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Guest User

idiot 2

a guest
Feb 19th, 2017
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  1. Ich danke der enormen Langeweile, die nötig war um diesen Versuche einer Autobiographie zu skizzieren.
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  3. Vorbemerkung; Woraus wir gemacht sind
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  5. Zu Beginn unserer Erzählung wollen wir unserem Gravitationszentrum den Vorzug geben und uns gebührlich vorstellen, geputzt und gediegen, wie sich das in den alten Zeiten gehört haben mag. Wir stellen uns vor: Fichten, groß und stämmig, das regengepeitschte Dunkelgrün der Nadeln, die engen Straßen voller stehender Automobile, der Kampferbaum in unserem Garten, dessen Grün so viel heller leuchtete in den ersten Frühlingsmonaten, häufige Regenschauer und schlieriger Himmel. In den Siedlungen , deren Bauten in symmetrisch-aufgeräumten Formen der Moderne auf fast gotische Häuslichkeit treffen, liegt unsere Wohnung in einem kreideweißen Reihenhaus. Wir stellen uns vor: Fluktuation, gebären und vergehen. Es ist ein Glück für den ergebenen Dokumentaren, dass die Verhältnisse im Ganzen große Kontinuität aufweisen, Menschen, deren Wesen eine beruhigende Gleichmäßigkeit ausmacht, bevölkern unsere Erzählung. Wir wissen, gute Leben machen schlechte Geschichten. Selbst bei eingehender Betrachtung fällt es schwer, Lieben und Leiden solcher Menschen in günstige Farben auszukleiden, die ihr ganzes Leben im Licht wandeln. Gemütsausbrüche, die so vorübergehend und unbedeutend sind gegenüber dem überbordenden, sich stetig selbst erschaffenden Lebensrhythmus, der so unbemerkt und selbstverständlich ihr Handeln bestimmt.
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  7. Tatsächlich, wer sich einem solchen Orte hingibt, spürt sich vom zutiefst Logischen und Reinen durchdrungen, umgeben von solchen, die hadern oder frohlocken, aber sich doch immer fügen, gar nicht anders können als sich zu fügen. Aber seit die Zeiten wieder Dramatiker erfordern, wird mir mehr als je bewusst, wie notwendig gerade die Aschen unserer spießigen Unschuld den Künftigen sein werden. Eine solche Herausforderung überspannt die Fähigkeiten des Autoren als Chronisten, der sich selbst dabei ertappt wie er Vergangenes in Prunk und Schmerz taucht, aus reiner Gefühlsseligkeit selbstverständlich, wo doch nichts diesen Zeit ferner läge. Denn auch er ist nur unvollkommenes Instrument,muss die Worte des Chores singen ohne die Melodie auszuschmücken oder fataler noch vor erzwungener Leidenschaft den Wortlaut zu beschmieren. Ehrfurcht zerstört das Paradies. Halten wir uns daher vor Augen, dass Schönheit und Poesie hier etwas Unangebrachtes haben und unsere harte Arbeit wieder zerstören könnten. Kleinstädte also, Gott, es sollen also Kleinstädte sein!
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  10. 1 - Wellblech
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  12. Unsere Garage wurde als Doppelbau mit der unserer Nachbarn konzipiert, ein kastenförmiger Apparatus mit Wellblechdach und einer Front aus lackübergossenem Ulmenholz und einem kleinen Plastikknauf, mit dem man das Tor heraufziehen konnte. Als Kleinkind würde ich oft auf der Holzvertäfelung in unserer Einfahrt sitzen, im Schatten des Wellblechdaches und auf den benachbarten Asphalt starren. Selbstverständlich betrachtete ich nicht bewusst eine solche Trostlosigkeit, sondern wartete auf meine Spielkameraden, die Kinder unserer Nachbarn und Siedlungsmitbewohner. In der Regel schloss ich mich ihren Spielen an, da ich zögerte, ein Zusammentreffen direkt zu forcieren. Meine sportlichen Fähigkeiten waren unterdurchschnittlich und so behielt ich es mir vor, einer Blamage wegen meiner unzulängliche Koordination vorzubeugen. Ich war ein glückliches und sehr häufig krankes Kind. Asphalt ist der Ausgangspunkt meiner kindlichen Erinnerungen. Davor vage Eindrücke von sonnendurchfluteten Korridoren und Linoleumböden, verklärte und verträumte Krankenhäuser.
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  14. Wir lebten in einer geschwindigkeitsreduzierten Straße, die abseits des Durchzugsgebietes des Berufsverkehrs lag. Wenn ein Wagen flach und eben sich seinen Weg bahnte, so gehörte er einem der Anwohner oder einem Besucher aus dem Familienkreis. Ich kannte alle Gesichter. Ich denke, ich habe mehr Zeit auf der Holzauskleidung verbracht, als ich tatsächlich beim Spielen verbrachte. Ich erinnere mich an das sonnenerwärmte Holz, das zu Splittern neigte bevor es Jahre später durch einen Unfall mit Motoröl bis zur Unkenntnis verfärbt werden sollte. Auch der vertraute Geruch stellte sich niemals wieder ein. An den langen und klaren Tagen meiner Kindheit verfiel ich diesem Platz mit einer merkwürdigen Anhänglichkeit.
