnahme n gar keinenPräsidenten gegeben. Als die schriftlichen Stellungnahmendes Justizministeriums, in dene n das harte Vorgehen gebilligtwurde, an die öffentlichkeit gelangten, spielte man im Wei-ßen Haus ihre Bedeutun g herunte r un d argumentierte, derPräsident habe stets darauf bestanden, dass die Gefangenen humanzu behandeln seien.De r Skandal ebbte schließlich ab, nicht zuletzt deswegen,weil es keine Beweise gab, dass der Präsident die Misshandlungvon Gefangenen angeordne t hatte. Im Juni 2004 betonte Bushkurz nach dem Erscheinen der Fotos aus Ab u Ghraib noch einmal,er würd e niemals Folterungen befehlen. »Ich möchte dieHaltung meine r Regierun g un d meine s Landes eindeutig klarstellen«,sagte er zu Reportern . »Wir dulden keine Folter. Ichhabe nie den Befehl zur Folter erteilt. Ich werde nie den Befehlzur Folter erteilen. In unserem Land haben wir bestimmteWerte, un d Folter ist nicht Teil unserer Seele oder unseres Daseins.«Er fügte hinzu: »Die Vereinigten Staaten werden weiterhindie Notwendigkeit ernst nehmen , Terroristen, die über lebensrettendeInformationen verfugen, zu verhören. Aber wirwerden nicht das bestehende Gesetz ode r die Werte und Prinzipienin Frage stellen, die uns stark machen. Folter ist falsch, egal» wo nun sie anwendet, lind die Vereinigten Stauten weiden weiterhin da (vir kämpfen, dass sie überall
  42. abgeschafft wird,«Ms gibt Hinweise darauf, dass ranghohe RegierimgsmitgUedcr,anscheinend vor allem Vizepräsident Dick Cheney, den Präsidentenbewusst von den internen Debatten über die Behändlung Gefangener ausgeschlossen haben. I )er Generalinspekteinder CIA, der die vorgelegten Beweise fiirdie Misshandlung vonGefangenen untersuchte, kam nach Aussage eines CIA-Mitarbeiterszu dem Schluss, dass nie eine schriftliche Genehmigungdes Präsidenten vorgelegen hat, mit der die Verhörmethodender CIA für Gefangene in ihrem Gewahrsam abgedeckt gewesenwären. Der Präsident sei nie offiziell über die angewandtenProzeduren in Kenntnis gesetzt worden, hieß es im Bericht desGeneralinspekteurs. Dagegen wurden, so ein CIA-Funktionär,Vizepräsident Cheney und einige wenige andere Regierungsmitglieder,darunter die Nationale Sicherheitsberaterin CondoleezzaRice, Justizminister John Ashcroft und Alberto Gonzalez,der Berater im Weißen Haus, sehr wohl von GeorgeTenet über die Verhörmethoden der CIA informiert.Normalerweise werden derart geheime CIA-Aktivitäten,bei denen so viel auf dem Spiel steht, vom Weißen Haus sorgfaltigüberprüft und, wie vom Gesetz vorgeschrieben, miteiner so genannten präsidialen Begründung (»presidential finding«)schriftlich und offiziell genehmigt. Derartige Direktivenwerden vom Kongress verlangt, wenn die CIA verdeckteMaßnahmen durchfuhren will. In den Tagen nach dem11. September unterzeichnete Präsident Bush eine Direktivezu verdeckten Maßnahmen, die der CIA die Erlaubnis erteilte,AlQaida-Mitglieder auf der ganzen Welt zu töten, gefangenzu nehmen und festzuhalten; über die Methoden der Befragungvon Gefangenen finden sich in diesem Dokument allerdingskeine Angaben.Anscheinend verlangte Tenet nie eine schriftliche Genehmigungdes Präsidenten für die Verhöre. Bei der CIA munkelt35 man, er habe sich einverstanden erklärt, den Präsidenten nichtoffiziell darüber zu informieren, was die CIA mit den gefangenenAl-Qaida-Mitgliedern und anderen Häftlingen mache. Esist nicht ganz klar, ob Tenet von Cheney oder jemand anderemim Weißen Haus angewiesen wurde, Bush nicht zu informieren,oder ob es seine eigene Entscheidung war. Möglich wäreauch, dass Bush Tenet zu verstehen gab, was getan werden sollte,und Tenet beschloss, auf eine schriftliche Anweisung zuverzichten.Sicher wussten Cheney und andere im Weißen Haus, dassBush absichtlich nicht in Kenntnis gesetzt wurde und die CIAfür ihr Vorgehen keine schriftliche Direktive des Präsidentenbesaß. Es spricht also viel dafür, dass sich tatsächlich einige wenigesehr einflussreiche
  43. Regierungsmitglieder abgesprochenhaben, Bush abzuschirmen und ihm so die Möglichkeit zu geben,alles zu leugnen während sein Vizepräsident und anderesich trafen und die harten Verhörpraktiken besprachen. Bushfolgte bei der Behandlung der Gefangenen einfach der Maxime»Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß«.Als Journalisten wissen wollten, ob Präsident Bush Folteroder rabiate Methoden beim Verhör der Gefangenen gebilligthabe, stellten sie die falsche Frage. Die richtige Frage wäre gewesen,ob George W. Bush von seinem eigenen engen Regierungszirkeleine plausible Möglichkeit eröffnet wurde, alles zuleugnen.Das Versäumnis, eine schriftliche Genehmigung des Präsidentenfür die Verhörmethoden einzuholen, wird vielleichtnoch auf die CIA zurückfallen. »Ich glaube, [ranghohe CIAMitarbeiter]wollten katholischer sein als der Papst, deswegenfackelten sie nicht lange und handelten, und sie handeltenohne ausdrückliches Einverständnis des Präsidenten«, meinteein Informant bei der CIA, der Einblick in die Untersuchungenzur Misshandlung von Gefangenen hatte. »Eine ausdrücklicheZustimmung des Präsidenten gab es nicht.«Die wichtigste schriftliche Genehmigung, auf die sich die CIA berufen kann, ist eine rechtliche Stellungnahme (»legal opinion«)des Justizministeriums zur Anwendung harter Verhörmethoden.Die geheime Stellungnahme wurde speziell für denFall Abu Subaida angefordert. Die CIA wollte die Offiziere, diemit den Verhören Subaidas befasst waren, rechtlich absichern.(Tatsächlich besteht ein wichtiger Unterschied zwischen denFällen von Gefangenenmisshandlung durch das amerikanischeMilitär in Abu Ghraib und den unsanften Methoden der CIA:Das Vorgehen der CIA war explizit und schwarz auf weiß voneinem Ministerium genehmigt worden.) Die Juristen des Justizministeriumserklärten, unter der Doktrin der Selbstverteidigungseien rigorose Mittel bei Vernehmungen erlaubt. AbuSubaida könnte Informationen über geplante Terroranschlägegegen die USA besitzen, daher sei die CIA berechtigt, hartdurchzugreifen, weil sie so möglicherweise das Leben amerikanischerBürger retten könne. CIAMitarbeiter sind der Ansicht,dass die Stellungnahme des Justizministeriums ihr Vorgehenausreichend rechtlich absicherte. Dennoch äußerten sich einigespäter frustriert und besorgt darüber, dass Tenet nicht die ausdrücklicheGenehmigung des Präsidenten verlangt und bekommenhabe, denn dann wäre ein für alle Mal klargestellt worden,was sie für wahr hielten: dass sie taten, was George W. Bush vonihnen erwartete. Einem Informanten in der CIA zufolge erklärteein ranghoher CIABeamter bei der Befragung durch denGeneralinspekteur, er bedaure,
  44. dass Tenet und andere Vorgesetztenicht ins Oval Office gegangen seien, dem Präsidentenin die Augen geblickt und ihn klar und deutlich über die Verhörmethodeninformiert hätten.Um den offiziellen Genehmigungsprozess zu umgehen, beschlossman bei der CIA, dass die Vernehmungspraktiken nichtals verdeckte Aktion, sondern als Bestandteil der normalen »Informationsbeschaffung«der Organisation gelten sollten. Dankdieser Wortklauberei war eine Genehmigung gar nicht erforderlich:»Das galt nicht als verdeckte Aktion, daher gab es keineGenehmigung, kein MON [eine CIA-Abkürzung für »Memorandum of Notification«, das Verfahren, bei dem Genehmigungenfiir verdeckte Aktionen dem Kongress vorgelegt werden,der dann seine Zustimmung erteilen muss]«, erklärte ein CIABeamter.»Es galt als Teil der Informationsbeschaffung.«In verschiedener Hinsicht diente Abu Subaida als Präzedenzfallfiir die weitere Behandlung der Gefangenen imKampf gegen den Terrorismus und im Irakkrieg. Die brutalenVerhörmethoden der CIA bei Subaida lösten in der Regierungdie ersten weitreichenden rechtlichen un d politischen Diskussionenaus, bei denen die späteren Maßnahme n gegen zukünftigeGefangene festgelegt wurden. »Die Gefangennahme vonAbu Subaida brachte den Stein ins Rollen«, erklärte ein CIAMitarbeiter.Im weiteren Verlauf wurd e die CIA mit derBefragung der wichtigsten Gefangenen betraut und entwickeltedamit auch als erste Organisation umstrittene Vernehmungspraktiken. Indem die Regierung Bush dieses Vorgehen bei Abu Subaidabilligte, schuf sie ein permissives Klima, das schließlich aufsämdiche staatlichen Organe übergriff. Di e Einstellung derAmerikaner gegenüber der Behandlung von Gefangenen wandeltesich. Nachdem die CIA, die in der Vergangenheit niemalsirgendwelche Gefängnisse unterhalten hatte, grünes Licht fürihr brutales Vorgehen erhalten hatte, gab man auch dem amerikanischenMilitär, das sich bisher stets an die Genfer Konventionengehalten hatte, zu verstehen, dass sich die Spielregelngeändert hatten.Vor der Verhaftung Abu Subaidas hatten die USA auf denSchlachtfeldern von Afghanistan nur unbedeutende Kämpfergefangen genommen, die kaum über Informationen von geheimdienstlichemWert verfugten. Zunächst brachten dieUSA und ihre afghanischen Verbündeten die ausländischenarabischen Kämpfer und Anhänger der Taliban (von der Re -gierung Bush nicht als Kriegsgefangene, sondern als unlawfulcombatants, ungesetzliche Kombattanten, eingestuft) in über-38 füllten afghanischen C `eliiiignisscii unter, wo furc htbare Bedingungenwie im Mittelalter herrschten. Rasch
  45. zeigte lieh, (lawdie Situation eine langfristige Lösung erforderte, um sowohlmit der steigenden Zahl der Gefangenen fertig zu werden alsauch um die Gefangenen einzeln verhören zu können.Nachdem verschiedene Orte in Betracht gezogen wordenwaren, richtete das amerikanische Militär im Januar 2002 einGefangenenlager auf dem Gelände des amerikanischen Marinestützpunkts Guantanamo 13ay auf Kuba ein und begann mitder Uberführung der Gefangenen von Afghanistan in das neueGefängnis, das den Namen »Camp X-Ray« erhielt. Die erstenGefangenen trafen am 11. Januar 2002 ein.Während das USMilitär zunächst die »kleinen Fische« nachGuantanamo flog, ordnete Präsident Bush an, dass sich nichtFBI oder Pentagon, sondern die CIA um die wichtigen AlQaida-Mitgliederkümmern sollte. Mit seiner Entscheidunggegen das FBI wies Bush die Politik der Regierung Clintonim Kampf gegen den Terrorismus zurück, Terroristen vor einamerikanisches Gericht zu stellen. Bush entschied, dass AlQaidakeine Frage von Recht und Ordnung sei, sondern eineBedrohung der nationalen Sicherheit darstelle. Er wollte nicht,dass AlQaida-Mitgliedern in den USA der Prozess gemachtwurde, weil sie dort den strengen Regeln des amerikanischenRechtssystems unterstellt wären. Das FBI, das vor dem11. September die strafrechtlichen Ermittlungen gegen AlQaidageleitet hatte, wurde kurzerhand beiseite gedrängt.Die FBI-Agenten in Afghanistan erhielten Ende 2001 ersteHinweise darauf, dass sie das Kompetenzgerangel um dieKontrolle über die AlQaida-Gefangenen an die CIA verlorenhatten. Es ging um Ibn Scheich al-Libi, der bis zu seiner Ge -fangennahme im November 2001 in Afghanistan ein Ausbildungslagervon AlQaida kommandiert hatte. Zunächst wurdeal-Libi, eines der ersten AlQaida-Mitglieder, das im afghanischenKrieg gefasst worden war, vom FBI auf dem LuftwaffenStützpunktBaghram bei Kabul verhört. Als die FBI-Agenten39 al-Libi zur Zusammenarbeit zu bewegen versuchten, klärtensie ihn über seine Rechte auf. Sie nahmen an, er würde in dieUSA geflogen werden, wo er sich dann vor einem Gericht zuverantworten hätte. In den ersten Wochen nach dem 11. Septemberdachte man beim FBI noch, AlQaida-Anhängernwürde der Prozess gemacht anstatt sie in Gefängnissen imAusland zu foltern.Das FBI glaubte, al-Libi könnte ein nützlicher Zeuge gegenZacarias Moussaoui sein, den französisch-marokkanischenFlugschüler, der kurz vor dem 11. September wegen des Verstoßesgegen das Einwanderungsgesetz in Minnesota verhaftetworden war, und die einzige Person, die in Verbindung mitden Anschlägen einem Prozess in den USA entgegensah.»Moussaoui war das
  46. große Fragezeichen«, erinnerte sich einFBI-Mitarbeiter, der mit dem al-Libi-FaU zu tun hatte. »Washaben wir gegen ihn in der Hand? Wir dachten, wir könntenden Kerl dazu bringen, gegen Moussaoui auszusagen.«Die CIA hatte jedoch kein Interesse daran, dass al-Libi jeeinen Fuß auf amerikanischen Boden setzte. Letzten Endes seiendie CIABeamten einfach in Afghanistan aufgetaucht undhätten dem FBI al-Libi abgenommen, berichtete der FBI-Mitarbeiter.Die CIA flog al-Libi nach ägypten, wo ihn der ägyptischeGeheimdienst, von dem bekannt ist, dass er Gefangenefoltert, im Auftrag der CIA verhörte. Laut der FBI-Quelle hörteein FBI-Agent, als die Gefangenen weggebracht wurden,wie ein CIAOffizier zu al-Libi sagte: Du weißt, wo du hinkommst.Bevor du dort bist, werde ich deine Mutter finden und sieficken. jZu diesem Zeitpunkt hatten George Tenet und die CIA bereitsmassiv an Macht gewonnen und Terrain für sich erobert.Schon bald sollte die CIA ein eigenes Gefangnissystem unterhalten.Angesichts des Auftrags, sich mit den wichtigen AlQaida-Mitgliedernzu befassen, erhob die CIA Einwände dagegen,dass die wichtigen Gefangenen in Camp X-Ray auf40 Guantanamo festgehalten wurden. CIAOffiziere meldetenvon dort ins Hauptquartier nach Langley, zu viele offizielleVertreter aus zu vielen Behörden hielten sich dort auf. Sie allewürden Verhöre durchfuhren und versuchen, sich durch eigeneAktivitäten hervorzutun. Alle wollten die Ersten sein, de -nen es gelang, eine Information aus den arme n Afghane n un dArabern herauszupressen, die dort festgehalten wurden . Langebevor bei der CIA oder in anderen Regierungsstellen Befürch -tungen aufkamen, dass die Gefangenen in Guantanamo misshandeltwurden, herrschte bei der CIA die weit verbreitet eAnsicht, in Camp X-Ray, das drastisch mit einem »Scheißhaufen«verglichen wurde, seien chaotische Zustände eingekehrt.Schlimmer noch: Camp X-Ra y stand im Blickpunk t de röffentlichkeit. Die CIA brauchte Gefängnisse, wo sie die Verhöreund Einsatzbesprechungen völlig unte r Kontroll e hatte ,fern der bohrenden Blicke internationaler Medien , fer n de rberwachung von Menschenrechtsorganisationen un d vo r allemweit entfernt von der amerikanischen Rechtsprechung .Die CIA beauftragte eine interne Grupp e mit de r Such e nac halternativen Gefängnisstandorten auf der ganzen Welt. Di eGruppe erkundete, so ein CIAInsider, »wie ma n Leut e verschwindenlassen konnte«.Mehrere Länder in der Dritten Welt mit einem zweifelhaftenRuf in Sachen Menschrechte kame n in Frage. Ei n afrikanischesLand bot der CIA eine Insel mitten in einem große n Se ean, und auch andere Länder zeigten sich durchaus entgegen -kommend.
  47. Schließlich wurden unte r extreme r Geheimhaltungmehrere CIA-Gefangenenlager eingerichtet, darunte rmindestens zwei große mit den Codename n Brigh t Light un dSalt Pit. Eine kleine Gruppe innerhalb des CounterterroristCenter (CTC) der CIA wurde mit der Betreuun g de r Gefäng -nisse und der Durchfuhrung der Verhöre betraut.Laut CIAQuellen befindet sich Salt Pit in Afghanistan un dwird für die Unterbringung von Gefangenen niedrigere r Char -gen benutzt. Bright Light ist eines der Gefängnisse, in dene n41 III42Mitglieder der AlQaida-Führungsriege (darunter Abu Subaidaund Chalid Scheich Mohammed, die die Anschläge vom11. September geplant haben) festgehalten werden. Der Standortvon Bright Light ist geheim, es sind dort auch nur einige wenigeder allerwichtigsten AlQaida-Gefangenen untergebracht.Laut CIA-Insidern wurden die wichtigsten Gefangenen ausGeheimhaltungsgründen wiederholt von einem Geheimgefängnisins andere verlegt. Die CIA unterhält auch Geheimgefängnissein Thailand und in Osteuropa, allem Anschein nach inPolen und Rumänien, und etliche Informanten nehmen an,dass weitere derartige Lager rund um den Globus existieren.(Die CIA richtete auch ein geheimes Gefängnis in Guantnamoein, getrennt von Camp XRay, schloss es aber wieder, nachdemUS-Gerichte die Frage aufgeworfen hatten, ob die Gefangenenin Guantnamo nicht doch unter die Rechtsprechungder USA fielen. Später baute das amerikanische Militär neue,dauerhaftere Gefangenenunterkünfte in der Nähe von Guantnamo, die Camp X-Ray ersetzten.)Der genaue Standort der CIA-Gefängnisse für hochrangigeAl-QaidaMitglieder und das dortige Geschehen sind immernoch eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Regierung.Die Analytiker der CIA dürfen noch nicht einmal dieFragen, die den Gefangenen gestellt werden sollen, direkt andie Gefängnisse schicken, sondern müssen sie, so ein ehemaligerMitarbeiter des CTC, der kleinen Gruppe im CTC vorlegen,die mit der Verwaltung der Gefängnisse beauftragt ist.Diese Gruppe sendet die Fragen dann an diejenigen, die dieVerhöre fuhren. »Auf diese Weise versuchte man sicherzustellen,dass niemand etwas von den Gefängnissen erfuhr«, sagteder CTC-Veteran.Eines wussten die CIAOffiziere allerdings schon bald: DieGefangenen, die in Gefängnisse für hochrangige Häftlinge kamen,würden aller Wahrscheinlichkeit nach in der Schattenweltder »black sites« verschwinden. »Es heißt, wer nach BrightLight kommt, kehrt nie wieder zurück.« Was soll mit den hochrangigen AlQaida-Mitgliedern geschehen,wenn man ihnen erst einmal sämtliche Informationenentlockt hat? Diese Frage hat die BushAdministration bis heutenicht entschieden.
  48. Ediche ranghohe CIAMitarbeiter sindbestrebt, von der Arbeit in den Gefängnissen loszukommen,wissen aber nicht so recht, wie sie das anstellen sollen.Während das Netz der CIAGeheimgefängnisse wuchs, schaudertees vielen Mitarbeitern angesichts der Entwicklungen innerhalbdes Geheimdienstes. Eine giftige Atmosphäre breitetesich aus. Die CIA baute eine dunkle Infrastruktur auf, über dieniemand reden wollte. Vielen CIAOffizieren hatte eine ganzandere Arbeit vorgeschwebt, als sie in den Dienst der Agencygetreten waren.»Ich fragte mich immer wieder: Wie sind wir in diese Gefängnissachehineingeraten?«, sagte ein Informant, der imCTC arbeitete. »Warum machte die CIA das? Dafiir warenwir nicht ausgebildet worden.«Die Verhörtechniken der CIA basierten auf Methoden , di e be ider Ausbildung der amerikanischen Special Force s angewand twurden, um sie auf eine mögliche Festnahme un d ih r Dasei nals Kriegsgefangene vorzubereiten. Dabe i werde n Folterme -thoden nachgeahmt, die allerdings so jedenfalls steh t es inden Vorschriften - eingestellt werden , bevo r de r Verhört eernsthaften Schaden erleidet. Zu den umstrittenste n Metho -den, die für den Einsatz bei hochrangige n AlQaida-Mitglie -dern in CIAVerhören genehmigt worde n waren , gehört e dasberüchtigte »Water-Boarding«, bei de m ein Gefangene r au f ei nBrett gefesselt und sein Kopf in Zellophan gewickelt wird . So -bald er dann mit Wasser bergossen wird, glaubt er, ertränk t zuwerden.Den Versicherungen, Prozeduren dieser Art würde n abge -brochen, kurz bevor sie zu einer wirklichen Folte r würden ,widersprechen äußerungen des FBI, das die Methode n fü r so43 hart hielt, dass es damit nichts zu tun haben wollte. SeineAgenten wurden angewiesen, sich von den Verhören der CIAfernzuhalten. FBI-Beamte sahen Abu Subaida kurz in Gefangenschaft,und mindestens ein Agent, so ein Informant au$Mil-Kreisen, war danach überzeugt, dass Subaida gefoltertwurde.Mehrere CIAMitarbeiter, die wissen, wie AlQaida-Mitgliedertatsächlich verhört werden, sagten aus, ihrer Meinungnach bestehe kein Zweifel daran, dass die CIA Gefangene foltert.Das Water-Boarding wird laut einer CIAQuelle nichtnur einmal angewandt, um Folter zu simulieren, sondern immerwieder. In einem geheimen CIABericht wird nach Aussagemehrerer Informanten beschrieben, wie Chalid ScheichMohammed im Verlauf von zwei Wochen ungefähr einhundertmalverschiedenen Foltertechniken unterworfen wurde.Gefangene werden in sargähnliche Kisten gesperrt, müssen inZellen ausharren, wo sie entweder vollständiger Dunkelheitoder grellem Licht
  49. ausgesetzt sind, außerdem foltert man siemit Schlafentzug. Stundenlang werden sie mit extrem lauterRap-Musik beschallt (besonders beliebt ist Eminem), außerdemmüssen sie über Stunden in »Stresspositionen« stehenoder hocken. »Wenn man die Verhörprotokolle liest, weißman, dass das, was da gemacht wird, Folter ist«, erklärte einCIA-Insider, der einige Berichte gelesen hat. »Die massive Anwendungdieser Methoden und ihre ständige Wiederholung,das macht sie zur Folter. Die Berichte sind furchtbar zu lesen.«Die CIA hat unabhängigen Beobachtern und Vertretern vonMenschenrechtsorganisationen, die sich ein Bild von der körperlichenund geistigen Verfassung der Gefangenen machenwollten, den Zugang zu den Gefängnissen verweigert.Verfechter rabiater Verhörmethoden und Misshandlungenargumentieren, diese seien notwendig in einem neuen und unkonventionellenKrieg gegen Selbstmordattentäter, die sichselbst nicht an die traditionellen Regeln des Kriegs halten würden.Andererseits warnen viele CIAOffiziere und andere Kri-44 tiker, die Foltermethoden seien nicht effektiv, weil der Gefangenein dem Bestreben, der Qual ein Ende zu machen, allessagt, was der Vernehmende hören will. Folter führe zu Fehlinformationen. Derartige Warnungen haben sich als berechtigt erwiesen.Laut einem Eingeweihten bei der CIA hat Chalid Scheich Mo -hammed, der fuhrende Kopf hinter den Anschlägen vom11. September und wichtigste AlQaida-Gefangene in amerikanischemGewahrsam, mittlerweile einige Aussagen widerrufen,die er bei den CIAVerhören gemacht hatte. Das ist einenormer Rückschlag für die CIA, weil die Informationen vonChalid Scheich Mohammed als wichtigste Quellen zum The -ma AlQaida galten. Es ist nicht klar, welche früheren AussagenChalid Scheich Mohamme d inzwischen bestreitet, dochjeder Widerruf wirft die Frage auf, wie viel die Informationenwert sind, die die USA von anderen Gefangenen, auch von denGefangenen im Irak, erhalten hat.Der Folterskandal trifft die von George Tenet nach dem11. September umgestaltete CIA bis ins Mark. In vielerlei Hin -sicht war Tenet ein Man n des Ubergangs, ein CIADirektor,der über das politische Geschick verfügte, die Kluft zwischender Welt vor und nach den Anschlägen in Ne w York und Wa -shington zu überbrücken und die Leitung des amerikanischenGeheimdienstes beiden Welten anzupassen. Doc h mit diesemSpagat zog er die Kritik von zwei ganz verschiedenen Seitenauf sich. Vor dem 11. September wurd e die CIA unte r GeorgeTenet auch von den eigenen Offizieren kritisiert, sie sei gelähmtvom Streben nach politischer Korrektheit un d viel zurisikoscheu. Nach dem 11. September war es mit der Rück -sichtnahme vorbei, und George Tenets
  50. CIA verschrieb sichGeheimaktionen, die selbst einige Offiziere der Behörde zutiefstbeunruhigten.Eine der problematischsten Praktiken der neue n CIA imZusammenhang mit der Folter waren die geheimen Gefange -45 nentransporte, die Verschleppung von Terrorverdächtigen zuVerhören in andere Länder, zum Teil auch in arabische Länderwie ägypten oder Syrien, von denen bekannt ist, dass dort gefoltertwird. Die CIA führte schon mehrere Jahre vor dem11. September solche geheimen Transporte durch, doch ihrEinsatz und die Art, wie sie verliefen, änderten sich danachdrastisch. Wiederholt haben CIA und Bush-Administrationerklärt, sie brächten Gefangene nicht in andere Länder, um siedort foltern zu lassen, und sie hätten Zusicherungen der Regierungendieser Länder erhalten, dass man die Gefangenennicht misshandeln werde. Doch seit dem 11. September ist dasVerfahren so weit verbreitet und so viele Personen, die dieseTransporte durchmachen mussten, haben ihre Erfahrungenpublik gemacht, dass sich die den Behauptungen der CIA widersprechendenTatsachen nicht mehr länger unter den Teppichkehren lassen.Obwohl einige Fälle, bei denen Unschuldige verschlepptwurden oder die auf andere Weise aus dem Ruder liefen, andie öffentlichkeit gelangten, bleiben nach wie vor einige derschlimmsten Aspekte dieser Gefangenentransporte verborgen.Ein CIAOffizier, den die Erinnerung an das, was er beieinem bestimmten Transport sah, nicht mehr loslässt, vertrautesich dem Autor an. Der Offizier behauptet, dass die CIA einenGefangenen von Afghanistan in ein Land am Persischen Golfflog, wo er den dortigen Behörden übergeben und eingesperrtwerden sollte, obwohl man wusste, dass er unschuldig undfälschlicherweise als Terrorist identifiziert worden war. DerCIA-Offizier glaubt, dass die CIA den Gefangenen verlegte,um ihren Fehler zu vertuschen. Nach seiner Aussage wurdendem Gefangenen, als er in dem Land am Persischen Golf eintraf,die Fingerabdrücke genommen, woraufhin man dort erkannte,dass er nicht der Verdächtige war, den die CIA auszuliefernvorgegeben hatte. Der einheimische Sicherheitsdienstweigerte sich, den Mann in Gewahrsam zu nehmen, und dieCIA flog ihn zurück nach Afghanistan. Später fand der CIAOffizier heraus, dass es sich bei dem Mann, der aus einem afrikanischenLand stammte, um einen Flüchtling handelte, derauf dem Schwarzmarkt einen Pass für fünfzig Dollar gekaufthatte. Der Pass war auf den Namen eines Terrorverdächtigenausgestellt.Der Mann war monatelang von der CIA in Afghanistan festgehaltenworden, ohne dass jemand vom Geheimdienst denFehler korrigiert hätte. Der CIAOffizier erfuhr später, dassder Chef der CIA-Niederlassung im Heimatland des
  51. GefangenenTelegramme an das CIAHauptquartier geschickt undmitgeteilt hatte, dass man den Falschen eingesperrt habe. DerCIA-Offizier sagte, er wisse nicht, was mit dem Mann geschah,nachdem man ihn nach Afghanistan gebracht hatte. Anderemeinten, der Bericht erinnere an einen Fall, der vom Generalinspekteurder CIA untersucht worden sei.In der angespannten Situation nach den Anschlägen vom11. September wurden sogar noch radikalere und fragwürdigereOperationen in Betracht gezogen und geplant. Eine derartigeGeheimaktion trug den Codenamen Box Top. Laut CIAQuellengründete die Agency 2002 eine verdeckt operierendeparamilitärische Einheit, die weltweit Terroristen aufspürensollte. Ob die Männer von Top Box den Auftrag hatten, Terroristenzu töten, oder ob sie sie nur fassen und in Geheimgefängnissebringen sollten, ist unklar. Doch schon bald, nachdemdie Einheit gegründet worden war und die Ausbildungbegonnen hatte, wurde sie wieder aufgelöst. Die TopBoxPlänewurden nie umgesetzt.Es ist immer noch schwierig, genaue Zahlen darüber zu erhalten,wie viele Personen weltweit vom amerikanischen Militärund von der CIA festgehalten werden. Man geht von etwahundert Gefangenen aus, der Geheimdienst weigert sich jedoch,die Identität der Personen preiszugeben. Ein weiteresHindernis bei der Ermittlung der Anzahl festgehaltener Personentransporte, die Verschleppung von Terrorverdächtigen zuVerhören in andere Länder, zum Teil auch in arabische Landerwie ägypten oder Syrien, von denen bekannt ist, dass dort gefoltertwird. Die CIA führte schon mehrere Jahre vor dem11. September solche geheimen Transporte durch, doch ihrEinsatz und die Art, wie sie verliefen, änderten sich danachdrastisch. Wiederholt haben CIA und Bush-Administrationerklärt, sie brächten Gefangene nicht in andere Länder, um siedort foltern zu lassen, und sie hätten Zusicherungen der Regierungendieser Länder erhalten, dass man die Gefangenennicht misshandeln werde. Doch seit dem 11. September ist dasVerfahren so weit verbreitet und so viele Personen, die dieseTransporte durchmachen mussten, haben ihre Erfahrungenpublik gemacht, dass sich die den Behauptungen der CIA widersprechendenTatsachen nicht mehr länger unter den Teppichkehren lassen.Obwohl einige Fälle, bei denen Unschuldige verschlepptwurden oder die auf andere Weise aus dem Ruder Hefen, andie öffentlichkeit gelangten, bleiben nach wie vor einige derschlimmsten Aspekte dieser Gefangenentransporte verborgen.Ein CIAOffizier, den die Erinnerung an das, was er beieinem bestimmten Transport sah, nicht mehr loslässt, vertrautesich dem Autor an. Der Offizier behauptet, dass die CIA
  52. einenGefangenen von Afghanistan in ein Land am Persischen Golfflog, wo er den dortigen Behörden übergeben und eingesperrtwerden sollte, obwohl man wusste, dass er unschuldig undfälschlicherweise als Terrorist identifiziert worden war. DerCIA-Offizier glaubt, dass die CIA den Gefangenen verlegte,um ihren Fehler zu vertuschen. Nach seiner Aussage wurdendem Gefangenen, als er in dem Land am Persischen Golf eintraf,die Fingerabdrücke genommen, woraufhin man dort erkannte,dass er nicht der Verdächtige war, den die CIA auszuliefernvorgegeben hatte. Der einheimische Sicherheitsdienstweigerte sich, den Mann in Gewahrsam zu nehmen, und dieCIA flog ihn zurück nach Afghanistan. Später fand der CIA-46 nen besteht darin, dass die CIA ihre Gefangenen versteckt undsie auch nicht in den Akten auftauchen. Als derartige Praktikenim Irak bekannt wurden, löste das heftige Kontroversen aus.Bislang wurde bei der CIA kaum jemand wegen Gefangenenmisshandlungzur Verantwortung gezogen. Es gab einigeEinzelfälle, in denen es zu Abmahnungen und Bestrafungenkam. CIAAngehörige haben zum Beispiel bestätigt, dass einDisziplinarverfahren angestrengt wurde, weil ein CIA-Beamterein AlQaida-Mitglied bei einem Verhör mit einer Pistolebedroht hatte, und ein Mitarbeiter eines Vertragsunternehmenswurde belangt, weil er in Afghanistan einen Gefangenenzu Tode geprügelt hatte. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf,dass ranghohe CIAMitarbeiter diszipliniert wurden oder ihrHandeln eine Untersuchung nach sich zog. In dieser Hinsichtverfährt die CIA ähnlich wie das amerikanische Militär, wosich die Untersuchungen bei Fällen von Gefangenenmisshandlungin erster Linie auf einfache Soldaten statt auf Offiziereoder die Entscheidungsträger im Pentagon konzentrierten.Laut einer CIAQuelle könnten auf die CIA trotzdemrechtliche Probleme aufgrund ihrer Verwicklung in die geheimenGefangenentransporte zukommen. Die CIA brachte dieGefangenen in andere Länder, um sie dort festzuhalten undzu verhören. Dieses Vorgehen verstößt gegen die GenferKonventionen und könnte nach internationalem Recht auchentsprechend als »schwerer Verstoß« definiert werden. Nacheinem amerikanischen Gesetz von 1996 ist ein »schwerer Verstoß«gegen die Genfer Konventionen in den USA ein Kriegsverbrechenund damit ein Verbrechen, das unter die USRechtsprechungfällt. Der Generalinspekteur der CIA hatdazu eine Aufsichtsklage beim Justizministerium eingereicht,berichtete ein CIAInformant.Die Einrichtung von Geheimgefängnissen auf der ganzen Weltund die weit verbreitete Anwendung brutaler Verhörmethodenbei Gefangenen in amerikanischem Gewahrsam passt in48 das ^gemeine
  53. beunruhxgende Bild von der Regierung BushIm Weißen Haus hat man die verfassungsgemäßen VoLa ^ten des Präsidenten im Kampf gegen den Terror ismus so großzügig ausgelegt, dass seit langem bestehende Regeln für Militärund Geheimdienste umgangen oder ignoriert wurden. In diesemZusammenhang sind auch geheimdienstliche Maßnahmeninnerhalb der Vereinigten Staaten genehmigt worden,die die Grundrechte der amerikanischen Bürger verletzen.Beispielsweise arbeiten die technischen Hexenmeister derNational Security Agency an einem Programm zur automatischenAuswertung von Datenbeständen in den USA, das soumfassend ist, dass der bislang bestehende Datenschutz zurFarce wird.
  54. Das Programm Im Februar 1999 wurde Michael Hayden, ein ruhiger, freundlicher Generalleutnant der Luftwaffe, von Präsident Clinton alsDirektor der National Security Agency (NSA) ernannt. Sie ist doppelt so groß wie die CIA und ohne Zweifel der führende elektronische Spionagedienst der Welt. Hayden war Aufklärungsoffizier beim Militär und hatte seine Laufbahn mitten im kalten Krieg beim Strategic Air Command begonnen. Der neue Posten war für ihn die Belohnung für die Mühe, mit der er sich fast dreißig Jahre lang durch die Hierarchie nach oben gearbeitet, für die Zähigkeit, mit der er eine Karriere vorangetrieben hatte, die ihm zeitweise als Sackgasse erschienen sein muss, insbesondere während seiner vierjährigen Tätigkeit im hintersten Winkel der gesamten Air Force, nämlich als Dozentdes Reserve Officers' Training Corps des Heeres (ROTC) am winzigen St. Michael's College in Winooski, Vermont. Als er den Ruf erhielt, war Hayden in führender Position in Korea stationiert. Dort lief gerade Der Staatsfeind Nr. 1, ein Hollywoodreißer über die NSA. Mike Hayden konnte es sich nicht verkneifen, sich den Film mit Will Smith und Gene Hackman in den Hauptrollen anzuschauen. Er war entsetzt. In dem Film wird die NSA als eine bösartige und skrupellose Organisation dargestellt, die mittels modernsterTechnik ahnungslose Amerikaner ausspioniert und verfolgt. Will Smith spielt einen Anwalt in Washington, den die NSA Bosse im Verdacht haben, er wisse zu viel über ihre dunklen Machenschaften. Nachdem sein Leben bis ins letzte Detail von NSA-Agenten durchleuchtet worden ist, wird ein Killerkommando auf ihn angesetzt. Er kann seine Haut nur dank eines von Gene Hackman gespielten ehemaligen Technik Freaks der NSA retten, der den Spieß umdreht und ihm hilft, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Botschaft des Films ließ Hayden erschauern: Die NSA ist ein unbeherrschbares, von einem Kader eiskalter Bürokraten geführtes Ungeheuer, das die Bürgerrechte von Amerikanern insgeheim mit Füßen tritt? Der Staatsfeind Nr. 1 gab den schlimmsten Alpträumen der amerikanischen Öffentlichkeit über den streng geheimen Bespitzelungs-und Entschlüsselungsapparatder Regierung neue Nahrung. Als der Film anlief, erhob sich auch in Europa gerade einP rotest gegen die NSA. Er richtete sich gegen das unter dem Namen Echelon bekannte Uberwachungsprogramm, das esder NSA erlauben soll, das gesamte weltweite Kommunikationsaufkommenzu belauschen. Mit Ausnahme der Briten,deren Government Communications Headquarters (GCHQ)der NSA entsprechen und bei Abhörprogrammen mit den USA kooperieren, waren europäische Politiker verärgert darüber, dass die gigantische
  55. Abhörmaschinerie der VereinigtenStaaten sie ins Fadenkreuz nahm, und ihre Empörung veranlasstewiederum einige Amerikaner, sich zu fragen, ob Echelonnicht auch innerhalb der Vereinigten Staaten gegen politischAndersdenkende eingesetzt werde. Das Electronic Privacy InformationCenter, eine Washingtoner Organisation, die dieAktivitäten der NSA beobachtet, ging vor Gericht, um zu klä-ren, ob Echelon oder ähnliche Programme zur Bespitzelungvon Amerikanern verwendet wurden. Für einen Geheimdienstbürokraten reagierte Hayden aufDer Staatsfeind Nr. 1 außerordentlich kreativ. Anstatt die Bedeutungdes Films für die öffentliche Meinung und die Bedenkengegen die Macht der NSA zu bestreiten, erkannte er, dasssich die Behörde mehr in die Karten sehen lassen musste, um Verschwörungstheorien den Wind aus den Segeln zu nehmen. 51 Einst war schon die Existenz der NSA ein Staatsgeheimnis gewesen. Nun musste sie sich selbst ins Gespräch bringen undlernen, mit den Medien umzugehen. Das war natürlich Neuland für die NSA. Es verunsicherteund schockierte die alten Hasen der Behörde, denen beigebrachtworden war, selbst mit ihren Ehepartnern niemals überihre Arbeit zu sprechen. Als Spionagebehörde kam die NSAeher hemdsärmelig daher. Sie hielt die Abhörmaschinerie inGang und war daher beliebt bei ruhigen Technikern, Mathematik-und Entschlüsselungsspezialisten sowie den bürokratischenMitläufern unter den militärischen und zivilen Abteilungsleitern. Keiner von ihnen konnte verstehen, warumHayden sich mit der Außenwelt, ja sogar mit der Presse auseinandersetzen wollte. Ihnen war klar, dass das Bild, das sich dieöffendichkeit von der NSA machte, eine Karikatur war unddass die Behörde erstaunliche und politisch riskante Erfolgezum Nutzen der Vereinigten Staaten vorweisen konnte, die jedochkaum jemals bekannt geworden waren. Zum Beispiel stahlen CIA und NSA 1990 gemeinsam praktischalle von der Sowjetunion benutzten Verschlüsselungsmaschinensamt Bedienungsanleitungen und verhalfen den CodeSpezialistender NSA damit gegenüber Moskau zu einembedeutenden Vorteil. Die Mitarbeiter von CIA und NSA erhieltendie Verschlüsselungsmaschinen in Prag und brachtensie ins NSA-Hauptquartier in Fort Meade, Maryland. DieOperation war ein Triumph für die Spionage, doch hätten dieFunktionäre der NSA niemals öffentlich darüber gesprochen,selbst Jahre später nicht. Lieber ließen sie die öffentlichen Fehleinschätzungenhinsichtlich der NSA ins Kraut schießen, alsihre Erfolge preiszugeben. Doch wenn die NSA nicht selbst den Diskurs eröffnete,fürchtete Hayden, dann würden sich die Legenden im Bewusstseinder Bevölkerung festsetzen und der Rückhalt fürdie Behörde
  56. und ihre Aufgabe schwinden. »Ich bin zu derberzeugung gelangt, dass wir nicht überleben können, solange das Bild dieser Behörde in der öffentlichkeit durch denletzten Film mit Will Smith bestimmt wird«, ließ Hayden aufC NN vernehmen. Die Behörde, versicherte er, habe aus dendunklen Zeiten der siebziger Jahre gelernt. Damals war derMachtmissbrauch von FBI, CIA - und NSA - von Kongresskomiteesunter Leitung des Senators von Idaho, Frank Church,und des New Yorker Abgeordneten Otis Pike enthüllt worden. Church und Pike hatten aufgedeckt, dass neben dem FBI auchdie NSA an der Bespitzelung von Aktivisten der BürgerrechtsundAnti-Vietnamkriegsbewegung beteiligt gewesen war. Präsident Harry Truman hatte die Behörde 1952 geschaffen,um die mit der Kodierung und Entschlüsselung befassten Einsatzgruppender Regierung zu bündeln. Ursprünglich warendie Möglichkeiten der NSA bei der elektronischen berwachunginnerhalb der USA kaum eingeschränkt. Erst aufgrundder Dossiers von Church und Pike verabschiedete der Kongress1978 ein Gesetz, das für Abhörmaßnahmen im Inlandbei Gefährdung der nationalen Sicherheit das Einholen vonberwachungsgenehmigungen, ausgestellt von einem geheimenGericht, zur Bedingung machte. Zusammen mit weiteren,in den siebziger und achtziger Jahren erlassenen Regelnund Bestimmungen für die Geheimdienste bedeutete dieserForeign Intelligence Surveillance Act (FISA) das Ende der Beteiligungder NSA an berwachungseinsätzen im Inland. Nun war das FBI dafür verantwortlich, für staatssicherndeAbhörmaßnahmen innerhalb der USA die Bewilligung bei einemspeziellen FISAGericht einzuholen. Die Rolle der NSAim Inland beschränkte sich im Großen und Ganzen auf Sondereinsätzewie das Verwanzen ausländischer Botschaften unddiplomatischer Vertretungen in Washington, New York undanderen Städten. Doch auch diese Einsätze erforderten FISAVollmachten. Hayden wollte die Amerikaner davon überzeugen, dass sichdie NSA an die Regeln hielt. »Könnte es einen Missbrauch geben?Natürlich wäre das möglich, aber ich sehe Ihnen und den amerikanischen Bürgern in die Augen und sage: Es gibt keinen«,verkündete Hayden auf CNN. »Wir sind sehr, sehr vorsichtig. Wir können den Menschen in Amerika nicht kommenmit: >Oh, nun, da ist noch was, das uns Leid tut. < Und wir habengroßen Respekt vor dem Fourth Amendment [den ViertenZusatzartikel zur Verfassung, der die Persönlichkeitsrechteund die Privatsphäre garantiert]. «Hayden kümmerte sich intensiv um die Offentlichkeitsar-0beit. Er hielt Reden, er trat im Fernsehen auf, er sprach mit Zeitungsreporternund Autoren, die Bücher
  57. über die Behördeschrieben. In seinem Hauptquartier in Fort Meade gab er sogarinformelle Abendessen für die Presse. Ein wichtiges Element inseiner Kampagne war die These, die NSA habe Mühe, mit demraschen Wandel in einer Zeit überbordender Informationsmengen,einer neuen Welt voller Mobiltelefone, BlackberryPager und Internet-Telefonie fertig zu werden. Die NSAsammle mehr Daten, als jemals irgendwer verarbeiten könne;selbst ihre Supercomputer schafften es kaum, die Spreu vomWeizen zu trennen. Hayden spielte die Fähigkeiten der NSAgern herunter und erzählte, früher sei die NSA eine Organisationdes Informationszeitalters im Industriezeitalter gewesen,während sie heute eine Organisation des Informationszeitaltersim Informationszeitalter sei. Ihr Vorsprung sei zusammengeschrumpft. Frei verkäufliche Kommunikationsmittel holtenauf. Haydens indirekte Botschaft: Die NSA sei eigentlich garnicht in der Lage, Amerika auszuspionieren! Er sagte zwarnicht, die NSA sei ein zahnloser Riese, doch wollte er mit Sicherheitjeden glauben machen, niemand habe etwas von ihrzu befürchten. »Was auch immer Sie im Fernsehen gesehen habenmögen, unsere Behörde nimmt keine Autopsien an Außerirdischenvor, wir verfolgen Ihr Auto nicht mit Satelliten undhaben auch keine Killerkommandos«, beruhigte er im Jahr2000 seine Hörer an der American University in Washington. Doch das war der Michael Hayden vor dem 11. September2001. Seit den Angriffen ist die NSA, an deren Spitze Hayden bis2(X)5 stand, von der BushRegierung umgeformt worden ineiner Art, über die Hayden und andere Mitglieder der Administrationnicht gern sprechen. Zum ersten Mal seit der Watergate-Arawerden von der NSA wieder Amerikaner abgehört,und das in großem Stil. Die Regierung Bush hat geltende Regeln und Bestimmungenaus fast dreißig Jahren beiseite gewischt und die NSA imGeheimen wieder zurück ins inländische Spionagegeschäftbugsiert. Die NSA bespitzelt in jedem gegebenen Momentrund fünfhundert Bürger der Vereinigten Staaten und hatpotenziell Zugang zu Millionen von Anschlüssen in denKommunikationsnetzen. Bush hat die NSA autorisiert, großeMengen von Telefongesprächen, EMail-Nachrichten und anderemInternetverkehr innerhalb der Vereinigten Staaten aufder Suche nach möglichen Beweisen für terroristische Aktivitätenzu belauschen, und das ohne gerichtliche Vollmacht undohne neue Gesetze, die das klammheimliche Sammeln von Informationenim Inland gestatten würden. In einer geheimen,Anfang 2002 und somit nur kurz nach den Anschlägen vom11. September unterzeichneten Anordnung ermächtigte Bushdie NSA, den Datenfluss innerhalb der Vereinigten Staaten zuüberwachen. Dadurch
  58. erhielt die Behörde in bisher ungekanntemAusmaß und mit neuen, erschreckenden MethodenZugriff auf das inländische Telekommunikationsnetz derUSA, eine radikale Abkehr von bisher geltenden Bestimmungenund herkömmlichen Praktiken der USGeheimdienste. Seit die NSA direkten Zugang zu dem wichtigsten Vermittlungsknotenpunkthat, horcht sie am Herzen der nationalenComputer-und Telefonnetze, über die viele der täglichen Telefonateund E-Mails in Amerika laufen. Mehrere mit den Tätigkeiten der NSA vertraute Regierungsmitarbeiter sind inzwischenan die öffentlichkeit getreten aus Sorge, sie würdendurch weiteres Schweigen zu Komplizen deijenigen werden,die für diese Machenschaften verantwortlich sind. Sie sind fest davon überzeugt, dass die geheime Anordnung des Präsidentengegen das Fourth Amendment of the Constitution verstößt,das unbegründete Verletzungen der Privatsphäre verbietet. Einigesind der Meinung, dass eine Untersuchung klären solle,inwieweit die BushAdministration die wirksamsten Werkzeugeder Geheimdienste gegen die Amerikaner selbst einsetzt. Der Reporter Eric Lichtblau erfuhr von einem über die Inlands-berwachungsoperationder NSA unterrichteten Rechtsberaterder Regierung, sie werde von den wenigen, die im Justizministeriumüberhaupt Kenntnis davon hätten, nur »dasProgramm« genannt. Es handelt sich möglicherweise um dieumfangreichste inländische Abhörmaßnahme seit den sechzigerJahren, größer als alles, was FBI oder CIA seit dem Vietnamkrieginnerhalb der Vereinigten Staaten durchgeführt haben. In der Absicht, das mit dem FI SA 1978 eingeführte Kontrollsystemabzuschaffen, haben Anwälte der Regierung eine Reihegeheimer Rechtsgutachten verfasst, gleich jenen, mit denendie gegen Gefangene aus dem Irak und Afghanistan angewendetenharten Verhörmethoden abgesichert werden sollten. Diejuristischen Argumente der Regierung Bush, die der Anwendungrabiater Verhörpraktiken gegen Al-QaidaMitglieder dasWort reden, sind jedoch bei Verbündeten der USA, bei Verfechternder Freiheitsrechte und auch bei den Gerichten aufstarken Widerstand gestoßen. Den ersten Rückschlag musstedie BushAdministration im Juni 2004 hinnehmen, als der SupremeCourt die Regierungspraxis, »feindliche Kämpfer«ohne Anhörung festzuhalten, für rechtswidrig erklärte. DasGericht warnte, ein Kriegszustand bedeute »keinen Blankoscheckfür den Präsidenten«. Für »das Programm« müsste eigentlich das Gleiche gelten. Und doch ist der Spionage-Einsatz der NSA im Inland geheimgeblieben, was bedeutet, dass Unterlagen wie Rechtsgutachtenzum Vorgehen der NSA noch immer der
  59. Geheimhaltungspflichtunterliegen. Die Regierung verfügt offenbar über mehrereGutachten zur Rechtfertigung des Abhörprogramms, verfasst von Rechtsberatern im Weißen Haus, in der CIA, der NSAund imjustizministerium. Sie stützen sich alle vor allem auf einegroßzügige Auslegung von Artikel zwei der Verfassung, derdem Präsidenten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte die Entscheidungsgewaltüberträgt. Insbesondere auf der Basis diesesVerfassungsartikels verabschiedete der Kongress wenige Tagenach dem 11. September eine Resolution, die den Präsidentenermächtigte, weltweit Krieg gegen den Terrorismus zu fuhren. Später entschieden Anwälte der BushAdministration, dass dieKriegsresolution auch die rechdiche Grundlage lieferte, die benötigtwurde, um die Lauschangriffe auf amerikanische Bürgerzu rechtfertigen. Während die BushAdministration nie öffentlich über denEinsatz der NSA gesprochen hat, kam aus dem Justizministeriumein kleiner Hinweis darauf, was die Regierung über dasinneramerikanische Spionageprogramm dachte. In einem wenigbeachteten Schriftsatz aus einem nicht mit dem Programmzusammenhängenden Gerichtsverfahren von 2002 stand: »DieVerfassung gibt dem Präsidenten die Befugnis, die geheimdienstlicheberwachung (elektronisch oder anderer Art) ausländischerMächte und ihrer Vertreter anzuordnen, ohne einegerichtliche Vollmacht einzuholen, und der Kongress hat nichtdas Recht, diese verfassungsmäßige Weisungsbefugnis aufzuheben. «Die Suche nach »Vertretern« ausländischer »Mächte«hat die NSA dazu gebracht, auch die inländischen Datenströ-me unter die Lupe zu nehmen. Innerhalb der Regierung wurden die moralischen und juristischenGesichtspunkte des NSA-Projekts kaum diskutiert,weil nur eine Hand voll hoher Regierungsmitglieder überhauptvon der Existenz des Lauschprogramms wusste. »Es warein strikt abgeschottetes Programm«, sagte ein sehr hoherRegierungsbeamter. »Auch Leuten, die normalerweise eingeweihtwerden, blieb es verborgen. «Der damalige Justizminister John Ashcroft gehörte zu denwenigen, die informiert waren, und er setzte eine handverlesene gieichgesinnte Gruppe konservativer Rechtsanwälte daraufan, die Sache juristisch wasserdicht zu machen. Möglicherweisewaren wieder die gleichen Anwälte dabei, die auch schondie Gutachten zur Rechtmäßigkeit rabiater Verhörmethodenabgefasst hatten. Das Uberwachungsprogramm der NSA wurde in einem»special access program« versteckt, der Geheimhaltungsstufefür die heikelsten verdeckten Einsätze auf Regierungsbefehl,»Das ist das größte Geheimnis, von dem ich weiß«, sagte einBeteiligter, dem dieses Wissen sehr zu
  60. schaffen machte,Beamte der BushAdministration rechtfertigen den Befehldes Präsidenten mit dem Argument, die Einschränkung der inländischenTätigkeiten der NSA und der CIA hätten die USAbeim Aufspüren und Verhüten von TerrorangrifFen behindertIhrer Meinung nach spielt die Inlandsüberwachung durch dieNSA im weltweiten Krieg gegen den Terrorismus eine entscheidendeRolle, doch konkrete Beispiele, die diese Ansichtuntermauern, sind sie weitgehend schuldig geblieben. Sie habenbis jetzt nicht erklärt, warum ein Terrorist so naiv sein solltezu glauben, seine elektronischen Nachrichten könnten nichtabgefangen werden. Die wenigen Experten fiir Rechtsfragen der nationalen Sicherheitin der Regierung, die in das NSAProgramm eingeweihtsind, glauben, es habe die öffentliche Debatte über denPatriot Act zur Farce werden lassen. Der Name des Gesetzesvon 2001 besteht aus den Anfangsbuchstaben des zweiten Teilsvon »LJniting and Strengthening America by Providing AppropriateTools Required to Intercept and Obstruct Terrorism«(Gesetz zur Einigung und Stärkung Amerikas durch Bereitstellunggeeigneter Mittel, die benötigt werden, um den Terrorismuszu stören und zu blockieren). Durch den Patriot Act wurdendie Möglichkeiten der nationalen Geheimdienste undErmittlungsbehörden ausgeweitet, mit Zustimmung des FiSAGerichtsden Telefon-und Internetverkehr von Terrorver-58 dächtigen zu überwachen. Aber nach wie vor muss das FBI fürjeden einzelnen innerstaatlichen LauschangrifF auf Telefon-,E-Mail- oder andere Formen der Kommunikation beim FI SAGerichteine Vollmacht erwirken. Um diese zu bekommen,muss das FBI den Nachweis erbringen, dass die ZielpersonVerbindungen zu einer Terrororganisation, einem ausländischenAgenten oder einer fremden Macht unterhält. Dochselbst dann hat das FBI im Vergleich zur NSA nur bescheidenetechnische Möglichkeiten und ist keinesfalls in der Lage, ganzeDaten-und Telefonnetze zu überwachen. Dazu fehlt ihm dasin Fort Meade versammelte Arsenal von Supercomputern, dasals die weltweit größte Ballung von Rechenkapazität gilt. Neu e Befugnisse für die NSA sind im Patriot Act nicht enthalten. Die Regierung Bush strebte absichtlich nicht die Zu -stimmung des Kongresses zum Lauscheinsatz der NSA an offenbarherrschte im Weißen Haus die Einsicht vor, dass derPlan eine hitzige Debatte auslösen und schließlich doch abgewiesenwerden würde. »Im Patriot Act wird die NSA nicht erwähnt«,sagte ein früherer Berater des Kongresses, der an derAusarbeitung des Patriot Act beteiligt war, vom Einsatz derNSA aber nichts wusste. »Ihr Auftrag ist die berwachungvon Zielen außerhalb der Vereinigten Staaten. «Inzwischen ist klar, dass sich
  61. das Weiße Haus durch die öffentlicheDebatte über den Patriot Act in dem vollen Bewusstseinschlug, dass die Geheimdienste inzwischen längst eineweitaus aggressivere Lauschkampagne durchführten. »Diesgeht über den Patriot Act weit hinaus«, sagte ein ehemaligerFunktionär, der über die Aktivitäten der NSA informiert war. Aufgrund der geheimen Anordnung von Präsident Bushstand es der NSA frei, auf ihren Computern äußerst leistungsfähige,ursprünglich zur Analyse ausländischer Kommunikationsdatenentwickelte Suchprogramme zur Durchleuchtunggroßer Mengen amerikanischer Daten einzusetzen. ber dasgenaue Ausmaß der Abhöraktionen der NSA ist wenig bekannt,doch lassen äußerungen von Regierungsmitgliedern59 auf einen riesigen Maßstab schließen. Man habe, berichten sie,auf gerichtliche Bevollmächtigung unter anderem deshalb verzichtet,weil die große Menge überwachter Telefongesprächeund E-Mails eine zügige Genehmigung unmöglich gemachthätte. Als das FISAGericht geschaffen wurde, hatte der Kongresstatsächlich keinen Grund zu der Annahme, dass die NSAeines Tages im eigenen Land eine gewaltige Lauschkampagnebetreiben würde. In den siebziger Jahren war weder die enormeZunahme des Telefon-und Nachrichtenverkehrs noch dierasch wachsende Abhängigkeit der Amerikaner von digitalerelektronischer Kommunikation abzusehen gewesen. Heuteschätzen Fachleute, dass in den USA jedes Jahr neun BillionenE-Mails verschickt werden. Ihr Mobiltelefon nutzen Amerikanertäglich für fast eine Milliarde Gespräche, und sie telefonierenweit über eine Milliarde Mal im Festnetz. Die technischen Mittel der NSA und ihre seit langem bestehendenBeziehungen zu den wichtigsten Telefongesellschaftenmachten es der Behörde leicht, eine große Zahl von Personenohne deren Wissen abzuhören. Gemäß Bushs Anordnung vereinbartenUS-Geheimdienstbeamte mit den führenden Telefongesellschafteneinen Zugang zu den großen Vermittlungsstellen,über die die meisten Telefongespräche in Amerikageschaltet werden. Auch den überwiegenden Teil des durchdas Telefonnetz fließenden E-Mail-Verkehrs zapfte die NSAan. Die Namen der beteiligten Telefongesellschaften bliebengeheim. Wie mehrere Regierungsbeamte berichteten, unterhältdie NSA enge Beziehungen sowohl zu den Telefongesellschaftenals auch zur Computerindustrie. Nur sehr wenigeVorstandsmitglieder in diesen Unternehmen wissen von denVerbindungen oder sind sich über die Bereitschaft ihrer Firmenzur Kooperation in Uberwachungsfragen im Klaren. Die Hauptgründe für »das Programm« lagen, wie mehrereInsider erzählten, darin, dass die NSA und die CIA durch diebestehenden Auflagen
