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Feb 28th, 2020
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  1. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung über Unrechtsstaat, Werteunion und Antifa.
  2.  
  3. Chemnitz. Muss sich die Mitte der Gesellschaft nicht nur gegen den rechtsextremen Rand, sondern auch gegen linke Kapitalismuskritik abgrenzen? Tim Hofmann hat darüber mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz gesprochen, der in Chemnitz geboren wurde und seit einigen Wochen neuer Ostbeauftragter der Bundesregierung ist.
  4.  
  5. Freie Presse: Herr Wanderwitz, sind Sie Antifaschist?
  6.  
  7. Marco Wanderwitz: Ja, klar! Wir haben alle gute Gründe, dem Faschismus entgegenzutreten. Man hat ja gesehen, wohin er führt.
  8.  
  9. Trotzdem vertreten Sie konsequent die Hufeisen-Theorie, die "Mitte" und "Extremismus" als Antipoden aufruft und dabei die AfD mit der Linkspartei in einen Topf wirft?
  10.  
  11. Ich setzte die Ränder ausdrücklich nicht gleich. Ja, die CDU behandelt sie teilweise gleich, etwa was politische Koalitionsfähigkeit angeht, aber aus unterschiedlichen Gründen. Ich denke, dass das klassische Rechts-Links-Schema immer weniger trägt und glaube, dass es so etwas wie die "Mitte der Gesellschaft" gibt. Manche mögen sich innerhalb dieser als links, neutral oder rechts empfinden. Irgendwo reißt es aber ab und geht in den Randbereich.
  12.  
  13. Aber dieser parallele Ausschluss ist praktisch doch schon eine Gleichsetzung?
  14.  
  15. Jein. Zu AfD und NPD haben wir den Unvereinbarkeitsbeschluss, weil der rechte Rand menschenfeindlich und demokratiefeindlich ist. Das sind Faschisten, Punkt! Am linken Rand haben wir dagegen ein differenziertes Bild. Erstens: Aus unserer Sicht herrscht in Teilen der Partei ein nach wie vor nicht geklärtes Verhältnis zur Diktatur DDR, zum Unrechtsstaat.
  16.  
  17. Wobei die Bezeichnung "Unrechtsstaat" an sich ja ein rein politisches Schlagwort ist ...
  18.  
  19. Finde ich nicht! Wie kann man denn nicht zu dem Ergebnis kommen, dass ein Staat, der in Hoheneck und auf dem Chemnitzer Kaßberg Menschen eingesperrt hat, um sie an den Westen zu verkaufen; der an der Mauer Menschen erschossen hat, kein Unrechtsstaat gewesen ist?
  20.  
  21. Weil der Begriff einfach eine nötige Differenzierungsdebatte abwürgt. Natürlich ist völlig unstrittig, dass der DDR-Staat großes Unrecht begangen hat - aber er basierte nicht komplett auf Unrecht. In der wissenschaftlichen DDR-Forschung gilt das längst als unstrittig ...
  22.  
  23. Zugegeben: Man muss das durchaus differenziert diskutieren. Wir können uns aber darauf einigen, dass es eine Diktatur und keine Demokratie war.
  24.  
  25. Das ist unstrittig!
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  27. Gleichwohl gibt es in der Linkspartei Leute, vor allem Ältere, die bis heute nicht überwunden haben, dass es die Friedliche Revolution gab und die mehr oder weniger unumwunden die DDR zurückwollen.
  28.  
  29. Sicher. Aber ist es nicht eher eine Leistung, diese ins demokratische Spektrum einzubinden? Die Union hat das mit den Altnazis ja auch getan ...
  30.  
  31. Dazu muss man erst einmal klar sagen: Alle Vergleiche zwischen der DDR und dem Nationalsozialismus sind unsäglich. Der Holocaust ist eine ungeheuerliche Singularität. Ich spreche im Zusammenhang mit der DDR, in der es ja auch keinen Gulag gab wie in der Sowjetunion unter Stalin, daher eher von einer "weichen Diktatur". Meine Kritik an der Linkspartei endet aber nicht beim Verhältnis zur Vergangenheit, zumal ich denke, dass dieses Thema allein mit der Zeit schwächer wird. Und ich sehe auch, dass der Realo-Flügel den Fundi-Flügel in Sachen Programmatik langsam überflügelt. Trotzdem gibt es auch jetzt noch programmatische Strömungen in einzelner Landesverbände, die mir zu nah an den Rand des Verfassungsbogens gehen. Eingriffe ins Eigentum beispielsweise. Wir sind eine Marktwirtschaft, in der es nicht nur Volks-, sondern nennenswert auch Privateigentum geben darf! Deswegen klagt eine Reihe von CDU-Bundestagsabgeordneten zum Beispiel aktuell vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Berliner Mietdeckel - weil wir finden, die linke Berliner Bau-Senatorin Katrin Lompscher hat hier die Verfassung gebrochen, und zwar, weil sie es wollte; weil das die Programmatik der Linken ist!
