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Radio SFR 2 auf heiklem Pfad

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Dec 16th, 2014
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  1. NZZ 16.12.2014 Seite 50
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  3. Kultursender im Umbau - Radio SFR 2 auf heiklem Pfad
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  5. von Daniela Kuhn
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  7. Radio SRF 2 Kultur hat sein musikalisches Spektrum geöffnet. Obwohl es in den letzten beiden Jahren 50 000 Hörer verlor, fährt es auf seinem Kurs fort. Die Sendung «Reflexe» verschwindet.
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  9. Es war einmal ein Radiosender, der war anders als alle anderen. Er fütterte seine Hörerschaft mit sorgfältig zubereiteter Vollwertkost. Wer ihn einschaltete, war vor Junkfood sicher. Der Sender hiess DRS 2. Die vier Zeichen standen für klassische Musik, frühabendlichen Jazz und solide Hintergrundsendungen. In den Ohren der treuen, wenn auch verglichen mit anderen Sendern nicht besonders zahlreichen Hörerschaft klangen die Stimmen der Moderatoren vertraut. Ja, man darf ruhig sagen: DRS 2 war für viele Menschen ein Stück Heimat. Der Sender mit Format war auch ein Fels in der Brandung. Hier war offenbar noch immer kein Mainstream gefragt. Diese Redaktion peilte nicht möglichst viele Hörerzahlen an, sondern vertraute auf ihre eigenen grossen Qualitäten.
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  11. Alles für alle
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  13. Doch eines Tages wurde diese letzte Bastion vom Zeitgeist eingeholt. Unter dem Motto Konvergenz sollten die verschiedenen Radio- und Fernsehsender der SRG enger zusammenarbeiten, was dem Publikum als Mehrwert verkauft wurde, faktisch aber bedeutet: alles für alle. Aus DRS 2 wurde Radio SRF 2 Kultur. Die explizite «Kultur» im neuen Namen verhiess nichts Gutes, denn wenn etwas selbstverständlich ist, braucht es nicht erwähnt zu werden. Im Dezember 2012 wurde der Wechsel vollzogen. In den ersten Wochen grenzte die Häufigkeit, mit der die Moderatoren den neuen zungenbrecherischen Namen aussprechen mussten, ans Unerträgliche. Ein Ärger, der wieder verging. Vielleicht gewöhnte man sich daran, oder die Nennungsquote wurde reduziert. Umgekehrt verhielt es sich mit den inhaltlichen Änderungen: Sie wurden am Anfang zögerlich, dann aber rigoros etabliert.
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  15. Umgekrempelt wurden in erster Linie das Morgenprogramm, die sogenannte Primetime von sechs bis neun Uhr, und der frühe Abend, intern «drive time» genannt. Beide Zeitfenster laufen unter dem Motto: mehr Kurzbeiträge, mehr Pop-Musik und mehr News. Mehr Nachrichten bedeutet beispielsweise, dass die zehnminütige Sendung «Heute Morgen» zwischen halb sieben und viertel vor neun Uhr morgens drei Mal über den Äther geht. Wer in dieser Zeit nicht abschaltet, hört «Keine konkreten Verhandlungen an der Afghanistan-Konferenz» zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten.
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  17. Nicht wiederzuerkennen ist der Sender am frühen Abend. Die Sendung «Apéro», die mit ausgewähltem Jazz eine entspannte Atmosphäre schuf, wurde abgeschafft. Von vier bis halb sieben Uhr ist auf Radio SRF 2 Kultur stattdessen vermehrt Pop, Rock und Hip-Hop zu hören. Musik, die auf Radio SRF 3 und anderen Sendern zu finden ist. Ferner sind etliche bekannte Stimmen verschwunden, Fachredaktoren, die sich mit den Änderungen schwertaten. Andere sind neu hinzugekommen. Etwa in der Literaturredaktion, die unter dem Motto der Konvergenz aus Radio SRF 1 und Radio SRF 2 Kultur besteht, was zur Folge hat, dass Literatur auf unterschiedlichem Niveau besprochen wird.
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  19. Hörer verloren
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  21. Kein Wunder, hat es einstigen Hörern von DRS 2 «abgestellt», wie es auf Mundart so schön heisst. Abgestellt haben sie daher auch den Sender. Seit dem Relaunch hat Radio SRF 2 Kultur 50 000 Hörer verloren, viele sind wohl zu Radio Swiss Classic abgewandert, das DRS 2 aber in keiner Weise das Wasser reichen kann, nur schon, weil es keine Wortbeiträge liefert. Es stellt sich somit die Frage, wofür die Übung gut sein soll.
