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birne006

Mixtroverts

Aug 10th, 2018
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Never
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  1. Mixtroverts
  2.  
  3. Trennungen sind ja immer so eine Zäsur im Leben ... Ein Moment, an dem man innehält um Bestand aufzunehmen; von sich selbst, von seinem Umfeld, einfach um zu schauen, was nachdem der mitunter bis dahin wichtigste Mensch weg ist, noch übrig bleibt. Manchmal steht man dabei vor einem Scherbenhaufen und weiß nicht, wie man weiter machen soll, manchmal ist man froh, dass man die Teile wieder aufheben und zusammenkleben kann. Und ab und zu steht man ratlos da, und weiß gar nicht so genau, wo die Scherben eigentlich sind.
  4. Nicht jede Trennung ist begleitet von unsäglichem Herzschmerz. Ab und zu geht es einem dabei gar nicht um die Person an sich, die nicht mehr im eigenen Leben existiert (oder zumindest nicht mehr in der vorherigen Rolle), sondern einfach nur darum, dass einen das generelle Fehlen plagt. Das Loch im sozialen Gefüge des Selbst gewissermaßen.
  5. Je nach dem wie viel Zeit man vorher mit der anderen Person verbracht hat, ergeben sich nach einer solchen Trennung zwangsläufig Abschnitte im Tagesablauf, die auf einmal leer sind. Dann muss man sich erstmal wieder daran gewöhnen ganz alleine für die Beschäftigung in diesen Phasen verantwortlich zu sein. Und genau an dieser Stelle haben manche Leute mehr Probleme als andere ...
  6. Ich war ein schüchternes Kind. Aufgrund meiner Brille, dem einen etwas anders geformten Auge, und vielleicht auch einfach wegen meiner Art war ich nie das populärste Kind. Das bedingte sich natürlich gegenseitig, ich fühlte mich nicht selbstbewusst genug um einfach auf Leute zu zugehen, weil ich dachte, sie würden mich aufgrund meines Aussehens ablehnen. Weil ich das quasi nie ausprobiert hab, konnte ich mich nie vom Gegenteil überzeugen lassen, usw.
  7. Weil ich nie super viele Freunde hatte, und man als Kind diese ohnehin leichter findet, war ich immer mit ein paar wenigen guten Freunden zufrieden und brauchte nicht mehr. Ich lernte mit mir selbst und mit den paar Leuten um mich rum zurecht zu kommen und hatte nie das Gefühl, dass ich irgendetwas verpasste. Ich trank nicht, rauchte nicht, und war generell sicher nicht das, was man einen coolen Jugendlichen nennen würde. Aber ich war soweit zufrieden mit mir. Ich war sportlich und hatte durch den Fußball Anschluss, hatte einen stabilen, kleinen Freundeskreis in der Schule und einige Bekannte aus der Online-Welt gesammelt.
  8. Im Studium dann, in der neuen, großen Stadt fiel es mir aber dann auch immer noch schwer neue Verbindungen zu knüpfen. Irgendwann war ich dann einfach davon überzeugt, dass ich eben schüchterner und introvertierter war als viele andere und akzeptierte das als gegeben, arrangierte mich mit dem kleinen Kreis der Leute um mich herum. Beschäftigte mich viel alleine, las, spielte am PC.
  9. Glücklicherweise landete ich dann aufgrund eines alten (natürlich) Schulfreunds in einer Gruppe von Fußballspieler(innen), die seit dem nun schon jahrelang meinen erweiterten Freundeskreis und einen Großteil meiner sozialen Interaktion ausmachen. Im diesem Kreis bin ich allerdings alles andere als außerhalb. Ich bin nicht schüchtern, ich bin laut und posaune meine Meinung heraus. Ob das daran liegt, dass es Sport ist und der mir schon immer lag, oder daran dass ich diese Leute jetzt schon so lange kenne, sei dahingestellt. Aber es ist auch nicht das einzige Mal, dass die in mir gereifte Überzeugung meines schüchternen Selbst von mir in der Realität auf den Kopf gestellt wird.
  10. Vor Jahren, während des Zivildienstes, war ich auf einem Zivildienstleistenden-Weiterbildungs-Wochen-irgendwas. Eine Woche zusammen mit 20 oder 30 anderen, fremden Zivis in einer Zivildienstschule irgendwo in der thüringischen Provinz. Eigentlich die absolute Horrorvorstellung für mich, aber siehe da, ein ums andere Mal war ich das Zentrum der Aufmerksamkeit und hatte absolut kein Problem damit. Das gleiche Bild ergab sich dann später auch auf der Wahlbeobachtungsmission in Bosnien und Herzegowina, in Sarajevo, wo ich auch erstmal niemanden kannte, und es dann trotzdem schaffte eine Gruppe um mich herum zu bilden, die ich heute als Freunde bezeichnen kann. Bezeichnenderweise, haben die Leute dort mir partout nicht abkaufen wollen, dass ich davon überzeugt war schüchtern und introvertiert zu sein.
  11. Heute jetzt, und damit sind wir wieder am Anfang, nach einer Trennung, fehlt mir ein elementarer Teil der vorher täglichen sozialen Interaktion. Wie aber passt das nun zusammen? Die eigene Überzeugung spricht von mir selbst als schüchtern und zurückhaltend, als Person, die kein Problem damit hat menschliche Interaktion auf ein Minimum zu begrenzen und trotzdem mit sich selbst im Reinen zu sein. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass etwas fehlt. Ich fürchte, ich habe im Laufe der Jahre verlernt gut alleine sein zu können.
  12. Das ist umso tragischer, da ich in der gleichen Zeit aber nicht gelernt habe, wie man auf Menschen zu geht und neue Leute kennen lernt. Ich bin quasi hin und her gerissen zwischen meiner bewussten, introvertierten Überzeugung und meinem unterbewussten, extrovertierten Drang nach sozialer Interaktion. Ich bin damit anscheinend ein Mixtrovert. Ich habe Angst davor soziale Interaktion zu initiieren, genieße sie aber dann, wenn sie stattfindet. Das macht es für mich nicht unbedingt leicht außerhalb von bestehenden Strukturen neue Leute kennen zu lernen. Dazu kommt gerade nach einer Trennung, dass diese Zerrissenheit dem allgemeinen Gefühl des Alleinseins natürlich auch nicht gerade entgegentritt, sondern es eher noch verstärkt.
  13. So steh ich hier nun, und muss mich entscheiden, welche Seite von mir wohl die richtige ist. Bin ich wirklich introvertiert und bring ich mir so schnell es geht wieder bei alleine zu sein, stürze mich in eskapistische Spiele und virtuelle Welten bis ich den Drang nach sozialer Nähe nicht mehr spüre, oder springe ich über meinen, gefühlt monumentalen, weil das ganze Leben über gewachsenen, Schatten und versuche doch mal mehr aus mir rauszukommen und neue Menschen kennen zu lernen?
  14. Im Moment weiß ich weder wie ich das eine, noch das andere anstellen soll ...
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