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Feb 16th, 2011
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  1. Karl-Theodor Frhr. zu Guttenberg, Verfas- sung und Verfassungsvertrag. Konstitutionel- le Entwicklungsstufen in den USA und der EU, Duncker & Humblot, Berlin 2009, 475 S., 88,- €
  2. Unter dem sperrigen Titel „Verfassung und Verfassungsvertrag: konstitutionelle Ent- wicklungsstufen in den USA und der EU“ hat der Bundesminister der Verteidigung seine Doktorarbeit publiziert. Darin widmet er sich dem europäischen Verfassungsprozess aus ei- ner rechtspolitischen Perspektive. Zu Gutten- berg wurde mit der Arbeit im Jahr 2007 an der Universität Bayreuth mit der Bestnote „sum- ma cum laude“ promoviert. Betreut wurde seine Arbeit von Peter Häberle als Doktorva- ter, Zweitgutachter war Rudolf Streinz, beide renommierte Staatslehrer und Europarecht- ler.
  3.  
  4. Trotz des Popularitätsgrades des Verteidi- gungsministers und der Aktualität der Frage- stellung fristet die Arbeit bislang ein Schat- tendasein. Neben einer eher zu devoten Re- zension in der Zeitschrift „Die Öffentliche Verwaltung“, in der der Rezensent seinen staatsbürgerlichen Wunsch äußert, dass zu Guttenberg zukünftig als Minister ein Fach- ressort erhalten möge, in dem die „europapo- litische Kompetenz der Bundesregierung auch nominal gebündelt wird“,1 finden sich einige oberflächliche Berichte in der Tages- presse über das Buch, die ihre Analyse im Grunde auf das Vorwort der Arbeit reduzie- ren.2 Darüber hinaus ist der Text im Wesent- lichen unbeachtet geblieben.
  5. Der wissenschaftliche Ertrag der Arbeit ist bescheiden. Das liegt vor allem daran, dass der Autor seinen Verfassungsbegriff nicht hinrei- chend entfaltet und damit weit hinter der wis- senschaftlichen Diskussion zurückbleibt. Zu Guttenbergs Argumentation mäandert vor sich hin und zermürbt die Leser_innen durch seitenlanges Politsprech und die Nacherzäh- lung rechtspolitischer Diskussionen im Kon- vent. Der Autor macht auch nicht ansatzweise deutlich, worin der aktuelle Erkenntniswert der seitenlangen Dokumentation zu den Got- tesbezügen in Verfassungstexten liegt. Das Gesamturteil „summa cum laude“ erscheint darum mehr als schmeichelhaft.
  6. Widersteht man dem Impuls, die Arbeit man- gels Substanz nach einer ersten Durchsicht gelangweilt aus der Hand zu legen und liest man etwas genauer hinein, dann zeigen sich einige formelle Auffälligkeiten. Zu Guttenberg bedient sich bei einer ganzen Reihe von Texten und Autor_innen, ohne die Fremdzi- tate lege artis kenntlich zu machen. So ent- nimmt er drei Sätze auf S. 153 – „Im Zuge der Integration hat sich schließlich ein Hoheits- träger herausgebildet, der Recht setzt, ohne Staat zu sein. Der überkommene, seit nun- mehr dreihundert Jahren gültige und nahezu zum Dogma erhobene Konnex von Staat und Recht, von Staatsgewalt und Rechtsetzung wird dadurch durchbrochen. Regierungsge- walt und Rechtsetzung dürfen nunmehr als Erscheinungen begriffen werden, die auch jenseits der Staatlichkeit erfolgen.“ – vom Tü- binger Europarechtler Martin Nettesheim,3 ohne dies wie geboten auszuweisen. Das wäre eine lässliche Sünde, ein Versehen, wie es eben in einer langen Arbeit passieren kann. Doch es bleibt nicht dabei.
