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Ausgecheckt

Jan 15th, 2013
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  1. Freitag, 11.01.2013
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  3. Ausgecheckt
  4. Peter Frühwald war schon in mehreren Parteien und viele Jahre Gewerkschafter. Dann hat er sich „bei Frau Merkel abgemeldet“ und betrachtet sich selbst als Staat. Kontaktversuch mit einem „Reichsbürger“.
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  6. Von Thomas Schade
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  8. Am 10. August des Jahres 2010 passierte Peter Frühwald, was den meisten Autofahrern schon mal passiert ist: Für ganze zwölf Minuten stellte er seinen Dacia auf dem Parkplatz des Leipziger Hotels Astoria ohne Parkschein ab. Eine schriftliche Verwarnung aus dem Rathaus und fünf Euro Bußgeld waren die Folge.
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  10. Die meisten Autofahrer hätten den moderaten Betrag wohl gezahlt. Nicht Peter Frühwald. Er gab das Bagatelldelikt zwar schriftlich zu, wies die Verwarnung aber strikt zurück. Seine Begründung dürfte die Mitarbeiter der Bußgeldstelle einigermaßen erstaunt haben: Das Ordnungswidrigkeitsgesetz sei ungültig, schrieb Frühwald, und zwar aufgrund „alliierter Bereinigungsgesetze“ aus den Jahren 2006 und 2007. Außerdem informierte Frühwald das Amt darüber, dass er sich am 16. August 2010, sechs Tage nach dem Parkdelikt, in staatliche Selbstverwaltung begeben habe – gemäß UN-Resolution 56/83. Seit diesem Tag seien die Bundesrepublik und ihre Gesetze für ihn nicht mehr zuständig. Und das gelte so lange, bis ein Friedensvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den alliierten Siegermächten geschlossen sei.
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  12. Im Rathaus konnte man der kruden Argumentation nicht recht folgen, erließ einen Bußgeldbescheid und summierte zu den fünf Euro noch 23,50 Euro Gebühren und Verwaltungskosten. Natürlich wies der Verkehrssünder auch das zurück. So landete die Bagatelle bei der Staatsanwaltschaft und dem Amtsgericht. Auch der Amtsrichter musste lesen, dass Peter Frühwald der Bundesrepublik „exterritorial“ gegenüberstehe und er deren Gesetze nicht anerkenne. Im Übrigen solle der Richter doch über seinen „zuständigen Außenminister“ an die staatliche Selbstverwaltung Peter Frühwald herantreten. Der Amtsrichter fragte noch an, ob Frühwalds Schreiben als Rücknahme des Einspruches verstanden werden könne, danach wurde das Bußgeld vollstreckt. „Ich habe mich schließlich der Willkür gebeugt und bezahlt“, sagt Peter Frühwald. Aber das letzte Wort sei in der Sache noch nicht gesprochen.
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  14. Peter Frühwald sitzt in der Lobby des Radisson Blue Hotels am Leipziger Augustusplatz und zeigt einen Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Darin beantragt er die Aufnahme in die Weltgemeinschaft. Eine Antwort aus New York liegt freilich nicht vor. So etwas brauche eben seine Zeit, sagt Frühwald. Der 52-Jährige gehört zu jenen Menschen, für die Ämter und Sicherheitsbehörden Namen wie Reichsbürger, Gebietsrevisionisten oder Exterritoriale geprägt haben. Seit eine Art Bürgerwehr namens DPHW (Deutsches Polizeihilfswerk) aus dem Umfeld dieser Szene am 23. November 2012 einen Gerichtsvollzieher des Amtsgerichtes Meißen massiv an seiner Arbeit hinderte, ist die Bewegung der Reichsbürger im Fokus der Öffentlichkeit. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in dem Fall.
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  16. Der gebürtige Franke Frühwald mag den Begriff Reichsbürger nicht. Zu schnell könne man ihn damit in die rechte Ecke stellen, sagt er. Und dort gehöre er als langjähriger Gewerkschafter nicht hin. Er sei politisch neutral und fühle sich nur der historischen Wahrheit verpflichtet. Weil er die Wahrheit erkannt habe, verwalte er sich inzwischen selbst, und das täten zunehmend mehr Menschen. „Wir haben uns in Archive gesetzt und herausgefunden, dass die Bundesrepublik als Staat nicht existiert“, sagt er. „Deshalb habe ich mich bei Frau Merkel und bei Herrn Gauck abgemeldet.“
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  18. Natürlich stand er nicht immer auf diese Weise im Abseits. Der in Fürth geborene Franke besuchte in Nürnberg die Schule und absolvierte in der dortigen Karstadt-Filiale eine Lehre zum Bürokaufmann. Später ließ er sich auch zum Diplom-Mentaltrainer ausbilden. Schon Mitte der 80er-Jahre habe er eine Gewerkschafter-Karriere bei der DAG begonnen, sei Bezirkssekretär in München gewesen und habe zeitweilig an der Spitze von 12.000 Mitgliedern gestanden. Er spezialisierte sich auf Arbeits- und Sozialrecht, war Schöffe am Sozialgericht und am Amtsgericht München tätig.
