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karstenw

Gedanken zur Stille – Eine Meditation

Jan 8th, 2020
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  1. Gedanken zur Stille – Eine Meditation
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  3. Sobald wir still werden, begegnen wir uns selbst, wie wir wirklich sind, wo wir im Moment stehen. Daher sind wir nie still, weil wir uns selbst fürchten und meiden. Wenn wir die Angst davor überwinden, begegnen wir zuerst unserer Oberfläche, dem Stress, den unaufhörlichen Gedanken, der Leere und Langeweile unseres Lebens, der Angst und Verwirrung nicht zu wissen, wer wir sind. Wenn wir dem nicht ausweichen, löst sich das auf, allmählich, und es tauchen tiefere Schichten auf, schwierigere Gefühle, die immer feiner und differenzierter werden, wenn wir ihnen nicht aus dem Weg gehen, bis wir schliesslich zur Leere und damit zur Stille, zur Grundsubstanz oder ganz einfach zur Liebe vordringen. Das ganze Lernen über den Widerstand und über das damit verbundene Leiden wird unnötig. Wir beginnen gleich mit dem Ziel: Mit der Freiheit und der totalen Aufmerksamkeit, die Liebe ist, die Energie ist, die Stille ist. Allmählich werden wir vordringen zu den ganz subtilen Bereichen in uns. Alles löst sich auf, das Ego löst sich auf, da bleibt keiner mehr, der beobachtet, nur noch Beobachtung, keiner mehr, der fühlt sondern nur Gefühl, keiner mehr, der verletzt werden kann sondern nur noch Leere. Eine neue Leere, nicht die hohle der Oberfläche. Da bleibt zuerst nichts, und wenn wir dort nicht ausweichen, finden wir schliesslich die Fülle in der Leere: Die Energie, die immer in Bewegung ist, nicht die Bewegung der Oberfläche, die ausweicht, sondern die Bewegung der Tiefe, die immer noch tiefer grabt.
  4. Energie zu fühlen, ist auch Freude zu fühlen, Liebe, totale Aufmerksamkeit, Zuwendung, Grenzenlosigkeit, Verbundensein, Tod. Und hier beginnt eine neue Reise, eine endlose, ewige Ausdehnung ohne Grenze. Transformation dessen, was ausser mir ist. Stille ist ein Tor zu einer andern Dimension.
  5. Nehmt nun in euch den Bereich wahr, in dem es ganz still ist, versucht die Stille in euch zu finden. Ihr müsst nicht zuerst still werden oder irgendeine Voraussetzung erfüllen. Da sind die unruhigen Gedanken, die Unruhe des Alltags, da ist der Körper mit seinen Sensationen und da sind die Emotionen. Kümmert euch nicht darum, lasst das einfach stehen, entzieht dem eure Energie und richtet eure Aufmerksamkeit auf die Stille in euch. Sie ist immer da, ihr müsst sie nur wahrnehmen. Ihr müsst nicht wissen, wie man das tut, ihr müsst nicht wissen, wo ihr sie findet. Ihr müsst sie nur wollen, dann ist sie da. Wir sind reine, leere Wahrnehmung. Jede andere Definition über uns ist falsch und entspringt unserem trennenden, dualistischen und urteilenden Denken. Reine Wahrnehmung ist Energiefluss, ist Liebe, ist Licht. All das ist identisch. Gebt euch die Anweisung, still zu sein, die Stille in euch zu finden und fühlt dann einfach, bleibt in einer erwartungsvollen Haltung. Schaut, was passiert. Ihr werdet dann direkt mit dem, was ihr wirklich seid, in Kontakt kommen und könnt euch das ganze Leiden sparen, ohne ihm auszuweichen. Ihr geht einfach der Stille, der Liebe, der Freude nach. Da gibt es nicht euch und die andern. Da gibt es nur Einheit, Ganzheit, Grenzenlosigkeit. Geht nun ganz zur Stille, zur Liebe in euch. Und behauptet nicht, es sei euch etwas im Weg. Das ist nicht wahr.
