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Oct 26th, 2020
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  1. Hessische Polizei : Am Rande der Erschöpfung
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  3. Die hessische Polizei wird in den nächsten Wochen noch stärker gefordert als ohnehin schon. Gleich drei Großlagen lassen kaum Erholung zu: der Protest gegen die A 49, Corona und Atomtransporte.
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  6. In der Frankfurter Polizei macht derzeit eine Frage die Runde. Sie lautet: „Du auch?“ Sie bezieht sich nicht auf Corona. Nicht auf anstehende Beförderungen. Sondern darauf, ob man künftig auch einen Großteil seines Dienstes im Dannenröder Forst verbringt. Seit knapp einem Monat koordiniert das Präsidium den Großeinsatz mit. Mehrfach in der Woche landet ein Hubschrauber auf dem Dach des Flachbaus in der Nähe der Auffahrt zur A 66. Einsatzkräfte werden abgeholt, zurückgeflogen. Mannschaftsbusse rücken aus. Manchmal mehrfach am Tag. Und schon bald wird die Frage nicht mehr lauten: „Du auch?“ Sondern: „Wer nicht?“
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  8. Für die hessische Polizei ist der Lückenschluss der A 49 und die damit verbundene Räumung des Dannenröder Forsts einer der größten Einsätze seit Jahren. Aus der Polizei ist zu hören, die Beamten würden schon jetzt darauf eingeschworen, der Einsatz werde „ans Limit gehen“. Nicht nur, weil es die Polizisten mit Demonstranten zu tun haben, die nicht davor zurückschrecken, der Staatsmacht auch mit Gewalt zu begegnen. Sondern auch, weil die Tage in dem zum Teil unwegsamen Gelände an die Substanz gehen, körperlich wie nervlich. Und weil ein Ende des Einsatzes, die Räumung und Sicherung des riesigen Areals, längst nicht in Sicht ist – er könnte bis ins neue Jahr dauern. Hinzu kommen Ausfälle, weil Polizisten in Quarantäne müssen.
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  10. Die ohnehin angespannte Situation wird noch verschärft, weil außer dem Dannenröder Forst zwei weitere Großlagen hohen Personaleinsatz erfordern: Angesichts der gerade in Südhessen steil ansteigenden Zahl der Corona-Infektionen muss die Polizei den Großteil der Kontrollen leisten, um sicherzustellen, dass die Regeln zur Vermeidung von weiteren Ansteckungen eingehalten werden. Und wenn demnächst auch noch der Castor-Transport in Richtung Biblis fahren sollte, könnten die Kapazitäten der hessischen Polizei schon bald so gut wie ausgeschöpft sein. Das befürchtet zumindest die Gewerkschaft der Polizei. „Die Arbeitsbelastung ist momentan sehr hoch“, sagt der Landesvorsitzende Andreas Grün. „Wir kommen schon jetzt ohne die Unterstützung aus anderen Bundesländern und ohne die der Bundespolizei nicht aus.“ Es gebe Dauereinsätze, in denen Beamte 21 Stunden am Stück im Einsatz seien. „Das spiegelt wider, wie groß die Not ist.“ Allein für den Einsatz am Dannenröder Forst hätten freie Tage wieder storniert werden müssen, „damit die Beamten zur Verfügung stehen“ – bei schon jetzt rund drei Millionen Überstunden. Dem Vernehmen nach sollten für den Einsatz sogar Schichtdienste umgestellt werden.
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  12. Streit um geplante Castoren im November
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  14. Im Polizeipräsidium Frankfurt heißt es dazu, das sei „aktuell Gegenstand von Diskussionen“. Auch während der Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer 2006 wurde der Dienstbetrieb „angepasst“. Bisher werde jedoch am Fünf-Schicht-Rhythmus festgehalten. Die Gewerkschaft der Polizei lehnt eine komplette Umstellung des Schichtplans ab, weil es „enorme Auswirkungen auf die sozialen Belange der Beamten hätte“. Da helfe auch die Bereitschaftspolizei nicht mehr, deren Kontingent nach Grüns Worten jetzt schon so gut wie ausgeschöpft ist. „Die Beamten kommen nach dem Einsatz rein, regenerieren sich kurz, dann fahren sie direkt wieder in den Einsatz. Es gibt so gut wie keine Pausen.“
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  16. Ob die vermutlich sieben Castoren Anfang November auf das Gelände des seit Jahren abgeschalteten Kernkraftwerks in Südhessen befördert werden, ist derzeit nicht nur eine offene Frage, sondern auch ein Politikum. Der niedersächsische Innenminister spricht sich dafür aus, den Transport zum zweiten Mal zu stoppen. Wie schon im März sei ein solcher Einsatz angesichts der Herausforderung, welche die zweite Welle der Pandemie für die Polizei mit sich bringe, kaum zu leisten. Im hessischen Innenministerium heißt es dagegen, man sei gewappnet, wann immer es nötig sei, die Behälter sicher nach Biblis zu geleiten. Entscheiden aber müsse Berlin, Atomtransporte seien Bundessache. Und sie sind, wäre hinzuzufügen, Geheimsache. Klar scheint lediglich zu sein, dass die tonnenschweren Behälter mit den im englischen Sellafield aufbereiteten Brennelementen per Schiff im niedersächsischen Hafen Nordenham ankommen werden. Wie es dann weitergeht, hängt vor allem davon ab, wie die Strecke am besten zu sichern sei. Zwar ist die ursprüngliche Szene der Atomkraftgegner längst ergraut und im Bürgertum angekommen. Und die hessischen Grünen, die der Anti-AKW-Bewegung entstammen, haben im Koalitionsvertrag mit der CDU unterschrieben, dass Hessen sich auf dem Gelände in Biblis an der Zwischenlagerung des radioaktiven Materials beteiligt. Ähnlich wie bei den Protesten gegen den Weiterbau der A 49 steht aber zu befürchten, dass radikale Kräfte auch dieses Ereignis nutzen werden, um die Auseinandersetzung mit dem Staat zu suchen. Auf der Homepage des „Bündnisses Castor stoppen“ heißt es vieldeutig: „Unser Protest wird bunt und vielfältig sein.“
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  18. Je früher die Aktivisten von der Route erfahren, die die Castoren nehmen, desto besser können sie Blockaden vorbereiten. Deswegen sollen möglichst wenig Informationen darüber, ob die Behälter mit der Bahn oder mit Lastwagen befördert werden, an die Öffentlichkeit gelangen. Zudem lässt sich kaum ermessen, wie viele Demonstranten die Atommüll-Transporte noch auf die Straße bringen. Vielleicht, so ist aus Wiesbadener Regierungskreisen zu hören, wäre es sogar gerade in diesen Tagen von Vorteil, die Castoren ins Zwischenlager zu bringen. Wer auf Krawall aus sei, müsse sich dann zwischen Dannenröder Forst und Biblis entscheiden.
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