  62. zu sehr in ihren Möglichkeiten gebremstwurden, drohende Terrorattacken zu erkennen und zu verhindern. Viele internationale Verbindungen, zum BeispielTelefongespräche und E-Mails zwischen dem Nahen Ostenund Asien, liefen über Schaltstellen in den USA, und die Beschränkungder inneramerikanischen berwachung habe zurFolge gehabt, dass solch internationale Kommunikation vonamerikanischem Boden aus nicht belauscht werden durfte. Deshalb seien Ermitdern der amerikanischen TerrorabwehrTelefonate und E-Mails zwischen im Ausland agierenden Terroristenentgangen. Die neue Verfügung des Präsidenten verschaffte der NSAnun durch die »Hintertür« direkten Zugang zu diesen Vermittlungsknoten. Der »Transitverkehr« über amerikanische Schaltstellen, unteranderem viele Gespräche zwischen Europa und Asien, hatin den letzten Jahren mit der Globalisierung des Telefonnetzesrasant zugenommen. Für die digitalen Daten bestimmenComputersysteme je nach der momentanen bertragungsrateund Netzbelastung die schnellste Route. Sie muss nichtzwangsläufig der kürzesten Verbindung zwischen den beidenEndpunkten entsprechen. So kann es vorkommen, dass Gesprächevon Cleveland nach Chicago durch dieselbe Vermittlungsstellelaufen wie Gespräche von Islamabad nach Jakarta. Es ist heute schwierig zu entscheiden, wo das nationale Telefonnetzaufhört und das internationale beginnt. In den Jahren vor dem 11. September erkannte die NSA offenbar,dass die Zunahme des telefonischen Transitverkehrs zueinem Problem wurde, das weder durch den FISA noch durchdie anderen Geheimdienstbestimmungen aus den siebzigerJahren abgedeckt wurde. Da Auslandsgespräche durch Vermittlungsstellenauf amerikanischem Boden liefen, fiel das Abhörendieser Gespräche unter die einschränkenden Inlandsbestimmungen. Doch gleichzeitig bot der telefonische Transitverkehr eineeinzigartige Gelegenheit. Wenn die NSA die Schaltknoten anzapfenkönnte, so die berlegung, wäre sie in der Lage, Millionen internationaler Gespräche zu überwachen, und das ständigund viel wirkungsvoller als vom Ausland aus, wo Spionagesatellitenund Horchposten nötig waren, um die Telefonsignaleeinzufangen. Natürlich bekäme die NSA dadurch auch direktenZugang zum nationalen Telefonnetz. Der Streit innerhalb der NSA, ob die berwachung desTransitverkehrs rechtmäßig sei, wurde nach dem 11. Septemberzu einer rein akademischen Frage. Bush war entschlossen,die für Friedenszeiten geltenden Regeln, die seit den siebzigerJahren die Aktivitäten der USGeheimdienste eingeschränkthatten, beiseite zu fegen, und er räumte der NSA weit reichendeneue Befugnisse ein. Speziell für sie wurden geheime
  63. Türenzum Vermittlungssystem eingerichtet. Damit war die Behördein den Zentren der elektronischen Kommunikation Amerikasplatziert. Laut einem vormals bei der NSA beschäftigten, unabhängigenExperten für Abhörschutz hat die US-Regierungin letzter Zeit die Telefongesellschaften dazu ermutigt, dieMenge der durch amerikanische Schaltstellen geleiteten inter-» nationalen Telefon-und Internetkommunikation zu erhöhen. Nach Angaben von Regierungsmitarbeitern befinden sicheinige der wichtigsten Knotenpunkte zwischen den inländischenund transnationalen Telefonnetzen im Großraum NewYork. Sie speisen die am Grund des Atlantiks verlegten Verbindungskabelnach Europa und in die übrige Welt. Die NSAscheint nun Zugang zu diesen Vermittlungsstellen zu habenund kann so den ein-und ausgehenden Telefonverkehr überwachen. Darüber hinaus ist die NSA in der Lage, die E-Mails jedesbehebigen Amerikaners zu verfolgen. Es gehört zu den Geheimnissendes Internet, dass seine Struktur hauptsächlich vonden Vereinigten Staaten bereitgestellt wird und dass deshalb einGroßteil des weltweiten E-Mail-Aufkommens früher oder spä-ter durch amerikanische Datennetze fließt. E-Mails zwischenDeutschland und Italien oder zwischen Pakistan und Jemenbeispielsweise laufen häufig über Amerika. Durch die geheime6 2 Anordnung des Präsidenten Ist es der NSA möglich, diesenMail-Austausch *u inspizieren - und gleichzeitig diet Mails von Millionen Amerikanern»Im Zuge des Programms belauscht die NSA sowohl denelektronischen Transitverkehr als auch Telefonate und E-Mailsvon den Vereinigten Staaten ins Ausland. Befürworter des Programmsversichern, die NSA halte das Ausnuß der im Inlandüberwachten Telekommunikation zwischen US-Bürgern soireruu? wie möglich» um zu vermeiden, dass deren Persönlichkeitsrxvhteverletzt werden, doch tatsächlich unterliegen dieseAktivitäten der NS A praktisch keiner unabhängigen Kontrolle. Q&nk des direkten Zugriffs zum amerikanischen Telefonnetz$ibt es tür die NSA weder technische noch logistische Hindernisse,die sie davon abhalten könnten» jeden x-Beliebigen inden Vereinigten Staaten abzuhören. Die NSA behauptet auch, sie würde nur Personen überwachen,die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Terrorszenezu unterhalten, doch das zu kontrollieren ist unmöglich. DerLauscheinsatz der NSA besann den Alisaben darüber unternchteterInformanten zufolge im Jahr 2002, bald nach der Festnähmeder ersten hochrangigen AlQaida-Mitriieder im AusLuxidurch die CIA. Die dabei beschlagnahmten Laptops,Handys und Telefonlisten enthielten Telefonnummern undE-Mail-Adressen von Personen, mit denen die AlQaida-Akd-\isren weltweit in Verbindung
  64. standen. Die CIA übergab dieseNamen, Adressen und Nummer n der NSA, die sofort begann,che betrettenden -Anschlüsse zu überwachen, ebenso die Anschlüssealler Personen, die mit ihnen in Kontakt standen, undso fort, in einem sich immer weiter ausdehnenden Netz vonTelefonnummern und Internetadressen inner-Nvie außerhalbd e r USA . II KDie NSA bestimmt selbst, welche Anschlüsse und E-MailAdressenüberwacht werden. Weder das Weiße Haus noch daslusQzmimsterium noch ingendiemand sonst in der Bush-Administraaonmuss dazu eine Genehmigung erteilen. Stattdessen wird eine interne Checkliste gefuhrt, um zu entscheiden,ob ein »hinreichender Verdacht« für eine berwachungvorliegt. Die Regierung Bush ist der Meinung, dass dieCheckliste der NSA die gerichtliche Prüfung dieses hinreichendenVerdachts ersetzt, doch prüfen weder die Staatsanwälteder Bundesgerichte noch Anwälte aus dem Justizministeriumdie ausgewählten Personen, bevor die NSA sie anzapft. Gelegentlich wird das Programm der NSA einer Revisiondurch hohe Justizbeamte unterzogen, doch entscheidet letztlichimmer die NSA selbst, wer bespitzelt wird, und der Präsidentenbefehllässt ihr dabei viel Freiraum. Die Existenz des Programms wurde bislang als so geheim gehandelt,dass hohe Regierungsbeamte sich alle Mühe gaben,die Quellen gesammelter Informationen unzugänglich zu machen. Wenn die NSA aus den Telekommunikationsknoten potenziellbedeutsame Informationen gewinnt, so werden diesenach Aussage von Beteiligten »gereinigt«, bevor sie an dieCIA oder das FBI weitergegeben werden. Deshalb fehlt in diesenBerichten jeder Hinweis darauf, dass die Informationen ausAbhörmaßnahmen im eigenen Land stammen. Von Beamten der BushAdministration erhält man unterschiedlicheEinschätzungen, ob die aus LauschangrifFen ohnerichterliche Genehmigung stammenden Erkenntnisse auch inStrafverfahren innerhalb der USA benutzt werden. Ein hoherRegierungsbeamter beharrte darauf, dass dies niemals geschehensei, während andere hohe Beamte die Meinung vertraten,das Lauschprogramm habe sich bei Ermittlungen gegen denTerrorismus im Inland bewährt. Möglicherweise sind beideEinschätzungen richtig. Offenbar werden die Erkenntnisse genutzt,um in den Vereinigten Staaten Verdächtige aufzuspüren,doch würden die ohne Vollmacht erlangten Abhörprotokollehöchstwahrscheinlich nicht als Beweismittel vor einem amerikanischenGericht zugelassen werden. Das ist wohl der Grund,warum die BushRegierung keinen Versuch unternimmt, derartigeFälle vor Gericht zu bringen. Seit dem 11. September en-6ä deten mehrere Aufsehen erregende Fälle, die in Zusammenhangmit terroristischen Aktivitäten
  65. standen, entweder mit»plea bargairo« genannten Vereinbarungen mit dem Angeklagten,sich zu einem geringeren Straftatbestand schuldig zu bekennen,oder durch außergerichtliche Einigungen, Abgesehenvon wenigen Ausnahmen fanden keine regulären Verfahrenstatt. Ein Grund tür diese Strategie könnte die Befürchtung derRegierung sein, illegaler Abhörtätigkeit überfuhrt zu werden. Für die Verschleierung der Rolle der NSA bei der Uberwachunginnerhalb des Landes bieten sich der Regierungmehrere Möglichkeiten. In einigen Fällen beantragt sie beimFI SAGericht die Genehmigung von Lauschangriffen gegen Personen, die von der NSA bereits vorher ohne Uberwachungsvollmachtabgehört wurden. Die BushAdministration rechtfertigt diese Praxis mit derFeststellung, Genehmigungen würden nur für das Abhören inc c cländischer Gespräche zwischen zwei Telefonen innerhalb derUS A der unter dem NSA-Proeramm überwachten Personeneingeholt. Da sich die NSA eigentlich auf den internationalen»Transitverkehr« sowie auf Gespräche und E-Mails zwischenPersonen in den USA und Personen im Ausland konzentrierensoll, sagen Regierungsbeamte, sie würden FISA-Genehmigungennur dann einholen, wenn sie beschlössen, die Ermittlungenauszuweiten und alle Verbindungen eines Verdächtigenüberwachen zu lassen. Die Zustimmung des F ISAGerichts wird jedoch zumindestteilweise mit Hilfe von Informationen aus vorangegangenen,nicht genehmigten Lauschaktionen erwirkt. Allem Anscheinnach wählt die Regierung immer häufiger diesen Weg; nachSchätzung zweier Rechtsanwälte basieren zwischen zehn undzwanzig Prozent der vom geheimen FISAGericht ausgestelltenVollmachten auf Informationen aus dem Inlandsüberwachungsprogrammder NSA. Nach Aussage von Angehörigen der Bush-Administrationnutzt die NSA das Telefon-und EMail-berwachungspro-65 gramm im Ausland derzeit bei etwa siebentausend Personen,Sie räumen ein, dass die NSA darüber hinaus die Verbindungenvon etwa fiinfhundert Personen innerhalb der USA beobachtet. Jede dieser Personen führt täglich wahrscheinlich einigeTelefonate und verschickt einige E-Mails, was bedeutet, dassdie NSA im eigenen Land Tag fiir Tag Tausende von Gesprächen, E-Mails und diversen Nachrichten bespitzelt. Die Gesamtzahlder von der NSA im Lauf der Zeit auf amerikanischemBoden belauschten Telefongespräche und E-Mails gehtsicherlich in die Millionen. Die Ausweitung des Auftrags der NSA auf die Inlandsüberwachunghat Auswirkungen, die unter Verfechtern bürgerlicherFreiheiten mit Sicherheit Protest auslösen werden. Selbsthohe Beamte innerhalb der Regierung
  66. haben die Rechtmäßigkeit des Programms in Frage gestellt. Regierungsbeamte,die von dem Ubeiwachungsprogramm wussten, »nahmen einfachan, dass da etwas Illegales lieft, sagte ein Mitarbeiter desJustizministeriums. »Die Leute schauten einfach weg, weil siegar nicht wissen wollten, was da vor sich ging. «Einige hohe Mitarbeiter der Regierung Bush erfuhren ingroben Zügen vom NSA-Einsatz, wurden jedoch nie offizielleingeweiht und waren verblüfft, dass das Weiße Haus und dasJustizministerium die Inlandsspionage gestatteten. »Das istwirklich eine erstaunliche Wende«, sagte ein ehemaliger hoherPolizeibeamter, der sowohl unter juristischen Gesichtspunktenals auch wegen der Außenwirkung Bedenken hatte. »Dass dieNSA nur das Ausland überwacht, ist doch fast schon einer derTragpfeiler unseres Landes. «Nachdem Präsident Bush durch seine Unterschrift das NSALauschprogrammgenehmigt hatte, unterrichtete die Regierungunter der Hand den Vorsitzenden des geheimen FISAGerichts,das Abhörmaßnahmen genehmigt, wenndienationale Sicherheit bedroht ist. Den Vorsitz hatte damalsRoyce C. Lamberth, Richter am U. S. District Court, ein angenehmer,rundlicher Texaner und Republikaner. Die Regierung forderte nicht seine Einwilligung, und all nie befchlofi,für das NSAProgramm keine Genehmigungen einzuholen,legte er sich nicht quer. Im Frühjahr 2004 wurden die Operationen der NSA zumindestkurzfristig heruntergefahren, als Lamberth« Nachfolgerinbeim FISAGericht, Colleen Kollar-Kotelly, der Frage nachzugehenbegann, wie das NSAProgramm genutzt wurde, umInformationen zu gewinnen. Die von der District-CourtRichteringeäußerten Befürchtungen ließen die Bush-Regierungmerklich erzittern. Nach der Ansicht eines Beteiligtenkam das Programm für ungefähr drei Wochen praktisch zumStillstand. Andere ranghohe Regierungsbeamte deuteten an,dass nach der Beschwerde der Richterin einige der aggressivstenMethoden im NSAUberwachungsprogramm nicht mehrangewendet wurden. Im Jahr 2002 wurden kurz nach Beginn der neuen Missionder NSA die wichtigsten Kongressmitglieder beider Parteienins Büro von Vizepräsident Dick Cheney im Weißen Haus gebetenund von Cheney, Hayden und dem damaligen CIA-DirektorGeorge Tenet über die Operation unterrichtet. DieFührer des Kongresses, darunter Bob Graham, der demokratischeSenator von Florida, und Richard Shelby, der republikanischeSenator von Alabama, sowie der Vorsitzende und derstellvertretende Vorsitzende des Senate Select Committee onIntelligence, durften zu dieser Besprechung keine Mitarbeitermitbringen
  67. und wurden angewiesen, mit niemandem darüberzu sprechen. Fragen zu dem Programm konnten die Abgeordnetenkaum vorbringen, und ihre Mitarbeiter durften sie nichtbeauftragen, Nachforschungen über die NSA-Aktivitäten anzustellen. Sie erfuhren offenbar nur, was ihnen Cheney undandere Regierungsmitglieder über das Programm zu erzählengewillt waren. Als später andere Politiker die Geheimdienstausschüsseübernahmen, brachte nur ein Kongressfuhrer, der demokratischeSenator Jay Rockefeller, ein Demokrat aus West Virginia, gegenüber dem Weißen Haus Bedenken vor. Nachdem er zuBeginn des Jahres 2003 in den Vorgang eingeweiht wordenwar, schrieb er in einem Brief an Cheney, er sei besorgt überden NSA-Einsatz und die mit ihm verbundene Gefahr der Verletzungder Bürgerrechte von Amerikanern. Rockefeiler hatte dem Weißen Haus vorher angekündigt, erwerde in einem Brief Einwände erheben. Er erhielt darauf vonRegierungsbeamten die Antwort, er müsse einen solchenBrief persönlich schreiben. Rockefeller hielt sich an die Anweisungund übergab den Brief. Nichts deutet darauf hin,dass er jemals eine Antwort von Cheney erhielt. Die wenigen anderen Demokraten, die über die Operationunterrichtet wurden, sind auf die Linie des Weißen Hauseseingeschwenkt, möglicherweise unter dem Eindruck der breitenöffendichen Unterstützung flir harte Anti-Terror-Maßnahmen nach dem 11. September. Zumindest ein weiterer indie Vorgänge eingeweihter ranghoher Demokrat bedauertespäter, dass er den Beschluss der Regierung, die Aktion anlaufenzu lassen, akzeptiert hatte. Ihm wurde klar, dass das WeißeHaus die Kongressfuhrer in eine Falle gelockt hatte. Durch dieGeheimtreffen ohne Mitarbeiter und die Forderung, mit niemandemjemals darüber zu sprechen, hatte man sie regelrechtgelähmt. Je mehr Zeit verstrich, desto schwieriger wurde es flirdiese Demokraten, das Programm zu kritisieren, denn dasWeiße Haus brauchte nur darauf zu verweisen, dass sie seit Jahreninformiert wurden und sich kaum beschwert hatten. Mit Ausnahme dieser kleinen Zahl wichtiger Senatoren undKongressabgeordneter, die vom Weißen Haus in das NSAProgrammeingeweiht wurden, leben die meisten Politiker imKongress in dem Glauben, der FISA hätte der Regierung einfür allemal die Möglichkeit genommen, innerhalb der VereinigtenStaaten ohne Gerichtsbeschluss Abhörmaßnahmendurchzufuhren. Wie einige Experten in Rechtsfragen der nationalenSicherheit berichteten, hatten frühere Präsidentenzwar regelmäßig trotz FISA auf ihr Recht hingewiesen, ungenehmigte Lauschaktionen innerhalb der USA anzuordnen, undzwar unter besonderen Umständen zum Wohle der nationalenSicherheit. Für den
  68. Kongress war dies jedoch in der Vergangenheitnie ein Problem gewesen, da seit Inkrafttreten des FI SAkein Präsident von dieser Befugnis Gebrauch gemacht hatte. Die den Einsatz der NSA unterstützenden Rechtsgutachtenentstanden nach geheimen Beratungen über die Ausweitungder Rolle der NSA. So schrieb zum Beispiel John Yoo, Anwaltim Office of Legal Counsel des Justizministeriums, nur wenigeTage nach dem Angriff vom 11. September 2001 eine interneMitteilung, in der er die Möglichkeit erörterte, die Regierungkönne »fiir die berwachung von Telefonaten undPersonenbewegungen wirksamere und raffiniertere elektronischeVerfahren und Geräte als die Polizei verwenden, und dies,ohne dafür Genehmigungen einzuholen«. Yoo merkte an, einderartiges Vorgehen könne zwar Fragen der Verfassungsmä-ßigkeit aufwerfen, doch sei die Regierung angesichts zerstörerischerTerrorattacken »berechtigt, Maßnahmen zu ergreifen,die in friedlicheren Zeiten als Angriffe auf die Persönlichkeitsrechteangesehen werden könnten«. Uber diese Frage wollte die Regierung Bush natürlich nichtoffen im Kongress debattieren. Der Versuch, die Zustimmungdes Kongresses einzuholen, galt als politisch riskant, da dieVorlage bei Bürgerrechtsgruppen auf erbitterten Widerstandstoßen musste. Anwälte der Regierung untermauerten im Stillendie Entscheidung des Weißen Hauses, keine neuen Gesetzezur Legalisierung der NSA-Operationen auf den Weg zu bringen,mit dem Argument, die nach dem 11. September vomKongress verabschiedete Resolution erteile die nötigen Befugnisseund mache neue Gesetze überflüssig. Am Ende bleibt die Regierung trotz aller Versuche, die Inlandsspionagezu rechtfertigen, die Erklärung schuldig, warumTerrorverdächtige nicht auch mit entsprechend den FISA-Regelnerteilten Genehmigungen überwacht werden können. Mehrere Regierungsbeamte berichteten, sie hätten seit dem69 lt. September keinerlei Probleme gehabt, beim FISA-GerichtAbhörgenehmigungen zu erhalten. Laut Justizministerium hatsich zwischen 2001 und 2003 die Zahl der ausgestellten Vollmachtenfiir Auslandsspionage auf mehr als 1700 verdoppelt. Auch war es für die Regierung sehr einfach, diese genehmigtenLauschangriffe geheim zu halten. In sehr heiklen Fällenkönnen die Abhörgesuche unter so strenger Geheimhaltungbearbeitet werden, dass in der Exekutive selbst auf höchsterEbene nur diejenigen eingeweiht werden, die unbedingt Bescheidwissen müssen. Während der öffentlichen Debatte über den Patriot Actmerkten Angehörige der BushAdministration immer wiederberuhigend an, das Gesetz werde die Befugnisse der NSA nichtausweiten, die Sorge, das Gesetzesvorhaben bedeute einenEingriff in
  69. die Privatsphäre, entbehre jeder Grundlage. SelbstYoo führte in einem Artikel im Wall Street Journal an, dass dieKritiker ein stark verzerrtes Bild vom Patriot Act hätten. »DieBürgerrechder wollen uns glauben machen, der Patriot Act erlaubees CIA-und NSA-Agenten, einfach im Land umherzuziehenund beliebig Menschen zu verhaften«, schrieb Yoo. »Nichts wäre weiter von der Wahrheit entfernt. «Einer der beunruhigendsten Gesichtspunkte des Eintritts derNSA in die Inlandsspionage ist, dass dies nur eine in einer ganzenSerie von Maßnahmen und Entscheidungen der Bush-Regierungist, welche die Bürgerrechte in den Vereinigten Staateneinzuschränken drohen. Quer durch die Verwaltung sindfragwürdige, in der Aufregung nach dem 11. September vorschnellgefällte Entscheidungen stillschweigend festgezurrtworden. Dadurch sinkt zunehmend die allgemeine Hemmschwelle,ins Privatleben der Durchschnittsamerikaner einzugreifen. So weitete das USMilitär 2002 seinen Einfluss im Inlandaus, indem es das Northern Command gründete, denerstell zum Schutz des amerikanischen Heimadandes eingerichtetenBefehlsbereich in der jüngeren Geschichte. Die70 militärischen Geheimagenten heraufbeschworen, die insbesonderein der Nähe großer Militärbasen eng mit lokalen Polizeistellenzusammenarbeiten. Bislang wurden nur wenige Einwändedagegen erhoben. Seit der Einrichtung des Programms hat Präsident Bush nichtmit Lohn und Lorbeer für Hayden gespart. 2005 wurde er zumstellvertretenden Direktor der Geheimdienste ernannt und damitzum ersten Mann hinter dem Chef aller Geheimdienste,John Negroponte. Dessen Position Director of National Intelligence-wurde im Zuge der Reformen nach dem 11. Septemberneu geschaffen. Während der Anhörungen im Senatvor seiner Ernennung wurde Hayden nie öffentlich zu dem geheimenInlandsabhörprogramm der NSA befragt. In Privatgesprächen hat Hayden seine Rolle bei der Inlandsspionageverteidigt. So sei der Einsatz der NSA als Teil desKrieges gegen den Terrorismus »rechtmäßig, angemessen undwirksam«. Darüber hinaus ist von ihm, außer dass die Sache»äußerst funktionsfähig« sei, nicht viel zu erfahren. MehrereBeteiligte sagten, »das Programm« sei auch Ende 2005 nochim Gang. Schaltung des Northern Command hat bereits jetzt dasSchreckgespenst von auf amerikanischem Boden eingesetztenmilitärischen Geheimagenten heraufbeschworen, die insbesonderein der Nähe großer Militärbasen eng mit lokalen Poiizeisteilenzusammenarbeiten. Bislang wurden nur wenige Einwändedagegen erhoben. Seit der Einrichtung des Programms hat Präsident Bush nichtmit Lohn und Lorbeer fiir Hayden gespart, 2005 wurde
  70. er zumstellvertretenden Direktor der Geheimdienste ernannt und damitzum ersten Mann hinter dem Chef aller Geheimdienste,John Negroponte. Dessen Position Director of National Intelhgence wurde im Zuge der Reformen nach dem 11. Septemberneu geschaffen. Wahrend der Anhörungen im Senatvor seiner Ernennung wurde Hayden nie öffentlich zu dem geheimenInlandsabhörprogramm der NSA befragt. In PnVorgesprächen hat Hayden seine Rolle bei der Inlandsspiomgeverteidigt. So sei der Einsatz der NSA als Teil desKrieges gegen den Terrorismus »rechtmäßig, angemessen undwirksam«. Darüber hinaus ist von ihm, außer dass die Sacheäußerst funktionsfähig* sei, nicht viel zu erfahren. MehrereBeteiligte sagten, »das Programm« sei auch Ende 2005 nochim Gang. 3
  71. Casus Belli Unter George W. Bush gab es innerhalb des amerikanischenSicherheitsapparats zweierlei beunruhigende Entwicklungen. Zum einen autorisierte der Präsident persönlich neuartigeOperationen wie das inländische Uberwachungsprogrammder NSA, das unter normalen Umständen so gut wie sicher abgelehntworden wäre und noch dazu schwerwiegende juristischeund politische Fragen aufgeworfen hätte. Di e andere ungesunde Entwicklung ging auf das fieberhafte Arbeitsklimazurück, das in der gesamten Regierun g von Bush und seinen höchsten Beratern verbreitet wurde . Der Präsident signalisierteallen deutlich, was er gern erledigt haben wollte; auch ohneausdrückliche präsidiale Anweisung verstanden die ehrgeizigstenMitarbeiter sofort seine Botschaft. Entscheidungen wurdenim Schnellverfahren getroffen. Dieses Klima wirkte sichauch auf den Umgan g mit Inhaftierten aus; die Standards füreine humane Behandlung von Gefangenen, von denen dieVereinigten Staaten sich während ihrer ganzen moderne n Geschichtehatten leiten lassen, erodierten zunehmend .Aber damit nicht genug: Bush krempelt e auch auf eine andere,ebenso beunruhigende Weise, vor allem wegen desIrakkriegs, den gesamten nationalen Sicherheitsapparat um.Das Verteidigungsministerium wurd e gegen die CIA ausgespielt,und Fraktionen innerhalb der CIA wiederum gegeneinander.Am Ende erfasste das Kriegsfieber auch die unterstenRänge. Während der ersten Jahre der BushAdministration hatten dieChefs des Verteidigungsministeriums und der CIA persönlichein gutes Verhältnis zueinander. Zwischen den beiden lief alleswie am Schnürchen. Donald Rumsfeld und George Tenet trafensich regelmäßig im Pentagon zum Mittagessen, und zwarin Gesellschaft von nur wenigen Mitarbeitern. Die beiden kamengut miteinander aus. Tenet entwickelte zu Rumsfeld zwarnie eine so herzliche und freundschaftliche Beziehung wie zuPräsident Bush oder auch zu Außenminister Colin Powell -wie Tenet ein Kind New Yorks , aber das wäre wohl auch zuviel verlangt gewesen.Ein wesentlicher Grund für das gute Verhältnis zwischen Tenetund Rumsfeld war der Umstand, dass Tenet sich vonRumsfeld einschüchtern oder zumindest ausmanövrieren -Heß und ihn so gut wie nie zur Rede stellte, wenn er wiedereinmal Missgunst zwischen dem Pentagon und den Geheimdienstensäte. Tenet und Rumsfeld plauderten über das letzteTreffen im Weißen Haus, an dem sie teilgenommen hatten,oder der CIA Chef ergötzte Rumsfeld mit Geschichten und Anekdoten aus laufenden Spionagefällen. Doch Tenet vermiedes tunlichst, die dringendsten Themen
  72. anzusprechen, die nachAnsicht einiger Beamter der CIA und anderer Geheimdienstbehörden schleunigst mit dem Verteidigungsministerium zuklären waren. Immerhin kontrollierte das Ministerium rund achtzig Prozent des Budgets für die US Geheimdienste. Vor jedem Essen bereiteten Tenets Mitarbeiter eine Liste mit Themenvor, die mit Rumsfeld besprochen werden mussten, dochmeist ignorierte Tenet diese Liste, und wenn er sich an sie hielt,dann übersprang er die heiklen Punkte. Bat Tenet jedochRumsfeld einmal bei einem Problem, dem er nicht aus demWeg gehen konnte, um Hilfe zum Beispiel bei Programmenfür Aufklärungssatelliten , so gewährte Rumsfeld sie ihm inder Regel auch. Aber Tenet übte allem Anschein nach nur beiFragen Druck aus, bei denen er wusste, dass es nicht zum Konfliktkommen würde. Ihm stand nicht der Sinn nach erbitterten und ermüdenden Auseinandersetzungen zwischen Regierungsbehörden,schon gar nicht gegen ein erfahrenes Schwergewichtwie Rumsfeld, der schon Verteidigungsministergewesen war (unter Gerald Ford), als Tenet noch in GeorgetownVorlesungen hörte. Vermutlich hielt er es für sinnvoller,Rumsfeld mit amüsanten Anekdötchen bei Laune zu halten,als sich seinen Zorn zuzuziehen und sich auf Auseinandersetzungeneinzulassen, die er ohnehin verlieren würde.Rumsfeld genoss Tenets Gesellschaft. (Allerdings wusch erihm einmal beim Essen vor anderen den Kopf, weil er in Gegenwarteiner Frau das Wort »fuck« gebraucht hatte. Lauteinem Augenzeugen schwiegen danach alle ein paar Sekundenlang peinlich berührt.) Doch am Ende dieser Treffen herrschtemanchmal, zumindest auf Seiten des Verteidigungsministeriums,das Gefühl vor, das Gespräch habe nichts Wesentlichesgebracht. In diesen Fällen wandte sich Rumsfeld, nachdem Tenetund seine Mitarbeiter gegangen waren, zumeist an einenAssistenten.Hätte ich das alles wissen müssen?, fragte er dann.Nein, Herr Minister, keineswegs, lautete gewöhnlich die Antwort. »George verbrachte den größten Teil der Zeit damit, ihmAnekdoten über operative Dinge aus dem DO [Directorate ofOperations] zu erzählen, so wie ein x-beliebiger Mann sich miteinem anderen unterhält«, erinnerte sich ein MitarbeiterRumsfelds.»Tenet wollte bei ihm Eindruck schinden«, räumte ein ehemaligerMitarbeiter des CIA Chefs ein.George Tenet war wohl nicht der einzige hohe Beamte inder BushAdministration, der sich von Don Rumsfeld einschüchternund ins Bockshorn jagen ließ. Gleich zu Beginnseiner Amtszeit stellte Rumsfeld klar, dass er nicht die Absichthabe, Befehle vom Nationalen Sicherheitsrat (NSC) im Wei-ßen Haus entgegenzunehmen: Er arbeite für George W. Bush,nicht für Condoleezza
  73. Rice. Wenn der Präsident etwas von ihm wolle dann koenne er ihm das persoenlich sagen. im stabdes sicherheitsrats setzte sich schon bald die ueberzeugung festdass rumsfeld auch seinen mitarbeitern im pentabgon gesagthatte sie koennten anweisungen des NSC ruhig ignorieren am ende stellte sich heraus, dass Condoleeza Rice die Pentagon Führungnie dazu bringen konnte, sich an die ueblichen Ablaeufe zwischen US Behoerdenzu halten, die dafuer sorgten, dass in Washington alles reibungslos liefDarueber hinaus zeigte sich, das Rumsfeld und seine hoechsten Mitarbeiter sich nicht darum scherten,wenn sie das WEisse Haus in politischen Kernthemen laecherlich machten Den Ausschlag gab das Machtverhaeltnis zwischen Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney dem eigentlichen Sicherheitsberater des Präsidenten. Rumsfeld war Cheneys Mentor und Chef gewesen lange beovr derjunge Mann zum Vize aufgestiegen war. Der Rest der Regierungsmannschaft musste am Ende erkenen, dass Cheney und Rumsfelddie wirklichen Entscheidungen meist hinter ihrem Ruecken traen und gressere Sitzungen haeufig belanglis waren.Infolge dieser Entwicklng war die Bushregiuenrg die erste Präsidenschaft in der neueren Geschichte der USA in der Das Pentagondie Funktion des Gravitationszentrum fuer die US Aussenpolitik einnahm "Condi war eine sehr sehr schwache Nationale Sicherheitsberaterin" berichtete ein ehem. Mitarbeiter aus ihrem Stab "Sie schiendem Präsidenten nahe zu stehen, aber das hiess noch lange nict, dass sie den Ablauf unter Kontrolle hatte Der Ablauf im NSC war unter dieserREgierung gestoert Da gab es eine Reihe von Entscheidungstraegern die in fast allen Fragen entgegengesetzer MEinung waren. In einem solchenFall muss man entweder einen Konsens herbeifuehren oder die Optinen pruefen und etnscheiudngen treffen Und als nationaler Sicherheitsberater hat man die Aufgabe, den PRäsidenten zu entscheidungen zu bewegen. Doch sie liess den fehlenden Konsens einfach bestehen. Rumsfeld unterstand keiner ernstzu nehmenden Kontrolle durch die Nationale Sicherheit»-beraterin.«Ein ehemaliger C1A-Spitzenbeamter stimmte dem zu: 4chglaube, Rice leitete eigenthch so gut wie gar nichts, und ssewird wohl als der schlechteste Nationale Sicherheitsberater indie Geschichte eingehen. Der wahre Nationale Sicherheitsberaterwar in meinen Augen Cheney, folglich konnten Cheneyund Rumsfekl tun und lassen, was sie wollten.*Nach dem ! I. September rückten die strukturellen Problemeder Regierung Bush stärker ins Rampenlicht, was radikaleund unvermittelte Kurswechsel in der amerikanischen Außenpolitikzur Folge hatte. Unter normalen Umständen dauert esJE 9JPMonate, wenn nicht
  74. Jahre intensiver Studien und berlegungenim nationalen Sicherheitsapparat der Regierung, bis eineneue politische Initiative präsentiert wird-Ministerien und andereBehörden, häufig mit sehr unterschiedlichen Interessen,erhalten Gelegenheit, ihre Ansichten zu neuen VorschlagsO SD'zu äußern. Dann finden übergreifende Treffen statt, um dieMeinungsverschiedenheiten auszuräumen. Die Führer HEKongress haben häufig ein Wort mitzureden, ebenso die Lobbymenwichtiger Industriezweige und in manchen Fallen sogardie Botschalter der Länder, die möglicherweise von der|pPj CTFrtvhfidpng betrogen and. Im Laufe dieses Prozesses gehtman Kompricxmsse ds, und die scharfen Kanten werden abgerundetWenn alles gut geht, dann ist ein Vorschlag zu demZatpcnh, iro er dem Präsidenten und seinen höchsten BenWk fern vocgekcex wud. tradrnziefl bereits so etwas wie ean Konsem,uad dbe Mcu : wird in Richtung Miete gedrängt.Der &lifilic<myaat arbeitet zum Haareranfcn langsam. esHuiiyk Am an KieativiäC, and er scheat jedes Risiko,net «ch wiairiliffffir den Kampf gegen einen flnfccn Feiad. Dgm jedem Mar, der den f/l l Coüuj i« Report, den Bericht derUnoiiM'hngjiinuiiBii im. dbe ach mt den Votpogro iö iILSefttk r hi'fiii gelesen hat. Dort wwi detata t bc-«ffjriAwBi wUnwrWyferA^ i I knpigmtf AUjatfarnj»-76 read der Regierungszeit Clinton* und in den ernten Monatender BushAdministration in den Kadern der Bürokratiestecken geblieben waren. Doch dieser langwierige Pro/ mdient auch immer einem Ziel: Wirklich dumme oder gefährlicheIdeen, ethisch nicht vertretbare oder unmoralische Ideen,Ideen, die Menschenleben kosten oder sogar Kriege auslösenkönnten, werden in seinem Verlauf in der Kegel ausgesiebt.Nach dem 11. September wurde der mäßigende Einfluss derlangsam arbeitenden Bürokratie aufgehoben. Der Präsidentund sein Principal Cominittee - Donald Kumsfeld, Colin Powell,Condoleezza Rice und eine I land voll anderer - kamenfast ständig zu Krisensitzungen zusammen und trafen ruc kzuckihre Entscheidungen. Neue Vorschläge gingen nicht längerden Weg durch die üblichen Ebenen der Regierung, sondernwurden von oben vorgegeben und durchgesetzt. Diskussionenwaren auf ein Minimum begrenzt. Die Prüfung neuer Initiativendurch andere Behörden wurde in aller Eile durchgeführt.Der bürokratische Apparat hinkte bei einer ganzen Palette politischerInitiativen weit hinter der Führung her. In den achtzehnMonaten von den Anschlägen vom 11. September biszur Invasion im Irak im März 2003 holten die Bürokraten dieRegierung nie ein.In dieser intensiven Atmosphäre sollten schon bald die Politikerinnerhalb der Regierung mit den klarsten Antworten, derüberzeugendsten Sicherheit und
  75. größten Hartnäckigkeit dieAgenda dominieren. Es war das ideale Umfeld für Dick Cheney und Don Rumsfeld.Rumsfelds Einfluss bereitete vielen endlose Kopfschmerzenund brachte etliche personelle Umbesetzungen mit sich, vorallem im Sicherheitsrat. Beispielsweise gelangte Kumsfeld zudem Schluss, dass er dem Koordinator für die Terrorismusbekämpfungim Weißen Haus keinerlei Beachtung schenkenmüsse, weil er der Meinung war, der globale Krieg gegen denTerrorismus sei eigentlich seine Aufgabe. Rumsfeld führte sogarin einem Memorandum an Präsident Bush aus, dass der7 7 Koordinator tür die Terrorismusbekämpfung im NSC seinerAnsicht nach überflüssig und die Stellung sogar verfassungswidrigsei. Der Präsident mochte Rumsfelds Interpretationder Verfassung vielleicht nicht zugestimmt haben, doch demVerteidigungsminister gelang es, den Einfluss des NSC auf militärischeAngelegenheiten, auf die Terrorabwehr und sogar aufdie Geheimdienste einzuschränken. Es war kein Zufall, dassnach dem 11. September die Koordinatoren für die Terrorismusbekämpfungmit erstaunlichem Tempo kamen und gingen;der Posten wurde am Ende abgewertet und mit dem desKoordinators für den Heimatschutz zusammengelegt.»In vielen Fällen machte das Pentagon einfach, was es wollte,egal, was der NSC dazu sagte«, erklärte ein ehemaliger Mitarbeiterdes Weißen Hauses. Ein leistungsfähiges Netzwerk ausBeamten mit langjährigen Beziehungen zu Cheney, einigeNeokonservative, andere Konservative, die Schlüsselstellen inder ganzen Regierung innehatten, ließ Rumsfeld die Ausschlaggebende Unterstützung zukommen. Gerade die starkePersönlichkeit Rumsfelds, seine Bereitschaft, als Wegbereiterfür die Neokonservativen im Verteidigungsministerium aufzutreten,trugen in Verbindung mit dem enthusiastischen Beistand,den er von Cheney erhielt, maßgeblich dazu bei, dass dieüblichen Mechanismen der gegenseitigen Kontrolle im nationalenSicherheitsapparat außer Kraft gesetzt wurden.Wenn Rumsfeld bereit war, den Nationalen Sicherheitsberaterdes Präsidenten zu ignorieren, weshalb sollte er dannnicht auch den CIA Chef ignorieren? Tatsächlich hatte es,was geheimdienstliche Informationen betraf, den Anschein,als habe Rumsfeld Tenet genau taxiert und sei zu dem Schlussgelangt, dass er ihn ohne weiteres übergehen könne. »GeorgeTenet erzählte gern, dass er ein harter Grieche aus Queens sei,doch in Wirklichkeit war er ein Weichei«, sagte in etwas groberManier ein ehemaliger Leutnant, der unter Tenet gearbeitethatte. »Er wollte nur, dass die Leute ihn gern hatten.« AlsRumsfeld dann, vor allem nach dem 11. September, eine Reihe von Initiativen vorlegte, die Tenets Einfluss auf die Geheimdienstgemeindeunmittelbar begrenzten, wundert es einenfolglich
  76. nicht, dass Tenet klein beigab - und dass sich das WeißeHaus aus der Schlacht innerhalb der Bürokratie heraushielt.Rumsfeld hatte sein Amt mit dem großen Ziel angetreten,das bornierte Pentagon zu reformieren. Die Umgestaltung desMilitärs sollte zu Rumsfelds Markenzeichen werden, und dazuzählte auch der Wirrwarr an militärischen Geheimdienstbehörden,die dem Verteidigungsministerium angehörten. Zuseinen Mitarbeitern sagte er, dass er sich, was die Geheimdiensteangehe, »einen einzigen Prügelknaben wünschte« womit er meinte, dass er sich einen Spitzenberater wünschte,der das weitverzweigte Geheimdienstimperium des Pentagonrationalisieren, in einer Hand zusammenfassen und ihm dabeihelfen würde, es seiner unmittelbaren Kontrolle zu unterstellen.Jahre bevor Präsident Bush und der Kongress sich in derHektik der Schlussphase des Wahlkampfes von 2004 endlichdarauf einigten, den neuen Posten eines »Director of NationalIntelligence« zu schaffen, arbeitete Rumsfeld bereits eifrig anseiner eigenen, höchst einseitigen Reorganisation des Geheimdienstnetzes.Der Unterschied bestand natürlich darin,dass er die Macht über den Geheimdienstapparat im Büro desVerteidigungsministers konzentriert wissen wollte. Ein neuerGeheimdienstdirektor war überhaupt nicht nötig, wo dochdas Land schon Don Rumsfeld hatte.Richard Häver, der Mann, der während Bushs Ubergangsphasehinter den Kulissen an Tenets Stuhl gesägt hatte, war inzwischenRumsfelds oberster Geheimdienstberater. Er war zuständigfür die Reorganisation, die unverzüglich Protesteseitens der CIA auslöste.Aus Rumsfelds Begehren, »einen einzigen Prügelknaben«einzusetzen, wurde der Vorschlag, einen Geheimdienstzareninnerhalb des Pentagon zu etablieren, der sämtliche Nachrichtendiensteim Budget des Verteidigungsministeriums beaufsichtigte.Dazu zählten die National Security Agency, die National Imagery and Mapping Agency (später umbenannt inNational Geospatial-Intelligence Agency, die Aufnahmen vonAutklärungssatelliten verarbeitet und analysiert), die DefenseIntelligence Agency sowie die Nachrichtenabteilungen allergrößeren Militärbehörden. Das waren schlicht fast alle Geheimdienste,außer der CIA und der kleinen Nachrichtenabteilungim Außenministerium.Rumsfeld sagte zu Häver, er wolle ganz sichergehen, dassTenet den Plan akzeptiere. Tenet dürfe dieses Projekt nichteinfach nur stillschweigend hinnehmen, so etwas müsse er unbedingtselbst genehmigen. Also ging Häver mit dem Plan zuTenet, und der CIA Chef sagte, wie sich Häver erinnert, rundheraus:»Es sieht ganz so aus, als wollten Sie meinen Job machen.«Pflichtgetreu setzte sich Häver noch einmal hin und ändertedie vorgeschlagene Reorganisation. Die
  77. Befugnisse desCIA-Chefs bei der Beschaffung von Informationen durchAgenten, Aufklärungssatelliten und Lauschposten wurdennicht mehr ganz so stark eingeschränkt. Häver ging damit wiederzu Tenet, und diesmal gab der CIA Chef sein Plazet.Tenet wollte nicht länger Widerstand leisten, trotz lauterProteste seiner leitenden Mitarbeiter. Selbst Brent Scowcroft,der ehemalige Nationale Sicherheitsberater von Bush senior,der den Vorsitz über den Foreign Intelligence Advisory Boarddes Präsidenten hatte, meldete Bedenken an. Scowcroft kannteRumsfeld seit dreißig Jahren, seit den Regierungen unter Nixonund Ford, und er wusste wohl besser als jeder andere imheutigen Washington, wie der Verteidigungsminister vorging.Er war sicher, dass dies nur der Anfang von Rumsfelds Aufbaueines eigenen Imperiums war. Scowcroft betrachtete diesenVorstoß zudem als direkte Attacke gegen die traditionelle Rolledes Director of Central Intelligence. Seit der Gründung derCIA im Rahme n des National Security Act von 1947 hatte derCIA-Direktor immer zwei voneinander unabhängige Funktionenausgeübt: eine als Chef der CIA und die zweite alsBoss des ganzen Geheimdienstverbunds, der rund fünfzehn Behörden umfasste. Diese zweite Funktion war allerdings immerschon ungenau definiert gewesen, was vor allem daran lag,dass die Haushaltsbefugnisse des Director of Central Intelligencekaum über die der CIA hinausreichten; und ohne Einflussauf den Geldhahn war es schwierig, anderen BehördenBefehle zu erteilen.Da der größte Teil des Geheimdienstbudgets in den Ausgabendes Pentagon enthalten war, war es besonders wichtig, dassder CIA Direktor einen guten Draht zum Verteidigungsministerhatte. In der Vergangenheit hatte das auch immer reibungslosgeklappt, zumal sich der jeweilige Verteidigungsministerum wichtigere Dinge kümmern musste als um die maximalzehn Prozent des Pentagon-Budgets, die für Geheimdienstangelegenheitenanfielen. Natürlich war es auch früher zu Streitfällengekommen, doch in der neueren Geschichte hatte esnoch nie ein Minister auch auf den Job des Geheimdienstchefsabgesehen. Zumindest nicht vor Rumsfeld.Doch Tenet wollte nicht auf Scowcrofts Warnungen hören.Ehemalige Mitarbeiter sagen, Tenet habe nie großes Interessean einer Geheimdienstreform oder Reorganisation gehabt.Für ihn hatten eine enge Beziehung zum Präsidenten und dieLeitung des Directorate of Operations oberste Priorität. Tenetäußerte selten großes Interesse an Bemühungen, die Geheimdienstezu koordinieren. Am Ende widersetzte er sich nicht derEinführung von Rumsfelds »Prügelknaben« mit dem amtlichenTitel Undersecretary of Defense for Intelligence. Die einzigeberraschung war, dass nicht Häver den Job bekam. Erhatte sich viele Feinde gemacht und
  78. eignete sich letztlichwohl besser für die Rolle des Agent provocateur als für die desLeiters eines gewaltigen Apparats. Stattdessen bekam Rumsfeldsvertrautester Mitarbeiter Stephen Cambone im März2003 den Posten. Er hatte zuvor als Stabsleiter von RumsfeldsKommission zur Bewertung der Gefahr durch ballistische Ra -keten für die Vereinigten Staaten gearbeitet. (In seiner neu geschaffenenStellung sollte sich Cambone zu einer noch umstritteneren Figur entwickeln als Häver. Später musste er Redeund Antwort stehen zu der Frage, inwiefern er an der Ausarbeitungder Linie für den Umgang des USMilitärs mitHäftlingen im Irak beteiligt war.)Rumsfelds Wunsch, die Geheimdienste unter seine Kontrollezu bringen, wurde nach dem 11. September noch dringlicher,als er entsetzt mit ansehen musste, wie die CIA in Afghanistandie führende Rolle übernahm, während sich das Militärquälend langsam auf die dortige Kriegführung einstellte.Rumsfeld wollte nicht wieder ins zweite Glied zurückfallenund forderte prompt, mit Cambone an seiner Seite, ein aggressiveresVorgehen der U.S. Special Forces und der noch geheimerenElitetruppen im Joint Special Operations Command. InAfghanistan hatten sich paramilitärische Einheiten der CIA denSonderkommandos angeschlossen, um geheimdienstliche Erkenntnissemit Muskeln und Feuerkraft zu vereinen. NachRumsfelds berzeugung sprach nichts dagegen, dass das Pentagonkünftig solche verdeckten Operationen auch ganz alleindurchführte. Es gab für ihn auch keinen Grund, diese Operationenauf Afghanistan oder den Irak zu beschränken. Seiner Meinungnach brauchte das Pentagon verdeckt operierende Teams,die nach Belieben überall eingesetzt werden konnten. In demglobalen Krieg gegen den Terrorismus war ohnehin die ganzeWelt eine Kampfzone, und so konnten geheime US-Aktivitä-ten in friedlichen und nicht bedrohlichen Ländern jederzeit als»Vorbereitung auf das Gefecht« gerechtfertigt werden.Rumsfelds Pläne erforderten eine gewaltige Ausweitung derO O vbestehenden Spionagekapazitäten des Verteidigungsministeriums.Der Defense HUMINT (Human Source Intelligence)Service, ein Ableger des Militärgeheimdienstes DIA, führteseit Jahren begrenzte Geheimdienstarbeit durch. Allerdingswar er noch nie an so riskanten Operationen beteiligt gewesen,wie sie Rumsfeld für die von ihm geschaffenen, geheimen Einheitenvorschwebten. Anders als die verdeckt arbeitende Abteilungder CIA mussten sich Rumsfelds neue geheime Einheiten sie erhielten den euphemistischen Namen »operativeStützelemente« nicht den bestehenden Regeln für getarnteAktionen unterwerfen, die eine ausdrückliche Autorisierungdurch den Präsidenten und Meldung an den
  79. Kongress verlangten.Das Verteidigungsniinisterium schien schlicht der Ansichtzu sein, seine Spezialeinheiten brauchten keinem anderen inder Regierung zu erzählen, was sie eigentlich taten, geschweigedenn ihre Aktionen mit den amerikanischen Botschafternund CIA Stationschefs vor Ort abzustimmen. Rumsfeld schufsich tief unten im riesigen, schwarzen Haushalt des Pentagonversteckt einen eigenen Agentendienst, der kaum jemandemRechenschaft ablegen musste.Binnen kurzem trafen die ersten Berichte von Diplomatenund Geheimdienstbüros im Außenministerium und bei derCIA ein, dass geheime Sondereinheiten des Militärs in Afrikaund anderen Ländern der Dritten Welt im Einsatz seien. Inmanchen Fällen entdeckten die Botschaften diese Aktivitätenrein zufällig oder über Informanten. Als CIA Vertreter sichim Pentagon beschwerten, hieß es, man habe schlicht versehentlichvergessen, sie über die Operationen zu informieren,und die Teams würden reine Spähaufgaben übernehmen.Die neuen Cowboys im Pentagon suchten eindeutig Arger,und Anfang 2005 bekamen sie ihn dann, als Angehörige einerjener »operativen Stützelemente« in Lateinamerika einenMann vor einer Bar töteten. Sie ließen mehrere Tage verstreichen,bevor sie der USBotschaft den Vorfall meldeten. Er istnie an die öffendichkeit gelangt, aber mehrere in das Gescheheneingeweihte Regierungsbeamte sagen, man müsse sich beisolchen Vorkommnissen ernsthaft fragen, ob die neuen geheimenTeams des Pentagon einer kompetenten Führung unterstünden. Während Rumsfeld die CIA nach dem 11. September wegenihrer verdeckten Operationen unter Druck setzte, bedrängtenVizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz und andere Neo-83 konservative im Pentagon wie auch ihre Verbündeten im Bürodes Vizepräsidenten die CIA wegen des heiklen Themas Irak.Und wieder, genauso wie im Gerangel mit Rumsfeld, schafftenes Tenet und seine Führungsriege nicht, den Druck, diesmalden der Hardliner in der BushAdministration, wie einPuffer abzufangen.Wahrend ein Großteil der Regierung Bush es kaum abwartenzu können schien, mit Saddam Hussein abzurechnen,herrschte in der CIA nach dem 11. September ein völlig anderesKlima: Hier richtete sich alle Aufmerksamkeit und Kraft aufden Krieg gegen Osama Bin Laden. Und wenn die Behördesich über eine weitere langfristige Bedrohung den Kopf zerbrach,so war es nicht der Irak, sondern der Iran mit seinem angekurbeltenAtomwaffenprogramm und den engen Verbindungenzu Terrororganisanonen wie der Hisbollah.Leuten außerhalb der Agency fallt es schwer zu verstehen,wie wenig Gedanken wir an den Irak verschwendeten«, erinnertesich ein hoher Geheimdienstbeamter. Die Tatsache, dassdie CIA sich nicht auf den Irak
  80. konzentrierte insbesonderedas Versäumnis der Behörde, Saddam Hussein als eine unmittelbareGefahr für die Vereinigten Staaten zu betrachten . ließdie Hardliner in der Regierung vor Wut schäumen. Ihrer Ansichtnach musste man die Gelegenheit zu einem Krieg mitdem Irak, die sich nach den Anschlägen in New York und Washingtonbot, beim Schopf packen, indem man Bagdad mitdem 11. September in Verbindung brachte. Sollte das nichtmöglich sein, ließe sich vielleicht zumindest eine allgemeineBeziehung zwischen AlQaida und dem Irak herstellen.Die Hardliner standen jedoch vor dem Problem, dass dieCIA, die mit Abstand am meisten geheime Informationenüber AlQaida zusammengetragen hatte, aufkeinerlei Anhaltspunktefür eine irakische Beteiligung am 11. September gestoßen war. Es gab auch keinen stichhaltigen Beweis für eine Terrorallianzzwischen Saddam Hussein und Osama Bin Laden.Diese Antworten stellten aber weder Wolfowitz noch seinen84 ebenso überzeugten Vertreter Doug Feith, den Undersecretaryof Defense for Policy, zufrieden.Wolfowitz hatte schon immer Vermutungen der CIA in Fragegestellt, die nicht mit seinen Anschauungen übereinstimmten:In den siebziger Jahren war er Mitglied des ursprünglichen»Team B« gewesen, das die CIA-Dossiers über die Gefahren einersowjetischen Atommacht in der Luft zerrissen hatte. In denneunziger Jahren saß er in einer Kommission Rumsfelds, diesich mit ballistischen Raketen befasste, und auch sie kritisiertedie Einschätzungen der CIA hinsichdich der strategischen Gefahr,die von »Schurkenstaaten« wie Nordkorea ausging. Inbeiden Fällen war Wolfowitz der Meinung gewesen, dass derGeheimdienst nicht streng genug geurteilt hatte; und jetzt, inder Zeit nach dem 11. September, glaubte er ebenfalls, dieCIA sei zu nachgiebig, diesmal in der Frage, ob Saddam Husseinmöglicherweise hinter den Anschlägen auf die VereinigtenStaaten stecke. Wolfowitz hatte das Gefiihl, dass »in den Geheimdiensteneine intellektuelle Unaufrichtigkeit herrschte«,erinnerte sich ein ehemaliger PentagonBeamter. Währendsich Wolfowitz die Geheimdienstbriefings von CIA-Analytikernzum Thema AlQaida nach dem 11. September anhörte,gelangte er wütend zu der Schlussfolgerung, dass sie nicht einmalalternative Möglichkeiten in Betracht zogen, die eine irakischeBeteiligung eingeschlossen hätten. Die CIA sei eine arroganteGaunerbande, glaubte er, die sich weigere, die Politikder BushAdministration zu unterstützen.Der israelische Geheimdienst trug heimlich dazu bei, Wolfowitzeinzureden, dass er der CIA nicht trauen könne, berichteteeiner seiner ehemaligen hohen Kollegen im Pentagon.Israelische Geheimdienstbeamte reisten mehrmals nach
  81. Washington,um amerikanische Spitzenbeamte zu informieren.CIA-Analytiker nahmen israelische Geheimdienstberichte jedochmeist skeptisch auf, weil sie wussten, dass der Mossadsehr starke Vorurteile gegenüber der arabischen Welt hegte.Nach jedem israelischen Briefing verfasste die CIA Berichte,85 die innerhalb der Regierung kursierten, doch sie behandeltenoft einen großen Teil des von den Israelis gelieferten Materialsin abschätziger Weise. Wolfowitz und andere Konservative imPentagon ärgerten sich maßlos über diese Praxis; sie hatten angefangen,sich persönlich mit den israelischen Geheimdienstbeamtenzu treffen, und wussten genau, welche Elemente derMossad-Briefings die CIA herunterspielte. »Und deshalb wurdePaul wütend«, sagte ein ehemaliger PentagonBeamter.Wolfowitz beschwerte sich persönlich bei Tenet über dieAnalysen zum Irak und zu AlQaida und teilte dem CIA-Direktorganz offen mit, er sei nicht der Ansicht, dass die Analytikerder Behörde sich dem Thema unvorbelastet näherten.»George sagte dann, er werde sich darum kümmern und erhabe Verständnis«, erinnerte sich ein ehemaliger Topbeamterim Pentagon. »Und ich bin sicher, auf halbem Weg zurückvom Pentagon nach Langley dachte er: >Ach, es ist doch nurWolfowitz, was solTs.< Und ich bin mir ebenso sicher, dass dieAnalytiker in der CIA alle nur sagten: Zur Hölle mit Wolfowitz.Also stellte Paul sich eine eigene Einheit zusammen, diesich darum kümmern sollte. Und da waren die Leute in derCIA erst richtig sauer.«Ehemalige Kollegen sind überzeugt, dass sich Wolfowitzpersönlich schuldig fühlte, weil die Regierung unter Bush seniores am Ende des ersten Golfkriegs 1991 versäumt hatte,Saddam Hussein zu stürzen. Damals saß Wolfowitz auf demPosten in der Verteidigungspolitik, den später Feith innehatte(Undersecretary of Defense for Policy), und lehnte innerlichdie Entscheidung ab, den Krieg nach der Befreiung Kuwaitszu beenden. Doch er beschloss, nicht auf einen Kurswechselzu bestehen, und sein Schuldgefühl wegen dieses Versäumnissesentwickelte sich anscheinend zu einer Obsession, wie seineehemaligen Kollegen vermuten. Und so riefen Wolfowitz undder ähnlich gesinnte Feith eine spezielle nachrichtendienstlicheEinheit ins Leben, die Counter-Terrorism EvaluationGroup. Ihre Aufgabe war es, die originalen Geheimdienstbe-86 richte nach Hinweisen auf Verbindungen zwischen dem Irakund AlQaida zu durchsuchen. Die Einheit wurde in FeithsBüro angesiedelt und sollte im Grunde als eine Art Team Bfür die Neokonservativen im Pentagon dienen, als Gegengewichtund Rivale für die CIA im Kampf um Informationenüber den Irak.Die PentagonFührung wandte sich außerdem verstärktdem irakischen Exilanten Ahmed Tschaiabi
