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Fragen, die wir zur „Zuger Sexaffäre“ noch stellen müssen

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Sep 23rd, 2015
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  1. Fragen, die wir zur „Zuger Sexaffäre“ noch stellen müssen
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  3. Die „Zuger Sexaffäre" nahm im vergangenen Dezember ihren Anfang. Der Grünen-Politikerin Jolanda Spiess-Hegglin seien an der Landammannfeier K.O.-Tropfen verabreicht worden. Im Krankenhaus wurde Geschlechtsverkehr nachgewiesen. Der Hauptverdächtigte ist Markus Hürlimann, damaliger SVP-Präsident des Kantons Zug. Im Artikel Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung haben wir den Fall erstmals behandelt. Mittlerweile ist das Verfahren eingestellt worden. Wir haben die Gerichts- und Krankenhausakten einer genauen Prüfung unterzogen.
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  6. Medial scheint der Fall Spiess-Hegglin bereits totdiskutiert zu sein. Jedes Blatt hat über die Landammanfeier geschrieben, an welcher der damalige SVP-Präsident des Kantons Zug der Grünen-Politikerin Jolanda Spiess-Hegglin K.O.-Tropfen verabreicht und sie anschliessend missbraucht haben soll.
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  8. Niemand ausser die beiden Politiker (und vielleicht einem weiteren Mittäter) kann abschliessend wissen, was in jener Nacht geschah. Und trotzdem ziehen scharenweise Social-Media-Fackelzüge durch die virtuellen Strassen und bezichtigen Jolanda Spiess-Hegglin der Lüge. Mittelalterliche Phänomene werden wiederbelebt: Eine Frau wird an den Pranger gestellt, die sagt, dass sie einen Übergriff erleben musste. Die wenigsten glauben ihr, jeder erlaubt sich aber ein Urteil. Was folgt, ist eine anmassende Vorverurteilung durch die Öffentlichkeit.
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  10. Die SVP verpasst der Grünen-Politikerin gar im neuen Video einen Seitenhieb, indem sie irgendeinen Heini Zuger Kirsch trinken und anschliessend benebelt mit dem Kopf neben einem Fläschchen mit der Etikette „K.O-Tropfen" aufschlagen lässt. Diese hämischen Dreistigkeiten brachten mich dazu, die Prozess- und Spitals-Akten des Falles Spiess-Hegglin/Hürlimann noch einmal durchzugehen und mich mit dem Fall zu beschäftigen. Dabei sind mir einige Ungereimtheiten aufgefallen.
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  12. Der Flashback
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  14. Gegen einen zweiten SVPler lief ein Verfahren, nachdem sich Spiess-Hegglin in einem Flashback an dessen Anwesenheit erinnert. Laut Aussageprotokoll wacht Jolanda Spiess-Hegglin am Folgetag der Landammanfeier mit starken Schmerzen im Intimbereich auf. Sie erinnert sich nicht an die vergangene Nacht, weiss aber eindeutig, dass mit ihr etwas nicht stimmt und dass der Badezimmerboden von einem Flecken erbrochenem Randensalat besudelt ist. Sie will klare Gedanken fassen. Deshalb lässt sie sich wie jeden Sonntag ein Bad einlaufen. Sie taucht ab, lässt ihren Gedanken freien Lauf.
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  16. Und dann — ganz plötzlich — hat sie ein Bild im Kopf. Ein Flashback, wie ihre Psychologin ihr später erklären wird: Sie nimmt grelles Licht über sich wahr. Dann einen lauten, kurzen Knall. Sie sieht Markus Hürlimann mit entblösstem Unterkörper und erigiertem Penis in eindeutiger Handlung vor sich stehen. Sie dreht ihren Kopf zur Seite und erblickt ein zweites, hämisch grinsendes Gesicht eines Mannes, der ihr ebenfalls nicht fremd ist (und den Zuger Politkreisen auch nicht).
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  18. Wichtige Tests und eine Speicherkarte gehen vergessen
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  20. Spiess-Hegglin fährt also ins Spital. In der Aufnahme erklärt sie, dass sie vermutlich vergewaltigt worden sei, und dass sie auch K.O.-Tropfen vermutet. Zunächst wird Frau Spiess-Hegglin ins Wartezimmer beordert. Dort wird sie nach einer unüblich langen Weile von einer Praktikantin abgeholt, die Jolanda Spiess-Hegglin nach dem vorgeschriebenen Standard-Vorgehen bei einer Vergewaltigung untersucht.
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  22. Dass keine Speicherkarte im Fotoapparat ist, als Blessuren fotografiert werden, fällt an dieser Stelle niemandem auf. Viel gravierender ist allerdings der Punkt, dass man Frau Spiess-Hegglin nicht sofort Blut- und Urinproben abnimmt. Auch kein simples „Vergessen" funktioniert hier als Ausrede. Bei einem Verdacht auf GHB ist das Krankenhaus verpflichtet, als allererstes die vermuteten Substanzen zu sichern. Aus gutem Grund: GHB ist nur 6 bis 12 Stunden nachweisbar. Blut und Urin wurden der jungen Politikerin allerdings erst nach rund 20 Stunden abgenommen, was ein positives Testergebnis ohnehin verunmöglicht hat.
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  24. Gutachten basiert auf Falschaussagen
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  26. Da die Tests im Spital kein GHB nachweisen, beschliesst die zuständige Staatsanwältin, einen Haarprobentest durchführen zu lassen. GHB ist aber auch im Haar kaum nachweisbar, das negative Ergebnis also schon im Vorhinein voraussehbar.
