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Stellungnahme PolG BaWü

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Apr 19th, 2020
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  1. Zunächst ist zu bedauern, dass die Gelegenheit nicht genutzt wurde, Befugnisse zurückzunehmen, die, zumal im Präventionsbereich, doch ziemlich klar jenseits des von der Verfassung Gedeckten liegen; zwei angesichts offenbar sehr geringer Nutzung sehr leicht zu streichende Befugnisse wären etwa gewesen:
  2.  
  3. (a) Der Einbruch in private Computersysteme (§23b Abs. 2 PolG a.F.). Weitgehend einhellige ExpertInnenmeinung ist, dass der Einsatz von Staatstrojanern die Computersicherheit in der Breite senkt, ohne dass dem ein angemessener Nutzen gegenüberstehen würde.
  4.  
  5. (b) Die Befugnis zum Einsatz von Explosivstoffen (§54a PolG a.F.). Ich kann nicht erkennen, unter welchen Umständen polizeiliche Sprengungen sinnvoll und verhältnismäßig sein könnten oder auch nur, unter welchen Umständen sie eine Situation nicht verschlimmern würden.
  6.  
  7. Unter den – durchweg wohl außerhalb des engeren Polizeibereichs wenig nachvollziehbaren – Verschärfungen, die vorgeschlagen werden, möchte ich drei speziell herausgreifen:
  8.  
  9. (1) Versammlungsfreiheit ist für eine funktionierende Demokratie ebenso wichtig wie das Wahlrecht. Mit deren Einschränkung ist also äußerst behutsam umzugehen. Wer schon einmal im Vorfeld einer Veranstaltung in eine Personenkontrolle geraten ist, weiß, wie einschüchternd sie wirkt und dass sie durchaus vom Besuch einer (ggf. auch künftigen) Veranstaltung abhalten kann.
  10.  
  11. Dass die Polizei Entsprechendes bereits tut, darf kein Grund sein, derart tiefe Eingriffe in elementare Bürgerrechte auch noch zu legalisieren. Von einem „Einzelfall” im Hinblick auf die Einschränkung der Versammlungsfreiheit (Begründung, S. 10) kann jedenfalls nicht die Rede sein kann.
  12.  
  13. Dazu tritt ein eklatanter Mangel an Eignung der Eingriffe zur Erreichung des in der Gesetzesbegründung genannten Zwecks, nämlich der Prävention von Anschlägen. Es ist nämlich nicht zu erkennen, wie anlasslose Taschenkontrollen auch nur eines der in der Begründung (S. 4) aufgezählten Ereignisse hätten verhindern können. In keinem Fall wurden die Tatwerkzeuge eingeschmuggelt; selbst wo dort nicht erwähnte Attentate (etwa Messerattacken) mit eingeschmuggelten Gegenständen verübt worden sind, ist schlicht nicht vorstellbar, dass die Polizei so umfassend oder gar so gezielt (aufgrund welcher Kriterien?) kontrollieren oder durchsuchen könnte, dass die Tatwerkzeuge aufgefallen wären.
  14.  
  15. Sollte von Seiten der Polizei eingewandt werden, „gezielte“ Durchsuchungen von „nach polizeilicher Erfahrung problematischen“ Personen könnten die Wahrscheinlichkeit für dieses Auffinden erhöhen, so würde dies eher die Notwendigkeit eines besonderen Schutzes von VersammlungsteilnehmerInnen begründen, denn was anders als Willkür („Profiling“) reflektiert sich in diesem Einwand?
  16.  
  17. Der Vorbehalt, die Maßnahmen nach einem Jahr zu evaluieren, kann da nicht überzeugen; entsprechende Evaluationen spiegeln erfahrungsgemäß ganz überwiegend die Sichtweise der Behörden wider, und mir wäre kein Eingriff bekannt, der nach einer solchen Evaluation wieder zurückgenommen worden wäre. Empfehlenswert zur Einsicht in die Wirkungslosigkeit von Evaluierungen im Bereich von Sicherheitsgesetzen ist ein Blick auf die Evaluierung des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes; die Prüfungen beschränkten sich im Wesentlichen auf „hat funktioniert“ oder „war nicht so arg nützlich, könnten wir aber künftig haben wollen“. Besorgnis um Bürgerrechte war hingegen nicht zu erkennen.