  82. und seinem IrakischenNationalkongress (INC) zu und bat ihn um Informationen-ebenfalls ein direkter Affront gegen die CIA, weil sieschon einige Zeit zuvor erklärt hatte, dass Tschaiabi, der Anfangder neunziger Jahre ein wichtiger Mitarbeiter der CIA gewesen war, unzuverlässig sei. Die CIA und Tschaiabi hatten einen sehr bitteren Trennungsprozess durchgemacht, nachdemdie verdeckten CIA-Aktionen gegen den Irak, in denen er eineführende und zugleich umstrittene Rolle gespielt hatte, Mitteder neunziger Jahre gescheitert waren.Im Nachspiel des Golfkriegs von 1991 hatte Bush senior dieCIA ermächtigt, eine verdeckte Kampagne zur Destabilisierungvon Saddam Husseins Regime zu starten. Keine einzigeOperation der Agency im folgenden Jahrzehnt ließ allerdingsjemals auch nur den Schimmer einer Hoffnung aufblitzen,Saddam von der Macht verdrängen zu können. Im Gegenteil:Die CIA-Kampagne ließ eine Spur verpfuschter Operationenund enttarnter Agenten hinter sich. Saddams Sicherheitsapparatschleuste erfolgreich Doppelagenten ein und schien immereinen Schritt voraus zu sein. Innerhalb der CIA wurde das Aktionsprogrammgegen den Irak schon als ein Schwarzes Lochangesehen, in dem alle Laufbahnen ihr Ende fanden. Die erfolgreichstenFührungsoffiziere ließen die Finger davon. ImLaufe der Jahre, als die besten Irakagenten der CIA übergelaufeneSpione waren, die aus der Kälte kamen, versäumte die Behördees, sie nach und nach durch neue Agenten zu ersetzen.Man ließ die Geheimdienstoperationen gegen Saddam Husseinallmählich einschlafen.87 Welche Fehler Tschaiabi auch haben mochte, er hatte ein untrüglichesGespür dafür, wie das Spiel um Macht und Einfluss inWashington funktionierte. Nach George W. Bushs Wahl zumPräsidenten startete Tschaiabi eine massive Charmeoffensiveauf die Neo konservativen und ihre republikanischen Verbündetenim Kongress. Er kannte Richard Perle und einige andereKonservative schon seit Jahren, und jetzt kamen sie ihm zu Hilfe,nicht zuletzt, weil sie sich in ihrem Hass gegen das WeißeHaus unter Clinton - und gegen die CIA einig waren.Die Clinton-Administration hatte wie die CIA kurz Tschalabiden Hof gemacht und ihn dann fallen lassen-1998 hatteClinton auf Druck republikanischer Kongressmitglieder demiraq Liberation Act zugestimmt, der die Vereinigten Staatendazu aufrief, »Bemühungen zu unterstützen, das von SaddamHussein angeführte Regime zu stürzen«. Darüber hinaus riefdie Regierung ein Sonderprogramm ins Leben, aus dessenEtat Exiliraker, darunter Tschaiabis Irakischer Nadonalkongress(INC), für Informationen über Saddams Regime bezahltwurden. Anfangs koordinierte das Außenministerium die Informanonsbeschaöung,doch die dort tätigen
  83. Beamten hattenden gleichen Eindruck von Tschaiabi wie ihre Kollegen vonder CIA, und das Programm dümpelte vor sich hin. Da das Außenministerium Tschaiabi loswerden wollte, kam ihm das Pentagongerade recht, das sich das Programm 2002 begierig unterden Nagel riss. Es wurde der Abteilung Defense HUMINTService zugeteilt und unter den wachsamen Augen von PaulWolfowitz und der zivilen PentagonFührung fortgeführt.Tschaiabi hatte endlich ein Zuhause gefunden.Doch es nutzte nicht viel, dass Tschaiabi auf der Gehaltslistedes Pentagon stand, wenn die CIA ständig Bedenken äußerte,insbesondere wenn die Analytiker der Agency Zweifel an derGlaubwürdigkeit der Geheimdienstberichte irakischer Uberläuferanmeldeten, die Tschaiabi und seine Organisation derUS-Regierung vorgelegt hatten. Seit den ersten Tagen derBushAdministration drängte folglich das Weiße Haus die CIA, ihren langjährigen Widerstand gegen Tschalabi aufzugeben,»Sie schickten uns diese Botschaft wohl tausend Mal, auftausenderlei Art«, sagte ein ehemaliger hoher CIA Beamter.Ein früherer Mitarbeiter im Weißen Haus beobachtete, wiedie Botschaft, noch vor dem 11. September, übermittelt wurde.Im Frühjahr 2001 trafen sich Regierungsvertreter im Wei-ßen Haus, um über neue Vorschläge zur Destabilisierung desirakischen Regimes zu diskutieren. Bei der Gelegenheit ermahnteder stellvertretende Sicherheitsberater Stephen Hadleyden stellvertretenden CIA Direktor John McLaughlin, dieCIA müsse endlich ihre Abneigung gegen Tschalabi überwindenund authören, schlecht über ihn zu reden, damit die VereinigtenStaaten mit ihm gemeinsam auf Saddams Sturz hinarccbeiten könnten. Laut dem Informanten aus dem Weißen Haussab McLaughlin Hadlev zu verstehen, dass die CIA nicht imWeg stehen würde, und leitete die Botschaft an die CIA Führung weiter.Der Druck, der vom Weißen Hauses ausging, zeigte Wirkung.Die CIA weigerte sich zwar immer noch, direkt mitTschalabi zusammenzuarbeiten, und Tenet warnte Wolfowitzpersönlich bei Sitzungen im Weißen Haus, er solle sich vorseIC7hen, wenn er mit den Exilirakern zu tun habe. Die CIA versuchtejedoch nicht, das Pentagon davon abzuhalten, Geheimdienstberichtezu verteüen, die sich auf Informationen vonirakischen berläufern, auch vom INC, stützten. Von nun anwurden die Informationen der Exiliraker direkt in den Kreislaufdes Geheimdienstsystems eingespeist, während sich dieVereinigten Staaten für einen Krieg im Irak rüsteten.Als innerhalb der Regierung Bush die Entschlossenheit wuchs,Saddam Hussein zu stürzen, gingen laut Auskunft ehemaligerMitarbeiter hohe CIA Beamte zu George Tenet und teiltenihm ausdrücklich ihre Bedenken mit, dass eine
  84. Invasion imIrak dem Krieg gegen den Terrorismus schaden würde. DieAntiterrorexperten innerhalb der Agency waren davon über-89 zeugt, ein militärischer Schlag gegen den Irak würde Aufmerksamkeitund Ressourcen von dem laufenden Krieg gegenAl-Qaida abziehen, und das zu einem Zeitpunkt, wo die Terrororganisationallem Anschein nach in den letzten Zügen lag.Eine ganze Reihe von Beamten, darunter James Pavitt, derstellvertretende Einsatzleiter der CIA, äußerten ihre Befürchtung,dass die Agency überfordert wäre, wenn sie sich sowohlum Afghanistan als auch um den Irak kümmern müsste.Tenet reagierte nie zufrieden stellend auf diese Interventionen. »Viele Leute gingen zu George und sagten ihm, dass Irak demKrieg gegen den Terrorismus schaden würde, aber ich habe niegehört, dass er überhaupt je eine Meinung zu einem Irakkrieggeäußert hätte«, sagte ein ehemaliger Mitarbeiter Tenets. »Erkam in der Regel einfach aus dem Weißen Haus zurück undsagte: Sie werden es tun.« Das war die zentrale Botschaft ausdem Weißen Haus und dem Pentagon, die Tenet der CIA mitzuteilenhatte: Ein Krieg gegen den Irak sei unvermeidlich, undes sei an der Zeit, dass die CIA ihre Hausaufgaben mache. Geheimdienstmitarbeiter,deren Begeisterung beim Thema Iraksich offensichtlich in Grenzen hielt, sahen sich auf einmal aufmysteriöse Weise an den Rand gedrängt; die engagierterenund ehrgeizigeren Kollegen hingegen kletterten allmählichnach oben, und zwar sowohl im Directorate of Operations alsauch im Directorate of Intelligence, der Abteilung für Analysen.Der Druck, den die BushAdministration ausübte, wurdeunmittelbar auf die Geheimdienste übertragen, und er wirktesich auf Karrieren und das Leben von Menschen aus.Im April 2002 - fast ein Jahr vor der Invasion im Irak wurdendie CI A-Führungsoffiziere von ganz Europa zu einer Sonderkonferenznach Rom einbestellt. Vertreter der Iraq OperationsGroup in der CIA teilten damals beiläufig den versammeltenCIA-Offizieren mit, der Irak sei von Anfang an ein zentralerProgrammpunkt des Präsidenten gewesen.90 »Sie sagten, das Thema habe schon auf Bushs Agenda gestanden,als er gewählt wurde, und der 11. September hätte es nurverschoben«, sagte ein CIA Offizier, der an der Konferenz teilnahm.»Sie gaben zu verstehen, dass der 11. September vom Irakabgelenkt habe. Und sie sagten, Bush sei entschlossen, die Führungim Irak auszutauschen, und das Ganze werde mit kinetischerEnergie beginnen. Das hieß Bomben. Das hieß Krieg.«Die Iraq Operations Group, einst als so unwichtig angesehen,dass die Führung nur Armleuchter hinschickte, rücktenun ins Rampenlicht. In den Augen ihrer skeptischen Kollegenhatten sich die IOG-Offiziere inzwischen offenbar zu
  85. ehrgeizigen und gefährlichen Fürsprechern eines Kriegs gemausert.Einen großen Teil der Konferenz nahmen Vorträgeaus dem IOG-Stab über die Missetaten des Irak in Anspruch,überwiegend öffentlich zugängliche Informationen über SaddamHusseins Gräuel in der Vergangenheit und sein Strebennach Massenvernichtungswaffen. Der Vortrag war so rudimentärund der Ton so kriegerisch, dass ein Informant, der daranteilnahm, die Konferenz für eine Art »Aufputschübung« hielt,die in den Reihen der skeptischen CIA Zustimmung zumKrieg erzeugen sollte. »Man erwartete von uns, dass wir unserenVerbindungsleuten mitteilten, wie schlimm Saddam war.«Ein Kerngedanke, der auf der Konferenz in Rom die Rundemachte, sah vor, eine Propagandakampagne in ganz Europa zustarten und in europäischen Medien Storys zu lancieren, die fiireinen Krieg gegen den Irak Stimmung machen sollten. Der CIA ist es untersagt, Propaganda in die US-Medien zu schleusen,doch es gelten keine derartigen Beschränkungen für dasAusland. Natürlich wäre es in der heutigen Welt, in der sichdas Internet und die Globalisierung der Medien rasant entwickeln,praktisch unmöglich zu verhindern, dass Fehlinformationen,die man im Ausland den Medien zuspielte, wieder ihrenWeg zurück in die amerikanische Presse fänden. Es ist nichtbekannt, ob und wenn ja, wie intensiv derartige Propagandain Europa gestreut wurde. Der kontinentweite Widerstand gegen die Invasion lässt vermuten, dass die Kampagne, sollte dieCIA sie wirklich eingefädelt haben, absolut wirkungslos war.Unterdessen merkten selbst CIA Offiziere in Auslandsmissionen,obwohl sie von der Treibhausatmosphäre in Washingtonweit entfernt waren, schon bald, wie stark die höchstenVertreter der BushAdministration auf den Irak fixiert waren.Es ist allgemein bekannt, dass Vizepräsident Cheney im Vorfelddes Krieges wiederholt das CIA Hauptquartier aufsuchte, sichmit Analytikern und anderen Offizieren traf und kritische Fragenzu den Irak-Analysen der CIA stellte. Hingegen ist nichtbekannt, dass er sich unmittelbar in CIA-Operationen vorOrt einmischte, um die Leute zu einem stärkeren Einsatz gegenSaddam Hussein und sein Regime anzuspornen.Die Spionageoperationen der CIA in Westeuropa hatten inden neunziger Jahren unter einer ganzen Reihe gescheiterterEinsätze arg gelitten der wohl bekannteste Fall war ein Spionageskandal1995 in Paris. Die Agency war deshalb in Westeuropaviel vorsichtiger geworden und führte nur noch seltenErmittlungen ohne die Mitwirkung einheimischer Geheimdienstedurch. In den Niederlanden zum Beispiel unternahmdie CIA kaum etwas, über das die Holländer nicht Bescheidwussten und das sie
  86. nicht genehmigt hatten. Im Fall der Operationengegen den Irak ergab sich daraus nun ein großes Problem,weil sich die Niederlande massiv gegen die Kriegspläneder Regierung Bush stellten. Die CIA wollte einen irakischenGeheimdienstoffizier, der von Holland aus arbeitete, »umdrehen«,doch die Holländer lehnten das Vorgehen der Bush-Administrationgegen den Irak so entschieden ab, dass der holländischeGeheimdienst der CIA diese Aktion verbot.Cheney interessierte sich für den Fall und rief an einem Wochenendeden holländischen Ministerpräsidenten an. Er batihn, persönlich zu intervenieren und die Operation gegen denIraker zu genehmigen. Der Ministerpräsident ließ Cheney abblitzen.Doch allein die Tatsache, dass sich der Vizepräsidentder Vereinigten Staaten direkt in einen vergleichsweise unbe-deutenden Spionagefall einmischte, war ein Signal, dass dasWeiße Haus ein weit aggressiveres Vorgehen der CIA gegenden Irak erwartete.Im November 2002 kamen die CIA Stationschefs aus demganzen Nahen Osten zu einem geheimen Treffen in der LondonerUS-Botschaft zusammen. Hohe CIA Vertreter aus demHauptquartier hatten sie zu einer Konferenz in der ClA-Stationam Grosvenor Square beordert. Sie wollten unmissverständlichklar stellen, dass es Sir die Skeptiker unter den Stationschefsan der Zeit sei, ihren Widerstand gegen einenIrakkrieg aufzugeben. Wenige Monate noch - dann sollte derKrieg beginnen.Die offizielle Haltung der BushAdministration lautete natürlich,dass sie noch für sämtliche diplomatischen Optionenoffen und dass eine Invasion im Irak keineswegs unvermeidlichsei. In den Vereinten Nationen spielte sich vor den Augen derWelt immer noch die erbitterte Debatte zwischen den VereinigtenStaaten und Europa ab. Doch die Soldaten konntennicht ewig untätig in Kuwait herumsitzen.Die Vertreter des Hauptquartiers hatten sich dem Kriegverschrieben, das war klar. Doch viele im Ausland operierendeCIA-Offiziere, darunter auch ein großer Teil der Stationschefsim Nahen Osten, waren über die drohende Invasion allesandere als begeistert. Das war laut einem ehemaligen Mitarbeiterder Iraq Operations Group auch der Anlass für dasTreffen.»Als Erstes ist es hilfreich, die Frage zu beleuchten, weshalbdas Londoner Treffen überhaupt einberufen wurde«, meinteder ehemalige IOG-Mitarbeiter. »Nach mehreren Telegrammenaus der ganzen Welt von der IOG, dem Stabsquartier fürden Nahen Osten und dem Büro des DDO (Deputy Directorof Operations] bemerkten wir wenig Bewegung zum ThemaIrak. Viele Führungskräfte vor Ort steckten tief in alten Praktikenfest, ohne Fantasie, einfallslos und risikoscheu. Die IOGsetzte den Außendienst ständig unter Druck, aggressiv
  87. gegen93 irakische CA- [verdeckte Operationen] und FI- [Auslandsaufklärung]Missionen vorzugehen, doch es folgten kaum nennenswerteAktivitäten. Es gelang uns, im Laufe von zwei Jahreneine lange Liste der Neinsager und Gegner aufzustellen.Diese fehlende Bewegung beim Zielobjekt Irak veranlassteden ADDO [Assistant Deputy Director of Operations], dasLondoner Treffen einzuberufen.«Mehrere Mitarbeiter, die an der Konferenz teilnahmen, wissennoch genau, dass hohe Vertreter aus dem CIA-Hauptquartierdie Stationschefs auf dem Londoner Treffen mit einer ganzeinfachen Botschaft begrüßten: Die Würfel sind gefallen. Wirwerden im Irak Krieg fuhren. Uber dieses Thema wird künftignicht mehr diskutiert werden. Und es ist an der Zeit, dass jederStationschef Klartext mit seinen Verbindungsleuten in denGeheimdiensten ihrer Gastländer redet. Man muss ihnen mitteüen,dass es an der Zeit ist, sich anzuschließen Zeit für diearabische Welt, in Sachen Irak mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten. Doch viele Stationschefs im Nahen Osten betrachteten dasGeschehen aus einer ganz anderen Perspektive: In ihren Augenwaren die IOG-Offiziere Kriegsfanatiker, die sich dank derBushAdministration ihres Glückes freuen konnten. Die Spannungenzwischen den beiden Lagern hielten die ganze Konferenzüber und die ganze Vorkriegsphase hindurch an. Der ehemaligeIOG-Offizier räumte ein, dass vor dem Krieg eine tiefeKluft bestanden hatte zwischen CIA Mitarbeitern, die in dieVorgänge im Irak involviert waren, und anderen Mitarbeiternin der Nahostabteüung der Agency. »Wir sagten unablässig, derPräsident hat beschlossen, dass wir in den Krieg ziehen, undwenn euch das nicht passt, dann verschwindet.«Während der Konferenz fing ein Mitarbeiter der Iraq OperationsGroup an, über die geheimen Sabotagepläne der CIAzu diskutieren, die das irakische Regime destabilisieren sollten.Und mitten in dieser Debatte kam jemandem eine Idee, diemanche anwesenden Stationschefs schockierte.94 Der ehemalige IOG-Offizier erinnerte sich noch genau andie Diskussion über Sabotage auf der Londoner Konferenz.»Wir sorgten dafür, dass allen klar war, wir würden Sabotageaktionendurchfuhren«, erzählte er. »Die meisten Offiziere derAgency haben noch nie an aktiver Sabotage teilgenommen,weder an simplen, subtilen oder direkten Aktionen noch an einemerfolgreichen Programm verdeckter Operationen.« DerLeiter der IOG »stellte das Thema Sabotage anhand innererwie auch äußerer Zielobjekte vor, kommentierte insbesonderedie vielfältigen Wege, die das Regime für die Einfuhr von Bargeld,sensiblen Regierungsgütern und Waren nutzte, an denenSaddam
  88. und seine Familie interessiert waren. Die Aufgabe lautete,diesen Strom zu unterbrechen und das Regime dazu zubringen, die Loyalität der an dem Vorgang beteiligten Personenin Frage zu stellen. Wir hatten nie die Illusion, dass das,was wir taten, Saddam wirklich wehtun würde. Das Ziel desVorhabens war Teil der vielschichtigen Bemühungen, Zwietrachtund Misstrauen zu säen und die Paranoia innerhalb desengeren Kreises zu schüren.Ein Hauptweg für den Transport verbotener Güter war derSchmuggel auf der Fähre von Shag ah, Dubai und anderenGolfhäfen mit Linien nach Umm Qasr.«Dem ehemaligen IOG-Mitarbeiter zufolge meldete sich daein junger Stationschef zu Wort und riet, »die Fähre zu versenken«.Der Leiter der IOG »erwiderte darauf, dass eine Versenkungder Fähre nicht in Frage komme, weil sie Menschenan Bord habe. Es folgte eine Diskussion über den Zugriff imHafen: Welche Häfen kamen überhaupt in Frage, welche Verbindungsdienstewären eventuell bereit, den Zugriff zu gestatten,gab es eine Möglichkeit, sich einseitig Zugang zu verschaffen,konnte eventuell dafür gesorgt werden, dass einmechanischer Defekt die Fähre zwang, im Hafen zu bleiben.Aber zu keinem Zeitpunkt wurde ernsthaft die Versenkungder Fähre diskutiert.«Zwei CIA Stationschefs, die an der Konferenz teilnahmen,95 erinnerten sich an die Diskussion um die Fähre, verließen dieVeranstaltung jedoch mit dem Eindruck, die IOG habe ernsthaftdie Versenkung einer Fähre in Betracht gezogen, um einencasus belli gegen Bagdad zu schaffen. Beide gaben an, sie hättenbeim besten Willen nicht begriffen, inwiefern diese Aktioneine Rechtfertigung für die Invasion hätte liefern können.Ein dritter Stationschef, der an der Konferenz teilnahm, erinnertesich dagegen nicht an die Diskussion um die Fähre.Nach seinen Beobachtungen herrschte innerhalb der CIA dasGefühl vor, die Leute, die mit dem Irak zu tun hatten, »ständenunter massivem Druck seitens der Leitung und des Verteidigungsministeriums,eine Möglichkeit zu finden, den Kriegvom Zaun zu brechen. Sie brachten einige radikale und blödsinnigeIdeen vor, wie das funktionieren könnte.«Es gibt keinen Hinweis darauf, dass jemals eine Fähre sabotiertwurde. Die beiden Informanten, die den Vorschlag bezeugen,geben an, dass sie nie wieder etwas davon gehört hätten und nicht wüssten, was daraus geworden sei. Den beiden Informanten zufolge waren während der Wortmeldung keine Spitzenbeamte der CIA im Raum, und sie wussten auch nicht,ob hohe CIA Beamte oder Entscheidungsträger der Bush-Administrationjemals von der Idee erfahren hatten.Die IOG-Beamten unterbreiteten im Laufe der Konferenznoch weitere Vorschläge für verdeckte Operationen, die in Betrachtgezogen wurden.
  89. Den hohen CIA Offizieren vor Ort,alle mit langer Erfahrung im Nahen Osten, kamen die Ideennutzlos vor. Unter anderem war die Ausrüstung einfacher irakischerAgenten mit besonderen Pfeilen vorgesehen, die, miteiner gespannten Feder abgeschossen, Windschutzscheibenzerstören konnten, etwa die von Fahrzeugen, die Mitgliederdes irakischen Regimes benutzten. Die Pfeile wurden späterin großen Mengen an die CIA-Stationen geliefert, doch sie kamennie zum Einsatz. (Der ehemalige IOG-Beamte, der an derLondoner Konferenz teilnahm, sagte, die CIA habe einigeSabotageakte durch ihre Agenten ausführen lassen, zum Beispiel die Entgleisung eines Zuges nur wenige Tage vor der Invasion.) Nach der Veranstaltung gingen ein paar Stationschefs nochauf einen Drink in eine Kneipe in der N ähe, und einige diskutiertenhalblaut untereinander über das, was sie soeben erlebthatten. Ein Offizier sagte, er habe nie zuvor von einer solchenIdee wie der mit der Fähre gehört. Er erklärte, dass so etwasauch nie passieren werde, solange er noch ein Wörtchen mitzuredenhabe.Andere Stationschefs fragten sich, welches Spiel denn hiergetrieben wurde. Handelte es sich einfach nur um Leute ausdem zweiten Glied, die mit abenteuerlichen Ideen um sichwarfen?»Ich zog aus dem Ganzen den Schluss, dass sie keine ernsthaftenPläne für verdeckte Aktionen hatten und sich an verrückteEinfälle klammerten«, sagte ein CIA Stationschef spä-ter. »Ich glaube, sie hatten nichts anderes. Sie hatten keinewirklichen Informationen anzubieten, aber sie wollten unbedingtmit dem Militär ins Geschäft kommen.«Wenn in London solche Ideen diskutiert wurden, so lag daswohl nicht zuletzt daran, dass die CIA so wenig gute Mitarbeiterund so wenig Optionen im Irak hatte. Es dauert Jahre, Spionezu rekrutieren und in geeignete Stellungen zu bringen, insbesonderein geschlossenen Regimen. Als George W. Bushsein Amt antrat und der Irak plötzlich wieder ganz oben aufder Agenda stand, war der Karteikasten der CIA leer. Der USGeheimdiensthatte über die kurdische Zone Zugang zu Teilendes Nordirak, doch seine einzigen Quellen im Süden wareneinfache irakische Agenten, Schmuggler, die zwischen demIrak und Kuwait wechselten und aus erster Hand Eindrückeüber die Lebensbedingungen im Irak liefern konnten, sowieeinige Mitarbeiter, die bereit waren, in der Nähe von mutmaßlichen Fabriken für Massenvernichtungswaffen Bodenprobenzu entnehmen und der CIA zur Analyse zu übergeben.97 Ein CIA Offizier gab an, er habe im Sommer 2002 die IrakAktender Behörde geprüft, die als streng geheim eingestuftwaren und die sensibelsten Fälle und Operationen dokumentierten,die man durchgeführt hatte. Er war schockiert darüber,was
  90. er dort fand - oder besser nicht fand. »RH [restrictedhandling: streng geheim, nur für den Dienstgebrauch] ist dasam besten gehütete Material. Ich nahm an, ich würde etwasüber Spione lesen, von denen niemand etwas wusste. Dochsie hatten nichts. Keine Agenten in der Nähe des Regimesoder der Programme für Massenvernichtungswaffen oder derSicherheitsdienste. Null. Sie hatten nur diese Pläne für verdeckteAktionen, Träume von Sabotage und so. Doch sie hattenkeinerlei Informationen. Das war auch der Grund, weshalbsie auf diese blödsinnigen Einfälle kamen, sie hatten nichts anderes.« Der Mangel an CIA-Agenten innerhalb des Irak fiel in denletzten Jahren der Regierung Clinton nicht ins Gewicht, weilder Irak nicht mehr auf der Prioritätenliste des Weißen Hausesstand. Doch als die Regierung Bush einen schärferen Ton anschlugund im Jahr 2002 und Anfang 2003 massiv für einenKrieg die Trommel rührte, wurde das zu einem großen Problem.Hatte der Irak nun Massenvernichtungswaffen odernicht? Wie weit war Saddam noch vom Bau einer Atomwaffeentfernt?Trotz der offensichtlich unzureichenden Informationen derBehörde über den Irak redeten sich Spitzenbeamte der CIA ein, dass sie die Antwort wüssten. Doch zumindest ein paarLeute in der Agency hatten ihre Zweifel. Sie machten sich gro-ße Sorgen über die neue Bereitschaft der CIA Führung, dieWarnzeichen zu ignorieren.
  91. Die Suche nach Massenvernichtungswaffen Doktor Sawsan Alhaddad war gerade sehr beschäftigt, als sie einensonderbaren Anruf erhielt. Sie war so beschäftigt und derAnruf so sonderbar, dass sie sich fragte, ob sie ihm überhauptBeachtung schenken sollte. Es war Mai 2002, und der Anrufersagte, er sei von der CIA und wolle sich mit ihr treffen. Er klangnicht wie ein Verrückter, aber ganz sicher war sie sich nicht.Doktor Alhaddad ist eine zierliche, stille Frau mit dunklemTeint Mitte fünfzig. Warum, rätselte sie, wollte ein CIA Offizier,der angeblich aus Pittsburgh anrief, mit einer Anästhesistinin Cleveland sprechen?Schließlich überwog ihre Neugier. Sie war aber auch beunruhigt,die alte Angst vor Polizei und Sicherheitsdiensten flackertewieder auf, eine Angst, die allmählich von ihr gewichenwar, nachdem sie und ihr Mann ein neues Leben in Amerikabegonnen hatten, mit einer wunderbaren Tochter in einemeleganten und weitläufigen Haus in einem der luxuriösestenVororte von Cleveland. Sawsan dachte, sie hätte ihre Ängste zurückgelassen, als sie und ihr Mann 1979 aus dem Irak geflohen waren und ihren Vorgesetzten im Krankenhaus von Bagdad vorgelogen hatten, sie würden nur einen kurzen Urlaub in London machen. Damals verschwendete in Amerika noch niemandeinen Gedanken an Saddam Hussein, und die US Behörden zögerten nicht lange, irakischen Exilanten Zufluchtvor einem verrückten Diktator zu gewähren. Das Ehepaarkonnte in den USA eine neue Existenz gründen und erhieltschließlich die amerikanische Staatsbürgerschaft.99 Sawsan beschloss, sich nach dem mysteriösen Anrufer zu erkundigen,bevor sie sich mit ihm traf. Sie fand jemanden im FBI-Büro in Cleveland, der ihrer Geschichte Gehör schenkte.Sawsan war überrascht, als der FBI-Agent sie zurückrief. Erhatte beim FBI-Hauptquartier in Washington nachgefragtund erfahren, dass es den Mann in Pittsburgh tatsächlich gabund der Anruf ernst gemeint war. Die CIA wollte wirklich mit Dr. Sawsan Alhaddad von der Cleveland-Klinik sprechen.So erklärte sie sich schließlich bereit, sich mit »Chris« aus Pittsburghzu treffen.Während Chris Kontakt zu Sawsan Alhaddad aufnahm,wurde immer deutlicher, dass Präsident Bush fest entschlossenwar, Krieg gegen den Irak zu fuhren. In seiner Rede zur Lageder Nation vom Januar 2002 hatte er vor der »Achse des Bösen«gewarnt, und ihr gehöre der Irak als eines von nur drei Ländernan. Bush und seine Berater behaupteten, Hussein sei eine Bedrohungfür die USA, weil er Massenvernichtungswaffen besitzeund sein Regime Terroristen Unterschlupf gewähre. Saddamkönne die Waffen selbst gegen
  92. die USA einsetzen odersie Terroristen überlassen. Auf jeden Fall würde der 11. Septemberim Vergleich zu einem Anschlag mit chemischen, biologischenoder nuklearen Waffen wie ein Kinderspiel wirken.Dieses Risiko, erklärte George W. Bush, wollten die USA nachdem 11. September nicht mehr eingehen.Während des gesamten Frühjahrs hatte die Regierung Bushkontinuierlich die Rhetorik ihrer äußerungen über die Bedrohungdurch Terroristen, Massenvernichtungswaffen undden Irak verschärft. Dick Cheney verkündete bei einem Fernsehauftritt,er sei »so gut wie sicher«, dass es weitere Terroranschlägegegen die USA geben werde. Gleichzeitig gab DonaldRumsfeld bekannt, es sei nur eine Frage der Zeit, dass die Terroristenvon Schurkenstaaten wie dem Irak Massenvernichtungswaffenerhielten. Ende Mai warnte Bush bei einer Redein Berlin: Wenn die Terroristen erst einmal chemische, biologischeoder nukleare Waffen von Ländern wie dem Irak bekommen hätten, »wird keine innere Stimme der Vernunft,kein Gewissen sie davon abhalten, sie einzusetzen«. Da sichder Krieg in Afghanistan dem Ende zuneigte, wandte sich dieAufmerksamkeit der Regierung in Washington unweigerlichBagdad zu.Sawsan teilte dem Mann vom CIA mit, sie könne sich nichtgleich mit ihm treffen. Ihre Mutter sei aus dem Irak gekommen,um sich wegen Darmkrebs behandeln zu lassen, und siemüsse sich um sie kümmern. Vielleicht könne man sich späterunterhalten. Im Juni starb Sawsans Mutter und wurde in Amerikabeerdigt. Bald darauf war Sawsan bereit für die CIA.Das Weiße Haus rührte im Sommer weiter fleißig die Werbetrommelfür einen Krieg gegen den Irak mit seinen Massenvernichtungswaffen.Das Thema beherrschte die Titelseitender Zeitungen und die Rundfunk-und Fernsehnachrichten,als Sawsan sich schließlich Anfang August mit Chris in einemStarbucks-Cafe in Cleveland traf. Der Präsident und seine Getreuenbehaupteten, noch sei keine Entscheidung über einenKrieg gegen den Irak gefallen, doch im Juni hatte sich Bush ineiner Rede zur Außenpolitik in West Point vehement dafüreingesetzt, gegen Diktaturen wie den Irak, die Massenvernichtungswaffenbesäßen, Präventivmaßnahmen zu ergreifen. »EineEindämmung ist nicht möglich, wenn unberechenbareDiktatoren im Besitz von Massenvernichtungswaffen sind undRaketen mit ihnen bestücken oder sie ihren terroristischenVerbündeten zur Verfugung stellen«, erklärte Bush dem Abschlussjahrgangin West Point. »Wir können Amerika und unsereFreunde nicht verteidigen, indem wir auf das Beste hoffen.Wir können nicht dem Wort von Tyrannen vertrauen, die miternster Miene Atomsperrverträge unterzeichnen und dannsystematisch gegen sie
  93. verstoßen. Wenn wir darauf warten,dass die Bedrohung endgültig konkrete Gestalt annimmt, habenwir zu lange gewartet.« Im Juli sickerten die Pläne des Pentagonfür einen Angriff gegen den Irak an die Presse durch,und es wurde für Bush von Tag zu Tag schwieriger, seine Ab-101 sichten zu verbergen. Innerhalb der Regierung wurden deweil weitere Dokumente verfasst, die die Argumentation gegen den Irak stützen sollten. Am 1. August übergab die CIA der Regierung Bush ein geheimes Dokument, dessen Ausfuhrungen in die Schlussfolgerung mündeten, eine Lieferunhochfester Aluminiumrohre von China an den Irak sei einHinweis darauf, dass der Irak sein Programm zur Urananreicherungwiederbelebe, um eine Atombombe zu bauen.Chris verblüffte Sawsan mit seiner Erklärung, warum er mitihr sprechen wollte. Er sagte ihr, sie könne Präsident BushsKrieg gegen den Terrorismus unterstützen, indem sie für die CIA in geheimer Mission nach Bagdad reise. Die CIA wollte dass sich Sawsan Alhaddad, eine Frau und Mutter mittleren Altersaus Cleveland, im Irak als Spionin betätigte.Chris erzählte ihr, die CIA habe herausgefunden, dass SawsansBruder Saad Tawfiq, ein Elektroingenieur, der in Englandstudiert hatte und mit seiner Frau und drei Kindern in Bagdadlebte, eine zentrale Rolle in Saddam Husseins geheimemAtomwaffenprogramm spiele. Die CIA wisse, wer er sei, dochkomme sie nicht an ihn heran. Deswegen solle Sawsan nachBagdad reisen, mit ihrem Bruder reden und herausfinden, ober bereit sei, überzulaufen und über das kurdische Gebiet dasLand zu verlassen. Die CIA könne ihm zwar nicht helfen, indiese Region im Norden des Irak zu gelangen, wenn er esaber bis dorthin allein geschafft habe, könne man ihn in denWesten bringen. Wenn der Bruder nicht überlaufen wolle, solleSawsan ihm verschiedene Fragen über Saddams Vorhabenzum Bau von AB C-Waffen stellen.Die CIA war davon überzeugt, dass Saad Tawfiq die brisantestenGeheimnisse im Zusammenhang mit den Waffenprogrammendes Irak kannte und seiner Schwester möglicherweise die Wahrheit über Saddam Husseins Absichten anvertrauenwürde.Sawsan konnte es kaum glauben, dass die CIA keine andere Möglichkeit hatte, sich Informationen aus Bagdad zu beschaffen. Doch nachdem sie gründlich darüber nachgedacht hatte,entschied sie sich, ihren Teil beizutragen. Sie hatte ihren Bruderseit 1989 nicht mehr gesehen, seit einem kurzen, von Nervositätgeprägten Besuch im Irak vor dem Golfkrieg, aber siedachte, er sei vielleicht bereit zu helfen. Sie sagte Chris, siewerde es versuchen.Die Anwerbung von Sawsan fand im Rahmen eines letzten,verzweifelten Versuchs der CIA statt, ihre »Hausaufgaben« zumachen. Während Bush und andere Regierungsmitgliederimmer lauter
  94. gegen den Irak zu Felde zogen, musste sich die CIA Führung einer äußerst unangenehmen Tatsache stellen:Die USA besaßen keinerlei Beweise für die Behauptungen,die der Präsident in aller Öffentlichkeit über den Irak und dieMassenvernichtungswaffen aufstellte. Schlimmer noch, dieCIA tappte beim Irak praktisch seit Jahren im Dunkeln. DieInformationen waren entweder alt und überholt, oder siestammten aus zweiter, dritter oder vierter Hand, von berläufernund Exilanten, die ihre eigenen politischen Ziele verfolgten.Fast jeder Analytiker bei der CIA nahm an, dass der IrakMassenvernichtungswaffen besaß aber keiner konnte die Vermutungenmit harten Fakten untermauern. Und, schlimmernoch, den meisten war dies bewusst.1998 hatten die Vereinten Nationen ihre Waffeninspekteureaus dem Irak nach einer Kraftprobe mit Saddam Hussein abgezogen,weil Saddam ihnen den Zugang zu den wichtigstenStandorten verwehrt hatte. Clinton reagierte mit einer viertä-gigen Bombardierung, die jedoch wenig Wirkung zeigte. DerAbzug der UN-Inspekteure war ein schwerer Rückschlag für die CIA, die sich bemüht hatte, das irakische Waffenprogrammim Auge zu behalten. In den neunziger Jahren hatte sie sich fastausschließlich auf die UN-Inspekteure als Informationsquelleverlassen. Nach deren Abzug versäumte sie es, ein eigenes verlässlichesNetz von Informanten aufzubauen, die über die WaffenprogrammeBagdads berichten konnten.103 Im Jahr vor dem Irakkrieg verfugte die CIA nur über einenFührungsoffizier in Bagdad. Er gab sich als Diplomat aus undarbeitete in der Botschaft eines anderen Landes. Dieser Führungsoffizierrekrutierte jedoch keine Informanten, die überdas irakische Waffenprogramm Bescheid wussten. Die CIA unterhielt zwar Kontakte zum irakischen Militär, größtenteils über den Iraqi National Accord, eine Gruppe von Exilantenunter Führung von Ijad Allawi (ein CIA Mitarbeiter, der spä-ter Ministerpräsident der irakischen Ubergangsregierung wurde),doch keiner der Offiziere besaß Informationen aus ersterHand über irakische Massenvernichtungswaffen. Mitte 2002war ein Großteil der Informationen der CIA seit mindestensvier Jahren veraltet.Charlie Allen, der stellvertretende CIA Direktor für InformationsbeschafFungund in der Agency eine legendäre Gestalt,war der hochrangigste CIA Offizier, der etwas gegen das Problemunternehmen wollte. Allen hatte sich in der amerikanischenGeheimdienstarbeit eine besondere Nische geschaffen.Er suchte nach »Informationslücken«, nach Bereichen, dievon der CIA und anderen Nachrichtendiensten nicht ausreichendabgedeckt waren, und erkannte, dass die irakischenMassenvernichtungswaffen eine enorme
  95. Informationslückedarstellten.Allen war ein erfahrener Man n der Tat, der wenig übrig hattefür CIA Chef George Tenet und dessen Kreis von Jasagernin der Führung. Während die anderen CIA-Spitzenbeamteneinschließlich Tenets und des stellvertretenden Director ofOperations James Pavitt zauderten und es versäumten, Operationenzu initiieren, durch die mehr Spione in den Irak geschleustwurden, begann Allen, nach neuen, unkonventionellenInformationsquellen zu suchen.Er setzte sich für mehrere neue Informationsbeschaffungsprogrammeein, darunter auch eines, das vorsah, sich mit Hilfeamerikanischer Familienmitglieder irakischen Wissenschaftlernzu nähern, die etwas mit der geheimen Waffenentwick-1 r\A lung zu tun hatten. Damals hatte die CIA keinen direkten Zugangzu den führenden irakischen Wissenschaftlern, daher lages nahe, Verwandte als Mitder einzusetzen, um herauszufinden,woran die Wissenschafder arbeiteten. Die meisten fuhrendenirakischen Wissenschaftler, die sich in der Vergangenheitmit WafFenforschung befasst hatten, waren von denUN-Inspekteuren in den neunziger Jahren wiederholt befragtworden. Bei diesen Befragungen hatten alle darauf beharrt,dass die Waffenprogramme eingestellt worden seien, doch inden USA war man davon überzeugt, dass sie nicht die Wahrheitgesagt hatten, denn bei den Befragungen waren stets irakischeSicherheitskräfte zugegen gewesen. Aber zumindest besaß dieCIA dank der UN Inspektionen eine umfassende Liste der führenden irakischen Waffenspezialisten. Charlie Allen wolltesich diese Liste zunutze machen.Sein Team begann, Kontakt zu Familienmitgliedern aufzunehmen,die außerhalb des Irak lebten, und fragte sie, ob siebereit seien, in den Irak zu reisen und mit ihren Verwandtenüber deren Arbeit zu sprechen. Mindestens dreißig Angehörige irakischer Wissenschaftler erklärten sich einverstanden, darunterauch Sawsan Alhaddad. Die CIA war sehr darauf bedacht,sie für diesen Einsatz zu gewinnen. Saad Tawfiq galtschon lange als eine der Schlüsselfiguren im irakischen Atomprogramm.Er war Schiit, und das von Sunniten dominierteRegime von Saddam Hussein vertraute ihm nie ganz, doch daer ein echter Experte auf seinem Gebiet war, konnte der Iraknicht auf ihn verzichten. Die CIA hatte bereits Kontakt zuTawfiqs jüngerem Bruder aufgenommen, der in Houston lebte,doch der hatte es abgelehnt mitzuarbeiten, und so wandtesich Charlie Allens Team an Sawsan.Im August 2002 kam »Chris« regelmäßig nach Cleveland,traf sich mit Sawsan in Restaurants oder besuchte sie zu Hausein Moreland Hills. Schließlich brachte er auch einen CIA Techniker mit, der Sawsan mit den Grundlagen
  96. der Spionagevertraut machte. Die CIA hatte eine lange Liste mit Fragen105 vorbereitet, die Sawsan ihrem Bruder stellen sollte, doch sikonnte nicht einfach mit einem Memorandum von der CIaim Gepäck in Bagdad aus dem Flugzeug steigen. Daher versuchteder Techniker, ihr Geheimschrift beizubringen, undzeigte ihr, wie man mit unsichtbarer Tinte auf Papier schriebdas rasch verbrannte, wenn man es anzündete. Sawsan, einepraktisch veranlagte Frau, erkannte, dass die CIA-Techniken zu umständlich und vor allem gefährlich waren, wenn sie in einemLand wie dem Irak falsch angewandt wurden. Sie beschloss,die Fragen auswendig zu lernen, und schrieb sichEselsbrücken in ein Kreuzworträtsel, das sie mit ins Flugzeugnehmen konnte. Die vermeintlichen Lösungswörter solltensie an die Fragen erinnern.Bevor die CIA Sawsan in den Irak schickte, wollte sie sicherstellen,dass ihr Bruder überhaupt bereit war, bei ihrem Besuchmit ihr zu sprechen. Sie schlug die perfekte Kontaktperson vor:ihre Schwiegermutter aus Bagdad, die gerade zu Besuch inCleveland war und Anfang September in den Irak zurückreisensollte.Verängstigt, aber kooperationswillig erklärte sich dieSchwiegermutter bereit, flog nach Bagdad zurück und fandeine Gelegenheit, mit Saad auf der Straße vor seinem Haus zusprechen, außerhalb der Reichweite der Abhörgeräte, die mitSicherheit in seinem Haus installiert waren.Sie wollen mit dir sprechen, und sie werden Sawsan schicken, sagtedie alte Frau zu Saad Tawfiq. Sawsan wird dich heute Abend anrufenund fragen, wie es dir geht. Wenn du einverstanden bist, sag, dasses dir gut geht.Sawsan rief ihren Bruder an und fragte ihn, wie es ihm gehe.Es gehe ihm gut, erwiderte er. Sie wiederholte die Frage dreimal,um sicherzugehen, dass sie ihn richtig verstanden hatte.Einige Tage später reiste Sawsan Alhaddad nach Bagdad.Den irakischen Behörden erklärte sie, ihre Mutter sei vor kurzemgestorben, sie müsse den Nachlass regeln. Da sie mitderweeeinen amerikanischen Pass hatte und als verheiratete Frau den Namen ihres Mannes führte, fiel den Irakern nicht auf,dass es sich um eine Exilantin handelte, die viele Jahre zuvoraus dem Land geflohen war.Es war Anfang September. Die Regierung Bush erhöhtemittlerweile den Druck und behauptete, Saddams Atomwaffenprogrammstelle eine unmittelbare Gefahr für die USA dar.Das Weiße Haus gab zu verstehen, dass sich ein Krieg nichtvermeiden lasse. Am 8. September kreierte die Nationale SicherheitsberaterinCondoleezza Ric e in einer Talkshow einedenkwürdig kryptische Formulierung, als sie bemerkte, esgebe »in der Tat immer eine gewisse Unsicherheit, wie schnellSaddam Hussein über Atomwaffen verfügen kann, aber wirwollen nicht, dass aus dem rauchenden Colt am
  97. Ende einAtompilz wird«. Während sich Ric e öffentlich gegen den Irakwandte, gab die Defense Intelligence Agency einen geheimenBericht mit dem Titel »Das wiederbelebte Nuklearwaffenprogrammdes Irak« heraus, in dem die Schlussfolgerung gezogenwurde, dass Bagdad dabei sei, eine Atombombe zu bauen. VizepräsidentCheney wirkte bereits sehr ungeduldig angesichtsder Tatsache, dass überhaupt noch weiter diskutiert wurde, alser im Fernsehen verkündete: »Dieses Problem muss auf dieeine oder andere Art behoben werden.«Um den Druck noch weiter zu erhöhen, ließ die RegierungInformationen an die amerikanische Presse durchsickern. Am8. September (am selben Tag, an dem Rice ihr Atompilzszenarioheraufbeschwor) veröffentlichte die New York Times Beweise,dass der Irak Aluminiumröhren für die Wiederaufnahmeseines Atomwaffenprogramms erworben habe. In demArtikel hieß es: »ber ein Jahrzehnt, nachdem sich SaddamHussein einverstanden erklärte, auf Massenvernichtungswaffenzu verzichten, hat der Irak sein Bemühen um Atomwaffenwieder verstärkt. Mitglieder der Regierung Bush erklärtenheute, der Irak sei weltweit auf der Suche nach Materialienfür den Bau einer Atombombe.«107 Als Sawsan auf dem Saddam International Airport in Bagdadaus dem Flugzeug stieg, erkannte sie ihren Bruder zuerst garnicht. Doch schließlich fanden sich die beiden, und die Wiedersehensfreudewar groß. Saad hatte einen Freund beim irakischenSicherheitsdienst, der Sawsan durch den Zoll schleusteund ihr bei den Einreiseformalitäten half. Als sie in die Stadtfuhren, kam sie ihr sehr fremd vor, so stark hatte sich Bagdadverändert. berrascht stellte Sawsan fest, dass viele Frauen verschleiertwaren. Bagdad wirkte nicht mehr so säkular und offenwie früher.Saads Haus (ihr früheres gemeinsames Elternhaus) lag imwohlhabenden Viertel Mansur, in unmittelbarer Nähe desHauptquartiers des irakischen Geheimdienstes Mukhabarat.Betrübt nahm Sawsan wahr, dass die Jahre des Krieges und derEntbehrungen ihre Spuren am Haus hinterlassen hatten. Es warmehrmals beschädigt worden, als die Amerikaner das benachbarteMukhabarat-Gebäude im ersten Golfkrieg bei einemAngriff bombardiert hatten. Am ersten Tag sah Sawsan ihre Familieund alte Freunde aus der Nachbarschaft wieder. Erst amspäten Abend des zweiten Tages kam es zu einem Gespräch mitihrem Bruder.Bis zu jenem Abend hatte sie nie wirklich offen mit Saadüber seine Arbeit geredet. Sie hatte ihn in fünfundzwanzig Jahrennur zweimal gesehen. 1983 hatte er zu einer Konferenz indie USA reisen dürfen, und sie war 1989 anlässlich eines medizinischenKongresses im Irak gewesen. Bei diesem Besuch hattesie festgestellt, dass ihre Mutter sich Sorgen machte, weil
  98. ihrSohn in eine Arbeit verwickelt war, die ihm möglicherweiseschaden könnte. Aber Saad hatte sich geweigert, darüber zusprechen. Die Geschwister hatten versucht, über die Jahre inKontakt zu bleiben, doch das war sehr schwierig gewesen. Siewussten nur wenig voneinander.Saad Tawfiqs Leben unter einer der grausamsten Diktaturender jüngeren Geschichte und seine Mitarbeit bei einem der geheimstenForschungsprojekte der Welt, dem Versuch, eine108 Atombombe für Saddam Hussein zu bauen, basierten imGrunde auf einer einzigen Entscheidung: dem Moment, indem er zwischen seiner Freiheit und seiner Verantwortung fiirdie Familie hatte entscheiden müssen.Saad Tawfiq war in einer privilegierten und angesehenenFamilie im alten Irak aufgewachsen, einem Irak, in dem Familieund Büdung etwas bedeuteten, bevor diese Werte von SaddamHussein korrumpiert wurden. Saad wurde 1951 als Sohneines Arztes geboren und verbrachte einen Großteil seiner Jugendim südirakischen Basra, bis er aufs Internat nach Bagdadgeschickt wurde. Dort besuchte er auch eines der besten Collegesdes Landes, das Bagdad College, das von amerikanischenJesuiten des Boston College geleitet wurde. Die Jungen, dieSaad auf dem College kennen lernte, sollten später den Irak regieren.Die amerikanischen Jesuiten weckten Saads Wissensdurst.Er lernte dort aber auch Baseball und Basketball und erhaschteeinen ersten Blick auf die weite Welt mit ihrenzahlreichen Möglichkeiten, die sein Heimatland nicht bietenkonnte. Für ihn spielte es keine Rolle, dass er als Schiit eine katholischeSchule besuchte.Vom Bagdad College wechselte Saad an die Universität vonBagdad, wo er Maschinenbau studierte. Seine akademischenLeistungen brachten ihm ein Stipendium für die University ofSussex in Großbritannien ein. In den siebziger Jahren studierteer in Sussex und lebte mit seiner irakischen Frau und seinerwachsenden Familie in Brighton. Es war eine idyllische Zeit,in der alles möglich zu sein schien. Seine Doktorarbeit in Elektrotechnikbefasste sich mit der optimierten Regelung von Hafenkränenfür das schnelle Entladen von Schiffen, ein überauspraktisches Thema, das ihn davon träumen ließ, seine HeimatstadtBasra in einen Hafen der Weltklasse zu verwandeln.Im August 1980 erwarb Tawfiq den Doktortitel. Erlebte seitvier Jahren in England, und der Irak schien immer mehr derVergangenheit anzugehören. Zwei westliche Unternehmen,die im Nahen Osten Geschäfte machten, boten ihm eine StelleR A n an. Er entschied sich fiir einen Job bei einer britischen Firma,die den Bau und die Belüftung von Tunneln in Saudi-Arabienfür die muslimischen Pilger auf dem Weg nach Mekka plante.Im Januar 1981 war alles für einen Umzu g
  99. nach Liverpoolvorbereitet, wo Tawfiq seine neue Karriere beginnen wollte.Da starb in Bagdad sein Vater. Vier Monat e zuvor war derIrak im Iran einmarschiert. De r brutale Krieg zwischen denbeiden Nachbarländern forderte von der irakischen Armee einenhohen Tribut, und Saddam brauchte dringend neue Soldaten.Obwohl Tawfiq ein dreißig Jahre alter Wissenschaftlermit Frau und Kind war, bedeutete eine Rückkeh r in den Irakmit großer Sicherheit, dass er eingezogen werden würde. AberSaad Tawfiq war der älteste Sohn, und seine Mutte r war allein.Seine beiden Schwestern und sein jüngere r Bruder waren indie USA geflohen, ihm blieb keine andere Wahl - er musstezurückkehren. Er wusste, dass diese Entscheidung das Endeseines Traums von einem Leben außerhalb des Irak bedeutete.Gleich nach seiner Ankunft wurd e Tawfiq zum Militär einberufen.Doch schon bald erzählte ihm ein Freund von einereinzigartigen Arbeitsmöglichkeit, mit der er vom Militärdienstbefreit werden konnte: Di e irakische Atomenergiekommissionsuchte Wissenschaftler. Un d es gab noc h einen zusätzlichenAnsporn: Saddam Hussein spendierte noc h ein Grundstückdazu.Mitte der achtziger Jahre suchte Saddam Hussein bereits verzweifeltnach neuen Waffen, mit denen die bittere RechnungMann gegen Mann im Krieg mit dem Iran durchbrochen werdenkonnte. Viel versprach er sich von Massenvernichtungswaffen.Kernstück seiner Bemühunge n war ein von Frankreichentwickelter Atomreaktor, der damals in Tuwaitha südlich vonBagdad gebaut wurde. De r Reaktor gehörte zu einer größerenAnlage mit einem weiteren, aber kleineren französischen Re -aktor und einem von den Sowjets konstruierten Testreaktor,der bereits in Betrieb war. Sobald die Anlage mit Hilfe derfranzösischen Ingenieure fertig gestellt war, so hoffte Saddam,110 würde der Reaktor den Irak einen Schritt weiter in RichtungAtommacht bringen. Die Franzosen hatten dem Irak zwarnicht die Technologie geliefert, um mit Hilfe des Reaktorswaffenfähiges Spaltmaterial herzustellen, doch genau dasschwebte Saddam vor.Saad Tawfiq wurde bei seiner Einstellung nichts von einemWaffenprogramm gesagt. Stattdessen wurde er mit einer Reihewissenschaftlicher Forschungsprojekte beauftragt, die nichtsmit der Herstellung von Bomben zu tun hatten. Einen Tag, bevorSaad mit seiner Arbeit beginnen sollte, am 7.Juni 1981,bombardierte die israelische Luftwaffe bei einem äußerst riskantenLuftangriff mit F-15- und F-16- Kampfflugzeugen dieAnlage in Tuwaitha. Der französische Reaktor Tammuz 1(auch Osirak genannt) wurde zerstört. Die israelische Regierungunter Ministerpräsident Menachem Begin gab bekannt,sie habe den Angriff durchgeführt, um zu verhindern, dassSaddam Hussein eine
  100. Atombombe baue, mit der er Israel zerstörenkönne.Paradoxerweise war es der israelische Angriff auf Osirak, derSaad Tawfiq in die geheime Welt der Atomwaffenentwicklungführte. Während er und seine Kollegen im Schutt von Tuwaithawühlten und zu retten versuchten, was zu retten war,hielt Saddam Hussein nach einer neuen Möglichkeit Ausschau,sich Nuklearwaffen zu beschaffen. Der AtomwissenschaftlerDschafar Dhia Dschafar, ein Schiit, der bei Saddamin Ungnade gefallen war, sagte, er kenne eine Möglichkeit,eine Bombe ohne einen großen Reaktor zu entwickeln. Erdachte an das Verfahren, mit dem das amerikanische ManhattanProject eine seiner ersten Bomben gebaut hatte. Es wurdespäter aufgegeben, weil es viel Zeit und enorme Mengen Elektrizitätverschlang. Doch diese Probleme wurden durch zweigroße Vorteile wettgemacht. Das Verfahren ließ sich kaum aufspüren,und, noch besser, ein Großteil der Technologie warmittlerweile frei zugänglich und ließ sich vom Irak ziemlichleicht nachbauen. Gemeint ist ein Prozess der Urananreicherung, der als EMIS(elektromagnetische Isotopentrennung) bekannt ist. Dabeiwerden mit Hilfe großer Magneten zwei verschiedene Uranatomezuerst ionisiert und dann getrennt. Mit der elektromagnetischenIsotopentrennung kann man relativ direkt waffenfähiges Uran gewinnen, ohne dass man dafür einen modernenAtomreaktor benötigt. Dennoch war das Unterfangen einegroße Herausforderung fur ein kleines Land wie den Irak.»Die Amerikaner hatten beim Manhattan Project elf Nobelpreisträger wir hatten keine«, erinnert sich Dhafer RaschidSelby, Manager des irakischen Programms. Die elektromagnetischeIsotopentrennung war so langsam, arbeitsintensiv undenergieaufwändig, dass jede andere Nuklearmacht auf derWelt sie aufgegeben hatte. Niemand im Westen wäre je aufdie Idee gekommen, dass der Irak sie heimlich anwendenkönnte.Dschafars Vorschlag wurde angenommen und der gegen ihnverhängte Hausarrest aufgehoben, damit er das neue EMISProgrammleiten konnte. Zu den Ersten, die er aufforderte, inseinem Team mitzuarbeiten, gehörte Saad Tawfiq. Schon baldwurde Tawfiq sein Protg. Er folgte während seiner gesamtenKarriere Dschafars Führung und wurde schließlich einer seinerleitenden Mitarbeiter.Das Nuklearprogramm erhielt den Decknamen Petro-Chemical3, damit Außenstehende glaubten, das Team widme sichForschungen, die etwas mit öl zu tun hätten. Niemand, nichteinmal Dschafar, kam je zu Tavyfiq und sagte ihm, er arbeitenun an einer Atombombe. Selbst innerhalb des Teams gab eskeine ausdrücklichen Anordnungen bezüglich eines Bombenprogramms.Es kam einfach zusammen und begann mit derArbeit,
  101. die auf verschiedene Untergruppen mit ganz bestimmtenAufgaben verteilt wurde. Die Tatsache, dass die Tätigkeitder Untergruppen einzig und allein darauf ausgerichtet war,eine Atombombe zu bauen, wurde nie erwähnt. »Es blieb unausgesprochen;niemand sagte je, es sei ein Waffenprogramm«,112 erinnert sich Tawfiq. »Wir redeten über die Subsysteme, an denenwir arbeiteten, über Magnete oder die Energiezufuhr, aberwir unterhielten uns niemals über das Gesamtprogramm, obwohles für jeden offensichtlich war. Manchmal sprachen wiruntereinander darüber, aber offen war das nicht möglich.«Nicht einmal seine Frau kannte Details seiner Arbeit.Damals hatte Tawfiq keine Gewissensbisse. Er glaubte, mitder Atombombe würde »ein Gleichgewicht mit Israel hergestellt.Und ich dachte nicht, dass Saddam ein Verrückter sei.«Die wichtigste Quelle für Nukleartechnologie war fürDschafars Team Amerika. Tatsächlich hatte Dschafar das EMISVerfahrenauch deswegen empfohlen, weil ein Großteil destechnischen Know-how in den USA verfugbar war. 1982 reisteImad Churi, der Leiter des Informationsprogramms für DschafarsTeam, in die Vereinigten Staaten und beschaffte sich aus freizugänglichen Quellen in amerikanischen Bibliotheken die Plä-ne des Manhattan Project für das EMISVerfahren. Auch Tawfiqflog in die USA und besorgte dort wichtige Informationen.1983 nahm er an einer Konferenz in Housto n teil und trat derInstrumentation Society of America bei. Sie gibt Standards fürInstrumentierungsprozesse heraus, die entscheidend für TawfiqsSysteme waren. Aufgrun d seiner Mitgliedschaft wurdenTawfiq regelmäßig Büche r un d Softwarepakete aus den USAgeschickt, die ihm halfen, die Konstruktionsverfahren, an denensein Team arbeitete, zu mechanisieren.Der Irak machte ganz langsam Fortschritte bei der Urananreicherung.1987 funktionierte das EMISProgramm genauso, wie Dschafar gehofft hatte: Sein Team hatte mehrere Prototypenfür Separatoren zur Isotopentrennung entwickelt. Esgab zwar ein paar Probleme, vor allem, als Dschafar darauf bestand,dass sein Team von den Verfahren des Manhattan Projectabwich. Dennoch schafften es die Wissenschaftler, sechs Jahrelang zu arbeiten, ohne dass jemand außerhalb des Regimes dasVorhaben entdeckte, vor allem nicht die Internationale Atomenergiebehörde,die Israelis und die Amerikaner.JrI ii» i&ijr . 113 Trotz der späteren Befürchtungen und Vermutungen derCIA musste der Irak kein Uran in Niger kaufen. Anfangs verwendeteDschafars Team kleine Mengen Uran, die der IrakEnde der siebziger Jahre von den Italienern bekommen hatte.Später kam noch eine kleine Menge aus Brasilien dazu. Sobalddie Produktion in vollem Gang war, gab es reichlich Uran imIrak.
