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May 26th, 2015
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  1. Plötzlich wieder Türke
  2.  
  3. Uelzen. Der Landkreis Uelzen hat einem
  4. türkischstämmigen Justizbeamten
  5. im Eilverfahren die deutsche Staatsbürgerschaft
  6. entzogen. Der bestens integrierte
  7. Mann steht damit vor den Trümmern
  8. seiner Existenz. Er droht seinen
  9. Beruf und seine Pensionsansprüche zu
  10. verlieren. Sein einziger „Fehler“: Er hat
  11. eine türkische Frau geheiratet.
  12. Der Lebenslauf von Oguz K. (Name
  13. geändert) liest sich wie die Geschichte
  14. einer vorbildlichen Integration: 1982 in
  15. Deutschland geboren, nimmt er 2001 mit
  16. 18 die deutsche Staatsbürgerschaft an
  17. und gibt die türkische auf. K. macht seinen
  18. Realschulabschluss und wird in der
  19. JVA Uelzen Justizvollzugsbeamter auf
  20. Probe – bis Montag dieser Woche. Jetzt
  21. ist er arbeits- und mittellos und wird zumindest
  22. vorübergehend zum Sozialfall.
  23. Denn am Montag hat ihm der Kreis
  24. die deutsche Staatsbürgerschaft rückwirkend
  25. aberkannt und hatte es dabei
  26. auch noch besonders eilig. In der Folge
  27. hat das Land Oguz K. am Dienstag auch
  28. aus dem Staatsdienst entlassen – weil er
  29. kein Deutscher mehr ist. Das berichtet
  30. die „Allgemeine Zeitung“ aus Uelzen.
  31. Das alles wäre nie passiert, hätte sich
  32. Oguz K. nicht in eine Türkin verliebt und
  33. beschlossen, sie zu heiraten. Dafür forderte
  34. der Kreis einen Auszug aus dem
  35. türkischen Familienregister der Familie
  36. K. Das wird in Kastamonu geführt, einer
  37. Provinzhauptstadt im Norden der Türkei.
  38. Als der Landkreis das Stammbuch auswertet,
  39. gibt es eine Überraschung: Oguz
  40. K. wird dort noch immer als
  41. Türke geführt. Im April 2002,
  42. rund acht Monate, nachdem
  43. er die deutsche Staatsbürgerschaft
  44. angenommen hatte,
  45. nahm ihn der Ministerrat der
  46. Türkei erneut auf.
  47. Für Oguz K. ist das ein Schock – und
  48. ein Rätsel. „Ihm ist nicht bekannt, wie es
  49. zu diesem Beschluss gekommen ist“, sagt
  50. sein Anwalt. Einen Wiedereinbürgerungsantrag
  51. seines Mandanten gibt es offenbar
  52. nicht, sondern nur den Personenregisterauszug
  53. aus der Provinz. Doch dem Landkreis
  54. genügt das, um die deutsche Staatsbürgerschaft
  55. zu entziehen. Zuvor hatte
  56. die Ausländerbehörde den 33-Jährigen
  57. aufgefordert zu beweisen, dass er nie einen
  58. Antrag unterschrieben hat. Das sei in
  59. der Praxis sicher „schwierig bis unmöglich“,
  60. räumt Uelzens erster Kreisrat Uwe
  61. Liestmann ein und betont gleichzeitig,
  62. dass der Landkreis keine andere Entscheidungsmöglichkeit
  63. gehabt habe.
  64. Der erste Kreisrat behält recht. K. telefoniert
  65. mit dem Standesamt im türkischen
  66. Kastamonu, schaltet auch dort einen
  67. Anwalt ein. Er erhält am Telefon die
  68. Auskunft, dass tatsächlich in der Türkei
  69. kein Antrag auf Wiedereinbürgerung
  70. vorliege. Schriftlich dürfe
  71. eine solche Negativbescheinigung
  72. aber nur das
  73. Innenministerium in Ankara
  74. ausstellen. K. wendet
  75. sich dorthin, wo man aber
  76. wiederum an das Standesamt
  77. in Kastamonu verweist.
  78. Das fasst der verzweifelte Uelzener in
  79. einer eidesstattlichen Versicherung zusammen,
  80. die er an den Landkreis schickt.
  81. „Es gibt in der gesamten Türkei (...) keinen
  82. von mir unterzeichneten Antrag auf
  83. Wiedereinbürgerung“, heißt es darin.
  84. Doch der Ausländerbehörde reicht das
  85. nicht. Sie fordert K. auf, seine Einbürgerungsurkunde
  86. innerhalb von zwei Wochen
  87. im Kreishaus abzugeben und ordnet
  88. wegen „öffentlichen Interesses“ Sofortvollzug
  89. an. Auch eine Petition an den
  90. Landtag kann den Kreis nicht stoppen.
  91. Stattdessen empfiehlt der erste Kreisrat
  92. dem 33-Jährigen, nach vorn zu blicken:
  93. „Wir bieten ihm ein sehr zügiges
  94. Verfahren zur Wiedererlangung der deutschen
  95. Staatsbürgerschaft an.“ Doch für
  96. Oguz K. ist das kein Trost. Damit wäre er
  97. von 2002 bis 2015 endgültig kein Deutscher
  98. mehr – seine Existenzgrundlage
  99. samt Ausbildung und Pensionsansprüchen
  100. wäre verloren, befürchtet er.
  101. Auch das Justizministerium in Hannover
  102. kann nicht helfen. Man habe bei der
  103. Entlassung aus dem Beamtenverhältnis
  104. keinen Ermessensspielraum. „Gleichwohl
  105. ist der Justizvollzug sehr darum bemüht,
  106. kreative Lösungen zu finden. Ziel
  107. ist es, eine Beschäftigung im Justizdienst
  108. fortzusetzen, idealerweise in einem Beamtenverhältnis“,
  109. erklärt ein Sprecher.
  110. „Vorübergehend könnte auch eine Beschäftigung
  111. als Angestellter in Betracht
  112. kommen.“ Die JVA sei sehr bemüht, „zu
  113. einer guten Lösung zu kommen“.
  114. Ironie des Schicksals: Nach heutigem
  115. Recht müsste sich Oguz K. nicht mehr für
  116. nur eine Staatsbürgerschaft entscheiden.
  117. Seit 2014 darf, wer in Deutschland geboren
  118. und aufgewachsen ist, den türkischen
  119. und den deutschen Pass behalten. Oguz
  120. K. hilft das nicht mehr.
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