  18.  
  19. Ebenfalls nicht überzeugen kann die Einschränkung der Maßnahmen auf Versammlungen der in §44 Abs. 1 beschriebenen Art. Die Polizei ist inzwischen so routinemäßig mit Video-Ausrüstung bei Versammlungen präsent, dass ganz offensichtlich aus ihrer Sicht die Schwelle, ab der eine Versammlung „erfahrungsgemäß erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ birgt, sehr niedrig liegt, mithin also die Einschränkung praktisch unwirksam ist.
  20.  
  21. Ich würde also gerne §27 Abs. 1 Satz 2 gestrichen sehen. Damit würde aus dem Gesetz auch der nur schwer zu interpretierende Satz „bei der Auswahl der Person ist in besonderem Maße der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten“ – natürlich muss polizeiliches Handeln immer verhältnismäßig sein; es ist unklar, wie so etwas „in besonderem Maße“ passieren könnte – entfallen.
  22.  
  23. Mit gleicher Erwägung sollte §34 Abs. 1 Satz 3 entfallen.
  24.  
  25. Bei §35 Nummer 4 sehe ich zwar nicht recht, in welchen Szenarien die Befugnisse greifen sollen. Aber zumindest scheint die Regelung deutlich weniger kritisch.
  26.  
  27.  
  28. (2) Die Nutzung der polizeilichen Datensammlungen zur „Zuverlässigkeitsüberprüfung” nach §42 ist nicht erst nach den schlechten Erfahrungen mit den zurückgezogenen Akkreditierungen zum G20-Gipfel in Hamburg grundsätzlich abzulehnen.
  29.  
  30. Es gibt das Sicherheitsüberprüfungsgesetz, und wo Tätigkeiten, die nicht darunter fallen, dennoch besondere Ansprüche an „Zuverlässigkeit“ stellen, ist das Führungszeugnis oder ggf. ein erweitertes Führungszeugnis hinreichend. Letzteres sind Daten, die gerichtlich geprüft sind und gegen die regelmäßig Rechtsschutz möglich war. Jedenfalls solange die Polizei die Betroffenen nicht von sich aus über die über sie gespeicherten Daten informiert, ist speziell der mangelnde Rechtsschutz ein dramatischer Mangel polizeilicher Daten, in jedem Fall für die Nutzung außerhalb der Polizei.
  31.  
  32. Aus Sicht der Gewaltenteilung gibt die vorliegende Regelung weiter der Polizei, also der Exekutive, de facto Bestrafungsrechte, die in der Judikative vorbehalten sind. Eine Illustration der Folgen inflationärer Zuverlässigkeitsprüfungen findet sich bereits für 2007 im 28. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für Datenschutz Baden-Württemberg, wo berichtet wird, dass ein Auszubildender seine Stelle infolge einer Zuverlässigkeitsüberprüfung ausgerechnet vor einem Besuch beim Bundesverfassungsgericht verlor; dass dies im Nachhinein gerichtlich als unzulässig erklärt wurde, konnte den entstandenen Schaden nicht mehr gutmachen.
  33.  
  34. Dazu kommt, dass die Inhalte polizeilicher Datenbanken häufig von sehr schlechter Qualität sind – erinnert sei nur an die AD PMK, aus der die Polizei die Polizei nach Prüfung durch die Aufsichtsbehörde nur 338 von 24000 gespeicherten „anderen Personen“ behalten durfte. Aus solchen Erwägungen heraus hat das OLG Stuttgart bereits 2009 festgestellt, dass etwa Ausreiseverbote allein aufgrund von Einträgen in polizeilichen Datenbanken nicht verhängt werden dürfen. Offensichtlich ist ein faktisches Berufsverbot ein noch tieferer Grundrechtseingriff als ein temporäres Ausreiseverbot. Mithin kann dieser nicht (allein) aufgrund polizeilicher Mutmaßung – und nichts anderes ist die datenbankgestützte Gefahrenprognose – möglich sein.
