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Menschen und Mächte Helmut Schmidt Bohemian Grove Bilderberg

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Apr 5th, 2017
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  1. Marshall Shulman, Henry Kissinger, Zbigniew Brzezinski und viele andere. Zu diesem klubartigen, durchaus losen Geflecht von Personen mit hoher Kompetenz und unprätentiösem Auftreten gehörten auch, freilich ohne direkte gesellschaftliche Bindung, einige herausragende Gewerkschaftsführer, etwa die aufeinander folgenden Vorsitzenden der Dachorganisation AFL-CIO (American Federation of Labor - Congress of Industrial Organization) George Meany und Lane Kirkland.
  2. Wer als Europäer in den fünfziger oder sechziger Jahren über das aktuelle außenpolitische Denken der USA Auskunft brauchte, dem genügten wenige Tage und ein paar Gespräche mit Angehörigen dieses Kreises. Man brauchte dazu nicht jedes Jahr nach Amerika zu reisen, sofern man zwischendurch an einigen der privaten internationalen Konferenzen teilnahm; mit Dankbarkeit erinnere ich mich an die alljährlichen sogenannten Bilderberg-Konferenzen, die Bernhard, Prinz der Niederlande, organisierte und leitete, oder an die alljährlichen Tagungen des Londoner Institute for Strategie Studies unter Alistair Buchan. An solchen internationalen Konferenzen, zwei oder drei Tage dauernd, waren auch immer einige der außenpolitisch tätigen Senatoren beteiligt, Jacob Javits oder Charles Mathias, Henry (»Scoop«) Jackson oder Charles (»Chuck«) Percy. Unterhaltungen mit Dean Acheson, George Kennan oder Paul Nitze, die sich bei sol-Mi faen Gelegenheiten ergaben, waren Fundgruben der Information und der Erkenntnis.
  3. Wenn man außerdem noch ein Gespräch mit dem Gouverneur von New York, Nelson Rockefeller, hatte oder mit einem der innenpolitisch führenden Senatoren in Washington, so konnte man seine Eindrücke vom außenpolitischen Umriß der USA ohne große Anstrengungen auch in deren innenpolitisches Spannungsfeld einordnen. Auf diese Weise war Amerika für die europäischen Politiker ziemlich transparent. Man war nicht überrascht, wenn einige der Gesprächspartner ein paar Jahre später als Minister oder stellvertretender Minister oder als Ministerial-direktor in Washington in Erscheinung traten; man durfte dann davon ausgehen, daß sie im wesentlichen die gleichen Auffassungen vertraten, welche man früher von ihnen gehört hatte. Amerika war beständig. Kein genereller Kurswechsel um 90 oder gar um 180 Grad war zu befürchten, wenn eine neue Administration ins Amt kam.
  4. Diese Stetigkeit und Berechenbarkeit der internationalen Politik der USA nahm während des Vietnamkrieges deutlich ab. Der Krieg und die Fragen nach dem Sinn der Opfer, welche er forderte, sowie nach der Aussicht auf politischen Erfolg polarisierten die amerikanische politische Klasse. Bei vielen ging ein
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  6. Teil der Gelassenheit (und auch der guten Klubmanieren) verloren; andere gerieten in tiefe Zweifel über die internationale Rolle ihres Vaterlandes, wozu die Opposition der eigenen Töchter und Söhne beitrug. Die charakteristische, die Außen- und Si-cherheitspolitik der USA kennzeichnende Bedeutung des alten Ostküstenestablishments hat im Laufe der sechziger Jahre ihren Zenit überschritten.
  7. Die Carter-Administration, noch mehr die Reagan-Administration, ersetzte die bis dahin dominierenden außenpolitischen Einflüsse der Ostküste, die vornehmlich über den Atlantik nach Europa blickte, durch Einflüsse des Südens und der Westküste des riesigen Landes; von dort blickt man eher nach Mexiko, auf die Karibik und nach Westen über den Pazifik. Zugleich verlagerte sich im Laufe der siebziger Jahre das Schwergewicht der wirtschaftlichen Dynamik, des volkswirtschaftlichen Wachstums, aber auch des Wachstums der Bevölkerung spürbar nach Florida, Texas, Kalifornien und in andere Staaten, weg von der Ostküste und vom Mittleren Westen, in dem über lange Generationen das industrielle Wachstum der USA zu Hause gewesen war. Die neu aufblühenden Regionen waren von größerer Vitalität, aber auch von größerer außenpolitischer Naivität; ein gewisses Maß an Mißachtung sowohl Washingtons als auch des alten Establishments war nicht zu übersehen.
  8. Neue Schlagworte und neue Leitvorstellungen tauchten auf. Während Jimmy Carter von der Vorstellung eines globalen wirtschaftlichen Dreiecks USA-Europa-Japan beeinflußt war, die von der sogenannten Trilateral Commission unter David Rockefeiler ausging, trat Ende der siebziger Jahre das neue Schlagwort vom Pazifischen Becken hinzu. In den Augen vieler Kalifornier hat das wirtschaftliche Wachstum der Welt in dieser Region sein neues dynamisches Zentrum gefunden. Damit sich die Hoffnung, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Japans, Koreas, Taiwans, Hongkongs und Singapurs unter amerikanischer technologischer und möglichst auch unternehmerischer Führung auszubauen und zur neuen Grundlage, mindestens aber zu einem zusätzlichen Eckstein globaler Außenpolitik und Strategie machen zu können. Demgegenüber tritt in dieser Vorstellungswelt die Rolle Europas in den Hintergrund.
