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Oberstaatsanwalt Jürgen Schär im Interview

May 16th, 2013
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  1. Sächsische Zeitung online exklusiv
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  3. Donnerstag, 16.05.2013
  4. Rechte Kampagnen und heimliche Schießübungen im Wald
  5. Oberstaatsanwalt Jürgen Schär spricht nach dem Prozess gegen Dresdner Hooligans über die Schnittmenge zwischen Fußball-Gewalttätern und der Neonazi-Szene
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  7. Herr Schär, vor Kurzem wurden fünf Angeklagte zu Strafen von bis zu vier Jahren Haft verurteilt. Was bedeutet das Urteil gegen die „Hooligans Elbflorenz“ für die weiteren Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft?
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  9. Die Staatsschutzkammer des Landgerichts hat alle fünf Angeklagten auch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Damit folgt das Gericht unserer Rechtsauffassung. Es war das erste Verfahren gegen Hooligans nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs in Deutschland. Hinzu kommt, dass erstmals auch einvernehmliche Hooligan-Matches als strafbar angesehen wurden. Für unsere Verfahren hat das eine große Bedeutung.
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  11. Können Sie das näher beschreiben?
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  13. Die Einleitung der Ermittlungsverfahren gegen die Gruppe im Frühjahr 2009 folgte dem Bedürfnis, eine intensive Strafverfolgung zu betreiben. Wir hatten schon vor rund zehn Jahren eine zunehmende Kriminalisierung der gewaltbereiten Fußballfan-Szene beobachtet. So gingen etwa immer wieder Hunderte Hooligans am Rande von Fußballspielen mit Gewalt auf Polizeibeamte los – geplant und gut organisiert. Wir stellten dabei fest, dass darunter auch zunehmend gewaltbereite Rechtsextremisten waren. Offenbar nutzten sie die Hooligan-Auseinandersetzungen als Training.
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  15. Hooligans und Rechtsextremisten schlagen gemeinsam los?
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  17. Ja, natürlich. Unser Verdacht war, die Rechten suchen gezielt Erfahrung im Straßenkampf. Die Neonazi-Szene hat sich verändert. Im Jahr 2000 gab es 50 Kameradschaften in Sachsen, heute sind es nur noch 15. Die Täter suchen sich neue Betätigungsfelder, moderne Aktionsplattformen, nutzen das Internet. Sie sind weniger organisations-, sondern vielmehr aktionsbetont. Denken Sie etwa an die „Volkstod“-Kampagne (nächtliche Aufmärsche von vermummten Rechtsextremisten wie etwa 2011 in Stolpen, Anm. d. Red.). So wurden auch Hooligans für sie attraktiv.
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  19. Wurden die „Hooligans Elbflorenz“ von Neonazis unterwandert?
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  21. Das würde ich so nicht sagen. Es ist aber eine Gruppe „mit braunen Einsprenkelungen“, wie ich es nenne. Nicht alle Hooligans sind rechtsextrem, aber unter den Mitgliedern gibt es natürlich eine große geistige Nähe, eine gemeinsame Schnittmenge. Mitglieder der 2001 verbotenen Vereinigung SSS – „Skinheads Sächsische Schweiz“ – etwa sind auch darunter.
  22.  
  23. Gegen die SSS haben Sie vor mehr als zehn Jahren erstmals ein Verfahren nach Paragraf 129 eingeleitet.
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  25. Das wurde auch höchste Zeit. Die SSS hatte vier Jahre existiert und Angst und Schrecken verbreitet. Als die Rechtsextremen wöchentlich systematisch mit Handfeuerwaffen trainierten, hatten wir die Sorge, sie würden die Waffen irgendwann auch einsetzen. Es war das erste 129er-Verfahren überhaupt gegen eine Neonazi-Organisation nach dem Verbot der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ Anfang der 80er-Jahre in der Bundesrepublik. Danach haben wir auch gegen Organisationen wie „Blood & Honour“ oder die „Sächsischen Hammerskins“ ermittelt – seit wir rechtsextremistische Kameradschaften intensiv verfolgen, tummeln sich die Mitglieder in anderen Zusammenhängen wie den Hooligans oder den freien Kameradschaften. Für uns ist es schwieriger geworden, sie zu fassen.