  35.  
  36. Die Unverhältnismäßigkeit der Zuverlässigkeitsprüfung wird auch nicht durch den Einwilligungsvorbehalt geheilt, denn gerade in Bewerbungsverfahren oder vergleichbar mit dem Unterhaltserwerb verbundenen Bereichen ist die Freiwilligkeit der Einwilligung bestenfalls ein frommer Wunsch. Dass der Gesetzgeber dies in der Begründung (S. 36) selbst einräumt, dennoch aber von einer „Einwilligung“ spricht, ist, mit Verlaub, frech.
  37.  
  38. Daher muss §42 ersetzt werden durch ein Verbot der Nutzung polizeilicher Datenbanken für außerpolizeiliche Zwecke. Eine klare gesetzgeberische Position in dieser Frage könnte auch die generelle Sorgfalt der BeamtInnen im Umgang mit den Datenbanken verbessern: Fälle wie die 83-fache Recherche nach Helene Fischer am Abend eines Konzertes der Schlagersängerin in Frankfurt können nicht allein repressiv verhindert werden. Das Bewusstsein, dass eine Recherche dieser Art immer ein Eingriff in die Menschenrechte der Betroffenen ist, ist auch durch den Tenor der Gesetzgebung zu schaffen.
  39.  
  40. In diesem Sinn wäre es auch wünschenswert, dass §73 (oder etwa auch §99) regelmäßige, anlasslose und unangekündigte Prüfungen einer relevanten Stichprobe der Nutzungsprotokolle der Datenbanken durch eine polizeiunabhängige Stelle vorsieht.
  41.  
  42.  
  43. (3) In §91 Abs. 6 heißt es, bei einer Auskunftsverweigerung könne eine Unterrichtung des/der Betroffenen unterbleiben, wenn „die Erteilung dieser Informationen dem mit der Verweigerung oder Einschränkung verfolgten Zweck zuwiderliefe“. Konkret würde dies bedeuten, dass die Polizei die Auskunft erteilen kann, sie speichere keine Daten, obwohl sie welche speichert, oder generell bei jeder Auskunft mitteilt, es könne sein, dass Daten gespeichert seien, sie über diese aber keine Auskunft gebe.
  44.  
  45. Beide Alternativen entwerten das Auskunftsrecht, da der/die BürgerIn keine Möglichkeit mehr hat, verlässlich einschätzen zu können, wie weit er/sie Gegenstand polizeilichen Handelns ist, und sie verweigert Rechtsschutz, der bei einer nach bestehender Rechtslage nötigen Mitteilung der Verweigerung immerhin noch gegeben ist. Umgekehrt ist schwer vorstellbar, unter welchen Umständen die schlichte Mitteilung einer Auskunftsverweigerung irgendwelche verfolgten Zwecke ernsthaft gefährden könnte.
  46.  
  47. Dass die Begründung diese dramatische Verschlechterung gegenüber der bestehenden Rechtslage mit einem lapidaren „Er enthält Regelungen zum Verfahren im Fall der Einschränkung oder Verweigerung“ abhandelt, deutet nach diesen Erwägungen darauf hin, dass die AutorInnen des Gesetzes sich dieser Konsequenzen möglicherweise nicht bewusst waren. So oder so: Der Polizei muss im Umgang mit BürgerInnen auf die Wahrheit verpflichtet bleiben, und daher ist der Halbsatz „wenn nicht die Erteilung dieser Informationen dem mit der Verweigerung oder Einschränkung verfolgten Zweck zuwiderliefe.“ dringend zu streichen, unabhängig davon, dass sich entsprechende Sprache auch im BDSG findet; auch dort wird sie keinen Bestand haben können.
  48.  
  49. Auch wenn – was mich nicht überraschen würde – der Rest dieses Beitrags ignoriert würde: Dieser Halbsatz darf nicht Gesetz werden (und Baden-Württemberg sollte sich im Bundesrat für eine Streichung der entsprechenden Sprache im BDSG einsetzen).
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