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  28. Trotzdem stürzt sich die Presse auf das Ergebnis und sieht damit den Beweis erbracht, dass Jolanda Spiess-Hegglin lügt. Für die juristischen Untersuchungen lässt die Staatsanwältin schliesslich ein neutrales Gutachten erstellen, das einschätzen sollte, ob Jolanda Spiess-Hegglins Zustand während der Landammannfeier dem typischen Wirkungsprofil von K.O.-Tropfen entsprach.
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  30. Doch wie erstellt man ein neutrales Gutachten über jemanden, der sich nicht erinnert und ergo keine Aussagen machen kann? Man befragt Zeugen. Vor allem die Aussagen eines weiteren SVP-Politikers beschrieben Frau Spiess-Hegglins Zustand.
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  32. Beim Studieren der Akten erwiesen sich einige Aussagen des Mannes aber als Falschaussagen. Im Einvernahmeprotokoll dieses Mannes lese ich beispielsweise, dass er Frau Spiess-Hegglin zusammen mit Herrn Hürlimann schon vor der Feier beim gemeinsamen Glühweintrinken gesehen haben will.
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  34. Diese und weitere Aussagen des SVPlers wurden gemäss Gerichtsakten mittlerweile widerlegt. Dass sich das Gutachten trotzdem auf Aussagen eines offensichtlich nicht glaubwürdigen Zeugen stützt, scheint niemand zu hinterfragen. Spiess-Hegglins Anwalt reichte deshalb am 20. August neue Beweisanträge bei der Staatsanwaltschaft ein: Er will ein neues Gutachten, das sich nicht auf dieses unglaubwürdige Aussageprotokoll stützt. Der Antrag wird von der Staatsanwaltschaft abgelehnt.
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  36. GHB kann nicht nachgewiesen werden, DNA aber schon.
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  38. Am 26. Februar übergibt das Institut für Rechtsmedizin der Staatsanwaltschaft die Ergebnisse der DNA-Untersuchungen: Man findet in der Vagina von Jolanda Spiess-Hegglin DNA-Spuren, die von Markus Hürlimann stammen. Auf ihrem Slip findet man Sperma-Spuren. Aber auch unter dem Fingernagel von Jolanda Spiess-Hegglin sind männliche DNA-Spuren nachweisbar. Zu wem diese gehören, weiss man allerdings nicht. Das Institut für Rechtsmedizin schreibt in seinem Bericht: „Hürlimann ist somit als Spurengeber bezüglich der in beiden Fingerschmutzresservaten nachgewiesenen DNA-Rückstände einer männlichen Person ausgeschlossen."
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  40. Es würde nun nahe liegen, dass eine Probe bei dem Mann aus Spiess-Hegglins Flashback entnommen werden müsste. Bevor diese Spuren aber gesichert werden, sagt eine Zeugin aus, sie habe jenen Abend zusammen mit diesem Mann verbracht und laut Aussageprotokoll „nicht gesehen, dass er weggegangen wäre". Diese Zeugenaussage stellt seine Mittäterschaft in Frage. Doch wieso macht man keinen DNA-Test, um ihn als Mittäter auszuschliessen?
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  42. Marcel Schlatter, Sprecher der Zuger Staatsanwaltschaft, schreibt mir auf meine Nachfrage: „Das DNA-Mischprofil, das man an Frau Spiess' Finger gefunden hat, ist nicht auswertbar." Bei meinen Recherchen finde ich heraus, dass auch am rechten Bändel des String-Tangas DNA-Spuren gefunden wurden. Es handelt sich hier um ein DNA-Mischprofil, das von Markus Hürlimann stammt, aber auch von einer unbekannten, weiteren Person. Im Bericht vom Institut für Rechtsmedizin steht: „Die unbekannte, männliche Person, deren Y-DNA-Profil in den Fingernagelschmutzresservaten nachgewiesen wurde, kann ebenfalls als anteiliger Spurengeber nicht ausgeschlossen werden."
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  44. So frage ich erneut bei Marcel Schlatter nach, ob denn auch die DNA-Spuren auf dem Bändel des String-Tangas nicht auswertbar gewesen seien. Ich will wissen, ob man keinen DNA-Abgleich mit der Person aus Spiess-Hegglins Flashback gemacht habe, weil die Zeugin im Sinne dieser Person ausgesagt hatte. Ich erhalte die kurze Antwort: „Nur jene unter dem Fingernagel. Die Gebrüder Hätte und Wäre spielen in der Strafverfolgung keine Rolle. Wir fokussieren uns auf die Fakten." Sind eindeutig vorhandene DNA-Spuren keine Fakten?
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  46. Ich erkläre Herrn Schlatter, dass ich im Besitz des Berichts des Instituts für Rechtsmedizin bin und bitte ihn, mir abschliessend zu sagen, wieso diese Drittperson nicht zumindest als Spurengeber ausgeschlossen wurde. Auch hier erhalte ich eine äusserst verwirrende, kurze Email: „ ... weil es die DNA von Hürlimann ist. Verstehen Sie, was eine DNA-Spur ist?" Ich frage mich, ob Herr Schlatter versteht, was ein Mischprofil ist und was anteilgebend bedeutet. Zu wem die DNA-Spur gehört, scheint hier niemanden zu interessieren.
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