  6. Stille hat damit zu tun, alles in sich halten zu können. Es geht darum sich selbst, das heisst, seine körperlichen Sensationen, seine Emotionen und seine mentalen Strukturen zu sehen und bewusst in sich zu halten, aber auch alle anderen Energien im Raum, die von den andern Menschen ausgehen, in sich tragen zu können. Es geht also darum, ununterbrochen mit allen im Bewusstseinsfeld vorhandenen Energien im Kontakt zu sein, sie zu tragen. Man muss sich selbst die Anweisung geben, ruhig zu sein, aber ohne Gewalt, ohne Rigidität; ruhig sein wollen, Disziplin wollen aus Einsicht und nicht als Zwang. Lernen ganz bewusst, ganz aufmerksam zu sein; bereit sein, zu halten, was da ist, das Gefäss zu sein, das alles hält und nicht der Inhalt des Gefässes. Anfänglich hält die Stille die Unruhe, dadurch kann sich diese auflösen, die eigene und diejenige der andern. Dadurch ist Stille dann schliesslich wirkliche Stille. Aber zuerst braucht es jene Stille, die den Lärm umfangen kann. Sie erscheint überhaupt nicht still. Um still zu werden, kann man nicht dem innern Lärm entfliehen, sondern man muss ihn genauer betrachten. Wenn in einem bestimmten Bewusstseinsfeld alle Menschen dies gleichzeitig tun, wird der Inhalt des Bewusstseins völlig leer, dann ist wirkliche Stille da und damit auch die Liebe.
  7. Aufmerksamkeit ist eine Qualität unserer Wesensessenz. Wenn wir mit dieser, mit der Wahrnehmung identifiziert sind statt mit dem, was die Wahrnehmung wahrnimmt, wenn wir nach hinten auf die Aufmerksamkeit statt nach vorne auf unsere Empfindungen, die wir wahrnehmen, schauen, lösen wir dabei die Identifikation mit dem Körper, mit dem emotionalen Körper, mit den mentalen Strukturen und dehnen uns aus in die Qualitätsaura oder eben unsere Wesensessenz und betrachten von dort den Inhalt: Körper, Emotionen, Mentalstruktur.
  8. Wir sind wie ein Vulkan. Innen brodelt es, bricht es aus, speit es Lava, ist es erloschen, hat sich ein Kratersee gebildet, je nachdem in welchem Stadium sich unser Vulkan befindet. Da ist dauernde Veränderung, wir sind dieses Innere. Aber wenn wir identifiziert sind damit, sind wir wie ein Blatt im Wind, ständig hin und her geworfen, zerstreut, nicht zentriert. Wir sind aber auch der Vulkankegel, und dieser ist ständig während aller Phasen komplett still und unbeweglich. Wenn wir uns mit ihm identifizieren, sind wir still und zusammen mit dem immer Gleichen in uns. Ob es brodelt, speit, erlischt oder sich ein See bildet, wir bleiben immer gleich. Das andere ist oberflächliche Bewegung in uns! Der Kegel ist wie die Stille, wie die Aufmerksamkeit. Er ist ein Tor zur andern Dimension. Er wartet schon dort, wo am Schluss das Ganze ankommen wird. Der Kratersee, der Krater, der Himmel darüber sind von der gleichen Art.
  9. Der schwierigste Teil auf dem Weg der Bewusstseinsentfaltung ist zu erkennen, dass die Welt ein Gefühl ist. Beim Nicht-Tun fühlen wir die Welt. Nicht-Tun ist zwar sehr einfach aber auch sehr schwer. Es geht nicht darum, es zu verstehen, sondern es zu meistern. Das Sehen der Welt als Gefühl gilt als höchste Vollendung auf diesem Weg; zum Sehen gelangen wir aber nur, wenn wir durch das Nicht-Tun zuerst “die Welt anhalten lernen“, wie es Don Juan in Castanedas Büchern genannt hat. Durch das Nicht-Tun gelingt es uns, mit dem einzigen, was wirklich ist in uns, Kontakt zu bekommen: Mit dem nackten Sein.
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  12. Aus: Samuel Widmer Nicolet: Die Liebe äussert sich ganz einfach/ Wundersame, hinterhältige, humorvolle und schauerlich schöne Geschichten, Heuwinkel-Verlag, 2000
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