  9. Sicherlich sind bei diesen Vorstellungen auch Illusionen über die Völker Asiens und deren Interessen im Spiel. Im Durchschnitt sind die Kenntnisse der Amerikaner über die Japaner, über japanische Geschichte, Kultur und Mentalität deutlich noch geringer als ihre Kenntnisse über Europa. Dies gilt in noch höherem Maße für China und seine funftausendjährige Geschichte und Kultur; aber es gilt zum Beispiel auch für den islamischen
  10. Großstaat Indonesien mit seinen über 160 Millionen Menschen und seinen mehr als 13.000 Inseln.
  11. Amerika weiß nur wenig von den innerasiatischen Konflikten, zum Beispiel von den Ressentiments der Chinesen, Koreaner und Filipinos gegen die Japaner als Folge des japanischen Imperialismus von 1930 bis 1945 oder zum Beispiel von den unterschwelligen Ängsten vor einer möglichen neuen Einflußnahme des chinesischen Kommunismus. Es hat geringe Vorstellungen von dem Neid der südostasiatischen Massen auf den wirtschaftlichen Erfolg und den Wohlstand der sechzehn Millionen Auslandschinesen, die in Malaysia, Thailand, Indonesien und auf den Philippinen wohnen.
  12. Während das alte Ostküstenestablishment nicht nur mit England eine gemeinsame Sprache hatte, sondern darüber hinaus auch erhebliche französische, selbst deutsche und italienische Sprachkenntnisse besaß, spricht kaum ein einziger amerikanischer Politiker Chinesisch oder Japanisch oder Indonesisch. Das Verständnis für die asiatischen Völker ist unterentwickelt. Amerika wird erfahren müssen, daß angesichts der großen Verschiedenheiten der kulturellen Traditionen und der sozialen Strukturen die Lenkbarkeit der Staaten Südost- und Ostasiens im Sinne amerikanischer Interessen und Zielsetzungen sehr begrenzt bleiben wird.
  13. Aber solche Erfahrungen liegen noch in der Zukunft. Einstweilen sind der enorme wirtschaftliche Aufschwung Japans wie auch der neu industrialisierten Staaten Ost- und Südostasiens und die wirtschaftspolitische Öffnung Chinas durch Deng Xiao-ping verführerische Entwicklungen. Die Blickwendung vieler Amerikaner in Richtung auf die Gegenküsten jenseits des Pazifik ist eine Tatsache. Die Europäer tun gut daran, sich darauf einzurichten, weil sie ihren Einfluß auf das weltpolitische Denken und Verhalten der USA behalten müssen. Deshalb habe ich seit 1976 die Minister des Bundeskabinetts und meine Mitarbeiter immer wieder aufgefordert, bei Amerikabesuchen nicht nur nach Washington und New York zu gehen, sondern ebenso in den Westen und in den Süden des Landes. Ich selbst habe mich - auch als Bundeskanzler und trotz aller Terminnot - ebenfalls danach gerichtet.
  14. Bei einem dieser Besuche in Kalifornien im Juli 1979 lud mich George Shultz ein, während des traditionellen alljährlichen Sommerlagers sein Gast im Bohemian Grove zu sein. Dieses Wochenende brachte mir eine der erstaunlichsten Erfahrungen, die ich je in den USA gemacht habe. Später bin ich noch ein zweites Mal im Bohemian Grove gewesen, und meine Eindrücke haben sich noch vertieft.
  15. Die Landschaft, in der sich das »encampment« vollzieht, ist von ungewöhnlicher Schönheit. Es handelt sich um ein wenige hundert Meter breites und mehrere Kilometer langes Tal, das an beiden Hängen und auf der Talsohle von ehrwürdigen, teils tausendjährigen Sequoien bewachsen ist. Zwischen den locker gruppierten Wipfeln kann man zwar den Himmel ausmachen, nicht aber den Horizont. Es herrscht große Ruhe, von keinem Auto gestört; nur von Zeit zu Zeit dringt von irgendwoher Musik. Einige Pfade durchziehen das Tal, ebenso ein Bach, der das Wasser aus einem kleinen See in den Russian River am Fuß des Tales leitet (der Name des Flusses erinnert an die Zeit, als Alaska zu Rußland gehörte und russische Jäger und Siedlernach Süden fast bis in die Mitte Kaliforniens vorgestoßen sind). Von früheren Besuchen in Kalifornien kannte ich die Sequoia-Bestände der Muir Woods nördlich der Golden Gate Bridge; sie hatten mich immer fasziniert. Das Bohemian Grove ist demgegenüber ein kleiner Bezirk; aber allein die Schönheit der Natur lohnt die lange Autofahrt.