  102. Es stammte aus Phosphatminen in der Region Akaschat.Dschafars Team baute eine Anlage zur Urangewinnung in einerbergigen Gegend dreißig Kilometer westlich von Mosul,und Anfang der achtziger Jahre wurde mit dem Abbau vonUranerz in Akaschat begonnen. Als Saad Tawfiq kurz vordem zweiten Golfkrieg davon hörte, der Irak habe Uran in Nigergekauft, war ihm klar: »Die Information konnte nicht vonjemandem im Irak kommen, der etwas wusste.«Mitte der achtziger Jahre wurden heimlich verschiedene Anlagenfür die Isotopentrennung installiert. So baute der Irakeine umfangreiche nukleartechnische Infrastruktur auf, diedem Westen immer noch verborgen blieb. Doch Ende 1987übertrug Saddam Hussein, der angesichts der langsamen Fortschritteungeduldig wurde, seinem berüchtigten SchwiegersohnHussein Kamel die Verantwortung für das Nuklearprogramm.Kamel betrachtete das Atomprogramm als Kronjuwelim Rahmen der Bemühungen des Regimes um Massenvernichtungswaffen,doch sein Versuch, das Unterfangen durchneue Teams zu beschleunigen, die Uran mit fortschrittlicherenMethoden anreichern sollten, ging nach hinten los. Die irakischenUnternehmungen zur Beschaffung von so genannterDual-Use-Technologie (die sowohl für zivüe Zwecke als auchfür die Waffenproduktion eingesetzt werden kann) für die vonKamel geforderten moderneren Verfahren lenkte ungewollteAufmerksamkeit auf den Irak und weckte Verdacht. »Wir wolltendie Sachen immer selbstständig machen, aber Hussein Kameldachte, man müsse nur losziehen und kaufen, was man benötigte«,erinnerte sich Tawfiq. Zwei von Hussein KamelsLeuten wurden am Flughafen Heathrow verhaftet, nachdem114 1sie versucht hatten, amerikanische Nuklearzünder zu kaufen.I>$chat^\^ef5chleierungstaktik drohte aufzufliegen.Als fataler Fehler ervvies sich schließlich Saddam HusseinsEntschluss. 1998 in Kuwait einzumarschieren. Das Nuklearpcogrammhatte sich zu einem Großprojekt mit mindestensachttausend Mitarbeitern entwickelt. Dennoch war es immernoch zwei bis drei Jahre vom Bau einer Bombe entfernt. Fürdas EMISProgramm waren acht Separatoren installiert wordenaber eine Urananreicherung in größeren Mengen warnoch Zukunftsmusik.Wenn Saddam mit seinem Angriff gewartet hätte, bis dasNuklearteam so weit gewesen wäre, hätte er seine Macht undseinen Finrhra im Nahen Osten vielleicht bewahrt. Doch mitdem Einmarsch in Kuwait verstärkte sich der Druck auf dasTeam immens, obwohl eine Waffenproduktion nach wie vorin weiter Ferne lag. Hussein Kamel befahl, dass die WissenmJr schattier in den langen Monaten zwischen dem Einmarsch inKuwait und der
  103. Operation Desert Storm rund um die Uhr arbeitenmussten. Saad Tawfiq verbrachte in dieser Zeit fast jedenwachen Moment bei den Nuklearanlagen. Es gab berlegungen,eine »schmutzige Bombe« zu bauen, eine Bombe mitkonventionellem Sprengstoff und dem bereits vorhandenen raXfcboaknven Material, doch der Befehl wurde nie erteilt und derPlan schließlich verworfen. Letzten Endes konnte DschafarsTeam die Bombe nicht produzieren, die Saddam zur Abwehrder internationalen Koalition so dringend benötigte.Das Ende des Atomwaffenprogramms kam eher zufallig: DieAmerikaner zerstörten die Anlagen aus der Luft, ohne es zunächstüberhaupt zu bemerken. Anfang 1991 flog ein amerikanischesFlugzeug, das bereits seinen Angriff auf ein anderes irakischesZiel beendet hatte, zurück zum Stützpunkt, hatte abernoch zwei Bomben übrig. Der Pilot suchte nach einem weiterenZiel, um den Ballast loszuwerden, und wurde zu einemKomplex namens Tarmiya etwa dreißig Kilometer nördlichvon Bagdad geleitet, den die Amerikaner für einen Teil des Ministeriums fiir Industrie und militärische Industrialisierunghielten. Der Pilot bombardierte das größte Gebäude und setzteseinen Flug fort.Die berwachungsfotos, die den verursachten Schaden dokumentierten,faszinierten die amerikanischen ZielaufklärerBei der beschädigten Anlage herrschte auffallend viel Betriebund das Verhalten der Iraker deutete daraufhin, dass das getroffeneGebäude wichtiger war, als man angenommen hatte. Einweiterer Angriff mit B-52-Flugzeugen wurde angeordnet. DerBombenteppich der B-52 zerstörte die Urananreicherungsanlagevon Tarmiya, die den Irakern als Safa-Fabrik bekannt war,vollständig. Damit fanden die nukleartechnischen Ambitionender Iraker ihr Ende. Dschafars Programm hat sich nie von diesemSchlag erholt.Im Mai 1991 waren UN-Waffeninspekteure im Irak unterwegsund versuchten, dort den Entwicklungsstand der Konstruktionvon Massenvernichtungswaffen einzuschätzen. Zu der Zeitwar noch nichts über das Programm zur Urananreicherungmittels Isotopentrennung bekannt, und so sollte es nach demWillen von Saddam Hussein auch bleiben. Im Juni wurdenTawfiq und andere Mitglieder von Dschafars Team in den Prä-sidentenpalast zitiert, wo ihnen Dschafar mitteilte, das Programmsei beendet und es gelte nun, jeden Beweis fiir seineExistenz verschwinden zu lassen. »Ich hatte die Anweisung, allesbelastende Material zu vernichten oder zu verstecken undnur die Ausrüstung zurückzulassen, von der gesagt werdenkonnte, dass es sich um Dual-Use-Technologie handelte.« Binnenzweiundsiebzig Stunden luden Tawfiq und andere Wissenschaftlerhastig die abmontierten Konstruktionsteile
  104. aufhundertfunfzig Schwerlast-Zugmaschinen und begleiteten siein die westliche Wüste. Die Wissenschaftler beschrifteten dieAusrüstung so gut wie möglich, aber vieles wurde einfach aufdie Lastwagen geworfen und geriet durcheinander, sodass esschwierig war, alles zu registrieren. Am Schluss wurden die Ladüngen einfach Saddams Sicherheitskräften übergeben, die sieversteckten und vergruben.Kurz darauf kamen die Inspekteure der InternationalenAtomenergiebehörde dahinter, dass in Tarmiya Uran angereichertworden war. Im Sommer 1991 flogen die Lügen des irakischenRegimes über das Nuklearprogramm auf. Unter demwachsenden Druck machte Hussein Kamel eine Kehrtwendeund befahl den Wissenschaftlern, nichts mehr zu verstecken.»Die Befehle wechselten ständig, versteckt alles, versteckt nichtalles«, erinnerte sich Tawfiq. Etwa drei Monate, nachdem dieLastwagen mit der Ausrüstung in die Wüste gefahren waren,wurde den Inspekteuren die vergrabene Ladung gezeigt. DieBombenangriffe im Krieg und die anschließenden Inspektionenbrachten das Nuklearprogramm zum Erliegen. »Das Programmwar beendet, und wir hatten keine Aufgabe mehr.«Im März 1992 rang Hussein Kamel seinem SchwiegervaterSaddam die Erlaubnis ab, die Atomwissenschaftler in seine Organisationfiir Militärische Industrialisierung aufzunehmen.Dort arbeiteten Tawfiq und die übrigen Wissenschaftler fürKamels Lieblingsprojekte. Im Grunde warteten sie nur darauf,dass die UN-Inspektoren ihre Arbeit abschlossen und dieSanktionen aufgehoben wurden, und wollten dann mit ihrerArbeit fortfahren. »Hussein Kamel wollte die Leute bei der Organisationfür Militärische Industrialisierung zusammenhaltenund abwarten, was passierte«, berichtete Tawfiq. In der Zwischenzeit»arbeiteten wir an Kamels Träumen«. Jeder Mitarbeiter,der das Team verließ und versuchte, woanders einen Job zufinden, wurde verhaftet und eingesperrt, bis er sich bereit erklärte,wieder für Kamels Organisation zu arbeiten.Doch die Inspektionen und Sanktionen zogen sich die ganzenneunziger Jahre über hin, und so wurde es immer unwahrscheinlicher,dass das Nuklearprogramm einfach wieder aufgenommenwerden konnte. Schließlich lief Hussein Kamel 1995über, kehrte dann aber zurück und wurde hingerichtet. DieOrganisation für Militärische Industrialisierung und Dschafars Team bestanden zwar weiterhin, hatten aber ihren wichtigstenFürsprecher verloren. Das Geld für Tawfiq und sein Team bliebaus, und die Wissenschaftler mussten zusehen, dass sie neueProjekte fanden, an denen sie mitarbeiten konnten. Als seineSchwester Sawsan 2002 in den Irak reiste, war Tawfiq immernoch bei der Organisation für Militärische Industrialisierungbeschäftigt und befasste
  105. sich mit der Konstruktion einer Fabrikfür Salpetersäure zur Düngerproduktion, außerdem lehrte ernebenher an der Technischen Hochschule in Bagdad. Nichtsdavon hatte irgendetwas mit der Entwicklung einer Atombombezu tun. Schließlich war das irakische Nuklearprogrammseit über einem Jahrzehnt eingestellt.Sawsan Alhaddad bemerkte, dass ihr Bruder wegen ihres Besuchssehr nervös war und zögerte, offen mit ihr zu sprechen.Trotz der Probleme des Irak hatten er und seine Familie es geschafft,ein einigermaßen angenehmes Leben in Bagdad zufuhren. Seine Kinder gingen auf gute Schulen, und Saadscheute davor zurück, irgendetwas zu unternehmen, das derFamilie schaden könnte. »Er war kein Abenteurertyp«, erinnertesich Sawsan später. Ihr Bruder weigerte sich, wegen SawsansBesuch extra frei zu nehmen, und wollte offensichtlichkeinerlei Aufmerksamkeit darauf lenken, dass sich seine amerikanischeVerwandte in einer Zeit enormer politischer Spannungenin Bagdad aufhielt. Er hatte Angst.Am späten Abend des zweiten Tages gingen sie spazieren.Sie erzählte ihm ruhig, die CIA wolle, dass er überlaufe. Sie wollen, dass du dich in kurdisches Gebiet durchschlägst.Ihr Bruder schnaubte verächtlich. Wie soll ich in kurdischesGebiet kommen? Wir werden ständig beobachtet. Es sei unmöglich,erklärte ihr Saad. Un d die CIA biete ihm ja noch nicht mal irgendeineHilfe an, aus Bagdad herauszukommen. Wie geplantoffenbarte Sawsan daraufhin ihrem Bruder, dass die CIA ihr Fragen zum irakischen Waffenprogramm aufgetragen habe,die sie ihm stellen solle. Wie weit seien die Iraker noch von xomox und musste im Rahmen seines Hauptjobs als Mitarbeiter derOrganisation fiir Militärische Industrialisierung abends an Besprechungenteilnehmen. Er hatte auch eine Sekretärin, diewährend Sawsans Besuch mehrmals zu ihm nach Hause kam.Erst nach dem Krieg 2003 entdeckte er, dass sie als Informantinfiir den irakischen Geheimdienst gearbeitet hatte.Einmal fanden sie erst um zwei Uhr nachts Zeit füreinander.Sawsan schlug vor, wieder einen Spaziergang zu machen. AberSaad lehnte ab, das könnte Verdacht erregen und vielleicht gemeldetwerden. Also stöpselte er das Telefon aus und stellte denFernseher laut, und die beiden unterhielten sich im Flüsterton.Sawsan sagte ihrem Bruder, die CIA wolle wissen, was er vonden Informationen halte, die der amerikanische Geheimdienstvon einem übergelaufenen ehemaligen irakischen Wissenschafdererhalten hatte. Er behauptete, die Iraker besäßen immernoch Massenvernichtungswaffen. Saad winkte ab und erklärte,der Mann sei ein Schwindler und habe keine Ahnung.Er sage das nur, weil er dafür bezahlt werde.Kurz vor Sawsans Abreise in die USA sagte ihr Saad, er glaubenicht, dass es sich für ihn
  106. lohnen würde, das Land zu verlassen.Warum das Risiko eingehen, wenn ich ihnen nur sagen kann,dass es kein Programm gibt? Nu n liege es an Sawsan, der CIA die Botschaft zu übermitteln.Mitte September flog Sawsan Alhaddad zurück nach Cleveland,wo die CIA schon bald Kontakt zu ihr aufnahm. Sie wurdezu einer Reihe von Besprechungen mit den Analytikern der CIA nach Washington geflogen. Vier CIA Offiziere trafen sichmit ihr in einem Vororthotel in Virginia, begierig zu hören,was sie aus dem Irak zu berichten hatte.Sawsan sagte den Männern von der CIA, ihr Bruder habe diesorgsam vorbereitete Liste mit Fragen nicht beantworten können,weil es im Irak kein Atomwaffenprogramm mehr gebe.Sie erklärte, dass der Uberläufer, auf den sich die Informationenüber das Nuklearprogramm stützten, nicht wisse, wovoner spreche. Saad habe gesagt, selbst vor dem ersten Golfkrieg120 sei der Irak noch drei Jahre vom Bau einer Atombombe entferntgewesen, und nach dem Krieg sei das Programm aufgegebenworden. Saad habe ihr versichert, es gebe derzeit keineBemühungen, das Nuklearprograinm wieder aufzunehmen.Außerdem wäre es unmöglich, dies unbemerkt zu tun.Sie entschuldigte sich, dass sie keine konkreten Antwortenauf die meisten der detaillierten Fragen geben konnte, aberihr Bruder habe ihr nun einmal wiederholt erklärt, es gebeschlicht und einfach kein Nuklearprogramm.Es tut mir Leid, dass ich nicht mehr für Sie habe.Während die CIA Beamten in dem Hotelzimme r saßen undSawsan zuhörten, nickten sie imme r wieder und schienen sehrverständnisvoll. Jede Antwort sei hilfreich, sagten sie. Ihr fielauf, dass sie der beharrliche Hinweis ihres Bruders, es gebe keineWaffenprogramme mehr, nicht zu überraschen schien. Wasdenn mit den Uraneinkäufen im Ausland sei? Sawsan war angewiesenworden, ihren Brude r nach den Lieferungen aus Nigerzu fragen.Saad habe gesagt, die Einkäufe fänden nicht statt, erwiderteSawsan. Es gebe nichts dergleichen. Er habe sich nur gewundert,wie die CIA auf derart verrückte Fragen komme .»Das ist interessant«, wiederholten die CIA Offiziere. »AlleInformationen, die Sie uns gegeben haben, sind interessant.«Sawsans Befragung dauerte mehrere Stunden, dann danktenihr die CIA-Männer und setzten sie wieder ins Flugzeug nachCleveland. Zu Hause erhielt sie noch einmal Besuch von Chrisaus Pittsburgh. Er brachte ein Geschenk mit: eine Schatulle ausGlas und Holz mit einer zusammengelegten amerikanischenFlagge, die nach seinen Angaben schon über dem CIA-Hauptquartierin Langley, Virginia, gehisst worden war. Die CIA wolleSawsan ihren Dank für ihre Tapferkeit zum Ausdruck bringen,erklärte er. Sawsan war gerührt, doch eine Bemerkungvon Chris gegenüber ihrem Ehemann beunruhigte sie.Wir
  107. glauben, dass Saad Sawsan angelogen hat, sagte Chris zu Sawsans Mann. Wir glauben, dass er weit mehr weiß, als er erzählen121 will. Für Sawsans Ehemann ergab das keinen Sinn, und das sagteer Chris auch.Warum sollte er lügen? Was soll ihm das bringen? Sie wollten, dasser überläuft, aber er sagte, es gebe kein Programm, über das er sprechenkönne.Der CIA-Mann lächelte, nickte und ging. Das Protokoll vonSawsan Alhaddads Befragung wurde zusammen mit den Berichtenall der anderen Familienmitglieder abgeheftet, dienach Bagdad gereist waren und dort Kontakt zu irakischenWaffenspezialisten aufgenommen hatten.Sie alle (etwa dreißig Personen) hatten das Gleiche gesagt.Sie berichteten der CIA ausnahmslos, die Wissenschaftler hättenerzählt, dass die irakischen Programme zur Entwicklungvon nuklearen, chemischen und biologischen Waffen schonlange aufgegeben worden seien. Charlie Allens Plan, mit Hilfevon Familienangehörigen Kontakte zu irakischen Wissenschaftlernaufzunehmen, hatte bemerkenswerte Resultate erbracht.Die CIA hatte in den Monaten vor dem Einmarschder Amerikaner im März 2003 eine akkurate Einschätzungüber den Zustand der irakischen Waffenprogramme erhalten:Sie existierten nicht mehr.Doch die CIA Beamten ignorierten die Hinweise und ließendie Berichte der Familienangehörigen nicht einmal den ranghohenEntscheidungsträgern in der Regierung Bush zukommen.Insider sagen, im Directorate of Operations, das eigentlichfür alle geheimen nachrichtendienstlichen Operationender CIA zuständig ist, sei man neidisch auf Charlie Allen gewesen.Man habe ihm sein Wildern in fremden Revieren übel genommen,daher seien die Ermittlungen abgebrochen und dieResultate verunglimpft worden. Präsident Bush habe nie etwasvon den Besuchen oder den Befragungen erfahren.Das Directorate of Intelligence der CIA, zuständig für dieAnalyse der gesammelten Informationen, zog nicht einmal inErwägung, die Berichte der Familienangehörigen zu berück-122 sichtigen. Die Analytiker, die mit den Berichten über irakischeMassenvernichtungswaffen befasst waren, erwähnten die Aussagenin ihren Einschätzungen gar nicht erst. Sie verschwandenin den Untiefen der Verwaltung und wurden nie fiir die Weitergabean das Außenministerium, ans Pentagon oder WeißeHaus freigegeben. Die CIA hatte stichhaltige Beweise dafür erhalten,dass Saddam Hussein seine Unternehmungen zur Beschaffungvon Massenvernichtungswaffen aufgegeben hatte -doch sie beschloss, diese Informationen nicht dem Präsidentender Vereinigten Staaten mitzuteilen, der im Begriff war, amerikanischeSoldaten in den Irak zu schicken. Sawsan
  108. Alhaddadsgefahrliche Reise in die Höhle des Löwen war umsonst gewesen.Saad Tawfiqs verzweifelte Hoffnung, seine Schwesterkönnte der CIA eine Nachricht überbringen, die möglicherweiseeinen Krieg verhinderte, wurde durch das Zuständigkeitsgerangelund den Tunnelblick der Geheimdienstbeamtenzunichte gemacht.Im Oktober 2002, einen Monat nach Sawsan Alhaddads Reisein den Irak, gaben die amerikanischen Geheimdienste einenumfassenden Bericht heraus, das so genannte National IntelligenceEstimate (NIE), eine Einschätzung der Geheimdienstezum Thema irakische Massenvernichtungswaffen. In diesemBericht sollte die CIA nach bestem Wissen und Gewissen alleszusammentragen, was über Saddam Husseins Waffenprogrammebekannt war, und unter Berücksichtigung aller Informationenbeurteilen, in welche Richtung sich die Programme inZukunft entwickeln würden. Selbstsicher hieß es darin, dassder Irak »sein Nuklearprogramm wieder aufnimmt«.Der einzige Vorteil, direkt neben dem Hauptquartier des irakischenGeheimdienstes zu wohnen, war ein guter Fernsehempfang.Zufällig hatte Saad Tawfiq entdeckt, dass er mit ein paarHandgriffen die Satellitenprogramme des Geheimdienstesempfangen konnte. Da die Offiziere des irakischen Geheim-123 dienstes wissen mussten, was die Welt über ihren extrem anspruchsvollenChef Saddam Hussein sagte, empfingen sie allewestlichen Nachrichtensender einschließlich BBC und CNN.Kostenloses Satellitenfernsehen konnte nicht die zerbrochenenScheiben, geborstenen Türen und die anderen Schäden wiedergutmachen, die das Haus in den letzten Jahren erlitten hatte,aber es war doch immerhin eine kleine Entschädigung.In seinem Haus in Bagdad verfolgte Saad Tawfiq im Februar2003 Colin Powells Rede vor den Vereinten Nationen, in derer behauptete, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen.Während Powell mit dramatischen Worten flir einen Kriegplädierte, versank Tawfiq immer tiefer in Frustration und Verzweiflung. Sie haben nicht zugehört, ich habe doch gesagt, dass es keine Waffengibt. 5
  109. Skeptiker und Eiferer In der Zeit nach dem Einmarsch der USA im Irak haben Mitgliederder Regierung Bush stets beteuert, sie hätten vor demKrieg wirklich geglaubt, der Irak sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen.Diese konnten bekanntermaßen bis heutenicht gefunden werden. Auch Präsident Bush und seine wichtigsten Berater haben wiederholt versichert, sie hätten die Bedrohung nicht übertrieben dargestellt. Und auch die CIA hat immer wieder öffentlich bekundet, ihre verhängnisvollen Einschätzungender irakischen Chemie-, Bio-und Kernwaffenprogramme seien im Licht der vorhandenen Geheimdienstinformationen durchaus gerechtfertigt gewesen.Tatsächlich wussten jedoch viele CIA Mitarbeiter vomSachbearbeiter bis in die höchsten Dienstränge , dass es fürdie Existenz der Waffenprogramme keinerlei stichhaltige Beweisegab. Solche Bedenken wurden aber im Keim erstickt,da die CIA und die anderen Geheimdienste unter enormemDruck standen, den Kurs der Regierung zu unterstützen.George Tenet und seine Führungsmannschaft arbeiteten wiebesessen daran, der Regierung die passenden Geheimdienstberichtezu liefern. So groß war die Angst vor einem Streit mitdem Weißen Haus, dass Zweifel an den Beweisen für die irakischenMassenvernichtungswaffen in der CIA entweder ignoriertoder zensiert wurden. Tenet und seine Top-Berater vergiftetendamit ungewollt das Arbeitsklima, und die CIA versank in Kriegshysterie.Die Berichte Sawsan Alhaddads und anderer Angehöriger irakischer Wissenschaftler waren nicht die einzigen deutlichenWarnsignale, doch nahm diese niemand zur KenntnisDabei waren in der CIA vor dem Irakkrieg Zweifel an denInformationen über die Massenvernichtungswaffen durchausverbreitet.Ein ehemaliger hoher CIA Offizier erinnert sich an eineUnterhaltung mit dem Leiter der Counterproliferation Division(CPD, Abteilung für Kontrolle der Weiterverbreitungvon Waffen) des Directorate of Operations, der Einheit innerhalbder CIA , die Informationen über Massenvernichtungswaffenim Irak und anderen Ländern beschaffen sollte. NachAussage des ehemaligen Offiziers räumte der Leiter der Abteilungim Verlauf des Gesprächs ein, der Geheimdienst habe»wenig Greifbares über irakische Massenvernichtungswaffen«.Der Agent fugte hinzu: »Viele waren der Meinung, wir hättennicht genügend Informationen.«Einige der Zweifler in der CIA wurden von der Geheimdienstleitungaufs Abstellgleis geschoben. Alan Foley, der Direktordes Weapons Intelligence, Nonproliferation, and ArmsControl Center (WINPAC, Zentrum für Waffenaufklärung,Weiterverbreitungs-und Rüstungskontrolle) der CIA ,
  110. sagteam selben Tag, an dem Außenminister Colin Powell seineRede vor den Vereinten Nationen hielt, einem ehemaligenKollegen, die CIA verfuge einfach nicht über die Beweise fiirdas, was Powell der ganzen Welt erzähle. Für den Hauptverantwortlichender CIA für die Suche nach Massenvernichtungswaffenwar das ein verblüffendes Eingeständnis, das aber auchdeutlich machte, dass man in der CIA das Gefühl hatte, amGängelband geführt zu werden. Foley fühlte sich nach Ansichteines ehemaligen Kollegen in der Irakfrage von der Leitung desGeheimdienstes ausmanövriert. Als der Krieg zu Ende war,ohne dass Massenvernichtungswaffen gefunden worden waren,erschien Foleys Name für kurze Zeit in den Schlagzeilen. Esging dabei um den Streit zwischen der CIA und dem WeißenHaus über den Umgang mit Informationen über die vermeint-126 liehen Versuche des Irak, in Niger Uran zu kaufen. In seinerRede zur Lage der Nation 2003 führte Präsident Bush Berichte über diese Bemühungen als Beweis an, dass Saddam Hussein dabei sei, Atomwaffen zu entwickeln. Doch schon vor der Rede des Präsidenten galten diese Berichte als wenig glaubwürdig.Die betreffenden Unterlagen über Urangeschäfte zwischen Niger und dem Irak stellten sich später als Fälschungen heraus.Foley wurde in den öffentlichen Streit zwischen Tenet und Condoleezza Rice hineingezogen, wer daran schuld sei, dassderart fehlerhafte Informationen in die Red e zur Lage der Na -tion gelangen konnten. CIA Beamt e äußerten gegenüber Re -portern, Foley habe den NSC-Mitarbeite r Robert Joseph vorder Verwendung der Berichte in der Red e gewarnt. Joseph warim Weißen Haus für alles verantwortlich, was mit Massenvernichtungswaffenzusammenhing. Das Weiße Haus seinerseitsbehauptete, Foley habe Joseph gegenüber nie geäußert, dassdie Berichte fragwürdig seien. Foley verließ die CIA bald nach dieser Querele, dem Vernehmen nach enttäuscht und verbittert.Einem anderen CIA Informanten zufolge wurden zweiAnalytiker, die Berichte über das irakische Rüstungsprogrammvor dem Krieg anzweifelten, von WINPAC-Mitarbeitern»abgewatscht«. Welche Art von Strafe das war, wusste der Informantnicht, doch blieben die beiden weiter beim Geheimdienstund sagten später vor der unabhängigen Untersuchungskommission,die sich mit Massenvernichtungswaffenbefasste, über ihre Erfahrungen aus.Die Falken unter den Analytikern, selbst wenn es Grünschnäbelwaren, hatten vor dem Krieg überhaupt keine Probleme,mit ihren Berichten zur CIA Führung durchzudringen -solange diese Berichte die Existenz irakischer Masssenvernichtungswaffentendenziell bestätigten.Ein ehemaliger CIA
  111. Mitarbeiter erinnerte sich daran, wieTenets chaotischer Führungsstil es selbst unerfahrenen Sachbearbeitern erlaubte, ihre Berichte ohne die übliche Prüfung«`5durch erfahrene Vorgesetzte direkt dem CIA Direktor vorzulegen.Täglich hielt Tenet Besprechungen ab über wichtigeThemen wie den Irak oder die Terrorabwehr. In diese Treffendrängten sich zunehmend ehrgeizige Mitarbeiter mittlerer undniederer Ränge hinein, um ins Blickfeld des Direktors zu gelangen.Wer hier in Gegenwart der CIA Führung seinen Berichtvortragen konnte, hatte es geschafft, den üblichen langenDienstweg zu umgehen. Ermittlungsergebnisse, die die Agendader Regierung untermauerten, gelangten so vom eifrigenAnfänger direkt in die Hände von George Tenet und von dortbisweilen direkt ins Weiße Haus und auf den Schreibtisch vonGeorge W. Bush. Dass die CIA einen Bericht über die Lieferungvon Aluminiumröhren zum Beweis für Saddams Wiederaufnahmeseines Atomprogramms hochstilisierte, macht dieseFührungskrise mehr als deutlich.»Ich war in einer von Tenets Besprechungen. Da saßen alldiese Milchgesichter von WINPAC«, berichtete ein ehemaligerMitarbeiter. Während der Besprechung habe der stellvertretendeCIA -Direktor John McLaughlin angemerkt,Experten aus dem Energieministerium bezweifelten die Tauglichkeitder Aluminiumröhren für ein Atomprogramm. »Unddann kam dieser junge Analytiker-Spund von WINPAC, dernicht älter aussah als fünfundzwanzig, und sagte: >Nein, so einBlödsinn, die sind nur für eines gut!<, und Tenet sagte: >So?Großartig!< Da saßen überall in der Behörde verstreut Leute,die glaubten, sie könnten gleich ganz nach oben gehen, undkeiner war da, der sie zurückhielt.«Ein maßgeblicher Waffenexperte des WINPAC, der in derPresse nur »Joe« genannt wurde, tat sich innerhalb der Behördeals einer der eifrigsten Verfechter der These hervor, dass dieAluminiumröhren für ein Kernwaffenprogramm bestimmtwaren. Die CIA verfügte praktisch über keine anderen Beweise.Deshalb wurden Joes Berichte auch in den Führungsetagenaufmerksam gelesen. Aus CIA -Kreisen ist zu hören, dass Joe I128 entgegen gängiger Praxis häufig mit Mi Laughlin persönlichsprechen konnte. (Die unabhängige Untersuchungskornmisston,die sich mit Massenvernichtungswaffen beschäftigte, kamspäter zu dem Schluss, dass das Versagen der Geheimdiensteim Fall des irakischen Atomprogramms von allen Patzern imVorfeld des Krieges wahrscheinlich den größten Schaden anrichtete.) Als der Einmarsch im Irak näher rückte, setzte sich bei vielenhohen CIA Beamten die Ansicht durch, der Krieg sei unvermeidbar und deshalb komme es auf die Stichhaltigkeit derBeweise fiir
  112. Massenvernichtungswaffen nicht wirklich an. DieseHtung verleitete die CIA Führung nach Ansicht andererCIA -Mitarbeiter dazu, Verfahren abzukürzen und bei derQualität der Informationen nicht mehr so genau hinzuschauen.»Eines der hohen Tieren in der NE Division [der Nahostabteüungdes Directorate of Operations) sagte mir, das spieltkeine Rolle, denn wenn wir erst mal nach Bagdad reingehen,dann finden wir Berge von dem Zeug«, erinnerte sich einfrüherer CIA Beamter, der die Behörde nach dem Krieg verließ.Eine derart unkritische Verwendung fragwürdiger Informationenscheint auch Thema des berühmten so genanntenDowning-Street-Memos zu sein.in diesem Memo fiir Premierminister Tony Blair stellte derDirektor des britischen Geheimdienstes MI6, Sir RichardDearlove, seine Einschätzung zur Irakpolitik der RegierungBush dar. Nur wenige Tage zuvor hatte er mit anderen Führerndes MI6 im CIA Hauptquartier an einer Geheimkonferenzbeider Nachrichtendienste teilgenommen und sich offenüber Terrorabwehr und Irakfragen ausgetauscht. Nach Darstellungeines ehemaligen hohen CIA Offiziers hatte das Treffenauf dringenden Wunsch der Briten stattgefunden.Das durchgesickerte britische Regierungsdokument vom23. Juli 2002 enthielt eine Bewertung der Kriegspläne der RegierungBush für den Irak, Das Memo konstatierte »einenmerklichen Wandel in der Haltung« Washingtons zum Irak.129 Kampfhandlungen würden nun als unvermeidbar angesehenBush wolle Saddam gewaltsam stürzen und dies durch die Verbindungvon Terrorismus und Massenvernichtungswaffenrechtfertigen. Die Geheimdienstinformationen und Tatsachenwürden dem politischen Willen angepasst.Amerikanische und britische Geheimdienste arbeiten so engzusammen, dass sie sich normalerweise jährlich in gemütlicherRunde versammeln, um aktuelle Themen zu besprechen. ImJahr 2001, dem Jahr vor dem Memo, hatte man sich auf denBermudas getroffen. Nach dem 11. September ließ Tenet allerdingswissen, er sei für eine weitere Besprechung mit den Britenviel zu beschäftigt, besonders wenn sie wieder an irgendeinemabgelegenen Ort stattfände. Die Briten gaben jedochnicht so leicht auf und drängten, wie der ehemalige CIA -Offiziererzählte, weiter auf ein Treffen. Die Leute vom MI6 machtenihren CIA -Kollegen unmissverständlich klar, dass sie sichzusammensetzen und absprechen mussten.CIA Beamte sind der Meinung, Blair habe Dearlove nachWashington geschickt, um herauszufinden, was Bush und seineRegierung wirklich über den Irak dachten. Während Blair mitBush in ständigem Kontakt stand, wollte er von seinem Geheimdienstcheferfahren,
  113. welche Meinung andere Entscheidungsträgerin Washington in dieser Sache vertraten, damit erdas, was er aus dem Weißen Haus hörte, besser einschätzenkonnte.»Im Nachhinein ist wohl klar, dass Dearlove deswegen aufein Treffen bestand, weil er für Blair herausfinden sollte, waslos war«, sagte der ehemalige CIA Offizier.Schließlich gab Tenet nach, stellte aber die Bedingung, dassdie Konferenz im Hauptquartier der CIA stattfände. Maneinigte sich auf Samstag, den 20. Juli 2002.Die gemeinsame Sitzung dauerte fast den gesamten Tag.Eine von Tenets großen Stärken lag darin, dass er fähig war,zu den Leitern befreundeter Geheimdienste schnell eine vertrauensvolleBeziehung aufzubauen. Mit Dearlove verband130 ihn sogai f int} Art I ic*i»iuKi halt, 111u! gewöhnlich wurden dieI )inge oflen angesprochen.l.iiH'in Jamals .invvcnendeii ehemaligen CIA Beamten /uIi»Ige verliehen I e 11 e t und I )earlove liir etwa anderthalb Stundendu* Sitzung. Was sie unter vier Augen besprachen, ist nichtbekannt, I)earloves Einschätzung der ganzen Sache findet Hiebjedoch im I )owniiig-Street Memo: Der Chef der CIA und analereCIA -Leute in führenden Positionen glaubten, die Erkenntnisse über Massenvernichtungswaffen spielten kaumeine Rolle, da der Krieg ohnehin beschlossene Sache war,»Ich glaube nicht, dass Tenet Bush beschuldigt hat, die Berichtemanipuliert zu haben«, sagte ein ehemaliger CIA * Beamter.»Ich bin aber überzeugt, Dearlove war (»ehenndienstlergenug, um zu verstehen, was vor sich ging. Außerdem triebsich der Dienststellenleiter des M16 in Washington ständig imCI AHauptquartier herum, hatte praktisch zu allem Zugangund sprach zweifellos mit vielen Leuten.«Das vergiftete Klima in der US-Geheimdienstgemeinde vordem Krieg war genau das richtige Element für Betrüger undFälscher, die den Amerikanern aus ganz eigenen Motiven herausLügen auftischen wollten. So gab es viele Exiliraker, diebehaupteten, Saddam sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen.Hohe CIA Beamte wurden vor möglichen Fehlinformationenirakischer Flüchtlinge und Deserteure gewarnt,doch häufig wurden diese Warnungen in den Wind geschlagen.Der Fall eines treffenderweise »Curveball« [im Baseballein mit Effet geworfener Ball, im übertragenen Sinne eine gro-ße berraschung, ein »blaues Wunder«] genannten Exilirakersliefert hierfür ein besonders krasses Beispiel.Curveball berichtete, Saddam Husseins Regime habe mobileBiowaffenlabors entwickelt, um den UN-Inspekteuren ausdem Weg gehen zu können. Auch Außenminister Powell erwähntediese Labors im Februar 2003 in seiner Red e vor denVereinten Nationen.1 Später kam die mit dem Thema Massenvernichtungswaffenbetraute Untersuchungskommission zu dem Schluss, die Geheimdienstehätten »den
  114. Stand des irakischen Biowaffenprogrammsgrundlegend falsch interpretiert. Die Berichte einereinzigen Person, Curveball«, der später als Fälscher entlarvtwurde, seien die »zentrale Basis« für diesen Irrtum. Die Kommissionstellte fest, die »Curveball-Story« sei gekennzeichnetdurch »schlampige Prüfung von Daten seitens unseres Ermittlungspersonals,durch eine Neigung der Analytiker, das zuglauben, was ihre Theorien stützt, durch unzureichenden Austauschzwischen den Geheimdiensten und den Politikern, inderen Dienst sie stehen, und schließlich durch schlechte Führungund Organisarion«.In der Curveball-Story geht es aber auch um Auseinandersetzungenauf höchster Ebene, so zwischen George Tenet undJohn McLaughlin auf der einen und Tyler Drumheller auf deranderen Seite. Drumheller, der Leiter der Europaabteilung desDirectorate of Operations (DO) der CIA , hatte alles versucht,um zu verhindern, dass Curveballs Lügen in Colin PowellsUno-Rede gelangten. Drumhellers eigene Erfahrungen gebeneinen aufschlussreichen Einblick in die aufgeheizte Stimmung,die in den Monaten vor dem Irakkrieg in der CIA -Zentraleherrschte.Mehr noch als das Ausmaß, in dem sich Amerika von CurveballsInformationen abhängig machte, schockiert die Tatsache,dass sich vor der Invasion im Irak kein US-Geheimdiensdermit diesem so entscheidend wichtigen Informanten treffenund persönlich sprechen konnte. Als Exiliraker arbeitete ermit dem BND zusammen, doch die Deutschen ließen dieAmerikaner nicht an ihn heran. Sie beteuerten, Curveballwolle nicht mit den Amerikanern reden, und lieferten nur ausihren eigenen Vernehmungen zusammengestellte Berichte.Was die Sache für die CIA noch schlimmer machte, war, dasssie ihre Informationen noch nicht einmal direkt aus Deutsch-132 land erhielt. Stattdessen lieferte Berlin die Berichte an den DefenseHUMINT Service, einen Ableger des US-MilitargeheinidienstesDIA, und von dort wurden sie an die übrigenUSGeheimdienste verteilt, und zwar ohne vorherige Einschätzungihrer Glaubwürdigkeit. Offenbar genügten der CIA diese Nachrichten aus dritter Hand.Curveball konnte also nicht selbst befragt werden, und seineAngaben ließen sich kaum überprüfen - und doch berief sichdie gesamte Gemeinde der US-Geheimdienstmitarbeiter aufseine Behauptungen. Laut dem nationalen Geheimdienstbericht(National Intelligence Estimate, NIE) vom Oktober2002 besaß der Irak »mobile Einheiten für die Produktion bakteriellerund toxischer Kampfstoffe«. Dem NIE zufolge beruhtediese Schätzung auf mehreren Quellen - in Wirklichkeithingegen stützte sie sich praktisch ausschließlich auf Curveball.Doch noch während Curveballs Aussagen durch das
  115. NIEgewissermaßen das Echtheitszertifikat erhielten, kamen TylerDrumheller erste Warnungen bezüglich des Exilirakers zu Oh -ren ü und zwar von den Deutschen. Als Chef der Europaabteilungdes DO war Drumheller verantwortlich für die Kontakteder CIA mit den Geheimdiensten in Westeuropa. Im Herbst2002 saß er mit dem Che f des Washingtoner BNDBürosbeim gemeinsamen Mittagessen. Da der Krieg bereits in greifbarerNähe war, fragte er, ob die Deutschen es jetzt zuließen,dass die Amerikaner mit Curveball direkt sprächen. Der Deutscheentgegnete, ein solches Treffen wäre völlig nutzlos, weilCurveball verrückt sei. Rein e Zeitverschwendung. Er fuhrfort, der BND habe Zweifel, dass Curveball die Wahrheit sage,und, schlimmer es bestünden Zweifel an seiner geistigen Gesundheitund Zuverlässigkeit, insbesondere seit er einen Nervenzusammenbrucherlitten habe. Diese Hiobsbotschaft ließnur einen Schluss zu: Die Amerikaner durften Curveballs Berichtenicht verwenden.Drumheller gab diese Warnung an die CIA Führung weiterin dem Glauben, Curveballs Angaben wären damit obsolet. »Ich sagte, wir würden sonst ganz schön dumm aussehen«erinnert er sich.Allerdings hatte er unterschätzt, wie zäh sich die CIA anCurveball und seinen Aussagen über Massenvernichtungswaffenfestkrallte. Als er im Januar 2003 erfuhr, dass Curveballs Berichtein Colin Powells Rede vor der Uno Anfang Februar2003 zitiert werden sollten, war er entsetzt.Eine Woche vor Powells Rede bekam Drumheller das Manuskriptzu sehen. Curveball und die Deutschen wurden zwarnicht erwähnt, doch enthielt der Text Beteuerungen über dieExistenz mobiler Biowaffenlabors, die unmittelbar von Curveballstammten. Drumheller war kein Experte für Biowaffen,doch er kannte sich im Geheimdienstgewerbe aus und wusste,dass im Fall Curveball mächtig gepfuscht worden war. NochAnfang Januar hatte der BND telegrafiert, die CIA könneCurveballs Aussagen benutzen, aber zugleich gewarnt, mankönne nicht für die Richtigkeit der Informationen garantieren.Drumheller war sich darüber im Klaren, dass er diese unhaltbarenInformationen schnellstens aus Powells Rede tilgen musste.Er rief McLaughlins Büro an und vereinbarte eine dringendeUnterredung mit dem stellvertretenden CIA Direktor.Gleich zu Beginn des Treffens erfuhr McLaughlin von seinempersönlichen Assistenten, Drumheller hege ernsthafte Bedenkengegen Curveball. McLaughlins Antwort überraschteund erschreckte Drumheller.»Hoffentlich nicht«, sagte McLaughlin, wie sich Drumhellererinnert. »Daran hängt alles.« Die Behauptung der CIA , derIrak betreibe ein biologisches Waffenprogramm, basierte praktischnur auf Curveballs Angaben. Bis zu diesem Momen t
  116. hatteDrumheller nicht im Traum daran gedacht, dass die CI A sonstnichts in der Hand haben könnte.Schnell klärte Drumheller McLaughlin darüber auf, wie unsicherdie Geschichte war und dass man annehmen musste,Curveball habe alles nur erfunden. Als Drumheller ging, sagteMcLaughlin seinem Assistenten, er solle »versuchen, das zu regeln«. Und wieder glaubte Drumheller, er habe eine Katastropheverhindert.»Ich war sicher, sie würden das rausnehmen«, berichteteDrumheller im Rückblick. »Ich sagte sogar den Deutschen,sie würden auf diese Passagen verzichten.« Um ganz sicherzugehen,schickte Drumhellers Europaabteilung ein Exemplarvon Powells Redemanuskript an die CIA Führung, in demdie Curveball-Passagen gestrichen waren.In der Nacht vor Powells Uno-Rede rief CIA Direktor Tenetbei Drumheller zu Hause an. Tenet war mit Powell zusammenin einem New Yorker Hotel, wo sie der Rede den letztenSchliff verpassten. Tenet brauchte noch die Erlaubnis derMI6-Leitung, Informationen aus einer ihrer Quellen zu zitieren,und fragte deshalb nach Dearloves Telefonnummer. AmEnde des Gesprächs nutzte Drumheller die Gelegenheit, umTenet noch einmal auf die Misere um Curveball hinzuweisen.»Ich sagte ihm: >Chef, Sie wissen, dass an diesen deutschen Berichtenwas faul ist<«, berichtet Drumheller. »Er sagte: >Ja, ja,ich weiß das schon<, aber ich glaube, er hat gar nicht richtigzugehört, sie hatten doch das ganze Wochenende durchgeackert.« Am nächsten Tag war Drumheller in der CIA -Zentrale beider Arbeit, als seine Frau anrief. Sie schaute sich gerade PowellsRede im Fernsehen an und sagte, er solle auch schnell einschalten.Drumheller hörte zu seiner größten Verwunderung, wiePowell energisch die Ansicht vertrat, der Irak betreibe ein Forschungsprogrammfiir biologische Waffen, und sich dabei aufBerichte über mobüe Waffenlabors berief.Drumheller wandte sich an einen seiner Mitarbeiter. Habenwir ihnen die richtige Version der Rede geschickt? Die, in deralle mit Curveballs Angaben zusammenhängenden Passagengestrichen waren? Ja, das hatten sie.Ein deutscher Geheimdienstmann rief an. »Ich dachte, ihrhättet dafür gesorgt, dass das gestrichen wird«, fragte er verwirrt. 135 Noch im Mai 2003 versuchte die CIA , die aufkeimendenZweifel an der Existenz irakischer Massenvernichtungswaffendurch ein Papier zu ersticken, in dem von zwei im Irak entdecktenLKWAnhängern die Rede war, die angeblich zummobilen Biowaffenprogramm gehört hatten. Später räumtenAnalytiker jedoch ein, die Anhänger seien dazu benutzt worden,Wasserstoff in Wetterballons zu pumpen, und mit derenHilfe wiederum habe man für die konventionelle irakische Artilleriedie Windverhältnisse abgeschätzt.Als die
  117. unabhängige Untersuchungskommission, die nachMassenvernichtungsmitteln forschte, den Fall Curveball unterdie Lupe nahm, wurden auch Tenet und McLaughlin vorgeladen.Unter anderem befragte man sie zu Drumhellers Bemühungen, die Verwendung der Curveball-Berichte zu stoppen.Beide konnten sich an das Treffen mit Drumheller eine Wochevor Powells Rede nicht erinnern. Tenet sagte aus, er habeDrumheller wegen Dearloves Telefonnummer angerufen,aber an Warnungen bezüglich Curveball könne er sich nichterinnern. Die Aussagen der beiden vor der Kommission habenDrumheller tief enttäuscht und verärgert.»Meiner Meinung nach glaubte Tenet, dass sie Massenvernichtungswaffenfinden würden, wenn sie erst mal im Irak wä-ren, und dass dann niemand mehr Fragen stellen würde«, sagteDrumheller. »Warum hat vor dem Krieg niemand was gesagt[darüber, wie kümmerlich die Informationen waren]? Ich habden Mund aufgemacht. Es war ganz schön beschissen, sage ichIhnen, weil niemand das hören wollte, und sie haben mich dasauch spüren lassen, dass sie nichts davon wissen wollten.«Die Führungsriege der CIA verließ sich stark auf Berichte überirakische Massenvernichtungswaffen, obwohl in der Behördeseit Jahren bekannt war, dass man den Erkenntnissen über denIrak nicht trauen konnte. Jack Downing diente der Behördevon 1997 bis 1999 als stellvertretender Einsatzleiter. Dass es derCIA nicht gelang, im Irak Spione anzuwerben, war ein großes Manko, über das sich die Geheimdienstfuhrung damals seinerAnsicht nach keine Illusionen machte. Immer wieder habe erwährend der späten neunziger Jahre das Problem auf den Tischgebracht, doch habe die zuständige Nahostabteilung zu seinergroßen Enttäuschung keine brauchbare Lösung gefunden.»Immer wieder haben wir uns den Kopf zermartert, warumwir im Irak keine Informanten haben«, erinnerte sichDowning. Der Chef der Nahostabteilung »kam dann mit diesenPowerPointPräsentationen an, um zu zeigen, dass sie diesund jenes ausprobierten, aber es kam nie was dabei heraus. Ichwusste, dass es nicht einfach war, Informanten zu finden, eswar schwierig, weil wir im Irak keinerlei diplomatische Vertretunghatten, aber wir hätten es trotzdem schaffen müssen.Nichts hat richtig hingehauen.«Der Leitung der CIA war dieses Versagen bekannt. In denneunziger Jahren hatte Tenet extra ein hochrangig besetztesHard-target-Komitee geschaffen, das in regelmäßigen Abständendie Fortschritte bei den wichtigsten Aufklärungsmissionenprüfte, damals in Irak, Iran und Nordkorea. Nach Aussageeines ehemaligen Teilnehmers führten diese Revisionen derCIA Führung deutlich vor Augen, wie wenig Informationenaus dem Irak kamen.
  118. »Jeder [der mit den Hard-targetRevisionenzu tun hatte] wusste, dass wir im Irak keinen einzigen Informantenhatten«, berichtete der ehemalige Teünehmer.Gegen Ende der Regierung Clinton strich die CIA den Iraknach Aussage ehemaliger Beteiligter sogar ganz von der Hardtarget-Prioritätenliste.Zu dieser Zeit glaubte man den Irakdank der Sanktionen und UN-Flugverbotszonen gut im Griffzu haben, und er schien für die Vereinigten Staaten keine Bedrohungmehr darzustellen. Während der Irak als Aufklärungszielan Bedeutung verlor, setzte man die frei werdenden Kräftevermehrt auf den Iran an, wie mehrere CIA Quellen berichteten.Dieser Wechsel vollzog sich gegen Ende der neunzigerJahre. Daher kam die CIA beim Antritt der Regierung Bushkaum noch an Informationen aus dem Irak heran.137 wsbsEs ist nicht sicher, ob Präsident George W. Bush jemals umfas.send über diese eklatanten Informationslücken unterrichtetwurde. Möglicherweise wurden die in der CIA weitverbreiteten Zweifel am vermeintlichen Wissen um irakischeMassenvernichtungswaffen absichtlich vom Weißen Haus ferngehalten. Falls dies zutrifft, wäre von solcher Selbstzensur auchder wichtigste CIA Bericht betroffen gewesen - das President^Daily Brief (PDB), das den US-Präsidenten jeden Morgenüber die wichtigsten Geheimdienstangelegenheiten desTages informiert. Ein ehemaliger hoher CIA Beamter erzählte,frustrierte CIA -Angestellte hätten sich bei ihm darüber beschwert,dass für das PDB bestimmte Artikel, in denen dieDossiers über irakische Massenvernichtungswaffen kritischbeleuchtet wurden, vor der bergabe an das Weiße Haus wiederaus dem Daily Brief entfernt worden seien. Diese Informationließ sich nicht durch andere Quellen bestätigen. Esscheint aber, dass nur wenige der in der CIA kursierendenZweifel an der Stichhaltigkeit der Berichte jemals ins PDB gelangtsind.Natürlich ist es schwer einzuschätzen, wie Bush wohl auf einPDB reagiert hätte, in dem ernsthafte Zweifel am irakischenWaffenprogramm geäußert worden wären. Möglicherweisehätte auch er die Warnungen ignoriert, die Artikel vielleichtsogar verworfen. Vielleicht hätte er aber auch etwas genauernachgefragt. Dann wäre die CIA gezwungen gewesen, ihrevielen Berichte, in denen klipp und klar behauptet wurde, derIrak betreibe Programme zur Produktion von Massenvernichtungswaffen,besser zu belegen. Vielleicht wäre das ganze Kartenhauszusammengefallen, wenn sich nur jemand laut unddeutlich geäußert hätte. Nach der Wahrheit hätte man nichtlange suchen müssen. Eine Untersuchung des Sonderausschussesfür Geheimdienste nach dem Krieg kam zu dem Ergebnis,ein paar gezielte Fragen hätten alles verändern
  119. können - diewichtigsten Einschätzungen des nationalen Geheimdienstberichtesvom Oktober 2002 seien entweder »übertrieben oder138 nicht durch Geheimdienstinformationen belegt« gewesen. Diemit der Suche nach Massenvernichtungswaffen betraute unabhängigeUntersuchungskommission ging noch weiter undstellte fest, die Einschätzungen bezüglich der Massenvernichtungswaffendes Irak durch die Geheimdienste vor dem Kriegseien »allesamt falsch« gewesen.George Tenets Name wird für immer mit einer Floskel verbundenbleiben: slam dunk [ein besonders spektakulärer und sichererTreffer im Basketball]. Der Begriff blieb an Tenet hängen,seit Bob Woodward in seinem Buch Der Angriff Plan ofAttack schilderte, wie Tenet Präsident Bush versicherte, dieExistenz irakischer Massenvernichtungswaffen sei ein »slamdunk«. Diese äußerung machte Tenet zum Sinnbild einer dergrößten Geheimdienstblamagen der Geschichte.Nach dem Krieg schien Tenet darüber verärgert, dass dasWeiße Haus offenbar ihm die Schuld für viele der Pannen imZusammenhang mit den irakischen Massenvernichtungswaffenin die Schuhe schob zumindest, bis ihm George Bushdie Freiheitsmedaille verlieh. Doch Tenet und die übrigen Leiterder CIA blieben in der Defensive, wenn die Aufklärungspannenvor dem Krieg bis lange nach dem US-Einmarsch imIrak auf der Tagesordnung standen.Anfang 2004 überwarf sich David Kay, CIA -Koordinator derSuche nach Massenvernichtungswaffen im Irak, mit seiner Behördeund verkündete öffentlich, es gebe keine Waffen. Bei einemletzten privaten Zusammentreffen mit Tenet erkannteKay, wie tief sich Tenet in den Glauben an die Existenz dieserWaffen verbohrt hatte. Nach Kays Ansicht wollte der CIA Direktordie Pannen noch immer nicht wahrhaben und suchtenach irgendeinem Faden, an den er sich klammern konnte.Wie sich Kay erinnert, wollte er gerade gehen, als Tenet sagte:»Mir ist egal, was Sie sagen. Sie werden mich nie davonüberzeugen, dass dort keine chemischen Waffen lagern.«Im Jahr 2005 räumte Tenet schließlich öffentlich ein, »slam139 dunk« gesagt zu haben, und fügte reuevoll an, das seien diebeiden dümmsten Worte gewesen, die er je von sich gegebenhabe.Als die amerikanischen Truppen im März 2003 zum Einmarschbereitstanden, war es zu spät, sich noch um die Wahrheit zukümmern. In seiner Verzweiflung sandte das irakische Regimeüber inoffizielle Kanäle eine Reihe von Botschaften, um dieAmerikaner davon zu überzeugen, dass sie keine verbotenenWatfen besaßen, doch keiner wollte hinhören.Bei einem der bizarrsten Versuche Bagdads, mit WashingtonKontakt aufzunehmen, kam ein libanesisch-amerikanischerGeschäftsmann namens Imad Hage zum
  120. Einsatz. Er war maronitischerChrist und hatte vor seiner Rückkehr nach Beirutjahrelang in den USA gelebt. In Washington verfügte er überausgezeichnete Verbindungen, so zu dem einflussreichen Neokonservativenund Pentagon-Berater Richard Perle. Auch imLibanon hatte er erstaunliche Beziehungen geknüpft, unter anderemzu einer hoch stehenden syrischen Persönlichkeit, unddie brachte ihn in den Wochen vor dem Irakkrieg mit irakischenGeheimdienstoffizieren zusammen, die darauf aus waren,ins Gespräch mit Washington zu kommen.Hage flog daraufhin nach Bagdad und traf dort mit dem irakischenGeheimdienstchef zusammen. Der ließ Hage wissen,der Irak habe keine Massenvernichtungswaffen, und das Regimewolle zum Beweis die Amerikaner ins Land lassen, damitsie sich selbst davon überzeugen könnten. Hage flog weiternach London, traf sich dort mit Perle und sagte ihm, dass dieIraker mit ihm sprechen wollten.Perle rief einen hohen CIA Beamten an, um sich zu erkundigen,ob dort Interesse an einem Kontakt bestehe. Der CIA Beamtegab zurück, sie hätten für die Iraker nur eine einzigeBotschaft, und zwar die, dass »wir sie dann in Bagdad treffenwerden«.140 So kam dann der Krieg. Der unmittelbare Einmarsch war einrascher Triumph, eine Demonstration konventioneller amerikanischerberlegenheit. Die Invasion verlief glatter, als vielees für möglich gehalten hatten, da der Irak keinerlei chemische,biologische oder atomare Waffen gegen die USTruppeneinsetzte. Die Schutzausrüstungen, die amerikanische Soldatenüber die kuwaitische Grenze in den Irak schleppten, erwiesensich als nutzloser Ballast.Bagdad selbst leistete nur geringen Widerstand, und wenigspäter hatte die CIA alle Vorbereitungen getroffen, um dortihre mehr als zehn Jahre lang geschlossene »Zweigstelle« wiederzu eröffnen.