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  20. Im November 1989 kam er nach Sachsen ins damalige Karl-Marx-Stadt. „Zwei Tage nach dem Mauerfall schickte mich mein Chef zum Aufbau neuer Gewerkschaften in die DDR.“ Frühwald baute die DAG-Geschäftsstelle in Chemnitz auf und war bis 1995 DAG-Landesabteilungsleiter für Banken und Versicherungen in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Seither ist er selbstständig, hält Seminare zur Fortbildung für Betriebs- und Personalräte und berät Sparkassen und diverse Berufsvereinigungen auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechtes.
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  22. 26 Jahre war Frühwald Mitglied der CSU, dann wechselte er zur FDP. 2009 gehörte er zusammen mit der CSU-Rebellin Gabriele Pauli zu den Mitbegründern der Freien Union, verließ die Splitterpartei aber schnell, um die „Allianz für Bürgerrechte“ ins Leben zu rufen, eine Gruppierung, die es heute nur noch auf dem Papier gibt, wie Frühwald sagt. Eines der Hauptziele der in Agonie verfallenen Kleinpartei: einen Friedensvertrag zwischen den Teilnehmern des Zweiten Weltkrieges zustande zu bringen. In Sachsen-Anhalt scheiterte die Teilnahme an den Landtagswahlen 2011.
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  24. Für den Partei-Nomaden Peter Frühwald stand wohl schon vorher fest, dass er seine Ambitionen in den bestehenden staatlichen Strukturen nicht verwirklichen kann. Deshalb checkte er aus der Bundesrepublik aus und proklamierte im Sommer 2010, dass er sich fortan selbst verwalten werde und nur dem Völkerrecht verpflichtet fühle. Mit Gleichgesinnten gründete er im Mai 2012 in Leipzig die „Republik Freies Deutschland“ (RFD) und bildete als deren kommissarischer Präsident eine Regierung mit Ministern und Ämtern. Doch das Kabinett Frühwald hielt gerade mal 100 Tage. Mitte September „putschten“ sein Finanzminister Heinz Oppel, ein ehemaliger Nachbar, und andere Abtrünnige. Sie schnitten ihren Präsidenten vom Internet ab. Der angebliche „Putschist“ Oppel sprach dagegen von einer Amtsenthebung des Präsidenten. In einem Untersuchungsbericht warfen die Abtrünnigen Frühwald Ämteranhäufung vor und behaupteten, er habe Bares erhalten „ohne geeignete Gegenleistung“. Alles Quatsch, konterte Frühwald und entließ seinerseits mehrere Minister. Auf einer Bürgerversammlung in Erfurt sprachen ihm etwa 50 Anhänger das Vertrauen aus, man beschloss, von der „Republik Freies Deutschland“ künftig einfach den Begriff Republik zu streichen. Seither marschieren die Ex-Nachbarn getrennt, und die Szene ist um eine Gruppe reicher.
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  26. Die Darsteller in dem absurden Theater nehmen sich offenbar ernst, zu überschauen ist die bizarre Schar der Selbstverwalter, Reichsbürger, Reichsideologen und Exilregierungen kaum. Frühwald spricht ernsthaft von einer Million Deutscher, die sich wie er von der BRD abgemeldet hätten. Sein Widersacher Heinz Oppel nennt am Telefon sogar die Zahl acht Millionen. Beide dürften sich aber eher an der Besucherzahl diverser Internetseiten orientieren, auf denen jede Menge Anleitungen, Formulare und Argumentationen zum Auschecken kursieren – gratis oder gegen Bares.
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  28. Die wahren Zahlen sind überschaubar. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes leitete das Kölner Bundesverwaltungsamt 2008 mehr als 300 Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Personen ein, die bei Ämtern sogenannte Fantasieausweise vorgelegt hatten. Ihnen wird vorgeworfen, den Bundesadler missbräuchlich zu verwenden. Das Amtsgericht in Meißen werde bereits seit zehn Jahren von Gruppierungen der Exterritorialen beschäftigt, schrieb der Gerichtsdirektor nach dem Angriff auf seinen Gerichtsvollzieher. Aus dem Leipziger Rathaus ist zu erfahren, dass jährlich etwa ein Dutzend sogenannte Reichsbürger die Ämter nerven.