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  23. Noch vor der Umsetzung des Relaunch war zu hören, das grosse Problem von DRS 2 sei die Überalterung des Publikums. Tatsächlich verzeichnete die Hörerzahl in den letzten zehn Jahren eine sinkende Tendenz. Franziska Baetcke, Programmchefin von Radio SRF 2 Kultur, sagte dazu in einem Interview vor einem Jahr, man möchte mit dem neuen Sender «ein möglichst breites kulturinteressiertes Publikum erreichen, unabhängig vom Alter». Und sie doppelte vor wenigen Monaten nach: «Die Forschung zeigt, dass das Publikumspotenzial für einen Kultursender deutlich grösser ist als das bestehende Stammpublikum von DRS 2 / SRF 2 Kultur.»
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  25. Die potenzielle Hörerschaft ortet sie bei den 30- bis 50-Jährigen. Weil Kultur laut Baetcke «alle etwas angeht». Wieso alle? Wieso bietet die SRG keinen Kultursender an für Menschen jeglichen Alters, die keinen Hip-Hop hören möchten? Wohin soll ein Radiopublikum, das nicht «möglichst breit», sondern selektiv kulturinteressiert ist? Und schliesslich: Warum muss ein gebührenfinanzierter Sender nach Einschaltquoten schielen?
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  27. «Hochkultur!»
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  29. Bei den Hörerzahlen am Morgen und am frühen Abend ist laut Baetcke eine «steigende Tendenz» zu beobachten, zunehmend würden auch jüngere Hörer erreicht. Aber offenbar noch lange nicht genug. Sonst wäre das breite Fernsehpublikum vor einigen Monaten nicht mit drei Werbespots beglückt worden, mit denen der Kultursender sein Klassik-Image demontiert. Ein Punk-Grüppchen steigt da in ein Taxi ein und fragt den Chauffeur, was er höre. Die Antwort «SRF 2 Kultur» löst Heiterkeit aus. «Hochkultur!» spottet einer der jungen Fahrgäste, die mitfahrenden Girls kichern. «Mozart! Vivaldi! Chopin! Schubert!!» – der Punk ist erstaunlich gebildet, wenn auch nicht sonderlich taktvoll. Als das Grüppchen aussteigt, ist gerade noch die Ansage des Radiosprechers zu hören: «Das war Gil Scott Heron.» Der Chauffeur stellt ab, zum Bedauern der Fahrgäste: «Ooohh!» Nun sind die Punks bekehrt und werden künftig Radio SRF 2 Kultur hören.
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  31. Ein anderer Spot bedient Ressentiments gegen eine bürgerliche Hautevolee: Eine konservativ-elegante ältere Dame, deren mitfahrender Papagei «ausschliesslich Radio SRF 2 Kultur» hört, bittet den Taxifahrer, das Radio abzustellen, worauf ihr eröffnet wird, ihr Sender sei eingestellt. Die Dame ist erstaunt: «Ah ja, wirklich?» Ach, ja. Ist das wirklich der richtige Weg?
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  33. Oder anders gefragt: Wohin soll der Weg nun führen? Worauf läuft dieser Relaunch hinaus? Denn glücklich mit Radio SRF 2 Kultur wird derzeit weder das Punk-Grüppchen noch die konservative Dame; das neue Konstrukt ist weder Fisch noch Papagei.
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  35. Neben dem neuen Morgen und Frühabend stehen noch immer viele Sendungen, die der «Überarbeitung» bisher entkommen sind. Eine hohe Einschaltquote hat überraschenderweise die «Diskothek», in der zwei Experten über verschiedene Interpretationen eines Werks diskutieren. Sie erreicht durchschnittlich 46 700 Personen. Der Marktanteil beträgt 5,2 Prozent. Eine Sendung für ein «möglichst breit kulturinteressiertes Publikum»? Wohl kaum. Vielmehr eine anspruchsvolle Musik- und Hörschule, bei der die Dame mit dem Papagei wahrscheinlich sogar überfordert wäre. Eine ziemlich elitäre Angelegenheit, dieses Flaggschiff, die «Diskothek».