  121. Zwischen Krieg und Frieden Die Zeit nach der Invasion im Irak erwies sich als weit schwieriger,als irgendjemand angenommen hatte. Leider waren die Bush-Administration und die CIA noch so sehr von ihren politischenZielen geblendet, dass es lange dauerte, bis ihnen dieWahrheit bewusst wurde.Das Third Armored Cavalry Regiment der U.S. Army blicktauf eine lange Geschichte zurück, die bis zu den Indianerkriegenim amerikanischen Westen reicht. Erstmals wurde es nach1840 als Regiment of the Mounted Riflemen aufgestellt. Im Bürgerkrieg wurden die berittenen Schützen dann umbenanntin Third United States Cavalry, im Zweiten Weltkrieg in Third Cavalry Group Mechanized (Motorisierte Kavallerie) undschließlich in Third Armored Cavalry (Gepanzerte Kavallerie).Das Regiment wurde für den Fronteinsatz geschaffen, abgehärtetdurch die Hitze und den Staub von Texas, und es bekämpftseit den Tagen Geronimos Aufstände von Einheimischenin abgelegenen und von Gott verlassenen Orten.Im Herbst 2003 war die Third Armored Cavalry, inzwischenmit Apache-Kampfhubschraubern und Bradley-Schützenpanzernausgerüstet, im Westen des Irak stationiert. Ihre Aufgabewar es, die durchlässige syrische Grenze abzuriegeln und ausländischeDschihad-Krieger abzufangen, die aus der ganzenarabischen Welt herbeiströmten. Die First Squadron bewachtedie wichtige Grenzstadt Al-Qaim, gut 320 Kilometer nordwestlichvon Bagdad. Sie hatte sich in der Forward Operating142 Base (FOB) Tiger in einem alten Bahnhof am Rande der Stadt eingerichtet.Anfang November kam der Bagdader CIA Stationschef imZuge einer Inspektion von exponierten US-Militäreinheiten,die er unternahm, um sich ein genaueres Bild von den Bedingungenin dem zunehmend widerspenstigen Land zu machen,auch zur FOB Tiger.In dem Bahnhof von Al-Qaim sagte ein junger Kommandeuran jenem Tag etwas zu dem Stationschef, das mitten indem ganzen Chaos aus Plünderung und Gewalt, das die ersten Monate der amerikanischen Besatzung im Irak kennzeichnete,Klarheit schuf. Der Offizier blickte dem CIA -Stationschefins Gesicht und sagte ganz sachlich: »Der Krieg fängt demnächstan.«Er erklärte, er habe im Laufe der letzten vier bis sechs Wochenetwas Neues in seinem Zuständigkeitsbereich beobachtet.Die irakischen Aufständischen würden sich zusammenschließen,ihre Taktiken und Methoden seien ausgereiftergeworden und Kommando und Kontrolle effektiver organisiert.Die Aufständischen würden immer besser werden undtödlicher. Für den Offizier lag es auf der Hand, dass sich dieRebellen zu etwas Größerem rüsteten und dass die Third ArmoredCavalry und die übrige U.S. Army am Rand eines neuenKriegs um den Irak standen.Die
  122. Beobachtungen des Offiziers bestätigten, was sich derCIA -Stationschef bereits selbst aus Geheimdienstberichtenund seinen Reiseeindrücken zusammenzureimen begann. Inunregelmäßigen Abständen waren amerikanische und internationaleZiele angegriffen worden, und die Zahl der Opfer warseit dem Einzug der USTruppen in Bagdad im April langsam,aber stetig gestiegen. Nunmehr entwickelte sich aus der Gewaltetwas viel Schlimmeres. Die relativ stille und breite Unterstützungin der Bevölkerung, die den Amerikanern in denersten Tagen der Besetzung nach dem Sturz Saddam Husseinsentgegengebracht worden war, hatte sich als trügerischer Hoff-143 Inungsschimmer erwiesen. Inzwischen sah sich das US-MiliQ»mit einer gut bewaffneten Guerillatruppe konfrontiert, cfcüber schier unbegrenzte Ressourcen verfugte, und die Rebellenwaren fest entschlossen, die Amerikaner und ihre provisorischeRegierung aus dem Irak zu vertreiben. Die US~Kommandeurevor Ort, wie jene in der Third Armored Cavalrvj "konnten es förmlich spüren. Die Bewegung weitete sich vonTag zu Tag schneller aus, und dem CI AStationschef schwanteBöses.Er kehrte mit der berzeugung nach Bagdad zurück, dass erdem CIA Hauptquartier einen Bericht schreiben müsse, eineumfassende Neubewertung der Lage im Irak. Er hatte bereitsim August eine Beurteilung verfasst, doch mittlerweile hattesich die Lage erheblich verschlechtert. Die Vereinigten Staatenliefen Gefahr, so meinte er, einen Krieg zu verlieren, den siebereits gewonnen geglaubt hatten.In jenem November 2003 schrieb der CI AStationschef eineschmerzlich ehrliche Darstellung der sich verschlimmerndenSituation. Er nahm kein Blatt vor den Mund und beschrieb inseinem Dossier unter dem Titel »The Expanding Insurgency inIraq« detailliert, wie die neue Aufstandsbewegung aus dem politischenund wirtschaftlichen Vakuum Kraft schöpfte, das dieUSA in Bagdad hatten entstehen lassen. »Baathistische Elementehaben sich zu einem überregionalen Aufstand vereinigt,der die Bemühungen der Koalition in großen Teilen des Zentral-und Nordirak zunichte zu machen droht.« Es habe sichnunmehr gezeigt, dass das Regime nicht entscheidend geschlagen,sondern lediglich zerstreut worden sei. Da es den Amerikanernnicht gelungen sei, das Land fest in den Griff zu bekommen,hätten Elemente des Regimes Gelegenheit zurRückkehr erhalten. Laut Berichten seien die Baathisten zuversichtlich,dass sie die Koalition »ausmanövrieren und auf Zeitspielen« und wie in der Vergangenheit am Ende wieder an dieMacht gelangen könnten. »Sie glauben, dass die US-Führungihr Augenmerk eher auf eine Abzugsstrategie als auf eine Fortsetzung des Krieges richte«, hieß es weiter in dem Bericht.
  123. Erendete mit den düsteren Worten: »Die Gefahr, den Irak an dieAufständischen zu verlieren, ist sehr real.«Einen Monat, nachdem der Stationschef diese ernüchterndeDarstellung der Lage nach Washington geschickt hatte, verlorer seinen Job und wurde von der CIA Führung ohne Vorwarnungaus Bagdad abgezogen. Er hatte die unverzeihliche Sündebegangen, die Wahrheit zu sagen.Die ungeschminkte Warnung des Stationschefs vor drohendemUnheil im Irak war flir die BushAdministration ein Affront,der nicht unbeantwortet bleiben konnte. Der Stationschefsah sich schon bald in CIA Verhören bohrenden Fragenausgesetzt, die auf nichts anderes hinausliefen als auf eine Reihevon bösartigen Anklagen wegen seines persönlichen Verhaltens.Er stritt alle Anschuldigungen rundweg ab. Anfang 2004begann er zu ahnen, dass man ihn zum Sündenbock flir dieVerwicklung der CIA in die Misshandlungen im GefängnisAbu Ghraib machen wollte. Er beschloss voller Abscheu, seinenDienst bei der CIA zu quittieren. Später führte er seineSchwierigkeiten auf die Entscheidung zurück, die schonungsloseWahrheit über den wachsenden Aufstand und das Versagender amerikanischen Politik kundzutun. Man hatte esschlicht versäumt, grundlegende Probleme anzugehen, dieden Krieg im Irak schürten.Ehemalige CIA -Spitzenbeamte, die mit dem Fall vertrautsind, bestreiten, dass der Stationschef wegen seines kritischenBerichts abgesetzt wurde. Vielmehr sei die Station in Bagdadso groß geworden, dass der junge Offizier der Aufgabe nicht mehr gewachsen gewesen sei. Im Mittsommer 2003 hatte dieStation eine Belegschaft von siebzig bis achtzig Mitarbeitern,doch diese Zahl schnellte bis z um Ende des Jahres auf überdreihundert und stieg weiterhin. Damit war Bagdad die mitAbstand größte CIA Station auf der Welt und die größte seit Saigon auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs. Da habe sich so vieles abgespielt, tilgten die ehemaligen Spitzenbeamten hinzu, dass dem jungen Stationschef gravierende Fehler unterlaufenseien; so habe er es auch versäumt, die CIA Verhöre in Abu Grhraib sorgfältig zu überwachen. Der Stationschef wurde durch einen älteren und erfahreneren Offizier ersetzt.Diese Probleme lassen sich zwar nicht leugnen, doch esstimmt auch, dass der Stationschef nicht der einzige CIA -Offizierwar, der nach kritischen Worten über die IrakpolitikSchwierigkeiten bekam. Wie massiv die Bush-Administrationden Geheimdienst vor dem Krieg unter Druck gesetzt hat, istgut dokumentiert. Mittlerweile ist aber auch klar, dass dieserDruck noch lange nach der Invasion anhielt. Die Offizierevor Ort mussten erkennen, dass Geheimdienstberichte, dieFragen zur Kriegführung und zu Problemen
  124. stellten, die inBagdad aufgrund der Politik der BushAdministration - oderdes Fehlens einer Politik - auftraten, in Washington höchst unwillkommenwaren.Nach der plötzlichen Abberufung des Stationschefs gelangtenandere CIA Offiziere zu der Uberzeugung, dass für ungeschminkteGeheimdienstdossiers über den Irak ein hoher Preisbezahlt werden müsse. »Als ich den Bericht vom Novemberlas«, gestand ein CIA Beamter, der den Bagdader Stationschefkannte, »dachte ich, dass er beruflichen Selbstmord beging.«Später lernten im Irak stationierte CIA Offiziere, vorsichtigeraufzutreten. Laut Angaben einiger Informanten vermiedensie es beispielsweise nach Möglichkeit, Geheimdienstdossiersüber Ahmed Tschaiabi zu schreiben, den ehemaligen Exiliraker,der enge Verbindungen zur PentagonFührung hatte. Berichteüber Tschaiabi brachten nur Schwierigkeiten ein. VieleUS-Beamte in Bagdad hegten den Verdacht, dass die bunt zusammengewürfeltenTschalabi-Milizen an Plünderungen undEinbrüchen in dem Chaos nach Saddam Husseins Sturz beteiligtwaren doch es wurde nichts in der Sache unternommen,und niemand wollte Washington melden, was er gesehen hatte.Als Anhänger Tschaiabis eilends einen großen Teil der Akten der Baath-Partei und der Geheimdienste des ehemaligen Keiriniesbesehlagiiahinten, schritten weder das US -Militär nochdie CIA ein. CIA Beamte sagten später, sie vermuteten, da*»I'schalabi die Akten gegen seine politischen Feinde verwendethabe. Doch laut Aussage von CIA Quellen war Tschaiabi wei»enseiner direkten Verbindung zu Vi/everteidigungsministerPaul Wolfowitz und anderen Spitzenbeamten im Pentagon so^ut wie unangreifbar.Tschaiabi bekam erst viel später ernsthafte Schwierigkeitenmit den Amerikanern: Ihm wurde vorgeworfen, er habe Teheranverraten, dass die Vereinigten Staaten die Codes des iranischenGeheimdienstes geknackt und die geheime KommunikationTeherans angezapft hatten. (Tschaiabi stritt jeglichesVergehen ab und behauptete, die Vorwürfe seien eine Verleumdungder CIA .)Immerhin ordnete Präsident Bush endlich den Abbruch derBeziehungen zu Tschaiabi an. Später erfand sich Tschaiabi, einbegnadeter Uberlebenskünstler, ein weiteres Mal neu, indemer sich mit radikalen Schiiten wie dem Hassprediger Moqtadaal-Sadr verbündete, um im Irak breite Unterstützung zu erhalten.2005 wurde er zu einem der beiden stellvertretenden Re -11gierungschefs und zum Interims-Olminister ernannt.Als der Aufstand sich ausweitete und die Bush-Administrationverzweifelt nach Antworten suchte, wurden die Folgen für jene,die ehrliche Geheimdienstberichte lieferten, immer
  125. offensichtlicher.Im Jahr 2004 teilten in Bagdad stationierte Sachbearbeiterihren Kollegen mit, dass man sie häufig anweise,Geheimdienstdossiers zu überarbeiten, deren Einschätzungzum Irak als »negativ« angesehen werde. Und als Ende 2004ein neuer Stationschef - der Nachfolger des im Dezember2003 abgesetzten Offiziers einen weiteren offiziellen Berichtüber die lebensgefährlichen Verhältnisse im Irak schrieb, wurdevom Weißen Haus prompt seine politische Loyalität in Fragegestellt, wie CIA Beamte später erfuhren. Kaum machte derd A Pf Bericht in Washington die Runde, meldete sich schon ein Beamterdes Nationalen Sicherheitsrates beim damaligen USBotschafterim Irak, John Negroponte. Der Beamte wolltewissen, ob der CIA Stationschef Anhänger der Republikaneroder der Demokraten sei.Den Druck bekam auch die Ebene der CIA Offiziere zuspüren, die für die Vernehmung gefangen genommener irakischerFunktionäre zuständig waren. Laut CIA Quellen liefertendie wenigsten hochrangigen Mitglieder des ehemaligenRegimes, die nach der Invasion von USTruppen gefasst wordenwaren, nützliche Informationen. Zu den Ausnahmenzählte Abid Hamid Mahmud al-Tikriti, ehemals PräsidialsekretärSaddam Husseins. In dem berüchtigten Kartenspieldes USMilitärs, das die höchsten Mitglieder des irakischenRegimes umfasste, wurde er immerhin als »Karo-As« bezeichnet.Als der wohl engste Vertraute Saddams war er für dessenpersönliche Sicherheit zuständig gewesen und hatte den Zugangzum irakischen Präsidenten überwacht. Er zählte zu denwenigen Menschen, die die intimsten Geheimnisse der blutigenGeschichte des irakischen Regimes kannten.Nach seiner Gefangennahme im Juni 2003 erteilte die CIA einer Mitarbeiterin den Auftrag, den Präsidialsekretär zu vernehmen einer Frau, die sämtliche Nuancen der arabischenSprache genau kannte. Was der Iraker der Ermittlerin mitteilte,stand jedoch nicht im Einklang mit dem, was Washington hö-ren wollte. Er gab zum Beispiel an, dass sich Saddam Husseingar nicht in Dora Farms, einem Kommandobunker außerhalbBagdads, aufgehalten habe, als die Amerikaner den Ort zu Beginndes Kriegs bombardiert hätten. Der irakische Staatschefsollte durch den Angriff getötet und das Regime rasch enthauptetwerden.Die Aussage, dass Saddam sich nicht in Dora Farms befundenhatte, war aus mehreren Gründen peinlich für Washington.Ein Jahr vor dem Krieg hatte die CIA so gut wie keineSpione mit Insiderwissen über Saddam Husseins Regime. Doch unmittelbar vor der Invasion rekrutierte die Iraq OperaootisGroup plötzlich ein ganies Netz von Agenten. Dieserijer Nacht entstandene Spionagertng wurde ROCK STA KSaAngtf und die Stars« erhielten
  126. große Geldsummen tlir, wie_ behaupteten* Insiderinibrmationen. All das hatte eigentlichl tt-kän uni wahr zu sein, auffallen müssen, doch die CIA .IIS J£U >5*» »kv»«**so lange Zeit keine Spione mehr innerhalb des Irak eingehatte,konnte der Versuchung nicht widerstehen.Nur zwei Tage vor dem geplanten Beginn des amerikanischen Einmarsches meldete einer der ROCKSTARS, dass aufexoem GeEnde außerhalb Bagdads mit dem Namen DoraFarn» eine ungewöhnliche Aktivität zu beobachten sei. Eshabe der» Anschein, als hielten sich Saddam Hussein und wounofl&chseine skrupellosen Söhne dort auf. George Tenetbochte die Nachricht eilends ins Weiße Haus, und der Präsidentordnete kurzerhand einen Angriff mit Cruise Missiles undSceakbBombem auf den Ort an ein Versuch, Saddam zu tö-ten und den bevorstehenden Krieg eventuell abzukürzen.Saddam blieb unversehrt, doch die CIA und die Bush-Administrationinvestierten viel Zeit und Mühe, die Vorstellungzu verbreiten, er sei bei dem Angriff um ein Haar getötetworden. Der CIA und allen voran George Tenet fiel es mit Sicherheitschwer zuzugeben, dass die Information falsch war.ß s einem Interview sagte ein ehemaliger Offizier der IraqOverznoos Group, dass die ROCKSTARS wertvolle InformaM*aooen lieferten, und betonte ausdrücklich, dass Saddam inDora Farn» gewesen sei.)Eine weitere peinliche Enthüllung brachte die Aussage desPrradialsekretärs, Saddam sei aus Bagdad entkommen, indemer einfach einen amerikanischen Militärcheckpoint passiert habe,ohne erkannt zu werden. Darüber hinaus teilte al-Tikritiseiner Ermkderin mit, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffenbesitze, dass sie allesamt längst zerstört worden seien.Zu diesem Zeitpunkt, im Juni 2003, suchten die VereinigtenStuten noch eifrig nach den verbotenen Waffen. Es war149 für die Regierung Bush von enormer politischer Bedeutung,auch wirklich welche zu finden. Vor dein Krieg war die CIA zu dem Schluss gelangt, dass Mahmud al-Tikriti einer der wenigenSpitzenfunktionäre des irakischen Regimes mit der Vollmachtsei, die Massenvernichtungswaffen des Landes freizugeben.Folglich glaubte man auch, dass er wusste, wo sie verstecktwaren. Was hatte es zu bedeuten, wenn ausgerechnet dieserMann der Ermittler in mitteilte, es gebe keine derartigen Waffen?.' -'"Das CIA Hauptquartier entschied, dass Mahmud al-Tikritischlicht Lügen auftischte und die Ermittlungsbeamtin ihnnicht stark genug unter Druck setzte. Sie habe eine »Klientitis«entwickelt und behandle den Iraker viel zu gut, beschwertesich das CIA Hauptquartier. Sie akzeptiere seine Lügen zuleichtgläubig. CIA Beamte ordneten ihre Ablösung an.Es war eine Art Muster. »Die Leute, die alles leiteten, unddie
  127. Leute, die befördert wurden, waren politisch empfänglich«für die Regierung, sagte ein Informant aus CIA -Kreisen.Doch das größte Problem, mit dem sich US-Geheimdienstoffiziereim Nachkriegsirak konfrontiert sahen, bereitete auchdem USMilitär Kopfzerbrechen: die offensichtliche Tatsache,dass niemand einen Plan für die Zeit nach dem Einmarsch inBagdad ausgearbeitet hatte. Das Weiße Haus hatte die Nachkriegsplanungseltsamerweise dem Pentagon überlassen unddas Außenministerium ausgeklammert, das sich seit einemJahr mit dem Thema befasst und detaillierte Szenarien für denWiederaufbau entwickelt hatte. Doch die Pentagon-Führunghatte an der Nachkriegsplanung nur wenig Interesse. Sie setztesie mit dem so genannten nation building gleich - einem Begriff,der in den neunziger Jahren unter Konservativen in Verruf geratenwar, weil er mit der Außenpolitik der Regierung Clintonin Verbindung stand. Präsident Bush war im Wahlkampf von2000 gegen das nation building zu Felde gezogen, und Hardlinerim Pentagon lehnten die Vorstellung immer noch ab, obwohl die Vereinigten Staaten innerhalb von zwei Jahren in zwei Länderneinmarschiert waren und sie besetzt hatten. Sie argumentierten,das USMilitär müsse kämpfen und dürfe seine Ressourcennicht für den Wiederaufbau nach dem Kampfverschwenden.Das Weiße Haus musste schon lange vor dem Irakkrieg gewussthaben, welche Folgen die Zurückhaltung des Pentagonbeim Wiederaufbau haben würde, denn Rumsfeld und andereBeamte des Verteidigungsministeriums hatten sich bereits inAfghanistan gegen eine solche Beteiligung gewehrt. Nachdem schnellen militärischen Sieg über die Taliban im Herbstund Winter 2001 versprach Präsident Bush Anfang 2002, dieVereinigten Staaten würden es nicht zulassen, dass Afghanistanwieder ins Chaos zurückfalle. Doch innerhalb der Bush-Administrationzögerten laut Angaben ehemaliger RegierungsbeamterRumsfeld und das Verteidigungsministerium anfangs,die Verantwortung für den Aufbau einer neuen afghanischenArmee zu übernehmen. Dabei wurde sie dringend benötigt,um der neuen Regierung in Kabul wenigstens ein wenig denRücken zu stärken.Was den Irak betraf, glaubte das Pentagon, es habe bereits dasWundermittel für den ungeliebten Aufbau einer Nation an derHand: Eine provisorische Regierung um Tschaiabi konnte imExil aufgestellt und nach dem Krieg kurzerhand nach Bagdadexpediert werden. Die Exiliraker würden schlicht in einer Art»Schlüsselübergabe« das Land betreten und die Macht übernehmen. Doch Präsident Bush erhob sein Veto gegen diesen Plan undschärfte seinen Spitzenberatern immer wieder ein, dass dieneue Regierung des Irak auf keinen Fall in Washington bestimmtwerden dürfe,
  128. sondern vom irakischen Volk gewähltwerden müsse. Mehrere Regierungsvertreter sagen, Bushhabe persönlich unmittelbar vor der Invasion klargestellt, dassdie Vereinigten Staaten Tschaiabi nicht als den neuen Staatschefdes Irak inthronisieren würden.151 Bushs Engagement fiir die Demokratie war zwar löblich,doch das war keine echte Antwort auf die Frage der Nachkriegsplanung.Nachdem Bush die Pläne des Pentagon zunichtegemacht hatte, versäumte die Regierung, eine akzeptableAlternative auszuarbeiten. Wohl führte der NSC-Stab einbehördenübergreifendes Team an, das Richtlinien fiir die inder Nachkriegsphase zu beachtende Politik präsentierte. DieSchlussfolgerungen des Teams wurden Präsident Bush und seinenwichtigsten Beratern unmittelbar vor der Invasion mitgeteiltund umfassten etwa die Ratschläge, die reguläre irakischeArmee weitgehend intakt zu lassen und die EntBaathifizierungder irakischen Regierung auf ein Minimum zu beschränken.Beide Ratschläge wurden ignoriert. Als die Pentagon-Führungerfuhr, dass Tschaiabi nicht eingesetzt werdendurfte, entwickelte sie erstaunlicherweise keine Alternative, esgab keinen Plan B.»Die Planung fiir einen Irak nach Saddam fehlte nicht zuletztdeshalb, weil das Außenministerium gesagt hatte: Wenn ihreinmarschiert, dann müsst ihr auch einen Plan fiir die Nachkriegszeithaben«, erinnert sich ein ehemaliger Beamter imWeißen Haus unter Bush. »Und DOD [das Verteidigungsministerium]sagte: Nein, muss man nicht. Man kann um Tschalabieine provisorische Regierung im Exil zusammenstellen«,und dann könne das USMilitär schleunigst wieder abziehen.»DOD hatte einen blödsinnigen Plan, doch es hatte immerhineinen. Aber wenn man diesen Plan nicht ausfuhrt und das Pentagonnicht dazu bringt, gemeinsam mit dem Außenministeriumeinen anderen zu entwickeln, dann zieht man ebenohne einen Plan in den Krieg.«Regierungsbeamte behaupten immer noch, dass ein Plan fiir»Phase IV«, wie sie es nannten, oder die Phase der OperationIraqi Freedom nach der Invasion existierte. Der Plan sah dieGründung eines Büros fiir Wiederaufbau und humanitäre Hilfevor (Office of Reconstruction and Humanitarian Assistance,ORHA), das von dem pensionierten Generalleutnant Jay Gar-152 ner geleitet werden sollte. Garner war nach dem ersten Golfkriegim Jahr 1991 für die Hilfslieferungen an kurdische Flüchtlingezuständig gewesen. Doch in den Augen der RegierungBush war die Mission des ORHA zeitlich begrenzt: Es dientedazu, Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln zu versorgen und unterzubringen,die Lichter in Bagdad wieder einzuschalten unddazu beizutragen, dass die irakische Infrastruktur wieder funktionierte,bis sich
  129. eine neue irakische Führung herauskristallisierthatte. Niemand hatte sich vor dem Krieg konkreter vorgestellt,wie man von dem ORHA zu einer neuen irakischenFührung gelangen sollte. Das Büro für den Wiederaufbau wur- de schon bald von einer schwerfälligen Ubergangsverwaltungunter Paul Bremer, der so genannten Coalition ProvisionalAuthority, abgelöst. Das Pentagon überwachte weiterhin dieBesatzung, die CPA war ihm unmittelbar unterstellt. Schonbald strömten republikanische Fachkräfte und konservativeIdeologen nach Bagdad, um für die CPA zu arbeiten. Sie wolltenaus dem Irak ein Versuchslabor für konservative Ideen machen,mit denen sie sich bislang in den Vereinigten Staatennoch nicht hatten durchsetzen können. Aber während sie anihren Lieblingsprojekten bastelten, stand Bagdad in Flammen.Beamte im Weißen Haus und im Pentagon redeten sich ein,dass gerade das Fehlen jeglicher Planung in Wirklichkeit einvisionärer Ansatz sei. Undersecretary of Defense Doug Feithgab das auch noch voller Stolz zu, indem er nach der Invasionin einem entlarvenden Interview der Zeitschrift The Atlanticerklärte: »... Wenn irgendjemand einmal alle unsere Unterlagendurchgegangen ist und früher oder später wird das vermutlichjemand tun , dann wird niemand auch nur ein einzigesBlatt Papier finden, auf dem steht: >Herr Minister oderHerr Präsident, wir wollen Ihnen mitteilen, wie der Irak nachdem Krieg aussehen wird, und hier sind die Punkte, für die wirPläne benötigen.< Wenn Sie das je versuchen, dann wird manSie prompt aus Rumsfelds Büro werfen wenn Sie jemalsdort hineingehen und sagen: >Ich will euch mitteilen, wie et-153 was Bestimmtes in der Zukunft aussehen wird<, dann werdenSie nicht bis zum nächsten Satz kommen!«Die schädlichen Folgen des Mangels an ernsthafter Vorausplanunghätte man womöglich in Grenzen halten können,wenn das USMilitär mit viel mehr Soldaten in den Irak einmarschiertwäre mit genügend Mann, um das ganze Land abzuriegelnund ein Chaos zu verhindern, bis sich eine neueForm von Regierung gebildet hätte. Doch Rumsfeld wiesenergisch alle Forderungen seitens der Armeeführer zurück,mehr Truppen einzusetzen. Ihrer Meinung nach war die Invasionmit einer gefährlich kleinen Streitmacht geplant worden.Als General Eric Shinseki, der Stabschef der U.S. Army, demKongress im Februar 2003, wenige Wochen vor der Invasion,mitteilte, dass mehrere hunderttausend Soldaten im Nachkriegsirakbenötigt würden, griffen Rumsfeld und Wolfowitzihn öffentlich an, und die übrigen amerikanischen Kommandeurevernahmen die Botschaft wohl: Beschwert euch nichtüber die Ressourcen, die für den Krieg im Irak zur
  130. Verfügungstehen, wenn ihr euren Job behalten wollt. Bush und Rumsfelderklärten später beide, sie seien stets bereit gewesen, mehr Soldatenzu entsenden, wenn die Befehlshaber vor Ort sie angeforderthätten. Doch die Generäle hatten inzwischen gelernt,dass es besser war, gar nicht erst zu fragen.Zu Beginn begrüßten die meisten Iraker die Amerikaner wieBefreier, genau wie die Konservativen im Pentagon es vorausgesagthatten. Jetzt wäre es möglich gewesen, Maßnahmen zuergreifen, die dem Land Stabilität gebracht hätten. Stattdessensetzten das Pentagon und die Ubergangsverwaltung, angestacheltvon Tschaiabi, eine schädliche Säuberung von BaathMitgliedernaus Schlüsselstellungen in der Regierung in Gangund verschlimmerten das Ganze noch durch eine rasche Demobilisierungder irakischen Armee.Eine Mitgliedschaft in Saddams Baath-Partei war unter demalten Regime Voraussetzung für beruflichen Aufstieg gewesen.154 Folglich wurden im Zuge der EntBaathifizierung die meistenMenschen abgesetzt, die für das Funktionieren der irakischenVerwaltung zuständig gewesen waren. Im Zuge der Auflösungder Armee wurden unterdessen Hunderttausende von Soldatenohne Sold nach Hause geschickt, eine geradezu ideale Rekrutierungsmassefür die Rebellion.Nach diesen beiden Aktionen gelangte die sunnitische Elite,eine Minderheit, die seit Jahrhunderten den Irak regierte, zuder Uberzeugung, dass die Amerikaner entschlossen waren,ihre traditionelle Machtstellung auszuhebein. Ihnen war klar:Die BushAdministration würde sich keineswegs mit der AbsetzungSaddam Husseins begnügen, sie würde die bestehendeGesellschaftsstruktur des Irak auf den Kopf stellen. Die amerikanischenMaßnahmen führten dazu, dass den Sunniten dieMacht entrissen und sie der lange unterdrückten schiitischenMehrheit übergeben wurde, die bei direkten Wahlen mit Sicherheitden Sieg erränge. Als sich nun die verbitterten Sunnitengegen die Besatzung wendeten, hatten die VereinigtenStaaten keine wirkungsvollen Gegenmaßnahmen parat. DerAufstand weitete sich allmählich aus.Anfangs spielte die BushAdministration ihn herunter eshandle sich um vereinzelte Terrorakte, die keine ernsthafte Gefahrdarstellten. Autobomben und Guerillaattacken seien Verzweiflungstatenvon Menschen in einer ausweglosen Situation,die allmählich nachlassen würden, sobald Saddam Hussein gefasstsei. In Wirklichkeit setzte sich der Aufstand aus einemkomplexen Gemisch mehrerer Kräfte zusammen, und in manchenFällen war es schwierig zu entscheiden, ob sie gemeinsamoder parallel zueinander operierten. Da gab es einige ausländischeDschihad-Krieger und AlQaida-Sympathisanten undvor allem
  131. die skrupellose Gruppe unter Abu Mussab al-Sarkawi,einem in Jordanien geborenen Terroristen. Es ist eine tragischeIronie der Geschichte, dass die »Gotteskrieger« den Iraknach der Invasion zu einem Kampfgebiet für Terroristen machten,nicht davor.155 Doch die Zahl der ausländischen arabischen Kämpfer warklein. Der Aufstand wurde von ehemaligen Geheimdienstoffizierenund anderen Mitgliedern des Saddam-Regimes dominiert.Die CIA gelangte später zu dem Schluss, dass sie einenGuerillakrieg bereits vor der Invasion geplant hatten, indemsie geheime Waffenverstecke und so genannte Stay-behindNetzwerkeangelegt hatten Gruppen von Agenten, die imRücken feindlicher Truppen Sabotageakte und Anschläge verüben. Die CIA fand zum Beispiel später heraus, dass irakischeGeheimdienstagenten unmittelbar vor dem Krieg in Dubaikistenweise elektronische Türöffner für Garagen gekauft hatten primitive, aber wirksame Fernzünder für Bomben amStraßenrand.Die Baathisten stützten sich massiv auf das militärische Fuß-volk und auf die Sympathien, die ihnen die unzufriedene Gemeindeder irakischen Sunniten entgegenbrachte. Ohne einenstarken Rückhalt in dem so genannten sunnitischen Dreieckhätte der Aufstand nicht weitergeführt werden können. Ende2003 erkannten Bremer und die bergangsverwaltung endlich,dass sie den Sunniten die Hand reichen mussten. Sie riefen eineso genannte sunnitische Initiative ins Leben und wollten Verbindungzu Führern aufnehmen, die eventuell bereit waren,mit den Amerikanern zu kooperieren. Doch zu der Zeit wurdenFührer der Sunniten oder andere politische Persönlichkeiten,die offen mit der CPA zusammenarbeiteten, bereits alsKollaborateure angesehen und liefen Gefahr, von den Aufständischenermordet zu werden.Innerhalb der Regierung Bush wollte niemand auch nur andeuten,dass der Aufstand zumindest zum Teil ein nationales Aufbegehren war, das von der Wut und dem Hass der Sunniten geschürt wurde. Ein solches Eingeständnis hätte ihm eine zugroße politische Legitimation verliehen. Das Pentagon war bereit,gegen eine Grundregel der Kriegführung zu verstoßen:Kenne deinen Feind. Es ist kein Wunder, dass Berichte, dieeine Verschlechterung der Lage im Irak andeuteten, in Washington so aufgenommen wurden, als handle es sich um Attackender politischen Gegner.Genau wie das Pentagon plante auch die CIA nicht voraus.Am Vorabend der Schlacht hatte die CIA kaum Informationenfür die militärischen Befehlshaber zu der Frage, welches politischeKlima sie erwartete, wenn sie endlich in Bagdad einmarschierten.In den Monaten vor Beginn der Invasion legteGeneralleutnant David D. McKiernan, der Befehlshaber
  132. sämtlicherBodentruppen flir die Invasion, gegenüber einem hohenCIA -Offizier ein bedenkliches Geständnis ab: Er mache sichSorgen darüber, was denn passieren würde, wenn die Armeenach Bagdad gelange; er habe keine Ahnung, mit wem sichdas Militär in Verbindung setzen solle, sobald Saddams Regimebeseitigt sei. Der General wollte wissen, wer denn als Vermittlerzwischen dem USMilitär und den Irakern fungieren unddafür sorgen würde, dass das Leben in dem Land weiterging.Leider musste der CIA Offizier seinerseits zugeben, dass derGeheimdienst keine dieser dringlichen Fragen beantwortenkonnte. Er verfugte weder über Informanten noch über Agentenin Bagdad, die den Amerikanern bei der Abstimmung mitlokalen irakischen Führern helfen konnten, um die Regierungweiter funktionsfähig zu halten. In Wirklichkeit hatte sich bislangniemand in der CIA ernsthaft mit diesem Problem befasst.Statt sich praktischen Fragen zuzuwenden wie denen, die GeneralMcKiernan Kopfzerbrechen bereiteten, konzentriertesich die CIA vor der Invasion auf verdeckte Aktionen, darunterkostspielige Pläne für den Krieg, die niemals umgesetzt wurden.Mit einer gehörigen Dosis Prahlerei und einer Prise Hoffnunggab die CIA ihrer geheimen irakischen paramilitärischenStreitmacht den Spitznamen Skorpione. Während der Ausbü-dung unter den wachsamen Augen der U.S. Special Forces undder CIA -Instrukteure auf einer isolierten Militärbasis in derjordanischen Wüste erlernten die »Skorpione« die schwarzeKunst der verdeckten Aktionen, der Täuschungsmanöver und157 Sabotage. Ende 2002 und Anfang 2003 investierte die CIA MillionenDollar, um die Skorpione auf die historische Aufgabevorzubereiten, einen Krieg auszulösen.In mancher Hinsicht waren die Skorpione, die aus Exilirakernbestanden, die verdeckte Antwort der CIA auf die FreeIraqi Forces, eine Gruppe von Exilirakern, die das Pentagonvor der Invasion in Ungarn ausgebildet hatte. Doch währenddas Pentagon den Kontakt zwischen seinen geheimen »Forces«und Tschaiabi förderte, gab sich die CIA große Mühe, dieSkorpione von Tschaiabis Einfluss fern zu halten.Die CIA hatte ehrgeizige Pläne mit den Skorpionen, die aufden sehnlichen Wunsch des Geheimdienstes zurückgingen, inder Anfangsphase der Invasion eine führende Rolle zu spielen.Es war vorgesehen, mit Hilfe der Skorpione bei KriegsausbruchSabotageakte im Landesinneren sowie symbolträchtigeAktionen durchzuführen, die innerhalb des Regimes Verwirrungstiften sollten. Einer der Pläne lief darauf hinaus, Skorpionemit einem Hubschrauber über die Grenze zu fliegen unddann in der Nähe eines irakischen Militärstützpunktes abzusetzen.Als irakische Soldaten verkleidet sollten sie eine
  133. Meutereianzetteln und so den Anschein erwecken, als würde die irakischeArmee gegen Saddam Hussein rebellieren.Das Directorate of Operations verschwendete gewaltigeRessourcen für die Skorpione, obwohl etliche CIA -Beamtederen Effektivität skeptisch beurteilten. Ein CIA -Informantnannte die Gruppe einen paramilitärischen »Wunschtraum«,der keine Aussicht hatte, nennenswerten Einfluss auf denKriegsverlauf zu nehmen. Letzten Endes wurden die Einsatzplänefür die Skorpione in der Anfangsphase trotz der bereitsgetätigten enormen Investitionen gestrichen, weil hohe USMilitärsmeinten, von der CIA ausgebildete Einheiten würdennur im Weg stehen.Ohne die Skorpione trat die CIA im Landesinneren zu Beginnder Invasion vor allem in Teams in Erscheinung, die manzusammen mit den U.S. Special Forces aufgestellt hatte. Sie158 sollten der Hauptstreitmacht während ihres Marsches aufBagdad taktische Informationen liefern. Die Teams versuchten,Kontakte zu Einheimischen in den Städten entlang derHauptinvasionsrouten zu knüpfen, um die Opposition undpotenzielle Widerstandsnester auszukundschaften. Einige Einsatzgruppenlieferten dem konventionellen Militär auch tatsächlichwertvolle Informationen, insbesondere im Süden.Doch wegen der schlechten Planung und Kontrolle seitensder Agency konnten diese Teams laut CIA Quellen leichtmissbraucht werden. Tatsächlich wurde einem Einsatzoffizier,der während des Vormarsches durch den Südirak einem solchenSonderkommando angehörte, ein Befehl erteilt, der seinerAnsicht nach die Grenze des Erlaubten überschritt - einBefehl, der an Vietnam erinnerte.Laut einer CIA Quelle erhielt der junge Einsatzoffizier,während er mit einem der Teams unterwegs war, einen Anrufvon einem anderen CIA Beamten, der ihn anwies, einen seinerirakischen Agenten mit der Eliminierung eines dort ansässigenIrakers zu beauftragen, den der Geheimdienst als gefährlicheinstufte. Im Grunde versuchte der CIA Beamte, dasgemeinsame Team aus CIA und Special Forces als ein Killerkommandoeinzusetzen.»Das führt einem die Mentalität der Menschen vor Augen,die das Ganze leiten«, sagte ein CIA Informant.Stattdessen setzte sich der junge Offizier mit einem hohenCIA -Offizier in Verbindung und erzählte ihm von dem Ansinnen,und der wies ihn an, dem Befehl nicht Folge zu leisten.Der junge Offizier gehorchte. Doch der Geheimdienst ist lauteinem CIA Informanten offenbar niemals der Aufforderungzum Mord an einem Iraker nachgegangen.In den Tagen unmittelbar nach dem Fall Bagdads im Aprilführte die CIA weiterhin Operationen im Irak ohne angemessenePlanung durch, in manchen Fällen mit tragischen Folgen.Da die CIA unbedingt die Präsenz proamerikanischer
  134. musli-159 mischer Führer im Irak steigern wollte, ließ sie Anfang April2003 den gemäßigten schiitischen Geistlichen Abd al-Madschidal-Khoei aus seinem Londoner Exil in den Irak einfliegen.Der Geistliche war kein Mitarbeiter der CIA , doch derGeheimdienst erhoffte sich von ihm einen stabilisierendenEinfluss auf die schiitische Gemeinde. Die Entscheidung, ihnin den Irak zu holen, wurde gegen die Proteste der CIA -Offizierevor Ort getroffen, die warnten, dass die Verhältnisse imLand immer noch zu unsicher seien. Die Folge: Am 10. April2003 wurde al-Khoei in Nedschef ermordet, kurz nachdem erin den Irak zurückgekehrt war. Amerikanische Regierungsvertretervermuteten, dass der radikale schiitische GeistlicheMoqtada al-Sadr hinter dem Mord steckte, weil er einen Rivalen,einen potenziellen Mitbewerber um die geistliche Führungbeseitigen wollte.Einige US-Geheimdienstbeamte erkannten vor der Invasion,dass die Besetzung des Irak ganz neuartige Formen der Informationsbeschaffunginnerhalb des Landes ermöglichen würde.In der Praxis wurden jedoch viele Gelegenheiten vertan, weilkeine Planung für die Phase nach der Invasion existierte. AmerikanischeQuellen geben zum Beispiel an, dass die NationalSecurity Agency vorhatte, eine Tarnfirma zu gründen, die einenMobilfunkservice im Nachkriegsirak betreiben sollte. DieNSA hätte damit die Möglichkeit gehabt, jeden Telefonanrufin dem Land abzuhören, und es wäre Aufständischen dadurchsehr erschwert worden, auf elektronischem Weg miteinanderzu kommunizieren, ohne dass amerikanische Geheimdienstesie aufgespürt hätten. Doch die NSA verschob ihre Pläne solange, dass die Ubergangsverwaltung unter Paul Bremer amEnde Mobilfunklizenzen an die meistbietenden Privatunternehmenvergab.Der CIA Stationschef, der im November 2003 mit seinem Berichtzur Lage im Land so viel Wirbel ausgelöst hatte, war be-160 reirs der zweite CIA Chef im Nachkriegsbagdad. Er hatte denPosten im Juli 2003 übernommen. Unmittelbar nach der Invasionhatte ein hoher CIA Offizier als erster Stationschef gedient,doch er war nur kurze Zeit in Bagdad geblieben, geradeso lange, dass er die Station autbauen und organisieren konnte.Die Bedingungen verschlechterten sich so rapide, dass derzweite CIA Stationschef bereits im August der Meinung war,er müsse seine erste Lagebeurteilung schreiben, um Washingtonzu warnen. Der August-Bericht wurde einen Tag nachdem Bombenanschlag auf die Räumlichkeiten der VereintenNationen in Bagdad verfasst, bei dem der UN-Gesandte imLand ums Leben kam. Die Beurteilung fiel so finster aus, dasssie unverzüglich innerhalb der CIA und der Bush-Administrationfür Aufruhr sorgte und sogar einen scharfen Tadel
  135. vonBremer nach sich zog.Diesem Dossier zufolge war der Bombenanschlag Teil einerStrategie neuer, tollkühner Aufständischer, die die von denUSA geführte Koalition in Verruf bringen und isolieren wollten.Der Stationschef warnte, die Rebellen und Terroristen seiennoch zu sehr viel mehr Anschlägen gegen »weiche Ziele«fähig. Der Aufstand weite sich gefahrlich aus, drohe, die erstenFortschritte der Amerikaner zunichte zu machen, und könnein der Tat die Besatzungstruppen überwältigen. In dem Dossierwurden korrekt zwei Stränge der Gewalt identifiziert: zum einenausländische Mudschaheddin, zum anderen irakische Aufständische.Und unheilvoll hieß es, es herrsche »kein Mangel«an Kombattanten. Ferner sagte der Stationschef voraus, dass dieErgreifung Saddam Husseins aller Wahrscheinlichkeit nachnicht den Aufstand beenden würde, da der flüchtige Diktatorihn offenbar auch gar nicht anführe.Da der Bericht in Washington so kurz nach der Euphorieüber Saddams Sturz eintraf, erschien er vielen in der Bush-Administrationals viel zu negativ. Bremer war über den Ton so besorgt,dass er sich gezwungen sah, am Ende des Dossiers eineNotiz zu schreiben, in der er die Analyse der sich verschlim-161 mernden Bedingungen im Irak herunterspielte. Die Gefahrdie von dem Aufstand ausgehe, werde überschätzt, schrieb erund fügte hinzu: Seiner Ansicht nach sei es überhaupt nichtklar, ob dieser »Konflikt von geringer Intensität« die amerikanischenErfolge im Irak untergraben könne, selbst wenn die Rebellionsich ausweiten sollte. Unter dem Strich mache der Wiederaufbauim Irak trotz des Aufstands Fortschritte.Als sich die Gewalt im Sommer und Herbst 2003 weiter zuspitzte,war die Regierung Bush tief gespalten in der Frage,wie sie darauf reagieren sollte. Ein Streitpunkt war, wie sichdie Ressourcen der Geheimdienste am gezieltesten einsetzenließen, um Rebellen zu identifizieren und dingfest zu machenoder zu töten.Das Problem war, dass sich die CIA übernommen hatte. Auspolitischen Gründen wünschte das Weiße Haus, dass sie dieSuche nach Saddam Husseins Massenvernichtungswaffenübernahm. Die anfänglichen Bemühungen des Pentagon warenso amateurhaft gewesen, dass Bush persönlich Tenet aufgeforderthatte, sich der Aufgabe anzunehmen. Tenet hatte denehemaligen UN-WafFeninspekteur David Kay gebeten, einneues Team, die Iraq Survey Group, zu leiten. Die Mitgliedersollten das ganze Land auf der Suche nach Hinweisen auf chemische,biologische oder atomare Waffen durchkämmen.Im Herbst war Kays Team bereits etlichen falschen Spurennachgegangen. Unterdessen hatte sich der Aufstand ausgeweitet,weshalb die CIA Station in Bagdad darauf drängte,
  136. Ressourcendes Geheimdienstes von der Suche nach Massenvernichtungswaffenabzuziehen und die Bemühungen zurUnterdrückung des Aufstands zu intensivieren. Auch US-Militärbefehlshaberplädierten für eine Umorientierung der IraqSurvey Group auf den Kampf gegen die Rebellen.Tenet willigte ein, einige Mitarbeiter des Teams zu versetzen,doch er wies die Bagdader CIA Station an, weiter nachMassenvernichtungswaffen zu suchen. Es kam zu Spannungen.162 oCIA -Offiziere in Bagdad waren der Meinung, das Hauptquartierzwinge sie, ein aussichtsloses Unterfangen fortzusetzen.Im Januar 2004, gerade als David Kay mit seiner berzeu-jung an die öffentlichkeit ging, es gebe keine Massenvernichtungswaffenim Irak, setzte ein leitender CIA Beamter der Belegschaftder Bagdader Station eine ungewöhnliche Frist.Tenet war gezwungen, dem Kongress wegen der Jagd nachMassenvernichtungswaffen Red e und Antwort zu stehen, undder Direktor musste den Gesetzgebern erklären, wieso mannichts gefunden hatte. David Kay machte Tenet das Lebenschwer, und der wollte den Anhörungssaal nicht mit leerenHänden betreten. Folglich befahl der leitende Beamte imHauptquartier der Bagdader Belegschaft, noch eine letzte, verzweifelteSuchaktion zu starten. »Der Direktor ist in sieben Tagenauf dem Kapitol, konzentrieren wir uns noch einmal ganzauf die Suche nach Massenvernichtungswaffen«, sagte der Beamte.Leider konnte die Bagdader Station auch diesmal nichtsfinden, was Tenets Unruh e besänftigt hätte.Die Spannung zwischen der politisch motivierten Forderung,Massenvernichtungswaffen vorzuzeigen, und der dringenderenNotwendigkeit, einen imme r weiter um sich greifendenAufstand einzudämmen, war im ersten Jahr nach derInvasion neben anderen Theme n Anlass für eine ganze Reihevon Auseinandersetzungen um Ressourcen und Einsatzkräftezwischen der Bagdader Station und dem CI AHauptquartier.Das wohl dringlichste Problem war der Mangel an Arabischsprechenden CIA Offizieren in Bagdad. Die CIA überschwemmteden Irak mit vorübergehend abkommandiertenOffizieren aus aller Herren Länder, doch nur wenige hattenErfahrung in der arabischen Welt, und noch weniger beherrschtendie Landessprache. Viele von ihnen hielten sichzum ersten Mal im Ausland auf. Im Herbst 2003 verfügte dieStation über nur vier Offiziere, die der Sprache mächtig waren.Folglich war es für viele Offiziere extrem schwierig, verdeckteOperationen im Land durchzuführen.163 Darüber hinaus herrschte ein Mangel an Analytikern, diedem Geheimdienst eine bessere Vorstellung von dem Aufstandhätten vermitteln können. Die CIA
  137. -Analytiker in Langleykonnten kein Gespür für den sich rasant wandelnden Charakterder Rebellion entwickeln. Die Bagdader Station bestürmtedas CIA Hauptquartier, Analytiker in den Irak zu entsendendie ihnen helfen konnten, die Berichte der Außendienstmitarbeiterauszuwerten. Schließlich hatte die CIA Ende 2003 inBagdad rund dreißig Nachrichtenanalytiker im Einsatz. Mehrals acht Monate nach der Invasion fingen sie an, aus den Informationendie schwer greifbaren Hinweise herauszufiltern, diees ihnen erlaubten, allmählich die Struktur des Aufstands zu erfassen. Seit Sommer 2003 war der Bagdader Station klar, dass man esversäumt hatte, den gefangen genommenen irakischen Aufständischensystematisch Informationen zu entlocken, einerder vielen Fehler, die im Irak begangen worden waren. DasUS-Militär leistete bei der Identifizierung und Vernehmungwichtiger Häftlinge miserable Arbeit; es wusste nicht einmal,wie viele ausländische Kämpfer es unter den Tausenden Gefangenenin seinen Lagern festhielt. Die CIA willigte ein, die Vernehmungder wichtigsten Häftlinge zu übernehmen, um Informationenüber den Aufstand zu erhalten. Doch dasCIA -Hauptquartier wollte der Bagdader Station weder die nötigen Mittel zur Verfügung stellen noch die juristischen Richtlinienbenennen, ohne die sie der Aufgabe nicht effektiv undzugleich innerhalb der Grenzen des USRechts nachkommenkonnte.Die leitenden Mitarbeiter in Bagdad baten Langley mehrfachdarum, die zuständigen Offiziere in Verhörmethoden zuschulen, damit sie die Vernehmungen der Gefangenen auchkorrekt durchführten. Doch das CIA Hauptquartier bot keineentsprechenden Schulungen an. Bereits im Juli 2003 hatte dieStation das Hauptquartier um schriftliche Richdinien gebeten,164 wie Gefangenenverhöre zu fuhren seien, aber sie erhielt keine,was schließlich zu einem hitzigen Streit führte. Frustriert überdie endlosen Verzögerungen entlud sich die Spannung währendeiner Videokonferenzschaltung zwischen Bagdad undLangley, als der stellvertretende Stationschef in Bagdad anfing,die Leute im Hauptquartier anzubrüllen. Sie sollten endlich dieschrifdichen Richtlinien für Verhöre schicken, die schon solange beantragt seien. Die einzige Antwort kam vom Chefder Nahostabteilung: Er teilte dem öagdader Stationschef mit,dass sich sein Vize in der Frage »zu scharf« äußere. Die Richtlinienwurden erst geliefert, nachdem der Folterskandal im GefängnisAbu Ghraib aufgeflogen war.Das CIA Hauptquartier schickte Bagdad am Anfang auchkeinen Fachmann, der sich um die juristischen Fragen im Zusammenhangmit den Verhören kümmerte. Stattdessen musstesich die Station auf inoffiziellem Weg von anderen CIA oderMilitäijuristen Rat einholen, die sich zufällig
  138. gerade in Bagdadaufhielten. Der Geheimdienst entsandte erst im Januar 2004 einenJuristen nach Bagdad, der sich mit den Verhörpraktikenbefasste, und auch das erst, nachdem die Armee ihre interneUntersuchung wegen der Misshandlung von Gefangenen inAbu Ghraib eingeleitet hatte.Das für die Bagdader Station heikelste Thema im Zusammenhangmit den Vernehmungen betraf die »Phantomhäfdinge«- Gefangene, die in Militärgefängnissen nicht sofort registriertwurden, während die CIA sie verhörte. Eine weitereumstrittene Praxis war die Verschleppung einiger Phantomhäftlingeaus dem Irak. Im Jahr 2003 wurden sechs bis achtMenschen im Irak gefangen genommen und anschließendvon der CIA zum Verhör in andere Länder geschafft, etwanach Jordanien, SaudiArabien und Afghanistan.Laut mehreren Informanten wurde diese Praxis, auch dieVerlegung von Häftlingen in andere Staaten, von hohen CIA Vertreterngebilligt. Erst später, als ihnen klar wurde, dass dieMaßnahme möglicherweise gegen die Genfer Konventionen verstieß, ordneten sie dann an, die Häftlinge klammheimlichwieder in den Irak zurückzuschaffen. (Laut einem Bericht inder Washington Post ging das Justizministerium so weit, einMemo zu verfassen, das die CIA ermächtigte, Häftlinge zumVerhör aus dem Irak auszufliegen.)Gegenüber den Bitten der Bagdader Station um mehr Unterstützungstellte sich das CIA Hauptquartier zwar taub, aberniemand in Washington ignorierte den düsteren zweiten Lageberichtvom November. Welche tiefere politische Bedeutungsich dahinter verbarg, lag auf der Hand.Anfang November 2003, hieß es in diesem Bericht, habe derAufstand im Zentral-und Nordirak an Stoßkraft gewonnenund die Waagschale sich allmählich gegen die Amerikaner geneigt.Die Aufständischen seien »selbstsicher und glauben, dasses ihnen letzten Endes, wie schon in der Vergangenheit, gelingenwerde, wieder an die Macht zu kommen«. Die Rebellenspürten, dass der politische Wille der Amerikaner »schwanke«,und fühlten sich durch Militäroperationen kaum unter Druckgesetzt. Sie seien beweglicher als das USMilitär, warnte derStarionschef, auf politischer Ebene machten sie sich hingegendie Tatsache zunutze, dass die Vereinigten Staaten über keineklare Botschaft verfügten, die bei der irakischen Bevölkerungeventuell hätte Anklang finden können.Zunehmend würden die Iraker erkennen, dass die Baathistentrotz der Absetzung Saddam Husseins imme r noch mächtigseien; im sunnitischen Kernland schienen die Baathisten gar»weitgehend ungefährdet«. Gleichzeitig nähmen die Iraker jedochein politisches Chaos in Bagdad wahr.Der Stationschef ließ in dem Bericht durchblicken, dass dieAmerikaner die beste Chance, den Irak zu
  139. stabüisieren, verpfuschthätten. Das irakische Regime sei von der Schnelligkeitdes amerikanischen Sieges überrascht worden, und unmittelbarnach dem Fall Bagdads seien die Baathisten schwer angeschlagengewesen und hätten sich in das sunnitische Kernlandzurückgezogen.166 I Mittlerweile sei jedoch klar, so hieß es weiter, dass das Re -gime nicht entscheidend geschlagen, sondern lediglich zerstreutworden sei. Und da die Amerikaner es versäumt hätten,das Land fest unter ihre Kontrolle zu bringen, bekämen dieBaathisten nun eine Gelegenheit zur Rückkehr. »Bis zumEnde des Sommers erlangten diese Elemente des Regimes angesichtsdes anhaltenden Gefühls der Isolation im sunnitischenKernland, der vollständigen Auflösung der Armee und andererSicherheitseinrichtungen, der konsequenten Ent-Baathifizierungund der fehlenden wirtschaftlichen Möglichkeiten wiederdas nötige Vertrauen, um ihre Netzwerke zu flicken undsich neu zu etablieren. Das Selbstvertrauen der Aufständischenwird noch durch den Umstand gestärkt, dass sie sich mit einersolchen Leichtigkeit in Bagdad und im sunnitischen Kernlandbewegen können.«Anfangs lobten Spitzenbeamte der CIA das November-Dossier,einer sagte sogar dem Bagdader Stationschef, das sei derbeste Lagebericht, den er jemals gelesen habe. Er erregte zweifellosdie Aufmerksamkeit des Weißen Hauses und des Pentagon.Anfang Dezember wurde der Stationschef gebeten, PräsidentBush Bericht zu erstatten.Doch die Aufmerksamkeit auf höchster Ebene erwies sichals ein zweischneidiges Schwert, und der Stationschef war inzwischenvöllig abgemeldet. Hohe US-Militäroffiziere in Bagdadbeschwerten sich bitter, dass der Lagebericht sie »auf demfalschen Fuß erwischt« habe. Die Spannungen zwischen derCIA und dem Pentagon nahmen weiter zu. Nur wenige Tagenach dem Briefing für Präsident Bush erführ der Stationschef,dass er nicht nach Bagdad zurückkehren würde.Im Nachhinein erscheint der Bericht des CIA -Stationschefsvom November 2003 als geradezu hellseherisch. Wie befürchtet,weitete sich in der Zwischenzeit der Aufstand immerstärker aus, und die Zahl der amerikanischen Opfer schnelltein die Höhe. Die irakischen Sunniten fühlen sich noch immer abgekoppelt von dem neuen politischen Prozess, der vonSchiiten und Kurden dominiert wird. Gleichzeitig wurde dasLand zu einem Magneten flir ausländische Dschihad-Kriegerund bietet einen äußerst fruchtbaren Nährboden für AlQaida.Islamische Extremisten in erster Linie Sunniten die in denIrak strömten, um gegen die Amerikaner zu kämpfen, bekamenviel zu tun.»Heute ist der Irak ein Eldorado flir Dschihads«, sagte einamerikanischer Geheimdienstbeamter. Die Verbindung zwischendem
  140. Irak und AlQaida war endlich etabliert.
  141. Der Verlust von Afghanistan Im November 2004 war Colin Powell ein »Läwe im Winter«,eine traurige, aber dennoch känigliche Gestalt, die eine vergangene Ära republikanischer Staatsflihrungskunsc zu reprä-sentieren schien. Als er nach George W. Bushs Wiederwahl stillund leise sein Büro räumte, hätte man ihn ob seiner Amtszeitab Außenminister mit den Worten beschreiben kännen: Erwar ein großer Mann, der etwas Besseres verdient hatte.Vier Jahre zuvor hatte er sich unter viel versprechenden Vorzeichender Regierung Bush angeschlossen, ein echter amerikanischerHeld, dessen Glaubwürdigkeit in den Augen derAmerikaner leicht die des unerfahrenen neuen Präsidentenübertraf. Der ehemalige General hatte im Wahlkampf2000 fürBush als Präsident geworben, und Bush hatte den Wählern vermittelt,wenn sie ihn wählten, würde er Powell zu seinem Außenminister, zum fuhrenden Kopf seiner Außenpolitik machen.Für die Wähler war es ein beruhigender Anblick, Powellan Bushs Seite zu sehen. Viele glaubten nun, Bush würde diegleiche gemäßigte, pragmatische Außenpolitik betreiben, dieKennzeichen der Amtszeit seines Vaters gewesen war. Mit Powellals Außenminister und Dick Cheney (dem Verteidigungsministerseines Vaters und alten Weggefahrten Powells bei derOperation Desert Storm) als Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten signalisierte George W. Bush der Öffendichkeit: Wenn ihr mich wählt, bekommt ihr die Rückkehr des erfolgreichenTeams geboten, das eine internationale Koalition zur BefreiungKuwaits schmiedete und den Kalten Krieg friedlich beendete.169 Genau das hatte Powell erwartet, und noch mehr dazu. Erkehrte in den Staatsdienst mit dem Ziel zurück, in die Fußstapteneines Mannes zu treten, der den Ubergang vom General inKriegszeiten zum Diplomaten geschafft hatte: George C. Marshall,Harry Trumans Außenminister und Architekt des Marshallplans. Eine von Powells großen Stärken (und vielleicht auch seinverhängnisvoller Fehler) ist seine tiefe Loyalität, eine Eigenschaft,die er in seiner Zeit beim Militär entwickelt und inden Jahren, in denen er in Spitzenpositionen für Reagan unddie erste BushAdministration arbeitete, zu einer politischenTugend kultiviert hat. Powell fiel es nicht schwer, seine engeVerbundenheit mit Bush senior, dem er als Vorsitzender derVereinigten Stabschefs während des Golfkriegs gedient hatte,auf dessen Sohn zu übertragen.Doch im Lauf der Zeit wurde Powells Loyalität zu einer gro-ßen Belastung für ihn. Keine seiner hohen Erwartungen verwirklichtesich; er geriet in eine Randposition, gefangen ineiner Regierung, auf die er wenig Einfluss hatte. Zur berraschungfast aller in Washington (und vielleicht auch zu
  142. Powellseigener berraschung) wurde er in der Außenpolitik mehrmalsvon Verteidigungsminister Rumsfeld und VizepräsidentCheney ausmanövriert, der aus der Wirtschaft deutlich wenigerflexibel in die Politik zurückgekehrt war, als viele seinerehemaligen Kollegen ihn in Erinnerung hatten. Vor allemCheneys Gesinnungswandel schien Powell zu verblüffen.Während der ständigen Auseinandersetzungen mit RumsfeldsPentagon, seinem überraschenden Bruch mit Cheneyund seiner offensichtlichen Bedenken wegen des Irakkriegsverlangte Powells Sinn für Loyalität, dass er auf seinem Postenblieb, zumindest eine ganze Amtszeit lang. Er schien damit zufrieden,eine mäßigende Rolle zu spielen und als Vermitderzwischen den im Aufstieg begriffenen Konservativen in Washingtonund der übrigen Welt aufzutreten.Powell gewann ein paar gemäßigte Verbündete, darunter170 auc h CIA Direkto r George Tenet, doch perfiderweise war esdas Vertrauen in Tenet, das zu Powells gräßter Niederlageführte. Aufgrund von Tenets Beteuerungen erklärte sich Powellbereit, sich im Februar 2003 vor den Vereinten Nationenfür einen Krieg gegen Saddam Hussein einzusetzen, und erlegte das ganze Gewicht seines Namens und seiner Position inseine Aussagen, die, wie sich später herausstellte, auf fehlerhaftenGeheimdienstberichten über die angeblichen Massenvernichtungswaffendes Irak basierten. Damit war sein Ansehendauerhaft beschädigt. (Als nach dem Hurrikan Katrina imHerbst 2005 erneut die Kompetenz und Glaubwürdigkeit derRegierung Bush in Frage gestellt wurden, sagte Powell demFernsehsender ABC, er habe erkannt, dass seine den VereintenNationen vorgelegten falschen Angaben zu den irakischenMassenvernichtungswaffen seinem Ru f geschadet hätten, bestandaber darauf, dass er Tenet nicht persönlich die Schuld anden ungenauen Geheimdienstinformationen geben wollte.)Nachdem aus dem ursprünglichen Triumph der USA imIrak eine blutige Pattsituation geworden war, wirkte Powells Loyalität gegenüber Bush eher wie bürokratische Passivität.Die Kritik wuchs, und am Ende schien Powells Traum, wieGeorge C. Marshall in das Pantheon der großen amerikanischen Staatsmänner aufgenommen zu werden, ferner denn je.Powells gute Absichten wie seine politische Schwäche angesichtsder geschickt geführten internen Machtkämpfe Rumsfeldszeigten sich beispielhaft bei einer der letzten Sitzungendes Kriegskabinetts, an der er bald nach Bushs Wiederwahlteilnahm. Passenderweise stand für die Konferenz vom November2004 das Land auf der Tagesordnung, in dem für BushsRegierungsmannschaft alles begonnen hatte: Afghanistan.Damals mühte man sich in der Regierung Bush, die harte Realität in Afghanistan so
  143. gut wie möglich zu ignorieren. DasWeiße Haus wollte die unbeabsichtigten Folgen von GeorgeW. Bushs fatalster Entscheidung als Präsident nicht wahrhaben dass Amerika einen Krieg gegen den Irak begonnnenhatte, noch bevor der Kampf gegen AlQaida beendet war.Deswegen befand sich Osama Bin Laden immer noch irgendwo in der unzugänglichen Grenzregion Pakistans auf freiemFuß. Vor allem aber war Afghanistan auf dem beste Wege aufgrundeines enormen Anstiegs der Opiumproduktion zu einemDrogenstaat zu werden.In der Öffentlichkeit priesen Bush und seine Berater Afghanistanweiterhin als uneingeschränkten Erfolg. Sicher gab esGründe für diesen Optimismus: Afghanistan war ein Land,aus dem islamische Extremisten und weltweit operierende Terroristenvon einer internationalen Koalition unter Führung derUSA vertrieben worden waren und wo sich nun eine neue demokratischeRegierung etabliert hatte und sich erste Anzeichenfür eine tolerantere Lebensart zeigten. Die Beteiligungbei den Wahlen im Oktober 2004 war trotz der Androhungvon Gewalt hoch gewesen, und das Ergebnis bestätigte die Positiondes afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, ein Schützlingder USA, der 2001, eskortiert von einer Phalanx aus CIA Offizierenund Soldaten der U.S. Special Forces, aus seinempakistanischen Exil nach Afghanistan zurückgekehrt war.In einer Zeit, in der sich die Zustände im Irak Tag für Tagverschlechterten, wollte die Regierung Bush auf keinen Falldas Bild von ihrem Erfolg in Zentralasien beschmutzen. Dochtief im Innern des Außenministeriums, im Bureau for InternationalNarcotics and Law Enforcement AfFairs (INL), der Abteilungfür internationalen Drogenhandel und Strafverfolgung,betrachtete man Afghanistan mit wachsender Besorgnis. AssistantSecretary of State Bobby Charles, der das INL leitete, studierte ungläubig die neuen Zahlen der CIA über das unkontrollierteWachstum der Opiumproduktion im ländlichen Afghanistan.Als Protege von Dennis Hastert, dem Sprecher im Repräsentantenhaus, war Charles im Grunde seines Herzens ein Geschöpf des republikanischen Kongresses und nicht des Weißen Hauses unter Bush. Er besaß ein ausgeprägtes Gespür dafür,je ^e Gesetzgeber auf dem Kapitol zum Spielball der politischenDebatten wurden. Wenn das amerikanische Volk dasAusmaß des Drogenhandels in Afghanistan erst einmal erkannthatte - und vor allem die Tatsache, dass die USA nichts dagegenunternahmen , dann, das wusste er, würde sich auch dieMeinung im Kongress schnell ändern.Jedes Mal, wenn die CIA eine geheime Schätzung des Umfangs der afghanischen Mohnernte herausgegeben hatte, waren die Zahlen höher ausgefallen, was Charles nun dazu
  144. veranlasste,jeden in der Regierung, der bereit war zuzuhören, daraufhinzuweisen, dass Washington etwas unternehmen müsse.Schon bald, warnte er, würde der politische Fortschritt in Afghanistanvom Opium erstickt werden. »Ich begann, Alarm zuschlagen«, erinnert er sich. »Man musste das ernst nehmen,sonst wäre das zu Lasten der Demokratie gegangen.«Auf Powells volle Unterstützung konnte Charles sich verlassen,aber es frustrierte ihn zutiefst, dass seine Warnungenim Weißen Haus ungehört verhallten und die Regierung seineBefürchtungen hinsichtlich des afghanischen Drogenhandelsund seiner möglichen politischen Konsequenzen einfach nichtteilte. Anfang 2004 kam ihm zu Ohren, dass man sich imWeißen Haus über seine pessimistischen Aussagen vor demKongress beschwert hatte, doch Charles konnte seine wachsendeBesorgnis einfach nicht verbergen. Er war so beunruhigt,dass er im Büro schon bald »Kassandra« genannt wurde.Gleichzeitig warnte ihn ein Beamter des Weißen Hauses, erwerde langsam »unbequem«. Als Charles Ende 2004 immernoch nicht lockerließ, wurde ihm mitgeteilt, er sei »äußerst unbequem«.Schließlich wurde Charles Anfang 2005 von der neuen Außenministerin Condoleezza Rice zur Kündigung gedrängt.Die Spitzenbeamten der Regierung Bush hatten sich von Anfangan völlig desinteressiert am afghanischen Opiumproblem173 gezeigt. Tatsächlich gaben sich das Weiße Haus und das Pentagongleich zu Beginn der amerikanischen Intervention inAfghanistan im Herbst und Winter 2001 sogar große Müheeine Konfrontation mit den afghanischen Drogenbossen zuvermeiden.Laut einer CIA Quelle gründeten die amerikanischen Geheimdienstenach den Bombenanschlägen auf die beiden US Botschaften in Ostafrika ein behördenübergreifendes Team,um potenzielle Angriffsziele in Afghanistan ausfindig zu machen,die bei einer Militäroperation gegen das Rückzugsgebiet des Terrornetzwerks bombardiert werden könnten. Dieses Aufklärungsteam arbeitete auch dann noch weiter, als Präsident Clinton nur wenige Tage nach den Anschlägen in Ostafrika halbherzig den Befehl gegeben hatte, Ausbildungslager vonAl-Qaida mit Cruise Missiles anzugreifen. Bis 2001 hatte dasTeam eine umfassende Liste potenzieller Bombenziele in ganzAfghanistan zusammengestellt.Die Liste umfasste auch zwanzig bis fünfundzwanzig größere Drogenlabors, Lagerhäuser und andere Einrichtungen in Zusammenhang mit dem Anbau und Handel von Opium.Nach den Anschlägen vom 11. September wurde die Liste andas amerikanische Militär weitergeleitet, doch im Pentagonund im Weißen Haus weigerte man sich nach Angabe des CIA Informanten,die Bombardierung der »Drogenziele« zu befehlen.»Am Tag nach dem 11.