  32.  
  33. Wie Sie bereits sagten: Am rechten Rand geht es um Menschenfeindlichkeit. Beim Mietendeckel reden wir dagegen von Kapitalismuskritik aus humanistischer Position heraus. Muss man sich da nicht auch mal dem Verfassungsbogen nähern dürfen?
  34.  
  35. Die Frage ist doch, wie weit das geht. Nehmen Sie die Abgeordnete Jule Nagel in Leipzig-Connewitz. Sie selbst sagt natürlich, dass sie gegen Gewalt ist, doch in ihrem Umfeld passieren große Straftaten gegen Eigentum - bis hin zu schweren Körperverletzungen. Da findet der linksradikale Teil der Bevölkerung Unterstützung der Linkspartei.
  36.  
  37. Marco Wanderwitz - Ostbeauftragter Foto: dpa
  38. Wenn wir über die Antifa reden: Wir sind uns einig, dass Gewalt generell inakzeptabel ist. Aber muss man nicht auch fragen, woher die Antifa im Osten kommt? Es gibt bei Twitter den Hashtag "#baseballschlaegerjahre", unter dem heute 30-, 40-jährige Menschen aus der Mitte der Gesellschaft berichten, wie sie in den 90ern in ostdeutschen Plattenbausiedlungen von Neonazis so lange verprügelt wurden, bis die Antifa einschritt - weil die Polizei nie kam. Wir sind uns einig, dass Selbstjustiz auch nicht geht. Muss man aber nicht trotzdem differenzierter hinschauen und fragen, was da von der Politik versäumt wurde?
  39.  
  40. Da kann man extra drüber reden. Fakt ist aber: Das ist Vergangenheit. Heute gibt es im Plattenbau solche rechtsfreien Räume nicht mehr.
  41.  
  42. Richtig. Kann aber die Antifa da ein Grund sein, heute der Linken den Dialog zu verweigern?
  43.  
  44. Dialog haben wir doch. In jedem Bundestagsausschuss reden wir miteinander, und es gibt auch viele praktische Punkte, wo wir zusammenkommen. Trotzdem ist man politisch aber so weit auseinander, dass wir in der CDU finden, dass wir nicht zusammenpassen. Was umgedreht ja übrigens auch so gesehen wird. Ich will auch nicht ausdrücklich ausschließen, dass in einer nicht ganz so fernen Zeit, wenn der Realo-Flügel weiter Oberwasser bekommt, das Zusammenarbeitsverbot, das bei uns Parteitagsbeschluss ist, nicht mehr gilt.
  45.  
  46. Realos wie Bodo Ramelow?
  47.  
  48. Zum Beispiel, ja. Es gibt in Thüringen aber eben auch die Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow, und die unterschreibt dezidiert Manifeste, von denen der Verfassungsschutz sagt: linksradikal!
  49.  
  50. An der Regierungspolitik in Thüringen war aber doch in den letzten Jahren absolut nichts "linksradikal". Spricht da nicht die alte Angst vor dem Kommunisten, die sie übervorsichtig macht?
  51.  
  52. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Mein Ziel ist es natürlich, die Mitte, die ich schon sehr weit auslege, zu stärken. Was bedeutet, dass ich die Ränder politisch bekämpfe.
  53.  
  54. Was in der CDU häufig zum Reflex führt, Herrn Ramelow zum "Mauerschützen" zu erklären ...
  55.  
  56. Das ist natürlich Schwachsinn. Aber ja, es gibt Leute, denen ist der Teil meiner Argumentation, der die DDR-Bezüge kritisiert, der wichtigere. Ich kann das verstehen.
  57.  
  58. Wurde es nach der Wende versäumt, Gemeinsamkeiten zu suchen - weil wir schnell in bundesdeutsche Muster gerannt sind?
  59.  
  60. Mein Eindruck ist, dass wir als CDU nach 1989/90 vor allem beschäftigt waren zu regieren, uns zu justieren, Ideen zu entwickeln. Wir stellen in Sachsen seit 30 Jahren den Ministerpräsidenten, wir stellen seit der Wiedervereinigung die meiste Zeit die Bundeskanzler. Die CDU ist eine staatstragende Partei, der es in der DNA liegt, zu regieren. Damit haben wir uns vorrangig beschäftigt.