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  27. Wie gerieten die „Hooligans Elbflorenz“ ins Visier der Staatsanwaltschaft?
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  29. Den Ausschlag für das Ermittlungsverfahren gab der organisierte Überfall auf türkische Lokale in der Dresdner Neustadt im Juni 2008. Die Vorgehensweise, der Modus Operandi, zeigte, dass hinter den „Dönerüberfällen“ eine hierarchisch gegliederte, gut geführte Organisation steht. Wir mussten die gewalttätigen Hooligans aus ihren Strukturen reißen – sonst wäre es nicht gelungen, auch den Anführer zur Verantwortung zu ziehen, der sich selbst nicht aktiv an dem Überfall beteiligt hatte, aber im Hintergrund wirkte.
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  31. Yves L. erhielt in dem 92-tägigen Prozess vier Jahre Gefängnis. Seine Verteidiger wollen das Urteil vor dem Bundesgerichtshof anfechten. Sie auch?
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  33. Nein, warum sollten wir in Revision gehen? Das Urteil geht so in Ordnung. Für uns ist es wichtiger, endlich auch die übrigen Mitglieder dieser Gruppe anzuklagen. Wir haben insgesamt gegen mehr als 40 Beschuldigte ermittelt. Etwa ein Dutzend Männer werden wir jetzt auch vor der Staatsschutzkammer anklagen.
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  35. Erwarten uns wieder so lange Prozesse?
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  37. Davon gehe ich nicht aus. Es wird jetzt einfacher sein, den Beschuldigten die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nachzuweisen. Eines muss ich hier aber einmal deutlich sagen: Die Ermittlungen waren sehr umfangreich und aufwendig. Aber diese Hooligan-Gruppe hat den Rechtsfrieden massiv bedroht. Man darf den Erfolg dieses Verfahrens, der Ermittlungen und des Prozesses nicht allein unter betriebswirtschaftlichen Kosten-und-Nutzen-Gesichtspunkten betrachten, wenn man diese Form der organisierten Kriminalität erfolgreich bekämpfen will. Rein statistisch hätte ich für ein solches Verfahren gerade einmal 170 Minuten Zeit – doch allein die Startberatung mit der Polizei dauerte schon länger.
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  39. Wie meinen Sie das?
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  41. Der Aufwand von Staatsschutzverfahren ist außergewöhnlich hoch. Natürlich hat auch die Justiz keine unendlichen Ressourcen. Aber eine Kriminalität, die den Rechtsfrieden so enorm bedroht, muss nachhaltig bekämpft werden. Sonst laufen wir Gefahr, nur einzelne Gewalttäter zu fassen, während sich die Masse der Täter weiter austobt – die Spirale der Gewalt würde sich weiterdrehen. Was kommt nach dem heimlichen Schießtraining? Politisch motivierte Gewalttäter, denen keine Grenzen mehr gesetzt werden, könnten sogar in terroristische Strukturen abgleiten.
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  43. Dem Beobachter drängt sich der Eindruck auf, die Dresdner Staatsanwaltschaft führt besonders viele solcher Strukturverfahren gegen Hooligans und mutmaßliche Extremisten. Wie viele Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gibt es derzeit?
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  45. Na ja, zu den Beschuldigten der Hooligans-Gruppe kommen schon noch einige Komplexe hinzu. Die Verfahren sind doch bekannt. Wir ermitteln gegen mehr als 100 Beschuldigte der „Faust des Ostens“, auch Gewalttäter im Dresdner Fußball-Umfeld. Darüber hinaus haben wir größere Verfahren gegen die „Terror Crew Muldental“ (TCM), eine rechtsextreme Schlägerkameradschaft. Wir führen ein Verfahren gegen eine sogenannte „Antifa-Sportgruppe“, die seit 2009 gezielt Rechtsextreme aufgespürt und zusammengeschlagen haben soll. Und schließlich ermitteln wir gegen das „Deutsche Polizeihilfswerk“, eine Organisation von Reichsdeutschen.
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  47. Das Gespräch führte Alexander Schneider.
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