spielepresse by whistleblower76
Das ominöse “Gesamtpaket”

 Zuerst einmal als Info – alle bisher genannten Vornamen waren falsch. Aber viel Spaß beim Weiterraten!

Heute gibt es eine kleine Weihnachtsgeschichte, die jedoch nicht zu Weihnachten spielt, sondern Ende Winter / Anfang Frühjahr eines nicht allzu lange zurückliegenden Jahres:

Ich war gerade erst seit wenigen Monaten zurück im Printbereich, nachdem ich einige Zeit in den Onlineportalen mein Heil gesucht hatte, als ich zu einem Publisherbesuch eingeteilt wurde. Nein, kein Flug zum Publisher, sondern ein Besuch des Publishers in der Redaktion. Im Handgepäck der neueste Teil eines bekannten Multiplattformtitels, der zu diesem Zeitpunkt noch ein schönes Stück vom geplanten Release entfernt war. Da darf man neugierig sein, und solche Termine sind eine der durchaus angenehmeren Aufgaben. Stattgefunden hat alles im großzügig ausgestatteten Meetingraum in folgender Konstellation:

- Producer des Publishers
- Marketingmensch des Publishers
- Unsere Anzeigenleitung
- Unsere Redaktionsleitung (in Gestalt Chefredakteur/in)
- Meine Wenigkeit

Nach einer kurzen Präsentation des Spieles an die ganze Horde ging es sozusagen in die “Arbeitsgruppen”. Während ich mich mit dem (durchaus umgänglichen und Spieler-orientierten) Producer weiter ins Spiel vertiefte, wurde neben / hinter uns gefeilscht.

Der Einstieg erfolgte mit der Frage unserer Anzeigenleitung, ob man sich ein “Gesamtpaket” vorstellen könne, was der Marketingmensch bejahte. Daraufhin kam die vertiefende Frage, wie dieses denn auszusehen hätte. Auf diese Frage hatte der Marketingmensch offenbar gewartet, denn nun kam der Wunschzettel (womit wir wieder beim Weihnachtsthema wären):

“Zwei Coverstories mit jeweils 6-8 Seiten im Heft, News, Report oder Update in jeder anderen Ausgabe, ein Technikspecial und ein oder zwei Interviews bis zum Release, dazu eine entsprechende Online Berichterstattung”.

Das war der Moment, wo ich meine Öhrchen spitzte und der neben mir sitzende Producer vielsagend die Augen verdrehte.

Nach einer kurzen Mauschelei nickten sowohl CR als auch Anzeigenmensch, und nach einigen Höflichkeitsfloskeln sprach letzterer dann in vorsichtig-herantastendem Tonfall: “Da sprechen wir dann von einem Paketpreis von XXXYYY Euro, natürlich mit entsprechend positionierten Anzeigen print & online.”
Die Summe – die mich damals auf einen Schlag entschuldet hätte – lag offenbar in der  Preisvorstellung des Marketingmenschen, denn nach zwei weiteren Verhandlungsrunden, in denen einerseits eine großzügige Kostenübernahme für Studiobesuche vereinbart wurde und andererseits der Gesamtpaketpreis durch das Versprechen einer mehr als üppigen Sachpreisspende für Gewinnspiele geringfügig reduziert wurde, war man sich einig.

Und dann begann der Marketingmensch mit dem vielsagenden Satz “Und bezüglich der Wertung…”

Noch während ich schmerzhaft das Gesicht verzog, blockte unsere Anzeigenleitung ab.
“Diesbezüglich ist die Redaktion vollkommen eigenständig, da können wir natürlich nichts versprechen…”

Mir fiel ein Stein von Herzen. Allerdings geradewegs auf die Zehen, denn der Satz wurde fortgesetzt mit

“…allerdings können wir da durchaus ein Frühwarnsystem oder eine Rücksprache vor Veröffentlichung andenken, damit unsere Zusammenarbeit nicht durch Missverständnisse belastet wird”.

Hände wurden geschüttelt, das Meeting beendet – und damit auch diese Weihnachtsgeschichte.

Persönliche Anmerkung: Ich habe niemals erlebt, dass eine bestimmte Wertung gezielt gekauft wurde. Die Vorstellung, dass hier jemand mit dem Geldkoffer einmarschiert und eine 90 samt zwei Awards dazu bestellt, ist lächerlich. Aber es gibt genug Mechanismen, die einen ähnlichen Effekt haben. Ein entsprechend großzügiges “Gesamtpaket” zählt dazu.