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Reichsbürger fallen immer mehr auf.

Sep 3rd, 2013
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  1. Sächsische Zeitung online
  2. Dienstag, 03.09.2013
  3. Irrsinn mit Methode
  4. Immer häufiger bekommen es Behörden im Kreis Kamenz mit sogenannten Reichsbürgern zu tun – nicht nur harmlose Spinner.
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  6. Von Christoph Scharf
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  8. Bitte mal Fahrzeugpapiere und Führerschein: Auf diese Bitte eines Polizisten reagiert Matthias H. bereitwillig. Gern reicht er dem Beamten bei der Kontrolle auf der Bautzener Behringstraße seine Dokumente aus dem Fenster. Doch der Uniformierte behält den Führerschein gleich ein. Kein Wunder. Die Karte hat zwar dasselbe Format wie ein echter Führerschein, unterscheidet sich sonst aber deutlich. Das große D steht auf schwarz-weiß-rotem Grund – und Aussteller ist nicht die Bundesrepublik, sondern das Deutsche Reich. Und auch der Ausweis von Matthias H. stammt aus einer „Reichsdruckerei“.
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  10. Papiere von der Reichsmeldestelle
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  12. Mit den dubiosen Papieren versucht der Bautzener nicht zum ersten Mal, sich bei einer Fahrzeugkontrolle auszuweisen. Die Erklärung des arbeitslosen Maurers: Die BRD existiere nicht, das Deutsche Reich bestehe fort. So habe es der 41-Jährige im Internet gelesen. Die Beamten sehen das anders – und fertigen wieder eine Anzeige. Und deshalb saß Matthias H. vergangene Woche schon wieder in Bautzen vor dem Amtsgericht. Allerdings nicht ganz freiwillig: Denn sogenannte Reichsbürger akzeptieren die bundesdeutsche Gerichtsbarkeit genauso wenig wie den Staat an sich. Und so musste Richter Ralph Nimphius erst die polizeiliche Vorführung anordnen. Da H. nicht weit entfernt wohnt, konnten ihn schon eine gute halbe Stunde später drei Beamte im Gerichtssaal abliefern.
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  14. Die Erklärungen der Reichsbürger kennen Bautzener Richter längst. Mittlerweile gibt es etliche Sachsen, die das Fortbestehen des Deutschen Reichs propagieren und die Existenz der Bundesrepublik leugnen. Laut Verfassungsschutz existiert allerdings keine einheitliche Reichsbürgerbewegung, sagt Falk Kämpf von der Pressestelle des Landesamts. „In der Vergangenheit sind zahlreiche untereinander konkurrierende Splittergruppen, Pseudoorganisationen und Einzelpersonen in Erscheinung getreten.“ Zahlen liefern können allerdings weder Verfassungsschutz, noch Polizei oder Staatsanwaltschaft. Unter anderem deshalb, weil sich die erfassten Delikte auf alle möglichen Bereiche verteilen.
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  16. „Die Problematik mit dem Reichsführerschein kommt immer wieder vor“, sagt Till Neumann von der Staatsanwaltschaft Görlitz. Ihm ist aber auch schon ein Reichs-Reisepass untergekommen, ausgestellt in „Groß-Berlin“. Natürlich sind all diese Dokumente ungültig. Ob gleichzeitig eine Urkundenfälschung vorliegt, darüber streiten sich die Juristen: Schließlich versuchen Reichsbürger nicht, offizielle Dokumente nachzumachen – sondern fertigen kurzerhand eigene. – Reichsführerscheine, Reichskinderausweise oder Reichspässe kann man auf zig Seiten im Internet gegen Geld bestellen. Eine „Reichsmeldestelle“ verlangt Gebühren zwischen 40 und 120 Euro, anderswo sind monatliche Beiträge von zehn Euro fällig.
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  18. Fiktive Ausweispapiere sind aber nicht das einzige Thema, mit dem Reichsbürger im Landkreis auf sich aufmerksam machen. Das Landratsamt hat wöchentlich mit solchen Fällen zu tun, sagt Sabine Rötschke von der Pressestelle. Ob Bußgeldverfahren oder Baurechts-Streitigkeiten: Kaum ein Sachgebiet bleibt von den Reichsbürgern verschont. Regelmäßig kündigen die Leute mit Anzeigen – für die Mitarbeiter wirkt das schon bedrohlich.
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  20. Oft geht es darum, irgendwelche Gebühren, Abgaben oder Bußgelder nicht zahlen zu müssen, sagt Falk Kämpf vom Verfassungsschutz. „Anhänger der ‚Reichsideologen‘ haben bei einer Vielzahl staatlicher Stellen vor allem mit kruden Schreiben für Verwirrung gesorgt.“ Da kann es schon mal vorkommen, dass jemand sein Ticket fürs Falschparken nicht bezahlen will und ans Ordnungsamt eine „Abmahnung“ schickt, in der er der Behörde Willkür, Nötigung, Rechtsbeugung, Betrug, Amtsanmaßung oder gleich die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorwirft. Oder dass eine „Richterin am Reichsgericht“ gegenüber einem Amt ein „Grundstücksbetretungsverbot, Hausverbot und ein Zustellverbot“ ausspricht.
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  22. Durchsuchung mit Großaufgebot
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  24. Über solche Post könnte man lachen. Allerdings sind Reichsbürger nicht immer harmlos. Denn zum einen bestehen laut Verfassungsschutz in einzelnen Fällen Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen. Zudem haben Rechtsextremisten bereits versucht, Einfluss in der Szene zu gewinnen. Außerdem gibt es da noch das Deutsche Polizeihilfswerk – eine Art Privatpolizei. Die Gruppierung wurde Ende 2012 in der Region Meißen bekannt, als zahlreiche falsche Polizisten einen Gerichtsvollzieher attackierten. Die Ermittler gehen davon aus, dass auch Reichsbürger aus der Region Bautzen Kontakt zu der Truppe haben. Deshalb rückte die Polizei im April bei einer Durchsuchung im Reichsbürger-Milieu in Kleinsaubernitz gleich mit einem Großaufgebot an Beamten an.
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  26. Laut Verfassungsschutz sollten Behörden bei Vergehen von Reichsbürgern schnell und konsequent handeln. Zu diskutieren, sei sinnlos. Und so endete auch die Verhandlung gegen Matthias H. mit dem Reichsführerschein zügig: Weil er zum wiederholten Mal ohne echte Fahrerlaubnis unterwegs war, muss er nun für sechs Monate hinter Gitter. Ohne Bewährung.
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