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  30. Selbstverwalter Peter Frühwald holt seine Geburtsurkunde aus der Tasche. „Mein wichtigstes Personaldokument“, sagt er, „das wird akzeptiert, wenn ich mal in eine Verkehrskontrolle komme.“ Nur den deutschen Führerschein habe er in die Selbstverwaltung übernommen. „Das ist praktischer, bis wir eigene Dokumente haben.“
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  32. Der 52-Jährige beherrscht seine Lektion. Er rasselt historische Daten zur Geschichte des Deutschen Reiches runter, zitiert diverse UN-Resolutionen. Er scheint jede Menge alliierter Verordnungen zu kennen, auch die Haager Landkriegsordnung und natürlich den Zwei-Plus-Vier-Vertrag. Denn die Bundesrepublik sei ja seit 1990 nur noch eine nichtstaatliche Organisation, behauptet er. Die 80Millionen Deutschen müssten endlich aufwachen und erkennen, was er nach all seinen Studien auch erkannt habe: Weil es keinen Friedensvertrag gebe, existiere das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 und mit der Verfassung von 1919 fort, da der NS-Staat von den Alliierten für handlungsunfähig erklärt und die Strukturen zerschlagen wurden. Je mehr Frühwald darüber redet, desto verwirrender werden seine Argumente. Für jene, die es genau wissen wollen, bietet Frühwald Seminare zum Thema an.
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  34. Drei Gruppen sind seiner Ansicht nach derzeit Erfolg versprechend unterwegs. Neben seiner eigenen, dem „Freien Deutschland“, sei das die 2004 gegründete „Exilregierung des Deutschen Reiches“. Aber auch dessen langjähriger „Reichskanzler“ Rudolf Schittke bekam im Mai 2012 Ärger mit seinem Gefolge. Ein Teil seines Kabinetts warf dem „Reichsgründer“ Hochverrat vor. Seither werkeln auch diese Reichsbürger ohne ihren Gründer weiter. Die dritte relevante Bewegung, sagt Frühwald, sei die „Kommission 146“, die sich auf Artikel 146 des Grundgesetzes beruft und ihre Mitstreiter auffordert, sich unter die Weimarer Reichsverfassung von 1919 zu stellen. Wie das geht, wird im Internet detailliert erklärt, inklusive einer Urkunde, mit der man als Ostdeutscher zur russischen Botschaft geschickt wird, um sie von der alliierten Schutzmacht beglaubigen zu lassen.
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  36. Mit solchen oder ähnlichen Argumentationen treten nach Ansicht von Verfassungsschutzbehörden alle Strömungen solcher Reichsgruppierungen auf. Nicht alle seien rechtsextremistisch, heißt es in einer Einschätzung des Hamburger Verfassungsschutzes von 2008. Doch es seien durchaus auch prominente Rechte darunter. So habe der Rechtsextremist Horst Mahler die „Reichsbürgerbewegung“ initiiert.
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  38. Seit Jahren geraten Reichsbürger fast zwangsläufig mit der Justiz in Konflikt. Bereits 2006 schrieb das Amtsgericht Duisburg einem Schuldner aus der Szene, der sich gegen eine Zwangsversteigerung wehrte, ins Urteil: Das Bonner Grundgesetz sei unverändert in Kraft. „Eine deutsche Reichsverfassung, eine kommissarische Reichsregierung oder ein kommissarisches Reichsgericht existieren ebenso wenig, wie die Erde eine Scheibe ist.“ Der Verfassungsschutz in Brandenburg veröffentlichte sogar Tipps zum richtigen Umgang mit den Querulanten. Erster Satz: „Es ist sinnlos, mit Reichsbürgern zu diskutieren.“ Sie verfolgten das Ziel, „Verwirrung zu stiften“. Staatliche Stellen sollten „schnell und konsequent handeln“.
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  40. Das Leipziger Rathaus wird derweil vom kommissarischen Präsidenten Peter Frühwald reichlich beschäftigt. Wegen der fünf Euro Bußgeld will er die Stadt beim internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verklagen. So könne man schließlich nicht mit einem Menschen umgehen, „der unter Völkerrecht steht“, sagt er. Außerdem hat Frühwald beantragt, ihn nach der Haager Landkriegsordnung zu besolden. Denn eigentlich sei er ja noch Kriegsgefangener der Alliierten. Nun will er 1.744, 80 Euro monatlich, zur Sicherung „meiner Existenz im besetzten Deutschland“, wie er schreibt. Im Sozialamt nahm man seinen Antrag ernst: Stolz zeigt Frühwald, der es in der Bundeswehr immerhin bis zum Obergefreiten brachte, den Sozialhilfeantrag, den ihm das Rathaus zugeschickt hat.
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