  7. Im hinteren Bereich der Arbeit, wo zu Gut- tenberg die Notwendigkeit des Gottesbezu- ges in Verfassungen thematisiert und laizisti- schen Vertreter_innen vorwirft, dass sie ein Vakuum schaffen, in dem Fundamentalismen aller Art gegenüber dem Humanismus und der Aufklärung leichtes Spiel haben, gibt es weitere urheberrechtlich problematische Pas- sagen. „Europa, das alte wie das neue“, so zu Guttenberg (382), „ist ein Kontinent, dessen Schicksal - im grausamsten wie im erhabens- ten Sinne - von Religion und Religionen be- stimmt wurde und es vielfach noch immer wird. Dies zu negieren oder zu verdrängen, heißt, einer Geschichtsvergessenheit Vor- schub zu leisten, die sich bis in die Zukunft hinein rächt.“ Dass diese Passage wortwört- lich aus einem Zeitungsaufsatz vom 22. Juni 2003 von Obermüller mit dem Titel „Gott hat keinen Platz in der europäischen Verfassung“ übernommen ist,4 macht zu Guttenberg nicht kenntlich. Der Originaltext wird an keiner Stelle zitiert, obschon mehr als eine ganze Sei- te der gedruckten Dissertation in nichts an- derem als der Wiedergabe des Zeitungstextes besteht.
  8. Damit nicht genug: Passagen zum Intensitäts- grad der Freundschaft der EU mit den USA (351) entnimmt zu Guttenberg von Gret Hal- ler,5 zur Begrenzungsfunktion der Verfassung
  9.  
  10. (169) der FAZ,6 zum europäischen Einfluss auf die US-Verfassung (214-217) Hartmut Wassers Text „Amerikanische Präsidialde- mokratie“.7 Bei der Darstellung zu plebiszi- tären Verfassungselementen (353) bedient er sich bei einem Vortrag, den Günter Burg- hardt, seinerzeit Botschafter der EU in den USA, 2002 am Walter Hallstein-Institut ge- halten hat.8 Ausführungen zur Zuständig- keitsverteilung der EU kupfert er bei Sonja Volkmann-Schluck9 und rechtsvergleichende Analysen (349) bei Wilfried Marxer ab.10 Mehrmals macht zu Guttenberg nicht, nur teilweise oder nicht hinreichend kenntlich, dass die Formulierungen aus fremder Feder stammen. Wörtliche Zitate werden nicht im- mer hinreichend ausgewiesen; teilweise ver- zeichnet er die Texte, aus denen er sich be- dient, nicht einmal in seinem Literaturver- zeichnis.11 Das Vorgehen ist so systematisch, dass es schwer ist zu sehen, wie das noch mit § 7 III der Promotionsordnung der Fakultät für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften Bayreuth in Übereinklang gebracht werden kann, nach dem die benutzte Literatur und sonstige Hilfsquellen vollständig anzugeben und „wörtlich oder nahezu wörtlich dem Schrifttum entnommene Stellen“ kenntlich zu machen sind.
  11.  
  12. Im Hinblick auf die im Anhang dokumen- tierte Liste, die Fundstücke einer ersten noch unvollständigen Plagiatskontrolle via Wort- gruppensuche bei Google (ohne Anspruch auf erschöpfende Durchsicht der Arbeit) ver- zeichnet, erlaubt sich der Rezensent höflich, die Mitglieder des Bayreuther Prüfungsaus- schusses und den Verfasser der Arbeit zu fra- gen, wie sie meinen, dennoch rechtfertigen zu können, dass diese Arbeit als „Nachweis der Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit“ (Art. 64 Abs. 1 Satz 1 BayHSchG) dienen kann, zumal dieser Nachweis auf derGrundlage „einer selbstständigen wissen- schaftlichen Arbeit (Dissertation)“12 erfolgen muss und hierbei vorausgesetzt ist, dass die Dissertation wissenschaftlichen Mindeststan- dards genügt.13
  13. Andreas Fischer-Lescano
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