  16. Interessanter noch ist die Zusammenkunft der Männer (Frauen sind nicht zugelassen) in diesem Böhmischen Wäldchen; es hat seinen Namen übrigens von dem exklusiven Bohemian Club in San Francisco, dessen Mitgliedschaft man nur nach langer Wartezeit erwerben kann. Man lebt im Grove nicht in einem großen gemeinsamen Lager; die etwa zweitausend Männer, die gemeinsam jenes Wochenende dort verbrachten, wohnten vielmehr in fünf oder sechs Dutzend kleiner, weitgehend von Bäumen und Büschen verdeckter Camps, die verstreut an den Hängen liegen. Einige Camps bestehen aus Blockhäusern, andere aus Holzhütten, wieder andere waren Zeltlager; es gibt elektrisches Licht und fließendes Wasser. Die Mahlzeiten sind einfach und deftig, aber gut zubereitet. Fast alle tragen bunte, zum Teil himmelschreiend karierte Hemden und Hosen - so wie sich Amerikaner anziehen, wenn sie in die grüne Natur gehen. Die Bewohner der Camps besuchen sich gegenseitig, sei es der musikalischen Darbietungen wegen (einige spielen sehr guten Dixieland, andere klassisches Quartett), sei es aus Gründen der Geselligkeit oder für einen kleinen Schwatz. Überall herrscht eine ungezwungene und fröhliche Atmosphäre.
  17. Im Juli 1979 gab es auch zwei oder drei gemeinsame Veranstaltungen am Ufer des Sees und in kleinen Freilichttheatern, die in den bewaldeten Hang hineingebettet sind. Am Ufer des Sees findet der »Lakeside speech« statt, eine Rede meist politischen oder wirtschaftlichen Inhalts, gehalten von einem der prominenten Mitglieder oder einem der Gäste (auch mir wurde einmal diese Ehre zuteil), der von einem anderen Lagerteilnehmer eingeführt
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  19. wird. Die Zuhörer sitzen auf dem Gras, mit dem Blick auf das Wasser; viele von ihnen sind auf dem jeweiligen Felde durchaus sachkundig und keineswegs unkritisch. Aber die ganze Veranstaltung vollzieht sich zwanglos, mit einem Anflug von Knabenromantik und mit dem Flair eines Westerns im Fernsehen,
  20. Einige Camps veranstalten Kurzvorträge mit anschließender Diskussion. Ich erinnere einen Nachmittag in einem Nachbarcamp, bei dem gleich drei der damaligen »presidential hopefuls« anwesend waren, nämlich George Bush, Alexander Haig und Ronald Reagan. Ich weiß nicht mehr, ob sie ihre Absicht, als Präsidentschaftskandidat aufgestellt zu werden, damals schon bekanntgegeben hatten; in der außenpolitischen Diskussion, die durch den Singapurer Premierminister Lee Kuan Yew, durch Henry Kissinger und mich eingeleitet wurde, verhielten sie sich jedenfalls vorsichtig zurückhaltend.
  21. Dieses Wochenende ermöglichte einen illustrativen Einblick in die Westküstenelite. Die anwesenden Politiker waren meist Gäste eines der Klubmitglieder; diese aber waren Künstler (ich lernte dort Isaak Stern kennen), Schriftsteller (zum Beispiel Her-man Wouk), Ärzte, Rechtsanwälte, Bankiers wie Peter Peterson und Industrielle wie David Packard, den ich zehn Jahre zuvor als stellvertretenden Verteidigungsminister unter Melvin Laird kennengelernt hatte und der jetzt Mitinhaber der Weltfirma Hewlett-Packard war, oder die beiden Steve Bechtel, Senior und Junior, die mit meinem Gastgeber George Shultz eine andere Weltfirma in San Francisco leiteten. Gewiß kamen manche der Teilnehmer auch aus dem Osten, dem Mittelwesten und dem Süden; aber insgesamt konnte ich mir keinen größeren Kontrast zu der ein wenig kühlen und stilvollen Neuenglandatmosphäre im Council on Foreign Relations oder im River Club zu New York vorstellen. Hier im Grove war man eher hemdsärmelig, direkt, aufgeräumt, unbeschwert - aber bei alledem nicht oberflächlich. Dies war zweifellos auch Establishment, aber von einem sehr andersartigen Temperament. Der Unterschied war weitaus größer als derjenige zwischen Oberbayern und den norddeutschen Hafenstädten.
  22. Auf eine andere Weise sucht Gerald Ford alljährlich durch ein gemeinsames Wochenende in einem Hotel in Vail (Colorado) inmitten der Rocky Mountains führende Personen aus den verschiedenen Teilen der amerikanischen Gesellschaft einander näherzubringen. Unter der Ägide des konservativen American Enterprise Institute versammeln sich etwa zwei Dutzend Vör-standsvorsitzende (chief executive officers) und selbständige Inhaber größerer Firmen und Banken; dazu kommen etwa ebenso viele ausländische Kollegen, aber auch ausländische Staatsmän-
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