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  37. «Reflexe» verschwindet
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  39. Überlebt hat auch das «Klassiktelefon» um ein Uhr mittags. Schon der Titel verrät das vorwiegend ältere Publikum, das über Mittag den Hörer in die Hand nimmt und dem langjährigen Ehemann zum Geburtstag gratuliert und «auch noch allen einen ganz schönen Tag» wünscht. Hörerbindung scheint offenbar noch immer wichtig zu sein. Erhalten geblieben sind unter anderem auch der «Hör-Punkt», das «Echo der Zeit», das «Klangfenster». Die Hintergrundsendung «Reflexe» wird hingegen verschwinden und einer neuen, einstündigen Sendung mit dem altbekannten Namen «Kontext» einverleibt werden. Diese voraussichtlich monothematische Sendung wird künftig um neun Uhr morgens und um sechs Uhr abends ausgestrahlt werden, just dann, wenn auf Radio SRF 1 mit dem «Echo der Zeit» die Einschaltquote nach oben springt.
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  41. In der internen Arbeitsgruppe, welche diese markante Programmänderung ausarbeitete, sitzt Franziska Baetckes Ehemann Eric Facon. Der langjährige Kulturjournalist, der bei SRF schon etliche Stationen hinter sich hat, moderiert auf Radio SRF 4 News derzeit die Sendung «Kultur-Stammtisch», die auf Radio SRF 2 Kultur wiederholt wird. Neben seiner Tätigkeit beim Radio betreibt Facon das Label «Faze Records», welches Pop- und Rockmusik verkauft. Auf einem internen Organigramm ist Facon als Programmentwickler aufgeführt, neben der bisher bekannten Programmentwicklerin Susanne Läng. Zu dieser neu geschaffenen Stabsstelle, die ein Pensum von dreissig Prozent umfasst, wurde Facon von SRF-Kulturchefin Nathalie Wappler intern berufen; ausgeschrieben war die Stelle nicht. Auf dem Organigramm ist er seiner Ehefrau somit nicht unterstellt, sie entscheidet auch nicht über seine Ideen. Dass die Programmleiterin und der Programmentwickler letztlich aber über dieselben Themen brüten, ist klar. Erachtet Franziska Baetcke diese Konstellation als problematisch? «Nein», sagt sie: «Sonst hätte ich sie vermieden. Eric Facon und ich handhaben unsere Zusammenarbeit professionell, wir führen konkrete fachliche Auseinandersetzungen zum Programm von Radio SRF 2 Kultur.» Für den Sender sei es vielmehr eine «Riesenchance», von der langjährigen Erfahrung Facons zu profitieren.
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  43. Auf den Redaktionen hingegen erregt die personelle Verstrickung Unmut. Nicht zuletzt, weil Eric Facon auf Radio SRF 2 Kultur Pilotsendungen produziert, die musikalisch weit weg davon sind, was auf dem Sender bisher zu hören war – abgesehen vom Vorabendprogramm. Laut Franziska Baetcke ist es ein strategisches Ziel von Radio SRF 2, das neue Musikprofil des Vorabends «journalistisch zu verankern». Mit anderen Worten: Die neuen Töne, die bisher nur am Vorabend zu hören waren, werden künftig neue, eigene Sendungen erhalten.
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  45. Unmöglicher Pikettdienst
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  47. Wellen warf vor zwei Jahren auch ein verordneter Pikettdienst für das neue Morgenprogramm. Er verpflichtete die zuständigen Fachredaktoren und Produzenten, während jeweils einer Woche rund um die Uhr erreichbar zu sein, um allfällige Aktualitäten einzuspeisen, auch am Wochenende. Dies ohne zusätzliche Entlöhnung. Die Gewerkschaft Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM) ging der Sache auf mehrfache Anfrage hin nach, mit Erfolg: Die Arbeitsinspektorate in Basel-Stadt und Zürich stellten einen klaren Verstoss gegen die gesetzlichen Grundlagen fest. Doch die SRG lenkte erst ein, als auch das Staatssekretariat für Wirtschaft das Veto einlegte. Der Pikettdienst wurde daraufhin wieder eingestellt; die betroffenen Redaktoren erhalten diesen Monat eine rückwirkende Entschädigung, die ausbezahlt und in Zeitguthaben umgemünzt wird.
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  49. In diesem Klima tragfähige Neuerungen durchzusetzen, wird keine leichte Aufgabe sein.
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