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Wenn du im schwarzen Block stehst, ist alles...

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Apr 27th, 2011
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  1. "Wenn du im schwarzen Block stehst, ist alles um dich herum dein Feind"
  2. 20. April 2011 12.50 Uhr, BZ
  3. Wenn er in den Spiegel blickt, sieht Dennis P. seine Vergangenheit: Die lange, rote Narbe, die sich schräg unter dem linken Auge über sein Gesicht zieht. Dort, wo ihn der Pflasterstein traf. Die vielen verheilten Schnitte und Platzwunden an Armen und Beinen sieht man zumindest nicht auf den ersten Blick.
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  5. Dennis P. war ein Gewalttäter. Ein Linksradikaler. Ein Steinewerfer. Dennis P. war im schwarzen Block.Drei Jahre lang mischte der Sohn einer Arztfamilie bei Ausschreitungen mit, bei Anti-Nazi-Demos, Vandalismus, bei Prügeleien mit der Polizei, Brandstiftung, Barrikadenkämpfen und Straßenschlachten. Was die Berliner Polizei nach jedem 1. Mai "Gewaltexzesse" nennt, waren für Dennis P. politische Überzeugungstaten.
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  7. "Ich war getrieben von purem Hass auf den Staat", sagt der 21-jährige Antifa-Aussteiger - und man fragt sich, was daran erschreckender ist: Dass ein junger Mann Hass auf etwas verspüren kann, mit dem er die meiste Zeit seines Lebens wohl höchstens im Rahmen der Schulpflicht Kontakt hatte. Oder, dass es lange nach den großen Gesellschaftsdebatten, in einer Zeit fast ohne Ideologien, immer noch Weltsichten gibt, wegen denen Menschen anderen Menschen in aller Öffentlichkeit die Köpfe einschlagen wollen.
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  9. Denn darum geht es dem sogenannten schwarzen Block. In der radikalen linksautonomen Szene steht der Begriff für den gewaltbereiten Teil eines Demonstrationszugs, dessen Teilnehmer meist schwarz vermummt ganz vorn laufen und die Konfrontation mit der Polizei suchen. Ihre Kleidung ist einheitlich: Schwarz und Rot sind die traditionellen Farben selbst ernannter "antifaschistischer" Gruppen, die den harten Kern des schwarzen Blocks bilden. Früher trug man auch Motorradhelme oder Sturmhauben.
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  11. Dennis P. rutschte über seinen Schulkumpel Thomas in die Szene. "Ich fand Thomas faszinierend", erzählt er. "Er hatte für jedes Argument ein Gegenargument. Er war politisch versiert, hochintelligent. Ein strenger Marxist. Wir teilten bald dieselbe politisch linke Überzeugung." Und schnell war auch klar, dass Dennis mit Thomas und dessen Freunden zu den Demonstrationen fahren würde, auf denen sie so viel Zeit verbrachten.Am Tag der jeweiligen Demo wurde er dann morgens mit einem Kleinbus abgeholt. "Da war alles schon drin: Fahnen, Banner und Steine", erzählt Dennis. "Auf dem Arm hatte ich dick mit Filzstift die Nummer eines Anwalts geschrieben. 'Wenn du festgenommen wirst, ruf da an', hieß es immer.
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  13. "Die Strategie während der Demo war fast immer dieselbe. "Den schwarzen Block bilden vorne 20 bis 30 Leute, aber wir sind nie von Anfang an bei denen mitgelaufen", sagt Dennis. "Wenn du vorne bist, hat dich die Polizei sofort auf Film. Deshalb sind wir erst nach einer halben Stunde von den Seiten oder von hinten dazugekommen."Erste Ausschreitungen waren dann oft nur noch eine Frage von Minuten. "Es ist ein Lauern aufeinander", sagt Dennis. "Von beiden Seiten. Da reicht ein falscher Blick, ein falsches Wort, damit es losgeht."Der schwarze Block drängt, schlägt, wirft mit Steinen, schießt aus Katapulten mit Stahlkugeln auf die Beamten. Die Polizisten kontern mit Knüppeln, Tränengas und Wasserwerfern.