  145. September lag die Liste mit denAngriffszielen auf den entsprechenden Schreibtischen, dochdas Militär und der NSC ignorierten sie«, berichtete der CIA Informant.»Wir hatten diese [Ziele] in jahrelanger Arbeit ausfindiggemacht. Die Drogenziele waren groß, richtige kleine Städte, und dort wurde nichts anderes gemacht als Heroin hergestellt.Die Briten forderten lautstark, dass wir die Ziele bombardierensollten, weil ein Großteil des Heroins in England ausAfghanistan stammt. Aber sie [Militär und Pentagon] lehntenab.« Wenn die USA die Einrichtungen bombardiert hätten,fügte der CIA Informant hinzu, »wäre die Drogenproduktion in Afghanistan ein Jahr oder länger deutlich langsamer vonstattengegangen«.Die Entscheidung, die Drogenlabors in den Wochen nachdem 11. September nicht zu bombardieren, war ein erstesAnzeichen dafür, dass das Weiße Haus und das Pentagon inAfghanistan nichts mit Problemen zu tun haben wollten, dieden Wiederaufbau des Landes betrafen. Die amerikanischenTruppen sollten dort Terroristen bekämpfen, nicht dieMohnernte kontrollieren; eine Verbindung zwischen beidemwollten die Beamten im Verteidigungsministerium nichtwahrhaben. Im Pentagon fürchtete man, dass sich das Militär bei den Maßnahmen zur Drogenbekämpfung gegen genaudie Warlords wenden müsste, die den USA im Kampf gegendie Taliban halfen, und das hätte eine weitere Runde gewalttätiger Angriffe auf die amerikanischen Truppen ausgelöst.Nach Aussage eines ehemaligen NSC-Beamten argumentierteUndersecretary of Defense Doug Feith bei einerSitzung im Weißen Haus im Februar 2002, die Drogenbekämpfung sei nicht Teil des Krieges gegen den Terrorismus,deswegen wolle das Verteidigungsministerium damit in Afghanistannichts zu tun haben. »Wir konnten das Verteidigungsministeriumnicht dazu bringen, in Afghanistan gegenDrogen vorzugehen«, erinnert sich der ehemalige NSCBeamte. Außerdem bedeutete Präsident Bushs Beschluss, in den Irakeinzumarschieren, dass die Zahl der in Afghanistan stationiertenSoldaten stark begrenzt war. Selbst wenn das Pentagon dieAnweisung erhalten hätte, mehr gegen den Drogenhandel zuunternehmen, wäre es nicht möglich gewesen, die Aufgabe effektivzu erledigen.Nach dem Sturz des TalibanRegimes hatte auch die CIA Führungkaum noch Interesse am Drogenproblem. Selbst alseinige CIA Beamte nach dem 11. September auf die Bombardierungafghanischer Drogenlabors drängten, hatte die CIA Führung andere Prioritäten und reduzierte das Personal für die Drogenbekämpfung, um möglichst viele Männer für denKrieg gegen den Terrorismus abzustellen.Der Kampf gegen die Drogen in Afghanistan wurde anfangsden
  146. Briten überlassen, denen, wie erwähnt, das Problem sehr am Herzen lag, weil große Mengen des afghanischen Heroinsin den Straßen von London landeten. (Erst in letzter Zeit sinddie USA zum Wachstumsmarkt für afghanisches Heroin geworden,das mittlerweile etwa zehn Prozent des Handels ausmacht.)Doch die Briten hatten weit weniger militärische undgeheimdienstliche Ressourcen in Afghanistan zur Verfugungals die USA, und so lebte der Opiumhandel im Jahr 2002(dem ersten Jahr, in dem Afghanistan praktisch unter amerikanischerKontrolle stand) gewaltig auf.Gegen Ende der Talibanherrschaft war die Opiumproduktiongesenkt worden, allerdings nicht aus altruistischen Motiven.2001 verboten die Taliban offiziell den Anbau von Opium;die amerikanische Anti-Drogen-Behörde, die Drug EnforcementAdministration (DEA), meldete später, das Verbot seivermutlich verhängt worden, um angesichts des Uberangebotsdie Preise auf dem von den Taliban kontrollierten Heroinmarktin die Höhe zu treiben. (Als die Amerikaner in Afghanistaneinmarschierten, besaßen die Taliban nach Angabenehemaliger US-Beamter große Opiumlager.) Aufgrund der eindämmenden Maßnahmen der Taliban erreichte die afghanischeOpiumproduktion 2001 einen Tiefststand, die Produktionsmengelag bei nur vierundsiebzig Tonnen.Sobald die neue, von den Amerikanern unterstützte Regierungdie Herrschaft in Kabul übernommen hatte, schoss dieOpiumproduktion in die Höhe. Nachdem die Kontrollendurch die Zentralregierung praktisch aufgehoben worden waren,schnellten die afghanischen Produktionszahlen für Rohopiumnach den Angaben der DEA im Jahr 2002 auf 1278 Tonnen.2003 war die Produktion um mehr als das Zweifachegestiegen und verdoppelte sich im folgenden Jahr fast nocheinmal. 2004 produzierte Afghanistan 87 Prozent der Weltopiumversorgung. Ende 2004 schätzte die CIA , dass auf 206000 Hektar Mohn angebaut wurde und dass die neue Ernte Heroinim Wert von sieben Milliarden Dollar ergeben würde. »Es gibtkein anderes Land auf der Welt, in dem auf 206000 HektarDrogen angebaut werden, egal welcher Art«, meint Charles.I Heroin war der wichtigste Exportartikel Afghanistans undder Motor flir die Wirtschaft des ganzen Landes. Unter derVerwaltung der Amerikaner boomt e der Drogenhandel; esgab Berichte, dass Konvois mit sechzig Lastwagen voll bepacktmit Opium die Grenze von Afghanistan zum Iran passierten.Afghanistan war kurz davor, Kolumbien als Numme r eins derillegalen Drogenproduktion zu übertreffen.Es war unvermeidlich, dass die neue, von den USA unterstützteRegierung in Afghanistan durch den Heroinhandelkorrumpiert wurde. Obwoh l Präsident Bush Afghanistan
  147. alsungetrübte Erfolgsgeschichte pries, blieb das Etikett »Drogenstaat«an dem Land haften.2005 vermutete man in den USA, dass mindestens ein ranghohes Mitglied der afghanischen Regierun g in den Drogenhandel verwickelt war, und nach Aussage amerikanischer Beamter stand es um die regionalen Verwaltungen Afghanistans noch schlimmer, vor allem in den Hauptanbaugebieten. Amerikanischen Quellen zufolge verdienen einige regionale Beamte in Afghanistan hohe Summe n damit, dass sie für Opiumund Heroinlieferungen der Drogenhändler Wegegeld verlangen,anstatt sie zu beschlagnahmen.Da das Geld aus dem blühenden Opiumhande l überall in Afghanistankursiert, regt sich auch imme r stärker der Verdacht,dass dieselben Afghanen, die seit dem 11. September mit vielGeld oder anderweitig von der US-Regierun g unterstütztworden sind, sich jetzt entweder direkt am afghanischen Opiumgeschäft beteiligen oder mit Erlösen aus dem Drogenhandel bestochen werden.Jahrelang kursierten Gerüchte über die Beteiligung der CIA am lateinamerikanischen Kokaingeschäft. In Afghanistan greift der Heroinhandel so stark um sich, dass man ernsthaft fragenmuss, ob die CIA , das amerikanische Militär und die Bush-Adniinistrationbestimmten Personen in Afghanistan, die in denglobalen Heroinhandel verstrickt sind, nicht zu nahe standenBarnett Rubin, einer der wichtigsten Afghanistanexperten inAmerika, schrieb 2004, Rumsfeld habe sich »mit afghanischen Militärkommandeuren getroffen, die bei den Afghanen als Patendes Drogenhandels bekannt sind. Die Botschaft ist eindeutig:Helft beim Kampf gegen die Taliban, und niemand wirdsich um eure Geschäfte kümmern.«Die Politik, die stillschweigend vom Verteidigungsministeriumumgesetzt wurde (und vor allem die Regeln, die den Einsatzder amerikanischen Truppen betreffen, die so genannten Rulesof Engagement, ROE), trug sicher nicht dazu bei, einen derartigenVerdacht zu zerstreuen. Die Vorschriften des Pentagonfür das Vorgehen der amerikanischen Truppen in Afghanistanlauteten, dass USSoldaten, wenn sie Drogenlieferungen oder Drogenvorräte entdeckten, diese zerstören »können«; die Vorschriftunterscheidet sich erheblich von der strengen Anweisung,dass amerikanische Truppen sämtliche Drogen, die entdeckt werden, zerstören müssen. Die permissive Richdinie warein Zeichen dafür, dass der Kampf gegen Drogen keine Priorität hatte. Amerikanische Kommandeure hatten vor Ort durchausdie Option, Drogenlieferungen ungehindert passieren zulassen, vor allem, wenn die Drogen den Schutz eines afghanischenWarlords genossen, den die USA nicht gegen sich aufbringenwollten.2003 wurde berichtet, dass amerikanische Soldaten in AfghanistanOpiumlager ignorierten, wenn sie
  148. zufällig daraufstießen. Mark Schneider, Vizepräsident der gemeinnützigen International Crisis Group, sagte, bei einer Reise nach Afghanistanim November 2003 habe er von amerikanischen Militärkommandeuren und Mitarbeitern des Außenministeriums erfahren,dass sie über die Rules of Engagement frustriert seien.178 Ein Mitglied der Green Berets, das in Afghanistan stationiertwar und mittlerweile aus dem Militär ausgeschieden ist, sagtebei einem vertraulichen Gespräch, die US-Kommandeure inden Einsatzgebieten seien viel direkter. Er sei ausdrücklich angewiesenworden, Heroin und Opium zu ignorieren, wenn erund seine Einheit auf Patrouille Drogen entdeckten.Der Drogenhandel fand praktisch direkt unter den Augendes amerikanischen Militärs statt. »In einigen Fällen wurdendie Drogen vernichtet, in anderen nicht«, beschwert sichCharles. »Rumsfeld wollte nicht, dass Drogen zur Hauptaufgabewürden.«Noch beunruhigender als die zweideutigen Richtlinien wardie Tatsache, dass die USA geheimdienstliche Informationenüber die Standorte der wichtigsten Heroinlabors und -lagervor allem in Südostafghanistan besaßen und dennoch nichtsdagegen unternahmen. Erneut weigerte sich das Pentagon,eine Bombardierung anzuordnen, obwohl Charles und andereBeamte davon überzeugt waren, dass die Zerstörung der Labors und Nachschubwege erhebliche Auswirkungen auf denafghanischen Opiumhandel haben würde.Dafür, dass Angriffe auf die Infrastruktur den Drogenhandelin Afghanistan schwächen würden, spricht das folgende Beispiel:Im Januar 2004 forderte ein britisches Sondereinsatzkommandoeinen Luftschlag mit einem A-10-Jet der U.S. Air Forcegegen ein Drogenlabor an. Der dabei entstandene Schadentrieb die Heroinpreise rasch um fünfzehn Prozent in die Höhe.(Es ist unklar, ob die amerikanischen Kommandeure zumZeitpunkt des Einsatzes wussten, dass das Ziel des Bombenangriffsein Drogenlabor war, allerdings folgten darauf keine weiteren Bombardierungen von Drogenfabriken.)»Wir erhielten regelmäßig Berichte über die Standorte derLabors«, berichtet Charles. »Es waren nicht sehr viele. Innerhalb einer Woche hätten wir sämtliche Labors und Lagerhäuser in den drei wichtigsten Drogenprovinzen zerstören können:Helmand, Nangarhar und Kandahar. Ich sagte den Kommandeuren der Einheiten immer wieder: Ihr müsst doch sehen,dass euch das bei lebendigem Leib auffrisst; wenn wir bis 2006nichts dagegen unternehmen, werden wir in Afghanistan vielmehr Soldaten brauchen.«Um seinem Argument Nachdruck zu verleihen, bat Charlesdie CIA um eine Analyse, wohin das Drogengeld in Afghanistanfloss. Die Antwort war beunruhigend. Die CIA teilteCharles mit, dass ein Teil der Gewinne aus dem
  149. Drogenhandelwahrscheinlich an die Islamische Bewegung Usbekistans ging,eine mit AlQaida verbundene Gruppe, außerdem an dieHisb-i-Islami des Islamisten und afghanischen Ex-PremiersGulbuddin Hekmatyar sowie an die Taliban und vermutlichauch an AlQaida selbst. Die Verbindungen zwischen Drogenhandelund Terrorismus, die das Pentagon nicht wahrhabenwollte, waren real und nahmen zu, und sie trugen eindeutigzur wachsenden Guerillaaktivität in Afghanistan bei. »Die Verbindungenwaren vorhanden«, erklärt Charles.Während des gesamten Jahres 2004 wurden Charles' Befürchtungenvom Pentagon und vom Weißen Haus beiseite geschoben,doch er gab nicht nach, und am Ende des Jahres drängten er und sein Team im Außenministerium immer noch auf einumfassendes Antidrogenprogramm in Afghanistan. Besondersumstritten war sein Vorschlag, die afghanischen Mohnfelderaus der Luft zu besprühen, ein aggressiver Plan, dem das Pentagon widersprach, weil es befürchtete, er könnte gewalttätige antiamerikanische Ausschreitungen provozieren. Charleswusste, dass die Afghanen strikt gegen solche Sprüheinsätze waren; Gerüchte, die USA besprühten heimlich die Felder inAfghanistan, hatten auf dem Land Proteste ausgelöst und zahlreiche Verschwörungstheorien gedeihen lassen. Doch Charlesglaubte, die USA würden (wie schon in Kolumbien) in AfghanistanUnterstützung für ihre Maßnahmen finden, wenn sie ineiner Aufklärungskampagne die Gründe für das Besprühen derFelder erklärten und gleichzeitig Hilfe für eine alternative180 landwirtschaftliche Entwicklung anboten. Er war bereit, miteinem Team von Wissenschaftlern nach Kabul zu reisen undder Regierung Karsai zu zeigen, dass das Pflanzengift Glyphosatin niedriger Konzentration bedenkenlos und effektiv ausder Luft versprüht werden konnte, ohne die Gesundheit derMenschen zu gefährden. Er versuchte auch eine Konferenzmit fünfhundert führenden afghanischen Mullahs zu organisieren,um sie zur Unterstützung einer Kampagne zu bewegen,bei der über die Gefahren von Heroin aufgeklärt und um Unterstützung für die Sprüheinsätze geworben werden sollte.Doch der amerikanische Botschafter Zalmay Khalilzad warzusammen mit Rumsfeld und dem stellvertretenden VerteidigungsministerPaul Wolfowitz gegen ein aggressives Antidrogenprogrammund blockierte wiederholt die Bemühungenvon Charles in Kabul. Charles war schließlich davon überzeugt,dass Karsai nur Einwände gegen die Antidrogenmaßnahmen erhob, weü er von Rumsfeld und Khalilzad unterDruck gesetzt wurde.Charles setzte sich auch für ein konsequenteres Drogenverbotein - aber das bedeutete, dass das Verteidigungsministeriumseine Richtlinien für die amerikanischen
  150. Kommandeurein Afghanistan ändern musste. Das Pentagon sollte das amerikanischeCentral Command, das für die militärischen Operationenin Afghanistan zuständig war, anweisen, bei Einsätzen Drogenlabors sowie Lager-und Produktionsgebäude zu zerstören. Die bürokratischen Kräfte im Pentagon waren immer nochgegen Charles aufgestellt, als Powell nach der Wahl zu einerSitzung des Kriegskabinetts ins Weiße Haus kam, um dem Präsidenten die Zustimmung zur Antidrogeninitiative des Außenministeriumsabzuringen. Bobby Charles verfolgte auf einerHinterbank im überfüllten Situation Room des Weißen Hauses,wie Powell eine seiner letzten Schlachten in der RegierungBush focht. Präsident Bush schien aufmerksam zuzuhören, als Powell eloquent die wachsende Bedrohung durch den Drogenhandelund die Vorschläge des Außenministeriums zur Bekämpfungdes Problems darlegte. Bush nahm sich Powells Ausführungenoffenbar zu Herzen, er wirkte aufrichtig beunruhigt darüber,dass der Heroinhandel zu einem derart massiven Problem gewordenwar. Er gab zustimmende Kommentare ab, als Powellfür die Vernichtung des Mohns aus der Luft plädierte und vorschlug,das Militär brauche neue Einsatzvorschriften. Powellbetonte, man müsse schnell handeln, weil es von entscheidenderBedeutung sei, dass die USA ihren mühsam errungenenSieg in Afghanistan nicht wieder aufs Spiel setzten.Bush stimmte Powell nicht nur zu, sondern erklärte eindringlich,er sei entschlossen, »kein weiteres amerikanischesLeben für einen Drogenstaat zu opfern«, und er betonte, es seieine vordringliche Aufgabe der USA, die Mohnernte zu zerstären. Charles war erstaunt und begeistert, als er Bushs Worte hörte;dass der Präsident die Bezeichnung »Drogenstaat« verwendete,die er in der Öffentlichkeit nie gebraucht hätte, verblüffteihn besonders. Die unverblümte Sprache bewies ihm, dassBush verstanden hatte, was auf dem Spiel stand. Charles hatteden Eindruck, mit einem Schlag sei die sich schon so langehinziehende Debatte mit dem Pentagon gewonnen; schließlich hatte der Präsident gerade gesprochen und dem afghanischenOpium ausdrücklich den Kampf angesagt.Doch Charles musste zu seiner großen Enttäuschung baldfeststellen, dass der Präsident der Vereinigten Staaten nicht immerdas letzte Wort in der BushAdministration hatte. Charlessollte etwas entdecken, was Powell bereits wusste: Rumsfeldund seine Getreuen betrachteten Direktiven des Präsidenten nur als Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen.Mehrere ranghohe Mitglieder der Administration bestätigen, dass Rumsfeld immer wieder Entscheidungen einfachignorierte, die der Präsident in Anwesenheit seines Kriegs-182 lcabinetts getroffen hatte. Condi Rice, die eigentlich die
  151. Arbeitder Ministerien koordinieren und für einen reibungslosenAblauf sorgen sollte, war entweder nicht bereit oder nicht inder Lage, Rumsfeld im Zaum zu halten; der Verteidigungsministerkonnte fast nach Belieben seine eigene Außenpolitik betreiben. Rumsfeld setzte dazu mit Erfolg eine passiv-aggressive Taktikein, bei der er eine unendliche Reihe von Fragen und Bedenkenzu einem Vorschlag einbrachte, ohne direkt zu sagen,dass er dagegen war. Wenn bei einer Sitzung eine Entscheidunggetroffen wurde, die ihm gegen den Strich ging, arrangiertener und seine Assistenten einfach eine weitere Sitzungmit anderen Regierungsbeamten. Dieser Vorgang wurde solange wiederholt, bis sich die Ansicht des Verteidigungsministersdurchsetzte. Rumsfeld hatte Erfolg, indem er seine Gegnerin der Regierung und der Verwaltung müde machte und sichweigerte, ein Nein zu akzeptieren, selbst wenn es der Präsidentaussprach. Das unterschied Rumsfeld von Powell, der den Fehlerbeging, nach den Regeln zu spielen.Schon wenige Wochen nach der Sitzung des Kriegskabinettsim November 2004, bei der Bush so enthusiastisch dem Vorschlagdes Außenministeriums zu Antidrogenmaßnahmen inAfghanistan zugestimmt hatte, musste Charles erfahren, dassder Plan gestorben war.Bei der Sitzung des Kriegskabinetts hatte Rumsfeld, derüber eine abhörsichere Videokonferenzschaltung zugeschaltetwar, wiederholt Einwände erhoben. Als diese den Präsidentennicht überzeugten, setzten Rumsfeld und seine Verbündetendie Debatte nach der Sitzung hinter dem Rücken der anderenfort. Im Dezember 2004, als Colin Powell Vorbereitungen traf,aus der Regierung auszuscheiden, und das Außenministeriumpraktisch führungslos war, schlugen Rumsfelds Anhänger zu.Charles erfuhr, Khalilzad habe ein Gespräch unter vier Augenmit Bush geführt, bei dem er dem Präsidenten gesagt hatte, als Botschafter benötige er Handlungsspielraum zur Regelung des183 Drogenproblems. Bush stimmte zu und sagte, er wolle nur, dassdas Problem behoben werde; unausgesprochen blieb dabei dieTatsache, dass so gut wie nichts unternommen werden würde,wenn man Khalilzad freie Hand ließ.Bush setzte der von Rumsfeld geführten Opposition keinen Widerstand entgegen. Die aggressive Sprühkampagne aus der Luft wurde zugunsten einer eher symbolischen »Vernichtung am Boden« aufgegeben, eine Aktion, die sich darin erschöpfte,dass eine Gruppe Afghanen ein paar hundert Morgen Mohnfelder umpflügte. Von der Ernte wurde so gut wie nichts zerstört.Mitte 2005 begann das amerikanische Militär endlich mit Angriffen auf so genannte Drogenziele, doch das neue Vorgehenschien kaum Auswirkungen auf den Heroinhandel zu haben.Die afghanischen
  152. Drogenbosse machten unter dem Central Command der USA sehr gute Geschäfte.Die Rebellen waren mit dem Geld aus dem Drogenhandel finanziell gut ausgestattet. Die Folge: Im Sommer 2005 erreichten die Unruhen in Afghanistan den höchsten Stand seit dem Einmarsch der Amerikaner vier Jahre zuvor. Regelmäßig wurde berichtet, dass die Rebellen, eine verwirrende Mischungaus Taliban, AlQaida-Anhängern und anderen Gruppen,überraschend gut bewaffnet und ausgerüstet waren - einBeleg dafür, dass sie über ausreichend Geld verfugten. Die RegierungBush hatte sich in Afghanistan die Illusion von Stabilität erkauft zum Preis von Heroin im Wert von MilliardenDollar, gezahlt auf den Drogenmärkten Europas und der VereinigtenStaaten.Das mangelnde Interesse der Regierung Bush an der Bekämpfung des afghanischen Heroinhandels wird auch am Beispieleines der seltsamsten Ereignisse in der Zeit nach dem 11. Septemberdeutlich: der Verfolgung und Gefangennahme vonHaji Bashir Noorzai, dem wichtigsten Drogenboss Afghanistansin der Talibanära.In den neunziger Jahren sah Noorzai zu, wie die von Bauern angeführte und von Pakistan finanziell unterstützte Bewegungder Taliban in Afghanistan immer mehr an Einfluss gewann.Wo andere ein Anwachsen des islamischen Extremismus fürchteten,witterte er gute Geschäfte. Noorzai, Mitglied eines gro-ßen und ausgedehnten Familienclans, entwickelte ein enges Verhältnis zu dem jungen Talibanführer und islamischen FundamentalistenMullah Omar. Dank Omar errang Noorzai einedominierende Position im afghanischen Opiumhandel. Er unterhieltauch enge Beziehungen zu AlQaida und zum pakistanischenGeheimdienst und spielte über kurz oder lang eine gefährliche, aber sehr lukrative Rolle an der Schnittstelle zwischenden Taliban und der Außenwelt.Dieses Arrangement funktionierte für Noorzai ausnehmendgut - bis zum 11. September. Als die Taliban gestürzt wurden,verlor Noorzai seine wichtigsten Beschützer. Kurz vor derNiederlage Ende 2001 vertraute Mullah Omar amerikanischenQuellen zufolge Noorzai zwanzig Millionen Dollar an, Geldder Taliban, das er aufbewahren sollte, während sich Omarund die anderen Talibanführer aus dem Staub machten.Dann ging Noorzai ein hohes Risiko ein und ergab sich demamerikanischen Militär in Afghanistan; nach Angabe von Informantenwurde er Ende 2001 festgenommen und verhört.Doch die Amerikaner setzten den mächtigsten afghanischen,weltweit gesuchten Drogenboss nach einigen Tagen wiederauf freien Fuß.Nach seiner Freilassung wurde einer seiner Geschäftspartnerbei einer Razzia der Amerikaner getötet, was Noorzai einen gehörigen Schrecken einjagte. Er
  153. tauchte unter. Heute scheintklar, dass er sich frei in Pakistan bewegte, wo er Drogenlaborseingerichtet hatte, und dass er auch problemlos im Nahen Ostenumherreisen konnte. Amerikanischen Quellen zufolgeentdeckte man später, dass er von pakistanischen Geheimdienstoffiziereneinen Pass erhalten hatte.Noorzai passte sich den neuen Verhältnissen nach dem Sturz der Taliban an und pflegte Beziehungen zu einigen einflussreichen Persönlichkeiten im neuen Afghanistan; Informanten zufolge,die mit Noorzais Fall vertraut sind, gehörten dazu auch Personen, die enge Verbindungen zur amerikanischen Regierungunterhielten.Aber Noorzai kam nicht zur Ruhe , er fürchtete immernoch, dass die USA irgendwann nach ihm fahnden würden.Daher erklärte er sich 2004 zu geheimen Unterredungen bereit,bei denen ein Deal mit den Amerikanern besprochenwerden sollte.Wie amerikanische Quellen berichten, arrangierte ein speziellesTeam, das im Auftrag des FBI handelte, das erste Treffenin der pakistanischen Stadt Peschawar. Die an Noorzai gerichteteBotschaft der Amerikaner war simpel: Du kannst immerweiter fliehen, oder du kannst mit uns zusammenarbeiten. Kooperiereund erzähle uns, was du über den afghanischen Drogenhandel,AlQaida, die Taliban und ihre Finanziers weißt.Noorzai schien kooperationsbereit und erklärte sich einverstanden,zu Verhandlungen über ein Abkommen in die ArabischenEmirate zu reisen. Allerdings traute er den Amerikanernnicht; die Zwischenhändler, die den Kontakt zwischen Noorzaiund den Amerikanern hielten, mussten Verwandte als Geiselnstellen, die von Noorzais Leuten festgehalten wurden.Wäre Noorzai bei seinen Gesprächen mit den Amerikanernetwas zugestoßen, wären die Geiseln getötet worden. »Es warsehr schwierig, das zu arrangieren«, sagte ein amerikanischerInformant mit bemerkenswertem Understatement.Doch die BushAdministration war durch den Irak so abgelenkt und hatte offenbar so wenig Interesse am afghanischenDrogenhandel , dass sie nicht einmal aktiv wurde, als unverhofftein gesuchter afghanischer Drogenboss auftauchte undbereit war auszupacken. Während Noorzai im Herbst 2004 ineinem Hotel in den Arabischen Emiraten mit Mitgliedern desverdeckten amerikanischen Ermittlerteams wartete, hätte eigentlicheine FBIDelegation hinfliegen und mit ihm verhandelnmüssen. Doch die FBI-Agenten trafen nie ein, und so konnten die Gespräche nicht stattfinden. Die lokale CIA -Starionin den Vereinigten Arabischen Emiraten habe sich derartauf den Krieg im Irak konzentrieren müssen, erklärten Informanten,die mit dem Fall vertraut sind, dass sie Noorzai keineBeachtung schenkte.Die Operation fiel in sich zusammen. Noorzai stand sich inden Vereinigten Arabischen Emiraten
  154. praktisch die Beine inden Bauch und wartete vergeblich auf das FBI. Schließlichwurde er misstrauisch und fürchtete, dass man ihn hereinlegenwolle. Die Amerikaner, die mit ihm warteten, sagten ihm dieWahrheit: Washington sei zu sehr mit dem Irak beschäftigt.Also machte sich Noorzai klammheimlich aus dem Staub. Erhatte immer noch mächtige Freunde, darunter auch Mitarbeiterdes pakistanischen Geheimdienstes, und so konnte er sicherneut in Luft auflösen.»Wir lassen einen der großen Drogenbosse ziehen, einen,der AlQaida finanziert hat und der uns helfen könnte, sämtlicheFinanziers von Al Qaida in der Golfregion zu identifizieren«,klagte ein amerikanischer Informant. »Das war wirklicheine verpasste Gelegenheit. Wenn die Amerikaner wüssten,was da ablief, würden sie ausrasten.«Sechs Monate später, im Frühjahr 2005, fand das amerikanischeSonderermittlerteam mit Unterstützung der Drug EnforcementAdministration (DEA) eine Möglichkeit, wiederKontakt zu Noorzai aufzunehmen. Erneut einigte man sichauf ein Treffen. Die Amerikaner baten Noorzai, in die USA zu 0kommen, um ein Abkommen auszuhandeln, und zur berraschungaller, die mit dem Fall befasst waren, stimmte er zu.Noorzai flog mit einer ganz gewöhnlichen Linienmaschinenach New York, wo er von Agenten des FBI empfangen wurde.Die BushAdministration war so verblüfft, dass Noorzai tatsächlich in die USA gereist war, dass man dort nicht so rechtwusste, was man mit ihm anfangen sollte. Anstatt ihn sofortzu verhaften, brachten ihn das FBI und die DEA in einem Ho -tel unter, wo Beamte mehrere Tage mit ihm verhandelten.187 Noorzai befand sich in einer rechtlichen Grauzone, und seineAnwesenheit in den USA wurde geheim gehalten.Da die Gespräche mit Noorzai nur schleppend vorankamen,verlor die Regierung schließlich die Geduld und beschloss, ihnverhaften zu lassen. Bei einer Pressekonferenz im April 2005wurde seine Festnahme verkündet, allerdings wurde den verwirrtenJournalisten nicht erklärt, wie ein gesuchter afghanischerDrogenboss nach New York City gelangt war.Im Sommer 2005 befand sich Noorzai in Haft und packteaus, doch nach wie vor bleibt die Frage bestehen, ob die RegierungBush wirklich hören wollte, was er zu sagen hatte, vorallem über die Beteiligung mächtiger Afghanen und Pakistanis am Heroinhandel.2005 verschärfte sich die durch den Drogenhandel angeheizteGewalt, und die Zahl der gefallenen Amerikaner in Afghanistanstieg. Die eigentliche Tragödie war, dass Afghanistan immer noch nur als Nebenschauplatz galt. Fast vier Jahre nachdem 11. September waren die militärischen Operationen derAmerikaner in Afghanistan mehr darauf gerichtet, die RegierungKarsai zu stützen, als gegen den globalen
  155. Terrorismus zukämpfen. Schlimmer noch, die Jagd auf Osama Bin Laden, dieursprüngliche Begründung für die amerikanische Präsenz inAfghanistan, war praktisch zum Erliegen gekommen.Der Grund war so einfach, dass niemand darüber sprach.Die USA hatten Zehntausende Soldaten im Irak und in Afghanistanstationiert, aber Bin Laden hielt sich in keinem der beiden Länder auf. Er lebte in Pakistan, und zwar schon seit Dezember2001. Der meistgesuchte Mann der Welt saß sicher aufder anderen Seite der Grenze und heckte neue Anschläge gegenden Westen aus.Der schnelle Fall von Kabul und die Vertreibung der Talibanund AlQaida-Kämpfer im Winter 2001 verschafften Amerikanur zwei Monate nach den verheerenden Anschlägen vom 11. September ein dringend benötigtes Siegesgefühl. Die Erfolgeschienen von einer neuen Form des Kriegs zu künden,einem Krieg, in dem nur wenige konventionelle amerikanischeTruppen gebraucht wurden.Tatsächlich verliefen die amerikanischen Operationen nichtso glatt, wie es im Fernsehen dargestellt wurde. Nach Angabeamerikanischer Quellen machte der amerikanische GeheimdienstOsama Bin Ladens Aufenthaltsort in den Wochen zwischendem 11. September und dem Beginn der BombardierungenAfghanistans im Oktober 2001 ausfindig, bevor derTerroristenführer in die Berge von Südostafghanistan floh, woer viel schwieriger aufzuspüren war. Doch das amerikanische Militär war zu einem Schlag gegen ihn noch nicht bereit. Esbereitete einen Plan für Luftschläge gegen Afghanistan vor,der nicht flexibel genug war, den unerwarteten Glücksfall auszunutzen.Die Gelegenheit, Bin Laden zu töten, verstrich ungenutzt. Der Feldzug gegen Afghanistan verzögerte sich außerdem aufgrund von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der RegierungBush, bei denen es um die Frage ging, inwieweit dieNordallianz unterstützt werden sollte, die afghanischen Rebellen,die seit Jahren gegen die Taliban kämpften. Die Nordallianzwurde von Tadschiken dominiert, einer ethnischen Minderheitim Norden Afghanistans. Einige amerikanischeBeamte fürchteten daher, dass die paschtunische Bevölkerungsmehrheit im Süden bei einer Einnahme Kabuls durchdie Nordallianz mit einem weiteren Bürgerkrieg reagierenwürde. Weiter wurde befürchtet, dass sich Pakistan, das diePaschtunen unterstützte, gegen eine tadschikische Dominanzin Kabul wenden würde. Während sich diese Debatte in Washingtonhinzog, waren die amerikanischen Bomber angewiesen,sich auf Ziele der afghanischen Infrastruktur in Kabul undanderen Städten zu konzentrieren, weit entfernt von denSchlachtfeldern im Norden. Dadurch blieb die Front der Talibanrelativ unversehrt. Laut
  156. First In, einem kür/lieh erschienenen Buch von (#aryG. Schroen, der nach dein 11, September das erste CIA -Teamin Afghanistan leitete, glaubten die Strategen an folgendes Szenario:Wenn das Taliban regime geschwächt war, bevor ihre Truppen an der Front geschlagen wurden, würden sich vielleichtdie Paschtunen im Süden erheben und Kabul einnehmen,bevor die Nordallianz durchbräche. Die eingeschränkten Luftangriffe verzögerten das Vordringen der Nordallianz undgaben den Anführern von AlQaida zusätzlich Zeit, ihreFlucht vorzubereiten.Sobald jedoch die Talibanfront direkt bombardiert wurde,zuerst an einer Schlüsselstelle, der nördlichen Stadt Masari Scharif,kam es zu spektakulären Erfolgen, die jeder weiterenDebatte ein Ende setzten. Die Nordallianz brach rasch nachKabul durch, und die Taliban lösten sich in Luft auf. Bin Ladenund die berreste seiner Organisation konnten sich jedoch bisin die relativ sicheren alten Al-QaidaAusbildungslager in densüdostafghanischen Bergen durchschlagen.Im Rückblick ist heute offensichtlich, dass der Dezember2001 der Moment war, an dem die Strategie der RegierungBush im globalen Krieg gegen den Terror zerfaserte. Die Talibanwaren auf der Flucht und Bin Laden und der harte Kernvon AlQaida in die Enge getrieben, nachdem sie sich in den»Weißen Bergen« bei Tora Bora dicht an der pakistanischenGrenze verschanzt hatten.Doch das Pentagon sandte nicht genügend Soldaten, umdas Gebiet auf beiden Seiten der Grenze abzuriegeln. GeneralTommy Franks, Chef des U.S. Central Command und Oberbefehlshaberder USTruppen in Afghanistan, wurde vonRumsfeld unter enormen Druck gesetzt, die Zahl der USSoldatenim Land möglichst gering zu halten, wie aus demkürzlich erschienenen Buch Not a Good Day to Die des amerikanischenJournalisten Sean Naylor hervorgeht, das sich mitder ersten Phase des Kriegs befasst. Folglich fehlten Frankskonventionelle Truppen, die er zur Kontrolle von Bin Laden190 benötigte. Stattdessen vertrauten die USA beim Angriff aufTora Bora auf die Männer des lokalen paschtunischen WarlordsHasrat Ali. Sie wurden von amerikanischen SpecialForces und paramilitärischen Truppen der CIA begleitet undvon amerikanischen Flugzeugen aus der Luft unterstützt,doch diesmal funktionierte die Kombination aus amerikanischenEliteeinheiten, Luftwaffe und einheimischen Truppennicht. Bin Laden entkam.CIA Beamte sind heute davon überzeugt, dass die Leute vonHasrat Ali Osama Bin Laden und seine wichtigsten Getreuenaus Tora Bora entkommen ließen. »Wir erkannten, dass die Jungs dort einfach die Tür aufhielten. Es war kein großes Geheimnis«,erklärte ein CIA Mitarbeiter.Seit damals versteckt sich Bin Laden auf der pakistanischen Seite der Grenze und hat diese
  157. abgelegene Region nach Ansichtamerikanischer Geheimdienstbeamter nie verlassen.Die Regierung Bush hat Hasrat Ali nie öffentlich beschuldigt,er habe Bin Laden entkommen lassen, doch CIA -Beamtenzufolge gab es bei der Agency eine Auseinandersetzungdarüber, ob man den Warlord von der neuen afghanischen Re -gierung verhaften lassen sollte. Der Plan wurde jedoch verworfen,stattdessen wurde Hasrat Ali unter amerikanischer Besatzungzum starken Mann der Provinzhauptstadt Dschalalabadin Ostafghanistan.Anfang 2002 hatte AlQaida den Schwerpunkt nach Südwasiristanverlagert, was flir das amerikanische Militär und dieGeheimdienste in Afghanistan frustrierend war, weil strengeVorschriften sie daran hinderten, AlQaida-Mitglieder jenseitsder Grenze zu verfolgen. Die Pakistanis meinten es todernstmit ihrer Weigerung, die amerikanischen Truppen ins Landzu lassen. Green Berets, die in Südostafghanistan stationiertwaren, berichten von einer Reihe schwerer Zusammenstöße,sogar von Schusswechseln zwischen amerikanischen und pakistanischenSoldaten entlang der Grenze. Beide Seiten habendiese Vorfälle größtenteils vertuscht.191 Doch zu Beginn des Jahres 2002 erkannte man im WeißenHaus offenbar, dass es an der Zeit war, auf den anfanglichen Erfolgin Afghanistan eine erbitterte Jagd auf AlQaida folgen zulassen. In Afghanistan selbst sollten CIA und Special Forcesweiterhin gemeinsam Druck auf die versprengten TalibanundAl-Qaida-Mitglieder ausüben. CIA und Special Forceshatten schon erfolgreich die Nordallianz bei der Vertreibungder Taliban im Herbst und Winter 2001 unterstützt. Es galt alsentscheidend, dass die Teams auch im Frühjahr 2002 vor Ortwaren, wenn das Wetter wieder besser wurde und die traditionelleafghanische Kampfsaison begann.Eng verknüpft mit dieser Strategie war ein innovativer Plan,der der CIA bei der Jagd auf AlQaida-Mitglieder in Pakistanhelfen sollte. Die CIA wollte achtzig Millionen Dollar für dieGründung eines afghanischen Geheimdienstes als Teil der neuenafghanischen Regierung ausgeben; es sollte ein Spionagedienstmit afghanischen Mitarbeitern sein, in Wirklichkeitaber ein hundertprozentiges Tochterunternehmen der CIA .Ein einheimischer Geheimdienst, der in Kabul stationiert warund Befehle der Amerikaner entgegennahm, würde eine wertvollePlattform für den Kampf gegen AlQaida sowohl in Afghanistanals auch im benachbarten Pakistan darstellen. Für dieMitarbeiter des afghanischen Geheimdienstes, so die Uberlegung,wäre es einfacher als für Amerikaner, heimlich überdie Grenze nach Pakistan zu schlüpfen, sich unter die Einheimischenzu mischen und Informationen über AlQaida-Mitgliederzu sammeln, die sich in Pakistan versteckt hielten.Doch
  158. diese Pläne zerschlugen sich, als die Regierung Bushim Frühjahr 2002 ihr Hauptaugenmerk auf den Irak richtete.Bin Laden erhielt dadurch eine Atempause, die er dringend benötigte. Die Finanzierung des neuen afghanischen Geheimdiensteswurde mehrmals verschoben, gleichzeitig wurden dieSpecial Forces abgezogen, damit sie sich auf den Irak vorbereitenkonnten. - ^AlQaida war Anfang 2002 in schwerer Bedrängnis; ranghohe Mitglieder, die später gefasst wurden, berichteten, die Heftigkeitdes amerikanischen Gegenangriffs nach dem 11. Septemberhabe Bin Laden überrascht. Doch in dem Moment,als AlQaida besonders verletzlich war, ließ der Druck derAmerikaner nach, und der Kern von AlQaida überlebte. Die USA fassten oder töteten über zwei Drittel der führenden Mitgliedervon AlQaida, schafften es aber nicht, die Organisationendgültig zu zerschlagen.Während die Regierung Bush ihre Aufmerksamkeit demIrak zuwandte, waren »die Diskussionen über Afghanistan festgefahren«,wie es ein ehemaliger Mitarbeiter des NSC formulierte.»Das habt ihr jetzt, mehr gibt es nicht. Keine zusätzlichen Missionen, keine zusätzlichen Leute, keine zusätzlichen Dollars.« Der ehemalige NSC Beamte weiter: »Die Sitzungenzu Afghanistan lassen sich am besten mit einem Kommentarbeschreiben, den Doug Feith bei einer Diskussion abgab. Ersagte: >Wir haben den Krieg gewonnen, jetzt müssen anderefür Afghanistan die Verantwortung übernehmen^ Er meintedamit, dass sich andere Staaten um den Wiederaufbau und umOperationen zur Sicherung der Stabilität kümmern sollten... Wenn man das Thema Afghanistan anschnitt, sprachman darüber, was wir unerledigt gelassen hatten.«Im Dezember 2002 traf sich Bush mit seinen Beratern, umüber den Stand des Kriegs gegen den Terror zu sprechen. EinTeilnehmer der Sitzung auf Kabinettsebene erinnerte sich, dassmehrere ranghohe Regierungsmitglieder, darunter Tenet,Rice und Wolfowitz, ihre Besorgnis über die Fähigkeit von Terroristen im Stil von AlQaida zum Ausdruck brachten, aufbreiter Basis in der islamischen Welt Anhänger zu rekrutieren und Unterstützung zu finden. Besaßen die USA eine Strategiegegen das Wachstumspotenzial des islamischen Extremismus?»Der Präsident tat ihre Einwände ab und sagte, das werde derSieg im Irak schon regeln. Die Anwesenden nahmen seine Bemerkungeinfach hin«, berichtete der Teilnehmer. 2003 erkannte die Regierung Bush endlich, dass sie die Tatsache,dass Bin Laden immer noch frei herumlief, nicht einfachignorieren konnte, und sei es allein deshalb, weil der Terroristein peinliches Thema in der zweiten Wahlkampagne des Präsidenten war. Ende 2003 richtete die CIA mit der heimlichenZustimmung der pakistanischen
  159. Regierun g eine Reihe versteckterStützpunkte in Pakistan ein, von denen aus die Jagdauf Bin Laden fortgesetzt werden sollte. Doch das pakistanische Militär und der Geheimdienst erlegten den CIA Offizieren inden getarnten Stützpunkten strenge Beschränkungen auf, sodasssie auf pakistanischem Gebiet nicht frei agieren konnten.Die CIA Offiziere durften sich in dem zerklüfteten Grenzgebietnur mit einer pakistanischen Sicherheitseskorte und unterstrenger Beobachtung der pakistanischen Behörden bewegen,wodurch es für die Amerikane r praktisch unmöglich war, beiden Stämmen an Pakistans Nordwestgrenz e effektiv Informationenzu sammeln.Zu der Zeit hatte sich AlQaida zu einer viel gefährlicheren Organisation entwickelt, als sie vor dem 11. September gewesenwar; sie war eine Art Markenname geworden, der Nike desislamistischen Terrorismus. Inspiriert, aber nicht immer geführtvon Bin Laden, nannten sich neu e Generationen islamischerExtremisten in Europa, Asien un d dem Nahen Ostenselbst AlQaida. Ohn e den staatlich geforderten Zufluchtsortin Afghanistan wurde die Organisation von AlQaida dezentraler,wie eine Fast-Food-Kette mit mehreren regionalenFranchise-Ablegern, die im Name n von AlQaida handelten,aber nicht direkt Befehle von Bin Laden empfingen.Dieser neuen, horizontal strukturierten AlQaida-Organisationmangelt es an Raffinesse, sie meint es aber dennoch tödlich ernst. Die blutigen Anschläge in Madrid 2004 und in London2005 zeigten das wahre Gesicht des Terrorismus nach dem11. September: kleine, lokale Zellen, die einfache Anschläge mittlerer Größe gegen leicht zugängliche zivile Ziele durchführen. 194 In gewisser Weise ist dieses neue Muster eine Folge der amerikanischenBemühungen im Kampf gegen den Terror. AlQaidaist anscheinend nicht mehr stark genug, noch einmal Anschläge im Stil des 11. September zu verüben, obwohl BinLaden einen weiteren »spektakulären« Angriff angekündigthat. Die Lage zwingt AlQaida, sich auf konventionellere Formendes Terrorismus zu beschränken Autobomben und kleine Sprengstoffpakete, die in Bussen und Zügen zurückgelassenwerden.Die große Frage, die George W. Bushs zweite Amtszeit dominierenwird, ist die Rolle des Irakkriegs im allgemeinen Krieggegen den Terror la Al Qaida. Dieser Krieg ist ein Guerillakonflikt mit vielen Fronten im Irak, in Afghanistan und anderen Ländern. Viele der Kämpfer, die amerikanischen Soldaten gegenüberstehen,sind Saudis, und sie werden wahrscheinlich einmalnach SaudiArabien zurückkehren dem Geburtsort von Al Qaida.Dort können sie ihren Heiligen Krieg in einem Landfortsetzen, dem erst allmählich die Gefahr bewusst wird, die eine von Al Qaida verkörperte virulente Form des
  160. islamischenExtremismus birgt. 8 Die verdrängte Realität: Ol, Terrorismus und Saudi-ArabienBeim FBI ist eine treffende Bezeichnung im Umlauf für die persönlichen Gegenstände, die einem Verdächtigen bei der Festnahme abgenommen werden: »pocket litter« »Taschenmüll«.Was ein Straftäter - oder ein Terrorist - bei seiner Ergreifung bei sich trägt, kann von großer Bedeutung sein. Brieftasche, Führerschein,Reisepass, Tickets, Notizen, Fotos, Speichermedien-alles kann wichtige Hinweise daraufliefern, was der Verdächtige vor der Festnahme getan hat und was er vorhatte.Was man in den Taschen von Abu Subaida bei seiner Ergreifungin Pakistan im März 2002 fand, war ein Volltreffer - und äußerst aufschlussreich. Subaida war der erste hochrangige Al Qaida-Führer,der nach dem 11. September gefasst werdenkonnte. Bei sich trug er zwei Karten für Bankautomaten, eineausgestellt von einer Bank in Kuwait, die andere aus SaudiArabien.Damit war klar, dass Subaida, einer von Osama BinLadens Stellvertretern, Zugriff auf Konten bei fuhrenden Bankender Golfregion hatte, und das wahrscheinlich auch schonvor dem 11. September. Der Fund war spektakulär. Ein an der Festnahme beteiligter Amerikaner ist der Ansicht, Subaida seider einzige Al Qaida-Führer, bei dem man je derart greifbareBeweise für die Nutzung moderner Bankkonten gefunden habe.Die Anfuhrer von AlQaida haben die für ihre Vorhaben nötigen Finanztransaktionen praktisch ausschließlich über dasalte islamische Uberweisungssystem Hawala abgewickelt. Da dieses Netzwerk auf Vertrauen basiert und ohne die bei westlichen Finanzinstitutionen unerlässliche Buchführung aus kommt, lasse sich die Geldbewegungen praktisch nicht verfolgen. Subaidas Bankkarten waren im Zusammenhang mit Al-Qaida die vielleicht aussagekräftigsten Beweisstücke. Mit Hilfe derKarten konnten die Ermittler etwas über die Finanzstrukturhinter AlQaida erfahren, womöglich sogar etwas über denAnschlag vom 11. September selbst. In den Ermittlungen überdie Finanzierung des Terrorismus sind Fundstücke, die derarteindeutige Beweise liefern, die große Ausnahme.Die Verfolgung der Spuren, die Terroristen durch ihre Geldtransaktionenhinterlassen haben, ist fiir die Finanzexperten desFBI, der CIA und des Finanzministeriums ein frustrierendesund meist fruchdoses Fischen im Trüben. Zwischen islamischen Wohltätigkeitsverbänden und anderen Nichtregierungsorganisationenkursiert eine verwirrende Vielfalt von Geldströmen.Um hier Verbindungen zu erkennen, die auf die Spur von
  161. Protagonisten des Terrors und ihren Plänen führen könnten, müssen Ermittler auf LinkAnalyse un d andere indirekteBeweisverfahren zurückgreifen.Oft sind die amerikanischen Experte n auf der Suche nachdem Weg des Geldes der falschen Spur gefolgt. Jahrelang hattenCIA und FBI geglaubt, dass Bin Laden als Sohn des reichstenBaumagnaten SaudiArabiens die Tätigkeiten von AlQaidaaus seinem Privatvermögen finanziere. Sie unterschätzten dabei die Bedeutung von Spenden anderer wohlhabende r Araberaus der Golfregion un d insbesondere aus SaudiArabien,die Bin Ladens islamischen Extremismus unterstützten. Es dauerteJahre, bis die US-Regierun g ein etwas differenzierteresBild von AlQaida un d ihrem Geld entwickelte. Schließlichging der CIA auf, dass Bin Laden längst nicht so reich war,wie man angenommen hatte. Er stammte aus einer weitläufigen Sippe (er war eines der siebenundfünfzig Kinder Mohammed Bin Ladens) und erbte deshalb nur einen relativ kleinenTeil des riesigen Bauimperiums seines Vaters. Im Jahr 2000 ermitteltendie Vereinigten Staaten, dass Bin Laden statt über ein197 angenommenes Vermögen von dreihundert Millionen Dollarnur über etwa eine Million Dollar jährlich verfügt hatte, ausgezahltvon seiner Familie zwischen 1970 und 1994. Anfang derneunziger Jahre hatte die Familie Bin Laden auf Druck der saudischenRegierung Osama Bin Ladens Anteil am Baugeschäft der Familie verkaufen müssen. Später fror die saudische Regierung die Erlöse aus dem Verkauf ein. Bin Laden war einfachnicht reich genug, um ganz allein einen »Gotteskrieg« zu finanzieren. Die CIA schätzte, der Betrieb von AlQaida habe vor dem11. September etwa dreißig Millionen Dollar pro Jahr gekostet.Das meiste Geld habe aus Spenden gestammt und sei meistdurch islamische Hilfsorganisationen oder Scheinfirmen geschleustworden. Doch obwohl die amerikanischen Ermittlergegen einige Hilfsorganisationen und deren Spender einensehr direkten Verdacht hegten, war es fiir CIA und FBI stetsschwierig nachzuweisen, welche von ihnen mit AlQaida tatsächlich gemeinsame Sache machten.Bei Abu Subaidas Bankkarten waren weder LinkAnalysenoch Herumraten nötig. Die Karten liefen zwar nicht aufSubaidas Namen, doch wurden sie ganz offensichtlich von einemder Top-Leute Bin Ladens benutzt. Eine Untersuchungder Transaktionen auf den zugehörigen Konten könnte dabei helfen, die Bewegungen der Al-QaidaFührung während der entscheidenden Tage vor und nach dem 11. September zu rekonstruieren.Möglicherweise ergäbe dies auch Hinweise auf die Geldgeber im Nahen Osten. Die Karten waren vielleichtdie Schlüssel zu einigen der dunkelsten Geheimnisse von AlQaida.Die Karten
  162. »könnten uns direkten Zutritt zu den Geldgebernvon AlQaida verschaffen, ganz ohne LinkAnalyse«,sagte ein amerikanischer Informant. »Vom Geldgeber könnte man dem Geld bis zum AlQaida-Anführer folgen.«Doch nachdem die Leute von FBI und CIA vor Ort in PakistanAbu Subaidas Habseligkeiten zusammengepackt und siezur Untersuchung zurück in die USA geschickt hatten, ge-198 schah etwas sehr Merkwürdiges. Die Karten wurden niemalsGegenstand einer ernsthaften Untersuchung. Jedenfalls gibt esdafür keinerlei Anzeichen.Zwei mit dem Fall vertraute Spezialisten sind der Ansicht,die Regierungsexperten für Terrorismusfinanzierung hätten die Transaktionen auf Abu Subaidas Konten nicht eingehend überprüft. Auch habe niemand ernsthaft versucht, die Herkunftder Gelder zu klären. Unklar bleibt auch, ob die Untersuchungeinfach nur verbummelt worden ist oder ob die Kartenabsichtlich ignoriert wurden, weil niemand wirklich dieVerbindungen zwischen AlQaida und hochgestellten Persönlichkeiten im Nahen Osten insbesondere in SaudiArabien ergründen wollte. w^f^ft^^ ^ Die beiden Spezialisten, die diese erstaunliche Geschichteverfolgt haben, wollen zugunsten Washingtons nicht gleichdas Schlimmste annehmen und sind der Meinung, der Verzichtauf die Untersuchung sei ein Versehen, nicht Teil einer politischenVertuschung zum Schutz der Saudis. »Die Karten kamenzurück nach Washington, wurden aber nie richtig ausgewertet«,sagte ein mit dem Geschehen vertrauter Amerikaner.»Ich glaube, dass Inkompetenz der Grun d dafür ist, warum siesich niemand richtig angeschaut hat.« Nichts deutet daraufhin,dass Abu Subaida jemals zu den Bankkarten befragt wurde.Trotz mangelnden Interesses oder mangelnder Aufmerksamkeitin Washington haben einige amerikanische Ermittlerden Fall so gut sie konnten auf eigene Faust weiterverfolgt.Sie erkannten allerdings bald, dass es praktisch unmöglich war festzustellen, wo die Karten benutzt worden waren; im Grundeerfuhren sie überhaupt nichts über die Karten, schon gar nichtvon saudischen Beamten. Schließlich trieben sie doch einenInformanten auf, der ihnen möglicherweise bei der Lösung des Rätsels behilflich sein konnte. Es handelte sich um einenmuslimischen Finanzier mit zweifelhafter Vergangenheit, dersowohl zu den afghanischen Taliban als auch zu AlQaida alsauch zum saudischen Geheimdienst Verbindungen unterhielt. Er erklärte sich bereit, mit den Amerikanern zusammenzuarbeitenund so viel wie möglich herauszufinden. Im Jahr 2004berichtete er, seine saudischen Informanten hätten ihm eine erstaunliche Geschichte erzählt. Achtzehn Monate zuvor, so seine Quellen, hätten saudische Geheimdienstbeamte bei der betreffenden saudischen Bank alle mit
