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Feb 12th, 2014
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  1. Von: "Constantin Weber" <constantin.weber@student.hu-berlin.de>
  2. Betreff: [hu-an-studis] Gegendarstellung zur Pressemitteilung des Referats für Hochschulpolitik der Humboldt-Universität vom 11.2.2014: "Kritisches Hinterfragen wird an der HU jetzt polizeilich unterbunden"
  3. Datum: 12. Februar 2014 17:43:58 MEZ
  4. An: <hu-an-studis@lists.hu-berlin.de>, <adb@refrat.hu-berlin.de>, <hopo@refrat.hu-berlin.de>
  5. Antwort an: "Constantin Weber" <constantin.weber@student.hu-berlin.de>
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  9. Sehr geehrte Studierende der Humboldt-Universität, sehr geehrte Referent_innen des Referats für Hochschulpolitik,
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  13. mit Bestürzung las ich heute die Pressemitteilung des Referats für Hochschulpolitik zu den Vorfällen in der erziehungswissenschaftlichen Vorlesung am Montag, dem 10.2.2014. Als regelmäßiger Hörer dieser Lehrveranstaltung sowie als Augenzeuge der Vorkommnisse am Montag ist es mir ein persönliches Bedürfnis, auf diesem Wege die vergangenen Ereignisse und den daraus resultierenden Konflikt zwischen einigen Studierenden der Erziehungswissenschaft und dem Dozenten der besagten Vorlesung aus meiner Perspektive darzustellen.
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  15. Um die Entwicklung des Konflikts angemessen darzulegen, ist es sinnvoll kurz auf die Sachlage einzugehen, aus welcher heraus der Konflikt überhaupt erst entstand, um dann näher auf den Konflikt selbst und seine Konsequenzen einzugehen.
  16.  
  17. Die betreffende Vorlesung ist eine Lehrveranstaltung, die sich in erster Linie an Studierende im ersten Semester der Erziehungswissenschaft richtet. Hier sollen grundlegende pädagogische Theorien und Denkweisen vermittelt werden, um eine Grundlage für die Vertiefung bestimmter Themenfelder im weiteren Studium überhaupt erst zu ermöglichen. Die Auswahl der Themen, Autoren und Texte erfolgt – wie in jedem anderen Studiengang auch – nicht in erster Linie nach der persönlichen Vorliebe des Dozenten, sondern nach dem, was die wissenschaftliche Gemeinschaft des Fachbereichs universitätsübergreifend als „Grundkanon“ der Erziehungswissenschaften bestimmt. Dieser „Grundkanon“ erhebt sicherlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Absolutheit, im Gegenteil, er wird innerhalb des Fachs durchaus diskutiert und ausgehandelt.
  18.  
  19. Im Verlauf der Vorlesungsreihe wurde bereits nach wenigen Sitzungen von einigen Studierenden kritisiert, dass Autoren, die im Kontext pädagogischer Theorien behandelt wurden, gleichzeitig Verfasser rassistischer Thesen waren (z. B. Immanuel Kant), sowie dass Autoren früherer Jahrhunderte häufig einer eurozentristischen Weltanschauung unterlagen und in ihren Theorien über Erziehung stets in erster Linie männliche Individuen der Gesellschaft als Adressaten von Erziehung im Blick hatten (z.B. Platon, Rousseau und viele andere). Diese Kritik an den Autoren ist in höchstem Maße berechtigt und es ist lobenswert und wichtig, dass sie bei der Auseinandersetzung und historischen Einordnung mit den betreffenden Autoren zur Sprache kam und auch weiterhin kommt. Allerdings ging die Kritik besagter Studierender noch deutlich weiter: Sie fragten, warum die Theorien dieser Autoren überhaupt behandelt werden, wenn sie sich dadurch, dass die Theorien in ihrer ursprünglichen Intention viele Mitglieder der Gesellschaft ausschlossen, für einen modernen und fruchtbaren pädagogischen Diskurs disqualifiziert hätten.
  20.  