  61.  
  62. Weil Ihre Partei in Sachsen so dominiert, dass sie alle Landräte stellt, hat politisches Talent quasi nur in der CDU eine Chance, sich zu entwickeln - andere Parteien haben es schwer, guten Nachwuchs aufzubauen. Wäre mehr Vielfalt und Wechsel nicht der Demokratie dienlicher?
  63.  
  64. Ich sehe das demokratietheoretische Problem. Aber abgesehen davon, dass das ja Wählerinnen und Wähler entscheiden, sehe ich auch praktisch, dass es in den Ländern, in denen die Union sehr lange wichtige Posten besetzt, besser läuft.
  65.  
  66. Naja. Es ist auch der Rechtsradikalismus gewachsen, wir haben Lehrermangel ...
  67.  
  68. Wir haben überhaupt nicht alles richtig gemacht, weswegen es auch in der CDU harte Kämpfe gab. Ältere Landtagsabgeordnete, die noch die Zeiten der absoluten Mehrheit miterlebt haben, sagen mir aber, dass damals innerhalb der CDU-Fraktion dieselbe Bandbreite abgebildet wurde, wie wir sie jetzt in der Kenia-Koalition haben.
  69.  
  70. Das nenne ich jetzt aber Arroganz der Macht: "Wir brauchen die Grünen nicht, weil wir sind selber Grüne genug?"
  71.  
  72. Wir sind Volkspartei. In der CDU finden Sie für so ziemlich jede Position, die ich der Mitte zurechnen würde, auch eine Stimme.
  73.  
  74. Mit 27 Prozent im Bund bewegt sich die CDU aber vom Status einer Volkspartei weg. Ist das kein Indiz dafür, dass das Konzept des "Wir machen alles selber" ein Auslaufmodell ist und man sich eben auch mit den Ansätzen einer Linkspartei mehr auseinandersetzen muss? Etwa, weil uns Konzerne wie Google auf der Nase herumtanzen und es der Markt eben nicht regelt?
  75.  
  76. Das Thema der faktischen Steuerfreiheit von großen multinationalen Tech-Konzernen ist doch kein Thema der Linkspartei! Das ist dem christsozialen Flügel der CDU ein großes Anliegen!
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  78. Sie wollen also die Kapitalismuskritik lieber selber machen, statt sie den Linken zu überlassen?
  79.  
  80. Die gehörte immer auch zur DNA der CDU. Unser Gewerkschaftsflügel steht in harten Auseinandersetzungen mit dem Wirtschaftsflügel.
  81.  
  82. Schlagzeilen macht gerade aber eher die Werte-Union ...
  83.  
  84. Ja - weil Journalisten für diese 0,3 Prozent der Partei regelmäßig die Titelseite reservieren. Dabei hat schon ein großer westdeutscher Kreisverband hat mehr Mitglieder als die Werte-Union. Das ist alles nicht real!
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  86. Also nur ein kleines Problem am rechten Rand?
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  88. Ich teile nicht jede Position der Werte-Union inhaltlich - ich kenne in meinem Kreisverband dort aber keine Position, die den demokratischen Bogen verlässt. Ich bin hier mit den Mitgliedern im Gespräch, und da mangelt es nicht an Abgrenzung zur AfD.
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  90. Wenn sie da allein die verbale Abgrenzung sofort glauben: Warum dann nicht auch Jule Nagel, wenn die sich zur Demokratie bekennt?
  91.  
  92. Am linken Rand glaubt uns ja auch nicht jeder unsere Abgrenzung nach rechts! Und: Ich bin doch auch nicht verpflichtet, ganz tief in die Ränder zu schauen. Ich will eine breite Mitte. Es ist ein legitimes Ziel zu sagen: Ich versuche dort, politische Mehrheiten zu finden, um so wenig wie möglich auf die Ränder zuzugehen!
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  94. Nochmal: Muss man nicht eine Idee als solche nach ihrem Inhalt betrachten, statt statisch ihre Distanz zur Mitte zu messen?
  95.  
  96. Das machen wir doch regelmäßig. Alle Parteien erneuern ständig ihre Programmatik, und das neue Programm der CDU wird sich in Teilen erheblich vom alten unterscheiden. Wieder einmal. Auch in der Frage, wie wir mit Konzernen wie Google umgehen müssen. Die sind uns doch so allen ein Dorn im Auge.
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