  163. Subaidas Karte zusammenhängenden Aufzeichnungen beschlagnahmt; dann seien diese Aufzeichnungen verschwunden. Danach war es nichtmehr möglich zu rekonstruieren, woher das Geld auf demKonto gekommen war. Die Beschlagnahme durch den saudischenGeheimdienst fiel zeitlich fast mit Abu Subaidas Verhaftungin Pakistan im März 2002 zusammen.Seit den Anschlägen vom 11. September war die Spur, die vonAl-Qaida nach SaudiArabien wies, stets von größtem Interesse.Allerdings wollten nur wenige amerikanische Ermittler ihrfolgen, und wenige waren dazu überhaupt in der Lage. Durch das Öl, das Amerika abhängig und Saudi Arabien reich macht,ist der saudische Einfluss in der amerikanischen Politik allgegenwärtig. Dies ist in Washington ein kaum weniger heikles Thema alsder politische Einfluss Israels. Ob Anwälte, Lobbyisten, Waffenproduzenten,ehemalige Kongressabgeordnete und Beraterdes Weißen Hauses, Diplomaten und Geheimdienstleute odersogar Journalisten - in den Zirkeln der Macht in Washingtonsind so viele auf saudisches Geld oder saudische Beziehungenangewiesen, dass hässliche Wahrheiten über saudische Verbindungenzum islamischen Extremismus regelmäßig ignoriert oder totgeschwiegen werden. Außerdem war Saudi-ArabiensUnterstützung im Irakkrieg in Verbindung mit seinen wiederholtenBemühungen, den Ölpreis stabil zu halten, flir die RegierungBush von großem Wert.Die Bemühungen der Saudis um politischen Einfluss inWashington zahlten sich in den Wochen und Monaten nachden Anschlägen vom 11. September aus. Während dieser hektischen Zeit, in der die BushAdministration noch nach einerLinie für ihre Terrorabwehrmaßnahmen suchte und die Öffentlichkeit erst dabei war, sich eine Meinung über die Attackenund die Hintergründe des Terrors zu bilden, arbeiteteniemand fieberhafter daran, die eigene Existenz zu rechtfertigen,als die saudischen Lobbyisten. Sie sahen sich mit einemImageproblem historischen Ausmaßes konfrontiert: Fünfzehnder neunzehn Luftpiraten, die gerade Tausende von Amerikanernumgebracht hatten, waren Saudis. Sie waren vom Sohneiner der reichsten und mächtigsten Familien Saudi-Arabiensauf ihre Selbstmordmission geschickt worden. Schlimmernoch, die Angriffe fanden Zuspruch unter islamistischenGeistlichen und anderen Radikalen in SaudiArabien, woOsama Bin Laden zu einem Volkshelden geworden war.Trotz dieser Imageprobleme gelang es den Saudis, die Krisezu überwinden und die Mehrheit der Amerikaner davon zuüberzeugen, dass zwischen den Aktionen saudischer Extremistenund der Politik der saudischen Regierung und der königlichen Familie ein grundlegender Unterschied bestand.Und als später bekannt wurde, dass unmittelbar nach denAttacken Angehörige der Familie
  164. Bin Laden zusammen mitanderen saudischen Prominenten auf Veranlassung der saudischenRegierung und unter Mitwirkung des FBI aus denUSA ausgeflogen werden durften, wurden abermals die Kritikerzum Verstummen gebracht. Die unabhängige Kommission,die mit der Untersuchung der Anschläge vom 11. September beauftragt wurde, spielte diesen Vorfall herunter undfolgerte in ihrem Abschlussbericht, sie habe »keine Beweisefür politische Einflussnahme« der US-Regierung bei der Genehmigungder Flüge finden können. Das FBI habe eine »hinreichendeUberprüfung der saudischen Staatsbürger, welchedie USA nach dem 11. September mit Charterflügen verließen«, vorgenommen. Im Jahr 2005 freigegebene FBI-Unterlagenstehen allerdings im Widerspruch zu den Folgerungen derUntersuchungskommission. Aus diesen Akten geht hervor, dass das FBI durchaus im Zweifel war, ob einige dieser Saudisnicht doch über relevante Informationen bezüglich der Anschläge verfügten.Es mag durchaus sein, dass der Einfluss SaudiArabiens aufdie amerikanische Außenpolitik überschätzt wird. Die Kritiker sind in diesem Zusammenhang gegen Verschwörungstheorien nicht gefeit. Es fällt nicht schwer, die saudische Mitschuld amAufstieg von AlQaida und an den Plänen zum 11. Septemberzu übertreiben.Die Wahrheit ist, dass die politischen Führer SaudiArabiens,ebenso wie die Regierungschefs anderer arabischer Staaten,den islamischen Terrorismus jahrzehntelang nicht wahrhabenwollten. Sie glaubten, die Terroristen kaufen, die sie unterstützenden religiösen Extremisten besänftigen und gleichzeitig den Status quo in der Region erhalten zu können.Den Terrorismus nicht wahrhaben zu wollen ist etwas anderesals ihn staatlich zu unterstützen seit der ersten Welle von Terrorangriffenin SaudiArabien im Mai 2003 haben die saudischenSicherheitsdienste bei der Verfolgung des Al-QaidaNetzwerksauf saudischem Boden recht gut mit der CIA unddem FBI zusammengearbeitet. Nach den Anschlägen vonRiad reiste CIA Direktor George Tenet nach Saudi Arabien,um sich mit saudischen Führungspersonen zu treffen, und gewannden Eindruck, die Haltung gegenüber AlQaida habesich grundlegend geändert. Die Saudis hätten endlich eingesehen,sagte er, dass AlQaida auch ihr Feind sei.Und doch bleibt festzustellen, das George Bush und seineRegierung sowohl vor als auch nach dem 11. September einenbemerkenswerten Mangel an Interesse zeigten, mögliche Beziehungenzwischen Osama Bin Laden, AlQaida und der saudischenMachtelite aufzudecken. Selbst als die RegierungBush zur Rechtfertigung des Krieges vergeblich enorme Zeitund Mühe darauf verwandte, Verbindungen zwischen SaddamHussein und Bin Laden
  165. nachzuweisen, ignorierte sie noch immerdie weitaus schlüssigeren Beziehungen von AlQaida zuSaudi-Arabien. Diese sind sehr viel stärker und beunruhigenderals bislang bekannt wurde, und bevor sie nicht ernsthaftdurchleuchtet werden, bleiben die Wurzeln von Al-QaidasMacht und die Hintergründe des 11. Septembers im Dunkeln.Verbindungen zwischen der saudischen Regierung, insbesondereihrem Geheimdienst, und Osama Bin Laden reichen zurückbis in die achtziger Jahre. Damals trat der siebzehnte Sohnvon SaudiArabiens erfolgreichstem Baumagnaten zum erstenMal in Erscheinung, und zwar als junger, begeisterter Sponsordes afghanischen Widerstands und der nach Afghanistan strömenden Araber, die dort gegen die sowjetische Besatzung kämpfen wollten. Damals war die Sowjetunion für Bin Laden,den saudischen Geheimdienst und für die CIA ein gemeinsamerFeind, und der saudische Geheimdienst hatte besonderesInteresse an ausländischen arabischen Kämpfern aus dem gesamten Nahen Osten. Prinz Turki al-Faisal, saudischer Botschafterin den Vereinigten Staaten und Mitglied der königlichen Familie, war zwei Jahrzehnte lang Chef der saudischenGeheimdienste. In dieser Funktion war er auch verantwortlichfür das Engagement der Saudis in Afghanistan. Anfang undMitte der achtziger Jahre hatten er und seine Mitarbeiter direktenKontakt zu Bin Laden. Ob Bin Laden in dieser Zeit selbstAgent des saudischen Geheimdienstes war, ist nicht sicher,doch berichtet Steve Coli in seinem Buch Ghost Wars, Bin Ladenhabe während des sowjetisch-afghanischen Krieges zumindest eine »substanzielle Beziehung« zum saudischen Geheimdienstunterhalten. Kein Wunder, dass sich der saudischeGeheimdienst schwer tat, gegen Bin Laden vorzugehen, als dersich in den neunziger Jahren vom exzentrischen Förderer antikommunistischer Freiheitskämpfer zum antiamerikanischenTerroristen wandelte. Viele saudische Geheimagenten teiltenaußerdem seinen religiösen Fundamentalismus und seinen unbändigen Hass gegen den wachsenden Einfluss westlicher Kultur im saudischen Königreich. Selbst nachdem Bin Laden ins Exil gegangen war, zuerst in den Sudan, später nach Afghanistan,erkannten ihn saudische Geheimdienstmitarbeiter erst indem Moment als ernste Gefahr, als es schon zu spät war. Auchals AlQaida Ende der neunziger Jahre einen terroristischenRundumschlag vollführte, unterhielten die Saudis weiter eine unsäglich komplizierte Beziehung zu Bin Laden, die auf amerikanischerSeite niemand nachvollziehen konnte.Viele kleine und größere Anzeichen deuteten darauf hin,dass die Sympathien zumindest einiger Teile des saudischen Sicherheitsapparateseher bei Osama Bin Laden und AlQaida alsbei den
  166. Vereinigten Staaten lagen. Als beispielsweise die CIA 1996 ihre OsamaBin-Laden-Abteilung einrichtete, um dessenBewegungen zu überwachen und seine Pläne zu durchkreuzen,bat man die Saudis um Abschriften von Bin Ladens Geburtsurkunde,Reisepass, Bankdaten und anderen wichtigenUnterlagen. Um Bin Ladens Absichten besser durchschauen zu können, musste die CIA nach Ansicht ihrer Ermittlermehr über ihn wissen.Nach Aussage einer CIA Quelle weigerten sich die Saudisallerdings, diese Dokumente herauszurücken. Bis zum 11. Septemberhatte die CIA noch nicht einmal eine Geburtsurkundeerhalten.Im Jahr 1997 wurde in SaudiArabien Maddani Al-Tayib festgenommen,der Bin Laden während dessen Aufenthalt im Sudanals Finanzchef gedient hatte. Die CIA bat mehrmals darum,Al-Tayib verhören zu dürfen, da er praktisch alles über die Finanzenvon AlQaida wusste. Dem Vernehmen nach musste innerhalbvon AlQaida jede Ausgabe über tausend Dollar vonAl-Tayib genehmigt werden. Doch verweigerten die Saudisder CIA wiederholt den Zugang, den sie nach Aussage einerCIA -Quelle erst nach dem 11. September erhielt. »Vor dem11. September bekamen wir von den Saudis praktisch nichtsüber AlQaida.« Vor CIA Direktor George Tenets Reise nachSaudi-Arabien übergab ihm die BinLaden-Abteilung sogar einMemorandum, in dem der saudische Sicherheitsdienst beim204I Thema AlQaida als »feindlicher Geheimdienst« eingestuftwurde. Eine derartige Einschätzung bedeutete zumindest, dassman dieser Behörde nicht trauen konnte CIA Mitarbeiter berichten auch, die Behörde habe stichhaltige Beweise, dass einige Erkenntnisse, die sie saudischen Sicherheicskräften übergeben hatte, bei AlQaida-Mitgliedernaufgetaucht seien. So hat die CIA in der Vergangenheit denSaudis Abschriften von NSA-Abhörprotokollen zukommen lassen, darunter auch Unterhaltungen zwischen mutmaßlichenAl-Qaida-Mitgliedern in SaudiArabien. Nachdem die CIA die Protokolle den Saudis überreicht hatte, unterließen es die Verdächtigen sofort, die abgehörten Medien zu benutzen, wasdie Verfolgung enorm erschwerte.Den nach dem 11. September bei AlQaida-Mitgliedern beschlagnahmtenUnterlagen und Computerdateien konnte dieCIA außerdem entnehmen, dass »AlQaida praktisch ganzSaudi-Arabien zur Verfügung stand«, wie es ein mit der Materie vertrauter CIA Informant formulierte. Nach seiner Ansichtbfaeb das zumindest bis zum Mai 2003 so, als die Saudis endlichanfingen, den Ernst der Lage zu erkennen.Hohe jordanische Funktionäre haben ihren amerikanischenKollegen eine Geschichte zum Thema saudische Sympathien für Bin Laden erzählt, die den Amerikanern das Blut in denAdern gefrieren ließ. Der eng mit der CIA
  167. zusammenarbeitende jordanische Geheimdienst genießt im Nahen Osten den Ruf sehr effizient zu sein. Deshalb wurde er von hohen saudischen Funktionären gebeten, ihren Sicherheitsapparat zu überprüfenund eine Einschätzung zu erstellen. Auf ihrer Tour durer. die saudischen Militär und Geheimdiensteinrichtungen fandenden die Jordanier bald etwas, das die kümmerlichen Erfolgeder Saudis bei der Terrorabwehr erklären half bei etlichen wtudttcntn Ermittlern zierte Osama Bin Ladens Konterfei als"»cfcirniichoner die Monitore. Dies berichtete ein amerikanischer Informant, der einen hohen jordanischen Funktionär hatte erzählen hören. Wie ein ehemaliger hoher CIA Beamter berichtet, kam die Saudi-Al-Qaida-Verbindung vom Frühjahr L998 an zum Tragen,als Amerika die vielleicht größte Chance vor dem 11. September hatte, Osama Bin Laden zu fassen oder zu töten.Anfang 1998 war Bin Laden noch ein relativ leicht erreichbaresZiel; anscheinend hatte er noch nicht bemerkt, dass ervon der CIA intensiv überwacht wurde. Sein Leben verlief in regelmäßigen Bahnen. Die meiste Zeit verbrachte er in einemeinfachen Lager namens Tarnak Farms außerhalb von Kandahar.Regelmäßig fuhr er in einem kleinen Konvoi nach Kandaharund traf sich dort mit seinen Taliban-Gastgebern, allen voranMullah Omar. Er benutzte ein Satellitentelefon und hattekeine Ahnung, dass die NSA bei allen seinen Gesprächen mithörte.Zwar lebte er beschützt von bewaffneten Leibwächternin einer der entlegensten Gegenden der Welt und genoss dievolle Unterstützung der Taliban-Regierung, doch an ihn heranzukommenschien keine unlösbare Aufgabe.Die BinLaden-Abteilung der CIA kam zu dem Schluss,man könne den Exil-Saudi fassen es gab auch schon einenPlan. Ein in der Gegend ansässiger Paschtune, der für die Agency arbeitete, sollte ihn überwältigen und in einer Hähleverstecken, bis die Amerikaner ihn holen kämen. Ein spezielles CIA -Kommando sollte dann nach Afghanistan fliegen, Bin Ladenvon den Afghanen übernehmen und ihn in Amerika vorGericht bringen.Allerdings war die Operation natürlich nicht ohne Risiko;möglicherweise liefen die Dinge aus dem Ruder und Bin Ladenwürde nicht gefangen genommen, sondern getötet werden.Dies bereitete Tenet und den Anwälten der CIA Kopfzerbrechen;sie waren der Ansicht, dass der von Präsident Clintonunterzeichnete Einsatzbefehl für eine verdeckte Aktion gegenAl-Qaida nur Bin Ladens Gefangennahme abdeckte, nichtaber seinen Tod. (Nach dem 11. September bestritten hoheMitglieder der Clinton-Regierung Tenets Behauptung, erhabe nie die Einwilligung zur Tötung Bin Ladens erhalten.)206 Ein gy n anderes Problem war, dass steh die CIA an einer
  168. Art\iilKcaropefation versuchte, obwohl sie dazu vor dem 1L Septembergar nicht in der Lage war. Die US-Streitkräfte hattenJeidingi keinerlei Interesse, in die Suche nach Bin Laden hineingezogenzu werden, und widersetzten sich erfolgreich Aufforderungen aus dem Weißen Haus, Pläne zu entwickeln,wie AlQaida auis Koro genommen werden könnte.Ohne das Pentagon war die CIA nun ganz auf sich selbst geaeäcso bat sie den U.S. Joint Special Operations Commandlein Militärkommando für verdeckte Einsätze), den Plan zuprüfen. Probeläufe folgten, und das Weiße Haus musste denPbn »segnen. Obwohl der Plan einen Erfolg keineswegs garantierte,war er doch die beste Möglichkeit für die USA, Osama Bin Laden zu ergreifen, bevor er zu einem wirklichen Probiemwerden konnte.Wahrend der letzten Vorbereitungen reiste im Mai 1998 eineDeleganon hoher CIA -Leute, Tenet eingeschlossen, nach Saud*-Arabien,um sich mit Kronprinz Abdullah zu treffen. NachAussage eines Beteiligten von der CIA fragte Tenet den Kronprinzen,ob die Saudis \Xfashington bei dem Problem OsamaBm Laden behilflich sein könnten. Der Kronprinz erklärte sich einverstanden unter der Bedingung, dass die Amerikanerdiese Abmachung fiir sich behielten. Der Saudi fugte an, dieAmerikaner sollten nicht verlangen, dass Bin Laden in denUSA vor Gericht gestellt werde. Das würden die Saudis übernehmen.Ihr Vorschlag lief darauf hinaus. Bin Laden den Talibanabzukaufen.Tenet schickte ein geheimes Memorandum an den NationalenSicherheitsberater Sandy Berger nach Washington, in demer empfahl, die CIA solle den Saudis den Versuch zugestehen,Bin Laden zu «greifen. Dies berichtet ein CIA Informant, der später Zugang zu dem Memorandum hatte. Während Tenetmit den Saudis verhandelte, sagte er den von der CIA entwickeltenFestnahmeplan ab und überzeugte auch das WeißeHaus, dass die CIA sich zurückhalten solle. Es hieß, das Risiko, dass Bin Laden bei der Aktion ums Leben kommen könne, seizu groß. Hinterher könnte die Behörde beschuldigt werden,ein Attentat verübt zu haben.Die Saudis haben anscheinend nie einen ernsthaften Versuchunternommen, Bin Laden zu fassen. Nach Tenets Treffenmit Kronprinz Abdullah wurde Prinz Turki zu einer Reihe von Gesprächen mit den Taliban nach Afghanistan geschickt.Es kam aber mit den Afghanen zu keiner Einigung über BinLaden.Doch zu diesem Zeitpunkt war der Plan der CIA zur ErgreifungBin Ladens schon längst fallen gelassen worden, und es wurden auch keine Alternativen ausgearbeitet. Die Führungder Behörde hatte eine der wenigen wirklichen Möglichkeiten zur Gefangennahme Bin Ladens vor dem 11. September ungenutztverstreichen lassen.Es ist möglich, dass das Hilfsangebot des
  169. Kronprinzen derCIA Führung die willkommene Gelegenheit bot, aus einemPlan für eine Geheimaktion auszusteigen, deren Risiken sie inzwischenals viel zu hoch einschätzte.Natürlich konnte niemand vorhersehen, dass die ungewolltenKonsequenzen der CIA -Entscheidung, den Saudis die Suchenach Bin Laden zu überlassen, so schnell zu Tage tretenwürden. Im August 1998, nur drei Monate nach Tenets Besuchin SaudiArabien, sprengten Selbstmordattentäter zwei US-Botschaften in Afrika in die Luft. Damit begann eineneue, blutigere Phase in AlQaidas Krieg gegen die VereinigtenStaaten.Etwa um 4.30 Uhr morgens an dem chaotischen Tag nachden Anschlägen in Ostafrika ging George Tenet ins Büro vonMichael Scheuer, dem damaligen Chef der BinLaden-Abteilung.Tenet schien erschüttert; die Entscheidung, die Fangmissionabzublasen, war schnell zur Heimsuchung für die Behörde geworden. Wie sich Scheuer später erinnerte, schaute Tenet ihn an und sagte: »Ich glaube, wir haben einen Fehler gemacht.« Scheuer gab wütend zurück: »Nein, Sir, ich denke, Sie habeneinen Fehler gemacht.«Im Dezember schrieb Tenet ein Memo, in dem es hieß, dieUS-Geheimdienste stünden jetzt mit AlQaida im Krieg. Fastniemand bekam das Memo zu Gesicht. Und wer die ganzeVorgeschichte kannte, konnte es kaum glauben, dass sie sichso abgespielt hatte.Bis zum 11. September ließen die Saudis die AlQaida-Fahndungschleifen selbst dann noch, als die CIA schon ahnte,dass ein großer Angriff drohte, und die Saudis verzweifelt umHilfe anging. Den ganzen Frühling und Sommer 2001 hindurcherhielt die CIA eine Reihe immer unheilvollerer Berichte,denen zufolge AlQaida einen großen Terrorangriffplante. Das Problem war nur, dass die CIA nicht wusste, wannund wo dieser Angriff erfolgen sollte. Am wahrscheinlichstenwar damals, dass AlQaida irgendwo im Ausland zuschlagenwürde; alle vorherigen Attacken gegen US-Einrichtungenhatten im Nahen Osten oder in Afrika stattgefunden.Im Zuge der Bemühungen in jenem Sommer, Al-Qaidas Pläne aufzudecken, bat die CIA bei einer Reihe ausländischerGeheimdienste, insbesondere im Nahen Osten, um Hilfe, darunterauch bei den Saudis. (SaudiArabien leistet sich mehrereGeheimdienste, von denen das General Intelligence Directorate,GID, der wichtigste ist.) Leider verfügte die CIA in SaudiArabiennur über wenige eigene Quellen. Sie war bei Informationenüber islamische Extremisten im saudischen Königreich praktisch vollständig auf die Partnerschaft mit saudischen Behörden angewiesen. Doch gaben die Saudis trotz der angespanntenLage freiwillig nur sehr wenig heraus, und die CIA war nicht glücklich darüber.Eine
  170. kleine Gruppe von CIA Beamten flog in jenem Sommernach SaudiArabien, um sich über die schlechte Zusammenarbeitzu beschweren. Die Delegation reiste nach Dschidda,das die saudischen Beamten im Sommer der Hitze Riads209 vorzogen. Die CIA -Agenten erinnerten die Saudis daran, dassdie Agency ihnen seit geraumer Zeit lehr viele Informationenzukommen ließ darunter streng geheime Äußerungen von Terrorverdächtigen. Diese habe die NSA nur äußerst ungern an die Saudis weitergegeben au» Sorge, die Informationen könnten in die Hände von AlQaida gelangen. Leider habediese Offenheit nicht zu einer entsprechenden Zunahme derKooperation auf saudischer Seite gefuhrt.Eine Reihe derzeitiger und früherer C JA-Beamter find derMeinung, die Saudis hätten sich vor dem 11. September einfach nicht dazu durchringen können, AlQaida zu verfolgen.Die saudische Regierung schien überzeugt, et wäre besser, dieislamischen Extremisten zu beschwichtigen ab $ie zu provozieren,Darüber hinaus hegten einige CIA Beamte den starkenVerdacht, dass zumindest Teile der Erkenntnisse, die sie denSaudis mitteilten, an AlQaida-Leute weitergegeben wurden.Die Geschichte von Abu Subaidas Gefangennahme und seinenVerbindungen nach SaudiArabien endete nicht mit den wichtigenFunden in seinen Taschen. Nachdem er in Pakistan festgenommenworden war, wurde er nach Thailand ausgeflogenund in ein geheimes CIA -Gefängnis gebracht. US Quellenberichten, die CIA habe dort nach einiger Zeit eine Atmosphäre geschaffen, mit deren Hilfe sie Subaida davon überzeugenkonnte, er befinde sich in SaudiArabien. Die CIA hoffte,er furchte die saudische Folterpraktiken so sehr, dass er anfangenwürde zu reden. Stattdessen zeigte sich Subaida zur großen00berraschung der amerikanischen Agenten froh und zufrieden,in saudischen Händen zu sein.Den Schilderungen Gerald Posners zufolge gab Abu Subaidaseinen Bewachern dann einige Telefonnummern saudischerBekannter, die für ihn bürgen und ihm aus seiner misslichenLage helfen könnten. (Zusätzlich zu den von Posner beschriebenenVorfallen sagte ein ehemaliger amerikanischer Regierungsbeamter,die USA hätten weitere Beweise erhaltest, efe210 auf eine Verbindung zwischen AlQaida Angehörigen undsaudischen Amtsinhabem schließen lassen.)I s gibt keine eindeutigen Beweise, dass Angehörige desHauses Saud oder andere saudische Amtsträger direkte Kontaktetu Abu Subaida unterhielten. Doch wirft die Tatsache,dass der lerrortiihrer seinen Befragern diese Nummern angab,einige interessante Fragen auf.Hinige Beteiligte waren der Ansicht, die Nennung der saudischenTelefonnummern sei möglicherweise Teil einer
  171. wohldurchdachtenVerwirrungskampagne gewesen, die im Falleder Verhaftung Subaidas Zwietracht zwischen Amerika und seinen Verbündeten säen sollte. Immerhin war bekannt, dassOsama Bin Laden die saudische Königsfamilie hasste. Er hieltsie für korrupte Autokraten, die die heiligen Stätten des Islamentweiht hatten, als sie die Stationierung amerikanischer Truppenauf saudischem Boden gestatteten. Ob Subaidas angeblicheVerbindungen in die saudischen Kreise der Macht jemalsernsthaft untersucht wurden, ist nicht erwiesen.Ob nun als feindlich angesehen oder nicht sowohl vor wienach dem 11. September war die CIA bei Informationen überislamische Extremisten in SaudiArabien praktisch völlig aufdie dortigen Geheimdienste angewiesen. Sie hatten keineeigenen Informanten, die über die Beziehung zwischen denSaudis und AlQaida hätten berichten können.Laut Aussagen einiger CIA Quellen war es George Tenet,der den Stil der CIA Beziehungen zu den Saudis bestimmte,indem er sich sehr um gute Verbindungen zu hohen saudischenRegierungsmitgliedern bemühte. Dazu gehörte auch der damalige Botschafter SaudiArabiens in den USA, PrinzBandar bin Sultan bin Abdul Aziz, mit dem sich Tenet regelmäßig traf. CIA Beamte berichten, dass Tenet etwa einmal imMonat zu Bandars nahe gelegenem Anwesen in McLean, Virginia,fuhr, um dort Gespräche unter vier Augen zu fuhren. (In einem Porträt Bandars in The New Yorker schrieb Elsa Walsh211 2003, Tenet sei bei Bandar zu Hause aufgetaucht, als sie gerademit dem Saudi gesprochen habe.)»Bandar und Tenet kamen sehr gut miteinander aus«, bestätigt ein CIA Mitarbeiter. »Bandar spielte eine wichtige Rolle;er war für die Beziehungen SaudiArabiens zu Amerika verantwortlich.« Einige CIA Beamte, die Vorgänge im Zusammenhang mitSaudi-Arabien bearbeiten, beklagen allerdings, Tenet habe sienicht über den Inhalt seiner Unterredungen mit Bandar informiert.So war es schwierig, Abmachungen, die Tenet mit denSaudis traf, richtig einzuordnen. Wenn sie überhaupt erfuhren,was Tenet mit Bandar besprochen hatte, dann erst viel später und nur von den Saudis.Tenet betrachtete die Beziehung zu den Saudis als so heikel,dass er in den späten neunziger Jahren einen seiner engsten Beraterzum Stationschefin Riad machte. Dieser konnte während seiner Amtszeit in Riad gelegentlich direkt, unter Umgehungseiner unmittelbaren Vorgesetzten in der Nahostabteilung mitTenet sprechen. »Die Häuptlinge von Nahost und dem CTC[Counterterrorism Center] brachte das schier um den Verstand,die fühlten sich übergangen«, erinnerte sich ein CIA Mitglied.Unabhängig davon berichtete ein CIA -Analytiker im Ruhestand,die CIA -Leitung habe
  172. Analytiker davon abgehalten, inihren Untersuchungsberichten die mögliche Anfälligkeit des saudischen Regimes gegenüber dem islamischen Extremismuszu thematisieren. Deshalb beschäftigte sich die CIA nie wirklichmit diesen fiir die Zukunft des saudischen Königreichs entscheidenden Fragen. Nach Meinung des langjährigen Nahost Analytikers stellten die führenden Köpfe der CIA sicher, dassdie Behörde keine politisch unbequemen Berichte erstellte,die dem Weißen Haus Kopfzerbrechen bereiten könnten.Neben ihren Beziehungen zu Tenet und der CIA verfügtendie Saudis im offiziellen Washington natürlich noch über weitaus mächtigere Verbündete. Prinz Bandar beispielsweise standBush senior und seiner ganzen Familie sehr nah; in seinem212 Bisch über den Irakkrieg, Der Angriff PUm of Attacke berichteieBob Woodwaid* Bush junior habe Bandar 2003 den Zeitpmfh<ks Euunarsches mitgeteilt, noch bevor er AußenministerColin Powell darüber informiert habe.Die guten Beziehungen Bandars zum Weißen Haus, demAußennuiustenum und der CIA bewahrte die saudische Elitedavor, auf mögliche Verbindungen zu islamischen Extremistenfoin durchleuchtet zu werden. So förderte eine gemeinsameUntersuchung beider Senatskammern Beweise zutage, dassn)o Bandars Ehefrau Zehntausende von Dollars an die Familieeines saudischen Mannes in San Diego geflossen waren. Dieserharte zwei der Attentäter vom 11. September unterstützt. Daraufhinsprang fast alles, was in Washington Rang und Namenhat. Bandar und seiner Frau zur Seite und akzeptierte die offiziellesaudische Erklärung, es habe sich tatsächlich nur um eine wohltätige Spende gehandelt.Das Versäumnis Washingtons, sich kritisch mit Saudi-Arabienvor und nach dem 11. September auseinander zu setzen, wirftnoch weitaus allgemeinere Fragen auf. zum Beispiel, ob dieRegierung Bush überhaupt eine Vorstellung davon hat, wiese mit dem raschen politischen Wandel im Nahen Osten zuJL rechtkommen soILOhne Zweifel ist dort etwas Neues und Belebendes imGang. Wahlen wie die 2005 im Irak und in den Palästinensergebieten hat es bislang in dieser Form nicht gegeben. Es folgtenMa»endemonstrationen in Beirut gegen den Einfluss Syriernauf die libanesische Politik. Syrien musste schließlichfem Militär aus dem Libanon abziehen. Und sogar in SaudiArabienfanden Kommunalwahlen statt ein kleiner Schrittm Richtung politischer Reformen im Königreich.Wie eine dringend benötigte Frischluftzufuhr erschien dieser plötzliche demokratische Aufbruch im Nahen Osten, wo korrupteDiktaturen und Monarchien über Generationen die polioschen Geschicke beherrscht haben. Nachdem keine Massen-213 Vernichtungswaffen gefunden und auch kein Terrorbündniszwischen Irak
  173. und AlQaida nachgewiesen werden konntewar die Regierung Bush lange auf der Suche nach einer neuenRechtfertigung für den Krieg im Irak gewesen. Die AufbruchStimmungAnfang 2005 wurde durchaus als Bestätigung für dieEntscheidung verstanden, Saddam Hussein zu stürzen.Man muss George Bush zugute halten, dass er die Ausbreitungder Demokratie im Nahen Osten zum Kernstück seinesProgramms für die zweite Amtszeit gemacht hat. Die Visioneiner weltumspannenden demokratischen Zukunft in seinerzweiten Regierungserklärung fand Anklang in akademischenKreisen und dem wachsenden Mittelstand in Arabien, aberauch bei der jungen Generation von Arabern, die durch die politischenund wirtschaftlichen Einschränkungen bislang tieffrustriert war. Den jungen Regimekritikern standen plötzlich mit Mobiltelefon, Internet und Satellitenfernsehen die Mitteldes Informationszeitalters zur Verfügung, die es autokratischenRegimen praktisch unmöglich machen, den politischen Diskursund abweichende Meinungen zu unterdrücken. DieselbenInternet-Cates, die den Terroristen helfen, unerkannt zu kommunizieren,geben auch den Dissidenten neue Möglichkeiten.Doch geriet die BushRegierung im Nahen Osten bisherimmer dann in Schwierigkeiten, wenn sie die jeweiligen Gegebenheitenaußer Acht ließ und ihre Entscheidungen aufgrundkaum überprüfter oder über Gebühr optimistischerErkenntnisse traf. Un d wenn sie in der eigenen Regierungsmannschaftabweichende Meinungen unterdrückte. Am erschreckendstenist dies nicht etwa in SaudiArabien zu beobachten,auch nicht im Irak sondern im Iran. Schuld daran haben Entscheidungsträger, die sich rigoros über Einwände hinwegsetzten und sich auf ein unglaublich gefährliches Spieleinließen und es offensichtlich verloren. Möglicherweise leisteten die Vereinigten Staaten auf diese Weise selbst Hebammendienste bei der Geburt ihres Schreckgespenstes im Nahen Osten.
  174. Eine Schurkenoperation Sie hatte das wohl schon Dutzende Male gemacht. Mit Hilfe der heutigen Digitaltechnologie war die geheime Kommunikation mit Agenten in Übersee reine Routine geworden. ImKalten Krieg war die Kontaktaufnahme mit einem Geheimagenten in Moskau oder Peking noch ein gefährlicher, arbeitsintensiver Vorgang gewesen, der durchaus Tage oder Wochen in Anspruch nehmen konnte. Doch im Jahr 2004 war es mäglich,verschlüsselte Botschaften mit Hochgeschwindigkeit direktund sofort vom CIA Hauptquartier aus an Agenten vor Ort zu verschicken, die mit kleinen, getarnten Kommunikationsgeräten ausgerüstet waren. Also überlegte die Offizierin im CIA Hauptquartier, die für die Kommunikation mit denAgenten im Iran zuständig war, vermutlich nicht lange, als sieihren letzten Datentransfer startete. Mit ein paar einfachen Befehlenschickte sie eine geheime Datenmenge an einen iranischenSpion. Wie sie es schon unzählige Male gemacht hatte.Doch dieses Mal spielte die neue Technologie, bei der einMausklick Tatsachen schafft, der Beamtin einen Streich. Die CIA-Offizier in hatte einen katastrophalen Fehler begangen.Sie hatte Informationen an einen iranischen Agenten geschickt,die für ein ganzes Agentennetz gedacht waren; anhandder Daten konnten fast alle Spione identifiziert werden, die dieCIA innerhalb des Iran stationiert hatte.Wenn etwas schiefgeht, dann gleich richtig: Wie die CIA später erfuhr, war der Iraner, der die Sendung erhielt, in Wirklichkeitein Doppelagent. Er leitete die Daten schleunigst an iranische Sicherheitsbeamte weiter, und die konnten mit ihrerHilfe das Agentennetz der CIA im ganzen Iran »aufrollen«.Laut CIA Informanten wurden mehrere iranische Agentenverhaftet und ins Gefängnis gesteckt, der Verbleib anderer istimmer noch unbekannt.ber diese Katastrophe stand natürlich kein Wort in derPresse. Seither ist die CIA so gut wie blind im Iran, außerstande,wichtige Informationen zu einem äußerst heiklen Themazu liefern, mit dem die Vereinigten Staaten konfrontiert wurden:ob nämlich Teheran in Kürze zur Atommacht aufsteigenwird.Bekanntlich argumentierten Präsident Bush und seine Berater2004 und 2005, der Iran sei im Begriff, Atomwaffen zuentwickeln. Doch genau zu der Zeit sahen sich die amerikanisehenGeheimdienste in Wirklichkeit außerstande, Beweismaterialzu liefern, das die äffentlichen äußerungen ihrer Regierunguntermauert hätte. Nachdem die CIA vor dem Kriegnicht in der Lage gewesen war, exakte Informationen über irakischeMassenvernichtungswaffen zu liefern, war der Geheimdienstein weiteres Mal blind im Nahen Osten. Im Frühjahr2005, im Zuge des
  175. Desasters im Iran, teilte der neue CIA-Direktor Porter J. Goss, gerade mal seit April im Amt, PräsidentBush mit, dass die CIA keine Ahnung habe, wie weit der Irannoch vom Status einer Atommacht entfernt sei.Die BushAdministration hat nie äffentlich erklärt, in welchemAusmaß sie derzeit im Iran im Dunkeln tappt. Doch tiefim Herzen der CIA dürfte sich jemand nerväs, aber ganz fürsich, gefragt haben: Was mag nur aus den Plänen fiir Atomwaffengeworden sein, die wir den Iranern zugespielt haben?Die Geschichte reicht bis zum Februar 2000 zurück, als ein ver-ängstigter russischer Wissenschaftler durch das winterlicheWien irrte. Eingehüllt von der Februarkälte sprang er derleuchtend rot-weißen Straßenbahn aus dem Weg, der drolligen,elektrischen Tram, die langsam rund um die ganze Innen-216 stadt rollt. Unterdessen überlegte er hin und her, ob er seinegeheime Mission ausfuhren sollte oder nicht.Ich bin keitt Spion, sagte er zu sich selbst. Ich bin Wissenschaftler.Was tue ich hier eigentlich? Er betastete das Päckchen, das in seinem Mantel steckte, undvergewisserte sich, dass die unbezahlbaren Dokumente nochda waren und dass dieser verrückte Auftrag nicht einfach nurein Albtraum war.Der Russe zog die Notiz aus der Tasche, warf noch einmaleinen Blick auf die Adresse und setzte sich dann in Bewegung.Er kannte sich in Wien nicht aus und hatte schon bald auf denbreiten Straßen der Opernstadt die Orientierung verloren.Sollte er nun bei der Rueppgasse oder der Heinestraße aussteigen?Musste er wirklich die Straßenbahnlinie 21 nehmen? Erwar zwei Mal die volle Strecke abgefahren und hatte vergeblichnach der richtigen Haltestelle Ausschau gehalten. Oder sollteer lieber in die Wiener U-Bahn umsteigen? Die Ständige Vertretungder Islamischen Republik Iran bei der InternationalenAtomenergiebehärde (IAEA) in Wien war gar nicht so leichtzu finden.Sie hätten mir wenigstens genaue Anweisungen geben kännen.Während er durch das närdliche Viertel der Wiener Innenstadtstapfte, in der Gegend rund um den Praterstern, ging ihmständig dieselbe Frage durch den Kopf.Was hat sich die CIA nur dabei gedacht?Doch er wusste keine Antwort.Der Russe hatte allen Grund, Angst zu haben. Er spaziertemit Plänen für eine Atombombe durch Wien.Genauer gesagt, er hatte Entwürfe für einen Hochspannungsblockvom Typ TBA-480, auch unter dem Namen»Zündsatz« bekannt, für eine Atomwaffe nach russischemMuster bei sich. Er hielt das Wissen in den Händen, das manbenätigte, um eine perfekte Implosion herbeizuführen, die innerhalbeines kleinen, sphärischen Kerns eine atomare Kettenreaktionausläsen konnte. Es war eins der gräßten technischen217 Geheimnisse der Welt und lieferte die Läsung für eine ganzeReihe von
  176. Problemen, die Atommächte wie die VereinigtenStaaten und Russland im Unterschied zu »Schurkenstaaten«wie dem Iran bereits geläst hatten. Dabei würden diese Schurkenstaatennur zu gern in den Klub der Atommächte eintreten,hatten es aber bislang nicht geschafft.Er konnte die Befehle immer noch nicht fassen, die dasCIA-Hauptquartier ihm erteilt hatte. Die CIA hatte ihm dieAtomwaffenpläne übergeben und ihn dann nach Wien geschickt,um sie den iranischen Repräsentanten bei der IAEAzu verkaufen beziehungsweise auszuhändigen. Damit wolltedie CIA offenbar dem Iran helfen, eine der letzten technischenHürden zu überspringen, die dem Bau einer Atombombenoch im Wege standen. Die gefährliche Ironie der Angelegenheitentging dem Russen keineswegs: Die IAEA ist eine internationaleOrganisation, die eigens zu dem Zweck gegründetwurde, die Verbreitung der Atomtechnik zu überwachen.Das Wiener Hauptquartier der IAEA liegt mitten in dem weitläufigenUN-Komplex, einem nicht weit vom Stadtzentrumam Ufer der Donau gelegenen Wirrwarr geometrischer Betongebäude,das einem Geschenkestapel unter dem Weihnachtsbaumgleicht. Hier befindet sich das weltweit fuhrendeForum für die Debatte um die Weiterverbreitung der Atomwaffen.Genau hier brachten die Vereinigten Staaten ihre Anklagengegen »Schurkenstaaten« wie den Iran und Nordkoreawegen ihrer heimlichen Atomprogramme vor. Die Expertender IAEA reisen durch die ganze Welt und versuchen, die Verwendungder Atomkraft zu kontrollieren. Sie sollen dafür sorgen,dass friedliche Atomenergieprogramme nicht als Deckmantelfür die heimliche Entwicklung von Atomwaffendienen. Im Jahr 2005 wurde der Behärde und ihrem LeiterMohammed el-Baradei für ihre Bemühungen, die Weiterverbreitungvon Atomwaffen zu verhindern, der Friedensnobelpreisverliehen.Doch im Jahr 2000 hatte die CIA jemanden mit einer Mis-218 sion nach Wien geschickt, die einem der gefährlichsten Regimesauf der Welt zu einer Atomwaffe verhelfen konnte.Der Atomphysiker war schon vor Jahren zu den VereinigtenStaaten übergelaufen und hatte sich in Amerika niedergelassen.Er hatte das Umsiedlungsprogramm der CIA für Uberläuferund lange Verhäre über sich ergehen lassen. CIA-Experten und Wissenschaftler aus den nationalen Laboratorien versuchten,ihm jede Kleinigkeit zu endocken, die er über den Standdes russischen Atomwaffenprogramms wusste. Wie viele Russenvor ihm hatte er sich mit seinen ermüdenden Beschwerdenüber Geld und Status innerhalb der CIA den Ruf eingehandelt,schwierig zu sein. Doch er war zu wertvoll für die CIA, um ihn wegzuschicken.In einem geheimen CIA Bericht heißt es, der Umgang mitdem Russen sei »wegen seiner
  177. anspruchsvollen und arrogantenArt bekanndich schwierig«. Im selben Bericht stand aber, dasser ein »sensibler Mitarbeiter« sei, der bei einer »verdecktenOperation mit hächster Priorität« eingesetzt werden känne.Ungeachtet dieses Widerspruchs hatte die CIA für den Russenalles arrangiert, damit er die amerikanische Staatsbürgerschaftbekam, und ihn auf der Gehaltsliste behalten, immerhinmit der hübschen Stimme von fünftausend Dollar im Monat.Das schien wirklich leicht verdientes Geld, noch dazu fastohne Haken. Das Leben war schän. Er hatte in der CIA-Lotterie das große Los gezogen.Bis vor kurzem. letzt stellte die CIA ihn an die vordersteFront eines Planes, der vällig im Widerspruch zu den Interessender Vereinigten Staaten zu stehen schien. Und sein Führungsoffizierhatte seine ganzen berredungskünste aufwendenmüssen, um ihn dazu zu bringen, diesen anscheinendschurkischen Auftrag auszuführen.Der CIA-Mann hatte sich große Mühe gegeben, ihn zuüberzeugen obwohl der Offizier selbst seine Zweifel an demPlan hatte. War er etwa in eine illegale, verdeckte Aktion verC* 219 SU^^^ H wickelt? Musste er damit rechnen, dass man ihn vor einenKongrossausschuss zerrte und durch die Mangel drehte, weiler der Otfiiier war, der hei der bergabe von AtoimvaOenplä-nen an den Iran mitgeholfen hatte? Der Deckname für dieOperation lautete MI R l IN; dem Offizier kam das wie ein sarkastischerFingerzeig vor, dass nichts an dem Programm war,was es zu sein schien. Es gelang ihm nur mit Mühe, seine Bedenkenvor dem Russen zu verbergen»Laut Auttrag der CIA sollte der Russe sich als arbeitsloserund geldgieriger Wissenschaftler ausgeben, der entschlossenwar, seine Seele und die Geheimnisse der Atombombe - anden Meistbietenden zu verkaufen. Egal wie, wies die CIA ihn an, er müsse die Pläne den Iranern zukommen lassen. Diesewürden rasch den wahren Wert erkennen und sie eilends anihre Vorgesetzten in Teheran weiterleiten. Der Plan war dem Uberläufer während eines von der CIA finanzierten Aufenthalts in San Francisco erklärt worden, woer sich mit CIA Offizieren und Atomexperten getroffen hatte,zwischen erholsamen Ausflügen zu Weinproben in Sonoma Country. In einem luxuriäsen Hotelzimmer war ein hoher CIA-Beamter mit dem Russen die Details der Operationdurchgegangen, während Experten aus einem Laboratoriumdie für den Iran bestimmten Pläne geprüft hatten.Der hohe CIA Beamte merkte, dass der Russe nerväs war,und versuchte deshalb, die Bedeutung dieses Auftrags herunterzuspielen.Er behauptete, sie würden die Operation nur deshalbdurchführen, weil sie herausfinden wollten, wo die Iranermit ihrem Atomprogramm ständen. Es handle sich lediglichum die Beschaffung
  178. von Informationen, keineswegs um einenillegalen Versuch, dein Iran die Bombe zuzuspielen. Er gabdem Russen zu verstehen, dass die Iraner ohnehin bereitsüber die Technologie verfügten, die er ihnen übergeben werde.Alles sei nur ein Spiel. Nichts Ernstes.Der Russe nickte zägernd, doch er war immer noch misstrauisch. 220 Er hatte Angst, weil er sich über den Wert der Information,die er den Iranern aushändigen sollte, vällig im Klaren war. Erkonnte ihn mit Sicherheit sogar besser einschätzen als seineCIA-Ausbilder. Vor dem Seitenwechsel hatte er als Ingenieurin Arsamas-16 gearbeitet, dem ersten Zentrum des sowjetischenAtomwaffenprogramms und russischen Gegenstück zuLos Alamos, der Heimat des Manhattan Project. Das Forschungszentrumwurde 1946 gegründet, als Stalin die Amerikanerso schnell wie mäglich einholen und die Sowjetunionzu einer Atommacht machen wollte. Arsamas-16 war langeZeit so geheim gewesen, dass man es nur das »Objekt« oderdie »Einrichtung« nannte. Der auf dem Gelände eines Klostersaus der Zarenzeit errichtete Komplex hieß zunächst Arsamas-60,weil er sechzig Kilometer von der Stadt Sarow entferntwar; doch die Sowjets waren der Meinung, diese Bezeichnungsei allzu leicht zu durchschauen, und machten Arsamas-16 daraus.Im Jahr 1947 verschwand die Stadt Sarow spurlos von allenrussischen Landkarten.In Arsamas-16 bauten die Sowjets ihre ersten Atom-undWasserstoffbomben, und noch heute arbeiten 30000 Menschenan Atomwaffenanlagen innerhalb dieses schwer bewachtenDistrikts. Im Jahr 1995 gab der russische Präsident Boris Jelzinder Stadt ihren ursprünglichen Namen Sarow zurück.Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fürchteten dieVereinigten Staaten, dass mittellose Wissenschaftler aus Arsamas-16und vergleichbaren Einrichtungen der Versuchungnicht widerstehen kännten, für den Irak, Nordkorea oderden Iran - zu arbeiten. Weiterverbreitung von Atomwaffen bedeuteteja in Wirklichkeit die Verbreitung des erforderlichenWissens und der Wissenschaftler.Mit dem Ende des Kalten Krieges endeten auch die regelmäßigenGehaltszahlungen an russische Atomwissenschaftler.Es bestand die reale Gefahr, dass das Fachwissen der Russensich wie ein Virus in den totalitären Staaten der Dritten Weltausbreiten würde. In den neunziger Jahren brachte sich der Di-221 rektor einer russischen Atomeinrichtung um, dem Vernehmennach, weil die Regierung ihm kein Gehalt mehr gezahlt hatte.Es gab russische Pressemeldungen über gestohlenes Uran ausArsamas-16. Was sollte schlecht bezahlte russische Wissenschaftlerdavon abhalten, mit ihren Kenntnissen und vielleichtden Plänen oder gar dem erforderlichen spaltbaren Materialdavonzulaufen und »Schurkenstaaten« beim Bau einer
  179. Bombezu helfen?Z um Glück erkannten genau im richtigen Moment zweigemäßigte US-Senatoren, ein Demokrat und ein Republikaner,die Gefahr und legten das wohl weitsichtigste außenpolitischeProgramm seit dem Marshallplan vor. 1991 arbeiteten SamNunn, ein Demokrat aus Georgia und führender Sprecher seinerPartei in Sachen nationale Sicherheit, und Richard Lugar,ein umsichtiger Republikaner und ehemaliger Bürgermeistervon Indianapolis, der sich im Senat zum Experten für Außenpolitikgemausert hatte, einen Gesetzesvorschlag aus, der einenmassiven Abfluss von Nukleartechnologie aus der ehemaligenSowjetunion verhindern sollte. Das Projekt wurde unter demNamen Cooperative Threat Reduction Program (CTR) bekannt.Unter anderem wurden gemeinsame amerikanisch-russischeInitiativen ins Leben gerufen, um Tausende atomarerSprengkäpfe in der ehemaligen Sowjetunion zu deaktivieren.Ferner half man der Ukraine, Kasachstan und Weißrussland dabei,die Atomwaffen loszuwerden, die sie beim Zusammenbruchder Sowjetunion geerbt hatten.Ebenso wichtig waren die Folgen des CTR-Programms fürdas Leben russischer Wissenschaftler. Mehr als 20000 russischenExperten, die an dem sowjetischen Waffenprogrammgearbeitet hatten, wurde geholfen, in alternativen und friedlicherenFormen der Forschung Fuß zu fassen. Arsamas-16knüpfte sogar Kooperationen mit Los Alamos an. Im Jahr1993 waren Los Alamos und Sarow offiziell Partnerstädte.Hinter der äffentlichen Fassade des CTR-Programms gingdie CIA weiter ihrer Arbeit nach. In aller Stille half sie russi-sehen Atomwissenschaftlern beim Seitenwechsel, damit sienicht in den Iran oder Irak gingen. Die CIA bot ihnen ein neuesLeben und so viel Geld, dass sie ihr Wissen nicht auf demfreien Markt feilbieten mussten. Im Zuge dieser berläuferbetreuungwar auch besagter Russe in die Vereinigten Staaten gelangt. Doch jetzt hielt die CIA den russischen Ingenieur nicht längervom Atommarkt fern, ja, sie hielt nicht einmal das russischeKnow-how zurück. Die Pläne, die der Russe den Iranern aushändigensollte, stammten aus dem Arsamas-Komplex, undzwar von einem anderen Uberläufer.Gab es eine bessere Mäglichkeit für die CIA, ihre Beteiligungan der Operation zu verheimlichen, als einem Veteranenaus Arsamas persänlich die russischen Baupläne in die Hand zudrücken? Der für ihn zuständige Offizier hatte dem Russennach Kräften geholfen, Kontakt mit den Iranern aufzunehmen.Das war gar nicht so einfach; die Ansprechpartner für das geheime,iranische Atomwaffenprogramm findet man nicht inden Gelben Seiten. Immerhin bestand die Mäglichkeit, überdas Internet Kontakt zu knüpfen. Vielleicht brauchte man einfachnur E-Mails
  180. zu verschicken.Gedrängt von seinem »Führungsoffizier« fing der Russe an,Nachrichten an iranische Wissenschaftler, Gelehrte und sogarDiplomaten zu verschicken, die an der IAEA in Wien stationiertwaren. In seinen E-Mails erklärte er jedes Mal, dass erüber Informationen von hächstem Interesse für den Iran verfüge und dass er ein Treffen mit jemandem wünsche, der bereitsei, ihm zuzuhären. Die Botschaften sollten neugierig machen,aber mäglichst wenig enthüllen. Sie sollten gerade so viel verrraten,dass eine Antwort zu erwarten war.Außerdem besuchte er von jetzt an wissenschaftliche Veranstaltungenin den Vereinigten Staaten, an denen iranischamerikanischeWissenschaftler teilnahmen. Sie lockten gelegentlichauch Wissenschaftler aus dem Iran an, die sich zu Besuch imLand aufhielten. Auch sie kamen als geeignete Kontaktpersonen infrage. Oer Russe wäre unter den iranischen Akademikernselbst einem Blinden aufgefallen, doch genau das wollte er jaauch. Er wollte, dass die Leute auf ihn aufmerksam wurden. Erw ar ein Atomwatienverkäuter, jederzeit zum Deal bereit.Natürlich war es überhaupt nicht ungewähnlich, dass russischeund iranische Wissenschaftler miteinander in Berührungkamen, und genau daraufsetzte die CIA. Es gab einen bewährtenKanal russischer technischer Unterstützung für das iranischeAtomenergieprogramm. Moskau hatte einen 800-Millionen-Dollar-Vertratüber den Bau eines Leichtwasserreaktorsc1bei Bushehr abgeschlossen. Die Vereinigten Staaten hatten äffentlichbeklagt, dass der Iran Bushehr und das kommerzielleAtomprogramm des Landes für die Entwicklung von Atomwaffenmissbrauche. Amerikanische Regierungsvertreter, sowohlunter Clinton als auch unter Bush, fragten hartnäckig,weshalb der Iran ein Atomenergieprogramm brauche, wo erdoch über gewaltige äl-und Gasvorkommen verfuge. In einerO w C/Erklärung des Außenministeriums wies Washington daraufhm, dass der Iran jährlich mehr Erdgas abfackle, als Bushehran Energie produzieren känne. Seit mindestens einem Jahrzehntwaren die Kontakte Moskaus zum Iran ein wesendichesStreitthema in den amerikanisch-russischen diplomatischenBeziehungen. Insbesondere war Washington darüber verärgert,dass Moskau den Iran eher als kaufwilligen Kunden fürrussische Waffen ansah denn als wachsende strategische Gefahrim Nahen Osten. Da Teheran also nach dem Ende des KaltenKrieges als wichtiger Umschlagplatz für russische Waffen diente,war es keineswegs auffällig, wenn sich russische und iranischeTechniker und Bürokraten trafen. Der russische berläuferkonnte sich das bei seinen Vorstäßen zu Iranern
  181. zunutzemachen.Bei allen Gesprächen mit Wissenschaftlern und anderenAkademikern sammelte der Russe Visitenkarten ein. Danachfing er an, seinen neuen Kontakten E-Mails mit verführerischenBotschaften zu schicken. Er schrieb, er sei in der Lage, dem Iran Material von großem Interesse zu liefern und wolledarüber mit ihnen sprechen. Endlich hatte er bei einer KonferenzErfolg, als er einen Physikprofessor aus Teheran kennenlernte.Nachdem die CIA den Hintergrund des iranischen Wissenschafdersüberprüft hatte, kam sie zu dem Schluss, dass derKontakt viel versprechend sei. Der Geheimdienst hoffte, derProfessor känne dem Russen die Tür zur geheimen Welt desTeheraner Atomprogramms äffnen. Zumindest kännte er ihnmit den richtigen Leuten im Iran bekannt machen.Der Russe ließ der zufälligen Begegnung E-Mails an denWissenschaftler im Iran folgen. Er erklärte, er verfuge über Informationenvon äußerster Wichtigkeit und wolle ein Angebotunterbreiten. Nach einigem Warten antwortete der Iranerendlich mit einer behutsamen Nachricht und fragte ihn, waser denn damit meine.Das genügte der CIA. Nun konnte der Russe iranischenRepräsentanten in Wien erklären, dass er bereits mit einem angesehenenWissenschafder in Teheran Kontakt aufgenommenhabe.Die CIA hatte erfahren, dass ein hochrangiger iranischer Regierungsvertreternach Wien reisen und der iranischen Missionbei der IAEA einen besuch abstatten wuerde. dshalb beschloss sich der geheimdienst, den naechstenschrit zu wagen und den russen um dieselbe zeit nach wien zu schicken. man hofte dasser entweder mit dem iranischen gesandten bei der IAEA oder mit dem besucher aus teheran kontaktaufnehmen konnte. das hauptquartier liess ihn ohne jede unterstuetzung nach wien reisen die dortigecia station wurde nicht aufgefordert dem russen in irgendeiner form zu helenlangley wollte keine enttarnung riskieren. die ganze operation lief als "special access programm)(programm mit exlusivem zugriff)mir eine hand voll CIA Offiziere wusse von MERLIN: Lieber den Russen durch die Stadt irren lassen, als noch mehrOffiziere beteiligen, lautete die Devise. Ihn ohne Aufpassernach Wien zu schicken, würde zudem jeden, der ihn observierte,überzeugen, dass er wirklich nur das war, was er vorgab:ein Amateur in diesem Spiel, ganz auf sich gestellt.Den Iranern sollte der Russe erzählen, er sei der Mittelsmannfür den anderen russischen Wissenschaftler, der dieAtomwaffenpläne aus Arsamas herausgeschmuggelt hatte. InWirklichkeit hatte er diesen Landsmann nie kennen gelernt,doch das spielte keine Rolle. Die Story würde es ihm