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  16. Erst später begriff ich, dass dies der erste Geschmack von Einsamkeit war und mir steht der Gedanke nahe, dass sich das Schicksal des Beobachters schon in dieser kindlichen Neigung ausdrückte. Oft beobachtet man Kinder, die aus der Welt heraus aber gleichzeitig ins Leben hinein wollen, die sich reiben und abarbeiten an den ihnen vorbestimmten Lebensbahnen. Mein Schicksal dagegen schien immer ungleich entrückt, als wäre ich mit der Ahnung geschlagen, dass mir meine fehlende Vitalität zu viele der Freuden versagen würde, die uns ein strebendes, zitterndes Leben einbringt, um das Verlassen der Beobachterposition überhaupt ratsam erscheinen zu lassen. In alten Familienalben habe ich Bilder aus dieser Zeit gefunden, Bilder mit der sonnigen Verblichenheit von durchschnittlichen Fotoapparaten. Andere Siedlungskinder, zwischen vier und acht Jahren, sitzen neben mir auf der Holzvertäfelung. Ich sitze in der Mitte, fünf Jahre alt, mit fröhlicher Kurzhaarfrisur und Schirmmütze, ein Wassereis in meiner rechten Hand, ich strahle.
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  19. 2 - Wie man eine Geschichte erzählt
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  21. Ich habe lange Zeit über das Lieben nachgedacht. Da mir erschien, dass sich mir alles entzog, was ich liebte, versuchte ich am bloßen Prozess, der pathetischen einseitigen Zuneigung, den Liedern und der flatternden Nervosität Freude zu finden. Unnütz zu sagen, dass ich nicht für einen solchen schläfrigen Verzicht gemacht war. Es muss wohl unverständlich erscheinen, eine Reflexion von so überholter Art an den Anfang zu stellen, aber ich denke, um Geschichten zu erzählen, muss jeder Mensch mehr hassen als lieben. Schreiben ist Abgrenzung, Schreiben ist auch Urteil. Wer urteilt sündigt gewissermaßen, um im Bewusstsein der nötigen Begriffe zu bleiben. Lachen und Zynismus mögen in diesem Falle produktiver sein, aber Liebe, Zuneigung und Anerkennung waren immer das unmissverständliche, sich entziehende Zentrum meines Lebens.
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  24. 3 - Porträt
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  26. Der Schmutz meiner Blicke! Die achte Klasse, eine Zeit der Unterdrückung und der Lächerlichkeit für alle unglücklich Liebenden, und ihr allmorgendlicher Anblick infizierte meinen kaum ausgeprägten Jungenkörper mit der hitzigen Konstitution und leidenschaftlichen Scham des Kindes, dass den Verrat seines Körpers zu spät bemerkt. Sie fand Freude daran, sich in der Verlorenheit der unterrichtslosen Nachmittags in ein abgeschiedenes Abteil der Mädchentoiletten zu begeben, dass den Vorzug einer Belüftunsanlage aufwies. Sie rauchte Zigaretten, dünn und faltig im blauen Dunst, eine Äußerung gleichzeitig des Aufblühens und der Auslöschung - eine äußerste Geste der Jugend. Nenne es Selbstbezogenheit, Aufsässigkeit, stumpfe Dekadenz - es ist alles nun bedeutungslos. Ich würde ihr nachspionieren, und da ich ihr niemals in die mir verschlossene Sterilität hinter dem blauen Plastiksymbol folgen konnte, wartete ich auf der danebenliegenden Jungentoilette und horchte auf jeden Laut.
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  29. 3 - (R.I.P Satoshi Kon)
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  31. Alle der Freuden, die die Kunst zufolge ihrer allumfassenden Natur heraufbeschwören muss, treffen, wie schon ersichtlich geworden sein sollte, bei mir ausschließlich auf trotziges Entsagen. Es ist ein seltsamer Auswuchs der arrogantesten Art des Individualismus. Unweigerlich führen die (nur allzu unzulänglich benannten) Grundbedürfnisse ein Individuum in den Widerspruch mit sich selbst, wenn es auf äußerste Autonomie pocht. Wer kann sich schon von anderen abgrenzen, wenn er ihre Gemütsregungen, ihre Nahrung, die dunklen und körperlichen Geheimnisse ihrer Sinne und ihres Denkens teilt? Eine solche Haltung verschlingt den Denkenden, verschlingt die so vereinzelten Freuden, erhebt Verzweiflung zur einzigen Ausnahme und Apathie zum Prinzip. Also wie sich lösen aus dem Geflecht seiner sozialen Rollen, zu einem greifbaren und sich verständlich äußernden Selbst zurückfinden? Ich muss mir eingestehen, dass in meinem jungen Alter meine Gedanken in der unordentlichen und taumelnden Krankheit ihr Nährbett finden. Entscheidend für den Schreibenden ist aber gerade das Hindernde an einer solchen Situation, nicht mehr in Abgründe zu blicken, weil einem das grundlegende Verständnis dafür fehlt. Vertrautes gleitet durch die Finger und wir verlieren den Glauben daran, uns ausdrücken zu können.
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  33. Keine Realitätsfluch sondern ins Leben hinein fliehen. Letztlich gleicht sich jede Geschichte, ist Existenzbestätigung vor dem Wiedereintauchen ins uns Entzogene, unbestimmt Dunkle. Schönheit, Transzendenz, Erkenntnis -alles wiederum Teil des uns Entzogenen, konstituieren die Bahnen die wir gehen. Umlaufbahnen, heilige Symmetrie. Kreisrunde Bahnen also, unendlich und bloße Variation der begrenzten Grundkonstellationen. Hält uns nicht so viel hier? Licht, die gütige Krümmung der Straßenlampen auf unserem Weg
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  35. Wie dein Vater mit der Gabel in seiner Schulter zu sagen pflegte: „Wer Scheiße frisst, soll sich nicht über den bitteren Nachgeschmack wundern.“
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