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  15. "Ich habe unzählige Male geblutet, einmal sogar halb bewusstlos am Boden, weil mich ein Stein oder eine Keule getroffen hatte", sagt Dennis. "Und hier", er zeigt auf die Narbe unter seinem Auge, hat mich ein Blindgänger erwischt.""Wenn du im Block stehst", sagt er, "ist alles um dich herum, alles außer dem schwarzen Block, dein Feind."Die meisten Leute, die Schulter an Schulter mit ihm im schwarzen Block kämpften, kannte Dennis P. nicht. Man sah sich erst kurz vor den Demos in den Fahrgemeinschaften im Kleinlaster. "Da war echt alles dabei", erzählt Dennis. "Von Angestellten bis zu Arbeitslosen, Handwerkern und Schülern." Anfangs kämpften auch viele Frauen mit, zu Dennis' Erstaunen. "Die Mädels erkannte man meist erst hinterher, weil sie ihre Haare zum Zopf gebunden und unter der Kapuze versteckt hatten." Die meisten von ihnen waren mit den Jungs liiert, die in den Antifa-Gruppen das Sagen hatten.
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  17. Viele Gefährten aus dem schwarzen Block sah Dennis P. nie außerhalb der Demos. "Das war aber nicht schlimm", sagt er. "Wenn du losmarschierst, bist du trotzdem mit denen eine Einheit. Wie Brüder, man zieht den anderen raus, man hilft sich. Wenn einer losstürmt, stürmen alle anderen mit."Einige Antifa-Kollegen lud Dennis P. schon mal zu sich nach Hause ein. Doch der Kontakt blieb stets lose, auf Feiern, Kiffen und Diskutieren beschränkt. Letzteres allerdings am wenigsten: "Es gibt einfach zu viele Leute in der Szene, die im schwarzen Block mitlaufen, aber allen Ernstes nicht wissen, wer Karl Marx war", sagt Dennis. "Für die war Idealismus gar nicht wichtig, mehr die Sucht nach Adrenalin und Gewalt."
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  19. Vor seiner Familie hielt Dennis seine Ausflüge zu Krawall-Demos geheim: "Wenn ich echt böse zugerichtet war und überall blaue Flecke und Schrammen hatte, habe ich meinen Eltern erzählt, ich sei vom Fahrrad gefallen." Eines Tages habe seine ältere Schwester ihn sich dann zur Brust genommen. "Sie war die Erste, die durchschaut hat, in welcher Szene ich da eigentlich verkehre."
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  21. Der Wendepunkt kam für den heutigen Studenten der Geisteswissenschaften bei einer Demo gegen einen angeblichen Naziaufmarsch in Bremen. "Wir wurden von der Polizei auseinandergetrieben", erzählt Dennis. "Ich zündete mit ein anderen paar Typen eine Mülltonne an, als mein Kumpel Thomas mit einem Baseballschläger zu uns rüberkam. Und daran klebte Blut, ernsthaft Blut."
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  23. "Antifa-Aussteiger" nennt Dennis P. sich heute selbst. "Aussteiger" - nicht "Ehemaliger". "Ehemaliger würde bedeuten, dass ich irgendwie noch dahinterstünde und mich nicht schämen würde", sagt er. "Aber das ist nicht so. Ich bin froh, dass diese ganze Sache nicht mehr Teil meines Lebens ist."
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  25. Ein bisschen vorsichtig sein muss Dennis aber immer noch. Die Szene ist voller Paranoider, die überall Polizei, Staatsschutz oder "Fascho-Spitzel" sehen. Sogar auf Flugblättern für Demonstrationen wird zu höchster Geheimhaltung aufgerufen. Und selbst die eignen Mitglieder, wie Dennis P., haben immer und überall nur so viele Information wie unbedingt nötig ist.
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  27. Das hilft den Anführern der Gruppen auch dabei, ihre privilegierte Stellung als Drahtzieher zu verteidigen.Dennis P. hat seinen Freund Thomas nie auf den Baseballschläger angesprochen. Er hat auch seinen Ausstieg aus dem harten Kern der Schläger nicht ernsthaft mit ihm diskutiert. Er ging einfach nicht mehr hin."Auszusteigen ist kein Problem gewesen", sagt Dennis P. "Ich bin nicht mehr zu den Antifa-Treffen gegangen und wurde auch automatisch nicht mehr angerufen. Ich hatte dann schnell andere Freunde.
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  29. "Ab und zu laufe Thomas ihm noch über den Weg, sagt Dennis. Man sei dann durchaus nett zueinander und unterhalte sich gesittet. "Soweit ich weiß, schreibt er heute noch viele Texte für Antifa-Blätter. Aber darüber spricht er nicht. Zumindest nicht mehr mit mir."
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  31. Lesen Sie morgen: So mobilisiert die Antifa Jugendliche
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