  182. erleichtern,Fragen der Iraner zu beantworten, wie es ihm denn gelungensei, die Pläne zu beschaffen, die in Arsamas nicht geradeoffen zum Mitnehmen herumlagen.Der Russe wurde außerdem angewiesen, er solle gar nichterst versuchen, den Umstand zu verheimlichen, dass er jetztin den Vereinigten Staaten lebte. Er sollte mit seiner Geschichteso nahe wie mäglich bei der Wahrheit bleiben. Sein amerikanischesExil bedeutete ja noch lange nicht, dass er für dieCIA arbeitete.Doch jetzt, wo er in Wien angekommen war, spielte er dieRolle des vertrottelten Wissenschaftlers geradezu perfekt. Erwar nicht imstande, die iranische Vertretung zu finden, wusstenicht einmal, wo er aus der Straßenbahn aussteigen musste.»Ich verbrachte viel Zeit damit, Menschen zu fragen, wie ichkonnte [Sprachprobleme], und sie sagten mir, in der Umgebunggibt keine Straßen mit diesen Namen«, erklärte der Russespäter der CIA in seinem gebrochenen Englisch.Vielleicht wollte er auch gar nicht aus der Straßenbahn aussteigenund das richtige Büro finden. Er brauchte Zeit zumNachdenken.Sein Aufenthalt in San Francisco wollte ihm nicht aus demKopf gehen. Schon nach wenigen Minuten hatte er einen Fehlerin den Plänen entdeckt, die ihm der Geheimdienst ausgehändigthatte. »Das ist nicht richtig«, sagte er den CIA Offizie-226 ten in dem Hotelzimmer. »Hier stimmt etwas nicht.« SeineWorte lästen eisige Blicke aus, doch von den CIA-Leuten imRaum antwortete niemand direkt auf seinen Hinweis. Reinender Anwesenden schien die Behauptung des Russen zu überraschen,dass die Kopien nicht ganz korrekt seien, aber offenbarwollte ihn auch niemand über diesen Umstand aufklären.Tatsächlich war der zuständige CIA Offizier, der den Russenpersänlich ausgebildet hatte, verblüfft über dessen äußerung.In einer Pause nahm er den hohen CIA Offizier beiseite.»Es war nicht geplant, dass er das weiß«, sagte der FührungsofHzierzu seinem Vorgesetzten. »Er sollte eigendich keinenFehler finden.«»Keine Sorge«, erwiderte der hohe CIA Offizier ruhig. »DasC7 Ospielt keine Rolle.«Der Führungsoffizier glaubte, sich verhärt zu haben, doch esC* C7gelang ihm, seine Befürchtungen vor dem Russen zu verberrr ogen. Er brachte ihm weiter alles Nätige für seine Mission bei.D oSpäter übergab der Führungsoffizier dem Russen danneinen versiegelten Umschlag mit den Plänen. Ihm wurde einoogeschärft, das Kuvert unter keinen Umständen zu äffnen. Ersollte unbedingt die Anweisungen der CIA befolgen, nämlich7 (7 C?die Iraner autsuchen und ihnen den Umschlag mit den Dokumentenübergeben. Mach es nicht unnätig kompliziert, wurdeihm gesagt, und sieh zu, dass du sicher und lebendig aus WienC CJ * cverschwindest. Doch der Uberläufer zerbrach sich mehr dennje den Kopf
  183. darüber, in was für ein Spiel die CIA ihn hier hineinzog.Und er hatte eigene Vorstellungen, wie er dieses Spielspielen wollte.In Wien ging der Russe noch einmal seine Optionen derReihe nach durch und traf eine Entscheidung. Er brach dasSiegel des Umschlags auf und legte einen eigenen Brief an dieIraner bei. Gleichgültig, was die CIA ihm gesagt hatte, er wollteauf Nummer sicher gehen. Ganz offensichtlich stimmte mitdiesen Plänen etwas nicht - deshalb beschloss er, das in seinemBrief anzudeuten. Mit Sicherheit würden sie ohnehin die Fehler selbst entdecken, dachte er, und wenn er sie nicht zuerst daraufhinwies,wollten sie bestimmt nie wieder etwas mit ihm ||tun haben. In seinem gebrochenen Englisch sprach der Russedie Iraner so an, als wären sie akademische Kollegen. Späterhändigte er der CIA eine Kopie des Briefs aus.An Universität:Zuerst darf ich mich vorstellen. Ich bin eine Person, dieviele Jahre in Atomindustrie arbeitete. Bitte prüfen Sieauf der folgenden Seite meine persänliche Daten, bitte.Ich mächte Ihnen mitteilen, dass ich sehr wertvolle Informationenüber Design und Produktion von Atomwaffenhabe. Zu dieser Zeit besitze ich eine Beschreibungvon einem der Schlüsselelemente des modernen Systems,des TBA-480 Hochspannungsautomatikblocks. BeschriebenesGerät ist bekannt als Feuerausläser, der simultan alleSprengzünder in einem Waffenkern (sphärische Ladung)zur Zündung bringt. Ich bin sicher, andere Geräte kännenin Zukunft für Sie zur Prüfung erhältlich sein. Ichnahm nicht direkt mit richtigen Leuten in Ihrem LandKontakt auf, weil ich leider sie nicht finden konnte.Selbstverständlich habe ich auf viele andere Weise versucht,Aufmerksamkeit auf diese Info zu lenken, indemich ein wenig von dem mitteilte, was ich habe, doch eshat nicht funktioniert. Großes Missverständnis, und entsprechendviel Zeitverschwendung und Enttäuschung.Also beschloss ich, diese absolut reale und wertvolle Basisinformationjetzt kostenlos anzubieten, und Sie kännendas bewerten. Auch schickte ich E-Mail, um [Name desiranischen Professors] über dieses mägliche Ereignis zu informieren.Bitte teilen Sie ihm mit, dass Sie das Paket haben.Was ist Zweck meines Angebots?Wenn Sie versuchen, ein ähnliches Gerät zu bauen,werden Sie einige praktische Fragen stellen müssen. KeinProblem. Sie werden Antworten bekommen, aber ich228 mächte dafür bezahlt werden. Lassen Sie uns die Detailsspäter klären, wenn ich ein echtes Interesse daran erkenne.Nehmen Sie sich jetzt die Zeit für eine professionelle Studieder beigelegten Dokumente. Meine Kontaktadresseauf der nächsten Seite.Der Russe warnte folglich die Iraner so behutsam wie mäglich,dass irgendwo in den Atomwaffenplänen ein Fehler enthaltenwar, und gab ihnen zu verstehen, dass er ihnen helfen
  184. konnte,ihn zu finden. Gleichzeitig führte er die CIA Operation aufdie einzige Art aus, die seiner Ansicht nach funktionierenkonnte.Er schob seinen Brief in den Umschlag mit den Plänen undversiegelte diesen wieder.Nachdem der Russe einen Tag lang vergeblich durch dieStraßen Wiens geirrt war, kehrte er in sein Hotel in der Nähedes großen Stadtparks zurück. Er suchte mit Hilfe seines Computersund fand die richtige Adresse für die iranische Mission.Mit neuem Mut beschloss er, am Vormittag noch einmal hinzugehenund den Job zu erledigen.Um acht Uhr fand er die Heinestraße 19, ein fünfstäckigesBüro-und Wohngebäude mit einer glatten, blassgrünen undbeigefarbenen Fassade in einem ruhigen, leicht heruntergekommenenViertel am Nordrand des Wiener Stadtzentrums.In der Straße drängten sich Tabakläden, Bars und Cafs, esgab dort ein Sonnenstudio und sogar ein Stripteaselokal. Jetztwurde dem Russen klar, wieso er das Gebäude übersehen hatte:Es gab kein Schild, das auf die iranische Vertretung hinwies.Das einzige Anzeichen, dass er vor dem richtigen Haus stand,war ein Türschild mit drei Zeilen an der Mauer neben der Eingangstür.Zwischen zwei ästerreichischen Namen stand eineschlichte Zeile: »PM/Iran«. Die Iraner legten sichtlich keinenWert auf Publicity.Dem Russen brach der Schweiß aus. Doch er beruhigte sichgleich wieder, als er näher trat und feststellte, dass das iranische229 Büro an jenem Tag aus unerklärlichen Gründen geschlossenwar. Noch einmal lief er einen Tag lang kreuz und quer durchWien und grübelte über die Befehle der CIA nach. Abendskehrte er in sein Hotel zurück die nicht zugestellten Dokumenteimmer noch in der Tasche.Am frühen Morgen kehrte er zur iranischen Vertretung zurückund stand quälend lange Minuten auf dem menschenleerenBürgersteig vor dem Haus.Er kam am Nachmittag noch einmal, und ein ästerreichischerBriefträger brachte ihn endlich dazu, einen Entschlusszu fassen. Während der Russe schweigend dastand, äffnete derBriefträger die Haustür, warf die Post ein und setzte in allerRuhe seine Runde durch das Viertel fort. Der Russe nahm seinenganzen Mut zusammen und beschloss, es genauso zu machen.Ihm wurde jetzt klar, dass er das Päckchen zurücklassenkonnte, ohne überhaupt mit jemandem reden zu müssen. Erschlüpfte durch die Eingangstür und schob seinen Umschlaghastig durch den Briefkastenschlitz.»Ich erreichte die Eingangstür zur Mission«, erklärte derRusse später schriftlich der CIA, »und stopfte das Päckchen inihren Briefkasten an der linken Seite ihrer Tür. Ich legte alteZeitung darauf, aber wenn jemand es mächte, ist es mäglich,dieses Päckchen aus dem Briefkasten zu ziehen, nach meinerMeinung. Ich hatte keine Wahl.«Der Russe flüchtete aus dem Gebäude, ohne gesehen
  185. zuwerden; er war sehr erleichtert, die bergabe bewerkstelligtzu haben, ohne auch nur einem Iraner gegenübergetreten zusein. Er flog in die Vereinigten Staaten zurück, und nichts deutetedarauf hin, dass der ästerreichische oder gar der iranischeGeheimdienst auf ihn aufmerksam geworden war.Von ihrem Hauptquartier in Fort Meade in Maryland aus überwachtdie National Security Agency (NSA) die Flugbuchungenauf der ganzen Welt und prüft fortwährend die Reisevorkehrungenausländischer Regierungsvertreter und anderer Ziel-230 personell der amerikanischen Geheimdienste. Im Februar 2000härte sie auch die Telefonleitungen der iranischen Vertretung inWien ab. Sie konnte die Gespräche zwischen der Mission undTeheran abfangen. Darüber hinaus hatte die NSA die Codesdes Ministeriums für Nachrichtenwesen und Sicherheit, desiranischen Auslandsgeheimdienstes, geknackt. Die Amerikanerhatten mehrere Mäglichkeiten, die Bewegungen iranischerRegierungsvertreter in und um Wien herum zu verfolgen.Nur wenige Tage, nachdem der Russe sein Päckchen an deriranischen Mission eingeworfen hatte, meldete die NSA, dassein iranischer Regierungsvertreter in Wien urplätzlich seinenTerntinplan änderte, einen Flug reservierte und in den Iran zurückflog.Die Chancen standen gut, dass sich die Pläne jetzt inTeheran befanden.Die ängste des russischen Wissenschaftlers waren durchaus berechtigt.Er war der Strohmann für eine der fahrlässigstenOperationen in der modernen Geschichte der CIA. DieseOperation hat mäglicherweise einem »Gründungsmitglied«des Vereins, den Präsident George W. Bush die »Achse des Bä-sen« genannt hat, zu Atomwaffen verholfen.Die Operation MERLIN ist das wohl am strengsten gehüteteGeheimnis in den Regierungen unter Clinton und Bush gewesen.Und womäglich ist das Spiel noch nicht vorbei. EinigeRegierungsvertreter haben angedeutet, dass eine solche Operationgegen andere Länder wiederholt werden kännte.MERLIN war aus reiner Frustration heraus entstanden. Seitdem Ende des Kalten Krieges, also seit mehr als einem Jahrzehnt,war ein CIA Chef nach dem anderen vor den Kongressund die Nation getreten und hatte geschworen, dass AmerikasSpione sich nunmehr auf die neue, wachsende Bedrohungkonzentrieren würden, die von einer ganzen Reihe »harterZielobjekte«, so genannter hard targets, ausging: Terroristen,Schurkenstaaten, Massenvernichtungswaffen. Ein Direktor231 nach dem anderen versprach, dass die CIA sich rasch wandelnwerde, um sich an diese komplexe neue Welt anzupassen, inder die Sowjetunion nicht mehr der Hauptfeind war. Dochdie CIA hat nie genügend Informationen über eins dieser neuenZielobjekte beschaffen kännen. Und das
  186. Atomprogrammdes Iran zählt immer noch zu den am schwersten zu durchdringendenSpionagezielen.Selbst vor dem katastrophalen Zusammenbruch des amerikanischenAgentennetzes im Iran im Jahr 2004 war es der CIA lediglich gelungen, fragmentarische Informationen über dasAtomprogramm zu beschaffen. Laut Regierungsvertretern,die den Bemühungen der CIA kritisch gegenüberstehen, habensich die Aktivitäten des Geheimdienstes zur Verhinderungdes Handels mit Atomwaffen viel zu stark auf Informationengestützt, die über technische Verfahren gewonnen wurden:Aufklärungssatelliten, Lauschoperationen und Einbrüche infremde Codes sowie Informationen aus »measurement and signature«(Messungen und Signaturen), kurz MASINT, zu denendas Sammeln und Auswerten von Daten verborgener Gerätewie ferngesteuerter Bodensensoren zählt. Da die CIA keinedefinitiven Antworten auf Fragen zum Atomprogramm desIran geben konnte, beschränkte sie sich stattdessen auf eineReihe sicherer und zurückhaltender Einschätzungen. In allden Jahren hat der Geheimdienst mehrfach erklärt, dass derIran innerhalb von fünf bis zehn Jahren zu einer Atommachtaufsteigen werde. Diese fünf bis zehn Jahre zogen sich immermehr in die Länge.Die Counterproliferation Division (CPD) innerhalb des Directorateof Operations präsentierte MERLIN und andere verdeckteOperationen als originelle, wenn auch unorthodoxeWege, das Atomwaffenprogramm Teherans zu infiltrieren. Inmanchen Fällen hat die CIA dabei laut Angaben von Personen,die mit dem geheimen Programm vertraut sind, mit dem israelischenGeheimdienst zusammengearbeitet. Soweit bekannt,war kein einziger Versuch von Erfolg gekränt.232 Ein anderer bizarrer Plan sah die Sabotage des iranischenStromnetzes in der Umgebung geheimer Atomeinrichtungenvor. Die CIA testete Geräte für Stromsabotage auf dem staatlichenAtomtestgelände in Nevada, Es handelte sich um Apparatezur Erzeugung elektromagnetischer Pulse, Die wollte manin den Iran schmuggeln und dann in der Nähe großer Stromleitungenverstecken, die die Atomanlagen des Landes mitElektrizität versorgten. Die CIA wollte die Geräte später überFernsteuerung sprengen und so einen elektrischen Impuls indie Stromleitungen schicken, stark genug, um die Rechnersystemein dem iranischen Atomkomplex lahmzulegen.Die CIA arbeitete bei diesem Plan mit dem Mossad, dem israelischenAuslandsgeheimdienst, zusammen. Einige MossadAgentenerklärten sich bereit, die Geräte in den Iran zu schmuggeln.Die Israelis teilten der CIA mit, dass sie iranische Agentenhätten, die den Plan in ihrem Namen ausfuhren würden.Doch aufgrund gräßerer technischer Schwierigkeiten erwiessich das Vorhaben als
  187. undurchführbar. Die elektromagnetischenApparate waren so riesig, dass man sie nur in einemgroßen Lastwagen transportieren konnte. Die CIA erkannte,dass das schlicht unmäglich war.Und dann gab es eben die Operation MERLIN. Auf demPapier sollte MERLIN die Entwicklung des Teheraner Atomprogrammssabotieren, indem iranischen Waffenexperten einefalsche technische Anleitung zugespielt wurde. Die CIA warüberzeugt, dass die Iraner die Pläne, sobald sie sie in den Händenhielten und geprüft hatten, als brauchbar einstufen und anfangenwürden, anhand dieser falschen Anleitungen eineAtombombe zu bauen. Teheran würde jedoch, so der Traumder CIA, eine große berraschung erleben, wenn die Wissenschaftlerihre neue Bombe zu testen versuchten. Anstelle einesAtompilzes würden die iranischen Wissenschaftler ein frustrierendesFiasko erleben. Das iranische Atomwaffenprogrammwürde einen demütigenden Rückschlag erleiden und TeheransZiel. eine Atommacht zu werden, sich um Jahre verzägern. Gleichzeitig hatte die CIA, indem sie die Reaktion auf die Plä-ne beobachtete, eine Unmenge an Informationen über denStand des iranischen Watfenprogramms erhalten, das hintereinem Nebel der Geheimhaltung verborgen war.Es ist nicht ganz klar, wer als Erster auf die Idee kam, dochdas Unternehmen wurde erstmals von Bill Clinton genehmigtund begann noch während seiner Amtszeit. Die Bush-Administrationhat ihn ausdrücklich gebilligt.Die CIA war über einen russischen Wissenschaftler in den Besitz echter russischer Atomwaffenpläne gelangt und hattesie zu einer gründlichen Prüfung durch amerikanische Expertenan ein nationales Laboratorium aller Wahrscheinlichkeitdie Sandia National Laboratories in New Mexico - weitergeleitet.Das Labor in Albuquerque zählt zu den Perlen des amerikanischenAtomapparats. Sein Ursprung reicht bis in die sogenannte Z Division des Labors in Los Alamos während desManhattan Project zurück. Die Z Division war für Entwicklungund Design der nichtnuklearen Teile der ersten Atombombezuständig, darunter auch die Montage. In Sandia istfolglich das gesamte Wissen der US-Regierung zu der Frageuntergebracht, wie man eine Atombombe zusammenbaut.Die Wissenschaftler des Labors wurden gebeten, Fehler indie russischen Pläne einzufügen. Sie sollten so raffiniert undgut versteckt sein, dass niemand sie entdecken konnte.Als Nächstes musste der Geheimdienst überlegen, wie erden Iranern die Entwürfe zuspielen konnte, ohne Teheranmerken zu lassen, dass die Pläne von der CIA kamen. DieseAufgabe wurde der Counterproliferation Division der CIA übertragen. Die CPD wählte den russischen Uberläufer aus.Das war die Idee, die hinter MERLIN steckte.
  188. Aber wie soviele CIA-Operationen in letzter Zeit lief auch diese nichtnach Plan. Erstens erkannte der Russe auf den ersten Blick dieFehler in der Bauanleitung. Zweitens hatte die CIA sie nie ausreichendunter Kontrolle geschweige denn den Russen. DerRusse sollte glauben, dass er echte Atomwaffenpläne aushän-digte. Stattdessen dürfte sein Begleitbrief die Iraner dazu gebrachthaben, sich vor den Plänen zu hüten. Und schließlichgab die CIA den Iranern die Pläne, ohne dass sie die Mäglichkeithatte, ihre Verwendung durch iranische Wissenschaftler zuüberwachen. Die CIA machte einen Blindflug noch dazueinen überaus riskanten. Im Grunde bat sie den Russen, diePläne über die Mauer zu werfen, und dann hoffte sie, dass allesgut werde.Laut ehemaligen CIA Beamten ist der Gedanke, der hinter MERLIN steckte fehlerhafte Waffenpläne aushändigen, umAmerikas Gegner zu verwirren j ein Trick, der in vergangenenOperationen, die bis in den Kalten Krieg zurückreichen,mehrfach angewandt wurde. Doch in jenen Fällen ging es beiderartigen »trojanischen Pferden« um konventionelle Waffen;kein einziger ehemaliger Beamter hatte jemals davon gehärt,dass die CIA versuchte, eine derart riskante Operation mit Plä-nen für eine Atombombe durchzuführen. Die ehemaligen Beamtenerklärten ferner, solche Programme müssten auf jedenFall von führenden CIA Mitarbeitern genau überwacht werden,damit man die Gewissheit habe, dass der Informationsflusszum Gegner unter Kontrolle sei. Wenn dabei etwas schiefginge,wäre es durchaus mäglich, dass man dem Feind helfe, dieWaffenentwicklung zu beschleunigen.Genau das kännte mit MERLIN passiert sein.Der zuständige CIA Offizier machte sich große Sorgen,weil der Russe so schnell die Fehler in den Plänen entdeckthatte. Das hieß natürlich, wie er genau wusste, dass es den Iranernwahrscheinlich ebenso leicht fallen würde. Dann konntensie theoretisch die Fehler beheben und mit Hilfe der korrigiertenPläne eine Bombe bauen. Wenn dem so war, hätte ausgerechnetdie CIA den Iranern geholfen, in den Klub derAtommächte zu gelangen. Die Frage, ob er das iranischeAtomwaffenprogramm vorangebracht hatte, ließ ihm keineRuhe. Er ging zum Geheimdienstausschuss des Senats und erzählte den Ermittlern im Kongress von den Schwierigkeitenmit dem Programm. Doch es wurde nie etwas unternommen.Der Russe begriff seinerseits nie, weshalb die CIA wolltedass er den Iranern Pläne zuspielte, die so offensichtliche Fehlerenthielten. Das ergab keinen Sinn. Und deshalb schrieb er denIranern den privaten Brief.Es ist nicht bekannt, ob die Iraner jemals versucht haben, zudem Russen Kontakt aufzunehmen. Aber der Iran arbeitet seitfast
  189. zwanzig Jahren an Atomwaffen und hat in der Zeit genügend Know-how entwickelt, derartige Fehler in Anleitungenzum Bau von Atomwaffen zu erkennen. Darüber hinaus habendie Iraner jahrelang massive Unterstützung von russischen undchinesischen Atomexperten erhalten, die ihnen bei der Prüfung des Materials helfen konnten. Hinzu kommt, dass Teheransich auch auf dem Schwarzmarkt über den pakistanischenWissenschaftler A. Q. Khan Atomwaffenpläne verschafft hatteund folglich bereits über funktionstüchtige Anleitungen verfugte,mit denen es die Entwürfe der CIA vergleichen konnte.Selbst wenn die Iraner ein Interesse gehabt hätten, die Plänezu verwenden, die der mysteriäse Russe ihnen zugespielt hatte,dann hätten sie mit Sicherheit die Daten in den Dokumentenzuerst einer Prüfung unterzogen, bevor sie wirklich begonnenhätten, eine Bombe zu bauen. Laut Atomexperten wärensie auf diese Weise imstande, den Plänen wertvolle Informationenzu entnehmen.»Wenn ein Land mit siebzig Millionen Bewohnern [Iran]und recht tüchtigen Wissenschaftlern und Technikern [Atomdokumentemit angeblich versteckten Fehlern] in die Händebekommt, so kännen sie daraus etwas lernen«, warnte einAtomwaffenexperte bei der IAEA. »Wenn [der Fehler] gravierendgenug ist, werden sie ihn rasch entdecken. Das wäre meineBefürchtung.«Der Iran hat die amerikanischen Präsidenten seit Jimmy Carterund der Geiselkrise in der USBotschaft immer wieder geplagt, und weder Bill Clinton noch George W. Bush haben ihre Politikauf ein hinreichendes Verständnis für die schwer fassbarepolitische Dynamik in diesem Land gegründet. Die ganzenneunziger Jahre über war die Clinton-Administration überzeugt,dass politische Reformer und junge Gemäßigte im Iranim Kommen seien. Folglich stellte das Weiße Haus die verrücktestenVerrenkungen an, um heimlich Kontakte für Gesprächemit Leuten in Teheran zu knüpfen. Damit Clintonüberhaupt bei den Iranern Gehär fand, musste er jedoch dieHinweise herunterspielen, dass Teheran sich immer noch alsweltweit führender staatlicher Sponsor des Terrorismus betätigte, dass der Iran immer noch eine Islamische Republik war,deren Sicherheitsapparat von mächtigen, konservativen Mullahskontrolliert wurde, die mit den USA nichts zu tun habenwollten, und dass das iranische Regime unbedingt eine Atommachtwerden wollte.Nach Meinung von Kritikern versuchten Clinton und seineUntergebenen wiederholt, Hinweise zu ignorieren, dass derIran in den tädlichen Bombenanschlag auf die Khobar Towersim Juni 1996 im saudischen Dhahran verwickelt war, bei demneunzehn amerikanische Soldaten umkamen. Die saudischeHisbollah, ein Ableger der vom Iran geforderten extremistischenGruppe im Libanon, hatte den Anschlag verübt
  190. undwar vom Iran ausgebildet und logistisch unterstützt worden.Hohe CIA Beamte spielten laut mehreren CIA Quellen eine wichtige Rolle bei den Bemühungen der Clinton-Administration,die Anzeichen für iranische Verbindungen zu Terrorgruppenzu verharmlosen. Im Jahr 1996 oder 1997 arbeiteteein Offizier in einer geeigneten Stellung im iranischen Ministeriumfür Nachrichtenwesen und Sicherheit mit der CIA zusammen.Bei Treffen in Europa nur wenige Monate nach demAnschlag in Khobar lieferte der iranische Informant laut CIA Mitarbeitern dem US Geheimdienst Beweise, dass der Iranhinter dem Bombenanschlag steckte. Der Iraner teilte derCIA mit, er habe sich nach dem Anschlag mit mehreren hohen iranischen Regierungsvertretern getroffen und sie hätten denErfolg ihrer Operation gefeiert. Er sagte seinem Kontaktmannin der CIA auch, dass um diese Zeit ein amerikanisches Regierungsflugzeugmit einem hohen Regierungsvertreter an Bordheimlich in Teheran gelandet sei. Mehrere hohe Mitglieder deriranischen Regierung seien zum Flughafen gefahren, um sichmit dem Amerikaner zu treffen, sagte der Informant.Den Offizieren in der Iran Task Force der CIA, die den Berichtdieser iranischen Quelle bearbeiteten, kam es so vor, alswürde die Clinton-Administration einen geheimen Deal mitTeheran schließen, und das kurz nachdem neunzehn Amerikanervon demselben Regime ermordet worden waren. HoheGeheimdienstbeamte reagierten laut CIA Quellen auf diesebrisante Information, indem sie sie unterdrückten. Ein Informantvon der CIA gab an, Berichte von dem iranischen Informantenseien an hohe CIA Mitarbeiter weitergeleitet, dochkein einziger Bericht sei an die übrigen Geheimdienste verteiltworden, auch nicht innerhalb der CIA. Es ist nicht bekannt, obdas Weiße Haus jemals etwas von den Berichten des iranischenInformanten erfuhr. Mit Sicherheit glaubte aber der damaligeFBIDirektor Louis J. Freeh, dass Clinton und seine Entouragedie Informationen über eine iranische Beteiligung an dem Anschlagauf Khobar herunterspielten. Wie er unlängst in seinenMemoiren ausführte, war die Wut über die Art, wie die Clinton-Administrationmit dem Fall Khobar umging, der eigentlicheAnlass für seinen langjährigen Streit mit dem WeißenHaus. Es ist allerdings nicht bekannt, ob Freeh jemals etwasüber die Berichte erfuhr, in denen die Rolle des Iran detailliertgeschildert wurde.Erst im Juni 2001, fünf Jahre nach dem Anschlag und nachdemClinton sein Amt abgegeben hatte, verfasste das Justizministeriumzu dem Bombenanschlag auf Khobar eine Anklageschriftgegen vierzehn Personen, in der es hieß, dassunbekannte iranische Regierungsbeamte hinter dem Terroranschlagständen.238 Abgesehen von dieser Anklage ignorierte das neue BushTeamin den ersten
  191. Monaten weitgehend den Iran, befasstesich dafür umso intensiver mit dem Irak. Erst nach dem11. September begannen hohe Vertreter der Bush-Administrationallmählich, Gesprächen mit dem Iran über nicht offizielleKanäle, die in Genf bereits während Clintons Amtszeit aufgenommenworden waren, Beachtung zu schenken.Dank dieser Genfer Treffen entdeckte das BushTeam, dassder Iran die von den USA angeführte Invasion in Afghanistanausdrücklich befürwortete. Den n der überwiegend schiitischeIran fürchtete schon seit langem den radikalen Einfluss der Talibanauf die eigene sunnitische Minderheit. Teheran wollteauch seinen Einfluss auf Westafghanistan bewahren, insbesondereauf das Handelszentrum Herat.Im Jahr 1998 standen der Iran und die Taliban am Rand einesKrieges. Nachdem neun iranische Diplomaten in Afghanistanund Tausende von Schiiten nach der Einnahme der närdlichenStadt Masar-i-Scharif ermordet worden waren, zog der Iran ander Grenze Truppen für eine »Militärübung« zusammen. Pakistanmusste sich einschalten, um die Lage zu beruhigen. Zujener Zeit stellte Irans geistlicher Führer Ayatollah Ali Khameneiklar, dass die Geduld des Iran mit den Taliban allmählicherschäpft sei. »Ich habe bislang verhindert, dass in der Regionein Feuer entfacht wird, das nur schwer geläscht werden kännte,doch alle sollten wissen, dass eine sehr große und umfassendeGefahr unmittelbar bevorsteht«, erklärte er. Postwendendkam die Antwort der Taliban, dass die äußerungen des Geistlichennur seine »geistige Unzulänglichkeit« widerspiegelten.Der Iran hatte auch den Widerstand der Nordallianz gegendie Taliban unterstützt. Und nach dem 11. September verloreniranische Regierungsvertreter allmählich die Geduld über denbehäbigen Beginn der amerikanischen Militäroperadonen inAfghanistan. äffentlich äußerten sich die Iraner kaum zu demKrieg und stärkten den Amerikanern schon gar nicht den Rü-cken, abgesehen von der Zusage, dass sie Rettungsaktionen für239 über ihrem Gebiet abgeschossene Piloten zulassen würden.Doch in Genf wollten die iranischen Unterhändler eifrig helfenund legten sogar Karten vor, um den Vereinigten Staatendie besten Bombenziele zu zeigen.Die Iraner hielten auch einige AlQaida-Kämpfer fest, dieaus Afghanistan in ihr Land fliehen wollten. Anfang 2002 saßenetwa 290 AlQaida-Kämpfer in iranischen Gefängnissen. DieIraner waren nicht bereit, sie direkt an die Vereinigten Staatenauszuliefern %% , übergaben sie jedoch am Ende an Drittländer wieägypten, SaudiArabien und Pakistan, die mit den USA zusammenarbeiteten. Doch um diese Zeit nahm die BushAdministration bereitseine neue, härtere Haltung gegenüber dem Iran ein. Mittlerweilewar
  192. das Land ein Mitglied der »Achse des Bäsen«. DieIraner reagierten pikiert. Teheran setzte Gulbuddin Hekmatyarauf freien Fuß, einen skrupellosen afghanischen Warlordund ehemaligen Premierminister, der in den achtziger Jahrennoch auf der Gehaltsliste der CIA gestanden hatte, inzwischenaber gegen die amerikanische Besetzung Afghanistans zuFelde zog. Unmittelbar nach der Freilassung kämpften HekmatyarsTruppen der Hisb-i-Islami gegen USSoldaten in Afghanistan.Im Mai 2002 feuerte die CIA mit einer PredatorDrohneeine Rakete ab, scheiterte aber bei dem Versuch,Hekmatyar zu täten.Die US-Invasion im Irak, an der gegenüberliegenden Grenzedes Iran, wurde in Teheran sehr zwiespältig aufgenommen.Einerseits freuten sich die Iraner, dass die Vereinigten Staatenendlich ihren alten Feind Saddam Hussein beseitigten und damitder schiitischen Mehrheit im Irak die Tür zur Macht äffneten unter iranischer Anleitung, versteht sich. Doch nachzwei aufeinander folgenden Kriegen in zwei benachbartenLändern, zuerst in Afghanistan und nun im Irak, waren anden exponierten Flanken des Iran nunmehr Tausende vonamerikanischen Soldaten stationiert. Insofern ist es durchaus einsichtig, dass Teheran wegen der Absichten der Bush-Administrationein wenig paranoid wurde.Im Mai 2003, einen Monat nach dem Fall Bagdads, traten dieIraner erneut an die Vereinigten Staaten heran und boten dieAuslieferung von hächsten Führungskräften der AlQaida an,darunter Sait al-Adel, den Militärchef, und Saad Bin Laden,Osama Bin Ladens Sohn. Dieses Mal wollten die Iraner einenHandel: Als Gegenleistung für die AlQaida-Führer wollte Teheran,dass die Amerikaner ihnen Mitglieder der Volksmudschaheddin(Mudschaheddin-e-Khalq, kurz MEK) auslieferten.Diese Terrororganisation aus Exiliranern war von SaddamHussein unterstützt worden und hatte seit 1986 im Irak ihrHauptquartier. Nach dem Fall Bagdads hatte das US-MilitärTausende von Kämpfern der Volksmudschaheddin entwaffnetund die schwere militärische Ausrüstung der Gruppe beschlagnahmt:über zweitausend Panzer, Geschütze, gepanzerteMannschaftswagen und andere Gefahrte, die Saddam Husseinihnen zur Verfügung gestellt hatte. Doch die Bush-Administrationwar sich nicht schlüssig, was sie nun mit der Gruppe anfangensollte.Auf einer Sitzung des Principal Committee im Weißen Hausim Mai diskutierten Präsident Bush und seine hächsten Regierungsmitghederüber den vorgeschlagenen Gefangenenaustausch.Laut Personen, die an der Sitzung teilgenommen haben.sagte Präsident Bush, dass der Austausch nach einemfairen Deal klinge, da die MEK eine Terrororganisation sei. Immerhinsei sie lange Zeit
  193. eine Marionette Saddam Husseins gewesenund habe vom Irak aus Morde und Sabotageoperationenim Iran durchgeführt. Die Volksmudschaheddin wurden vomAußenmimsterium offiziell als eine ausländische Terrororganisationgeführt. In den siebziger Jahren hatte die Gruppe mehrereAmerikaner ermordet, die im Iran lebten, auch CIA Offiziere,die unter dem Schahregime dort stationiert waren.Bevor es zum Austausch kam, brauchten die VereinigtenStaaten aber verlässliche Zusagen seitens der Iraner, dass die241 MEK-Mitglieder nicht hingerichtet oder gefoltert würden.Am Ende hätte dieses Hindernis einen solchen Gefangenenaustauschverhindern kännen.Doch so weit kam es erst gar nicht. Hardliner im Pentagonstellten sich quer und torpedierten letzten Endes sämtliche Gesprächeüber eine Einigung mit den Iranern. Donald Rumsfeldund sein Vize Faul Wolfowitz glaubten offenbar, dass dieVolksmudschaheddin in einem künftigen Krieg gegen denIran nützlich sein kännten. Deshalb legten sie anscheinendgräßten Wert darauf, dass die Gruppe an ihrem Ort im Irakblieb. Vertreter der CIA und des Außenministeriums warenverblüfft, dass die PentagonFührung so offen mit ihrer Bereitschaftprotzte, mit der MEK einen Deal zu machen. Nochmehr überraschter es sie, dass sich Rumsfeld und Wolfowitzum Aktionen der CIA und des Außenministeriums überhauptnicht scherten. Im Weißen Haus erfuhren Regierungsbeamteschon bald, dass sich das Pentagon Argumente zurechtlegte,um alle weiteren Aktionen gegen die MEK umgehen zu kännen.Ein Argument lautete, das Militär sei zu beschäftigt undhabe im Irak ohnehin zu viele Aufgaben zu erledigen, umnoch Männer für die Aufläsung der Volksmudschaheddin abzuziehen.Das Pentagon teilte dem Weißen Haus im Grundemit, dass »wir dazu kommen werden, wenn wir eben dazukommen«, kommentierte ein ehemaliger Beamter der BushAdministration.»Und sie kamen auch noch durch damit.«Unter dem Strich verpassten die Vereinigten Staaten eineGelegenheit, mehrere Spitzenmänner der AlQaida, auchOsama Bin Ladens Sohn, in ihre Gewalt zu bringen. FrustriertenBeratern wurde klar, dass die Nationale SicherheitsberaterinCondoleezza Rice es nicht nur versäumte, dem PentagonZügel anzulegen, sondern es auch zuließ, dass die Entscheidungenin der Iranpolitik anderswo getroffen wurden.Der politische Arm der Volksmudschaheddin, der NationaleWiderstandsrat des Iran, weiß, wie er sich im Westen Gehär242 verschafft, vor allem nachdem er den Erfolg des Irakischen Nationalkongressesmitverfolgt hatte. Genau wie TschaiabisGruppe haben auch andere Exiliraner in der amerikanischenPresse Behauptungen über die ballistischen
  194. Raketen-undAtomwafFenprogramme des Iran veräffentlicht, um für einehärtere, amerikanische Linie gegenüber Teheran Stimmungzu machen.Während der Krieg im Irak das Thema überschattete unddie BushAdministration zu einem behutsamen Vorgehenzwang, plädierten bereits einige Regierungsbeamte dafür, dieIraner in der Frage der Abrüstung massiver unter Druck zu setzen.Die Chancen für eine Auseinandersetzung zwischen denVereinigten Staaten und dem Iran schienen sich im Herbst undWinter 2004 zu vergräßern, als die IAEA berichtete, der Iranwürde nicht voll mit den internationalen Inspekteuren kooperieren.berdies gingen neue Meldungen ein, der Iran treibePläne für die Herstellung von angereichertem Uran voran, obwohler der IAEA versichert hatte, er werde diese Aktivität einfrieren.Im Jahr 2005 führte die offenkundige Absicht des Iranunter seinem neu gewählten Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad,sein Atomprogramm zu forcieren, zu einer ausgewachsenendiplomatischen Krise.
  195. Nachwort Im Spätsommer 2005 erhielt CIA Direktor Porter Goss von hohenGeheimdienstmitarbeitern und Analytikern einen Geheimbericht,der die Lage schonungslos auf den Punkt brachte:Die Vereinigten Staaten waren dabei, den Krieg im Irak zu verlieren.Als zwei Jahre zuvor der CIA-Stationschefin Bagdadeine ähnlich düstere Einschätzung abgegeben hatte, musste erschnell einsehen, dass er dadurch seine Karriere gefährdete.Das Dossier von 2005 hatte fiir seine Autoren dagegen keineKonsequenzen. Stattdessen spiegelte sich nach Meinung eineshohen CIA Beamten die pessimistische Einschätzung der Behärdefortan auch in Goss' eigenen Mitteilungen an PräsidentBush wider. Die CIA konnte sich zu dieser neuen Ehrlichkeitleider erst durchringen, als das Scheitern der Irakmission denmeisten Amerikanern längst auf schmerzliche Weise klar gewordenwar. Die streng geheime Einschätzung der CIA hätteman ebenso gut den Fernsehnachrichten entnehmen kännen.Als die Zahl der im Irak gefallenen USSoldaten im Herbst2005 die Marke von 2000 überstieg, hatte die Regierung Bushnoch immer kein Konzept, wie mit dem Aufstand im Irak umzugehensei, und selbst was Sieg bedeutete, war nicht klar definiert.Stattdessen versuchte das Weiße Haus weiter, den Kriegins rechte Licht zu rücken, und behauptete, es gebe nur zweiMäglichkeiten: Bushs Weg oder »Reißaus nehmen«. Um seinVorgehen zu rechtfertigen, bestand Bush weiter auf der Verbindungdes Einmarsches im Irak mit dem Kampf gegen AlQaida.Man muss der CIA zugute halten, dass ein weiterer von ihr 2005 herausgegebener Geheimbericht als direkter Widerspruchzu Bushs Behauptung verstanden werden konnte, derEinmarsch im Irak sei ein entscheidender Schritt im globalenKrieg gegen den Terror gewesen. Die CIA-Analytiker schrieben,der Krieg habe, statt den Terrorismus einzudämmen, denIrak in einen blutigen neuen Kriegsschauplatz und eine Brutstättefür Terroristen verwandelt, und AlQaida sammle geradeim Irak neue Kräfte. Vor der Invasion hätten im Irak nicht derartchaotische Zustände geherrscht. Bushs Politik habe genaudas Gegenteil des Beabsichtigten erreicht. Immerhin hatte dieCIA ihre Furcht vor dem Weißen Haus nun so weit im Griff,dass offensichtliche, wenn auch unbequeme Tatsachen in denoffiziellen Kanälen nicht mehr verschwiegen wurden. Die gro-ßen Zeitungen vertraten ähnliche Ansichten allerdings schonseit mehr als einem Jahr.Jetzt, wo sich die CIA zu Wort meldete, härte ihr und ihrenSpezialisten allerdings keiner mehr zu. Die Agency hatte in rascherFolge so viele spektakuläre Blamagen erlitten, dass sieEnde 2005 ihr Ansehen in Washington weitgehend eingebüßthatte. So tief hatte die
  196. BushRegierung die CIA ins politischeGeschäft hineingezogen, dass der Behärde darüber ihre Glaubwürdigkeitverloren ging. Die endlose Untersuchung wegenGeheimnisverrats gegen Valerie Plame und die Anklage gegenI. Lewis »Scooter« Libby, den Stabschef Cheneys, waren dabeinur der kränende Abschluss und zeigten, dass die CIA zumSpielball der Politik verkommen war.Die Reformen der Geheimdiensthierarchie von 2004 und2005 konnten den Niedergang und Absturz der CIA nur notdürftigkaschieren. Der neuen Chef aller Geheimdienste JohnNegroponte verfugt angeblich über die nätige Autorität, umdie bei den Angriffen vom 11. September und bei der Aufklärung vor dem Irakkrieg zu Tage getretenen Schwächen im Systembeheben zu kännen. Gegen den wirklichen Machthaberim Kabinett Bush, Donald Rumsfeld, konnte er bislang jedochnichts ausrichten.246 Die CIA Führung beklagte sich bitter, dass sich Rumsfeldund seine Mitarbeiter um die neuen Anweisungen und Leitlinienaus dem Weißen Haus, die Negropontes Einfluss auf denBetrieb der Geheimdienste stärken sollten, einfach nicht kümmerten.Im Gegenteil, das Verteidigungsministerium schienentschlossen, die Geheimdienste unter die Kontrolle des Pentagonzu bringen. Die Unabhängigkeit der CIA schwand dahin.Ende 2005 war CIA Direktor Porter Goss zum Hinterbänklerherabgestuft worden, und viele der gescheitestenCIA-Offiziere verließen frustriert die Behärde.Unter den Geheimdiensten hatte die CIA ursprünglich dieVorreiterrolle eingenommen, und das war auch so beabsichtigtgewesen. Als US-Präsident Harry Truman und der Kongress1947 mit dem Gesetz zur Nationalen Sicherheit auch die CIA schufen, war die Unabhängigkeit des nationalen Geheimdienstesvom Militär eines ihrer Ziele. Dies wurde als entscheidendangesehen, die Macht des Militärs einzugrenzen. Andernfallsbestand die Gefahr, dass die Arbeit des Geheimdienstes nachden Wünschen des Generalstabs frisiert würde. RumsfeldsGriff nach der Macht ist diesen Zielen diametral entgegengerichtet.Er hinterlässt eines der nachhaltigsten und schädlichstenVermächtnisse der BushAdministration: die Militarisierungder Geheimdienste.Während die CIA aus den fünf Jahren unter George W. Bushdeutlich geschwächt hervorgegangen ist, scheint auch dieMacht der Neokonservativen, der erbittertsten Gegner der Behärde,langsam zu schwinden. Ende 2005 hat sich das Kernstückdes neokonservativen Programms - der Irak - zumFriedhof ihrer politischen Ambitionen gewandelt.Angeführt von Cheney, ermäglicht durch Rumsfeld undunter der Leitung von Berater Richard Perle und des stellvertretendenVerteidigungsministers Paul
  197. Wolfowitz hatten dieNeocons ein Programm, das wie geschaffen war für die Welt247 des 11. September. Sie drückten den Präventivkrieg gegen denIrak durch und setzten sich für die Neuordnung des NahenOstens durch amerikanische Waffengewalt ein. WährendBushs erster Amtszeit wischten sie die Zweifler im Außenministeriumund in der CIA mit Leichtigkeit beiseite und machtendas Pentagon zur Gralsburg ihres Programms.Der Aufstieg der Neokonservativen zur Macht war sicherlichdie überraschendste Entwicklung der BushAdministration.Er verblüffte und peinigte die Gemäßigten unter den Republikanern.Während vorangegangener republikanischerRegierungen waren Neokonservative wie Perle und Wolfowitzvom innersten Machtzirkel stets fern gehalten worden,selbst in den Tagen der konservativen Ikone Ronald Reaganund ganz bestimmt während der Amtszeit von Bush senior.Ihr erstaunlicher Aufstieg unter George W. Bush spaltete dierepublikanische Elite in Washington. Viele moderate Republikanerklangen fast wie Demokraten, wenn sie hinter vorgehaltenerHand spekulierten, worin wohl der Einfluss der Neoconsauf Bushs Sohn gründete. Während des Präsidentschaftswahlkampfs2004 war von den meisten dieser moderaten Republikanerallerdings nichts zu hären. Brent Scowcroft war die einzigenennenswerte Ausnahme. Er war Sicherheitsberater vonBush senior gewesen und geriet durch ein Hintergrundinterview,das er der Financial Times gegeben hatte, in die Schlagzeilen:Er befurchte, sagte er, George Bush sei vom israelischenPremier Ariel Sharon »eingelullt« worden. Schon zuvor hatteScowcroft die Entscheidung, im Irak einzumarschieren, kritisiert.Für diese Offenheit wurde er vom Weißen Haus geächtetund verlor den einzigen kleinen Posten, den er in der Regierungbesessen hatte: den Vorsitz über die Beratungsstelle fürAußenaufklärung.Andere unzufriedene Gemäßigte prophezeiten wiederholtden Untergang der Neokonservativen und mussten mit Schreckenmit ansehen, wie diese den bergang in die zweite Amtsperiodeüberstanden. Ende 2005 ging ihnen dann allerdings248 langsam die Luft aus. Wolfowitz und sein neokonservativerWeggefährte Doug Feith, der als Undersecretary for Policy gedienthatte, verließen das Pentagon. (Wolfowitz wurde Weltbankpräsident.)John Bolton, ein Neokonservativer im Außenministerium, wurde zu den Vereinten Nationen versetzt.Da mitderweile die Mehrheit der Amerikaner gegen den Irakkriegwar, gingen die Neokonservativen und die rechten Gurus,von denen sie unterstützt wurden, in die Defensive undmussten alte Fehden über die Kriegsgründe wieder aufnehmen. Auf der Hähe ihrer Macht hatten die Neokonservativen
  198. dieihrer Ansicht nach schlimmste Beleidigung gegen die CIA ausgesprochen:Die CIA sitze voller »Pragmatiker«, die den NahenOsten nur so sehen kännten, wie er sei, nicht so, wie ersein solle. Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es, doch die Hoffnungenund Träume der Regierung Bush starben an Ortenwie Falludscha, Ramadi und Tal Afar.
  199. Dank Dieses Buch wäre nicht möglich gewesen ohne die Hilfe vonThomas Risen und Barclay Walsh beim Recherchieren. Ich möchte auch Eric Lichtblau danken für seine Berichte zu besondersheiklen Themen.Großen Dank schulde ich meinem Lektor bei Free Press,Bruce Nichols, und meiner Agentin Tina Bennett.Vor allem aber danke ich den vielen aktiven und ehemaligen Regierungsangehörigen, die für dieses Buch mit mir zusammengearbeitet haben, manchmal auch unter persönlicher Gefahr.
  200. Register Abdullah (saudischer Kronprinz) 20 f. Adel Saifal-241 Alhaddad, Sawsan 99-103, 105f.» 108,118-123, 125 Ali, Hasrat 191 Allawi, Ijad 104 Allen, Charlie 10f., 122 Arnes, AJdrich 13, 24 Armitage, Richard 23 Ashcroft, John 35, 57 Are!, Mohammed 32 Bandar bin Sultan bin Abdul Aziz(Prinz) 211-213 Begm, Menachem 111 Berger, Sandy 207 Bin Laden, Mohammed 197 Bin Laden, Osama 29f., 192, 196-- Allianz mit Saddam 84, 202-- AlQaida 193-195, 202-- als Volksheld 201, 205-- Beziehungen zur saudischenMachtelite 20-205, 211-Jagd auf 28, 30-32, 84, 172,188-191, 194, 206-208-leichtes Ziel der CIA 189, 206-- persnlicher Reichtum 19f. Bin Laden, Saad 24f. Blair, Tony 129f. Bolton, John 248 Boten, David 22, 2 f.Bremer, L. Paul 11, 153, 156,160f.Bush, George H. f., 23-25, 80, 8f.,170,212,248 Bush, George W. 9-12,88-- Amtszeit, erste 11, 13, 28, 248-- Amtszeit, zweite 11, 169,171,195,214- »Skull and Bones« 26 Bush-RegierungGefangenenmisshandlung 32-35,38f., 43, 46, 49, 56-geheime Geschichte 11, 19, 32-- Inlandsspionage 5-60, 6-67,69f., 72-- Krieg gegen den Terrorismus 18,32f., 77, 102, 19f., 20 f., 246 (siehe auch Bin Laden,Osama Jagd auf)- Verhltnis zu den Geheimdiensten19-21, 23, 26-30, 35-37, 71, 79, 85,90, 96, 123, 128, 13f
  201. ., 142, 146f.,149, 163, 167, 24-24 (siehe auchTenet, George) BushRegierung, Auenpolitik 1 f.,18f., 75f., 101,214-Afghanistanpolitik 32, 38f., 101,151,171-173, 17 f., 181-184, 188-191,193-Irakkrieg, Plne 7 f., 84, 89, 9 -93,9 f., 100f., 103, 107, 125, 127, 129f.,13 f., 175, 192, 213-Irakpolitik nach der Invasion 145,147, 149-152, 157-161, 186,214,239, 241, 245, 248-Iranpolitik 216, 231, 234, 237, 239f.,24 f.Cambone, Stephen 8 f.Carter, Jimmy 24f., 236Charles, Bobby 172f., 177,179-183Cheney, Dick 22-24, 26, 35f., 6 f., 75f., 78, 92, 100, 107, 169f.,24 f.»Chris« 100-103, 105, 12 f.Church, Frank 53Clarke, Richard A. 28Clinton, Bill 14, 16, 224Clinton-Regierung 14, 17, 20f., 25, 88,150, 237-Irakpolitik 88, 98, 103, 137-Iranpolitik 231, 234, 237-239- Kampf gegen den Terror ismus 39,77, 174, 206-Verhltnis zur CIA 13,16, 22, 24, 27,50Coats, Dan 22Coli, Steve 203Curveball 131-136Dearlove, Richard 130f., 135f.Deutch,John M. 14,16, 2f. Downing, Jack G. 16, 13f. Drumheller, Tyler 132-136 Dschafar, Dschafar Dhia 111-117 el-Baradei, Mohammed 218 Feith, Doug 85-87,153,175,193, 243 Fleischer, Ari 27 Foley, Alan 12f. Ford, Carl 15 Ford, Gerald 22-24, 74, 80 Franks, Tommy 190 Freeh, Louis J. 238 Garner, Jay 153 Gonzalez, Alberto 35 Gore, Al 15, 21 Goss, PorterJ. 216, 245,247 Graham, Bob 67 Hackman, Gene 5f. Hadley, Stephen 89
  202. Hage, Imad 140 Hastert, Dennis 172 Hver, Richard 23f., 26,79-82 Hayden, Michael 50-55, 67,71 Hekmatyar, Gulbuddin 180,240 Hussein, Saddam 10,85,87,99,105,124, 14f., 158,171,24 (wehe auchBush-Regierung,Auenpolitik)- Allianz mit siehe auch Bin Laden H4202-Atomwaffenprogranun, geheimes102, 107,109,111,114-116,127-Jagd auf 155, 16 f.- Massenvernichtungswaffen 103, 107,123,131-Sturz 18, 84, 86,88f., 143,146,155,166, 214, 240 Jacobs, Eli 26 Jelzin, Boris 221 »Joe« 128 Joseph, Robert 127 Kamel, Hussein 114f., 117 Karsai, Hamid 172,181,188 Kay, David 139,16f Kennedy, John F. 10 Khalilzad, Zalmay 181,18f Khamenei, Ali Ayatollah 239 Khan, A. Q. 236 Khoei, Abd al-Maschid al-160 Kollar-Kotelly, Colleen 67 Lake, Tony 16,22 Lamberth, Royce C. 6f Libby, 1. Lewis 246 Libi, Ibn al Scheich al-3f Lichtblau, Eric 56 Lugar, Richard 222 Marshall, George C. 17f Massud, Ahmed 2 McKiernan, David D. 157 McLaughlin, John 89,12f 132,134,136 Mohammed, Chalid Scheich 42,4f Moussaoui, Zacarias 40 Naylor, Sean 190 Negroponte, John 70,148,24f
  203. Nixon, Richard 22,80 Noorzai, Haji Bashir 184-188110, Nunn, Sam 22 Omar, Mullah Mohammed 185, 206 Rivitt, James 90, 104 Perle, Richard 88, 140, 234, 24f Pike, Otis 53 Plame, Valerie 246 Pollard, Jonathan 17 Posner, Gerald 33, 210 Powell, Colin 9, 23, 73, 77, 169, 170f.,173, 181-183, 21 (siehe auch BushRegierung,Auenpolitik)- Uno-Rede 124, 126, 13 f., 134-136,171 Reagan, Ronald t0, 170, 248 Rice, Condoleezza 11, 28, 77, 107, 193-- Nationale Sicherheitsberaterin 11,27,35, 76-US-Auenministerin 11, 173-- Verhltnis zu siehe auch Rumsfeld7f. 183, 242-Verhltnis zu siehe auch Tenet28,127 Rockefeller, Jay 6 £Rubin, Barnett 178 Rumsfeld, Donald 9,11,26, 29, 73,85,153| Afghanistanpolitik 151, 178f., 181,18f., 190-designierter CIAChef 22-- heimlicher »Auenminister« 23, 75,170f.- Kriegsplne gegen den Irak 11,10 (siehe auch BushRegierung,Auenpolitik)- Machtentfaltung 74-78, 18f., 24 f.- Politik im Nachkriegsirak 1f.,154,242-Reorganisation der Geheimdienste79-83-- Umgang mit siehe auch Tenet 7f.,78-80,84 Sadr, Moqtada al-147,160 Sarkawi, Abu Mussab al-155 Scheuer, Michael 20 f.Schneider, Mark 178 Schroen, Gary C. 190 Scowcroft, Brent 80f., 248 Selby, Dhafer Raschid 112 Sharon, Ariel 248 Shelby, Richard C. 1f., 24, 67 Shinseki, Eric 154 Smith, Will 50, 53
  204. Stalin, Joseph 221 Subaida, Abu 30-33, 37f., 44, 196-200,21 f.Tawfiq, Saad 102, 105f., 108-121, 123f. Tayib, Maddani al-204 Tenet, George 16-18, 30, 40, 67, 80f.,104, 193, 209| CIA-Analysen zum Irak 86, 89f.,125, 12 f., 130-132, 13f., 149,16f., 171 Gefangenenmisshandlung 3f.,35-37, 4 (siehe auch BushRegierung) slam dunk 139 Verhltnis zu siehe auch Bush 20-22,24-30 Verhltnis zu siehe auch Rumsfeld73f., 78£, 84 Verhandlungen in Saudi-Arabien202, 204, 206-208, 21 f.Tikriti, Abid Hamid Mahmud al-148-150 Truman, Harry 53, 170, 247 Tschaiabi, Ahmed 87-89, 146f., 15f.,154, 158, 243 Turki al-Faisal (Prinz) 203 Turner, Stansfield 25 Walsh, Elsa 211 Wolfowitz, Paul 83-86, 88f., 147, 154,181, 193, 242, 24 f.Woodward, Bob 139, 213 Woolsey, James 1f., 16Yoo, John 6 f.Zawahiri, Ayman al-3 [
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