  21. Diese These widerspricht jeglicher Wissenschaftlichkeit einer kritisch-historischen Beurteilung von Theorien. Die Tatsache, dass Rousseau oder Kant ihre Theorien aus einer eurozentristischen Weltanschauung heraus entwickelt haben ist eben noch kein Argument dafür, dass ihre pädagogischen Theorien im Kern auf Eurozentrismus basieren und diesen reproduzieren oder vermitteln. Vielmehr sollte ein Student der Erziehungswissenschaften intellektuell dazu in der Lage sein, im Zuge einer kritisch-historischen Beurteilung von Theorien genau zu differenzieren zwischen jenen Bestandteilen einer Theorie, die nur im historischen Kontext brauchbar und anwendbar sind, und solchen Bestandteilen die durch ihren Grad an Abstraktion durchaus auch heute noch anwendbar sind – und zwar ohne dabei Rassismus oder Eurozentrismus zu produzieren oder zu reproduzieren. Als Beispiel soll hier der berühmte kategorische Imperativ von Kant dienen: Obwohl Kant durchaus ein Anhänger der Rassentheorie war, wird man beim Versuch, zu beweisen, dass der kategorische Imperativ als Handlungsmaxime Rassismus produziert, unweigerlich kläglich scheitern. Auch in Bezug auf Sexismus und Gender-Fragen sollte die oben ausgeführte differenzierte Betrachtung von Theorien zur Geltung kommen. Die Tatsache, dass Rousseau seine Pädagogik „vom Kinde aus“ in erster Linie für männliche Individuen erdachte, ist zwar aus heutiger Perspektive zu kritisieren, bedeutet aber gleichzeitig nicht, dass seine Idee von der Kindheit als eigenständige Entwicklungsphase, die bei pädagogischen Handlungen stets als solche zu berücksichtigen ist, nicht ohne weiteres in die heutige Zeit übertragbar ist – und zwar auf alle Individuen, unabhängig von ihren geschlechtlichen und sexuellen Identitäten. Die Behauptung, die Lehre und Vermittlung dieser Theorien produziere und reproduziere Rassismus oder Sexismus oder sonstige diskriminierende Geisteshaltungen, ist unter diesen Gesichtspunkten einer kritisch-historischen Beurteilung also unhaltbar.
  22.  
  23. Der Dozent der Vorlesung ging in einer ähnlichen Weise auf die Kritik der Studierenden ein. Er bestand darauf, dass eine kritische Auseinandersetzung mit Autoren erst stattfinden könne, nachdem man sich mit ihren Theorien beschäftigt hat. Eine vorschnelle Verurteilung von Autoren und die Verweigerung, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, lehnte er aus den oben genannten Gründen ab.
  24.  
  25. Im weiteren Verlauf der Vorlesungsreihe wiederholten sich die oben angeführten kritischen Beiträge in nahezu jeder Vorlesung, und die Studierenden bestanden darauf, dass ihrer Ablehnung der zu behandelnden Autoren in der Vorlesung Rechnung getragen wird, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass die überwiegende Mehrheit der übrigen Hörer das Lehrangebot des Dozenten dankbar wahrnehmen wollte.
  26.  
  27. Der Konflikt spitzte sich nun langsam zu, als das Porträt von Butenandt aus dem Hauptgebäude der HU entwendet wurde und im Email-Verteiler der Vorlesung ein Link zum Bekennerschreiben verbreitet wurde. Dies – und nicht das verbreiten antirassistischer Texte, wie in der Pressemitteilung des Referats für Hochschulpolitik verlautbart wurde – brachte den Dozenten der Vorlesung auch durch Druck seitens der Hochschulleitung dazu, eine Schließung der Moodle Plattform in Erwägung zu ziehen. Diese Reaktion ist in Hinsicht auf Presse- und Meinungsfreiheit und vor allem in Hinsicht auf den Druck, der anscheinend von der Hochschulleitung auf den Dozenten ausgeübt wurde, sicherlich streitbar, aber dennoch ist die Entscheidung des Dozenten, die Moodle Plattform für fachbezogene und erziehungswissenschaftliche Themen zu reservieren durchaus verständlich. Im Endeffekt wurde die Plattform auch gar nicht geschlossen, allerdings sah sich der Dozent mit Blick auf die immer wiederkehrende unsachliche und pauschale Kritik an der Auseinandersetzung von Autoren und ihren Theorien, auf die er an dieser Stelle (während der Vorlesung) nicht eingehen konnte und vielleicht auch nicht wollte, dazu gezwungen, die Möglichkeiten der Wortmeldungen in seiner Vorlesung auf Verständnisfragen zu reduzieren. In Hinblick auf seine Verantwortung, die Fülle von Theorien im kurzen Zeitrahmen eines Semesters möglichst vielen Studierenden zu vermitteln, sowie in Hinblick auf die Interessenlage der Mehrheit der Studierenden in dieser Vorlesung, war dies eine sinnvolle Entscheidung.
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  29. Natürlich war dem Dozenten klar, dass es nicht sinnvoll ist, Kritik einfach zu untersagen und kritisierende Studierende sozusagen mundtot zu machen, daher machte er im gleichen Atemzug das Angebot, kritische Thesen oder kritische Beurteilungen der Vorlesung schriftlich darzulegen und ihm zukommen zu lassen, um im Anschluss an die Vorlesungsreihe in einem kleineren Rahmen sachlich darüber zu diskutieren. Außerdem verwies er auf die die Vorlesung begleitenden Übungen und Seminare, welche ausdrücklich die Möglichkeit bieten, kritisch zu diskutieren.
  30.  
  31. Die weitere Entwicklung der Auseinandersetzung mutet tatsächlich wie eine „Realsatire“ an, wenn auch in einem anderen Kontext, als Elisa Weidenhammer diese Wendung in ihrer Stellungnahme in der Pressemitteilung äußert.
