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MatthiasS23

Thomas H. - Berlin

Apr 15th, 2015
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  1. "Ich mache alle Deutschen tot!"
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  3. Ein 19-Jähriger erstach am hellen Tag einen Passanten, weil er sich provoziert fühlte
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  5. Es hätte am 17 April jeden treffen können. Hani Y., der sich in Moabit wegen Mordes verantworten muss, war wie ein waidwundes Tier durch die Gegend gelaufen.
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  7. Der 19-Jährige kann heute selber nicht mehr genau sagen, warum er sich provoziert fühlte. Von vier jungen Leuten, die in der Glogauer Straße (Kreuzberg) in einem Audi A 3 saßen und sich - wie Zeugen übereinstimmend bekunden - fröhlich unterhielten. Hani Y. soll ihnen in aggressivem Ton etwas zugerufen haben. "Wir haben das nicht ernst genommen und gelacht", erinnert sich der 22-jährige Kfz.-Mechaniker André W.
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  9. Eskaliert sei das Geschehen, als Hani Y. mit dem Fuß gegen einen Fahrradständer gestoßen habe und dieser gegen das Auto schlug. Über das, was anschließend geschah, gibt es zwischen dem Angeklagten und Zeugen wenig Divergenz: Der 32-jährige Thomas H. springt aus dem Auto und ruft Hani Y. nach, er solle stehen bleiben. Hani Y. reißt sich die Jacke vom Leib und geht drohend auf Thomas H. zu. Es kommt zu einer Rangelei. Und Hani Y. hat plötzlich ein Butterfly-Messer in der Hand.
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  11. Dachdecker Thomas H. starb noch am Tatort. Hani Y. floh. "Ich steche alle Deutschen ab", schrie er Verfolgern zu. Am 3. Mai stellte er sich auf Anraten seines Anwalts. Er war in den Medien mit Hilfe eines Phantombildes gesucht worden, das - selten bei dieser Art Bilder - tatsächlich verblüffende Ähnlichkeit aufwies.
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  13. Bei ersten Vernehmungen hatte er noch behauptet, dass er sich wegen reichlich genossenen Alkohols an die Tat nicht mehr erinnern könne. Inzwischen hat er mit Ferdinand von Schirach einen neuen Anwalt. Und mit ihm auch eine neue Strategie. Schirach - auch auf diesem Gebiet ganz offenbar eine Begabung - verlas eindrucksvoll eine stellenweise schon fast literarisch anmutende Erklärung des Angeklagten. Sie geht zurück bis ins Jahr 1949, als Hani Y.s Familie aus Palästina vertrieben wurden. Der Angeklagte ist das jüngste von sechs Kindern, die in Flüchtlingslagern aufwuchsen. In Blechbaracken, in denen es keinen Wasseranschluss gab. In ständiger Bedrohung durch feindliche Attacken. Er ist zwei Jahre alt, als sein Vater stirbt. Seine drei Brüder verlassen nacheinander das Camp und sind seitdem spurlos verschwunden. "Meine Mutter hat oft zu mir gesagt: Du bist das einzige Licht, das mir geblieben ist".
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  15. Dennoch verläßt er sie einige Monate vor der Tat. Eine Schwester lebt in Deutschland. Sie besorgt das Geld, mit dessen Hilfe er über Tschechien und die grüne Grenze nach Deutschland geschleust wird. Er stellt einen Asylantrag, kommt in einem Heim unter, trifft ein Mädchen aus dem Flüchtlingslager wieder. Sie verloben sich.
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  17. Doch die Freude ist nicht von Dauer. Hani Y. kann kaum arabisch lesen und schreiben, erst recht nicht deutsch. "Sprachlehrgänge", sagt er, "waren zu teuer." Und das wenige Geld, das er bei Aushilfsarbeiten - Geschirr spülen, Werbezettel verteilen - verdient, reicht nicht für die ersehnte Familiengründung. Er beginnt zu trinken, wird zum ungeliebten Querulanten im Ausländerheim.
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  19. Am Tattag kommt noch hinzu, dass sich seine Mutter weigert, mit ihm am Telefon zu sprechen - habe er sich doch ohne ihre Erlaubnis verlobt. Und mit der Wohnung in der Glogauer Straße, die er gemeinsam mit der Verlobten beziehen will, gibt es Probleme. Die versprochene Dusche wird nun doch nicht eingebaut. "Ich dachte, nichts funktioniert in meinem Leben." Empört habe er der Vormieterin die Schlüssel vor die Füße geworfen. Wutentbrannt sei er über die Straße gelaufen. Und da stand das Auto, drinnen die vier so verdammt fröhlichen Leute ...
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  21. Thomas H. war einen Kopf größer als der Libanese. "Ich wusste, dass ich verliere, wenn es zum Kampf kommt", sagt Hani Y. Darum habe er schließlich das Messer gezogen und drohend herumgefuchtelt. "Aber ich wollte ihn nicht töten."
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