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  33. Die Studierenden, welche die Kritik an der Vorlesung geäußert hatten, verfassten nun ein zweiseitiges anonymes Flugblatt, in welchem behauptet wurde, in der Vorlesung würden rassistische, sexistische und anderweitig diskriminierende Thesen vermittelt und reproduziert werden. Dieser Vorwurf ist, wie ich oben bereits zeigte, unhaltbar. Des Weiteren wurde der Dozent persönlich angegriffen und diffamiert, auf eine Weise die mit sachlicher Auseinandersetzung nichts mehr zu tun hatte und beinahe an Rufmord grenzte. Dieses Flugblatt fand sich sowohl im Hauptgebäude der HU, als auch im Gebäude in der Invalidenstraße 110. Die Tatsache, dass das Flugblatt anonymisiert war, zeigt anschaulich auf, dass eine Gesprächsbereitschaft im wissenschaftlichen Kontext überhaupt nicht mehr vorhanden war. Der Bereich einer sachlichen, konstruktiven und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Themen Rassismus, Sexismus, Gender und Diskriminierung war längst verlassen worden – Der Konflikt war zu einem emotionalen, persönlichen Konflikt zwischen den betreffenden Studierenden und dem Dozent geworden.
  34.  
  35. Natürlich nahm der Dozent in der darauffolgenden Sitzung zu diesem Flugblatt Stellung und legte noch einmal auf differenzierte und argumentativ nachvollziehbare Weise dar, dass er die kritische Auseinandersetzung mit Rassismus und Diskriminierung befürwortet, dass er Pluralität der Perspektiven sogar als konstitutiv für die Erziehungswissenschaften betrachtet, er aber die Art und Weise der Kommunikation über das Flugblatt aufs schärfste verurteilt.
  36.  
  37. Nun eskalierte der Konflikt endgültig und gipfelte in der letzten Vorlesungssitzung am Montag dem 10.2.2014. Den betreffenden Studierenden waren die sachlichen Argumente gänzlich ausgegangen, weshalb sie sich dazu genötigt fühlten, in lautes Jubeln und Klatschen auszubrechen, sobald der Dozent das Wort erhob. Damit machten sie die Durchführung der Vorlesung unmöglich und verhinderten damit die letzte wichtige Sitzung direkt vor der Klausur. Der Dozent und einige Kommilitoninnen versuchten noch mit den lärmenden Studierenden zu sprechen, aber sie ignorierten diese und verweigerten jegliche Kommunikation. Die überwiegende Mehrheit der Studierenden fühlte sich hilflos angesichts dieser kindisch anmutenden Trotzreaktion. Ein Kommilitone rief daraufhin die Polizei welche den Tumult schließlich auflöste.
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  39.  
  40.  
  41. Wie ich in meinen bisherigen Darlegungen zu zeigen versucht habe, wurden in der Vorlesung weder diskriminierende Inhalte vermittelt oder reproduziert, noch wurde Kritik in irgendeiner Form untersagt oder verhindert (ich erinnere an das Angebot des Dozenten, sich in nach der Vorlesungsreihe zu treffen und über die kritischen Punkte zu sprechen), noch wurde kritisches Hinterfragen „polizeilich“ untersagt. Solche polemischen Vorwürfe in einer Pressemitteilung des Referats für Hochschulpolitik zu lesen: das ist die eigentliche Realsatire.
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  43. Referent_innen des Referats für Hochschulpolitik:
  44.  
  45. Ich fordere euch, in eurer Eigenschaft als Vertretung ALLER Studierenden, dazu auf, auch die Interessenlage ALLER Studierenden zu berücksichtigen, und nicht den persönlichen, emotionalen Konflikt einer kleinen Gruppe Studierender mit einem Dozenten (der weit von sachlicher, wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Rassismus, Sexismus, oder anderen Formen der Diskriminierung entfernt ist) auf eine unreflektierte, undifferenzierte und unwissenschaftliche Art und Weise politisch zu instrumentalisieren, um Stimmung gegen die Hochschulleitung zu machen. Wer glaubt, auf diese Art und Weise - mit Polemik, mit diffamierenden Flugblättern, mit Verweigerung und Sabotage von Lehrveranstaltungen - für die Themen von Gender, Rassismus und Sexismus sensibilisieren zu können ist nicht nur auf dem Holzweg, sondern tut seiner Sache weniger einen Gefallen, als sie in ein schlechtes Licht zu rücken und nur noch mehr Ablehnung zu produzieren.
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  47. Ich fordere alle Studierenden dazu auf, diese Themen nicht einem emotional geführten, irrationalen und polemischen Diskurs zu überlassen, sondern sich kritisch, sachlich und vor allem wissenschaftlich und argumentativ damit auseinander zu setzen.
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  50.  
  51. Hochachtungsvoll,
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  53. Constantin Weber, Studierender der Erziehungswissenschaften
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